Rechte

Rechte Klagen

  • 23.02.2017, 20:58
Wie Rechtsextreme die „Lügenpresse“ durch Klagen mundtot machen wollen.

Wie Rechtsextreme die „Lügenpresse“ durch Klagen mundtot machen wollen.

Die Ablehnung von gesellschaftskritischem Engagement Andersdenkender verdeutlicht sich in vielen rechtsextremen Kreisen nicht zuletzt in ihrem Umgang mit (linken und alternativen) Medien. Durch Vorwürfe wie jenem der „Lügenpresse“ wird dabei versucht, sich gegen Kritik zu immunisieren und politische Gegner_innen durch finanziell aufwändige Klagen einzuschüchtern.

„SYSTEMHANDLANGER“. Journalist_innen scheinen es aktuell angesichts des sinkenden gesellschaftlichen Vertrauens in Medien und der steigenden Angriffe nicht leicht zu haben. So zeigte 2016 eine repräsentative Umfrage für den Bayerischen Rundfunk, dass die Mehrzahl der in Deutschland lebenden Menschen die Medien für gelenkt hält. Bedient und verstärkt wurde das Ressentiment der „gleichgeschalteten“, „Meinungsbildung betreibenden“ Berichterstattung unter anderem auf den von antimuslimischem Rassismus geprägten Pegida- Demonstrationen. Im Skandieren von Begriffen wie „Lügen-“ oder auch „Systempresse“ bei derartigen Events verdeutlicht sich, dass von weit rechts Außen bis zur gesellschaftlichen Mitte Medien pauschal als „Handlanger des Systems“ und manipulierende Propaganda imaginiert werden, gegen die sich die vermeintliche Rebellion des Volks zur Wehr setzen müsse. So wird zwar nach Meinungsfreiheit oder -vielfalt gerufen, ohne diese jedoch selbst zu vertreten, da die eigene Perspektive als die einzig wahre inszeniert und der Rest als Lügen verunglimpft wird. Dieser Vorwurf trifft somit vor allem jene, die versuchen, differenziert, kritisch und sachlich zu berichten. Obgleich der Begriff „Lügenpresse“ sogar zum Unwort des Jahres 2014 gewählt wurde, blieb eine weiter reichende Diskussion über die verantwortungsvolle Aufgabe der Medien aus. Dennoch liefern diese Entwicklungen ein anschauliches Beispiel für die tiefe Verankerung rechtsextremer Logiken in der gesellschaftlichen Mitte.

BILDRECHTE UND GEGENKLAGEN. Während manche Journalist_innen in vorauseilendem Gehorsam und gemäß des gesellschaftlichen Klimas ohnehin bereits nach rechts geschwenkt sind, versuchen insbesondere linke Medien nach wie vor ungeschönt über rechtsextreme Entwicklungen und Aktivitäten in Österreich aufzuklären. Immer öfter sind sie in dieser Arbeit mit Klagen von rechten/ rechtsextremen Einzelpersonen, Gruppen und Parteien konfrontiert. Egal, ob gegen den Tiroler SPÖ-Chef, der Norbert Hofer (FPÖ) als „Nazi“ bezeichnet hatte, die Betreiberin des Cafés „Fett und Zucker“, die mittels eines Schildes Hofer-Wähler_ innen aufgefordert hatte, ihren Betrieb nicht zu besuchen. Aber auch die Anfechtung der Bundespräsidentschaftswahl zeigt, wie gerne die FPÖ klagt. Aus diesem Grund versuchte die Initiative „Heimat ohne Hass“, die mittels eines Internetblogs rechtsextreme Vorfälle in Österreich dokumentiert, vorletztes Jahr bei einer Pressekonferenz gemeinsam mit anderen darauf aufmerksam zu machen, dass die FPÖ seit geraumer Zeit versuche, antifaschistische Projekte auf diese Weise mundtot zu machen.

„Heimat ohne Hass“ muss sich nämlich mit einer Urheber_innenrechtsklage wegen der Veröffentlichung eines Fotos auseinandersetzen. Im Zuge der polizeilichen Räumung des linken Projekts „Pizzeria Anarchia“ in Wien, hatte der Blog über einen freiheitlichen Personalvertreter berichtet, der vor Ort bewaffnet und mit einem eisernen Kreuz aufgetreten war. Geklagt hatte in diesem Fall die freiheitliche Gewerkschaft AUF. Eine Gegenklage der FPÖ beschäftigte auch das linke Kollektiv „Filmpirat_innen“. Nachdem die FPÖ widerrechtlich Materialien des Filmkollektivs verwendet hatte, schlug die Partei mit einer Gegenklage wegen „falscher Behauptungen“, die „die Meinungsfreiheit der FPÖ behindern“ würden, zurück. Auch gegen das Urteil, das den „Filmpirat_innen“ Recht gab, legte die Partei Berufung ein. Bedrohlich wirken auch Fälle staatlicher Angriffe auf Jounalist_innen und Medien. So wurden beispielsweise 2007 in Berlin mehrere Fotografen vom Landeskriminalamt (LKA) wegen „Fotografieren von Neonazis bei Naziaufmärschen“ überwacht. Ermittelt wurde vom Berliner LKA (Abteilung Linksextremismus) auch gegen das Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum (apabiz), weil sie in einem Dossier über einen Neonaziaufmarsch einen Teil eines indizierten Aufruftexts zur Demo zitiert hatten.

EINSCHÜCHTERUNGSSTRATEGIEN. Wie die beiden Beispiele aus Österreich verdeutlichen, geht es oftmals nicht um politische Inhalte, die vor Gericht zur Diskussion gestellt werden sollen. Rechte bedienen sich dem Mittel der Klage vor allem, um öffentliche Kritik durch mit Rechtsstreiten verbundene Einschüchterungen oder große finanzielle Belastungen zu delegitimieren und zum Schweigen zu bringen. Nicht selten sind die Klagswerte im fünfstelligen Bereich angesiedelt, was bedeutet, dass zumeist das nötige Kleingeld fehlt, um dagegen vorzugehen. Die Anzahl derartiger Klagen und Klagsdrohungen ist zudem weitaus höher als öffentlich bekannt. Dass selbst von betroffenen Medien selten darüber berichtet wird, liegt nicht zuletzt daran, dass Rechtsextreme damit in erster Linie versuchen, linke/kritische Strukturen einzuschüchtern und die Klagsdrohungen selbst meist wenig Gehalt haben. Vielmehr ist es Teil der Einschüchterungsstrategie, unabhängig vom erwarteten Erfolg zeitraubend und belastend viele Ressourcen der Betroffenen zu binden.

Judith Goetz ist Literatur- und Politikwissenschafterin und Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (fipu.at).

„Eine Form von Probierraum“

  • 23.02.2017, 20:32
Seit 1999 findet in Wels jährlich das YOUKI, ein internationales Jugend Medien Festival, statt. Wir haben Laura vom Veranstaltungsteam gefragt, was dort passiert.

Seit 1999 findet in Wels jährlich das YOUKI, ein internationales Jugend Medien Festival, statt. Wir haben Laura vom Veranstaltungsteam gefragt, was dort passiert.

Als das erste Festival im Jahr 1999 stattfand, hieß es noch „Young Kinova“ und so setzt sich bis heute der Name zusammen. Im Herbst 2017 wird es vorraussichtlich die 18. Auflage des Festivals geben. Wieder werden einige Preise vergeben, der höchste ist mit 1.500 Euro dotiert. Wir haben mit Laura vom YOUKI darüber geredet, was die ca. 5.000 Besucher und Besucherinnen in dort erwartet, warum das Festival ausgerechnet in Wels stattfindet und was für sie „freie Medien“ sind.

progress: Kannst du kurz erklären, was das YOUKI ist und an welches Publikum es sich richtet? Das YOUKI ist ein Jugend Medien Festival, aber was ist für euch Jugend?
Laura: YOUKI ist Österreichs größtes internationales Nachwuchs Film- und Medien Festival. Es ist ein Fest aus Film, Workshops, Musik, Lectures und Popkultur. Im Zentrum ist der internationale Wettbewerb. Junge Filmemacher_innen (10–26 Jahre) aus der ganzen Welt schicken ihre Beiträge (max. Filmlänge 20 Minuten). Aus ca. 500 Einreichungen werden ca. 90 Filme gezeigt. Das Festival bildet eine Plattform für den Austausch. Einerseits unter den jungen Filmemacher_innen selbst, andererseits bietet das Festival aber auch immer die Möglichkeit, Profis aus der Filmbranche kennenzulernen (z.B. bei Workshops, Filmgesprächen oder Werkstattgesprächen, u.a.). Hier werden aber nicht nur Filme gezeigt. Hier werden auch Radio, Zeitung und TV gemacht. Das Format Media Meeting gibt es nun seit über zehn Jahren. Hier beschäftigen wir uns auf verschiedenen Ebenen mit einem Themenschwerpunkt. Im letzten Jahr mit dem Phänomen des Abhängens. Es gibt Lectures, Filmvorführungen und Diskussionen.

Das Thema unseres Dossiers ist diesmal „freie / alternative Medien“. Inwiefern passt ihr da hinein? Könnt ihr mit dem Begriff etwas anfangen?
Es gab ja bereits viele Versuche, den Begriff der freien Medien zu definieren. Für mich ist es eine Form von Probierraum. Die Nutzung und Verwertung lässt die Möglichkeit offen, sich selbst darin auszuprobieren. Dabei spielt auf jeden Fall Partizipation eine wichtige Rolle. YOUKI ist ein großer Probierraum. Unsere Labs (Zeitungs-Redaktion, Radio-Redaktion, Festival-TV, Druckwerkstatt u.a.) werden von jungen engagierten „Medienmacher_innen“ geleitet. Es steht jedem_ jeder offen, dabei mitzuwirken.

Lästige Frage vielleicht, aber: Warum Wels? Habt ihr jemals überlegt, mit dem YOUKI umzuziehen?
YOUKI ist in Wels geboren, vor 19 Jahren als Idee von Hans Schoisswohl. Bei einer Teamsitzung wurde tatsächlich mal darüber geredet, was wäre, wenn YOUKI nicht in Wels wäre? Wäre das möglich? Für mich nicht. Das Festival profitiert von den Vorteilen einer Kleinstadt, genauso wie es mit den Nachteilen zu kämpfen hat. Außerdem ist die Infrastruktur des Medien Kultur Haus und des Alten Schlachthof nicht wegzudenken und vor allem ausschlaggebend für das YOUKI-Feeling. Dennoch ist es für uns wichtig, auch unter dem Jahr in anderen Städten sichtbar zu sein.

Seit 2015 wird Wels blau regiert. Die FPÖ stellt bei euch mit Andreas Rabl den Bürgermeister. Was hat sich für euch dadurch verändert?
In den letzten beiden Jahren hat sich für beinahe alle Kulturvereine/-institutionen/-schaffende in Wels einiges verändert. Von der 10-Prozent-Kürzung für alle Förderungen der Stadt Wels war natürlich auch YOUKI betroffen. Zehn Prozent wirken auf den ersten Blick nicht viel – sie gehen aber auch nicht spurlos an einem vorüber. Finanzielle Kürzungen sind das eine – viel stärker spürbar ist jedoch, dass sich das gesamte politische Klima verändert hat. Vor der Machtübernahme der FPÖ hatten wir als Festival den absoluten Rückhalt der Stadt Wels – wir hatten nicht nur das Gefühl, wahrgenommen zu werden, sondern auch das Gefühl, für die Stadt unverzichtbar zu sein. Derzeit haben wir eher das Gefühl „wir müssen uns behaupten“! – Das stellt keine gute Basis für Kulturarbeit dar. Aber wir sind viele in Wels, die in einer ähnlichen Situation sind. Im letzten Jahr hat sich das Netzwerk „pro.viele“ formiert. Denn es sind tatsächlich viele, die von der derzeitigen politischen Situation betroffen sind. In den letzten 12 Jahren bevor er Bürgermeister wurde, war Herr Rabl meines Wissens nie beim Festival. Im vergangenen Jahr haben wir ihn eingeladen. Denn es war uns ein Anliegen, dass er YOUKI kennenlernt – und sieht, was das Festival leistet. Als Jugend Medien Festival sehen wir es als unsere Pflicht, auf aktuelle politische Geschehnisse bzw. Situationen zu reagieren! Sehr viele unserer Filmbeiträge beschäftigen sich (kritisch) mit Politik. Im letzten Jahr waren es gefühlt so viele Einreichungen wie noch nie. Die Jugend ist politisch.

Gibt es „berühmte“ YOUKI-Teilnehmer*innen, die (z.B.) in der Filmbranche gelandet sind?
Die Frage ist natürlich immer, ab wann ist jemand berühmt. Aber ich würde auf jeden Fall sagen, dass es einige Filmemacher_innen gibt, die bei YOUKI erste Festivalerfahrung gesammelt haben. So etwa der Filmemacher Florian Pochlatko, er hat mit seinem Kurzfilm „Running Sushi“ 2006 den Publikumspreis gewonnen. Seine aktuellen Filme reisen durch die Festivallandschaft. U.a. war sein wohl bekanntester Film „Erdbeerland“ (2012, 32 Min) auf der Viennale zu sehen. Auch Kurdwin Ayub hat uns viele Jahre mit ihren Kurzfilmen glücklich gemacht, bei der Diagonale 2016 hatte ihr erster Lang- Film „Paradies, Paradies!“ (Ö 2016) Premiere. So auch Lisa Weber, die im letzten Jahr ihren ersten Langfilm präsentierte, „Sitzfleisch“ (Ö 2014). YOUKI begleitete einige Filmemacher_innen über die Jahre. Es ist immer schön, diese künstlerischen Entwicklungen begleiten zu dürfen.

Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies an der Universität Wien.

ONLY RIGHTS CAN STOP THE WRONGS!

  • 02.06.2016, 13:54
Anlässlich des Internationalen Hurentages am 2. Juni 2016 erklärt LEFÖ / TAMPEP ein paar grundsätzliche Begrifflichkeiten und stellt die Positionierung von SexarbeiterInnenselbstorganisationen und deren UnterstützerInnen vor.

Anlässlich des Internationalen Hurentages am 2. Juni 2016 erklärt LEFÖ / TAMPEP ein paar grundsätzliche Begrifflichkeiten und stellt die Positionierung von SexarbeiterInnenselbstorganisationen und deren UnterstützerInnen vor.

Dieser Beitrag ist eine gekürzte und leicht veränderte Version des Briefing Papers der TAMPEP International Foundation, die vollständige Version ist unter diesem Link abrufbar.


Was genau bedeutet Entkriminalisierung? Wenn man alle Forderungen von Sexarbeiter_innen mit einem Wort zusammenfassen könnte, wäre dieses Entkriminalisierung. Progressive Regierungen in Neuseeland und New South Wales in Australien haben ein legislatives Entkriminalisierungsmodell eingeführt, um die Situation von Sexarbeiter_innen zu verbessern. Vor kurzem wurde dieses Modell von der neuseeländischen Regierung und dem New Zealand Prostitutes Collective positiv evaluiert. Die Ergebnisse dieser Evaluation zeigen eine signifikante Reduktion der Vulnerabilität von Sexarbeiter_innen und belegen einen verbesserten Zugang zu Menschenrechten.Unter Entkriminalisierung versteht man die Abschaffung aller strafrechtlichen Maßnahmen, die Sexarbeit betreffen und gleichzeitig einen Weg, um sicherzustellen, dass Regierungen die Menschenrechte von Sexarbeiter_innen achten. Die Forderung nach Entkriminalisierung beinhaltet auch die Aufhebung strafrechtlicher Maßnahmen, die in die Sexarbeit involvierte Dritte betreffen. Außerdem soll so sichergestellt werden, dass Sexarbeiter_innen unabhängig oder in Kooperativen arbeiten können. Selbstbestimmung und Autonomie von Sexarbeiter_innen gehören maßgeblich zum Verständnis des Entkriminalisierungsmodells.

Sexarbeiter_innen und ihre Unterstützer_innen treten häufig für die vollständige Entkriminalisierung im Rahmen eines Rechtssystems ein, das auch anderweitige Hürden beseitigt, die gerade migrantische Sexarbeiter_innen vulnerabel gegenüber Gewalt und Menschenhandel machen und gleichen Zugang zu Menschenrechten erschweren. Der Leitgedanke hinter diesem Ansatz ist, dass Regierungen zur Bekämpfung der Vulnerabilität von Sexarbeiter_innen den vollständigen Schutz ihrer Menschenrechte gewährleisten müssen, unabhängig von ihrer Nationalität oder ihrem aufenthaltsrechtlichen Status im Gastland. Diese zu schützenden Rechte umfassen unter anderem das Recht auf Leben, Gesundheit, Migration, Arbeit, Privatsphäre, Vereinigung, Gleichheit vor dem Gesetz und das Recht, frei von Menschenhandel und sklavereiähnlichen Praktiken zu sein.

Trotz der Forderungen nach Entkriminalisierung werden die Gesetze zu Sexarbeit im europäischen Raum immer strenger und repressiver. Sexarbeit wird von Regierungen und der Gesellschaft kaum als Arbeit anerkannt. Das liegt vor allem an dem Stigma, mit dem Sexarbeit behaftet ist, das die mächtigste Waffe gegen die Anerkennung von Sexarbeit als Arbeit darstellt. In der Praxis bedeutet das, dass Entscheidungsträger_innen Maßnahmen entwickeln und einführen, die Würde und Menschenrechte von Sexarbeiter_innen untergraben. So wird weder die Selbstbestimmung und Autonomie von Sexarbeiter_innen gefördert, noch werden ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen verbessert.

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Besonderer Fokus: Migration. Es bestehen deutliche Zusammenhänge zwischen diesem repressiven Trend und der aktuellen Debatte um Menschenhandel. Anti-Prostitutionsgruppen benutzen diese, um auf die Abschaffung der Prostitution zu drängen. Die Anti-Immigrationslobby benutzt den Menschenhandelsdiskurs, um strengere Einwanderungsbeschränkungen zu fordern. Die Stimmen von Sexarbeiter_innen werden dabei von Entscheidungsträger_innen und Massenmedien häufig ignoriert oder missbraucht. Durch diese Unsichtbarkeit und Isolation sind migrantische Sexarbeiter_innen besonders von repressiven Maßnahmen und der zunehmenden Fremdenfeindlichkeit betroffen.

Die Kriminalisierung von Sexarbeit, Sexarbeiter_innen und ihren Kund_innen wird häufig von Anti-Migrationsgesetzen begleitet, die darauf abzielen, undokumentierte Migrant_innen zu verhaften und abzuschieben. Das führt dazu, dass migrantische Sexarbeiter_innen in den Untergrund und versteckte Arbeitsbereiche gedrängt werden, um der Verfolgung und dem Risiko einer Abschiebung zu entgehen. Dieser Trend verschärft die Gefahr für Sexarbeiter_innen, Opfer von Menschenhandel zu werden, und verringert ihre Zugangsmöglichkeiten zu Unterstützung und Gesundheitsleistungen sowie zu Rechten und Justiz.

Migration muss als entscheidender Faktor für die Analyse von Sexarbeit in Europa berücksichtigt werden. Migrant_innen machen bei Weitem die größte Gruppe von Sexarbeiter_innen in der Region aus. Undokumentierte migrantische Sexarbeiter_innen sind besonders von Strafverfolgungen betroffen und erleben ein hohes Ausmaß an Gewalt und Ausbeutung. Diese Problemlage hat sich durch die Folgen der Finanzkrise, die die EU und den Rest der Welt seit 2008 prägen, durch im Zuge der Terrorismusbekämpfung spontan beschlossene Gesetze zur Bewahrung der nationalen Sicherheit sowie durch Gesetze zur öffentlichen Sicherheit verschlechtert.

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Menschenhandel vs. Sexarbeit. Um gegen Rechtsverstöße und Missbrauch in der Sexindustrie vorzugehen, haben die EU-Mitgliedsstaaten den Kampf gegen den Menschenhandel dazu genutzt, Prostitution und Migration zu bekämpfen. Ein sicheres Umfeld, in dem Sexarbeiter_innen arbeiten und sich selbst organisieren können und in dem gute Arbeitsbedingungen gewährleistet werden, wurde hingegen nicht geschafft. Die Sexindustrie hingegen zu zerstören, bedeutet für Sexarbeiter_innen einen schwerwiegenden Eingriff in ihren Lebens- und Arbeitsalltag und zwingt sie in die Illegalität und Isolation. Gleichzeitig werden Menschenhandelsopfer selten gefunden – und wenn sie gefunden werden, werden ihre Bedürfnisse kaum adäquat gehandhabt. Entscheidungsträger_innen setzen Sexarbeit mit Menschenhandel gleich, was einerseits zu ineffektiven und alle Sexarbeiter_innen betreffenden Gesetzen führt, während andererseits die Bedürfnisse derjenigen Sexarbeiter_innen, die nicht von Menschenhandel betroffen sind, ignoriert werden.

Zieht man eine breite Definition von Menschenhandel heran, wird deutlich, dass Maßnahmen und Gesetze zur Bekämpfung von Menschenhandel das breite Spektrum, in denen Menschen von Menschenhandel betroffen sein können, wie z.B. in der Bauwirtschaft, Landwirtschaft, Nahrungsmittelindustrie, Haus- und Pflegearbeit, widerspiegeln müssen. Obwohl belegt ist, dass Menschenhandel und Zwangsarbeit dadurch angetrieben werden, dass eine steigende Nachfrage nach billigen, unqualifizierten und einfach entbehrlichen Arbeitskräften mit immer restriktiver werdenden Einwanderungsbestimmungen und einem Mangel an arbeitsrechtlichen Absicherungen für migrantische Arbeitskräfte kombiniert wird, wird im Rahmen von Gesetzgebungen gegen diese strukturellen Determinanten von Menschenhandel und Zwangsarbeit nicht vorgegangen.

 

Die Interpretation von Menschenhandel, die die EU Strategien beeinflusst hat, verschleiert sowohl die Verbindungen zwischen Migrationspolitik und „Menschenhandel“ - also auch die Verbindungen zwischen Prostitutionspolitik und Zwangsarbeit in der Sexindustrie. Die Gleichsetzung von Sexarbeit und Menschenhandel hat sowohl in der politischen Debatte als auch in den Medien übertriebene Ausmaße erreicht. Eine verstärkte Sichtbarkeit von Sexarbeiter_innen in diesen Debatten könnte einen Weg darstellen, um Opfermythen zu bekämpfen und ein Bewusstsein für die Situation von Sexarbeiter_innen in Europa zu schaffen. Außerdem ist TAMPEP davon überzeugt, dass Sexarbeiter_innen gute Verbündete im Kampf gegen Menschenhandel sein können, da sie auf tatsächliche Opfer hinweisen könnten, sofern sie nicht selbst häufig kriminalisiert und unterbunden werden würden.

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Das Schwedische Modell. Abolitionistische feministische Lobbygruppen wie die European Women’s Lobby und Equality Now werden immer stärker und einflussreicher. Im Zuge der momentanen Debatten und der damit zusammenhängenden politischen Interessen zum Thema Frauenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und Prostitution haben diese Gruppen finanzielle Unterstützung bekommen. Abolitionistische Feminst_innen und Organisationen unterstützen häufig das sogenannte Schwedische Modell, was sich inzwischen zu einem gefährlichen europäischen und globalen Trend entwickelt hat.

Das Schwedische Modell – ein 1999 in Schweden entwickeltes Gesetzesmodell – zielt darauf ab, das Auftreten der Prostitution zu reduzieren, nicht aber darauf, sichere Arbeitsbedingungen für Sexarbeiter_innen zu gewährleisten. Diese rechtliche Initiative kriminalisiert Kund_innen von Sexarbeiter_innen und begreift alle Menschen in der Sexindustrie als Opfer. In Europa haben mehrere Staaten (Norwegen, Island und Nordirland, zuletzt auch Frankreich) Gesetze eingeführt, die Sexarbeiter_innen oder den Kauf sexueller Dienstleistungen kriminalisieren, ohne dabei Rücksicht auf die negativen Konsequenzen zu nehmen, die das für Sexarbeiter_innen hat. Schwedische Sexarbeiter_innen beobachten, dass ihnen nun weniger Zeit zur Verfügung steht, Arbeitsbedingungen oder sichere Arbeitsplätze auszuhandeln. Sexarbeiter_innen, die in privaten Räumlichkeiten arbeiten, können nicht länger Informationen wie z.B. Name und Telefonnummer ihrer Kund_innen verlangen und haben keine Zeit zu verhandeln, welche Leistungen angeboten werden können, wodurch ihre Sicherheit beeinträchtigt wird.

Sexarbeiterinnen, die im öffentlichen Raum auf der Straße arbeiten, sind am stärksten betroffen: Sie sind gezwungen, an den Rändern der Städte zu arbeiten, in kaum sichtbaren und schlecht zugänglichen Gebieten, in denen die Polizei ihre Kund_innen nicht verhaften kann. Es wird dadurch immer unwahrscheinlicher, dass sie Kontakt zu Beratungsstellen haben. Das Schwedische Modell basiert auf Ideologie und nicht auf Fakten. Wenn Kund_innen sich in der Gefahr sehen, verhaftet zu werden, wird Prostitution automatisch in den Untergrund gedrängt. Die Kriminalisierung von Kund_innen untergräbt die Selbstbestimmung von Sexarbeiter_innen, zwingt sie zudem in den Untergrund und verstärkt außerdem die Stigmatisierung und Diskriminierung, die bereits jetzt zur Marginalisierung von Sexarbeiter_innen führt.

Obwohl die gegenwärtigen gesetzlichen Regelungen in Ländern wie den Niederlanden und Deutschland nicht frei von Problemen sind, delegitimieren die Ansätze zur Regulierung der Sexindustrie die Sexarbeit nicht und versuchen nicht wie das Schwedische Modell, Sexarbeit abzuschaffen. Befürworter_innen der Kriminalisierung von Kund_innen oder Sexarbeit insgesamt sind bereit, unter dem Vorwand des Schutzes von Frauen die Ansichten und Meinungen derjenigen außer Acht zu lassen, die direkt von dieser Kriminalisierung betroffen sind: Sexarbeiter_innen selbst.

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Verein LEFÖ – Beratung, Bildung und Begleitung für Migrantinnen
Kettenbrückengasse 15/II/4,
A-1050 Wien
Mail: info@lefoe.at
Web: www.lefoe.at

Retter_innen der Kernfamilie

  • 10.03.2016, 17:17

Stärker denn je nehmen Rechtsextreme (staatliche) Gleichstellungspolitiken und sexualpädagogische Maßnahmen ins Visier. Besondere Bedeutung kommt dabei den Debatten rund um vermeintliche „Frühsexualisierung“ zu.

Obgleich die Bedeutung des Schlagworts „Frühsexualisierung“ in rechtskonservativen und rechtsextremen Diskursen zumeist nicht näher ausgeführt wird, scheint sich der Terminus in den letzten Jahren zu einem Kampfbegriff entwickelt zu haben. Er wird dabei vor allem zur Abwehr zeitgemäßer pädagogischer Ansätze der Sexualerziehung im frühen Kindesalter zum Einsatz gebracht, die Kindern ein positives Körpergefühl, Abbau von Schamgefühlen und die Entwicklung einer verantwortungsvollen, selbstbestimmten Sexualität ermöglichen sollen. Die Bestrebungen zielen unter anderem auf die Befähigung ab, (sexualisierte) Gewalt zu erkennen und sich gegen diese zur Wehr zu setzen.

In kindergerechter Weise werden Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit nur als eine von vielen gleichberechtigten Möglichkeiten geschlechtlicher und sexueller Lebens- und Begehrensformen präsentiert, von „natürlichen“ Vorstellungen von Sexualität wird Abstand genommen. Grund genug für konservative und rechte Kräfte, Sturm zu laufen. Anlass für Diskussionen lieferten in Deutschland ein Methodenbuch zur „Sexualpädagogik der Vielfalt“ sowie Bestrebungen, „Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Identitäten“ in Sexualkunde-Unterrichtspläne zu integrieren.

In Österreich wiederum stand vor allem die 2012 vom Verein Selbstlaut herausgegebene sexualpädagogische Broschüre „Ganz schön intim“, die Lehrer_innen Anregungen für die Thematisierung von Liebe und Sexualität im Unterricht liefert und unter anderem Selbstbefriedigung, Patchwork-Familien, gleichgeschlechtliche Beziehungen und Intersexualität selbstverständlich behandelt, im Fokus eines vermeintlichen Skandals. Sowohl von ÖVP, FPÖ, BZÖ als auch (rechts-)katholischen Organisationen wurde die in den Medien als „Sex- Fibel“ (Kurier) oder „Sex-Unterlagen“ (Krone) betitelte Broschüre als „verstörend“ kritisiert, da sie homosexuelle Paare heterosexuellen gleichstellt. Dadurch würde, so die homophobe Argumentation, die „Kernfamilie bedroht“ und „Kindern ein irritierendes Bild von Familie und Sexualität“ (Barbara Rosenkranz) vermittelt.

ALTBEKANNTE MUSTER. In der Diskreditierung derartiger pädagogischer Ansätze bedienen sich Rechtsextreme bekannter Methoden, die von selektiven Darstellungen über die Umdeutung von Diskursen bis hin zur Verbreitung von Unwahrheiten reichen. So ist in einschlägigen Veröffentlichungen und Wortbeiträgen von „ideologischer Stimmungsmache“, „staatlicher Umerziehung“, „Indoktrination“, „Manipulation“ oder der „Trans- und Homosexualisierung“ der Kinder und Schulen zu lesen und zu hören.

Nicht selten inszenieren sich die selbsternannten Retter_innen der „Kernfamilien“ dabei als die eigentlichen Diskriminierten, da „Berufsschwule“ und „Genderbeauftragte“, so die beinahe wahnhaften Vorstellungen, bis in die Klassenzimmer die Erziehung ihrer Kinder bestimmen könnten, während die Rechte der Eltern ausgehebelt würden. Der Diskurs fixiere sich zudem zu stark auf „Diskriminierungen, die in der sexuellen Identität begründet sind“, wohingegen andere Benachteiligungen außer Acht gelassen würden. So wird „Frühsexualisierung“ von der Auflösung der Familie bis hin zum Niedergang des Bildungssystems und des (deutschen) Volkes für so ziemlich alles verantwortlich gemacht. Wenig verwunderlich auch, dass in antifeministischer Manier Vaterlosigkeit als schwerwiegenderes Problem in Stellung gebracht und in weiterer Folge bejammert wird, dass (frauenfeindliche) Väterrechtsorganisationen nicht in gleicher Weise an Schulen dürften wie Sexualpädagog_innen. Umschreibungen wie „unnatürlich“, „pervers“ oder gar „pädophil“ zielen zudem nicht nur darauf ab, Homosexualität damit in Verbindung zu bringen, sondern alles von Heterosexualität Abweichende zu stigmatisieren.

BESORGTE ELTERN. Inszenierte Angst- und Bedrohungsszenarien ermöglichen es der extremen Rechten, ihre Positionen als notwendige, legitime Kritik in öffentlichen und medialen Debatten zu präsentieren. Durch die ohnehin tiefe Verankerung derartiger Denkmuster in der Mitte der Gesellschaft, gelingt es ihnen zudem, ihre antifeministische und homophobe Agenda als mainstreamfähig darzustellen.

Die Hartnäckigkeit, mit der Rechtsextreme hierzulande versuchen, sexualpädagogische Debatten zu beeinflussen, zeigte sich zuletzt auch an Hand einer auf progress-online.at erschienenen Rezension zweier Kinderbücher, „die darauf verzichten, die Mär von Zweigeschlechtlichkeit und Vater- Mutter-Kind-Familien zu zementieren“. Grund genug für manche sowohl auf Facebook wie auch der rechtsextremen, von Martin Graf gegründeten, Internetplattform unzensuriert.at heiß zu laufen und mit biologistischen Argumenten die heterosexuelle Kleinfamilie als einzige zur Reproduktion fähige, „natürliche“ Instanz zu verteidigen.

Der Grund für das unglaubliche Mobilisierungspotential derartiger Diskurse kann vor allem darin gefunden werden, dass durch Sexualerziehung im frühen Kindesalter tatsächlich die Möglichkeit besteht, sexistischen, homo- und transfeindlichen Denkmustern präventiv vorzubeugen. In Aufruhr scheinen Rechtsextreme und ihre Verbündeten jedoch vor allem deswegen zu sein, weil durch derartige Bestrebungen nicht nur dichotome Geschlechtervorstellungen ins Wanken geraten, sondern auch die traditionelle heteronormative, bürgerliche Kleinfamilie. Die Familie wird als „Keimzelle, Rückgrat und Leistungsträger“ der Gesellschaft dagegen in Stellung gebracht, um vermeintlich natürliche Geschlechterordnungen und die damit verbundenen Privilegien aufrechtzuerhalten und abzusichern. Das vermeintliche Wohl der Kinder wird für die eigenen Interessen instrumentalisiert.

Judith Goetz ist Literatur- und Politikwissenschafterin und Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (www.fipu.at).