Rassismus

Wiener Melange oder Filterkaffee?

  • 13.07.2012, 18:18

Die Wiener-Blut-Plakate der FPÖ schlagen wieder einmal ein Stückchen weiter in die in unserem Land ohnehin schon unerträglich tiefe rassistische Kerbe. Doch wofür steht das Wiener Blut? Ein Streifzug durch die einenden und trennenden Facetten eines Begriffs.

Die Wiener-Blut-Plakate der FPÖ schlagen wieder einmal ein Stückchen weiter in die in unserem Land ohnehin schon unerträglich tiefe rassistische Kerbe. Doch wofür steht das Wiener Blut? Ein Streifzug durch die einenden und trennenden Facetten eines Begriffs.

Blut ist ein ganz besondererSaft“, doziert Mephistopheles in Goethes Faust. Blut sei „dicker als Wasser“, meint der Volksmund und die AnhängerInnen der größten und mächtigsten Religionsgemeinschaft in Österreich trinken während ihrer sonntäglichen Messen regelmäßig symbolisch das Blut ihres Gründers. Die Metaphorik des Blutes als lebengebendes und verbindendes Element ist unumstritten.
Das Wiener Blut hingegen stellt nicht nur eine gemeinsame Symbolik verschiedener Wiener Lebensarten dar, es ist mittlerweile auch ein viel strapaziertes Klischee. Nicht nur politische Parteien bedienen sich seiner, auch in die Populärkultur hat es Einzug genommen: Die Deutsch-Rock- Export-Combo Rammstein verarbeitet in ihrem Lied Wiener Blut den Fall des Josef F. aus Amstetten und Fußballikone Toni Polster singt in einem musikalischen Intermezzo mit der Kölner Kultband Fabulöse Thekenschlampen vom Wiener Blut, das in seinen „Wadln“ fließe, um nur zwei – sehr gegensätzliche Beispiele – aus diesem Bereich zu nennen.

Kein blaues Blut,... Die Operette von Johann Strauß Sohn, die den Begriff des Wiener Blutes erst prägte, singt von der Spontanität, dem Charme und auch der Schlitzohrigkeit, die für die EinwohnerInnen Wiens vermeintlich typisch sei. Jedenfalls bezog sich dieser Begriff in seiner Entstehung um die Jahrhundertwende nicht auf Menschen einer bestimmten sozialen Herkunft (ganz im Gegensatz zum „Blauen Blut“) oder eines bestimmten ethnischen Hintergrunds. Das Wien des Jahres 1899 war das Zentrum eines Vielvölkerstaates, ein Schmelztiegel in dem soziale Rangordnungen zwar durchaus manifest waren, für dessen Funktionieren aber das reibungslose Zusammenleben Menschen unterschiedlicher Herkunft zentral war.
Johann Strauß Sohns Vermächtnis geriet übrigens in der Zeit des deutschen Faschismus ins Fadenkreuz des Rassenwahns und stellte die Nazis vor größere Widersprüche. Einerseits war Strauß in der Nazi- Diktion „Achteljude“, andererseits galt seine Musik als „überaus deutsch und volksnah“. Die beiden Texter des Librettos zum „Wiener Blut“ (Victor León und Leo Stein) stammten übrigens aus Polen und Bratislava, Steins Grab befindet sich im alten israelitischen Trakt des Wiener Zentralfriedhofes.
Das Wiener Blut war also in der Realität wie in der Literatur eine Melange und kein Filterkaffee. Auch der viel beschworene „echte Wiener“ heißt und hieß, wie schon in der allseits bekannten Fernsehsendung der 70er Jahre, eben nicht nur Sackbauer, sondern auch Blahovec und Vejvoda.

... kein reines Blut, ... Aus heutiger Sicht und bei Ausblendung der damaligen sozio-kulturellen Gegebenheiten können natürlich auch Gruppen definiert werden, die vom Begriff des Wiener Blutes exkludiert waren, die mit dem „echten Wiener“ nicht mitgemeint waren. Die Multikulturalität des Wiens von 1900 war geprägt von einer christlich-jüdischmitteleuropäischen Vielfalt und einer eurozentrischen Perspektive. In Wien lebende Menschen nicht-europäischer Herkunft waren nur schwach vertreten.
Dieser Umstand wird auch heute bewusst verwendet, um Ressentiments zu schüren. Nicht zufällig versucht sich HC Strache durch das Tragen von bestimmten Symbolen bei MigrantInnen serbischer Herkunft anzubiedern, nicht zufällig wird nach dem Motto „Divide et Impera“ im FPÖ-Sprech neuerdings immer stärker zwischen den „braven, anständigen“ MigrantInnen, mit „gemeinsamer christlich-abendländischer“ Kultur und Menschen islamischen Glaubens unterschieden. Eine latente Islamophobie könnte dem Wiener Blut also durchaus unterstellt werden, wenngleich auch die, die den Begriff geschaffen und geprägt haben, nur Kinder ihrer Zeit waren.

(K)ein böses Blut? Eine totalitäre und verbrecherische Funktion spielte der Begriff des Blutes im Vokabular der Nazis. Die Reinhaltung des Blutes wurde bereits in Hitlers Mein Kampf als eine der obersten Zielsetzungen der deutschen FaschistInnen festgeschrieben, die Metapher von Schädlingen, die dem Volk das Blut aussaugen, wurde systematisch etabliert. Dies ebnete zunächst den Weg dafür, dass bestimmten Gruppen von Menschen ihre Lebensberechtigung abgesprochen werden konnte und ermöglichte in weiterer Folge die industrielle Vernichtung von Menschen.
Diese bestimmte geschichtliche Epoche der Blut-Rhetorik ist es auch, die der aktuellen Debatte ihren Zündstoff gibt. Das Wiener Blut war und ist ein eng mit der ethnischen und sozialen Vielfalt einer Stadt verbundenes sprachliches Bild. Wer es aber in einer Stadt, deren Bevölkerung den Holocaust aktiv mitgetragen hat, in einer restriktiv geführten Integrationsdebatte verwendet, ist wohl von bestimmten Faktoren getrieben. Etwa von der Absicht, Menschen gegeneinander aufzuhetzen, von bewusster und absoluter Respektlosigkeit den Opfern dieser unbegreiflichen Verbrechen gegenüber oder im besten Fall einfach nur von komplett mangelndem Fingerspitzengefühl. Ein Blick in die jüngere Geschichte der FPÖ lässt nicht auf Letzteres schließen.

Mehr Narren auf die Bühne

  • 13.07.2012, 18:18

Es ist alles so normal geworden.

Kommentar

Es ist alles so normal geworden. Man nimmt es für normal, dass die Freiheitlichen die Rassengesetze früherer Terrorzeiten fortschreiben wollen. Es ist normal geworden, dass man eine hermetische sozialdemokratische Stadtverwaltung für nahezu perfekt ausgibt, die den Integrationsgedanken heute erst als Neuigkeit entdeckt. Es wundert niemanden, dass Christsoziale die Schwächsten der Gesellschaft, die ohnehin am Boden liegen, noch mit Zwangsarbeit traktieren wollen. Es ist normal geworden, dass Grüne, die exzentrische und originelle Alternativen entwickeln sollten, vor lauter Begierde platzen, endlich im  Mainstream mitregieren zu dürfen.
Wer annähme, die Friktionen in den Basisstrukturen der Grünen Alternative in Wiens unkonventionelleren Bezirken sei so etwas wie konstruktive Narretei, der irrt: Sie sind nach Art der Altparteien vom Apparat manipuliert; und hier manifestiert sich die verhängnisvolle Normalisierung auch dieser Partei, in der Rankünen machtpolitisch-personeller Art Inhalte zu ersetzen beginnen. Wo sind die Zeiten, dass wahrhaftige Querköpfe als Chaoten, als Kommunisten, als Schädlinge beschimpft wurden – ja, als Schädlinge für die betuliche Bürgerruhe eines ungemein reichen Gemeinwesens, das mit  seinen Ressourcen gesellschaftlich, ökonomisch und umwelttechnisch wuchern könnte.
Könnte. Es zu tun sich aber weigert; radikale Ansätze als Gefährdung fürchtet; Originale zu Spinnern macht und die Narretei lähmender Besitzstandswahrung zur wünschenswerten Normalität erklärt, statt die wahren Exzentriker, die Kreativen, die dynamischen Narren und deren Phantasie und Visionen zum Leitmotiv zu machen. Eine der schönen und lebenslustigen Städte Europas führt einen hässlichen und lustfeindlichen Kampf mit sich selbst. Die reichste Millionenstadt des Kontinents findet nicht zu genug Witz, ihre ethnisch-sprachliche Vielfalt zu einem kulturellen Feuerwerk zu bündeln: Wo ist der Stolz auf die geniale Mixtur des Wiener Blutes? Die sollte die Krieger um das Stadtschicksal inspirieren, statt der Angstkomplex um seine Reinheit: Die „Reinrassigen“, ob ethnisch oder ideologisch und welcher Spezies auch immer, waren noch immer die Tumben, Faden, Uninteressanten. Mehr intelligente Bastarde, mehr Narren auf die Bühne!

Der Autor ist Österreich-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung.

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