Rassismus

100 % rassistisch

  • 18.05.2014, 22:21

Spätestens mit ihrer Aktion gegen die Refugees in der Wiener Votivkirche letztes Jahr, erlangte die „Identitäre Bewegung“ hierzulande mediale Aufmerksamkeit. Ein Buch legt nun die Ideologie und Strategien der neuen Rechtsextremen offen. progress traf die Autor_innen Julian Bruns, Kathrin Glösel und Natascha Strobl zum Interview.

Spätestens mit ihrer Aktion gegen die Refugees in der Wiener Votivkirche letztes Jahr, erlangte die „Identitäre Bewegung“ hierzulande mediale Aufmerksamkeit. Ein Buch legt nun die Ideologie und Strategien der neuen Rechtsextremen offen. progress traf die Autor_innen Julian Bruns, Kathrin Glösel und Natascha Strobl zum Interview.

progress: Entgegen ihrer Selbstdarstellung als politisch in der Mitte stehend, charakterisiert ihr die Identitären in eurem Buch als Jugendbewegung der Neuen Rechten. Was bedeuten die Begriffe „identitär“ und „Neue Rechte“?

Bruns: Die Alte Rechte hat eindeutig einen biologistischen Rassismus an den Tag gelegt, sich antisemitisch positioniert, etc. Das war nach dem Holocaust verpönt und in dieser Form nicht mehr möglich.

Strobl: Die Neue Rechte versucht durch neue Kommunikationsstrategien subtiler zu wirken. Typisch ist die „Salamitaktik“, also Positionen erst nach und nach preis zu geben.

Glösel: Der Begriff „identitär“ wird von den Gruppen selbst nicht definiert, er ist eher eine Projektionsfläche für diverse Sehnsüchte. „Identitär“ bleibt so zwar schwammig, ist gleichzeitig aber auch unverbraucht, unbelastet und selbstbejahend.

Was unterscheidet die Identitären von herkömmlichen rechtsextremen oder neonazistischen Gruppierungen?

Strobl: Identitäre haben ihr Vorbild in CasaPound aus Italien. Das ist eine Bewegung, die Codes und Aktionsformen, wie Hausbesetzungen oder Flashmobs, aus dem linken politischen Spektrum übernimmt und Stilmittel der modernen Werbeindustrie verwendet. Mit dem klassischen Rechtsextremismus verbindet man ja eher militantes Auftreten. Die Jugendbewegung der Neuen Rechten hingegen ist viel weichgezeichneter, jünger und popkultureller.

Glösel: Aktionismus ist ein weiteres wichtiges Unterscheidungsmerkmal, weil Identitäre ihre Öffentlichkeit selber herstellen. Anders als Player_innen der Alten Rechten beharren sie nicht auf Anonymität, sondern inszenieren sich als Celebrities.

Bruns: Oberflächlich grenzen sie sich außerdem von Rassismus ab. Einer ihrer Sprüche lautet „0 % Rassismus, 100 % identitär“. Das ist ein Versuch, aus der rechtsextremen Schmuddelecke rauszukommen und junge Menschen anzusprechen, die sich als in der politischen Mitte stehend definieren.

Strobl: Dabei ist diese sogenannte Mitte erfunden. In der Vorstellung von Verfassungsschutz und Parteien ist sie normativ positiv und erstrebenswert. Sie wird einem gleichermaßen negativ besetzten links- und rechtsextremen Rand gegenübergestellt. Anhand der Neuen Rechten sieht man gut, dass so ein Extremismuskonzept nicht haltbar ist.

Wo können die ideologischen Bezugspunkte und politischen Einstellungen der Identitären verortet werden?

Bruns: Ein wesentlicher Eckpunkt ihrer Ideologie ist der Ethnopluralismus. Dabei gehen sie von verschiedenen, in sich homogenen Ethnien aus, deren Vermischung immer Konflikte auslöse. Die Konsequenz dieses originär neurechten Konzepts wäre weltweite Apartheid, um das Bedrohungsszenario des Verlustes der Identität abzuwehren.

Strobl: Identitäre propagieren auch einen krassen antimuslimischen Rassismus, damit stehen sie der Alten Rechten in nichts nach.

Glösel: Auch ihr Heterosexismus und ihr biologistisch aufgeladenes Geschlechterbild sind nichts Neues. Sie bieten auch lediglich Männern eine Identifikationsfläche und konstruieren ein soldatisches Männlichkeitsbild.

Bruns: Ein weiterer markanter Eckpunkt der Neuen Rechten ist, dass alle mit der 68er-Bewegung verbundenen Errungenschaften und Begriffe – zum Beispiel „political correctness“ oder Emanzipation – große Feindbilder sind.

Wie wollen die Neuen Rechten intervenieren?

Bruns: Identitäre fallen durch Aktionen auf, die nicht viel kosten, die leicht und schnell zu organisieren sind und die man filmen und ins Internet stellen kann. Sie bringen sich zum Beispiel bei Protesten gegen Asylwerber_innenheime ein.

Strobl: Ihr Ziel ist es, auf den vorpolitischen Raum einzuwirken. Mithilfe dieser „metapolitischen“ Strategie sollen der öffentliche Diskurs und Meinungsbildner_innen beeinflusst werden.

Glösel: Wir haben versucht zu zeigen, dass es der Neuen Rechten um den Aufbau einer Gegenkultur geht. Bei den Identitären merkt man das daran, dass sie ein ganzes Repertoire, das von einem eigenen Verlag bis hin zu einer eigenen Ästhetik reicht, aufgebaut haben.

Warum spricht die Identitäre Bewegung vor allem Student_innen und Schüler_innen an?

Glösel: Das liegt an ihren Themen, an der Weise, wie sie diese ansprechen und an den Mitteln, die sie dazu verwenden. Viele junge Erwachsene sind erstmals mit sozialen Unsicherheiten konfrontiert. Identitäre greifen genau das auf, allerdings ohne profunde Kritik am ökonomischen System. Ihre aktionistische Ausrichtung und ihre Medien ermöglichen es, schnell mitzumachen.

Strobl: In Gruppierungen wie den Identitären ist es außerdem sehr leicht, dem eigenen Rassismus und den eigenen Vorurteilen Raum zu geben, ohne sich vor sich selbst rechtfertigen zu müssen. Identitäre Aktivist_innen haben sicher nicht das Gefühl, bei den Stiefelnazis gelandet zu sein. Trotzdem können sie gegen dieselben Feindbilder hetzen.

Warum sollten wir die Identitäre Bewegung nicht einfach ignorieren?

Strobl: Historisch war es noch nie besonders sinnvoll Rechtsextremismus zu ignorieren. Man muss sich vor Augen halten, dass jene, die mehr Ressourcen haben und sich in bürgerlichen Kreisen bewegen, oft gefährlicher sind als diejenigen, die man sofort als Rechtsextreme erkennt.

Glösel: Die Identitären schaffen sich ihre Öffentlichkeit selbst, sie zu ignorieren würde ihren Handlungsspielraum vergrößern. Außerdem sehe ich ein Auftreten gegen Identitäre als Möglichkeit gegen das Extremismuskonzept des Verfassungsschutzes zu arbeiten. Wir wollen zeigen, dass Rechtsextreme immer von der Ungleichheit von Menschen ausgehen und gegen Marginalisierte agitieren. Das unterscheidet sich diametral von dem, wofür Linke auftreten. Wer links und rechts ständig gleichsetzt, übersieht das und ist dann völlig überrascht, dass es Bewegungen wie die Identitären gibt.

Bruns: Wir wollen Identitäre nicht über-, aber sicher auch nicht unterschätzen. Es ist uns wichtig, aufzuzeigen, dass diese Bewegung nicht harmlos ist. Sie kommt aus demselben Lager wie die NPD, die Pro-Bewegung in Deutschland oder die FPÖ. Dass die Identitären weichgezeichneter auftreten, ändert nichts an ihrer rechtsextremen Ideologie.

Das Interview führte Sonja Luksik.

 

 

Integration durch Rassismus

  • 21.06.2013, 16:38

Andreas Peham ist Rechtsextremismusexperte des „Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes“ (DÖW). Seit Jahrzehnten setzt er sich mit den Problemfeldern des Antisemitismus und Rassismus in der österreichischen Gesellschaft auseinander. Claudia Aurednik hat mit ihm für progress über das Problem des Rassismus innerhalb der ex-jugoslawischen und türkischen Community gesprochen.

Andreas Peham ist Rechtsextremismusexperte des „Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes“ (DÖW). Seit Jahrzehnten setzt er sich mit den Problemfeldern des Antisemitismus und Rassismus in der österreichischen Gesellschaft auseinander. Claudia Aurednik hat mit ihm für progress über das Problem des Rassismus innerhalb der ex-jugoslawischen und türkischen Community gesprochen.

progress: Gibt es unter den österreichischen MigrantInnen Rassismus?

Peham: Rassismus funktioniert relativ unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Staatsbürgerschaft und liegt quer über den verschiedenen Differenzen. Insofern können Menschen gleichzeitig Objekte sowie Subjekte des Rassismus sein. Sie können aber auch mit der Umwandlung von einem Objekt des Rassismus zum Subjekt werden und im Zuge dessen ihre rassistischen Erfahrungen verarbeiten. Kurzum: Sie können ihre Erfahrungen der Diskriminierung, Ausgrenzung und des Hasses auch nach unten weitergeben. Innerhalb der österreichischen Gesellschaft gibt es eine Hackordnung, bei der sich Menschen mit schwarzer Hautfarbe und Roma ganz unten befinden. Innerhalb der ex-jugoslawischen und türkischen Community existieren nun genau gegen diese beiden Gruppen starke Vorurteile bis hin zu offenem Hass.

progress: Welche rassistischen Vorurteile existieren in den migrantischen Communities?

Peham: Ich gebe in Schulen Workshops. Dabei werde ich oft mit dem Antiziganismus von MigrantInnen aus der ex-jugoslawischen Community konfrontiert. Dieser ist auch bei UngarInnen sehr verbreitet. Bei TschetschenInnen und TürkInnen habe ich hingegen Vorurteile gegenüber Menschen mit dunkler Hautfarbe mitbekommen. Ich verwehre mich aber dagegen, dass man – wie das die FPÖ gern zu tun pflegt – einem Objekt des Rassismus generell einen Gegenrassismus, der sich gegen ÖsterreicherInnen richte, unterstellt.

progress: Aber ist es nicht geradezu paradox, dass MigrantInnen aus der ex-jugoslawischen und türkischen Community beispielsweise AfrikanerInnen hassen?

Peham: Ein erfolgreicher Antirassismus würde ein vernünftiges oder aufgeklärtes politisches Subjekt voraussetzen. Doch dieses gibt es nicht, auch weil täglich in der Gesellschaft eine bestimmte Rangordnung mit einem bestimmten Machtgefälle produziert wird. Zudem bilden sowohl Rassismus als auch Antisemitismus Gemeinschaften. Insofern kann natürlich die These formuliert werden, dass der Rassismus innerhalb der migrantischen Communities ein Versuch ist, die Seite zu wechseln. Ich möchte das aber nicht den MigrantInnen vorwerfen. Denn es wäre ein Wunder, wenn es anders wäre. Gerade aus der Warte der Marginalisierung ist es sehr wahrscheinlich, dass man auf alles zurückgreift, das eine Zugehörigkeit vermitteln kann. Und dazu zählen innerhalb der österreichischen Gesellschaft der latente Antisemitismus sowie der Rassismus.

progress: Somit stellt der Rassismus für MigrantInnen eine Integrationsfunktion in die österreichische Mehrheitsgesellschaft dar?

Peham: Ja, denn mit dem Rassismus können sich MigrantInnen in Österreich integrieren. In einer Mehrheitsgesellschaft, in der Rassismus nicht so stark auftritt und in der MigrantInnen anders wahrgenommen werden, wird die Integrationsbereitschaft von diesen anders ausgeprägt sein. Ich denke, dass nicht so sehr die Herkunft der Menschen entscheidend ist, sondern die Gesellschaft in der die Menschen leben. Ich glaube zum Beispiel, dass der Rassismus gegen Menschen mit dunkler Hautfarbe nicht überall in der türkischen Diaspora gleich stark ist. Es kommt darauf an, wie das jeweilige Migrationsregime organisiert ist.

progress: Inwiefern ist die politische Einstellung der MigrantInnen für deren Rassismus entscheidend?

Peham: Rassismus ist jeweils bei den AnhängerInnen von nationalistischen und rechten Gruppen stark ausgeprägt. In der türkischen Community sind dies die AnhängerInnen der rechtsextremen MHP, die sich selbst als „Graue Wölfe“ bezeichnen. Bei den KroatInnen handelt es sich um AnhängerInnen der rechtsextremen HSP – „Kroatische Partei des Rechts“. Bei den SerbInnen um AnhängerInnen der neofaschistischen „SRS/CPC“ -„Serbische Radikale Partei“. Je weiter jemand sich politisch dem rechten Spektrum zuordnet, desto rassistischer ist er. Und umgekehrt: je rassistischer jemand ist, desto mehr wird er politisch rechts stehen. Im politisch linken Spektrum nimmt der Rassismus ab. Aber ganz links außen nimmt er wieder ein bisschen zu. Das ist sowohl beim Rassismus als auch beim Antisemitismus so. Kurz nach der Wende 1989 habe ich das bei linken autoritär eingestellten Menschen bemerkt, die hetzerische und rassistische Aussagen gegen OsteuropäerInnen äußerten. Obwohl diese Menschen nicht bereit waren in einem osteuropäischen kommunistischen Land zu leben, warfen sie den OsteuropäerInnen vor „den Sozialismus zerstört zu haben“.

progress: Dann wären wir bei Theodor W. Adorno und dessen Theorie der autoritären Persönlichkeit.

Peham: Ja, denn es ein besteht ein Zusammenhang zwischen Dogmatismus und einer Ablehnung von Differenz. Das bedeutet, dass Menschen die politisch autoritär denken und in autoritären Gruppen organisiert sind, eher zu Rassismus und Antisemitismus neigen. Eine autoritäre Grundstruktur des einzelnen Individuums prädestiniert geradezu für Rassismus und Antisemitismus. Und der kommt in rechter und linker Form vor. Entscheidend ist es, inwiefern ein Mensch bereit ist Differenzen auszuhalten und darüber zu diskutieren. Eine Kehrseite des Antisemitismus ist der Philosemitismus, der Juden romantisch verklärt. Beim Rassismus gibt es auch ein Gegenstück, den Exotismus. Dabei wird das Fremde geradezu schwärmerisch verklärt.

progress: Was kann man gegen den Rassismus in der ex-jugoslawischen und türkischen Community tun?

Peham: Man muss Aufklärung an den Schulen betreiben. Ich selbst und auch andere Vereine - wie beispielsweise der Verein „Zara“ - gehen in Schulen und halten dort Workshops ab. In den Workshops kläre ich die Jugendlichen unabhängig von ihrer jeweiligen Herkunft über Rassismus auf. Dabei bringt es beispielsweise wenig türkischen Jugendlichen etwas über Afrika zu erzählen. Denn der Rassismus hat nichts mit unterschiedlichen Hautfarben oder Kulturen zu tun. Vielmehr geht es darum, die unterdrückten Sehnsüchte und Wünsche der Jugendlichen zu erkennen und diese auf einer persönlichen Ebene aufzuklären. Denn der Rassismus hat viel mit der fehlenden Aufklärung über sich selbst und die österreichische Gesellschaft zu tun.

progress: Zu den aktuellen Protesten der Refugees haben sich die migrantischen Vereine und Diaspora-Organisationen kaum geäußert. Nur die „Israelitische Kultusgemeinde“ hat sich in der Vergangenheit deutlich gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ausgesprochen. Was sind die Gründe für die mangelnde Solidarität?

Peham: Die Ex-JugoslawInnen und TürkInnen sind in Verbänden organisiert, die nicht wirklich repräsentativ sind. Politisch steht bei diesen die politische Agenda ihrer  Herkunftsländer im Vordergrund. Diese Verbände sind tunlichst drauf bedacht, das offizielle Österreich nicht zu irritieren. Daher mischen sie sich nicht in die Innenpolitik Österreichs ein und üben keine Kritik am Migrationsregime. Dahinter steckt natürlich auch die Angst, sich aus der Deckung zu wagen. Denn man muss sich in einer gesicherten Position befinden, um Österreichs Politik zu kritisieren. In der antirassistischen Bewegung selbst ist es leider zu einer Spaltung in einen eher sozialarbeiterischen und einen politischen Teil von Aktivisten gekommen. Es sollte jedoch eine Bewegung sein, die kurzfristige Hilfe und langfristige Opposition zusammenbringt. Im Unterschied zu früheren Protesten ist es beim Refugee Camp aber zu einer Selbstorganisation der Flüchtlinge gekommen. Das betrachte ich als einen großen Fortschritt.

 

Kampf für das Recht auf Asyl

  • 11.03.2013, 16:24

Michael Genner, Obmann von „Asyl in Not", hat stets die Missstände der Asylpolitik aufgezeigt und die BeamtInnenwillkür angeprangert. Claudia Aurednik hat mit ihm für progress über sein Engagement gesprochen.

Michael Genner, Obmann von „Asyl in Not", hat stets die Missstände der Asylpolitik aufgezeigt und die BeamtInnenwillkür angeprangert. Claudia Aurednik hat mit ihm für progress über sein Engagement gesprochen.

Der 64-jährige Michael Genner ist seit 1989 als Rechtsberater für Flüchtlinge tätig. Als Obmann des Vereins „Asyl in Not“ hat er Hunderten von Flüchtlingen in Österreich geholfen und politisch gegen die Verschärfung der Asylgesetze protestiert. Doch trotz seiner über jahrzehntelangen Tätigkeit, wird er weiterhin für das Menschenrecht auf Asyl kämpfen.

Links:

www.asyl-in-not.org

Eine Buchrezension zu Michael Genners Autobiografie Verleitung zum Aufstand.

Brücken statt Stacheldraht

  • 13.02.2013, 17:30

Klaus Schwertner: "Ich glaube, dass die ÖVP nach dem Wahlkampf in Wien 2010 erkannt hat, dass es keine Wahlerfolge bringt, Menschen in Not zu kriminalisieren. Es ird am 1. Jänner 2014 eine Liberalisierung des Fremdenrechts geben."

progress: Wann wären die Proteste in der Votivkirche aus Sicht der Caritas ein Erfolg?

Klaus Schwertner: Durch ihren Protest haben die Flüchtlinge schon sehr viel erreicht: Sie haben sichtbar gemacht, dass es  grundsätzliche Probleme in den Unterkünften und im Verfahren gibt. Erstmals treten AsylwerberInnen in einer breiten Öffentlichkeit selber für ihre Anliegen ein. Menschenrechte gelten für alle, das vermitteln sie eindrucksvoll. Gleichzeitig ist aber auch klar, dass  wir in einem Rechtsstaat leben, das heißt nicht jedeR die oder der Asyl beantragt, wird auch Asyl erhalten. Die PolitikerInnen könnten zwei Dinge von den Flüchtlingen lernen: mehr Menschlichkeit und mehr Mut. Eine Lösung für die Flüchtlinge in der Votivkirche ist eine Frage des Wollens, nicht des Könnens.

Warum hat sich aus der Bundesregierung niemand in die Kirche begeben? Oder der Bundespräsident, der sich auch
für Arigona Zogaj stark gemacht hat?

 
Das müssen Sie die PolitikerInnen selbst fragen. Es gab in der Kirche Gespräche mit Kardinal Schönborn und mit Othmar Karas, dem Vize-Präsidenten des Europaparlaments. Aber es ist nicht so wichtig, wo ein Dialog stattfindet, sondern dass ein Dialog stattfindet. Die Innenministerin hat Anfang Jänner vier Flüchtlinge, die in der Votivkirche Schutz suchen, empfangen. Dabei hat sie zwei Stunden lang mit ihnen gesprochen und faire Verfahren versprochen – aber auch betont, dass es keine strukturellen Änderungen im  Asylrecht geben werde.

Welche gesetzlichen Änderungen braucht es aus Ihrer Sicht?

Es ist nicht alles schlecht und nicht alles gut im österreichischen Asylwesen. Wenn man sich die Verhältnisse in Griechenland anschaut, stehen wir hier nicht so schlecht da. Trotzdem sollte Europa gemeinsam Brücken bauen, anstatt Stacheldrähte hochzuziehen. Österreich braucht rasche, qualitätsvolle Asylverfahren. In acht von neun Bundesländern gibt es baufällige, schimmlige Quartiere. Da brauchen wir Mindeststandards: Es geht nicht um Hotels mit drei Sternen, sondern um menschenwürdiges Wohnen. Wir brauchen eine einheitliche Beurteilung der Gefahren in den Herkunftsländern der Flüchtlinge. Es mutet eigenartig an, dass auf der Homepage des Außenministeriums Reisewarnungen der höchsten Sicherheitsstufe für Pakistan ausgesprochen werden, aber die Flüchtlinge aus diesen Regionen möglicherweise dorthin zurück müssen.

Menschenrechtsorganisationen kritisieren, dass im Asyl- und Fremdenrecht seit 20 Jahren eine Verschärfung die andere jagt.

Unzählige Novellen haben dazu geführt, dass die Qualität der Gesetze immer schlechter geworden ist. Durch die Schaffung des Bundesamtes für Flüchtlinge und Migration sollte es aber hier dringend notwendige Verbesserungen geben. In den letzten Jahren hat  sich einiges zum Positiven verändert. Aber auf der einen Seite wirft man Flüchtlingen oft vor, dass sie viel Steuergeld kosten, und auf der anderen Seite lässt man sie nicht arbeiten – das ist zynisch. Die aktuelle Regelung erlaubt nur Saisonarbeit bei der Ernte. AsylwerberInnen dürften Gurkerl ernten, aber aufgrund der Einschränkung der Bewegungsfreiheit dürfen sie oft nicht dort hin, wo  die Gurkerl sind.

Haben sich SPÖ und ÖVP in der Frage der Rechte von MigrantInnen zu lange von der FPÖ treiben lassen?

Ich glaube, dass die ÖVP nach dem Wahlkampf in Wien 2010 erkannt hat, dass es keine Wahlerfolge bringt, Menschen in Not zu kriminalisieren. Es wird am 1. Jänner 2014 eine Liberalisierung des Fremdenrechts geben. Menschen, die sich fünf Jahre in Österreich aufhalten, drei davon legal, bekommen einen Rechtsanspruch auf humanitäres Bleiberecht. Abschiebungen von Kindern mit Sturmgewehren, Familien, die auseinandergerissen werden: Diese Zustände müssen in Österreich ein Ende haben und ich bin  guten Mutes, dass uns das gelingt. Es braucht klare Gesetze und Menschlichkeit.

Keine Frage des Könnens

  • 13.02.2013, 17:12

In der Wiener Votivkirche protestieren Flüchtlinge in Österreich zum ersten Mal selbst für ihre Rechte. Doch gerade der Rechtsstaat wird wohl verhindern, dass auch für sie Menschenrechte gelten. Was sich ändern muss, erzählten zwei ungleiche Unterstützer, Alexander Pollak und Klaus Schwertner, progress-Autor Paul Aigner.

In der Wiener Votivkirche protestieren Flüchtlinge in Österreich zum ersten Mal selbst für ihre Rechte. Doch gerade der Rechtsstaat wird wohl verhindern, dass auch für sie Menschenrechte gelten. Was sich ändern muss, erzählten zwei ungleiche Unterstützer,  Alexander Pollak und Klaus Schwertner, progress-Autor Paul Aigner.

Es war die größte politische Kundgebung, die Österreich je gesehen hatte und bis heute gesehen hat. 300.000 Menschen demonstrierten am 23. Februar 1993 am und um den Wiener Heldenplatz. Keinen halben Kilometer Luftlinie weiter frieren und hungern im Winter 2013 AsylwerberInnen in der Wiener Votivkirche. Sie finden die Lebensumstände in den Asyllagern nicht mehr  zumutbar und ihre Position aussichtslos.

Rückblende. Anfang der 1990er-Jahre scheint der Aufstieg der FPÖ kaum zu stoppen. Jörg Haider ist seit sechs Jahren Obmann der größten Oppositionspartei, er nennt SPÖ-Innenminister Franz Löschnak „meinen besten Mann in der Regierung“. Trotz interner  Widerstände setzt Haider  das sogenannte „Ausländervolksbegehren“ durch. Es beinhaltet gezielte Tabubrüche wie die Verknüpfung eines Zuwanderungsstopps mit der Arbeitslosenquote und eine „Ausländerquote“ in Schulklassen. Der liberale Flügel der FPÖ bricht nach dem Volksbegehren weg, fünf Abgeordnete um Heide Schmidt gründen das Liberale Forum (LIF). Den Takt in der  Fremdenpolitik gibt die FPÖ trotzdem weiter vor. 20 Jahre später ziehen zwei Protagonisten der Menschenrechtsbewegung von heute  ein vorläufiges Resümee. progress hat Caritas-Pressesprecher Klaus Schwertner und SOS-Mitmensch-Sprecher Alexander Pollak getroffen und mit ihnen über das raue Klima in der österreichischen Menschenrechtspolitik und die Perspektiven des Protests in der Wiener Votivkirche gesprochen und dabei unterschiedliche Einschätzungen gefunden, was Flüchtlinge in Österreich in den kommenden Jahren erwartet.

Weiterlesen: Interview mit Alexander Pollak (SOS Mitmensch)

Weiterlesen: Interview mit Klaus Schwertner (Caritas)

„Die Situation hat sich sehr verschlechtert“

  • 10.02.2013, 11:48

Bukasa Di-Tutu: "Die Situation hat sich sehr verschlechtert. Das Studium ist heute viel zu teuer, unsozial und es gibt fast keine Nebenjobs. Und es st auch eine Tatsache, dass afrikanische Menschen in Österreich respektlos behandelt werden."

progress: Wann sind Sie nach Österreich gekommen?

Di-Tutu Bukasa: 1971. Es gab damals mehrere Gründe, die Republik Kongo zu verlassen: Einerseits die politische Situation und andererseits  meinen Forschungs- und Entdeckungsdrang. Im Licht der Dynamik der 68er-Bewegung und nach einem fruchtbaren Sommer in Österreich entschied ich mich spontan zu bleiben. Die inspirierenden StudentInnen, Freundschaft und der Reiz einer neuen Kulturwelt durch die deutsche Sprache zogen mich an.

Welches Studium haben Sie absolviert?

Drei Jahre lang besuchte ich gemeinsam mit anderen ausländischen Studierenden einen Vorstudienlehrgang in Mödling. Ab 1975 absolvierte ich ein interdisziplinäres Studium aus Politikwissenschaft und Völkerrecht an der Universität Wien. Parallel dazu studierte ich aus rein akademischem Interesse Jus. Denn eine Laufbahn als schwarzer Anwalt in Österreich wäre damals nicht denkbar gewesen. Nach dem Studienabschluss habe ich 1981 den postgradualen Universitätslehrgang „Internationale Beziehungen“ besucht.

Wie haben Sie sich Ihr Studium finanziert?

Abgesehen von den ermäßigten Studiengebühren während des Vorstudienlehrgangs habe ich keine Unterstützung vom  österreichischen Staat erhalten. Während meiner Studienzeit musste ich bei verschiedenen Firmen schuften. Ich habe unter anderem jahrelang in einer Tischlerei und als Taxilenker gearbeitet.

Denken Sie, dass sich die Situation für Studierende aus Afrika verschlechtert hat?

Die Situation hat sich sehr verschlechtert. Das Studium ist heute viel zu teuer, unsozial und es gibt fast keine Nebenjobs. Und es ist auch eine Tatsache, dass afrikanische Menschen in Österreich respektlos behandelt werden. Aber ich denke, dass sich global die  öffentliche Wahrnehmung von schwarzen Menschen verändert hat. Durch Menschen wie Nelson Mandela, Colin Powell, Condoleezza Rice, Kofi Annan und Barack Obama sind schwarze Menschen heutzutage in europäischen Großstädten sehr präsent. Und der Glaube, dass Weiße von Natur aus das Privileg haben, Schwarzen gegenüber rassistisch aufzutreten, ist im Wandel.

Di-Tutu Bukasa ist Herausgeber von The Global Player und Menschenrechtsaktivist.

Zum dazugehörigen Artikel "Unter Generalverdacht?"
Über den Kampf Baraka Kimambos aus Tansania zum Studium an der Uni Wien und die bürokratischen Hürden für rumänische Studierende in Österreich.

„In rechtlicher Hinsicht drastisch prekarisiert“

  • 10.02.2013, 11:16

Juristin Petra Sußner im Kurzinterview zur rechtlichen Situation ausländischer Studierender an Österreichs Unis.

Juristin Petra Sußner im Kurzinterview zur rechtlichen Situation ausländischer Studierender an Österreichs Unis.

progress: Mit welchen Hürden haben ausländische Studierende in Österreich zu kämpfen?

Petra Sußner: Studierende ohne EUPass sind mit Hürden konfrontiert, die sich in einem verschachtelten legistischen Sammelsurium verbergen und sogar die damit befassten BeamtInnen oft überfordern. Das ist auf die konstant restriktiv gestaltete Fremden- und Asylgesetzgebung der letzten 20 Jahre zurückzuführen. Ein wenig zugänglicher gestaltet sich die Rechtslage für Personen mit einer StaatsbürgerInnenschaft aus dem EU-Raum. Für drittstaatsangehörige Studierende sind der Nachweis eines monatlichen Unterhalts in der Höhe von 837,63 Euro zuzüglich Mietkosten ab dem 25. Lebensjahr und der Nachweis eines Studienerfolgs im Ausmaß von 16 ECTSPunkten eine relevante Zugangshürde. Jüngere müssen 450 Euro nachweisen. Sie müssen jährlich im Rahmen des Antrags auf Verlängerung des Aufenthaltstitels vorgezeigt werden. Auch das Nostrifikationssystem ist kostenintensiv und kaum  überschaubar.

progress: Seit wann werden die Gesetze für Studierende aus dem Nicht-EU-Raum verschärft?

Eine drastische Rolle kommt dem parteipolitisch breit befürworteten Fremdenrechtspaket 2005 zu: Seither gibt es etwa  Auslandsantragstellungen nach absolvierten Aufnahmeprüfungen, aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei Fristversäumungen oder  Verschärfungen der Unterhaltsanforderungen.

progress: Wann droht ausländischen Studierenden die Abschiebung?

Drittstaatsangehörige sind wesentlich schneller einer Abschiebungssituation ausgesetzt als EU-BürgerInnen. Gefährlich wird es für ausländische StaatsbürgerInnen, wenn ihre Aufenthaltstitel nicht verlängert werden, sie strafrechtlich verfolgt werden oder auch ohne die entsprechenden Bewilligungen erwerbstätig sind. Rechtlich vorgegangen werden kann vor allem gegen die Rückkehrentscheidungen, Ausweisungen und Aufenthaltsverbote. Sie bilden die bescheidmäßige Grundlage der Abschiebungen. Private und familiäre Interessen im Sinn des Artikels acht der Europäischen Menschenrechtskonvention können hier  dagegengehalten werden.

progress: Was sind die Bedingungen, um nach Studienende in Österreich bleiben zu dürfen?

Man kann die „Rot-Weiß-Rot-Karte“ für AkademikerInnen beantragen. Dann steht ein halbes Jahr zur Arbeitssuche zur Verfügung. Wer in diesem halben Jahr keine Erwerbsarbeit gefunden hat, die den gesetzlichen Anforderungen entspricht, ist von Abschiebung bedroht. Eine der Anforderungen ist etwa ein monatlicher Entgeltanspruch in der Höhe von mindestens 45 Prozent der Höchstbeitragsgrundlage. Im Jahr 2012 handelte es sich dabei um 1.903,50 Euro. Außerdem muss es sich um eine den Qualifikationen entsprechende Erwerbstätigkeit handeln.

Petra Sußner verfasst derzeit ihre Dissertation, in der sie sich juristisch mit dem asylrechtlichen Verfolgungsgrund der sexuellen Orientierung auseinandersetzt. Sie hat jahrelang als Rechtsberaterin bei verschiedenen NGOs sowie als Rechtsanwaltsanwärterin für und mit MigrantInnen gearbeitet.

Zum dazugehörigen Artikel "Unter Generalverdacht?" über den Kampf Baraka Kimambos aus Tansania zum Studium an der Uni Wien und die bürokratischen Hürden für rumänische Studierende in Österreich.

Unter Generalverdacht?

  • 09.02.2013, 17:21

Die österreichischen Universitäten werben damit, international vernetzt zu sein und ausländischen Studierenden eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Doch die meisten ausländischen Studierenden sind mit immensen Problemen konfrontiert. Claudia Aurednik gibt Einblick in ihre Schwierigkeiten und Herausforderungen.

Die österreichischen Universitäten werben damit, international vernetzt zu sein und ausländischen Studierenden eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Doch die meisten ausländischen Studierenden sind mit immensen Problemen konfrontiert. Claudia Aurednik gibt Einblick in ihre Schwierigkeiten und Herausforderungen.

„Ich habe wegen der Bürokratie an der Universität Wien drei Semester meines Studiums verloren“, erzählt Baraka Kimambo*: „Zuvor hatte zwar die Universität für Bodenkultur bereits alle Zertifikate der Republik Tansania anerkannt, aber die Uni Wien verweigerte die Zulassung. Sie forderte Bestätigungen, die es in Tansania gar nicht gibt.“ Nach einem langen Briefwechsel mit den Behörden in Tansania und zahlreichen erfolglosen Gesprächen mit der Zulassungsstelle war noch immer keine Lösung absehbar. Kimambo hatte jedoch das Glück, in einem Ministerium an einen Juristen zu geraten, der großes Interesse an Afrika hat. „Ohne Glück geht es nicht. Bei der Zulassungsstelle war das aber leider nicht so“, resümiert Kimambo. Von Tansania aus hatte er sich nach der Highschool an verschiedenen europäischen und amerikanischen Universitäten beworben. Als er nach einem Jahr aus Österreich eine positive Antwort erhalten hatte, beschloss er, in Wien zu studieren. Den Kampf mit der österreichischen Bürokratie konnte er letztlich  gewinnen. Seit dem Wintersemester 2011/12 studiert der mittlerweile 25Jährige an der Universität Wien Afrikawissenschaften.

Baraka Kimambo.

BARAKA KIMAMBO. Der Studienbeginn an der Universität für Bodenkultur war jedoch überaus schwierig: „Ich habe Umwelt- und Bioressourcenmanagement studiert. Der Stoff wurde sehr schnell durchgenommen und Kontakt mit den ProfessorInnen war nicht möglich“, sagt Kimambo. Ein Tutorium für ausländische Studierende habe es nicht gegeben. „Am Institut für Afrikawissenschaften ist das anders, denn es ist ein kleines Institut mit netten ProfessorInnen. Und auch die StudienkollegInnen sind dort netter und viel aufgeschlossener.“ Probleme hatte Kimambo aber mit den an der Universität Wien angebotenen Deutschkursen, weil in diesen nur Alltagssprache und nicht wissenschaftliche Sprache unterrichtet wurde. „Die meisten können sich gar nicht vorstellen, was ein Studierender, der nicht aus einem EU-Land kommt, innerhalb eines Jahres alles schaffen muss. Neben der bürokratisch aufwendigen  Inskription an der Universität musste ich eine Wohnung finden und Deutsch lernen. Und neben dem Studium musste ich auch arbeiten“, erzählt Kimambo.

Gerade am Arbeitsmarkt spürt er die Diskriminierung. Immer wieder hat er Jobs nicht bekommen, weil ArbeitgeberInnen für ihn beim Arbeitsmarktservice (AMS) eine Arbeitsgenehmigung beantragen müssen. Diese Prozedur und die Unsicherheit, ob das Visum  für Kimambo verlängert wird, führen dazu, dass viele kein Interesse an seiner Arbeitskraft haben. Hinzu kommen rassistische Vorurteile gegenüber AfrikanerInnen. Gleichzeitig verlangen die MitarbeiterInnen der Wiener Magistratsabteilung 35 von Kimambo  den Nachweis einer Arbeitsstelle. „Die Probleme bedingen sich also gegenseitig“, resümiert Kimambo. Studierende, die nicht aus einem EU-Land kommen, dürfen erst seit Sommer 2011 auf Basis einer geringfügigen Tätigkeit ohne vorhergehende  Arbeitsmarktprüfung etwas dazuverdienen. „Ab dem 26. Lebensjahr muss ich für das Visum aber rund 7334 Euro pro Jahr als  Guthaben oder ein monatliches Plus von rund 815 Euro nachweisen können. Monatlich darf ich jedoch nur bis zur  Geringfügigkeitsgrenze etwas dazuverdienen – beides ist natürlich lächerlich und schier unmöglich“, erläutert Kimambo. Derzeit hat  er aus diesen Gründen Probleme mit seinem Visum. Seine Eltern können ihn finanziell kaum unterstützen. In Tansania beträgt  das Einkommen für Büroangestellte durchschnittlich 150 Euro im Monat und selbst ÄrztInnen verdienen maximal zwischen 300 und 400 Euro. Zumindest muss Kimambo aufgrund eines Abkommens zwischen der Republik Tansania und Österreich keine  Studiengebühren zahlen. „Ich habe aber viele kenianische FreundInnen, die ab dem Sommersemester 2013 380,86 Euro pro Semester zahlen müssen. Dabei zählt Kenia zu den ärmsten Ländern der Welt.“

ÖH-BERATUNG. Im „Referat für ausländische Studierende“ der ÖH-Bundesvertretung findet neben einer juristischen Beratung auch eine allgemeine Beratung in verschiedenen Fremdsprachen statt. Das Team berät auf Spanisch, Persisch, Türkisch, Kurdisch, Serbisch, Kroatisch, Bosnisch sowie Englisch und Deutsch. Tamiss Khorzad arbeitet hier als Sachbearbeiterin. „In letzter Zeit fragen viele KollegInnen verzweifelt bei mir in der persischen Beratung nach finanziellen Unterstützungen“, sagt sie.Aufgrund ihres Aufenthaltstitels dürfen auch Studierende aus dem Iran nur sehr beschränkt arbeiten. Die Problemlage ist bei ihnen dieselbe wie bei Kimambo: Die ArbeitgeberInnen müssten einen Antrag beim AMS stellen, das verursacht zusätzliche Kosten, weshalb viele lieber verzichten. „Neben den iranischen StudentInnen, die zum Studium nach Österreich gekommen sind, gibt es aber auch viele AsylwerberInnen aus dem Iran, die hier weiterstudieren möchten“, erzählt Khorzad. Am häufigsten erkundigen sich ausländische Studierende nach Stipendien, nach der Zulassung zu Studien, dem Arbeitsmarkt und Visafragen.

„Das Visum bereitet vielen Studierenden aus dem Nicht-EU-Raum große Probleme, die Erteilung des Aufenthaltstitels kann bis zu sechs Monate dauern“, berichtet der zuständige Referent Jens Marxen. Für eine Verlängerung müssen jährlich 16 ECTS-Punkte nachgewiesen werden. „Doch das ist gerade für Studierende, die eben erst Deutsch gelernt haben, besonders schwer“, sagt er. Studierende dürften bei einmaliger Nichterreichung der Punktezahl zwar noch auf die Nachsicht der Behörden hoffen. Beim zweiten Mal gäbe es hingegen keine Toleranz mehr. „Jeder Einzelfall müsste aber genau geprüft werden, denn wer den Aufenthaltstitel nicht erhält, muss das Studium abbrechen“, sagt Marxen: „Wenn jemand eine große Prüfung nicht besteht, so darf dies doch nicht das Ende des Studiums in Österreich bedeuten.“ Das Referat für ausländische Studierende bestätigt die von Kimambo angesprochene Problematik des Nachweises von Geldmitteln. Für die Erteilung eines Visums müssen Studierende aus dem Nicht-EU-Raum ein regelmäßiges Einkommen und ein Vermögen nachweisen, das den Lebensunterhalt für ein Jahr garantiert. Je nach Alter müssen  dementsprechend bis zu 830 Euro im Monat oder bis zu 10.000 Euro jährlich auf einem Konto nachgewiesen werden. Aber auch die doppelten Studiengebühren für Nicht-EU-BürgerInnen müssten abgeschafft werden, meint Marxen. Studierende aus anderen Ländern sollten nicht abgeschreckt oder gar ausgeschlossen werden. Auch die gesamte Verwaltung müsste Marxen zufolge lernen, den Unterschied zwischen einer BittstellerIn, und einem Menschen, dem rechtmäßig etwas zusteht, zu erkennen. Er ergänzt: „Viele StudentInnen aus dem Ausland haben das Gefühl, unter Generalverdacht zu stehen: Denn eigentlich dürfen sie nicht hier sein und arbeiten dürfen sie auch nicht. Nur wenn es rechtlich nicht zu verhindern ist, bekommen sie eben die Arbeitsbewilligung.“

Victoria Lippan (3. v. l.) mit ihren StudienkollegInnen. Aufgrund ihrer rumänischen StaatsbürgerInnenschaft hatte sie bereits Barrieren zu Job und Studium hinnehmen müssen. Fotos: Luiza Puiu

SCHWARZARBEIT. Victoria Lippan* (23) kommt aus Rumänien und studiert seit 2009 Translationswissenschaften und Biologie an der Universität Wien. In Temeswar hatte sie eine deutschsprachige Schule besucht. Dadurch hatte sie während ihres Studiums keine sprachlichen Hürden zu bewältigen. Einen StudentInnen-Job zu finden, war aber wesentlich schwieriger. „In einem Lokal in Strasshof  habe ich der Chefin vorgeschlagen, für zwei bis drei Tage gratis zu arbeiten, da ich ja noch keine Erfahrungen als  Kellnerin hatte. Sie meinte aber, dass meine Kollegin – die an diesen Tagen nur mich alleine arbeiten ließ – mir das Trinkgeld  überlassen sollte. Als ich am nächsten Tag zur Arbeit kam, wurde mir vorgeworfen, dass ich das Trinkgeld geklaut hätte“, erinnert  sie sich. „Außerdem hat mir dort ein angetrunkener Gast erklärt, dass er sich einen zweiten Hitler für Leute wie mich wünschenwürde.“

Die Odyssee war damit aber noch nicht beendet. Während ihres ersten Studienjahrs hatte Victoria drei Anträge beim AMS für eine geringfügige Anstellung als Kellnerin abgegeben. Diese wurden jedoch nicht bewilligt, obwohl sie rechtlich darauf Anspruch gehabt  ätte. Lippan erzählt, dass sie vom AMS mit den Worten „Fräulein, eine Anstellung im Gastrobereich für RumänInnen gibt es bei uns nicht“, hinausgeschmissen wurde. „Das hat mich wirklich sehr geärgert, weil ich in einem tollen Lokal bei einem netten Chef hätte arbeiten können“, erinnert sie sich. Lippan arbeitete daraufhin unangemeldet zwei Jahre lang als Kellnerin für fünf bis sechs Euro in  der Stunde. Das Trinkgeld durfte sie sich nicht behalten. „Es ist wirklich schwierig, schwarz zu arbeiten. Ich habe fast ein Jahr meines Studiums verloren, weil ich auf Abruf im Lokal bereitstehen musste“, erzählt sie. Erst seit dem letzten Sommer werden vom AMS geringfügige Anstellungen für RumänInnen bewilligt. Ab dem 1. Jänner 2014 soll der Arbeitsmarkt für RumänInnen und BulgarInnen geöffnet werden. Victoria betont aber auch, dass sie neben den Problemen am Arbeitsmarkt in ihren Jobs als Kellnerin ständig mit dem negativen Bild, das viele ÖsterreicherInnen von Menschen aus Rumänien haben, konfrontiert worden sei.

Auch Luiza Puiu, selbst Fotografin der Fotostrecke dieser Seiten, ist aus Rumänien nach Wien gekommen. Besonders mit dem AMS hatte Puiu zu Studienbeginn Probleme: „Als ich mich nach den Papieren für einen Nebenjob erkundigte, wurde mir entgegnet, ich könne machen was ich wolle – sie geben mir nichts.“ Puius Forderung wäre, dass interkulturelle Erfahrungen ausländischer Studierender nicht als Grund für Schlechterstellungen betrachtet werden. Und: „Ausländische Studierende sollten am Arbeitsmarktdie gleichen Rechte wie ÖsterreicherInnen haben.“

* Die Namen wurden auf Wunsch der InterviewpartnerInnen geändert und sind der Redaktion bekannt.

Das „Referat für ausländische Studierende“ der ÖHBundesvertretung bietet ein vielseitiges Beratungsangebot in mehreren Fremdsprachen an. Nähere Infos: www.oeh.ac.at

Die Autorin studiert Publizistik- und Kommunikationswissenschaften und verfasst derzeit am Institut für Zeitgeschichte der Uni Wien ihre Diplomarbeit.

Iberien igelt sich ein

  • 02.01.2013, 17:27

Im von Massenarbeitslosigkeit geplagten Spanien verfestigt sich die Meinung, dass Migration ein verzichtbares Übel sei, warnt die Internationale Organisation für Migration (IOM).

Im von Massenarbeitslosigkeit geplagten Spanien verfestigt sich die Meinung, dass Migration ein verzichtbares Übel sei, warnt die Internationale Organisation für Migration (IOM).

Die nicht enden wollende Wirtschaftskrise lässt die Ablehnung von MigrantInnen in Spanien deutlich steigen. Immer mehr SpanierInnen sind der Meinung, sie sollten das Land verlassen. „Das Klima gegenüber jenem Bevölkerungsteil hat sich besorgniserregend verschlechtert“, zu diesem Schluss kommt auch die Internationale Organisation für Migration (IOM) in ihrem jüngsten Länderbericht „Die Auswirkung der Krise auf Immigranten in Spanien“. 37 Prozent lehnen mittlerweile Einwanderung generell ab. Demgegenüber stehen 33 Prozent der SpanierInnen, die sich tolerant zeigen. Ein Drittel der Befragten gab sich gleichgültig in dieser Thematik, wenngleich die IOM diesen Bevölkerungsteil als „eher ablehnend“ einstuft. Vier von fünf SpanierInnen sind zudem überzeugt, dass Migration zu Lohndumping führt. Die Mehrheit der MigrantInnen verdient in Spanien weniger als den Mindestlohn. Wie der IOM-Bericht überdies darlegt, steigen Arbeitslosigkeit und extreme Armut unter EinwandererInnen (10,8 Prozent) weit rascher als unter SpanierInnen (6,7 Prozent).

Gefährliches Klima. „Der Nährboden istgesättigt. Wenn wir nicht gegensteuern, wird dies zu einer Situation der Fragmentierung der Gesellschaft und der Exklusion der Immigranten führen“, warnt Walter Actis, Co-Studienautor. Zwischen 1996 und 2010 stieg, angetrieben vom Bauboom und einer blühenden Tourismuswirtschaft, die Zahl der gemeldeten MigrantInnen in Spanien von knapp 500.000 auf mehr als 5,5 Millionen – inklusive der EU-BürgerInnen und Eingebürgerten. „Die Krise hat zwar den Migrationsdruck gebremst. Die Bedingungen, unter denen MigrantInnen leben, sind aber besorgniserregend“, so Actis.

2007 waren lediglich zwölf Prozent der SpanierInnen der Meinung, Menschen mit irregulärem Aufenthaltsstatus sollten abgeschoben werden. Mit 2010 stieg der Wert bereits auf ein Fünftel. 43 Prozent fordern die Ausweisung von ImmigrantInnen, die lange Zeit ohne Erwerb verbleiben. Die Arbeitslosigkeit unter MigrantInnen war zwischen 2008 und 2011 doppelt so hoch wie jene unter SpanierInnen, die zuletzt 25 Prozent überschritten hat. Sowohl die amtierende Rechtsregierung unter Premier Mariano Rajoy als auch dessen sozialistischer Vorgänger, José Luis Rodríguez Zapatero, haben MigrantInnen über weiterlaufende Arbeitslosenbezüge zur Rückkehr in ihre Herkunftsländer bewegt. Zugleich forcierte Spanien Abschiebungen. 2011 waren mehr als 13.000 MigrantInnen in den Auffanglagern C.I.E (in den Nordafrika-Exklaven CETI genannt) interniert. 60 Tage dürfen sie bleiben, und offiziellen Zahlen zu Folge wurden 48 Prozent in ihre Ursprungsländer abgeschoben. Laut Zahlen von NGOs hingegen waren es mehr als 11.000 Menschen, die im Vorjahr in ihre Heimatstaaten zurückgeschickt wurden. Mit Ende 2012 soll die 24.000-Personen-Schwelle überschritten werden.

Vor 20 Jahren, am 13. November 1992 erschütterte der rassistische Mord an der aus der Dominikanischen Republik stammenden Lucrecia Pérez das Land. Es war der erste dieser Art im demokratischen Spanien nach der Franco-Diktatur, die 1977 ihr Ende gefunden hatte. Eine Gruppe junger Neo-Faschisten hatte Pérez mit der Dienstwaffe eines Zivilgardebeamten, der an der Bluttat beteiligt war, erschossen. „Damals erkannte man ebenso wenig wie heute, dass es eine gefährliche Strömung gewaltbereiter Rassisten in Spanien gibt“, sagt Macel Camacho, Sprecher der Plattform gegen Xenophobie und Rassismus: „Es gilt, die Erinnerung an Lucrecia wachzuhalten, um einem aktuellen Widererstarken dieses Übels entgegenzuwirken.“

In den letzten zwei Dekaden hat Zuwanderung nach Spanien ein spektakuläres Wachstum erfahren, sagt Tomás Calvo Buezas, emeritierter Universitätsprofessor für Sozialanthropologie an der Madrider Universidad Complutense und Gründer des  Studienzentrums für Migration und Rassismus an der hiesigen politikwissenschaftlichen Fakultät. Dem Anstieg von einem auf zwölf Prozentpunkte gemessen an der spanischen Gesamtbevölkerung, exklusive der „Sin Papeles“ ohne legalen Aufenthaltsstatus, steht ein knapp fünfprozentiger Zuwachs an rassistischen Gewalttaten gegenüber. Bislang funktionierten, so Calvo Buezas, die Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung, die nun jedoch deutliche Bugdetkürzungen erfahren haben. Doch damit nicht genug, wie Calvo Buezas betont: „Die Krise schafft rascher ein immer gefährlicheres Klima. Denn die Neonazi-Fraktionen oder NeofaschistInnen, wie die Goldene Morgenröte in Griechenland, nähren sich an der Mittel- und Unterschicht, indem sie diesen einen Konkurrenzkampf um Jobs und Gehälter mit MigrantInnen vorgaukeln.“

Online-Bastionen. Auch im Internet wachsen spanische Neonazi-Communities. Gab es 1992 lediglich 200 einschlägige Websites, gibt es aktuell mehr als 2000. Gleichzeitig steigt die Zahl an Lokalen, Bars und Konzerten von Neonazi-Bands landesweit. „Die Krise ist der ideale Nährboden, auf dem Neonazi- Bewegungen wachsen und gedeihen“, warnt der Sozialanthropologe weiter. Nicht minder steigt die Zahl der rechtsextremen Parteien in Spanien abseits der üblichen, wie der einstigen Einheitspartei Francisco Francos, der Falange de las J.O.N.S., und ihrer unzähligen ideologischen Klone. In den vergangenen Jahren schafften deklariert xenophobe neue Fraktionen wie España 2000 in Alcalá de Henares – einer der Wiegen der spanischen Sprache – und anderen Orten der Region Valencia, Plataforma per Catalunya im katalanischen Vic oder Democracia Nacional auch den Einzug in Stadt- und Gemeinderäte, nicht jedoch in Regionalregierungen.

In den Einsparungen im Sozialwesen, dem Aus der Gesundheitsversorgung (progress berichtete) für Menschen ohne legalen  Aufenthaltsstatus, dem von Amnesty International mehrmals angeprangerten Kontrollwahn der spanischen Polizei gegenüber MigrantInnen und Massenabschiebungen sieht Calvo  Buezas „institutionellen Rassismus“.

Übergriffe auf Chinesinnen. Der steigende Rassismus gilt längst nicht mehr ausschließlich LateinamerikanerInnen, MaghrebbürgerInnen oder Menschen aus dem Subsahara-Afrika. Seit der Polizeiaktion Operación Emperador gegen die chinesischeMafia Mitte Oktober, die in Spanien bis zu 1,2 Milliarden Euro jährlich „gewaschen“ habe, sehen sich nun auch chinesische StaatsbürgerInnen in Spanien Übergriffen ausgesetzt. Anfang November streikte das Gros der von chinesischen ImmigrantInnen betriebenen Geschäfte. „SchülerInnen werden von KollegInnen und Eltern als Mafiosi beschimpft. GeschäftsinhaberInnen ergeht es gleich. ChinesInnen wurden sogar in der Metro Madrids verfolgt“, beklagt Jorge García, Sprecher der Spanisch-Chinesischen Handelskammer. Ende November wurden einige der Hauptangeklagten bereits wieder auf freien Fuß gesetzt. Die Ressentiments bleiben aber weiterhin bestehen.

Der Autor Jan Marot ist freier Journalist für Iberien und den Maghreb und lebt in Granada, Spanien.

Minderjährig, allein und auf der Flucht

  • 23.12.2012, 19:24

Die Zahl unbegleiteter Flüchtlinge unter 18 Jahren steigt. Oft sind sie monatelang unter unvorstellbaren Strapazen unterwegs. Angekommen in Österreich haben sie abermals viele Hürden zu überwinden, bis ihnen vielleicht Schutz zugesprochen wird.

Die Zahl unbegleiteter Flüchtlinge unter 18 Jahren steigt. Oft sind sie monatelang unter unvorstellbaren Strapazen unterwegs. Angekommen in Österreich haben sie abermals viele Hürden zu überwinden, bis ihnen vielleicht Schutz zugesprochen wird.

„Mein Zimmer aufräumen und mich mit Freunden treffen“, antwortet Amel* auf die Frage, was sie an diesem Samstag noch vorhat. Aus der Küche strömt der Geruch von gebratenen Zwiebeln, laute Popmusik dröhnt durch den Gang. Ein paar Jugendliche sind gerade damit beschäftigt, das gemeinsame Essen vorzubereiten. Im angrenzenden Aufenthaltsraum tippt ein Mädchen auf der Tastatur eines Laptops, ein anderes malt ein Bild. Doch bereits beim Betreten des Hauses in der Braunspergengasse im zehnten Wiener Gemeindebezirk wird klar, dass es sich hier nicht um eine gewöhnliche Wohngemeinschaft für Jugendliche handelt. Eine weiße Kamera, die vor dem Eingang montiert ist, überwacht das Geschehen vor dem Gebäude. Bevor der Portier das Öffnungssignal für die Haustüre freigibt, nimmt er eine Gesichtskontrolle vor.

Seit 2005 befindet sich in diesem Haus die WG Refugio, eine Wohngemeinschaft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF), die von der Caritas betreut wird. Hier finden Jugendliche, die zumeist auf sich allein gestellt aus unterschiedlichen Krisenregionen der Welt nach Österreich gekommen sind, bis zur Volljährigkeit ein neues Zuhause. Eine von ihnen ist die 16-jährige Amel, die mit ihren beiden Brüdern aus Afghanistan geflüchtet ist. Seit einem halben Jahr leben alle drei in der Wohngemeinschaft. Amel trägt ein lockeres Kopftuch aus durchsichtigem Stoff, ihre langen schwarzen Haare sind zu einem losen Zopf zusammengebunden. Trotz der kalten Jahreszeit trägt sie türkise Flipflops aus Plastik.

Taliban-Terror. Beim Reden löst sich eine Seite des Kopftuches immer wieder und fällt auf ihre rechte Schulter. Amel rückt es behutsam zurecht. „Für die Taliban sind wir keine richtigen Moslems, weil meine Mutter als Krankenschwester gearbeitet hat und ich zur Schule gehen durfte“, sagt sie. „Die Taliban wollen, dass sich die Mädchen fürchten und das Haus nicht verlassen.“ Sie  verschränkt ihre Arme, schlägt ihre Beine übereinander und erzählt, dass sie gemeinsam mit Freundinnen auf dem Heimweg von der Schule war, als zwei Personen auf Motorrädern neben ihnen Halt machten. Sie begannen Flüssigkeit auf die Mädchen zu spritzen. Im ersten Moment dachte Amel, es sei ein Jungenstreich und man wolle sie mit Wasser necken. Doch dann sah sie überall Blut, ihre  Haare und Teile ihres Körpers brannten.

Seit diesem Tag wagte auch sie es nicht mehr, in die Schule zu gehen. Während Amel von ihrem Heimatland erzählt, gerät ihr Redefluss immer wieder kurz ins Stocken. Ihr Blick ist dann suchend und ihr Mund formt sich zu einem schüchternen Lächeln. „Es  tut mir leid, aber manchmal vergesse ich Dinge auch einfach“, sagt sie. Das Regime der Taliban beschreibt Amel als ein  gnadenloses, gegen das Polizei und Regierung machtlos sind. Angst und Terror sind täglicher Begleiter der meisten AfghanInnen. Amels Vater war als Geschäftsmann in der Holzindustrie tätig und arbeitete mit den AmerikanerInnen zusammen. Die Taliban haben ihn und einen ihrer Brüder getötet. Kurz darauf ist ihre Mutter nach Europa geflüchtet, wo sie sich heute aufhält, weiß niemand. Da ihre Brüder den ganzen Tag arbeiteten, war Amel ab diesem Zeitpunkt immer alleine zu Hause. Die Angst, getötet oder entführt zu werden, war allgegenwärtig.

Wenig später half ein Onkel, der in Kabul lebt, die restlichen Habseligkeiten der Familie zu verkaufen, um an Geld für eine Flucht zu kommen. Wie lange diese tatsächlich gedauert hat, weiß Amel nicht mehr. „Ich denke es waren drei bis vier Monate, aber ich bin mir nicht sicher. Wir haben in dieser Zeit nicht darüber nachgedacht, wie lange wir schon unterwegs sind. Wir haben einfach nur  gebetet“, sagt Amel.

So wie Amel und ihren Brüdern geht es vielen. Im Jahr 2011 haben laut Angaben des Bundesministeriums für Inneres (BMI) mehr als 1100 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Österreich erreicht. Die meisten von ihnen kommen aus Afghanistan, Pakistan und  Somalia. Die Jugendlichen fliehen vor Krieg, Verfolgung, Hunger oder Vertreibung. Im Jahr 2012 wurde bis September bereits jeder zehnte Asylantrag in Österreich von einem unbegleiteten minderjährigen Flüchtling gestellt. „Das sind alles Überlebende, die es  hierher schaffen“, sagt Elina Smolinski, Betreuerin in der WG Refugio. Gerade Jugendliche seien in einer sehr verletzlichen Situation,  wenn sie alleine unterwegs sind – besonders die Mädchen. Bis sie es nach Österreich schaffen, sind sie oft monatelang unterwegs.

Doch was im Moment fehlt, sind ausreichend geeignete Unterbringungsplätze für die Jugendlichen. Zwar hat sich die Situation für  unbegleitete Minderjährige laut Smolinski seit der Einführung der Grundversorgung für AsylwerberInnen im Jahr 2004 verbessert, das Problem sei aber, dass es in den vergangenen Jahren immer Schwankungen gegeben habe. Darum ist es auch nie vorhersehbar,  wie viele Plätze benötigt werden.

Erstaufnahme. In der WG Refugio leben momentan acht Mädchen und acht Jungen. Alle besuchen Deutschkurse oder Schulen.  Früher hatte die Caritas zwei Wohngemeinschaften in Wien, eine musste jedoch geschlossen werden, weil Wien die Quotenplätze   übererfüllt hat. „Dass die Plätze für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nicht einmal annähernd ausreichend sind, sieht man an der momentanen Situation in Traiskirchen“, sagt Smolinski. Dorthin kommen die Jugendlichen, bevor sie an die Einrichtungen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufgeteilt werden. Im Moment müssen in Traiskirchen über 500 unter 18-Jährige ausharren,  ohne Zugang zu sozialpädagogischer oder psychologischer Betreuung. Darunter auch unter 14-Jährige, obwohl der  Grundversorgungs- Koordinationsrat im Dezember 2011 festgehalten hat, dass unbegleitete Flüchtlinge unter 14 Jahren nicht in die Erstaufnahmezentren Traiskirchen oder Thalham überstellt werden sollten. Stattdessen sollen sie in Heimen oder Wohngemeinschaften in jenem Bundesland untergebracht werden, in dem sie angehalten wurden und die von den dort ansässigen Jugendwohlfahrtsträgern betrieben werden.

Auch Amel hat drei Monate in Traiskirchen verbracht. Eine Zeit, an die sie sich nicht gerne zurückerinnert, denn „Traiskirchen ist hart.“ Sie erzählt von überbelegten Zimmern, Konflikten mit anderen Flüchtlingen, zu wenig Essen und einer unzureichenden medizinischen Versorgung.

Fremdbestimmtes Alter. Außerdem wurde für Amel in Traiskirchen ein neues Geburtsdatum festgelegt. Nach einer Reihe medizinischer Untersuchungen wurde ihr Alter auf 16 Jahre angesetzt. Laut eigenen Angaben ist sie erst 15. Trotzdem respektiert sie die Entscheidung: „Mir ist es egal, ob ich 15, 16, 17 oder 18 Jahre alt bin, solange ich hier die Möglichkeit bekomme, ein gutes Leben zu führen“, sagt sie und erzählt, dass sie selbst viele Menschen in Österreich viel jünger schätzt. „In Afghanistan arbeiten Kinder schon im Alter von acht Jahren, darum sehen sie im Gesicht auch viel älter aus.“

Smolinski erzählt, dass die Altersbegutachtung für die Jugendlichen eine große Belastung sei. „Sie erleben das als sehr einschüchternd. Es manifestiert sich dadurch, dass ihnen nicht geglaubt wird.“ Außerdem sei es für einen jungen Menschen, der  viele Veränderungen durchgemacht hat und auf der Suche nach seiner Identität ist, verunsichernd, wenn vom Staat ein neues Geburtsdatum festgelegt werde. Auch Herbert Langthaler von der Asylkoordination Österreich stellt die Brauchbarkeit der Methode  in Frage und zweifelt an ihrer ethischen Vertretbarkeit. „Wir haben mehrmals vorgeschlagen, dass in diese rein medizinische, physische Untersuchung auch soziale, gesundheitliche und psychologische Aspekte hineingebracht werden“, sagt Langthaler. Eine Volljährigkeitserklärung hat zudem erhebliche Konsequenzen für eineN MinderjährigeN. Beispielsweise darf er/sie nicht mehr in  einer Betreuungseinrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge wohnen. Viele müssen dann ihre Ausbildung abbrechen und werden in abgelegene AsylwerberInnenheim überstellt, wo es keine Beschäftigungsmöglichkeiten gibt.

Kein Schutz. Obwohl unbegleitete minderjährige Flüchtlinge rechtlich besser gestellt sind und besser betreut werden, stehen die Chancen auf permanentes Asyl schlecht. Bislang wurde ihnen zumeist ein subsidiärer Schutz gewährt, eine Art zeitlich befristetesAsyl, um das immer wieder neu angesucht werden muss. Doch auch dieses wird laut Langthaler in letzter Zeit immer seltener ausgestellt. Abschiebungen nach Afghanistan oder Somalia können aber nicht durchgeführt werden, weil die Botschaftenkeine Heimreisezertifikate ausstellen. Die Folge ist, dass die Flüchtlinge schlecht versorgt und ohne Chance auf eine Arbeit oder eine andere Beschäftigung in Österreich bleiben. Auch Amel hat bereits ihren Antrag auf Asyl eingereicht, bisher aber keine Antwort bekommen. Eigentlich müsste das Bundesasylamt innerhalb der ersten sechs Monate eine Entscheidung treffen. Diese Frist wird laut Smolinski aber kaum eingehalten.

Durchschnittlich beträgt die Wartezeit auf die erste Entscheidung ein bis zwei Jahre, sie mündet meist direkt in ein Berufungsverfahren. Bis das Verfahren abgeschlossen ist, sind die meisten Flüchtlinge, die als Minderjährige nach Österreich gekommen sind, bereits volljährig. Die lange Wartezeit schürt die Ängste der Jugendlichen. „Ich habe Angst, aus dem Land geworfen zu werden und dann zu sterben oder an einen 60-jährigen Mann verkauft zu werden“, sagt Amel.

Zwei Klassen. Neben den lang andauernden Verfahren gibt es auch bei der finanziellen Unterstützung Handlungsbedarf. Die Tagsätze für die Betreuung und die Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen wurde seit dem Jahr 2004 nicht angehoben. Für Smolinski existiert zwischen österreichischen Jugendlichen ohne Eltern und unbegleiteten minderjährigen  Flüchtlingen noch immer eine Ungleichbehandlung. „Da gibt es klar eine Zweiklassengesellschaft“, so Smolinski. Das bestimme auch den Alltag der Jugendlichen, denn sie leben an der Armutsgrenze. Doch kein Grund für Amel, den Mut zu verlieren. Trotz allem sagt sie: „Das Leben ist so schön. Für mich ist es hier, als würde ich eine neue Familie bekommen.“

*Name von der Redaktion geändert.

Die Autorin Elisabeth Mittendorfer ist freie Journalistin in Wien.

Seiten