Prozess

Politischer Prozess

  • 20.03.2014, 12:56

Nikolai Schreiter für progress online über den de facto unmöglichen Zugang zum Asylverfahren auf legalem Weg und warum nicht nur der aktuelle Prozess wegen „Schlepperei im Rahmen einer kriminellen Vereinigung“ in Wiener Neustadt als Politikum verstanden werden muss. Ein Kommentar.

Nikolai Schreiter für progress online über den de facto unmöglichen Zugang zum Asylverfahren auf legalem Weg und warum nicht nur der aktuelle Prozess wegen „Schlepperei im Rahmen einer kriminellen Vereinigung“ in Wiener Neustadt als Politikum verstanden werden muss. Ein Kommentar.

Acht Männer aus Pakistan werden festgenommen und mit dem Vorwurf der „Schlepperei im Rahmen einer kriminellen Vereinigung“ in Untersuchungshaft gesteckt. In Kombination stehen darauf bis zu zehn Jahre Haft. Dort sitzen sie monatelang ohne Anklage. Diese liegt beim Gericht, wird angefochten, für rechtskräftig erklärt, dann dauert es noch ein bisschen – und siebeneinhalb Monate nach den Festnahmen, am 17.03.2014, findet der erste Prozesstermin statt. Was ist daran politisch?

Der erste Anhaltspunkt ist die Repression gegen die Refugeeprotestbewegung durch Polizei und Innenministerium: Die Festnahmen fanden alle in den Tagen nach acht medial und von Protest außergewöhnlich breit begleiteten Abschiebungen nach Pakistan statt. Die Abgeschobenen kamen aus dem Umfeld der Refugee Camp Vienna, der Bewegung, die seit November 2012 gegen Rassismus und für die Rechte von Asylsuchenden und Migrant_innen kämpfte. Abschiebungen nach Pakistan sind ansonsten selten, diese acht haben dennoch stattgefunden. Die Verhaftungen wegen „Schlepperei“ direkt im Anschluss haben das mediale Bild von den geflüchteten Aktivisten verändert, weil einige der Eingesperrten auch zum Umfeld des Servitenklosters gehörten, in das der Protest zu diesem Zeitpunkt von staatlichen und kirchlichen Autoritäten bugsiert worden war. Waren sie während des Protests und gerade durch die Abschiebungen die armen Opfer, denen Unrecht geschieht und die sich dagegen unter starkem öffentlichen Ressentiment auflehnten, wurden sie mit den Festnahmen – medial immer im Kollektiv gehandelt – zu den „bösen Schlepperbossen“. Die Caritas, Hausherrin im Kloster, fühlte sich ausgenutzt und die in Österreich auch aufgrund ihrer relativen Selbstbestimmung ohnehin höchstens tolerierte Bewegung war vollends delegitimiert.

Dahinter Absicht zu vermuten, ist eine Unterstellung aufgrund von Erfahrung. Die strafrechtliche Verfolgung politisch Bewegter mittels Unterstellung organisierter Kriminalität hat in Österreich fast schon Tradition: Im Falle der AMS-4 aus dem Umfeld der unibrennt-Bewegung und der Tierschützer_innen zwar wenig justitiabel, wenn es aber gegen „Fremde“ geht, auch mit heftigen Urteilen: Im Rahmen der Prozesse um die „Operation Spring“ wurden insgesamt mehrere hundert Jahre Haft verhängt. In jedem Fall – auch bei Freisprüchen – trugen die Bewegungen, aus der die jeweils Verfolgten kamen, politischen und die Angeklagten großen persönlichen Schaden davon.

Ein weiterer Grund, warum dieser Schleppereiprozess – unabhängig davon, ob die Angeklagten tatsächlich Menschen über Grenzen geholfen haben – ein politischer, eigentlich politökonomischer, ist, bezieht sich auf die Gesellschaft, die den entsprechenden Paragraphen hervorbringt: Als „Schlepperei“ verfolgt, wird nach Fremdenpolizeigesetz §114 insbesondere die entgeltliche Unterstützung von Menschen beim Grenzübertritt, denen staatlich, also von der Instanz, die Grenzen schafft, der Grenzübertritt untersagt ist. Nationalstaaten und ihre Grenzen wiederum sind notwendig, um die aktuelle Funktionsweise der Gesellschaft – Kapitalismus – aufrecht zu erhalten. Der Staat garantiert als Souverän seinen Bürgern und Bürgerinnen Rechte. Darunter auch jene, sich im Staatsgebiet aufzuhalten, zu arbeiten und als freie und gleiche Warenbesitzer und WarenbesitzerInnen Geschäfte abzuschließen, also aus Geld mehr Geld zu machen. Allen anderen, also denen ohne den entsprechenden Pass, verwehrt der Staat diese Rechte. Um dies wirksam zu tun, muss er sie unter anderem gewaltsam davon abhalten, auf seinem Staatsgebiet Dinge zu tun, die er nicht möchte – in diesem Fall: sich darin aufhalten. Deshalb müssen im Kapitalismus Grenzen kontrolliert, Asylanträge abgelehnt und Menschen abgeschoben werden. „Der Schlepper“ - so er denn wirklich Entsprechendes tut und nicht nur dessen bezichtigt wird – nun unterläuft diesen staatlichen Zugriff und verschafft den vom Nationalstaat Ausgeschlossenen Zutritt. Grenzen und ihr Übertritt unterliegen strenger Kontrolle und die sie illegalerweise Übertretenden können selten einfach ein Ticket kaufen. Stattdessen müssen sie gefährliche, oft tödliche Reiserouten und Verkehrsmittel wählen, etwa Container oder Schlauchboote. Dass diese Gefahren und Zumutungen als moralische Unmenschlichkeit „dem Schlepper“ angelastet wird, ist staatstragende Ideologie. Es ist die Grenzabschottung, die Menschen gefährdet und tötet, nicht die Boshaftigkeit einzelner.

Das allseits beschworene Recht auf Asyl wird durch die Unmöglichkeit, Grenzen legal zu übertreten ad absurdum geführt. Es gibt de facto keine Möglichkeit, in Österreich oder einem anderen EU-Staat Asyl zu beantragen, ohne sich dort aufzuhalten. Asylanträge können nur im Inland gestellt werden, hierzu ist also eine Einreise notwendig. Wird kein Visum gewährt (wie in den allermeisten Fällen), bleibt nur der illegale Weg – und dabei ist oft Hilfe nötig. Diese bieten Schlepper an.

Weil wir im Kapitalismus leben, braucht auch der Schlepper Geld. Er bietet eine Dienstleistung an und verlangt dafür in manchen Fällen Geld, einfach weil die Dienstleistung zahlungskräftig nachgefragt wird. Dienstleistung gegen Bezahlung ist Tausch, ein zutiefst kapitalistischer Vorgang, der den Staat als Hüter des Kapitalismus normalerweise nicht stört. Hier steht er dennoch unter Strafe.

Schlepperei sowie das im Rahmen des illegalisierten Grenzübertritts stattfindende Leid und Tod werden also notwendigerweise vom Kapitalismus und seinem bewaffneten Garanten Nationalstaat hervorgebracht. Im besten staatsbürgerlichen Bewusstsein werden sie aber nicht als eine weitere systemische Zumutung begriffen, deren Erkennen nur zur Kritik des falschen Ganzen führen könnte, sondern moralisierend auf „Schlepper“ projiziert. Mit ihrer Verfolgung werden der Staat, ursächlich für das nicht zu leugnende Leid, und sein Hüter zur Schutzinstanz derer stilisiert, die das Leid seiner Grenzabschottung zu tragen haben. Denn anders als Kapital, Staat, Nation und Grenzen kann „der böse Schlepper“ weggesperrt werden. Ist er einmal hinter Gittern, kann die tödliche Normalität weiter wüten.

Für weitere Informationen und Updates zum Prozess: http://solidarityagainstrepression.noblogs.org/

Nikolai Schreiter studiert Internationale Entwicklung an der Universität Wien.

Das Kreuz mit den Formulierungen

  • 13.07.2012, 18:18

Ingeborg Zerbes forscht am Institut für Strafrecht und Kriminologie unter anderem über österreichisches und europäisches Strafrecht. Mit PROGRESS sprach sie über das Terrorismuspräventionsgesetz, die Unwissenheit der Gesetzes-Schreiberlinge und die Absurdität des TierschützerInnenprozesses.

Ingeborg Zerbes forscht am Institut für Strafrecht und Kriminologie unter anderem über österreichisches und europäisches Strafrecht. Mit PROGRESS sprach sie über das Terrorismuspräventionsgesetz, die Unwissenheit der Gesetzes-Schreiberlinge und die Absurdität des TierschützerInnenprozesses.

PROGRESS: Frau Zerbes, haben Sie Angst vor Terrorismus?

Ingeborg Zerbes: Nein, nicht vor einem konkreten Anschlag in Österreich. Natürlich ist mir bewusst, dass es weltweit ein Problem ist.

Im österreichischen Strafgesetzbuch ist der Begriff Terrorismus nicht definiert. Es wird lediglich ein Typ von Straftaten beschrieben, die unter Terrorismus fallen. Warum ist das so?

Terrorismus ist schwer fassbar. In einem frühen UN-Übereinkommen wird Terrorismus so beschrieben, dass es dabei nicht darum geht, gezielt einer Person Schaden zuzufügen, sondern es sollen so viele Personen wie möglich getroffen werden. Das Ziel von Terrorismus ist es, in der Gesellschaft eine besonders nachhaltige Verunsicherung zu schaffen.

Laut Verfassungsschutzbericht stellt der Terrorismus für Österreich keine größere Bedrohung dar. Dennoch feilt man an einem Terrorismuspräventionsgesetz. Ist die Verhältnismäßigkeit für so ein Gesetz überhaupt gegeben?

Verhältnismäßigkeit ist ein unglaublich dehnbarer Begriff. Wenn es letzten Endes um Leib und Leben geht, dann ist die Verhältnismäßigkeit auf dieser Ebene durchaus gegeben, aber in Hinblick auf die Effizienz und Notwendigkeit eines solchen Gesetzes möglicherweise nicht.

Viele Formulierungen im Terrorismuspräventionsgesetz sind dermaßen unbestimmt, dass ein großer Interpretationsspielraum bleibt. Warum kann man das nicht klarer definieren?

Es ist schwierig – auch für die Autoren von Gesetzestexten – mit Sprache umzugehen. Die Schwierigkeit wird umso größer, wenn bereits der Tatbestand eines Delikts nicht klar umrissen ist. Woraus soll sich ein Verdacht ergeben? Welche Handlungen machen denn verdächtig, wenn man in irgendeiner Vereinigung ein Mitglied ist? Bei dem Tatbestand, die sich gegen gefährliche Gruppen richten, weiß niemand, wann denn eigentlich ein Verdacht vorliegt und damit strafrechtliche Ermittlungen beginnen dürfen.

Wie hoch sehen Sie die Chancen, dass das Terrorismuspräventionsgesetz überarbeitet wird? Beziehungsweise: Glauben Sie, dass die Paragraphen, die noch verhandelt werden, ganz verworfen werden?

Ich denke, die Gesetze werden ohne wesentliche Veränderung durchgesetzt werden. Die Strafdrohung als solche ist nicht das Problem. Ich glaube nicht, dass viele Personen aus Österreich zu Ausbildungslagern fahren und deshalb verurteilt werden. Das Problem ist die Verdachtsrecherche. Bei so einem Gesetz kann es theoretisch passieren, dass Menschen mit muslimischen Wurzeln verdächtigt werden, zu einem Terrorcamp zu fahren, wenn sie ihre Angehörigen in arabischen Ländern besuchen.

Woher kommt der Glaube, dass man mit solchen Gesetzen Terrorismus verhindern kann?

Wenn man naiv ist, könnte man sagen, dass von jenen, die in einem Ausbildungslager waren und deshalb verhaftet worden sind, keine Gefahr mehr ausgeht. Außerdem können Strafdrohungen eine abschreckende Wirkung haben – das ist schließlich der Sinn, eben solche einzuführen.

Ich bezweifle, dass TerroristInnen sich von einer härteren Gesetzgebung abschrecken lassen.

Ich kann mir das auch nicht vorstellen. Im Gegenteil! Ich denke, dass die Wut auf die staatliche Autorität nur noch größer wird. Die Gruppe, vor der man am meisten Angst hat, sind Muslime. Vorbehalte gegen diese Menschen und Strafgesetze, die auf diese Menschen zugeschnitten sind, verursachen noch tiefere Gräben. Ein Kopftuchverbot beispielsweise – das ist jetzt zwar kein Straftatbestand – geht letzten Endes in die gleiche Richtung.

Der §278 wurde nicht nur in Bezug auf das Terrorismuspräventionsgesetz heiß diskutiert, sondern vor allem in Bezug auf den §278a. Er war der Auslöser für den größten TierschützerInnenprozess, der je in der Zweiten Republik stattgefunden hat. Sind die TierschützerInnen eine kriminelle Organisation?

Nein. Nur weil die Tierschützer Wertkartenhandys und einen EDVSpezialisten haben, sind sie noch lange nicht unternehmensähnlich organisiert. Ein Unternehmen hat eine glasklare Weisungshierarchie. Dort kann man sich nicht aussuchen, bei welcher Aktion man teilnimmt oder nicht. Die Tierschützer können das.

Wann hätten Sie den Prozess beendet?

Schon nach der Anklageschrift. Ich hätte die meisten Beweise gar nicht aufgenommen. Wenn es sich um konkrete Delikte handelt, die die Angeklagten begangen haben, dann müssen sie dafür bestraft werden und nicht wegen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation. Mir kommt es so vor, als würde sich die Richterin verpflichtet dazu fühlen, nachträglich all diese Ermittlungsmaßnahmen zu rechtfertigen. Es wurden Beweisaufnahmen bei Dingen geführt, die mit der Sache gar nichts zu tun haben.

Glauben Sie, dass der Prozess mit einem Freispruch endet?

Ich hoffe es.

In der Diskussion rund um den § 278a fordern nun viele, dass man den Paragraphen mit der Bereicherungsabsicht einer kriminelle Organisation einschränkt. Mit diesem Zusatz wäre eine Überwachung der TierschützerInnen nicht möglich gewesen. Warum wird das nicht geändert?
 
Es ist im Moment ein Gesetzesvorhaben in Arbeit. Man muss sich jedoch bewusst sein, dass so eine Veränderung auch verhindern würde, dass zum Beispiel eine rechtsradikale Organisation über den Paragraph 278a bekämpft werden kann. Wenn Rechtsradikale sich organisieren, etwa um Kebap-Stände zu zerstören oder Ausländer zu nötigen, dann können sie auch nur mehr wegen des konkreten Straftatbestandes zur Verantwortung gezogen werden und nicht bereits wegen ihres Zusammenschlusses.