Prostitution

Verhärtete Fronten

  • 22.01.2014, 17:01

Die konfliktgeladene Debatte rund um das Verbot von Sexkauf ist in Österreich und Deutschland neu entflammt. Damit verbunden sind komplexe Fragestellungen zu Menschenrechten, Migrationspolitik und sozialer Sicherheit.
Ein Kommentar von Brigitte Theißl.

 

Die konfliktgeladene Debatte rund um das Verbot von Sexkauf ist in Österreich und Deutschland neu entflammt. Damit verbunden sind komplexe Fragestellungen zu Menschenrechten, Migrationspolitik und sozialer Sicherheit.
Ein Kommentar von Brigitte Theißl.

„Wir fordern: Prostitution abschaffen! Ändert endlich das Zuhälter-Gesetz“, ist auf der Titelseite der aktuellen Emma zu lesen. 90 prominente Persönlichkeiten, die ihren „Appell gegen Prostitution“ unterzeichnet haben – unter ihnen etwa Heiner Geißler, Senta Berger und Sarah Wiener –, hat Alice Schwarzer um sich geschart. Der Appell richtet sich an den Deutschen Bundestag, der 2001 ein Prostitutionsgesetz verabschiedete, das im europäischen Ländervergleich zu den liberalsten zählt. Zeitgleich zum Start der Kampagne veröffentlichte Schwarzer ihr neues Buch „Prostitution – Ein deutscher Skandal“. Wer zum Emma-Jahres-Abo greift, erhält als Geschenk das ebenfalls 2013 erschienene „Es reicht! Gegen Sexismus im Beruf“ – Schwarzer produziert am laufenden Band. Und was Deutschlands berühmteste Feministin sagt, hat Gewicht: Ihre Bestseller werden im Spiegel und in der Bild besprochen, sie ist Dauergast in TV-Talkshows. Feministische Themen, die kaum Eingang in Mainstream-Medien finden, erhalten erst mithilfe von Schwarzer Nachrichtenwert.

Sexkaufverbot. Die in Österreich schon seit einigen Monaten heftig geführte Debatte rund um Prostitution – beziehungsweise Sexarbeit – hingegen wurde bisher vorrangig von feministischen und alternativen Medien abseits des „Malestreams“ aufgegriffen. Auslöser für das erneute Aufflammen der Diskussion war ein Petitionstext: Im April 2013 veröffentlichte der neu gegründete Verein feministischer Diskurs den „Wiener Appell“, der sich am schwedischen Gesetzesmodell orientiert und ein Verbot von Sexkauf fordert. In Schweden ist Sexkauf bereits seit 1999 verboten – unter Strafe gestellt ist dort also nicht das Anbieten der sexuellen Dienstleistung, sondern der Kauf derselben durch die Freier. Was für den Verein feministischer Diskurs und Emma als Vorzeigemodell gilt, wird von vielen Sexarbeiter_innen-Verbänden und NGOs, die sich für die Betroffenen einsetzen, heftig kritisiert. Die feministische Migrantinnen-Organisation LEFÖ pocht etwa auf „eine klare Differenzierung zwischen Frauenhandel, Gewalt in jeglichem Sinn einerseits und (freiwilliger) Sexarbeit andererseits“ und kämpft für die Ausweitung der Rechte von Sexarbeiter_innen in Österreich.

Rund 80 Prozent der Dienstleister_innen, die in Bordellen, Privatwohnungen oder den wenigen erlaubten Zonen am Wiener Straßenstrich, unter zumeist schlechten Bedingungen arbeiten, sind Migrant_innen. Schwarzer und andere Aktivist_innen, die sich für ein Verbot der Prostitution stark machen, sehen Sexarbeiter_innen vorrangig als Opfer von Menschenhandel, als Zwangsprostituierte, die von Zuhältern mit falschen Versprechungen von Ost- nach Westeuropa gelockt wurden. Wie es den zugewanderten Frauen, den wenigen Männern und Transpersonen, die in diesem Sektor arbeiten, tatsächlich geht, darüber gibt es aber – sowohl vonseiten staatlicher Behörden als auch von Wissenschafter_innen – nur wenig aussagekräftiges Datenmaterial. Sexarbeiter_innen sind vielfach von rassistischer und sexistischer Diskriminierung (unter anderem durch Gesetze) betroffen und stehen als eine Art Gegenbild zur bürgerlich-sittsamen Frau im gesellschaftlichen Abseits.

Die Wiener Soziologin Helga Amesberger hat an einer internationalen Studie zu Prostitution mitgear- beitet und dafür mit einer großen Anzahl von Sexar- beiter_innen gesprochen. Amesberger steht Verbots- Modellen äußerst kritisch gegenüber, wie sie unter anderem in einem Interview mit der Tageszeitung Die Presse erzählte. In Schweden etwa sei Prostitution nicht zurückgegangen oder Freier abgeschreckt worden, das Geschäft habe sich vielmehr in die Unsichtbarkeit verlagert. Damit habe sich der Druck auf Sexarbeiter_innen erhöht.

Ausblendungen. Auch wenn sich Sexarbeit als äußerst prekärer Sektor darstellt – der Mythos vom schnell und einfach verdienten Geld entstammt vorrangig Drehbüchern –, kritisieren viele Autor_innen das Ausblenden ermächtigender Aspekte von (migrantischer) Sexarbeit: „Durch die Gleichsetzung von Sexarbeit und Frauenhandel werden Migrant_innen generell als naive Opfer konstruiert und darüber hinaus häufig auf eine sehr sensationalistische Art medial präsentiert. Dass die Migration in die Sexarbeit selbst eine Strategie sein kann, um sich zu wehren, sie eine Möglichkeit sein kann, den patriarchalen Strukturen im Herkunftsland zu entkommen und ökonomische Unabhängigkeit zu erreichen, wird somit völlig ausgeblendet“, schreiben etwa Gergana Mineva, Luzenir Caixeta und Melanie Hamen in der aktuellen Schwerpunkt-Ausgabe des Onlinemagazins Migrazine.at. Die Autorinnen richten ihren Fokus damit auf eine zentrale Perspektive – die ökonomische. Sexarbeit muss vor dem Hintergrund eines wachsenden informellen Dienstleistungssektors und der Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen analysiert werden. Es ist die alte feministische Forderung der eigenständigen Existenzsicherung von Frauen, die in Zeiten europäischer Krisenpolitik höchst aktuell ist. Es gilt jedoch auch, sich im Zuge einer berechtigten Abwehr paternalistischer Zuschreibungen nicht im neoliberalen Diskurs der Freiwilligkeit und Selbstbestimmung zu verstricken: Auch Sexarbeiter_innen, die ihren Beruf freiwillig (also ohne Ausübung von Zwang durch andere Personen) gewählt haben, sind in gesellschaftliche Machtverhältnisse, sexistische und rassistische Gewaltstrukturen eingebettet.

Nicht nur in Österreich und Deutschland wird aktuell über Prostitution diskutiert – so wurde etwa auch in Frankreich ein Gesetzesentwurf zum Verbot von Sexkauf vorgelegt. Angesichts der 2014 anstehenden Wahl zum europäischen Parlament könnte sich die Debatte verschärfen. Diese ist derart vielschichtig, dass ihr eine Zuspitzung auf Legalisierung oder Verbot, auf Freiwilligkeit oder patriarchale Ausbeutung keinesfalls gerecht wird. Auch wenn es dringend Öffentlichkeit für feministische Fragestellungen braucht – die Stärke feministischer Wissensproduktion war immer schon die machtkritische Analyse, nicht die medienwirksame Kampagne.

 

Brigitte Theißl ist Redakteurin des feministischen Monatsmagazins an.schläge, betreibt zusammen mit Betina Aumair den Verein Genderraum und bloggt unter www.denkwerkstattblog.net.

 

Das zur Schau gestellte Elend

  • 12.02.2013, 13:45

Gender, Migration und Repräsentation in Kampagnen gegen Menschenhandel

Gender, Migration und Repräsentation in Kampagnen gegen Menschenhandel

Der Artikel erschien in der Zeitschrift der Frauensolidarität Nummer 121 (3/2012) mit dem Schwerpunkt Medien und Demokratie und wurde uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Die Autorin präsentiert einen Artikel von Rutvica Andrijasevic zur plakativen Darstellung von Migrantinnen im Zusammenhang mit internationalen Kampagnen im osteuropäischen Raum Ende der 1990er-Jahre. Im Folgenden eine Zusammenfassung mit Auszügen daraus.

Die Migration aus Osteuropa hat seit den 1990er-Jahren kontinuierlich zugenommen. Ursache dafür ist nicht nur die Unterbeschäftigung der Frauen in den Herkunftsländern, sondern auch die verstärkte Nachfrage nach weiblicher Arbeitskraft für den Niedriglohnsektor in der Europäischen Union. Diese Nachfrage besteht besonders im Bereich der undokumentierten Haus- beziehungsweise Sexarbeit der Schattenökonomie, in der oft sklavenähnliche Bedingungen herrschen. Der Begriff „Feminisierung der Migration“ spricht auf diese überwiegend weibliche Migration an. Aufgrund der wachsenden Migrationszahlen wird die Auswanderung nicht gerade leicht gemacht – zu den hohen Kosten und Gefahren kommen starke Beschränkungen durch Visum- und Arbeitsrechtbestimmungen, welche die Flucht aus patriarchalen und wirtschaftlich ungünstigen Verhältnissen zusätzlich erschweren.

Die Europäische Union schaffte zwar Binnengrenzen ab, verstärkte dafür aber die Außengrenzen im Osten. Beitrittskandidaten müssen ihre Regelungen an die EU-Richtlinien anpassen, das schafft differenzierte Mobilität zwischen den EU-15-Staaten, den Ländern Mittel- und Osteuropas (MOE-Länder), welche seit Mai 2004 Mitglieder wurden, und jenen Ländern, die keine Beitrittskandidaten sind. Aufgrund der rechtlichen Schwierigkeiten und Gefahren ergibt sich der Bedarf Dritter, die die MigrantInnen bei der Flucht unterstützen und damit erheblichen Profit machen. Dies bringt die Frauen nicht immer ans Ziel, gerade in der Sexbranche wird Migration, die von Dritten organisiert wird, oft als Frauenhandel bezeichnet.

Damit ist die „Überführung von Personen in ausbeuterische und an Sklaverei erinnernde Verhältnisse durch Zwang, Täuschung oder Gewalt identifiziert, und allgemein verbindet man damit sexuelle Sklaverei und organisierte Kriminalität. Tatsächlich dreht sich die Rhetorik des Menschen-/Frauenhandels um das diskursive Binärzeichen Opfer – Verbrecher, und Mafia-ähnliche Organisationen gelten als Protagonisten der Versklavung von Frauen in der Prostitution mithilfe von Gewalt und Schuldknechtschaft.“

Der Artikel von Rutvica Andrijasevic behandelt die in den 1990er-Jahren in osteuropäischen Ländern durchgeführten Kampagnen, welche potenzielle MigrantInnen vor dem herrschenden Menschenhandel warnen sollten. Durchgeführt wurden diese Kampagnen von der Internationalen Organisation für Migration (IOM), die eng mit der Europäischen Kommission und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) kooperiert. Die Autorin untersuchte die Kampagnen in der Tschechischen Republik und den baltischen Staaten und studiert die Repräsentation von Menschenhandel in Bezug auf den Dualismus von Opfern und Tätern.

Die Kampagnen hatten in erster Linie zum Ziel, vor den Gefahren der Auswanderung zu warnen, doch die Darstellung der weiblichen Körper – gefangen, verwundet und unbelebt – verbindet Migration mit Zwangsprostitution, und deren Rat lautet, „zu Hause“ zu bleiben. Weiters wird in dem Artikel auf die Viktimisierung der verwendeten Bilder eingegangen, die Frauen zu Objekten mache, sowie auf die Stereotype der Darstellungen.

Das Bild der selbstständigen Migration von Frauen

In Tschechien arbeitete die IOM 1999 mit La Strada, einer Nichtregierungsorganisation für Frauen, zusammen. Die Autorin beschreibt die Plakate: Es sind vier Bild-Text-Poster: mit dem Foto einer Frau auf der linken und einem Erlebnisbericht auf der rechten Seite. Die Berichte beschreiben, wie die Frauen von Agenturen oder Einzelpersonen in die Irre geführt und schließlich zur Prostitution gezwungen wurden. Beispielsweise antwortete Monika auf eine Zeitungsanzeige für Modelaufnahmen im Ausland und landete schließlich bei einer Pornoproduktion. Die Erzählungen kommen bei der Zwangsprostitution zum Stillstand, als ob diese die Endstation der Migration wäre.

Die Schwarz-Weiß-Darstellung der Bilder, verstärkt durch die vertikale Streckung, inszeniert den Zustand des Gefangenseins. Die Bilder wirken zerquetscht und die Frauen eingeschlossen. Die erniedrigenden Tätigkeiten geschehen vor schäbigem Hintergrund. Die Autorin erklärt das Problem, dass die Kampagne es versäumt, die verschärften Einwanderungskontrollen und die restriktiven gesetzlichen Regelungen am Arbeitsmarkt aufzuzeigen, welche den Menschenhandel und die Ausbeutung eigentlich fördern.

Die binäre Ordnung von Verbrechern und Opfern

Die Darstellung des Menschenhandels setzt auf den vereinfachenden Dualismus, der unschuldige Opfer von bösen Menschenhändlern unterscheidet. Im Folgenden wird diese binäre Logik anhand von Plakaten erläutert. In der Ukraine zeigte ein Plakat 1998 eine riesige Männergestalt, die in der einen Hand einen Käfig mit einer Frau darin hält, in der anderen ein Bündel Geld. In Moldawien wird eine Frauengestalt von einer offensichtlich männlichen Hand in die andere gereicht – und erhält im Gegenzug ebenfalls ein Geldbündel. Genderneutrale Bilder gab es 2001 in der Ukraine, wobei die allumfassende Gefahr des Menschenhandels mit einem Spinnennetz dargestellt wurde. Die Bilder vermitteln eine Vorstellung der Kriminalisierung der Gesellschaften Osteuropas nach 1989. Weiters wird das Bild der Puppe verwendet, um Missbrauch, Ausbeutung und Unfreiheit auszudrücken.

Andere Motive sind Frauen, die hockend abgebildet sind, oder einfach nur weibliche Körperteile, beispielsweise hängende Füße. „FeministInnen betonen den Unterschied zwischen ,Frau als Repräsentation‘ und ,Frau als Erfahrung‘. Frauen in ihrem geschichtlichen Sein und als Subjekte sozialer Verhältnisse dürfen demnach nicht mit ,FRAU‘ verwechselt werden, die ,bloß eine Repräsentation, eine Positionalität im phallischen Modell des Begehrens und Bezeichnens‘ ist.“Andrijasevic erklärt, dass die Repräsentation von Frauen als Puppen ein Teil des patriarchalen Repertoires abendländischer Kultur ist: „Nacktheit, Schnüre und Haken, wie die IOM-Kampagnen sie verwenden, vermitteln nicht so sehr die Ähnlichkeit zwischen ,Frauen als Erfahrung‘ und ,Frau als Repräsentation‘, sondern zeigen vielmehr“, so die These der Autorin, „den Abstand zwischen beiden; sie verwandeln jedes Mal aufs Neue Frauen in FRAU“.                                                                      

Weiblichkeit, Voyeurismus und Tod

„Ein stummer, bewegungsloser, misshandelter weiblicher Körper – der Körper eines Opfers – wird zum Inbegriff der Objektivierung: ein Körper, der ausgestellt wird, ein Körper, der angestarrt werden soll.“

Die Haut spielt dabei eine wichtige Rolle, sie ist das „Grenzobjekt“, das vom anderen trennt, aber auch die „Schwelle“, die verbindet. „Die misshandelte und beschädigte Haut der menschlichen Marionette zeigt ein Subjekt an, dessen Selbst durch die Begegnung mit anderen Körpern unwiderruflich verwundet wird.“

Für Feministinnen ist (politisches) Empowerment, als Anspruchspraxis, aufs Engste damit verknüpft, stereotype Darstellungen als herrschende Repräsentationspraxis anzugreifen. Die IOM wird dem Anspruch, Empowerment zu fördern, nicht gerecht. „Die Konstruktion viktimisierender Bilder unterstützt die Produktion von FRAU als häuslich, passiv und sexuell. Diese Opferrolle stärkt eine ,Politik des Heils‘, der die Privatsphäre als der sicherste Ort für Frauen gilt.“ Somit wird das Empowerment von Frauen und deren Mobilität gehemmt.

Zur Autorin: Beate Rieger studiert Internationale Entwicklung und ist Volontärin der Frauensolidarität in Wien. Sie lebt in Neulengbach (Niederösterreich).

Anmerkung: Andrijasevic, Rutvica: Das zur Schau gestellte Elend. Gender, Migration und Repräsentation in Kampagnen gegen Menschenhandel (S. 123–143). Aus: TRANSIT MIGRATION Forschungsgruppe (Hg.): Turbulente Ränder – Neue Perspektiven auf Migration an den Grenzen Europas. Bielefeld 2007.