Pro/Contra

Schulterklopftage

  • 10.04.2014, 13:41

Die Österreichischen Journalismustage, die am zweiten und dritten April 2014 zum ersten Mal organisiert wurden, hatten ein hehres Ziel: Statt wie sonst nur über Reichweite, Verbreitungskanäle und Finanzierung zu sprechen, wollte man „guten Journalismus“ und „gute Geschichten“ zum Thema machen.

Die Österreichischen Journalismustage, die am zweiten und dritten April 2014 zum ersten Mal organisiert wurden, hatten ein hehres Ziel: Statt wie sonst nur über Reichweite, Verbreitungskanäle und Finanzierung zu sprechen, wollte man „guten Journalismus“ und „gute Geschichten“ zum Thema machen.

Damit aus der eintägigen Konferenz im Museumsquartier doch noch die Journalismustage werden konnten, starteten die Journalismustage am Mittwochabend im Presseclub Concordia mit einer kurzen Einführung von Astrid Zimmermann, danach trug Florian Scheuba („Wir Staatskünstler“) aus seinem Programm vor. Das sollte dazu anregen, über die angeblich unklaren Grenzen zwischen Journalismus und Satire zu reflektieren, löste bei manchen aber eher Kopfschütteln aus. 

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Über Satiregeschmack lässt sich streiten – über die Frage, ob ein Satireprogramm über die österreichische Politik der letzten zwanzig Jahre so viel mit Journalismus zu tun hat, ebenfalls. Die befürchteten „Satiretage“ sollten jedoch ausbleiben, wurde auf twitter beruhigt.

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Eine Diskussion über die Frage, was Satire denn eigentlich darf, wäre auf jeden Fall lehrreicher gewesen.

Nach Frühstück und Begrüßung begann die eigentliche Konferenz gleich mit der Keynote, die ZiB2-Moderator Armin Wolf hielt. Er beantwortete die rhetorische Frage „Machen die Medien die Politik kaputt?“ mit einem deutlichen Jein, um dann die Fehlleistungen heimischer Politiker_innen aufzuzählen und genüsslich auszubreiten. Wenn „Medien“ die Politik kaputt machen, dann laut Wolf aber nicht die professionellen, sondern Online-Foren und soziale Medien. Das Leben von Journalist_innen würde dazu immer schwieriger, denn viele Politiker_innen hätten ein Mediencoaching und würden Interviewfragen nicht wie gewünscht beantworten. Fast hätte man glauben können, der Titel der Keynote sei „Macht die Politik die Medien kaputt?“ gewesen, da kam zum Schluss doch noch das wenig überraschende Eingeständnis, dass Medien „alles andere als fehlerlos“ seien. Wir lernen: Auch ein verdienter Journalist wie Armin Wolf ist nicht davor gefeit, sein Thema zu verfehlen. Und spricht nur dann von „Kolleginnen", wenn es um Ballkleider geht.

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Für alles andere reichten die „Kollegen“. Die ganze Keynote lässt sich auf diepresse.com nachlesen.

Das folgende Programm bestand vor allem aus Diskussionsrunden, denen ein kurzer Vortrag voranging. Über die Schwierigkeiten von guter Recherche, über gesponserte und organisierte Auslandsberichterstattung und über das oft problematische Näheverhältnis von Politik und Journalismus (schon wieder) wurde diskutiert, das aber wenig kontrovers. Wie auch, denn jene, die schlechten Journalismus machen, waren an den Journalismustagen nicht anwesend. So klopfte man sich gegenseitig auf die Schulter und zeigte mit dem Finger auf den Boulevard (oder „die Politik“), die nötige Selbstkritik blieb aber leider aus.

Spätestens beim Thema Auslandsberichterstattung zeigte sich, dass sich Journalismus leider nicht abgekapselt von der finanziellen Situation der Medienhäuser betrachten lässt: Auslandskorrespondent_innen sind teuer und wer sie sich nicht leisten kann oder will, schickt seine Journalist_innen eben auf die von NGOs oder Regierung bezahlten und organisierten Reisen. Am Podium und im Publikum schien eine gewisse Nostalgie vorzuherrschen, denn über die Zukunft des Journalismus wurde erstaunlich wenig gesprochen.

Lichtblicke waren die Präsentationen abseits der Diskussionsrunden. Ein Vertreter des Medienwatchblogs Kobuk zeigte ein „Best Of“ vergangener Medienpannen und -katastrophen. Boulevardmedien, insbesondere Gratiszeitungen kamen hier zur Belustigung der Anwesenden natürlich sehr schlecht weg. Die sogenannten „Kurzmeldungen“, in denen Journalist_innen fünf Minuten und fünf Slides lang Zeit hatten, ihre Thesen zum Journalismus vorzustellen, waren besonders erfrischend. Das Format, auf Technologie- und Hacker_innenkonferenzen als „Lighting Talks“ bekannt, lockerte die Konferenz auf und bot interessante Inputs, zum Beispiel über die Recherchemöglichkeit von staatlichen und amtlichen Informationen durch die Initiative „Frag den Staat“. Auch über Quellentransparenz, Links als Qualitätsmerkmal und sogenannte „he said she said“-Geschichten waren kluge Gedanken zu hören.

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Eindeutiger Höhepunkt des Tages war die Präsentation des Dossier.at-Schwerpunkts zum Thema Asyl. Florian Skrabal erklärte die Herangehensweise an Materialsammlung, Recherche und Aufbereitung des Pilotprojektes, das die Lebensbedingungen von Asylsuchenden in Österreich genauestens dokumentierte. Leider war der Saal des Quartier21 im Wiener Museumsquartier bereits deutlich leerer als noch am Vormittag.

Insgesamt dürfen die Veranstalter_innen der Journalismustage wohl zufrieden sein: das Event war gut (und in sehr kurzer Zeit) organisiert, die Räumlichkeiten ansprechend, die Geschlechterquote auf der Bühne ausgewogen. Die Themenauswahl hätte aber breiter sein können, denn abgedeckt waren so gut wie nur die  Ressorts „Wirtschaft“, „Innenpolitik“ und „Außenpolitik“. Feuilleton, Wissenschaft und Sport waren leider so gut wie kein Thema. Dabei gilt es auch in diesen Sparten, die eigenen journalistischen Arbeitsweisen immer wieder kritisch in Frage zu stellen. Journalist_innen mit Migrationshintergrund oder People of Colour fehlten ebenfalls auf der Bühne. Blogs und soziale Netzwerke kamen in den Diskussionen fast nur als Gegenspieler_innen der klassischen Medien vor. Dabei hat Österreich doch grandiose Projekte wie zum Beispiel neuwal.com. Freie Medien (wie z.B. die freien Radios, freie Kanäle oder Zeitschriften wie MALMÖ oder über.morgen) wurden weitestgehend ignoriert, dabei findet sich wirklich kritischer Journalismus oft in diesen Redaktionen. Wünschenswert wären neben einem kritischeren Umgang mit Sprache auch mehr Diskussion zur Zukunft von Journalismus, mehr Visionen darüber, wie Medien in zehn Jahren funktionieren könnten, gewesen.

Allerdings: Die Journalismustage 2015 sind angedacht und bringen hoffentlich einen tiefergehenden Diskurs über die österreichische Medienlandschaft.

 

Anmerkung: Auch Maximilian H. Tonsern besuchte die Veranstaltung. Seinen Eindruck könnt ihr hier nachlesen.

 

Joël Adami studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien.

 

Webtipp: http://journalismustage.at/

Twitternachlese: #jt14

In persönlicher Integrität unangreifbar

  • 10.04.2014, 13:22

Am 03. April 2014 fanden in Wien die ersten Österreichischen Journalismustage statt. Namhafte JournalistInnen trafen sich mit anderen, eher unbekannteren, aber nichtsdestotrotz dennoch qualitativ hochwertig arbeitenden KollegInnen zum Stelldichein. Von kritischen Blicken, Verhaberung mit Bier und vielen aufgestellten Thesen.

Am 03. April 2014 fanden in Wien die ersten Österreichischen Journalismustage statt. Namhafte JournalistInnen trafen sich mit anderen, eher unbekannteren, aber nichtsdestotrotz dennoch qualitativ hochwertig arbeitenden KollegInnen zum Stelldichein. Von kritischen Blicken, Verhaberung mit Bier und vielen aufgestellten Thesen.

Einen kritischeren und etwas ehrlicheren Blick auf „die Branche“ zu werfen, das war laut Ingrid Brodnig (Falter) Sinn und Zweck der Journalismustage, die am 2. und 3. April im Museumsquartier in Wien stattfanden. Brodnig, die neben Josef Barth (Forum Informationsfreiheit), Mitglied des Organisationsteams war und auch selbst einen kurzen Vortrag zur Quellentransparenz hielt, wollte einen Mix aus Journalisten und Journalistinnen, die entweder schon lange im Geschäft sind und „wissen, wie der Hase läuft“, oder die noch nicht so weit in ihrer Karriere sind und dennoch schon spannende eigene Projekte aufgestellt haben.

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Mit Referenten und Referentinnen wie Renate Graber (Der Standard), Antonia Gössinger (Kleine Zeitung), Martin Staudinger (profil) und Martin Blumenau (FM4) sowie Armin Wolf (ORF) gelang dieser Mix durchaus. Wolf, der den Hauptteil der Veranstaltung mit einem Vortrag zum Thema „Machen Medien Politik kaputt?“ eröffnete, startete damit eine durchaus selbstkritische und  bemühte Vortragsreihe, die im gesamten nur dadurch negativ auffiel, dass sich fast niemand um gendergerechte Sprache kümmerte.

Wolf, der die Frage in den Raum warf, ob Medien Politik kaputt machen respektive ob es nicht gar die Politiker und Politikerinnen seien, die ihren Berufsstand zerstören, konnte die Frage im Vortrag nicht beantworten. Dennoch wartete er mit interessanten Statements auf. Und mit Zugeständnissen: „Nicht immer ist das, worüber am ausführlichsten berichtet wird, auch das Wichtigste. Nicht jede Journalistenfrage ist immer von überragender Sachkenntnis getragen.“

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Weiters denkt er, dass der Journalismus eine Branche sei, in der Selbstkritik vernünftigerweise relativ offen verläuft – und es notwendig sei, dass das Publikum Medien auf Fehler hinweist. Die passieren nämlich häufig und öfters als in anderen Berufen. Die Gründe darin findet Wolf im extremen Zeitdruck und in der geringen Größe österreichischer Redaktionen.

Nach Wolf betrat Renate Graber, Wirtschaftsredakteurin von Der Standard, das Podium. Sie sprach über den schmalen Grat zwischen Mut und journalistischer Sorgfaltspflicht. Durch mehrere Praxisbeispiele bewies sie, dass Recherchieren durchaus Freude bereiten kann, aber auch Mut und vor allem Vertrauen von Seiten der Chefredaktion braucht. Mit dem mutigen Plädoyer, dass JournalistInnen manchmal an die Grenze gehen müssen, vor allem wenn der Staat Grenzen überschreitet, spricht sie auch die These, Journalismus müsse als vierte Macht im Staat fungieren, an. Diese Ansicht teilt auch Josef Barth, der die Journalismustage initiierte: „Ich glaube, es ist unglaublich notwendig, den Charakter von Journalismus als vierte Macht in Österreich aufrechtzuerhalten.

In der anschließenden Podiumsdiskussion ging es aber von bekräftigenden Worten wieder zurück zu einer Diskussion rund um Fehler. Von Quellentransparenz, die keine Möglichkeit, sondern eine Verpflichtung sein sollte, war die Rede. Davon, dass Journalismus ein Gedächtnis braucht. Köpfe nickten, das Mikrofon wurde für Wortmeldungen herumgereicht. Und ein Teil der österreichischen Twitteria explodierte nahezu.

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Im weiteren Verlauf des Vormittages stellte Helge Fahrnberger ein Best-Of des erfolgreichen Medien-Watchblogs Kobuk.at vor und zeigte, dass nicht nur im Boulevard Kampagnenjournalismus und Spins zu finden sind. Nach der Mittagspause referierte Martin Staudinger (profil) über Auslandsberichterstattung und dessen Achillessehne. Die reißt nämlich gerne, wenn AuslandsjournalistInnen Reisen angeboten bekommen - zum Beispiel von Kanzler oder Caritas - und so wiederkäuen, was ihnen gegeben wird, anstatt sich selbst Geschichten zu suchen.

Zudem verlor er einige Worte zur Euromaidan-Krise. Diese war nämlich ein Armutszeugnis für den Journalismus: Es wurde erst umfassend berichtet, als es Tote gab, und jene, die bereits zuvor kontinuierlich berichteten, könne man an einer Hand abzählen. Weiters besteht ein krasser Gegensatz zwischen Kommentaren und Reportagen – anhand der Tageszeitung Der Standard, die aber mit dieser Negativserie nicht alleine im österreichischen Mediendschungel dasteht, wurde dies mehr als offensichtlich dargestellt.

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Im darauffolgenden „Kurzmeldungsblock“, in dem mehrere Referenten und Referentinnen jeweils fünf Minuten über diverse Themen sprachen, kamen nebst Ingrid Brodnig auch Christine Grabner (ORF), Markus Hametner (transparenzgesetz.at), Sonja Fercher (Freischaffende) und Dominik Sinnreich (Puls 4) zu Wort, ehe Antonia Gössinger (Kleine Zeitung) ihren Vortrag „Zu nah dran“ über die Begünstigung von JournalistInnen durch PolitikerInnen hielt.

Während es Armin Wolf am Vormittag noch in Ordnung fand, mit PolitikerInnen auf einen Kaffee zu gehen (Bier trinkt er nämlich nicht), da dies zum Job gehöre, plädierte Gössinger darauf zu achten, dass „der Journalist nur über ein Kapital verfüge – seine Glaubwürdigkeit.“ Und mit der habe er/sie gut umzugehen, denn Verhaberung mindere den Qualitätsjournalismus enorm. „Der Anspruch am Journalisten“, so Gössinger, „muss sein, dass er in seiner persönlichen Integrität unangreifbar ist.“

Seltsamerweise sprach Gössinger aber auch, wie schon ReferentInnen zuvor, davon, dass die „ältere Generation“ den jüngeren, unerfahrenen JournalistInnen vermitteln solle, wie journalistisches Handwerk zu funktionieren habe. Die Meinung, dass auch Jüngere den „Alten“ etwas mitteilen, zeigen und lehren können, schien unter den Vortragenden niemand zu vertreten.

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Nach Gössinger bewies Florian Skrabal mit Dossier.at, dass Idealismus durchaus belohnt wird - und es mehr als verdient, mit #goodjournalism betitelt zu werden. Nach dem letzten Klatschen kehrten die meisten der Besucher und Besucherinnen wieder dahin zurück, wo sie herkamen – in eine Redaktion. Um, vielleicht im Glauben gestärkt, weiterhin auszuüben, worüber den herrlichen Tag lang Diskurs geführt wurde: qualitativ hochwertigen Journalismus.

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Anmerkung: Auch Joël Adami besuchte die Veranstaltung. Seinen Eindruck könnt ihr hier nachlesen.

 

Maximilian H.Tonsern studiert Journalismus & PR an der FH Joanneum in Graz.

 

Webtipp: http://journalismustage.at/

Twitternachlese: #jt14

 

 

Über den „Guten Journalismus“ – Zwei Perspektiven

  • 10.04.2014, 13:05

Am 2. und 3. April fanden im Museumsquartier in Wien die Österreichischen Journalismustage statt.
Unsere beiden Autoren Joel Adami und Maximilian H. Tonsern waren unter den TeilnehmerInnen und beschrieben für progress online ihre Eindrücke. Zwei unterschiedliche Perspektiven:

Zwischen unangreifbarer Integrität und gegenseitigem Schulterklopfen – Die Österreichischen Journalismustage aus zwei Perspektiven

Am 2. und 3. April fanden im Museumsquartier in Wien die Österreichischen Journalismustage statt.
Unsere beiden Autoren Joël Adami und Maximilian H. Tonsern waren unter den TeilnehmerInnen und beschrieben für progress online ihre Eindrücke.

Dieselbe Veranstaltung aus zwei unterschiedlichen Perspektiven:

 

In persönlicher Integrität unangreifbar - Maximilian H. Tonsern

Schulterklopftage - Joël Adami

 

Webtipp: http://journalismustage.at/

Twitternachlese: #jt14

Schlagabtausch: Vollbeschäftigung

  • 01.10.2012, 12:18

Vollbeschäftigung: Pro und Contra

PRO Vollbeschäftigung

VOLLBESCHÄFTIGUNG: EIN WEG UND ZIEL

Vollbeschäftigung wurde in den letzten Jahren als Begriff ausgedehnt. In Österreich wird die Vollbeschäftigung ausgerufen, wenn die Arbeitslosenquote unter die 3,5-Prozent-Marke sinkt. Es stellt sich aber die Frage, was sich hinter diesen Prozentzahlen verbirgt, und warum die Linke von der Forderung nach Vollbeschäftigung nicht Abstand nehmen darf.
Klar ist, dass es im derzeitigen kapitalistischen System die 100-prozentige Beschäftigung nicht geben kann, weil es immer Menschen geben wird, die gerade Job wechseln oder ein paar Monate auf der Suche nach ihrem ersten Arbeitsplatz sind. Die derzeitige staatliche Definition vom Zustand der Vollbeschäftigung ist aber sicherlich weit entfernt von dem Ziel, das eine systemkritische Position verfolgt. Vollbeschäftigung darf nicht bedeuten, dass eine Zahlenbeschönigung durch AMS-Programme stattfindet, dass Frauen nach wie vor in prekären Arbeitsverhältnissen leben müssen oder in Teilzeit gedrängt werden. Diese Entscheidung muss eine individuell zu treffende sein, was sie momentan nicht ist. Dennoch ist eine echte Vollbeschäftigung, bei der der Arbeitsmarkt Platz für alle bietet, ein gesamtgesellschaftliches Ziel, das es zu verfolgen gilt.

Wer sich eine Gesellschaft nach Solidaritätsprinzip wünscht, wird schnell erkennen, dass das am besten funktioniert, wenn alle arbeitsfähigen Menschen auch tatsächlich Arbeit finden. Arbeit, die sie fördert und fordert und nicht krank macht, oder sie in die Klasse der sogenannten Working Poor drängt. Allein eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, sprich die Abkehr von der regulären 40-Stunden-Woche, würde die Schaffung vieler neuer Arbeitsplätze bedeuten und Menschen auch wieder mehr Zeit geben, sich gesellschaftlich und politisch zu engagieren. Der Weg von einer kapitalistischen Gesellschaft zu einer sozial-solidarischen mit neuem Arbeitsbegriff kann nur über Vollbeschäftigung passieren. Wir dürfen uns nur die Definition des Begriffes nicht entreißen lassen und müssen den Arbeitskampf endlich wieder mit vereinten Kräften aufnehmen.

Mirijam Müller studiert Medizin an der Meduni Wien.
 

CONTRA Vollbeschäftigung

VOLLBESCHÄFTIGUNG - GEHT'S NOCH?

Gemeinsam mit meiner AMS-Betreuerin arbeite ich daran, dem Zustand der Vollbeschäftigung in Österreich in Zeiten der Krise näherzukommen. Zur Schönung der diesbezüglichen Statistik trainiere ich fünf Wochen lang mit zwei Dutzend anderen „Überflüssigen“, mich am Arbeitsmarkt richtig zu positionieren und meine Nische am Markt zu lokalisieren. Der Geheimtipp der Trainer*innen bei völliger Missachtung der gesellschaftlichen Verhältnisse: Du kannst alles erreichen, wenn du es nur wirklich willst. Und wenn es mit dem Traumjob doch nicht klappt, bist du jedenfalls selbst schuld. Diese „Maßnahme“ ist allerdings noch die harmlose Variante.

Abgesehen davon: Vollbeschäftigung im Kapitalismus langfristig zu realisieren, ist rein ökonomisch unmöglich, denn die damit kurzfristig erreichbaren hohen Löhne führen schließlich zu sinkendem Mehrwert und damit über kurz oder lang zu einer notwendigen Steigerung der Produktivkräfte. Diese Erhöhung des Ertrages lässt sich beispielsweise durch neue Maschinen realisieren, wodurch Arbeitskräfte letztlich wieder freigesetzt werden.
Und außerdem: Was wäre mit einer Vollbeschäftigung überhaupt gewonnen? Die Ausbeutung (also: die Nicht-Bezahlung des durch die Arbeitskraft produzierten Mehrwerts) endlich auch der „Langzeitarbeitslosen“ und „nicht vermittelbaren“ Klient*innen des AMS, sofern das in den aus- und vorgelagerten „sozialökonomischen“ Betrieben nicht ohnehin schon und in noch viel krasserem Ausmaß geschieht?

Wäre es nicht vielmehr an der Zeit, den Zwang zum Verkauf der eigenen Arbeitskraft bei ansonsten drohendem persönlichem Untergang auf dem Müllhaufen der Geschichte zu entsorgen? Das hieße wiederum, an die Stelle der Verwertung des Kapitals endlich die menschlichen Bedürfnisse zu setzen – damit man und frau sich schließlich geruhsam auf ihr Recht auf Faulheit zurückziehen, oder, jenseits jeglichen Arbeitszwangs in jener Art und Weise betätigen kann, die die Bezeichnung „Arbeit“ nicht mehr verdient. Um mit Marx zu sprechen: Jede nach ihren Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!

Die Autorin möchte anonym bleiben.

Schlagabtausch: Integration

  • 01.10.2012, 12:13

Integration: Pro und Contra

PRO Integration

EIN GEFÜHL DER ZUGEHÖRIGKEIT

Das Gefühl, integriert und gleichzeitig ein Teil der Gesellschaft zu sein, ist ein wichtiger Faktor im gesamten Migrationsprozess. Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist für Menschen, deren Migrationshintergrund sichtbar ist, bedeutend schwerer. Die Erfahrungen, die dabei gemacht werden, prägen diese Menschen in ihrem weiteren Integrationsprozess – sowohl positiv als auch negativ. Erfahrungen, bei denen Diskriminierung, Nicht-Anerkennung und Dequalifizierung erlebt werden, wirken lähmend, frustrierend und demotivierend.

In einer Zeit, wo die Mobilität der Arbeitenden immer selbstverständlicher wird, und Menschen zunehmend versuchen, durch Länder- oder Jobwechsel ihre Lebenssituation zu verbessern, muss ebenfalls selbstverständlich sein, dass Menschen mit ihren Erfahrungen, Ressourcen, Kompetenzen und Ausbildungen gesehen werden, und nicht vorrangig nach Name, Geburtsort, Muttersprache oder Religion beurteilt werden. Die Sprache spielt im gesamten Integrationsprozess eine wichtige Rolle. Ihre Vermittlung muss so schnell wie möglich und von Anfang an stattfinden, damit das Gefühl der Zugehörigkeit wachsen kann. Derzeit sind die größten Hindernisse beim Zugang zum Arbeitsmarkt Sprachschwierigkeiten, nicht anerkannte Ausbildungen und Informationsdefizite. Das Ziel ist, von einer absolut defizit- und ausgrenzungsorientierten Diskussion wegzukommen, hin zu einem ressourcenorientierten Denken: „Was kann die Person?“ anstatt „Was kann sie nicht?“. Aufgrund der oft negativen Darstellung fehlt die Wertschätzung für das, was ZuwandererInnen können und an Ausbildung und Erfahrung mitbringen. Die Lernbereitschaft und Motivation dieser Menschen wird oft unterschätzt. Für den Versuch, das zu ändern, spielen Unternehmen eine wichtige Rolle. Sie müssen viel mutiger werden und sehen, dass „diverse/s“ Personal und Teams eine Bereicherung – in jeder Hinsicht – für das Unternehmen sind.

Moluksadat Homayouni ist Integrationsbotschafterin im Rahmen des Projekts „Zusammen Österreich“.
 

CONTRA Integration

„IVO, JETZT BIST DU EIN ECHTER ÖSTERREICHER!“

Diese Schlagzeile der Kronen Zeitung nach dem WM-Tor des Nationalspielers Ivica Vastić gegen Chile 1998 hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt, da sie ein Sinnbild für die Integrationspolitik dieses Landes ist. Die Tatsache, dass Ivica Vastić seine Staatsbürgerschaft schon 1996 erhielt, war irrelevant, denn erst ein Tor, sprich eine Leistung für Österreich, und nicht der Pass, machte ihn zum „echten Österreicher“.

Austria-Trainer Vastić ist auch ein ausgezeichnetes Vorführobjekt für Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz, soll er doch Vorbild sein für all die schulschwänzenden Mustafas und Alis aus den städtischen Außenbezirken. Dem rassistischen Otto-Normalösterreicher soll er signalisieren, dass es auch gute Tschuschen gibt, die das Land voranbringen, und den Tschuschen soll er zeigen, dass sie es auch zu etwas bringen können, wenn sie sich nur anstrengen und etwas leisten.

Bei Kurz’ Suche nach dem_der „Supermigrant_in“ werden soziale Selektion in den Bildungseinrichtungen, der rassistische Normalzustand in Österreich und zunehmend schlechtere Aussichten für Migrant_innen am Arbeitsmarkt nicht nur verschleiert, sondern schlichtweg ignoriert. Eine Politik à la "die Guten ins Tröpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen" ändert nichts an der Situation von Migrant_innen, da sie für ein angebliches Scheitern selbst verantwortlich gemacht werden. Das Sichtbarmachen von Migrant_innen ist zwar durchaus positiv, doch nur in Verbindung mit anderen Maßnahmen auch sinnvoll. So braucht es eine Förderung in den Bildungseinrichtungen (Stichwort: Gesamtschule), die Bekämpfung der Diskriminierung am Arbeitsmarkt und eine Politik, die sich an den Lebensrealitäten der einzelnen Menschen orientiert, die die Unterteilung in Migrant_in und Nicht-Migrant_in nicht weiter positiv besetzt und die erfolgreiche Einzelschicksale nicht zum Maß aller Dinge erklärt.

Fanny Rasul studiert Politikwissenschaft an der Universität Wien.

Schlagabtausch: Grundeinkommen

  • 01.10.2012, 12:06

Grundeinkommen: Pro und Contra

PRO Grundeinkommen

ARBEIT NERVT. MUSS SIE ABER NICHT.

Für ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) zu sein, bedeutet nicht, bedingungslos für Grundeinkommen zu sein. Gegner_innen sind aber bedingungslos gegen eine grundsätzliche Existenzsicherung für alle. Den Diskurs des BGE nur entlang der Finanzierbarkeit zu führen, ist der einfachste Weg, um sich nicht mit den verschiedenen Aspekten von Grundeinkommen beschäftigen zu müssen. Visionen werden so dem Sachzwang geopfert. Ohne BGE ist Arbeit nicht mehr als ein Produkt, dessen Wertigkeit nicht rational daran bemessen wird, welche Auswirkungen es auf und für die Gesellschaft hat. Ihre Entlohnung orientiert sich stattdessen an irrationalen gesellschaftlichen Normen und Systematiken. Solange es Erwerbsarbeit im herkömmlichen Sinne gibt, die zur Sicherung von Existenzen benötigt wird, ist Arbeit ein Zwang – und damit ein wichtiger Faktor, wenn es um die zahlreichen Schieflagen in unserer Gesellschaft geht. Hingegen würde bedeuten, dass der Arbeitsplatz dann nicht mehr die wichtigste Institution wäre, mit der man in Wechselwirkung tritt. Die grundsätzliche Teilhabe an der Gesellschaft – wie auch die Möglichkeit, sich ihr ohne Existenzverlust entziehen zu können – sind essentielle Aspekte, die für ein bedingungsloses, existenzsicherndes Grundeinkommen sprechen.

Die Denkweise, dass sich jede arbeitsfähige Person dem Arbeitsmarkt unterordnen muss, wird ersetzt. Die Schaffung von Möglichkeiten dafür, Beiträge für die und in der Gesellschaft zu leisten, rückt ins Zentrum der politischen Debatte. Es geht um einen Paradigmenwechsel: Zentral ist nicht mehr, wie viele Freizeitmöglichkeiten man sich individuell am Arbeitsmarkt erkämpfen kann. Vielmehr geht es darum, dass Arbeit auch wirklich sinnstiftend wirkt. Wer so naiv ist, zu glauben, ein BGE erledige alles, erledigt damit auch eine Diskussion rund um das BGE. An der Debatte der Verteilungsgerechtigkeit kommen wir damit nicht vorbei – die Voraussetzungen dafür sind aber weit bessere.
 

CONTRA Grundeinkommen

KNAPP VORBEI IST AUCH DANEBEN.

Menschen sollen die Möglichkeit haben, ein eigenständiges Leben abseits des kapitalistisch-reproduktiven Erwerbszwanges zu gestalten: So die Hauptidee des bedingungslosen Grundeinkommens (BGE). So richtig dieser Anspruch auch ist, so wenig wird ihm das Grundeinkommen gerecht. Es mag stimmen, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen in der Theorie einen Beitrag zur Abschaffung der warenproduzierenden Wirtschaftsweise leisten kann. Tatsächlich führt ein BGE aber an der zentralen Frage vorbei: „Wem gehört aus welchen Gründen was in unserer Gesellschaft?“ Grundeinkommen-Befürworter_innen umgehen die Frage, warum nicht die gesamte Wirtschaftsleistung einer Gesellschaft gleichmäßig auf alle zu verteilen ist. Wieso sollte es überhaupt gerechtfertigt sein, dass es Leute gibt, die mehr verdienen als andere? Es würde finanziell schlechter gestellten Menschen für die eigenständige Gestaltung des eigenen Lebensentwurfes zwar neue Möglichkeiten eröffnen, jedoch wären diese ebenfalls nur begrenzt.

Der Betrag, den man durch ein BGE umverteilen würde, stellt nur einen Bruchteil des gesamten zur Verfügung stehenden Vermögens einer Volkswirtschaft dar. Die Super-Vermögen und Super-Einkommen – und damit einhergehende wirtschaftliche und realpolitische Macht – würden auch nach dessen Einführung weiterhin zirkulieren. Ein bedingungsloses Grundeinkommen, das allen unabhängig von ihrer materiellen Ausstattung denselben Betrag zuspricht, widerspricht dem Grundgedanken eines progressiven Steuersystems nach dem Leistungsprinzip. Während hier diejenigen, die materiell mehr beitragen können, auch höhere Steuern zu zahlen haben, verringert sich der Betrag bei jenen, die es nicht können. Diesen Grundmechanismus gilt es auch auf staatliche Zuwendungen umzulegen, wenn man schon nicht die oben genannte Grundsatzfrage thematisieren will. Wieso sollte der Staat aus den Steuergeldern aller auch jenen einen Beitrag leisten, die aufgrund von FreundInnenwirtschaft und Erbschaften ohnehin leben wie Gott in Frankreich? Von grundlegender Umverteilung kann also keine Rede sein.