Objektbiographien

Was wollen umstrittene ‚Objekte’?

  • 29.11.2016, 13:24
Möglichkeiten eines sensiblen Umgangs mit umkämpften ‚Objekten’ in Sammlungen und Museen sowie verschiedene Formen von Rückgaben standen bei einer Konferenz in Florenz zur Diskussion. Ein Bericht.

Möglichkeiten eines sensiblen Umgangs mit umkämpften ‚Objekten’ in Sammlungen und Museen sowie verschiedene Formen von Rückgaben standen bei einer Konferenz in Florenz zur Diskussion. Ein Bericht.

Zwischen 21. und 22. Oktober 2016 fand am Kunsthistorischen Institut in Florenz, das seit 2002 der Max-Planck-Gesellschaft angegliedert ist, die Konferenz „What do contentious objects want? Political, epistemic and artistic cultures of return” statt. Organisiert wurde die Veranstaltung von Felicity Bodenstein und Eva-Maria Troelenberg vom Forschungsprojekt „Objects in the Contact Zone – The Cross-Cultural Lives of Things“ am Kunsthistorischen Institut Florenz, in Zusammenarbeit mit Damiana Otoiu vom Forschungsprojekt „Museums and Controversial Collections. Politics and Policies of Heritage-Making in post-colonial and post-socialist Contexts“ am New Europe College Bukarest. Die Konferenz ist Teil einer zunehmenden akademischen Auseinandersetzung mit der oft problematischen Provenienz von ‚Objekten’ in Europäischen Sammlungen und Museen. Entfacht wurde diese durch Restitutions- und Repatriierungsforderungen verschiedener Interessensgruppen.

Es war der Versuch, einen sehr weiten Bogen zu schlagen: Archäologische und ethnographische Artefakte und Kunstwerke als auch menschliche Überreste standen zur Diskussion. Es ging um europäische, afrikanische, ozeanische Verflechtungen, nationalsozialistische, koloniale und sozialistische Kontexte und deren Nachleben. Dabei sollten – umrahmt von zwei Vorträgen zu theoretischen Zugängen zu ‚Objekten’ und ihrer agency – anhand von konkreten Fallstudien zu (teils noch ausstehenden) Rückgaben auch Perspektiven unterschiedlicher Disziplinen vorgestellt werden. So waren nicht nur Kunsthistoriker_innen unter den Redner_innen, sondern auch Archäolog_innen, Ethnolog_innen, Historiker_innen, Jurist_innen und ein Aktivist. Etwas gewagt war hier Felicity Bodensteins Beschreibung dieses Zusammentreffens so unterschiedlicher ‚Objekte’ und Disziplinen als contact zone. Sie machte in ihrer kurzen Vorstellung des konzeptuellen Framings der Konferenz auch den Vorschlag, statt von ‚Praktiken der Rückgabe’ von ‚Kulturen der Rückgabe’ zu sprechen. Die zur Diskussion stehenden ‚Objekte’ könnten als Materialisierung von sich widersprechenden Werten betrachtet werden, die Ausdruck und Produzenten sozialer Ungleichheit, asymmetrischer Machtverhältnisse und Politiken der Anerkennung und Zugehörigkeit zugleich sind. Sich auf einen Prozess der Rückgabe einzulassen, bedeute, sich der Ausverhandlung dieser Werte zu stellen. Im Gegensatz zum oft einseitigen, akkumulativen Vorgang der Aneignung von ‚Sammlungsobjekten’ setzen Rückgabeverhandlungen ein reziprokes Verhältnis zwischen den Parteien voraus. Es seien diese neu zu erarbeitenden sets of values, die es möglicherweise erlaubten, von ‚Kulturen der Rückgabe’ zu sprechen.

Objektbiographien und ihre Auswirkungen. Dabei betonte sie auch, dass es im Leben eines ‚Sammlungsobjektes’ nicht bloß den einen, oft gewaltsamen Moment, sondern viele verschiedene Formen und Phasen der Aneignung gäbe. Diese herauszuarbeiten sei eines der Potenziale in der Erforschung von Objektbiographien. Viele der vorgestellten Forschungen beinhalteten Untersuchungen verschiedener Lebensabschnitte von ‚Objekten’. So etwa die von Christoph Frank (Università della Svizzera italiana), der, einem zufälligen Foto-Fund im Internet folgend, den Weg einer von den Nazis geraubten französischen Skulptur aus dem 18. Jahrhundert in ein regionales archäologisches Depot in Wünsdorf, Brandenburg, erarbeitete. Elena Franchi (Vicence) teilte Ergebnisse ihrer akribischen Recherche zum Verbleib der Landau Finaly Sammlung in Florenz, die 1946 nur teilweise restituiert wurde. Ulrike Saß (Hamburger Kunsthalle) sprach von Kunstwerken, die als Lösegeld für Jüd_innen hinterlegt wurden, um diesen die Ausreise aus Nazi-Deutschland und somit ihr Leben zu erkaufen. Ihr Fokus lag auf der Beobachtung, dass Kunstwerke, deren Geschichte mit nationalsozialistischen Verbrechen in Verbindung steht, bei Auktionen oftmals um ein Vielfaches des üblichen Marktwertes verkauft werden.

Noémie Étienne (Universität Bern) ging der Geschichte von ‚Lebendabgüssen’ nach, die heute im Shako:wi Cultural Center zu sehen sind. Anfang des 20. Jahrhunderts etablierten sich solche Gipsabformungen von einzelnen Körperteilen oder ganzen Menschen als Untersuchungspraxis in der Anthropologie. Die Prozeduren waren langwierig und für die Betroffenen höchst unangenehm, vor allem, wenn sie Gesichtsabformungen beinhalteten: Während der Gips trocknete, waren das Atmen schwer und die Augen verklebt. Die ‚life casts’, von denen Ètienne sprach, waren zwischen 1906 und 1915 von Arthur Caswell Parker für das New York State Museum in Auftrag gegeben und wurden dort erst etwa 1990 wieder abgebaut. Parker war als Sohn eines Seneca im Cattaraugus Reservat in New York aufgewachsen und autodidaktischer Anthropologe. Es waren Freund_innen und Familienangehörige Parkers, deren Abformungen in Dioramen eingesetzt und ausgestellt wurden. Dass diese unter anderem Iroquois bei landwirtschaftlichen Tätigkeiten zeigten, liest Étienne als politische Deklaration des Rechts auf Land. Leider ging sie auf die Rolle der Modelle als Teil einer selbstbestimmten Darstellung der Geschichte der Oneida und den Übergabeprozess vom New York State Museum zum Shako:wi Cultural Center nicht genauer ein.

Rückgaben. In den Präsentationen von Larissa Förster (Humboldt Universität Berlin), Cressida Fforde (Australian National University) und Major Sumner (Ngarrindjeri Regional Authority), Ruth E. Iskin (Jerusalem) und Lucas Lixinski (University of New South Wales) ging es hingegen genau um die Ausverhandlungen, Umsetzungen und Nachwirkungen von Rückgaben. Förster zeigte wie die – keineswegs zufällige, sondern zur Zeit der Aneignung beabsichtigte – Anonymisierung menschlicher Überreste, ihre Objektifizierung in Sammlungen, durch den Prozess der Repatriierung gebrochen werden kann. So wurden etwa die sterblichen Überreste von Nama und Herero im Laufe der Repatriierung aus deutschen Sammlungen nach Namibia mit anti-kolonialen Widerstandskämpfern assoziiert und unter anderem durch diese Form des Gedenkens resubjektifiziert. Ruth Iskin stellte das Kunstprojekt „The Other Nefertiti“ vor, das einen gehackten 3D-Scan der Büste in hoher Qualität zum Herunterladen verfügbar gemacht hat. Die Künstler_innen reagieren damit auf die Weigerung Deutschlands, die Büste an Ägypten zurückzugeben. Lixinskis Präsentation befasste sich unter anderem mit dem Verhältnis von Diskursen zu nationalen und universalen Werten kulturellen Erbes bei den Restitutionsverhandlungen um die Stele aus Axum zwischen Italien und Äthiopien. Dabei spielte die UNESCO nicht nur diskursiv, sondern auch praktisch eine Rolle: Sie übernahm offiziell die Rückführungskosten, gedeckt durch eine „Spende“ Italiens an die UNESCO. So umging Italien, das die Stele 1937 als Kriegsbeute nach Rom hatte schiffen lassen, ein Schuldeingeständnis. Cressida Fforde und Major Sumner sprachen von durchgeführten und noch ausstehenden Rückführungen besonderer sterblicher Überreste der Ngarrindjeri. Die Ngarrindjeri nutzten Schädel enger, oftmals als besonders weise oder tapfer geltender Verwandter als Trinkgefäße. Sammlungen, die sich diese einverleibten, kategorisierten sie meist nicht als menschliche Überreste, sondern als Ethnografika, was wiederum als Argument gegen Repatriierungsforderungen ins Spiel gebracht wurde und wird.

 

Kunst, Illustration oder menschliche Überreste. Mit derselben Begründung werden und wurden auch Rückführungen von Toi moko, tätowierten Schädeln, an die Māori abgelehnt. Das Rouen Museum, Frankreich, hatte in Verhandlung mit dem Museum of New Zealand Te Papa Tongarewa (Te Papa), Neuseeland, 2007 einen Toi moko zurückgeben wollen, war aber von der französischen Regierung daran gehindert worden. Erst nach Verabschiedung eines neuen Gesetzes, in dem dargelegt wurde, dass es sich um menschliche Überreste handelte, konnten 2011 Rückführungen aus mehreren französischen Sammlungen stattfinden. Allerdings veröffentlichte das Rouen Museum nach der Rückführung eine 3D-Fotografie des Schädels und zeigt weiterhin eine Zeichnung desselben auf seiner Website. Auch die Organisatorinnen der Konferenz nutzten eben diese Zeichnung als Illustration für das Konferenz-Layout. Abgesehen von einleitenden Bemerkungen Bodensteins, dass es schwierig gewesen sei ein passendes Flyer-Layout zu finden, blieb dies zunächst unkommentiert. Zwischen den Präsentationen der Redner_innen wurden Konferenztitel und Bild an die Wand projiziert, alle Teilnehmer_innen hatten die Flyer mit dem Programm vor sich. Am Nachmittag des ersten Tages stand jedoch nach einem Vortrag eine Person auf und stellte diese Nutzung in Frage.

Te Herekiekie Herewini, Manager des Karanga Aotearoa repatriation programme vom Te Papa, wies darauf hin, dass dieser Umgang mit den sterblichen Überresten seines Vorfahren jeglichen Respekt vermissen lasse und fragte, wie und mit wessen Erlaubnis es dazu gekommen war. Auf einmal stand der gesamte Raum in Frage, in dem zuvor einträchtig unter zumeist westlichen Akademiker_innen über sensible ‚Objekte’ diskutiert worden war. Die Organisator_innen entschuldigten sich für möglicherweise verletzendes Handeln. Sie hatten das Rouen Museum um Erlaubnis gefragt. Tatsächlich war auch auf dem Flyer nur deren Copyright zu lesen, keine Bildbeschreibung. Schnell hieß es, die Situation sei ein perfektes Beispiel für das, was hier diskutiert werde. Die Moderatorin des Panels warf ein, dass Bilder eben auf unterschiedliche Menschen verschieden wirkten und unterschiedliche Betroffenheiten hervorriefen. June Jones, die von Birmingham aus an Repatriierungen arbeitet, stellte fest, dass sie keine Māori sein müsse, um diese Bildnutzung respektlos und verletzend zu finden.

Entscheidungs- und Deutungshoheit. Eine 2005 verabschiedete Resolution des World Archaeological Congress, The Tamaki Makau-rau Accord on the Display of Human Remains and Sacred Objects, macht folgenden Vorschlag für das Vorgehen bei Bildnutzungsfragen: “Any person(s) or organisation considering displaying such material or already doing so should take account of the following principles: 1. Permission should be obtained from the affected community or communities.” Es ist bemerkenswert, dass im konkreten Fall nicht dementsprechend gehandelt wurde, erst recht aufgrund der Prominenz der Verhandlungen um den Toi moko in Rouen. Zudem hatten Herewini und Jones selbst eine Einreichung für die Konferenz gemacht, die allerdings abgelehnt worden war, obwohl sie für ihre Reisekosten selbst aufkommen konnten. (Stattdessen gab es eine Präsentation eines deutschen Wissenschaftlers über die Objektbiografie eines ‚Lebendabgusses’ eines Māori chiefs). Es hatte also schon Kontakt zu den Personen gegeben, die die Autorität für solch eine Entscheidung innehaben – diese Autorität wurde nur nicht anerkannt.

Good will und social justice. Herewini und Jones gaben schließlich – auf Vorschlag einer Konferenzteilnehmerin – doch eine Präsentation, anstelle einer verhinderten Rednerin. Hier machten sie auch deutlich, dass die Position des Te Papa Museums zur auf der Website des Rouen Museums zugänglichen Zeichnung immer klar war. Doch gibt es keine rechtliche Handhabe, um gegen die Veröffentlichung vorzugehen. Vielleicht sind es doch auch solche Situationen, die Laurajane Smith (Australian National University) im Visier hatte, als sie ihre kämpferische Ansage gegen new materialism und die agency of things formulierte. Sie bestand darauf, dass es die Menschen sind, die etwas mit Dingen machen; objektzentrierte Ansätze würden zu oft Herrschaftsverhältnisse und Fragen der Autorität vernachlässigen. Die Kämpfe um kulturelles Erbe seien immer auch Kämpfe um soziale Gerechtigkeit. Hier wurde entgegengehalten, dass diese zwei Perspektiven sich keinesfalls widersprechen müssten – wie sich unter anderem mit Arjun Appadurai´s social life of things auch begrifflich festhalten ließe. Es schien mir jedoch in ihrem Plädoyer auch darum zu gehen, in Erinnerung zu rufen, dass es sich eben nicht bloß um akademische Diskussionen handelt, wenn es um den Umgang mit kulturellem Erbe geht. Tatsächlich sind diese Verhandlungen vor allem für diejenigen unmittelbar von Bedeutung, denen so viel geraubt wurde. Auch in Österreich lagern viele ‚Objekte’, deren Rückführung gefordert wird, auch von den Māori. Letztes Jahr wurde ein Toi moko aus dem Weltmuseum in Wien zurückgeführt, Verhandlungen mit dem Naturhistorischen Museum Wien sind im Gange.

Sophie Schasiepen ist derzeit IFK Junior Fellow und beschäftigt sich im Rahmen ihrer Dissertation mit menschlichen Überresten aus kolonialen Kontexten in Museen und Sammlungen.