Niederlande

Amsterdam: Studis kämpfen gegen radikale Kürzungen

  • 10.03.2015, 20:11

„Maßnahmen zur Effizienzsteigerung“ nennt die Universität von Amsterdam ihre Einsparungen haupsächlich geisteswissenschaftlicher Fächer. Die Studierenden besetzten nun im Protest gegen Bildungsökonomisierung ein Uni-Gebäude.

Anfang Februar verkündete die Universität von Amsterdam (UvA) ihre vorläufigen Pläne für die Effizienzsteigerung. Alle geisteswissenschaftlichen Programme wie Philosophie, Geschichte, Niederländische und Englische Literatur sollen in ein fächerübergreifendes Programm namens „Liberal Arts“ zusammengeführt werden. Sprachstudien mit schwächerer Nachfrage werden, genauso wie Masterkurse mit weniger als 20 Studierenden, gänzlich abgeschafft.

Der Unmut der Studierenden, die mit der seit Monaten diskutierten radikalen Kürzungspolitik nicht einverstanden sind, resultierte in der Nacht vom 12. auf den 13. Februar in der Besetzung des sogenannten Bungehuis, einem Universitätsgebäude. Zuvor waren von der Universitätsleitung „College van Bestuur“ im Zuge der Konfliktprävention Debatten und Panelgespräche eingeleitet worden, die zu keiner Einigung führten. Innerhalb von zwei Wochen konnte sich die Studierendenbewegung „Die Neue Universität“ auf das ganze Land ausweiten.

BACHELOR IM SCHNELLDURCHLAUF. Studierende wie Lehrende kritisieren den neoliberalen Kurs der Universitätsleitung. Um sich international mit den besten Bildungseinrichtungen messen zu können, wurde der Druck auf alle Involvierten erhöht. So viele Absolvent_innen wie möglich in einem kurzen Zeitraum auf den Arbeitsmarkt zu spülen bringe der Universität Vorteile: Einerseits sorge man damit für eine scheinbar positive Jahresbilanz und somit auch für bessere Rankingergebnisse im internationalen Vergleich. Andererseits werden der Universität bei einem zeitgerechten Abschluss die Ausbildungskosten für Studierende zurückerstattet, erklärt Noeri van den Berg, Vorsitzender des studentischen Gewerkschaftsbundes Amsterdam: „In dem Moment, wo dir dein Diplom verliehen wird, bekommt die Universität die Restbeträge deiner Studiengebühren ausbezahlt.“ Solange man den Bachelor in acht Semestern abschließt, verdienen die Universitäten also an den Studierenden. Alles darüber wird nicht zurückerstattet und ist somit ein „Verlustgeschäft“.

FORDERUNGEN DES BILDUNGSPROTESTS. Unterstützer_innen der Proteste fordern eine Demokratisierung des Unterrichts, Transparenz in der Verwaltung sowie eine bewusste Abwendung kostenorientierten Effizienzdenkens hin zu einer adäquaten Bezahlung nach tatsächlich geleisteter Arbeit. Für Dozent_innen und wissenschaftliche Mitarbeiter_innen sollen fixe statt zeitlich auf ein Jahr begrenzte Arbeitsverträge ausgehandelt werden.

Forscher_innen an der UvA müssen die Zahl ihrer jährlichen Publikationen nämlich unter unglaublichem Druck von oben erhöhen. Die neoliberale Logik führte zu drastischen Budgetkürzungen, kombiniert mit einer Kultur des top-down Managements sowie schleichender Bürokratisierung. Die Folgen sind bekannt: Die Zahl der psychischen Erkrankungen unter Studierenden und Lehrenden steigt stetig.

Auch die bereits eingeleitete Fusion der UvA mit der Freien Universität Amsterdam wird von Studierenden und Lehrenden abgelehnt. Das Präsidium aber ignoriert die Beschlüsse des Personal- und Studierendenrates. Generell wünschen sich alle Beteiligten, dass die Universität mehr Autonomie erhält und die Vernetzung innerhalb der akademischen Gemeinschaft gefördert wird.

SOLIDARITÄT IM MAAGDENHUIS. Nach der elftägigen Besetzung des Bungehuis wurde das Gebäude am 24. Februar zwangsgeräumt, 46 Personen wurden dabei verhaftet. Zuvor urteilte ein Gericht am 19. Februar, dass die Aktivist_innen das Gebäude verlassen müssten, ansonsten würde ein Zwangsgeld von 1.000 Euro für jeden weiteren Tag anfallen. Statt das Gebäude zu räumen, begannen die Besetzer_innen Geld zu sammeln. Vergebens.

Einen Tag nach der Räumung, am 25. Februar, organisierten Studierende, Dozent_innen und Sympathisanten eine Demonstration, die letztendlich zur Besetzung des Hauptgebäudes der universitären Verwaltung – dem Maagdenhuis – führte. 300 Menschen waren an der Besetzung beteiligt und sind immer noch vor Ort. Das geräumte Bungehuis soll jetzt wie geplant an eine private Firma verkauft werden, die daraus einen privaten „British Society Club“ machen möchte.

UNIVERSITÄT ALS UNTERNEHMEN. „Die UvA verkommt immer mehr zu einem Betrieb”, schreibt die Studierendenpartei UVASociaal auf ihrer Homepage. Entscheidungen werden von universitätsfremden Manager_innen getroffen, die im Zuge einer Umstrukturierung von ihren Konzernen entfernt wurden und nur wenig Verständnis für die Anliegen und Fragen der Studierenden aufbringen. Demonstrant_innen fordern nun die Dezentralisierung der Vorstandsführung, um der Universität die Möglichkeit zu geben, sich selbst zu verwalten.

Man müsse sich zudem von quantitativen Leistungsbeurteilungen wie Drop-Out-Quoten oder der Zahl der Absolvent_innen entfernen, sowie die auf Wirtschaftsmodellen beruhenden Formeln der Evaluation gegen selbstreflexive Praxen wie jene der Peer-Group-Reviews ersetzen. Statt sich der Verbesserung der Lehrqualität zu widmen oder internes Bürokratieprozedere zu vereinfachen, bekommt das Management sechsstellige Beträge ausbezahlt um sinnlosen Papierkram, destruktive Arbeitsmethoden und unrealistische Erwartungen an die fortschreitend prekär arbeitenden Angestellten auszulagern.

Obwohl die Aktivist_innen mit einer Ausweitung der Proteste auf Petitionen sowie die Besetzung weiterer Gebäude gedroht hatten, wurde der offene Brief an das UvA-Präsidium bis zum 9. März nicht beantwortet. „Die Administration hat bis jetzt keine konkreten Schritte eingeleitet, um die Forderungen umzusetzen“, erzählt Noeri van den Berg. Das Präsidium brauche noch Zeit, um die richtigen Antworten zu finden.

Eine Abkehr vom bestehenden System der Bildungsmonetarisierung auf den Universitäten scheint nur durch eine Loslösung vom Bologna-Prozess realisierbar. Ein Hauptantrieb in der umfassenden Neugestaltung des europäischen Hochschulraumes ab 1999 bestand darin, einen europaweiten Vergleich universitärer Leistungen zu ermöglichen. Weitere Ziele waren die Förderung der Studierendenmobilität sowie des Studierendenmitspracherechts und der europäischen Zusammenarbeit in der Forschung. Tatsächlich wurden 15 Jahre nach dem Beschluss fast keine dieser Ziele erreicht: Schon von ECTS-Vergleichkarkeit zwischen einzelnen Unis kann keine Rede sein, geschweige denn von leichteren Anrechnungsverfahren von Auslandssemestern. Die Verschulung des Systems führte zu einem stärkeren Konkurrenzdruck und zu einem weiteren Abbau der Lehrqualität zu Gunsten des Publikationsoutputs, wie zahlreiche nationale und transnationale Studien zeigen. Der Fokus an den Universitäten liegt nicht mehr bei einer Anregung zu selbstbestimmtem und kritischem Denken; die straffen Bachelor-Lehrpläne lassen dafür keinen Platz.

Die Entscheidung über die weiteren Verhandlungen zwischen Universitätsführung und Studierenden liegt jetzt jedenfalls bei Präsidentin Louise Gunning. Will sie den Forderungen der akademischen Community zugunsten einer Demokratisierung zustimmen – oder im Sinne der internationalen Vergleichbarkeit und Betriebsstraffung vorgehen wie bisher? Das Management-Personal der Uni ist während der Proteste jedenfalls nirgends zu sehen; ein Banner mit den Worten „DIRECT DEMOCRACY“ wurde währenddessen von Protestierenden vors RektorInnenbüro gehängt. Am 4. März verkündete der Bildungsprotest „Die Neue Universität“ Pläne zur Ausweitung des Widerstands. Die Aktivist_innen haben zu einem Tag des Protests an den Universitäten von Leiden, Groningen, Utrecht, Nijmegen und Rotterdam aufgerufen.

Weitere Informationen zu den Protesten findet ihr auf der Homepage der Initiative “Die neue Universität” sowie der Bewegung der Lehrenden, RethinkUvA. Unter dem hashtag #denieuweuniversiteit gibt es aktuelle Fotos und Statements von Demonstrierenden.

progress wird die Entwicklungen an der Universität von Amsterdam verfolgen und euch bezüglich Neuigkeiten auf dem Laufenden halten.

 

Bianca Xenia Mayer studiert Publizistik- und Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien.

Petition: https://www.change.org/p/university-of-amsterdam-executive-board-support-the-new-university