Mehrsprachigkeit

Ich heiße Hallo!

  • 22.10.2013, 18:29

Dass Mehrsprachigkeit eine Bereicherung und kein Grund zum Schämen ist, hat eine Volksschule in Wien Brigittenau erkannt. In der Europaschule können Kinder neben Deutsch, Englisch und ihrer Muttersprache 15 verschiedene Sprachen lernen.

Dass Mehrsprachigkeit eine Bereicherung und kein Grund zum Schämen ist, hat eine Volksschule in Wien Brigittenau erkannt. In der Europaschule können Kinder neben Deutsch, Englisch und ihrer Muttersprache 15 verschiedene Sprachen lernen.

Die Türe zur Schule ist noch verschlossen. Die Pädagogin Monika Kerschbaumer steht im Eingangsbereich der Europaschule in Brigittenau und empfängt SprachlehrerInnen für Chinesisch, Arabisch oder Tschetschenisch, die nach und nach eintrudeln und im kommenden Jahr die Sprachenworkshops an der Volksschule halten werden. Beim Eintreffen der LehrerInnen gibt es fast dieselbe Wiedersehensfreude wie bei den Kindern nach den Sommerferien. Viel Zeit zum Reden bleibt nicht: Die Workshops beginnen bald, alle sind ein bisschen aufgeregt. Über Kerschbaumer prangt auf einer Regenbogenfarbenwand stolz der Leitspruch der Schule: „Alle Kinder der Welt sind unsere Kinder.“ Hinter ihr wuseln die angehenden WeltenbürgerInnen noch schnell die Treppen auf und ab, die Zeit zwischen gemeinsamem Frühstück in der Schule und dem Unterrichtsbeginn wird genützt, um Energieüberschüsse loszuwerden. Dazwischen tummeln sich interessierte Eltern mit ihren Kindergartenkindern und die neuen SprachlehrerInnen werden zu ihren Klassen gelotst.

Kerschbaumer ist gemeinsam mit drei anderen Kolleginnen für das Projekt „Sprachenkarussell“ zuständig. Das Sprachenkarussell soll Sprachenvielfalt fördern und vor allem das Interesse der SchülerInnen wecken: Bis zu 15 Sprachen hat die Schule im Rahmen des Karussells im Angebot. „Die Kinder wählen am Anfang des Jahres eine Sprache aus, die allerdings nicht ihre Muttersprache sein darf. Dann haben sie die Möglichkeit, diese Sprache ein Jahr lang kennenzulernen“, erklärt Kerschbaumer. Die meisten SprachlehrerInnen kommen aus dem eigenen Lehrkörper. Nur wenige Sprachen werden von externen Lehrenden unterrichtet, zum Beispiel Arabisch oder Chinesisch. Vor fünf Jahren wurde das Projekt erstmals durchgeführt, anfangs noch in allen Schulstufen. Mittlerweile können die ZweitklässlerInnen freiwillig teilnehmen, für die dritten und vierten Klassen ist die Teilnahme am Karussell Pflicht.

Sprachenschnuppern. Heute dürfen die Kinder in drei verschiedenen Workshops in jeweils eine Sprache hineinschnuppern, bevor sie sich für den Rest des Schuljahres auf eine festlegen. Im Klassenraum von Gabi Lener findet der Spanischunterricht statt. Lener ist neben Kerschbaumer Teil des Sprachenkarussell-Teams und gleichzeitig Klassenvorständin der 3C.

Rund zehn Kinder haben sich heute für die Spanischgruppe entschieden. Auf dem großen, bunten Teppich im hinteren Teil des Klassenzimmers sitzen die Kinder in einem Kreis und starren auf die Zettel, die die Lehrerin hochhält. Lange zuhören, sich berieseln lassen oder gar stumpfsinnig von der Tafel abschreiben gibt es hier aber nicht. Es geht vor allem darum, die Sprache kennen zu lernen und miteinander zu reden. „Emily, schmeiß mal den Würfel und frag ihn, wie er heißt!“ „¿Como te ... llamas?“, sprudelt sie hervor. „Soy Achmed“, erwidert ihr Kollege. „¿Como te llamas?“, fragt die Lehrerin ein schüchternes blondes Mädchen, das neben Achmed sitzt. „Soy Ola“, sagt die Kleine. „Ich heiße Hallo?!“, sagt die Lehrerin darauf. „Sie heißt auf Polnisch Ola!“, belehrt ein Klassenkamerad die Lehrerin. Hier lernt jede von jedem. Zurück bei den Zetteln: „Was ist da dabei, das ihr nicht kennt?“ – Die Kinder antworten: „Das komische Fragezeichen!“

Foto: Johanna Rauch

Die Schule befindet sich in der Brigittenau, einem Bezirk, der für viele einen „Integrationsbrennpunkt“ in Wien darstellt. Für zahlreiche SchülerInnen ist die Umgangssprache zuhause eine andere als Deutsch. Von den 370 SchülerInnen der Schule haben 85 Prozent eine andere Erstsprache und beherrschen somit mindestens zwei Sprachen. „Unser oberstes Ziel ist es, dass Sprachen wie Albanisch, Ungarisch oder Polnisch mit den sogenannten Prestigesprachen wie Spanisch, Französisch oder Italienisch gleichgestellt werden. Eigentlich stehen uns diese Sprachen auch näher als viele andere“, erklärt Kerschbaumer. Die meisten Kinder an der Schule haben Bosnisch, Kroatisch oder Serbisch (Sprachfamilie „BKS“, Anm. der Red.) als Muttersprache, gefolgt von Türkisch. Schon jetzt haben 60 Prozent aller Zweijährigen in Wien eine andere Erst- oder Familiensprache als Deutsch. Anstatt dieses Potential zu nutzen, lernen die Kinder in der Regel aber eher ihre zweite Sprache zu verstecken.

Rappen auf Romani. Die Idee des Sprachenkarussells entstand in einer ehemaligen Klasse Leners, in der 100 Prozent der Kinder eine andere Muttersprache als Deutsch hatten. „Natürlich konnten die alle gut Deutsch, weil sie ja vorher im Kindergarten waren, aber sie hatten viele Sprachkompetenzen. Und da sind die Kinder auf die Idee gekommen: Man könnte doch auch die Sprachen der anderen lernen!“ Daraufhin haben die Verantwortlichen der Europaschule begonnen, Sprachkurse zu organisieren. Anfangs waren vor allem die klassischen Fremdsprachen gefragt. Mit der Zeit hat sich das aber geändert. „Viele unserer LehrerInnen unterrichten im Sprachkarussell und verkörpern dadurch bestimmte Sprachen, wodurch sich deren Stellenwert geändert hat.“ Beobachten konnten die LehrerInnen dies zum Beispiel beim oft stigmatisierten Romani: „Vor Jahren haben wir die Kinder gefragt, wer zuhause Romani spricht, und es hat niemand aufgezeigt. Aber dann hatten wir einen Rapper zu Gast, der Workshops auf Romani gehalten hat. Dann waren es auf einmal viel mehr.“ Jetzt ist Romani eine beliebte Wahl unter den Kindern. Die Romanilehrerin ist außerdem Musikerin und arbeitet auch mit Harri Stoijka zusammen. „Den kennen die Kinder und finden ihn toll“, erzählt sie. Mit diesem Angebot kann die Schule auch der sozialen Ausgrenzung, welcher MigrantInnen oft ausgesetzt sind, entgegenwirken: „Das ist dann nicht mehr nur die Ausländersprache, sondern ein Unterrichtsfach – und etwas wert.“

Nach einer knappen Stunde haben alle Kinder den Workshop gewechselt. Im EDV-Raum lernen die Kinder Urdu von einer Lehrerin, die zuvor selbst Schülerin an der Europaschule war: im Mama-lernt- Deutsch-Kurs. „Fällt euch etwas auf beim Schreiben?“, fragt Kerschbaumer, die im Urdu-Kurs assistiert. „Das geht von rechts nach links!“, sind sich hier die Kinder einig. Nebenan lernen die Kinder in der 4A Iwrit – Neu-Hebräisch. Ein paar Türen weiter können die Kinder bereits nach ein paar Minuten auf Romani bis zehn zählen. „Jekh, duj, trin, štar, pandž ...“, geht es reihum. Ein „Perfekt!“, ernten die SchülerInnen dafür von ihrer Lehrerin.

Natürlich gibt es auch abseits des klassischen Fremdsprachenkanons unterschiedliche Prestigegrade unter den Sprachen, diese aber lassen vor allem die Kinder noch eher unberührt – sobald es positive Identifikationsfiguren in der Schule gibt. „Was ich schade finde, ist, dass wir bisher noch keine Auseinandersetzung damit hatten, dass sowohl Hebräisch als auch Romani zwei Sprachen von Opfergruppen des Nationalsozialismus sind. Das wurde von den beiden Lehrerinnen zwar schon einmal angesprochen, die Diskussion dazu fehlt aber noch“, sagt Lener.

Neben dem vielfältigen Fremdsprachenunterricht des Sprachkarussells wird den SchülerInnen der Europaschule auch muttersprachlicher Unterricht angeboten. Abgesehen von Elitegymnasien mit Prestigesprachenförderung sucht man oft vergeblich nach Angeboten für muttersprachlichen Unterricht. Tatjana Tišler, deren eigene Muttersprache Kroatisch ist, unterrichtet BKS an der Europaschule und hat damit die größte Gruppe in muttersprachlichem Unterricht an der Schule zu betreuen. Der Muttersprachenunterricht ist in den Regelunterricht integriert. „Wenn ich mit meinen Kindern in kleinen Gruppen lerne, ist der Unterricht so geplant, dass sie nichts versäumen.“ Rund 160 Kinder an der Schule sprechen BKS. Neben der schulischen Vermittlung sieht Tišler ihre Aufgabe auch darin, die Eltern zu ermutigen, mit den Kindern die Muttersprache zu sprechen: „Deutsch lernen sie sowieso in der Schule.“

Wie passt das nun mit der Diktion „Deutsch vor Schuleintritt“ oder gar einem Deutsch-Gebot, das an vielen Schulen existiert, zusammen? „Das halte ich beides für ein absolutes Unding“, stellt Lener klar. Wer sich für eine Schule anmeldet, müsse sowieso andere soziale Skills vorweisen, und wer wirklich noch kein Deutsch spreche, könne sich das sehr schnell in der Schule aneignen. „Wenn SchülerInnen während des Unterrichts eine andere Sprache als Deutsch sprechen, haben die kein Geheimsystem, sondern verstehen etwas nicht und kommunizieren darüber, wie man das Problem lösen kann. Das sagen auch alle Studien.“

Schuldemokratie. Neben der Sprachförderung setzt die Europaschule auch auf demokratische Mitgestaltung durch die Eltern, aber auch durch die SchülerInnen. Einige Eltern sind außerdem durch die Sprachkurse in die Schule eingebunden: Sie unterrichten selbst oder fungieren als AssistentInnen. Nebenbei kooperiert die Schule auch mit der MA17 des Integrationshauses Wien und deren Projekt Mama lernt Deutsch. „Das ist ja ein furchtbar ungeschickter Name. Aber die Frauen kommen trotzdem“, lacht Lener und wünscht sich in Zukunft eine noch bessere Einbindung der Eltern.

Mittlerweile sind die Kinder bei der letzten Station für heute angekommen. Im 1. Stock stehen zehn Kinder aufgereiht vor der Klasse. Im Französischunterricht gibt es nämlich dieses Mal eine Modenschau. Unter Kichern drucksen ein paar Kinder ein „Beau!“ oder „Joli!“ hervor. Das Publikum drinnen bewertet die Models – Mädels und Burschen – mit den neu gelernten Adjektiven. Einen Stock unterhalb lernen die Kinder die neue Chinesischlehrerin kennen, die ihre SchülerInnen auf ein Spiel mit Zahlen vorbereitet. Aber die Zahlen scheinen noch nicht so gut zu sitzen. Also: „Noch einmal von vorne!“

Die Preise und Auszeichnungen, die die Europaschule bisher erhalten hat, scheinen ihr Recht zu geben: In jedem Stock hängen Plakate, die Zeugnisse ihres Erfolgs darstellen. Preisträgerin der SozialMarie, Auszeichnung des Kompetenzzentrums für schulische Tagesbetreuung des BMUKK, equal education Socrates Qualitätssiegel und das Europasiegel für innovative Sprachprojekte sind nur wenige davon. „In meiner letzten Klasse waren drei blitzgescheite Buben mit türkischer Muttersprache, die haben sich zum Abschluss T-Shirts gedruckt“, erzählt Lener: „Auf denen stand: Bizde size alistik, sizde bize alisi – Wir haben uns an euch gewöhnt, gewöhnt euch auch an uns.“

 

Die Autorin studiert Philosophie an der Uni Wien.

Es braucht ein radikales Umdenken

  • 21.10.2013, 16:23

Mit der Sprachwissenschafterin Brigitta Busch hat Marlene Brüggemann über die Kosten der Einsprachigkeit, emotionales Spracherleben und Unterhaltungen mit Pflanzen diskutiert.

Mit der Sprachwissenschafterin Brigitta Busch hat Marlene Brüggemann über die Kosten der Einsprachigkeit, emotionales Spracherleben und Unterhaltungen mit Pflanzen diskutiert.

Brigitta Buschs Interesse an Fragen der Mehrsprachigkeit schlug bereits erste Wurzeln, als sie noch als Landwirtin in Kärnten lebte und Slowenisch lernte. Heute ist sie Professorin für angewandte Sprachwissenschaft an der Universität Wien und forscht derzeit über Zusammenhänge von Migration, Mehrsprachigkeit und traumatischem Erleben. Während sie auf der institutseigenen Terrasse ihre Finger über die harten Blätter eines Rosmarinstockes laufen lässt, eröffnet sie das Interview mit progress mit einem Bekenntnis zum Guerilla Gardening.

progress: Frau Busch, Sie sind Linguistin, aber auch gelernte Landwirtin – können Pflanzen sprechen?

Brigitta Busch: Ich spreche mit meinen Pflanzen – das tun viele Leute.

Warum eigentlich?

Im Zuge meiner Forschungsarbeit zu „Trauma – Mehrsprachigkeit – Resilienz“ habe ich erlebt, dass die Bedeutung der – wie Julia Kristeva es formuliert – semiotischen Dimension von Sprache, also der lautund zeichenhaften Dimension, groß ist, wenn es darum geht, die eigenen Widerstandskräfte zu stärken. Das kann z.B. im Sprechen mit Pflanzen und Tieren passieren, im Sprachspiel oder im Anhören von Sprachen, die man nicht versteht. Also im Angesprochensein ohne direkt angesprochen zu werden.

Inwiefern ist Sprache auch von Nützlichkeit und Effizienz durchzogen? Bleibt da noch Platz für Poesie und persönlichen Ausdruck?

Die Dimension zwischen Funktionalität und Ausdruck der Sprache vernachlässigt die Sprachwissenschaft viel zu oft. Obwohl sie im Alltag eine größere Rolle spielt, als man auf den ersten Blick meint. Die Freude am semiotischen Ausdruck verliert sich nicht mit dem Kleinkindlallen, sie zieht sich durch das ganze Leben. Entgegen dem Trend, das Funktionale zu betonen, denke ich, dass das Nachdenken über eine semiotische Sprache die sprachwissenschaftliche Auseinandersetzung bereichert.

Wie kann so eine Bereicherung aussehen?

Für mich ist die Frage nach dem emotionalen und körperlichen Spracherleben zentral. Ich gehe davon aus, dass Sprache nicht nur etwas Kognitives ist, sondern, dass aufgrund meines Sprechens oder Schreibens auch emotionale Zuschreibungen und Einschätzungen stattfinden. Wenn ich eine Stimme am Telefon höre, beginnt ein Film zu laufen: weiblich oder männlich, gutgelaunt oder schlechtgelaunt, sympathisch oder weniger sympathisch, Dialekt oder Standardsprache. Das sind viele Ebenen und weitreichende Annahmen. Und das geschieht weitgehend unbewusst. Spracherleben ist ein komplexer Prozess aus Selbst- und Fremdwahrnehmung, der mit vielen Emotionen verbunden ist. Mein Schwerpunkt auf leiblich-emotionales Spracherleben stellt eine Gegenbewegung zum Trend der Standardisierung und Normierung dar – und ist in meinen Augen kein marginales Thema, wenn man es unter dem Gesichtspunkt betrachtet, dass es so viele Menschen gibt, die unter sprachlicher Gewalt leiden.

Könnten Sie das genauer ausführen?

Es gibt Situationen, da stellt man sich Fragen wie: Wie werde ich wahrgenommen? Wird mein Akzent als defizitär gesehen? Da kann schon ein Schamgefühl auftauchen. Ich entspreche nicht der Norm, also schäme ich mich. Das bedeutet einen Rückzug auf sich selbst, eine Verschließung. Im Bildungsbereich kann das ungünstige Folgen haben. Zum Lernen brauche ich eine Öffnung hin zur Welt. Wenn sich eine belastende Situation ständig reproduziert, die Defizitzuschreibungen sich wiederholen und man sich selbst als ungenügend sieht, blockiert das Lernprozesse.

Stellt der Umgang unserer Universitäten mit Mehrsprachigkeit diesbezüglich nicht ein Negativbeispiel dar?

Von der Uni wünsche ich mir, dass eine Sprachenpolitik definiert wird, die die Sprachressourcen würdigt, die Lehrende und Studierende mitbringen. Durch die jetzige Sprachenpolitik an den Universitäten, die nicht viel dazu beiträgt, mitgebrachte Erstsprachen von Studierenden auszubauen, vergeben wir sehr viel wissenschaftliches Kapital. Wir schneiden uns dadurch von einem differenzierten internationalen Diskurs ab.

Wann sind Sprachenkompetenzen ein Vorteil, wann nicht?

Der entscheidende Punkt ist, welche Sprache man spricht. Ein Beispiel: Eine Frau aus dem Senegal schrieb in ihren Lebenslauf, dass sie Deutsch, Englisch und Spanisch beherrscht. Auf die Frage, warum sie nicht auch Wolof [Umgangssprache im Senegal, in Gambia und Mauretanien, Anm. d. Red.] angibt, antwortete sie: „Wenn ich Wolof dazuschreibe, weiß ich, dass ich abgestempelt werde.“ Probleme wie diese muss man wahrnehmen, weil Sprache als Merkmal für Diskriminierung missbraucht wird. Bei den Tests auf den Fachhochschulen und den Pädagogischen Hochschulen sind vor allem MigrantInnen im Nachteil, da diese Tests hauptsächlich auf Deutschkompetenz aufgebaut sind. Selbst wenn das Ausmaß an Deutschkenntnissen für den geprüften Themenbereich nicht notwendig ist.

Wie werden Menschen gefördert, die sich nicht im klassischen Bildungssystem, also Schule oder Hochschule, bewegen?

Dafür ist kein Geld mehr zu haben, das wird zunehmend wegrationalisiert. Vor ein paar Jahren habe ich gemeinsam mit Perigrina, einer Beratungsstelle für MigrantInnen, Deutschkurse für Frauen mit posttraumatischem Syndrom entwickelt. Dieses erfolgreiche Konzept hätte eine ständige Einrichtung werden sollen. Es ist aber wegen der Kosten nur bei drei Durchgängen geblieben.

Ist das für einen Sozialstaat tragbar?

Es braucht ein radikales Umdenken. Die Kosten der Mehrsprachigkeit werden immer nur daran gemessen, wie teuer ein Kurs ist, aber es wird nie anders herum gedacht und gefragt, was man sich durch die Förderung von Vielsprachigkeit und Deutschkursen ersparen würde – gerade im Gesundheits- und Bildungsbereich. Wir sollten uns vielmehr über die Kosten der Einsprachigkeit unterhalten und uns nicht an einem monolingualen Habitus festklammern, der längst keiner Realität mehr entspricht. Da geht es nicht nur um Migration, sondern auch um berufliche Mobilität und internationale Kommunikation. Davon auszugehen, dass der Monolingualismus der Normalfall ist, ist vollkommen überholt.

Lesetipp: Busch, Brigitta: Mehrsprachigkeit. Wien Facultas Verlags- und Buchhandels AG, 2013.

 

Die Autorin studiert Philosophie an der Uni Wien.

Ein Verbot ist keine pädagogische Maßnahme

  • 03.02.2014, 12:27
Im Rahmen des progress-Schwerpunktes zum Thema Mehrsprachigkeit hat sich Vanessa Gaigg mit İnci Dirim, Professorin für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache an der Uni Wien, über Deutschgebote an Schulen und die Wechselwirkung von Gesellschaft und Universität unterhalten und erfahren, was in der Debatte um Ausgrenzung falsch läuft.
Im Rahmen des progress-Schwerpunktes zum Thema Mehrsprachigkeit hat sich Vanessa Gaigg mit İnci Dirim, Professorin für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache an der Uni Wien, über Deutschgebote an Schulen und die Wechselwirkung von Gesellschaft und Universität unterhalten und erfahren, was in der Debatte um Ausgrenzung falsch läuft.

 

Im Rahmen des progress-Schwerpunktes zum Thema Mehrsprachigkeit hat sich Vanessa Gaigg mit İnci Dirim, Professorin für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache an der Uni Wien, über Deutschgebote an Schulen und die Wechselwirkung von Gesellschaft und Universität unterhalten und erfahren, was in der Debatte um Ausgrenzung falsch läuft.

progress: Sie haben die erste Professur für Deutsch als Zweitsprache an der Uni Wien inne. Die Professur wurde erst 2010 eingeführt – wäre der Bedarf dafür nicht schon früher da gewesen?

İnci Dirim: Das ist die erste Professur für Deutsch als Zweitsprache bzw. für Deutsch in der Migrationsgesellschaft in ganz Österreich, nicht nur an der Uni Wien. Dass sie erst so spät eingeführt wurde, ist wahrscheinlich eine Frage von Politik und Selbstverständnis – ob man sich als Migrationsgesellschaft versteht oder nicht. Wahrscheinlich hat das auch mit der Distanz zwischen Uni und Gesellschaft zu tun, dass man also gesellschaftliche Entwicklungen und Herausforderungen nicht unbedingt als Aufgabe der Universität wahrgenommen hat.

Was ist der Unterschied zwischen Deutsch als Zweitsprache (DaZ) und Deutsch als Fremdsprache (DaF)?

Bei Deutsch als Fremdsprache geht es um den Deutschunterricht außerhalb von Österreich beziehungsweise außerhalb von amtlich deutschsprachigen Ländern. Das heißt zum Beispiel, wenn jemand in Südafrika in der Schule Deutsch oder wenn jemand in der Türkei zum Goethe-Insitut geht, um einen Deutschlurs zu besuchen, sind das Deutschlernaktivitäten in Umgebungen, in denen i.d.R. sonst nicht Deutsch gesprochen wird und man den Fremdsprachenunterricht Deutsch besucht. So wie wir hier zum Beispiel den Französischunterricht als Fremdsprachenunterricht haben – das ist dann eine Sprache, die man im Alltag und der Umgebung meistens nicht spricht. Deutsch als Zweitsprache wäre dann das Deutsch, das hier in Österreich benutzt wird. Wenn also Kinder, Jugendliche oder Erwachsene als MigrantInnen nach Österreich kommen und hier das Deutsche benutzen – bei ihnen geht man davon aus, dass sie Deutsch im Alltag, in der Bildungsinstitution und im Berufsleben brauchen. Es geht also um den Unterschied zwischen einer Fremdsprache und der Frage des Zurechtkommens mit der deutschen Sprache in der umgebenden Gesellschaft.

Was bringt die Differenzierung zwischen einer Erst- und Zweitsprache?

Da könnte man zunächst die Begriffe selbst kritisch beleuchten. Studierende in meinem Fachbereich haben das beispielsweise kritisiert und gesagt, Zweitsprache ist ein Begriff, der einen eigentlich auf einen bestimmten Status von Zugehörigkeit festlegt. Geht man zum Beispiel davon aus, dass jemand in Tschechien Deutsch als Fremdsprache gelernt hat und nach Österreich kommt, wird er in zum Zweitsprachler des Deutschen. Aber Sie werden mir zustimmen, dass man niemals vom Deutsch als Zweitsprachler zum Deutsch als Muttersprachler werden würde. Es wird also akzeptiert, dass man eine große Nähe zum Deutschen als Sprache hat, aber man wird nicht wirklich als Deutsch-Sprechender akzeptiert. Und da haben Studierende zu Recht gefragt: Warum ist das eigentlich so? Immerhin empfinde ich die Sprache genauso als meine Sprache und denke, lebe, träume in dieser Sprache. Und wenn ich jetzt einen bosnischen und keinen kärtnerischen Akzent habe, warum ist das ein Problem? Aus einer spracherwerbstheoretischen Perspektive aus lässt sich sagen, dass es Unterschiede im Erwerb des Deutschen als die Erstsprache (bis zum dritten Lebensjahr) und dem Erwerb des Deutschen als Zweitsprache gibt, je nachdem wann der Erwerb des Deutschen einsetzt.

Wohin kann diese Unterscheidung führen?

Die Frage ist, was als Unterschied angesehen wird, jenseits der spracherwerbstheoretischen Erkenntnisse? Wenn es die Herkunft der Eltern sein soll, nach der bestimmt wird, dass man Deutsch als Zweitsprache erwirbt, dann wäre das eine biologistische Interpretation und sehr problematisch – das kann bis hin zu Rassismus gelangen. Ich finde es problematisch, wenn eine Gruppe von Personen konstruiert wird, die nie wirklich akzeptiert werden wird. Aber zu sagen: Ach so, dann brauchen wir ja Deutsch als Zweitsprache gar nicht mehr, ist natürlich auch nicht richtig. An den Schulen gibt es viele Kinder, die nicht das Deutsch sprechen, das die Schule erwartet, die also im Unterricht sitzen und nicht genug verstehen. Diesen Kindern die Förderung zu enthalten wäre eine Katastrophe. Also solange die Schule monolingual deutschsprachig bleibt, muss die Deutschförderung, die gebraucht wird, auch angeboten werden, ohne jedoch Kinder und Jugendliche für immer auf einen Status von nicht-kompetenten SprecherInnen des Deutschen festzulegen.

Ist der derzeitige Umgang mit Mehrsprachigkeit im Schulsystem sinnvoll?

Die Monolingualität der Schule passt nicht zur Mehrsprachigkeit der Gesellschaft. Es ist schon so oft festgestellt worden, dass eine bilinguale oder mehrsprachige Erziehung für die Kinder besser wäre. Aber das hängt davon ab, wie diese Erziehung angeboten wird. Mir geht es darum, Benachteiligung zu reduzieren und Selbstartikulation im Sinne von Agency zu ermöglichen. Nach den gängigen Vorstellungen heißt Mehrsprachigkeit in der Schule leider oft, dass etwa zwei Kinder, die in der Klasse sitzen, gefragt werden: Kannst du das denn mal auf Serbisch sagen? Ihr sprecht ja so schön Serbisch alle! Und dann denkt man sich: Erledigt. So einfach ist das aber nicht. Allerdings gibt es bereits Projekte, die zum Ziel haben, den Einbezug von Mehrsprachigkeit in die Schule zu systematisieren und zu professionalisieren, z.B. das Projekt „MARILLE“.

Werden die LehrerInnen im Bereich Mehrsprachigkeit allein gelassen?

Es geht darum, dass die Kinder die Sprachen als Bildungssprachen lernen, sie benutzen können, und darum, die Benachteiligungen zu reduzieren, die durch die Monolingualität der Schule entsteht. Es wäre eine Qualifizierungsaufgabe für die Universitäten und die Pädagogischen Hochschulen die LehrerInnen so auszubilden, dass sie in den verschiedenen Sprachen auch Unterricht anbieten können. Im Moment sind wir davon meilenweit entfernt. Deshalb muss man unter diesen Umständen vornehmlich auf Deutsch als Zweitsprache-Förderung setzen, sie garantieren. Die Entwicklung von Methoden des Einbezugs von Mehrsprachigkeit würde dann mit gutem Gewissen dem folgen können.

Welche Rolle spielt Mehrsprachigkeit derzeit in der LehrInnenausbildung?

Eine viel zu geringe Rolle. Im Moment sind das nur die Deutsch-Studierenden an der Uni Wien, die verpflichtend ein Modul aus DaZ/DaF besuchen müssen, wobei es hier ja vornehmlich um Deutsch geht und nicht um andere Sprachen als Deutsch. Alle anderen Lehramtsstudierenden kommen aber auch mit DaZ gar nicht in Berührung. An den Universitäten und Pädagogischen Hochschulen ist DaZ generell nicht systematsich verankert. Aber es gibt viele DozentInnen, die mit großem Eigenengagement die Perspektive DaZ in ihre Lehre integrieren. Mehrsprachigkeit im Sinne von migrationsspezifischer Mehrsprachigkeit kommt dem gegenüber eher weniger vor und hängt auch vom Engagement von Einzelpersonen ab.

Bleiben wir bei der Schule: Sind Maßnahmen wie Deutsch vor Schuleintritt oder Deutschgebote in Pausenhöfen sinnvoll?

Sprache erfüllt mehrere Funktionen, auf der einen Seite spielt Sprache eine Rolle als Kommunikationsmittel, auf der anderen Seite ist Sprache auch ein Phänomen, mit dem Zugehörigkeiten markiert werden. Und diese Frage von Zugehörigkeit spielt auch eine große Rolle in der Gesellschaft. Es gibt verschiedene Argumente für Deutschgebote und Sprachenverbote. Es wird z.B. behauptet, dass andere gestört würden, wenn die Kinder andere Sprachen als Deutsch sprechen, weil sie nichts verstehen. Ich denke generell, dass die Pause für Erholung und Gespräche zur Verfügung steht. Dafür dass alle alle privaten Gespräche verstehen, besteht keine Notwendigkeit. Wenn ich selber an der Uni bin und Kaffee trinke, dann bin ich auch froh, wenn ich nicht alles verstehen muss, was um mich herum gesagt wird. Auch Lehrkräfte im Unterricht müssen nicht alles verstehen können, das wäre ohnehin auch mit dem alleinigen Gebrauch des Deutschen nicht möglich – man schreibt sich z.B. Zettel und flüstert sich zu. Zudem gibt es viele gute Möglichkeiten, die Mehrsprachigkeit für die Bildung von Schülerinnen und Schülern einzusetzen. Es kommt vielmehr darauf an, dass die Ausbildung verbessert wird und methodisch in den Sprachen gearbeitet wird, die von den Kindern und Jugendlichen gesprochen werden. Ein Verbot ist keine pädagogische Maßnahme.

Was sagen Sie zur Zurückstellung vom Schulbesuch, wenn Kinder nicht ausreichend Deutsch können?

Es ist durchaus möglich, dass ein Vorschuljahr mit guter Deutschförderung sprachliche Zuwächse im Deutschen mit sich bringt. Man kann jedoch Bildung nicht allein aus der Perspektive des Wissenszuwachses beurteilen. Bildung heißt nicht nur, dass man Wissen erwirbt, es heißt auch Subjektivierung. Die Einschulung spielt eine ganz große Rolle in unserem Leben, ist ein wichtiges Ereignis. Wenn man zu einem Kind sagt: Du kommst nicht in die erste Klasse, du musst jetzt erstmal Deutsch lernen, dann ist das ein möglicherweise ein Schock. Das Kind bekommt den Eindruck: Mit mir stimmt etwas nicht. Welches Kind versteht denn, was ausreichende Deutschkompetenz heißt? Abgesehen davon, lässt sich die Schulreife nicht an der Beherrschung der Sprache Deutsch festmachen. Kinder können in anderen Sprachen und Sprachenkombinationen schulreif sein. Es wäre also eine große Ungerechtigkeit, Kinder nicht vom der Einschulung zurückzuhalten, weil die Schule keine Angebote in den von ihnen gesprochenen Sprachen bereithält. Aus vielen Gründen also muss man vom Kindergarten an bis zur Matura ausreichend Lernangebote für die deutsche Bildungssprache schaffen. Ein Qualifizierungs- und Angebotsdefizit von Universität, Hochschule und Schule kann nicht auf dem Rücken der Kinder ausgetragen werden.

In der sogenannten Integrationsdebatte wird oft über Sprache gesprochen. Funktioniert Inklusion wirklich in erster Linie über Sprache?

Ich würde eigentlich beide Begriffe nicht verwenden wollen. Integration wird oft als Assimilation verstanden und richtet sich einseitig an MigrantInnen. Ich stehe auch nicht für den Begriff der Inklusion, weil er ein pathologisierendes Element enthält. Ich würde einfach sagen: Beteiligung an der Gesellschaft. Und die wird nicht nur durch Deutsch ermöglicht. Das Problem ist, dass die Mehrheitsgesellschaft dabei „fein aus dem Schneider ist“, Ausgrenzungsmechanismen und institutionelle Diskriminierung aber bestehen bleiben. Auch wenn jemand perfekt Deutsch kann, gibt es Ausgrenzungsprobleme, die wir bewältigen müssen. Ich würde nie sagen, die Menschen sollen kein Deutsch lernen, aber auch nicht: Die Menschen sollen Deutsch lernen, weil ich davon ausgehe – und das ist meine feste Arbeitshypothese – dass sowieso jeder, der nach Österreich kommt, Deutsch lernen möchte. Wer möchte denn schon auf der Straße stehen und einen Busfahrplan nicht verstehen? Oder wenn man angesprochen wird, nicht antworten können? Es soll Angebote geben, aber ich halte nichts von Zwang, der Menschen unterstellt, dass sie kein Deutsch sprechen möchten.

Warum reagieren so viele Leute negativ, wenn sie „Ich geh’ Billa“ hören?

Die Leute haben vielleicht ein Problem damit, dass Deutsch auf eine Weise gesprochen wird, durch die erkennbar wird, dass wir in einer Migrationsgesellschaft leben. Wenn Jugendliche sagen Ich geh Billa, dann wird möglicherweise interpretiert, dass die Jugendlichen nicht mehr richtig Deutsch sprechen können. Da kommt dann eine Vorstellung von sprachlicher Korrektheit ins Spiel und es wird gesagt: Das Deutsch geht kaputt,, die Sprachkompetenz in der Gesellschaft nimmt ab... Das ist ein Rattenschwanz an Argumenten. Aber Sprache verändert sich immer. Die Sprache wird ja von vielen Seiten beeinflusst, aber in diesen Argumentationen kommt dann die Hierarchie ins Spiel: Wird Deutsch vom Französischen beeinflusst, hat niemand damit ein ernsthaftes Problem. Aber mit einem Einfluss des Türkisch zum Beispiel schon, jedenfalls wäre das meine Hypothese. Das Problem ist nicht, dass die Sprache sich verändert, sondern dass manche MigrantInnengruppen als schlechter angesehen werden und ein Einfluss dieser Sprachen auf das Deutsche möglicherweise von Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft negativ beurteilt wird.

 

Vanessa Gaigg führte das Interview, sie studiert Philosophie an der Universität Wien.

 

Im Rahmen des progress-Schwerpunktes zum Thema Mehrsprachigkeit hat sich Vanessa Gaigg mit İnci Dirim, Professorin für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache an der Uni Wien, über Deutschgebote an Schulen und die Wechselwirkung von Gesellschaft und Universität unterhalten und erfahren, was in der Debatte um Ausgrenzung falsch läuft.

progress: Sie haben die erste Professur für Deutsch als Zweitsprache an der Uni Wien inne. Die Professur wurde erst 2010 eingeführt – wäre der Bedarf dafür nicht schon früher da gewesen?

İnci Dirim: Das ist die erste Professur für Deutsch als Zweitsprache bzw. für Deutsch in der Migrationsgesellschaft in ganz Österreich, nicht nur an der Uni Wien. Dass sie erst so spät eingeführt wurde, ist wahrscheinlich eine Frage von Politik und Selbstverständnis – ob man sich als Migrationsgesellschaft versteht oder nicht. Wahrscheinlich hat das auch mit der Distanz zwischen Uni und Gesellschaft zu tun, dass man also gesellschaftliche Entwicklungen und Herausforderungen nicht unbedingt als Aufgabe der Universität wahrgenommen hat.

Was ist der Unterschied zwischen Deutsch als Zweitsprache (DaZ) und Deutsch als Fremdsprache (DaF)?

Bei Deutsch als Fremdsprache geht es um den Deutschunterricht außerhalb von Österreich beziehungsweise außerhalb von amtlich deutschsprachigen Ländern. Das heißt zum Beispiel, wenn jemand in Südafrika in der Schule Deutsch oder wenn jemand in der Türkei zum Goethe-Insitut geht, um einen Deutschlurs zu besuchen, sind das Deutschlernaktivitäten in Umgebungen, in denen i.d.R. sonst nicht Deutsch gesprochen wird und man den Fremdsprachenunterricht Deutsch besucht. So wie wir hier zum Beispiel den Französischunterricht als Fremdsprachenunterricht haben – das ist dann eine Sprache, die man im Alltag und der Umgebung meistens nicht spricht. Deutsch als Zweitsprache wäre dann das Deutsch, das hier in Österreich benutzt wird. Wenn also Kinder, Jugendliche oder Erwachsene als MigrantInnen nach Österreich kommen und hier das Deutsche benutzen – bei ihnen geht man davon aus, dass sie Deutsch im Alltag, in der Bildungsinstitution und im Berufsleben brauchen. Es geht also um den Unterschied zwischen einer Fremdsprache und der Frage des Zurechtkommens mit der deutschen Sprache in der umgebenden Gesellschaft.

Was bringt die Differenzierung zwischen einer Erst- und Zweitsprache?

Da könnte man zunächst die Begriffe selbst kritisch beleuchten. Studierende in meinem Fachbereich haben das beispielsweise kritisiert und gesagt, Zweitsprache ist ein Begriff, der einen eigentlich auf einen bestimmten Status von Zugehörigkeit festlegt. Geht man zum Beispiel davon aus, dass jemand in Tschechien Deutsch als Fremdsprache gelernt hat und nach Österreich kommt, wird er in zum Zweitsprachler des Deutschen. Aber Sie werden mir zustimmen, dass man niemals vom Deutsch als Zweitsprachler zum Deutsch als Muttersprachler werden würde. Es wird also akzeptiert, dass man eine große Nähe zum Deutschen als Sprache hat, aber man wird nicht wirklich als Deutsch-Sprechender akzeptiert. Und da haben Studierende zu Recht gefragt: Warum ist das eigentlich so? Immerhin empfinde ich die Sprache genauso als meine Sprache und denke, lebe, träume in dieser Sprache. Und wenn ich jetzt einen bosnischen und keinen kärtnerischen Akzent habe, warum ist das ein Problem? Aus einer spracherwerbstheoretischen Perspektive aus lässt sich sagen, dass es Unterschiede im Erwerb des Deutschen als die Erstsprache (bis zum dritten Lebensjahr) und dem Erwerb des Deutschen als Zweitsprache gibt, je nachdem wann der Erwerb des Deutschen einsetzt.

Wohin kann diese Unterscheidung führen?

Die Frage ist, was als Unterschied angesehen wird, jenseits der spracherwerbstheoretischen Erkenntnisse? Wenn es die Herkunft der Eltern sein soll, nach der bestimmt wird, dass man Deutsch als Zweitsprache erwirbt, dann wäre das eine biologistische Interpretation und sehr problematisch – das kann bis hin zu Rassismus gelangen. Ich finde es problematisch, wenn eine Gruppe von Personen konstruiert wird, die nie wirklich akzeptiert werden wird. Aber zu sagen: Ach so, dann brauchen wir ja Deutsch als Zweitsprache gar nicht mehr, ist natürlich auch nicht richtig. An den Schulen gibt es viele Kinder, die nicht das Deutsch sprechen, das die Schule erwartet, die also im Unterricht sitzen und nicht genug verstehen. Diesen Kindern die Förderung zu enthalten wäre eine Katastrophe. Also solange die Schule monolingual deutschsprachig bleibt, muss die Deutschförderung, die gebraucht wird, auch angeboten werden, ohne jedoch Kinder und Jugendliche für immer auf einen Status von nicht-kompetenten SprecherInnen des Deutschen festzulegen.

Ist der derzeitige Umgang mit Mehrsprachigkeit im Schulsystem sinnvoll?

Die Monolingualität der Schule passt nicht zur Mehrsprachigkeit der Gesellschaft. Es ist schon so oft festgestellt worden, dass eine bilinguale oder mehrsprachige Erziehung für die Kinder besser wäre. Aber das hängt davon ab, wie diese Erziehung angeboten wird. Mir geht es darum, Benachteiligung zu reduzieren und Selbstartikulation im Sinne von Agency zu ermöglichen. Nach den gängigen Vorstellungen heißt Mehrsprachigkeit in der Schule leider oft, dass etwa zwei Kinder, die in der Klasse sitzen, gefragt werden: Kannst du das denn mal auf Serbisch sagen? Ihr sprecht ja so schön Serbisch alle! Und dann denkt man sich: Erledigt. So einfach ist das aber nicht. Allerdings gibt es bereits Projekte, die zum Ziel haben, den Einbezug von Mehrsprachigkeit in die Schule zu systematisieren und zu professionalisieren, z.B. das Projekt „MARILLE“.

Werden die LehrerInnen im Bereich Mehrsprachigkeit allein gelassen?

Es geht darum, dass die Kinder die Sprachen als Bildungssprachen lernen, sie benutzen können, und darum, die Benachteiligungen zu reduzieren, die durch die Monolingualität der Schule entsteht. Es wäre eine Qualifizierungsaufgabe für die Universitäten und die Pädagogischen Hochschulen die LehrerInnen so auszubilden, dass sie in den verschiedenen Sprachen auch Unterricht anbieten können. Im Moment sind wir davon meilenweit entfernt. Deshalb muss man unter diesen Umständen vornehmlich auf Deutsch als Zweitsprache-Förderung setzen, sie garantieren. Die Entwicklung von Methoden des Einbezugs von Mehrsprachigkeit würde dann mit gutem Gewissen dem folgen können.

Welche Rolle spielt Mehrsprachigkeit derzeit in der LehrInnenausbildung?

Eine viel zu geringe Rolle. Im Moment sind das nur die Deutsch-Studierenden an der Uni Wien, die verpflichtend ein Modul aus DaZ/DaF besuchen müssen, wobei es hier ja vornehmlich um Deutsch geht und nicht um andere Sprachen als Deutsch. Alle anderen Lehramtsstudierenden kommen aber auch mit DaZ gar nicht in Berührung. An den Universitäten und Pädagogischen Hochschulen ist DaZ generell nicht systematsich verankert. Aber es gibt viele DozentInnen, die mit großem Eigenengagement die Perspektive DaZ in ihre Lehre integrieren. Mehrsprachigkeit im Sinne von migrationsspezifischer Mehrsprachigkeit kommt dem gegenüber eher weniger vor und hängt auch vom Engagement von Einzelpersonen ab.

Bleiben wir bei der Schule: Sind Maßnahmen wie Deutsch vor Schuleintritt oder Deutschgebote in Pausenhöfen sinnvoll?

Sprache erfüllt mehrere Funktionen, auf der einen Seite spielt Sprache eine Rolle als Kommunikationsmittel, auf der anderen Seite ist Sprache auch ein Phänomen, mit dem Zugehörigkeiten markiert werden. Und diese Frage von Zugehörigkeit spielt auch eine große Rolle in der Gesellschaft. Es gibt verschiedene Argumente für Deutschgebote und Sprachenverbote. Es wird z.B. behauptet, dass andere gestört würden, wenn die Kinder andere Sprachen als Deutsch sprechen, weil sie nichts verstehen. Ich denke generell, dass die Pause für Erholung und Gespräche zur Verfügung steht. Dafür dass alle alle privaten Gespräche verstehen, besteht keine Notwendigkeit. Wenn ich selber an der Uni bin und Kaffee trinke, dann bin ich auch froh, wenn ich nicht alles verstehen muss, was um mich herum gesagt wird. Auch Lehrkräfte im Unterricht müssen nicht alles verstehen können, das wäre ohnehin auch mit dem alleinigen Gebrauch des Deutschen nicht möglich – man schreibt sich z.B. Zettel und flüstert sich zu. Zudem gibt es viele gute Möglichkeiten, die Mehrsprachigkeit für die Bildung von Schülerinnen und Schülern einzusetzen. Es kommt vielmehr darauf an, dass die Ausbildung verbessert wird und methodisch in den Sprachen gearbeitet wird, die von den Kindern und Jugendlichen gesprochen werden. Ein Verbot ist keine pädagogische Maßnahme.

Was sagen Sie zur Zurückstellung vom Schulbesuch, wenn Kinder nicht ausreichend Deutsch können?

Es ist durchaus möglich, dass ein Vorschuljahr mit guter Deutschförderung sprachliche Zuwächse im Deutschen mit sich bringt. Man kann jedoch Bildung nicht allein aus der Perspektive des Wissenszuwachses beurteilen. Bildung heißt nicht nur, dass man Wissen erwirbt, es heißt auch Subjektivierung. Die Einschulung spielt eine ganz große Rolle in unserem Leben, ist ein wichtiges Ereignis. Wenn man zu einem Kind sagt: Du kommst nicht in die erste Klasse, du musst jetzt erstmal Deutsch lernen, dann ist das ein möglicherweise ein Schock. Das Kind bekommt den Eindruck: Mit mir stimmt etwas nicht. Welches Kind versteht denn, was ausreichende Deutschkompetenz heißt? Abgesehen davon, lässt sich die Schulreife nicht an der Beherrschung der Sprache Deutsch festmachen. Kinder können in anderen Sprachen und Sprachenkombinationen schulreif sein. Es wäre also eine große Ungerechtigkeit, Kinder nicht vom der Einschulung zurückzuhalten, weil die Schule keine Angebote in den von ihnen gesprochenen Sprachen bereithält. Aus vielen Gründen also muss man vom Kindergarten an bis zur Matura ausreichend Lernangebote für die deutsche Bildungssprache schaffen. Ein Qualifizierungs- und Angebotsdefizit von Universität, Hochschule und Schule kann nicht auf dem Rücken der Kinder ausgetragen werden.

In der sogenannten Integrationsdebatte wird oft über Sprache gesprochen. Funktioniert Inklusion wirklich in erster Linie über Sprache?

Ich würde eigentlich beide Begriffe nicht verwenden wollen. Integration wird oft als Assimilation verstanden und richtet sich einseitig an MigrantInnen. Ich stehe auch nicht für den Begriff der Inklusion, weil er ein pathologisierendes Element enthält. Ich würde einfach sagen: Beteiligung an der Gesellschaft. Und die wird nicht nur durch Deutsch ermöglicht. Das Problem ist, dass die Mehrheitsgesellschaft dabei „fein aus dem Schneider ist“, Ausgrenzungsmechanismen und institutionelle Diskriminierung aber bestehen bleiben. Auch wenn jemand perfekt Deutsch kann, gibt es Ausgrenzungsprobleme, die wir bewältigen müssen. Ich würde nie sagen, die Menschen sollen kein Deutsch lernen, aber auch nicht: Die Menschen sollen Deutsch lernen, weil ich davon ausgehe – und das ist meine feste Arbeitshypothese – dass sowieso jeder, der nach Österreich kommt, Deutsch lernen möchte. Wer möchte denn schon auf der Straße stehen und einen Busfahrplan nicht verstehen? Oder wenn man angesprochen wird, nicht antworten können? Es soll Angebote geben, aber ich halte nichts von Zwang, der Menschen unterstellt, dass sie kein Deutsch sprechen möchten.

Warum reagieren so viele Leute negativ, wenn sie „Ich geh’ Billa“ hören?

Die Leute haben vielleicht ein Problem damit, dass Deutsch auf eine Weise gesprochen wird, durch die erkennbar wird, dass wir in einer Migrationsgesellschaft leben. Wenn Jugendliche sagen Ich geh Billa, dann wird möglicherweise interpretiert, dass die Jugendlichen nicht mehr richtig Deutsch sprechen können. Da kommt dann eine Vorstellung von sprachlicher Korrektheit ins Spiel und es wird gesagt: Das Deutsch geht kaputt,, die Sprachkompetenz in der Gesellschaft nimmt ab... Das ist ein Rattenschwanz an Argumenten. Aber Sprache verändert sich immer. Die Sprache wird ja von vielen Seiten beeinflusst, aber in diesen Argumentationen kommt dann die Hierarchie ins Spiel: Wird Deutsch vom Französischen beeinflusst, hat niemand damit ein ernsthaftes Problem. Aber mit einem Einfluss des Türkisch zum Beispiel schon, jedenfalls wäre das meine Hypothese. Das Problem ist nicht, dass die Sprache sich verändert, sondern dass manche MigrantInnengruppen als schlechter angesehen werden und ein Einfluss dieser Sprachen auf das Deutsche möglicherweise von Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft negativ beurteilt wird.

 

Vanessa Gaigg führte das Interview, sie studiert Philosophie an der Universität Wien.

„Deutsch sitzt bei mir im Mund“

  • 17.11.2013, 23:28

Französisch im Bauch, Persisch im Herzen und Englisch im Kopf. Sprachenporträts machen gelebte Sprachenvielfalt sichtbar: Mit Farben zeichnen Menschen ihre Sprachen in eine Silhouette ein und veranschaulichen die eigene Mehrsprachigkeit. Vier (Wahl-)WienerInnen haben zu den Buntstiften gegriffen und erzählen ihre Geschichten. Ihre Zeichnungen hat Ulrike Krawagna zu Illustrationen verarbeitet.

Französisch im Bauch, Persisch im Herzen und Englisch im Kopf. Sprachenporträts machen gelebte Sprachenvielfalt sichtbar: Mit Farben zeichnen Menschen ihre Sprachen in eine Silhouette ein und veranschaulichen die eigene Mehrsprachigkeit. Vier (Wahl-)WienerInnen haben zu den Buntstiften gegriffen und erzählen ihre Geschichten. Ihre Zeichnungen hat Ulrike Krawagna zu Illustrationen verarbeitet.

Illustration: Ulrike Krawagna

„Dann zuckt das französische Wort“ - Luc (24)

Meine ersten Schritte habe ich als Kind in der Schweiz gemacht. Ich bin in Zürich aufgewachsen, deshalb nimmt den unteren Beinbereich das Schweizerdeutsche ein. Es stellt das stützende Fundament für mein Sprachverständnis dar.

Vom Schritt bis zur oberen Brust ist für mich der französischsprachige Teil. Wahrscheinlich weil meine Mutter aus Frankreich ist. Bis sieben oder acht bin ich hauptsächlich französischsprachig aufgewachsen. Zum Französischen habe ich auch den emotionalsten Bezug. Wenn ich mich verbrenne, dann zuckt nicht nur der Schmerz in mir, sondern gleichzeitig auch das französische Wort. Außerdem ist das der sinnlichste Teil des menschlichen Körpers. Und schon ziemlich früh hatte ich die triviale Assoziation, dass ein Großteil meines sinnlichen Lebensverständnisses auf französische Lebenswelten zurückgeht. Den Bereich von der oberen Brust bis zum Scheitel nimmt das Schriftdeutsche ein. Es wurde bei uns neben dem Französischen gesprochen, vor allem nachdem mein Vater, der aus Österreich stammt, mehr zuhause war.

Erst das Deutsche in Schriftform hat mir wirklich und endgültig eine Sprache eingehaucht, in der ich mich ausdrücken konnte. Das Französische habe ich schriftlich zu wenig beherrscht und das Schweizerdeutsche hatte zu viele Unzulänglichkeiten für mich. Durch das Lesen des Schriftdeutschen wurde eine Fülle an Gedanken und Spielereien freigesetzt. Wenn wir ganze Bücher in einer Sprache lesen, dann ist klar, dass gewisse Horizonterweiterungen untrennbar mit dieser Sprache verbunden sind. Meine Zwillingsschwester und ich haben eine eigene Sprache: Schriftdeutsch in schweizerdeutschem Tonfall. Das ist so dieses Zwillingsding. So spreche ich nur mit meiner Schwester.

Der Schweiz den Rücken zu kehren, war doch eine Zäsur. Es hat mir gut getan, nicht auf das Schweizerdeutsche angewiesen zu sein. Aber ich entwickle wieder eine Affinität zu Zürich. Es tut mir gut, wenn ich in der Schnellbahn sitze und unter dem Fenster auf Französisch, Deutsch und Italienisch steht, dass man sich nicht aus dem Fenster lehnen soll. Im Vergleich zu Wien ist Zürich wirklich ein sprachlich hybrider Raum. Das lerne ich jetzt, nach fünf Jahren, zu schätzen.“

 

Illustration: Ulrike Krawagna

„Liebe und Mathematik sind auf Russisch“ - Mascha (30)

„Die roten Stiefel stehen für das Russische. Das ist instinktiv so: Rot ist Russisch. Die Lederhose ist Österreichisch. Der Davidstern das Hebräische. Das Ferrari-Zeichen steht für Italien. Der Eiffelturm steht für Französisch. Und viel kleiner: English Tea, weil mein Englisch nur Schulenglisch ist.

Ich rede jeden Tag Deutsch. Ich lebe in Wien und bin eine russische Wienerin. Deshalb ist das Deutschsprachige ganz groß. Das Italienische wird klein gehalten. Ich rede zwar jeden Tag Italienisch, weil ich in einer Pizzeria arbeite, aber ich habe keine italienischen Wurzeln.

Geboren wurde ich in Tashkent, in der damaligen UdSSR. Die Staatssprache war Russisch. Und meine Eltern waren beide Russen. Nach dem Zusammen- bruch der UdSSR, da war ich sechs, sind wir ausgewandert. Mein Papa ist Jude, deshalb sind wir nach Israel gegangen. An meinem ersten Tag in der Schule in Israel hat man mich einfach in die Klasse gesetzt und gesagt: Jetzt lernst du was. Ich habe – eigentlich wie eine Idiotin – einfach abgeschrieben, was auf der Tafel stand. Und diese Zeichen haben für mich überhaupt keinen Sinn ergeben. Ich habe das von links nach rechts abgeschrieben, bis mich ein Mitschüler gefragt hat, was ich da mache. Das ist mir fest in Erinnerung geblieben. Das Russische habe ich in Israel mehr oder weniger vergessen. Alles war auf Hebräisch. Sogar mit meiner Mama habe ich nur Hebräisch geredet, auch wenn sie mir auf Russisch geantwortet hat. Mittlerweile habe ich das Hebräische ziemlich verlernt. Schreiben und Lesen kann ich kaum noch, obwohl ich auch in Israel alphabetisiert worden bin.

Nach vier Jahren in Israel sind wir nach Wien gekommen. Als ich hier in die Schule gekommen bin, konnte ich kein Deutsch und Hebräisch hat niemand mit mir gesprochen – also was blieb übrig? Russisch! Meine damals beste Freundin war Russin. In der Schule sind wir immer nebeneinander gesessen. Wenn wir nicht nach Österreich gegangen wären, hätte ich viel von meinem Russisch vergessen. Jetzt spreche ich andauernd Russisch. Ich habe fast nur russische FreundInnen. Russisch ist die emotionalste Sprache für mich. Wenn ich schimpfe, schimpfe ich auf Russisch. Alles, was mein Herz betrifft, Liebe und Mathematik ist auf Russisch. Und meine Kinder werde ich auf jeden Fall auf Russisch großziehen.“

 

Illustration: Ulrike Krawagna

„Es war gar nicht komisch, die Sprache zu wechseln.“ - Katarina (28)

„Schwedisch ist meine Muttersprache. Schwedisch sitzt bei mir im Bauch, es kommt automatisch. Meine Zweitsprache ist Deutsch. Das sitzt bei mir im Mund. Manchmal muss ich darüber nachdenken, aber eigentlich kommt es einfach so raus. Englisch ist meine Drittsprache. Ich bin sehr gut in Englisch, habe es lange in der Schule gelernt, aber es ist für mich nicht so emotional. Weil ich manchmal länger nach den Worten suchen muss, sitzt es bei mir im Hirn.

Spanisch liegt im Herzen. Es ist eine Sprache, die ich gerne lernen würde. Auf meinem Weg in die Schule, saß jeden Tag vor mir im Bus ein chilenisches Pärchen. Die haben auf Spanisch miteinander gesprochen und das klang immer so schön.

Bei einem Schüleraustauch in Frankfurt an der Oder habe ich meinen Freund kennengelernt. Wegen ihm bin ich mit 19 nach Berlin gezogen. Ich habe dort einen viermonatigen Sprachkurs gemacht, da habe ich dann wirklich Deutsch gelernt. Unsere erste gemeinsame Sprache war Englisch. Aber nach drei Wochen hat es klick gemacht und wir haben nur noch Deutsch gesprochen. Es war gar nicht komisch, die Sprache zu wechseln, wir haben nicht darüber nachgedacht, es war einfach so. In Berlin habe ich zwei Jahre bei Ikea gearbeitet. Dort habe ich dann das Berlinerische gelernt und nach ein paar Wochen selber zum „Berlinern“ angefangen. Genau so war es in Wien: Wienerisch habe ich am Anfang auch nicht verstanden und jetzt spreche ich ein bisschen Dialekt.

Wenn mein Freund und ich uns am Anfang gestritten haben, war das schlimm. Beim Streiten habe ich es als Problem empfunden, dass ich die Sprache schlechter beherrsche als er. Heute denke ich nicht mehr darüber nach, ob ich Deutsch oder Schwedisch spreche. Deshalb fühle ich mich auch nicht unterlegen. Ich glaube, ich kann viele Sachen auf Deutsch, die ich auf Schwedisch nicht kann. Eben weil ich mein ganzes Studium in deutschsprachigen Ländern gemacht habe.

Schwedisch spreche ich nur alle zwei bis drei Wochen, wenn ich mit meiner Familie telefoniere. Aber ich lese regelmäßig schwedische Tageszeitungen im Internet. Das hält es ein bisschen lebendig. Manchmal wäre es schön, ein bisschen mehr Schwedisch zu sprechen oder zu hören. Ich habe aber nicht vor dorthin zurückzukehren. Ich habe mich so eingelebt in der deutschsprachigen Welt, ich fühle mich nicht mehr wirklich zuhause in Schweden.“

 

Illustration: Ulrike Krawagna

„Meine vielen Sprachen sind meine Geheimwaffe“ - Arzi (18)

„Aus der Ferne glauben die Leute, ich sei Österreicherin. Wenn sie näher kommen, denken sie, ich bin Albanerin. Und wenn sie noch näher kommen, glauben sie, dass ich Türkin bin. Deshalb habe ich diese Sprachen im Gesicht eingezeichnet.

Mein Vater ist Türke, meine Mutter Perserin. Ich bin in Wien geboren und aufgewachsen. In der Brust, also beim Herzen, ist das Persische. Wenn ich denke oder mit mir selber rede, dann tue ich das oft auf Persisch. Weil meine Mutter mit mir als Kind immer Persisch geredet hat, und das geht direkt da hinein. Wenn mein Vater noch da wäre und mit mir reden würde, wäre das vielleicht anders. Mein Vater hat mit mir Türkisch gesprochen. Seit ein paar Jahren sind meine Eltern geschieden. Zu meinem Vater habe ich keinen Kontakt mehr. Nach der Trennung wollte ich eine Zeit lang gar kein Türkisch sprechen, bis ich in der Volksschule türkische FreundInnen bekommen habe. Da habe ich wieder angefangen, Türkisch zu reden. Aber zuhause natürlich gar nicht mehr. Nur mit meinem Bruder, mit ihm spreche ich Türkisch, Persisch und Deutsch. Alles gemischt. Das ist so etwas wie eine Geheimsprache, das kann ich nur mit ihm machen.

Bis zu meinem sechsten Lebensjahr konnte ich kaum sprechen. Als ich mit sechs in den Kindergarten gekommen bin, habe ich dort zu sprechen angefangen. Das war auch das erste Mal, dass ich mehr mit Deutsch in Kontakt gekommen bin. Am Anfang war das schwierig für mich. Ich war sehr zurückgezogen. Aber dann bin ich lockerer geworden, habe FreundInnen gefunden. Ich denke, dass man mit Deutsch mehr erreichen kann, als mit den anderen Sprachen. Und nachdem ich hier geboren bin, habe ich in Wien eher ein Heimatgefühl als im Iran oder in der Türkei. Trotzdem fühle ich mich überall wie eine Ausländerin.

Das Arabische habe ich in der Bauchgegend eingezeichnet, weil ich orientalischen Bauchtanz mache und viele FreundInnen aus dem arabischen Raum habe. Mit ihnen spreche ich Deutsch, aber ich benutze viele arabische Ausdrücke. Das Englische ist in den Armen, weil ich Hip Hop tanze. Hip-Hop-Bewegungen werden mit den Beinen und den Armen gemacht. Ehrlich gesagt, hasse ich Englisch, aber im Hip Hop klingt es super geil. Im linken Bein ist das Spanische, weil ich Salsa tanze. Das Indische sitzt im rechten Bein, das kommt vom Bollywood- Tanzen.

Ich kann die Leute ausspionieren, weil ich so viele Sprachen spreche. Und die merken das nicht einmal. Mein Zukünftiger soll auch so viele Sprachen können wie ich. Sonst würde er ja vor Eifersucht platzen. Meine vielen Sprachen sind meine Geheimwaffe. Eine meiner Geheimwaffen.“

Süpersexy, vui oag und urtoll

  • 01.11.2013, 01:26

Überblick über Mehrsprachigkeit

Über Sprachen sprechen

Während anderswo Mehrsprachigkeit selbstverständliches Resultat des Aufwachsens in mehrsprachigen Gemeinschaften ist, gilt es in Europa vor allem als Zeichen von Bildung und Weltoffenheit. Unsere Alltagsterminologie scheint dabei schon lange nicht mehr adäquat, um mit Sprachenvielfalt – vor allem unserer eigenen – umzugehen. Sind dir deine Fremdsprachen wirklich noch „fremd“? Spricht deine Mutter deine „Muttersprache“? Wie viele Sprachen hast du als „Erstsprache“ gelernt? Wie gebildet bist du in deiner „Bildungssprache“? Gilt dein Dialekt als „Zweitsprache“? Und wie kann Deutsch in Österreich die einzige „Landessprache“ sein, wenn die Menschen hier auch Türkisch, Serbisch, Kroatisch, Englisch, Bosnisch, Polnisch, Albanisch, Arabisch, Rumänisch, Italienisch, Persisch, Slowakisch, Slowenisch, Französisch, Tschechisch, Ungarisch, Romani und andere Sprachen sprechen? Dass wir über (diese) Sprachen sprechen, ist wichtig – wie wir über sie sprechen auch.

Akzente und Dialekte

„Woher hast du deinen Akzent?“ Diese Frage gestellt zu bekommen, ist manchen unangenehm bis peinlich, vor allem in einer „Fremdsprache“ – „Ich möchte doch wie ein_e Native klingen!” Fakt ist: Jeder Mensch hat einen Akzent (das heißt eine gewisse Aussprache), ob Native oder nicht, und wir alle sprechen einen Dialekt (das heißt verwenden eine gewisse Grammatik und Lexik), ob nun „Standard“ oder nicht. Kein Akzent oder Dialekt ist an sich besser oder schlechter als andere, manche genießen allerdings ein höheres Ansehen. So wird z.B. ein französischer Akzent oft als sexy bezeichnet, während Akzente von slawischen Sprachen schnell als ungehobelt abgetan werden. Wer in der Vorlesung ein Meidlinger L hören lässt, wird als ungebildet empfunden, wer nach der Ski-Abfahrt ein Interview auf Kärntnerisch gibt, als volksverbunden bejubelt. Und wer hat nicht schon mindestens einmal im ewigen Kampf zwischen „ur“ und „vui“ mitdiskutiert? Dabei sollte für erfolgreiche Kommunikation nur eines zählen: verstanden zu werden.

„A language is a dialect with an army and a navy.“

Diese Definition von Sprache als „Dialekt mit Armee und Flotte“ (bekannt geworden durch den Linguisten Max Weinreich, der das Zitat von einem Seminarteil nehmer aufschnappte) kann uns bewusst machen, dass es oft politische Hintergründe sind, die für die Unterteilung und Anerkennung von Sprachen entscheidend sind – und nicht etwa sprachhistorische, grammatische oder andere linguistische Aspekte. So gelten zum Beispiel Bosnisch, Kroatisch und Serbisch zurzeit trotz ihrer vielen Gemeinsamkeiten und gegenseitiger Verständlichkeit als jeweils eigene Sprachen, da Bosnien, Kroatien und Serbien als voneinander unabhängige Staaten mit eigener Identität verstanden werden. Hingegen werden unterschiedliche Sprachen, die im Raum China gesprochen werden und auf Basis linguistischer Merkmale ohne weiteres als verschiedene Sprachen bezeichnet werden können, oft als Dialekte einer einzigen Sprache „Chinesisch” verstanden.

Europäischer Tag der Sprachen

Mehr als 200 Sprachen gelten als europäisch, die EU verwendet zurzeit 24 Sprachen als offizielle Amtssprachen und mehr als die Hälfte der in Europa lebenden Menschen geben an, in mehr als einer Sprache eine Konversation führen zu können. Vor dem Hintergrund dieser linguistischen Vielfalt wurde der 26. September vom Europarat zum „Europäischen Tag der Sprachen“ erklärt. An diesem Tag finden in vielen europäischen Ländern Veranstaltungen zum Thema Mehrsprachigkeit statt, die über die Sprachenvielfalt in Europa informieren und zum Sprachenlernen motivieren sollen – darunter gemeinsames Singen in mehreren Sprachen, Postkartenaustausch mit Menschen in anderen Ländern sowie „Speak-Dating“–Events und Online- Dialekt-Collagen. In Österreich wird an diesem Tag unter anderem die „Lange Nacht der Sprachen“ angeboten, in der Interessierte an verschiedenen Instituten in Sprachkurse schnuppern und sich Appetit aufs Sprachenlernen holen können.

Gebärdensprachen

Es gibt nur eine einzige Gebärdensprache und diese wird weltweit von allen Gebärdenden verstanden – das ist nur einer von vielen Mythen, die sich um Gebärdensprachen ranken. Tatsächlich sind Gebärdensprachen so vielfältig wie die Communities, in denen Menschen gebärdend kommunizieren. Aktuelle Schätzungen gehen von circa 200 aktiv verwendeten Gebärdensprachen aus, wobei zusätzlich, wie bei Lautsprachen, noch zahlreiche Gebärdendialekte unterschieden werden. Außerdem sind Gebärdensprachen in ihrer Grammatik nicht gezwungenermaßen den Lautsprachen ähnlich, mit denen sie oft assoziiert werden. Österreichische Gebärdensprache ist also nicht etwa „gebärdetes Deutsch“, sondern eine eigene Sprache, die von über 10.000 Menschen zur Kommunikation verwendet wird.

Übersetzen und Dolmetschen

Übersetzen und Dolmetschen ist in unserer mit der ganzen Welt verknüpften Gesellschaft so gefragt wie nie zuvor. Die meisten Übersetzungen werden aber von vielen gar nicht als solche wahrgenommen – oder fragst du dich, in welcher Sprache der Beipackzettel deines Medikaments ursprünglich geschrieben war? Dabei erfordern translatorische Tätigkeiten weitaus mehr als das bloße Beherrschen mehrerer Sprachen: Wer übersetzen und dolmetschen möchte, muss erkennen können, was sich hinter den Wörtern, Texten, Wertvorstellungen und sozialen Normen einer Gemeinschaft verbirgt und alle in einer gegebenen Kommunikationssituation relevanten Aspekte anderen verständlich machen. Das erfordert spezielles Expert_innenwissen, von dem eine hohe Sprachkompetenz und umfassende Kenntnisse kultureller Hintergründe nur Teile sind. In Österreich werden entsprechende Studiengänge in Wien, Graz und Innsbruck angeboten.

Michael En studiert Transkulturelle Kommunikation im Doktorat an der Universität Wien.

Von Eichhörnchen und Igeln – Mehrsprachigkeit in Luxemburg

  • 21.10.2013, 16:52

Neben Banken und Tankstellen ist Luxemburg bekannt für seine mehrsprachigen Einwohner_innen, sprechen doch die meisten von ihnen drei bis vier Sprachen. Ist das Großherzogtum ein Eldorado der Vielsprachigkeit?

Neben Banken und Tankstellen ist Luxemburg bekannt für seine mehrsprachigen Einwohner_innen, sprechen doch die meisten von ihnen drei bis vier Sprachen. Ist das Großherzogtum ein Eldorado der Vielsprachigkeit?

Luxemburg hat drei offizielle Sprachen: Luxemburgisch, Deutsch und Französisch. Ihr Gebrauch ist nicht, wie etwa in der Schweiz oder in Belgien, regional begrenzt, sondern hängt sehr stark von den Sprechenden und dem jeweiligen Kontext ab. Luxemburgisch ist eine stark mit dem Deutschen verwandte Ausbausprache, das heißt eine sich momentan weiterentwickelnde Sprache, die aus einem moselfränkischen Dialekt entstanden ist. Deutschsprachige verstehen Luxemburgisch zwar zum Teil, aber spätestens bei Sätzen wie „d' Kaweechelchen an de Kéiseker frupse Quetschegebeess“ (Das Eichhörnchen und der Igel futtern Powidl.) müssen sie passen. Seit 1984 hat Luxemburg ein eigenes Sprachengesetz, in dem Luxemburgisch als Nationalsprache definiert und neben Deutsch und Französisch als Amtssprache eingeführt wurde. Der Text des Gesetzes ist dabei – wie alle luxemburgischen Gesetze – auf Französisch verfasst.  

Neben den Amtssprachen werden in Luxemburg aber auch noch andere Sprachen gesprochen: 45 Prozent der Bevölkerung besitzt keinen luxemburgischen Pass und stammt zum Großteil aus Portugal, Frankreich, Italien, Belgien und Deutschland. Zur Sprachenvielfalt tragen außerdem die vielen europäischen Institutionen, wie etwa der Europäische Gerichtshof oder das Sekretariat des Europäischen Parlaments bei, die vor allem in der Hauptstadt Englisch zu einer viel verwendeten Sprache gemacht haben. Aber nicht alle Sprachen sind gleich gut angesehen.

Segregierende Schule. „Wir sind uns alle einig, dass wir an der Art und Weise, wie Französisch unterrichtet wird, etwas ändern müssen, aber wie, weiß niemand so genau“, schreibt eine Studierende als Kommentar auf einen Artikel mit der Überschrift „Luxemburger Schüler hassen Französisch“ auf Facebook. Das Schulsystem ist derzeit auf Luxemburger_innen ausgerichtet, die Luxemburgisch als Erstsprache sprechen und durch den alltäglichen Medienkonsum auch Deutsch verstehen. Die Alphabetisierung auf Deutsch stellt für sie somit kein großes Problem dar. Dies trifft auf 48 Prozent der Schüler_innen zu. Mehr als die Hälfte hat jedoch Luxemburgisch nicht als Erstsprache, bei einem Viertel ist es Portugiesisch. Schüler_innen beenden mit zwölf Jahren die Volksschule mit dem Wechsel auf Lycée classique (Gymnasium/AHS) oder Lycée technique (Hauptschule). Da in der Volksschule alle Fächer auf Deutsch unterrichtet werden, haben es nicht-luxemburgische Schüler_innen dort schwerer als ihre Kolleg_innen. Aufgrund schlechterer Noten werden sie dann aufs Lycée technique geschickt. Dort ist Deutsch meistens bis zum Abschluss die Unterrichtssprache, während im Lycée classique mit ungefähr 16 Jahren auf Französisch gewechselt wird. Die Folge: Der Großteil der Nicht-Luxemburger_innen hat in vielen Fällen nie die Chance, eine Hochschule zu besuchen, da sie nur wegen ihrer Deutschkenntnisse mit zwölf nicht die Möglichkeit erhalten, den Weg Richtung Hochschulreife einzuschlagen.

Symbol der Nation. Luxemburgisch als Schriftsprache wird kaum unterrichtet, oft wird im Luxemburgischunterricht nur gelesen. Dabei war Luxemburgisch noch nie so beliebt wie heute. Luxemburgischkurse sind regelmäßig ausgebucht, durch soziale Medien wurde auch der schriftliche Gebrauch wieder angekurbelt und eine beliebte spell-checker-App lässt nachholen, was in der Schule versäumt wurde. Die sehr junge Universität Luxemburg bietet seit einigen Jahren einen Master in Luxemburgistik an und forscht aktiv zur Entwicklung der Sprache und zur Mehrsprachigkeit im Großherzogtum.

Bei einer Diskussionssendung im Fernsehen zu den Parlamentswahlen Ende Oktober waren sich alle Parteien einig, dass Luxemburgisch bereits in der Vorschule und im Kindergarten gelehrt werden sollte. Bei der Frage, auf welcher Sprache alphabetisiert werden soll, scheiden sich jedoch die Geister.

Sprachen wird meistens eine verbindende Wirkung zugesagt, aber gerade Luxemburgisch wird von rechten Politiker_ innen gerne als kostbares, aber bedrohtes Symbol der nationalen Identität gesehen, das vehement verteidigt werden muss. Ausdruck davon sind etwa die heftigen Forderungen nach luxemburgischsprachigem Servicepersonal, denn viele der vermeintlich polyglotten Luxemburger_innen sind nicht bereit, ihr Croissant auf Französisch zu bestellen.

Komplexe Dreisprachigkeit. Der Umgang mit den beiden „offiziellen Fremdsprachen“ Deutsch und Französisch ist komplex: Die Bedeutung des Deutschen sank, etwa in der Verwaltung, nach dem Zweiten Weltkrieg rapide, der Ruf des Französischen als Bildungssprache der bürgerlichen, urbanen Gesellschaft war besser. Deutsch blieb als Schriftsprache, insbesondere in der Presse, erhalten, während Einladungen und Briefe an Behörden auf Französisch verfasst werden. Allerdings werden etwa Todes- oder Hochzeitsanzeigen in Zeitungen eher auf Luxemburgisch verfasst, weil sie so persönlicher wirken. Die drei Sprachen sind eigenen Sphären zugeordnet, wobei sich der Gebrauch gerade durch das Internet und den erhöhten schriftlichen Gebrauch von Luxemburgisch ändert. Für das Wechseln der Sprache, gerade bei Unterhaltungen, muss allerdings ein konkreter Grund vorhanden sein, etwa die Anwesenheit eine Person, die des Luxemburgischen nicht mächtig ist.

Menschen, die im Alltag oft die Sprache wechseln müssen, sind da Ausnahmen. Sie neigen sogar oft zu Sprachwechseln innerhalb eines Satzes. Gaston Vogel, bekannter Strafverteidiger in Luxemburg, zieht einen Teil seiner Beliebtheit bei Medienvertreter_innen daraus, dass er seine mit französischen Begriffen ausgeschmückten Sätze mit vulgären luxemburgischen Phrasen unterbricht. „Dat ass mir esou schäissegal, wéi dat mir nëmme schäissegal ka sinn. Ech affrontéieren déi Citatioun mat vill Heiterkeit (Das ist mir so scheißegal, wie es mir nur scheißegal sein kann. Ich begegne dieser Zitation mit viel Heiterkeit)“, antwortete er Ende September auf eine Verleumdungsklage gegen ihn.

Junge luxemburgische Blogger_innen sehen sich mit ihrer Sprachenvielfalt in einer Zwickmühle. Eigentlich wäre es „schäissegal“, welche Sprache sie benutzen: Mit Deutsch, Französisch oder Englisch erreichen sie tendenziell mehr Menschen, aber andererseits: „Wer sollte auf Luxemburgisch schreiben, wenn nicht wir?“

 

Joël Adami stammt aus Luxemburg und studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien.