Luxus

Eigentumswohnungen

  • 20.06.2017, 20:14
Während manche Studierende über 50 Prozent ihres Budgets für die Miete aufbringen, leben Studierende aus „gutem Hause“ in Eigentumswohnungen. Das wirkt sich nicht nur auf den Geldbeutel aus.

Während manche Studierende über 50 Prozent ihres Budgets für die Miete aufbringen, leben Studierende aus „gutem Hause“ in Eigentumswohnungen. Das wirkt sich nicht nur auf den Geldbeutel aus.

Räumen wir gleich einmal zu Beginn mit einem Mythos auf: Student*innen sind nicht arm! Sie tun so, die meisten inszenieren sich so, aber sie sind es nicht! Die größte Gruppe der Studierenden (52 Prozent) sind laut Studierendensozialerhebung 2015 Teil der gehobenen oder hohen Schicht! Ihre Eltern haben großteils Universitätsabschlüsse und höhere Einkommen als der Durchschnitt.

Der Mythos, dass Studierende am Hungertuch nagen und kaum über finanzielle Mittel verfügen, mag mit halblustigen Sprüchen wie „Warum ist am Ende des Geldes noch so viel Monat übrig?“ zusammenhängen. Aber was Pulp in den 90er Jahren sangen, „if you called your dady he could stop it all, yeah“, trifft heute noch auf die meisten Student*innen zu. Ihre Armut ist eine eingebildete, oder zumindest eine vorübergehende. Kann die Miete nicht gezahlt werden, kommt es im Studifall wohl in den seltensten Fällen zur Delogierung, sondern in den meisten Fällen hilft ein Anruf bei den Eltern, dass das für die Miete überwiesene Geld für den neuen Herschel-Rucksack und Fusion-Tickets draufgegangen sei, und man nun ein bisschen „Vorschuss“ brauche. Gleichzeitig gefällt man sich in der Rolle des armen „Bettelstudenten“ und fraternisiert mit den tatsächlich ärmeren Student*innen, die das System trotz sozial gestaffeltem Bildungssystem und Zugangsbeschränkungen nicht davon abhalten konnte, zu studieren. Alle studieren, alle haben irgendwie die gleichen Probleme und man nimmt nur zu leicht an, dass auch alle irgendwie arm sind. Schließlich meint Benjamin-Alexander* auch, dass er kein Geld mehr habe diesen Monat. Und während die ärmsten zehn Prozent der Studierenden laut Studierendensozialerhebung nur 500 Euro im Monat für ihre Grundbedürfnisse haben, und nicht wissen, wie sie ihre Miete zahlen sollen, weiß Benni nicht, ob es diesen Monat noch reicht für den Segeltrip in der Ägäis. Benni hat auch nicht das Problem, 36 Prozent seines Gesamtbudgets für Miete auszugeben. Noch drastischer wird die Situation für Studierende, die unter 700 Euro im Monat zur Verfügung haben. Dort beträgt der Anteil der Miete am Gesamtbudget laut Studierendensozialerhebung über 50 Prozent.

Die Mieten steigen und der Anteil des Einkommens, der dafür draufgeht, wird immer größer. Jene, die es sich leisten können, neigen deshalb eher dazu, die monatliche Kreditrate zu bedienen und sich eine Wohnung zu kaufen. Dann ist man in ein paar Jahren Eigentümer*in und muss nur mehr für die Betriebskosten aufkommen.

In Österreich wohnen 39 Prozent im Eigenheim und 11 Prozent in Eigentumswohnungen, also über die Hälfte der Bevölkerung, wie aus dem Endbericht 2014 der Forschungsgesellschaft für Wohnen, Bauen und Planen hervorgeht. In der Hauptstadt wohnen 13 Prozent in Eigentumswohnungen. Eigentumswohnungen sind kostspielig. In der kleinsten Kategorie (Wohnungen unter 59 m²) schwanken die Preise an den meisten österreichischen Hochschulstandorten zwischen 95.000 und 200.000 Euro. Man braucht also schon einiges an Eigenkapital, um sich auch nur eine kleine Wohnung leisten zu können. Oder man erbt sie. Denn in Österreich werden nicht nur Bildungsabschlüsse vererbt, die Immobilien bekommt man auch noch mit dazu.

Über eine Eigentumswohnung zu verfügen, wirkt sich nicht nur auf den Geldbeutel im Studium aus: Viele Studierende klagen über psychische Probleme und haben Existenzängste. Falls man in einer anderen Stadt studiert und sich nicht auf die monatlichen Geldzuwendungen aus dem Elternhaus verlassen kann, bleibt einem gegebenenfalls nichts anderes übrig, als das Studium abzubrechen, um die Miete zahlen zu können. Der elementare Stress, die Miete nicht zahlen zu können, beherrscht schließlich jeden Aspekt des Lebens. Das Studium leidet unter dem „Nebenjob“, der im Ernstfall zum Haupterwerb wird.

Der Sommer naht und auf Facebook und auf den Wohnungsportalen sprießen die Untermietanzeigen aus dem Boden. „WG-Zimmer für 3 Monate zur Untermiete“. Während kurzfristige Untervermietung für manche bittere Notwendigkeit ist, stellt es für Studierende mit Eigentum kein Problem dar, eine Wohnung für mehrere Monate leerstehen zu lassen. Oder besser: sie trotzdem zu vermieten und so von der Eigentümer*in zur Vermieter*in zu werden. Schließlich lässt sich der Segeltrip in der Ägäis viel leichter finanzieren, wenn man noch ein paar hundert Euro mehr zur Verfügung hat. Vermietet wird dann bisweilen weit über dem Richtwert, man soll ja sein Eigentum auch nicht zu billig zu Markte tragen. Miethöchstzins und reale Mieten liegen ja auch bei anderen Wohnungen weit auseinander, meint Benni. Und so wird man als Student*in schnell zur Marktkenner*in, die nur das Beste aus dem Möglichen macht.

*Bei Menschen mit einem Einkommen unter 1.000 Euro, die Benjamin-Alexander heißen, entschuldige ich mich hiermit für den Klassismus, ihren Namen mit der Oberschicht gleichzusetzen – ich bezweifle allerdings, dass es sie gibt.

Anne-Marie Faisst studiert Internationale Entwicklung an der Universität Wien.

Kaffeetrinken, Lieben und Spazierengehen

  • 24.06.2013, 15:07

Der Philosophieprofessor Robert Pfaller spricht von Hamsterrädern, Ozeanen als Swimmingpools und flüsternden Bars. Im progress-Interview erklärt er, was sie mit dem guten Leben zu tun haben.

Der Philosophieprofessor Robert Pfaller spricht von Hamsterrädern, Ozeanen als Swimmingpools und flüsternden Bars. Im progress-Interview erklärt er, was sie mit dem guten Leben zu tun haben.

progress: Herr Pfaller, gibt es etwas, dass Sie sich jeden Tag gönnen?

Robert Pfaller: Ein bisschen Philosophie. Braucht ein gutes Leben die luxuriöse Ausschweifung? Was wir für ein gutes Leben brauchen, ist kein Luxus. Die kleinen Unterbrechungen wie Kaffeetrinken, Lieben oder Spazierengehen, die uns das Gefühl lohnenden Lebens verschaffen, sind nicht teuer. Sie setzen aber Größe voraus. Man muss eingesehen haben, dass man ein endliches Wesen ist – und eben darum auch relativ leicht zufriedenzustellen ist.

progress: Wann ist man zufrieden?

Pfaller: Unsere Gier nach gigantischen oder kostspieligen Vergnügungen beruht immer auf einer Größenphantasie – nämlich, dass wir unendlich genussfähig oder sogar unsterblich wären. Demgegenüber setzt die Einsicht, dass wir zum Beispiel keinen ganzen Ozean zum Schwimmen brauchen, einen gewissen Humor voraus. Also die Fähigkeit, sich selbst als begrenzt zu betrachten
und sich in dieser Eigenschaft ein wenig liebevoll zu belächeln.

progress: Bleiben wir bei der Maßlosigkeit. Muss man sich in einer Wegwerfgesellschaft überhaupt noch für ein maßloses Leben rechtfertigen oder schämen?

Pfaller: Es stimmt – wir produzieren zwar immer mehr Müll., aber zugleich wird Nichtstun oder Glück immer argwöhnischer beäugt.

progress: Wieso ist das Glück – aber vorallem das Nichtstun – so stark in Veruf geraten?

Pfaller: Da wir den Anderen nur noch als Privatperson wahrnehmen, glauben wir, sein Glück ginge immer auf Kosten des unseren. Darum hassen wir sein Glück, vor allem seinen Müßiggang. Wir glauben dann, wir müßten an seiner Stelle schuften. Würden wir den Anderen hingegen, wie es bis vor etwa 15-20 Jahren noch üblich war, auch als etwas Allgemeines, als politischen Bürger oder als „public man“, sehen, dann wären wir fähig, sein Glück auch als unser Glück zu betrachten. Denn wenn wir uns auf dieser zivilisierten Ebene des „public man“ begegnen, ist immer klar, dass die Qualitäten auf Wechselseitigkeit beruhen. Das heißt wenn der Andere nicht glücklich ist, können wir es auch nicht sein; wenn er keine Würde hat, haben wir auch keine; wenn er nicht frei ist, sind wir es auch nicht.

progress: Werbung und Unterhaltungsindustrie boomen. Steht die Konsumgesellschaft nicht im krassen Widerspruch zu einer Moral der Sicherheit und des Maßhaltens?

Pfaller: Natürlich kann eine Konsumgesellschaft sogar aus dem Maßhalten noch eine Ware machen. Man kann sich auf teurere, feinere, exklusivere Weise mäßigen, als andere das tun.

progress: Selbst bei geringem Einkommen sind wenige bereit auf Alkohol und Zigaretten zu verzichten. Warum ist das so?

Pfaller: Weil das eben Genußmittel sind, die uns die kostbaren Momente der Unterbrechung des Alltags eröffnen. Bei einem Schluck Wein mit Freunden treten wir einen Schritt aus unserem Hamsterrad heraus und stellen uns leichter die Frage: Was ist nötig, damit wir unser Leben wirklich ein Leben nennen können?

progress: Wollen Sie damit sagen, dass wir die Gemeinschaft brauchen, um unser Glück erkennen zu können?

Pfaller: Nicht die Gemeinschaft, sondern die Gesellschaft. Es sind nicht die tatsächlichen Anderen unserer Umgebung, die uns zum Genuss befähigen, sondern virtuelle, abstrakte Größen. Das ist die Kultur, das Mondäne - zum Beispiel die Eleganz einer Bar, die mir leise zuzuflüstern scheint: „Jetzt benimm dich mal nicht wie ein Kind und bestell dir bitte ja keinen Fruchtsaft.“

progress: Muss etwas Besonders immer exklusiv sein, um besonders zu bleiben? Anders gesagt: Ist Luxus als ein Allgemeingut realistisch?

Pfaller: Keine Sorge. Sogar jetzt gibt es in den Überflussgesellschaften sehr viel Luxus für ziemlich viele Menschen – allerdings ist darunter nur wenig, das sie glücklich macht. Dagegen sind die
Dinge, die das Leben lohnend machen, sehr erschwinglich. Mahatma Gandhi hat deshalb mit Recht gesagt: „There is enough for everybody's need, but not enough for anybody's greed“. Darin zeigt sich Gandhi als würdiger Nachfahre des antiken griechischen Philosophen Epikur, der lehrte, dass das, was für die menschliche Lust notwendig ist, für alle Menschen auch jederzeit leicht zu beschaffen ist.

progress: Die Mieten in Wohnheimen explodieren, die Familienbeihilfe wird gekürzt und an den Unis wird gespart. Der Druck auf die Studierenden nimmt immer mehr zu. Ist in einem Studierendenalltag überhaupt noch Platz für Genuss und Gemeinschaft?

Pfaller: Genau dagegen – vor allem gegen die Universitätsreformen, wodurch die Unis zu Zwangs- und Kontrollanstalten mit permanentem Prüfungsstress wurden – haben sich die Studierenden und Lehrenden beim europaweiten Streik 2009 gewehrt. Die kleinsten Freiräume, die früher selbstverständlich waren – etwa, dass Studierende Zeit haben, ein ganzes Buch zu lesen, oder dass Lehrende mit ihnen in Ruhe eine Arbeit besprechen können – diese Freiräume müssen heute mühsamst erkämpft werden.

progress: In ihrem Buch Wofür es sich zu leben lohnt fordern Sie die Menschen auf, sich eine hedonistische Lebensweise nicht verbieten zu lassen. Sprechen Sie damit nicht ausschließlich eine gebildete, weiße Mittelschicht an, die es sich leisten kann, sich zu empören?

Pfaller: Nein. Ich wende mich gegen eine Politik, die den aktuellen Beraubungen der Mittel- und Unterschichten willig assistiert, indem sie zusätzlich Ängste erzeugt – zum Beispiel in bezug auf Gesundheit, Sicherheit, Umwelt, Schulden. Diese Angstmache zielt darauf ab, die Menschen in Todesfurcht zu versetzen und sie dementsprechend feige, gehorsam, würdelos und neidisch auf das Glück der Anderen zu machen.

Es geht aber nicht, wie diese Politik uns ständig weißmachen will, um das Überleben – denn sterben müssen wir ohnehin; es geht vielmehr um das gute Leben. Auf die Frage nach dem guten Leben zu beharren, ist darum der erste Schritt, um sich all das nicht gefallen zu lassen. Dieses materialistische Beharren war den Unterschichten traditionell sogar viel vertrauter als den idealistischeren, asketischer gestimmten und gehorsamsbereiteren Mittelschichten. Darum lässt Brecht die Pariser Kommunarden sagen:

„In Erwägung, daß ihr uns dann eben
Mit Gewehren und Kanonen droht
Haben wir beschlossen, nunmehr schlechtes Leben
Mehr zu fürchten als den Tod.“

Das süße Leben

  • 23.06.2013, 14:42

Der Begriff des Hedonismus wir oft als abwertendes Schlagwort gebraucht. Es versteckt sich aber mehr dahinter. Claudia Aurednik hat mit einer bekennenden Hedonistin, einem Politaktivisten und einem Yuppie über Hedonismus gesprochen.

Der Begriff des Hedonismus wir oft als abwertendes Schlagwort gebraucht. Es versteckt sich aber mehr dahinter. Claudia Aurednik hat mit einer bekennenden Hedonistin, einem Politaktivisten und einem Yuppie über Hedonismus gesprochen.

„Ich versuche immer Spaß zu haben und mein Leben zu genießen“, erklärt Anna Wieser* (22) und ergänzt: „Schließlich lebe ich nur einmal und ich mag mir nicht vorwerfen irgendetwas in meinem Leben mal versäumt zu haben.“ Wieser jobbt derzeit in der Gastronomie und wird diesen Sommer als Animateurin in einem Clubhotel auf Ibiza arbeiten: „Das ist der perfekte Job für mich, denn ich reiße gerne andere Menschen aus ihren Alltagstrott und versuche mit ihnen Spaß zu haben.“ Vor einem Jahr hat sie ihre Studien abgebrochen. Anna hat Transkulturelle Kommunikation und Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien studiert. „Ich habe mir viel mehr von den Studien erwartet. Speziell mit den Knock-Out Prüfungen bin ich nicht zurecht gekommen, aber vielleicht gehe ich in ein paar Jahren wieder an die Uni: „Momentan möchte sie aber primär ihr Leben genießen und vor allem endlich ihre Jugend nachholen. Anna ist in einem kleinen oberösterreichischen Ort aufgewachsen, in dem es
nach ihren Erzählungen nicht einmal ein Jugendzentrum gab. Ihre Eltern haben sie sehr streng erzogen und den Konsum von Alkohol bis zur Matura verboten: „Meinen ersten Rausch hatte ich erst mit 19 in Wien. Das ist bei Leuten aus Oberösterreich normalerweise
nicht üblich“, erzählt Anna. Sie ist das erste halbe Jahr in Wien deswegen fast jeden Tag ausgegangen und hat so rasch viele Freundschaften geschlossen. Mit ihren FreundInnen besucht sie heute verschiedenste Events: „Uns kann man im Volksgarten
und im Reigen ebenso treffen wie im Fluc oder auf illegalen Raves in Niederösterreich. Hauptsache es kommen viele Leute zusammen, die gemeinsam Spaß haben wollen.“

Ein Recht auf Rausch. Der Slogan „Ein Recht auf Rausch“ ist auch Agnes Müllers Lebensmotto: „Rausch bedeutet für mich, mich mit Alkohol und anderen Substanzen im positiven Sinn zu betäuben. Ich verfalle aber auch beim Raven in einen Rausch und kann dann wunderbar abschalten.“ Das „Abschalten“ ist für sie besonders wichtig, denn sie findet den Leistungsdruck der Gesellschaft oft erdrückend. „Wir sollen in Mindestdauer studieren, vier Fremdsprachen sprechen und darüber hinaus noch Berufserfahrung haben. Jeder Monat unseres Lebens muss belegt sein“, klagt Agnes: „Und das Schlimme daran ist, dass man oft auch mit einer Top-Ausbildung und unzähligen Zusatzqualifikationen keine Chance am Arbeitsmarkt hat. Da mach ich einfach nicht mehr mit!“ Für Politik interessiert sich Agnes nicht. Sie erklärt, dass sie und die meisten ihrer FreundInnen der Meinung seien, dass die Politiker
die jungen Menschen in Österreich im Stich lassen. Die Gesellschaft würde sie dennoch gerne ändern: „Ich mag mich zwar nicht politisch engagieren, weil ich nicht der Mensch dafür bin. Aber ich würde schon gerne in einer Gesellschaft leben, die weniger gestresst ist und die dem einzelnen Menschen mehr Raum für Selbstverwirklichung und Freiheit lässt.“

Hedonistische Hippies 2.0. Marco Brunner* (24) ist Student der Internationalen Entwicklung und bezeichnet sich selbst als gesellschaftskritischen Politaktivisten, der bewusst nicht dem gängigen Bild eines Hedonisten entsprechen mag. Der schwarze Baggy-Pants, „No Border - No Nation“-Shirt und Sneakers tragende Brunner erzählt, dass er oft mit dem Fahrrad unterwegs ist und sein Geld nur für wirklich notwendige Dinge ausgibt. Außerdem ist er seit zehn Jahren überzeugter Vegetarier und ein Gegner von Alkohol, Zigaretten und Drogen: „Wirklich wichtig ist für mich, dass ich meine Miete begleichen kann und einen vollen Kühlschrank habe“, erzählt er und ergänzt: „Außerdem ist mir ein solidarischer Umgang mit Mitmenschen und ein Engagement gegen die antisemitischen, sexistischen und rassistischen Zustände wichtig. Wobei es schon schwierig ist einen solidarischen Umgang mit jenen zu haben, die meine Einstellungen nicht teilen.“ Brunner ist wegen des Studiums vor fünf Jahren von Bayern nach Wien gezogen und arbeitet als Kellner in einem Szenelokal. Hedonistischen Slogans wie „ein Recht auf Rausch“ kann er nichts abgewinnen, denn damit würde seiner Meinung nach jedes „beschissene“ Verhalten entschuldigt.
Das habe er schon öfters miterlebt: „Ich habe das unsolidarische Verhalten gegenüber Betroffenen etwa auf der Freeparade 2010 in Wien beobachten können, als gewalttätige Neonazis Menschen angegriffen haben. Da hieß es einfach, dass auch die ein Recht zu tanzen hätten!“ Und er ergänzt: „2011 gab es dann keine Freeparade in Wien und auf der Website der OrganisatiorInnen war zu lesen, dass in Folge von sexistischen, homophoben oder sogar sexuellen Übergriffen die Veranstaltung abgesagt wurde.
Derartige Übergriffe sind aber bereits in den Jahren zuvor passiert.“ Brunner berichtet, dass die OrgansatorInnen der Veranstaltung selbst Kritik an dem unsolidarischen Verhalten geübt haben. Außerdem wurde von ihnen der Widerspruch zwischen der Forderung
nach einer freien Gesellschaft und dem unsolidarischen Verhalten gegenüber von Gewalt betroffenen Personen thematisiert. Für das Nichteinschreiten bei derartigen Missständen macht Marco Brunner den Hedonismus der Freeparade-TeilnehmerInnen verantwortlich: „Die hatten im hedonistischen Sinn einfach keine Lust den Menschen zu helfen. Denn im Hedonismus wird die Lust essentialisiert und nicht als Konstrukt begriffen. Und viele haben in ihrem Rausch einfach nichts mitbekommen.“

Besonders jene politischen AktivistInnen, die Hedonismus mit einem vermeintlich gesellschaftskritischen Engagement verbinden wollen, sind Marco Brunner ein Dorn im Auge: „Diese Hippies 2.0 sind für mich untragbar! Das sind jene Leute, die daran glauben, dass mit Lust und absoluter Selbstbefriedigung die ganze Welt schön wird. Bei denen stehen doch nur Egoismus und die eigene Befriedigung im Zentrum. Dadurch verhalten sie sich anderen Menschen gegenüber oftmals selbst diskriminierend.“

Die AktivistInnen der Hedonistischen Internationale sehen das anders. Das internationale, aktionistische und linke Netzwerk besteht seit 2006 und hat mehr als 30 Sektionen. Hedonismus ist das Streben nach Freude, Lust und Genuss. Die AktivistInnen betrachten nach eigenen Angaben den Hedonismus nicht als Motor einer dumpfen, materialistischen Spaßgesellschaft, sondern als Chance zur Überwindung des Bestehenden. Im Manifest der Hedonistischen Internationale halten die AktivistInnen fest, dass sie keine Organisation darstellen, sondern eine Idee, deren Ausgestaltung bei jedem selbst liegt und dass niemand außer den Handelnden für die eigenen Aktionen verantwortlich ist. Die Aktionen selbst sind vielfältig und umfassen unter anderem nackte FlizzerInnenaktionen in Neonazi-Lokalen, Satireaktionen gegen die Atomindustrie sowie Tanzdemonstrationen gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm. Die Medien greifen diese gerne als moderne Form des Protests auf. Marco gehört zu den Kritikern des Netzwerks und wirft den AktivistInnen eine mangelnde Auseinandersetzung mit den politischen Problemen vor. Auch von Slogans wie „Gegen eine Kommerzialisierung der Partykultur“ hält er nichts, da diese einen Widerspruch in sich darstellen.

Hedonismus und Karriere. „Während der 80ies und frühen 90ies hatte man die Vorstellung, dass Hedonismus mit dem Motto ‚the winner takes it all‘ verbunden ist. Man wollte im Job und im Privatleben zu den Gewinnern gehören,“ erklärt Martin Berger, Manager einer internationalen Consultingfirma in Wien. Er erzählt, dass auch er selbst von dem Yuppie-Zeitgeist stark geprägt wurde: „Rückblickend betrachtet haben wir den Kontrast zur Jugend der 70ies verkörpert. Die berufliche Karriere sollte mit einem dementsprechenden Lebensstil voll von Statussymbolen, aber auch mit einer dazugehörigen Portion an Lust und Lebensqualität verbunden sein.“ Berger legt bis heute viel Wert auf qualitativ hochwertige Kleidung und ein sportliches Äußeres. Mit 20 Jahren hat er an der Wirtschaftsuniversität Wien mit dem Studium der Handelswissenschaft begonnen. Die Gründe für seine Studienwahl waren
mit seinem Interesse für Wirtschaft sowie mit dem Ziel Karriere zu machen verbunden. Damals sei das aber aufgrund der Wirtschaftslage einfacher gewesen: „Wenn man beispielsweise bei einem Vorstellungsgespräch für ein Praktikum oder einen interessanten Nebenjob sein Interesse glaubhaft vermitteln konnte, so standen die Chancen diese Stelle zu bekommen nicht schlecht“, berichtet er. Damals gab es noch eine realistische Möglichkeit sich in einem Unternehmen hochzuarbeiten und Karriere zu machen.
Martin Berger erinnert sich etwa noch sehr gut daran, dass er seinen ersten Ferialjob bei einer österreichischen Bank aufgrund einer Initiativbewerbung und ohne Kontakte bekommen hatte. Die Bezahlung war damals so gut gewesen, dass er sich mit zwei Monaten
Arbeit mehrere Monate seines Studiums finanzieren konnte. „Heute freuen sich die meisten StudentInnen ja, wenn sie bei einem unter- oder gar unbezahlten Praktikum Aushilfstätigkeiten machen dürfen. Das ist wirklich problematisch, da sich die jungen
Menschen oft komplett unter ihrem Wert verkaufen.“

Martin Berger ist in einer Beamtenfamilie aufgewachsen. Bereits als Kind war er sich aber bewusst, dass er keine Beamtenlaufbahn einschlagen wird: „Ich habe das Leben meiner Eltern als langweilig und bieder empfunden und mir fest vorgenommen nicht mein Leben lang einer monotonen und nicht herausfordernden Tätigkeit nachzugehen.“
Er erzählt, dass er mit Schrecken gewisse Parallelen zwischen den heutigen StudentInnen und seinen Eltern bemerkt hat: „Es ist wirklich tragisch, dass die jungen Menschen sich heute bereits mit 20 nach einer Fixanstellung und einem biederen Leben sehnen. Hedonismus bedeutet für diese nicht mehr Karriere in einem interessanten Job oder das Verwirklichen von innovativen Ideen, sondern primär Party und seichte Unterhaltungen.“ Auch er sei natürlich während seiner Studienzeit hin und wieder ausgegangen. Aber das fordernde Studium und seine Nebenjobs hatten für ihn Priorität. „Ich habe natürlich auch StudienkollegInnen aus reichen
Familien kennengelernt. Für diese war das WU-Studium dann oft nur eine schicke Nebenbeschäftigung, der sie ihren Eltern zuliebe nachgegangen sind. Die meisten von ihnen haben ihr Studium nicht abgeschlossen.“ Manche StudienkollegInnen seien direkt vom
Clubbing mit dem Sportwagen an die Uni gefahren. Für ihn war das aufgrund seiner finanziell angespannten Situation nicht möglich:, „Natürlich habe ich die damals ein bisschen beneidet. Aber heute denke ich, dass ein Studium für Menschen, die von ihren
Eltern einen hedonistischen Lebensstil finanziert bekommen, keine Herausforderung ist.“ Martin Berger hat nach seinem Studium einige Jahre in den USA verbracht und sich hochgearbeitet. Dabei war primär sein Interesse an den Jobs und weniger die Bezahlung
ausschlaggebend. Den Wunsch Statussymbole zu erwerben und einem hedonistischen Lebensstil zu frönen hat er heute nicht mehr: „Ich würde mich als ‚down-to-earth‘ bezeichnen und finde die ständige Jagd nach Statussymbolen überaus fragwürdig. Aber ich bin auch nicht der Typ, der sich auf Empfängen der Schickeria herumtreibt und ständig mit seinem Vermögen protzt.“

Die Autorin ist Historikerin und studiert derzeit Publizistik- und Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien.

Link:

Hedonistische Internationale:
www.hedonist-international.org

* Name von der Redaktion geändert.

Was ist eigentlich Luxus?

  • 23.06.2013, 14:00

„Man versehe mich mit Luxus, auf alles Notwendige kann ich verzichten“, sagte einst Oscar Wilde. Doch – ob Zeit, Musik, Freundschaft oder die eigene Wohnung – die Vorstellungen davon was Luxus eigentlich ist, gehen auseinander. progress hat sich umgehört.

„Man versehe mich mit Luxus, auf alles Notwendige kann ich verzichten“, sagte einst Oscar Wilde. Doch – ob Zeit, Musik, Freundschaft oder die eigene Wohnung – die Vorstellungen davon was Luxus eigentlich ist, gehen auseinander. progress hat sich umgehört.

Soufflé mit Lachs 85g Katzenfutter

  • 23.06.2013, 12:47

In Zeiten, in denen sogar Discounter Delikatessen und Gourmet-Produkte anbieten, wird der Begriff Luxus immer weniger greifbar. Was für die einen Alltag ist, bedeutet für andere schon Luxus.

In Zeiten, in denen sogar Discounter Delikatessen und Gourmet-Produkte anbieten, wird der Begriff Luxus immer weniger greifbar. Was für die einen Alltag ist, bedeutet für andere schon Luxus.

Die Packungen der Billig-Luxus-Produkte von Hofer und Konsorten sind mit schwarzen und goldenen Farben auf edel getrimmt. Sie kosten auch wirklich mehr als ihre Mitprodukte und werden als Spezialität oder Delikatesse bezeichnet. Es gibt da Pfeffer-Ziegenkäse, Aufstriche aus Macadamianüssen oder Marmeladen mit gewagteren Fruchtkombinationen. Diese Produkte heben sich von den normalen Produkten ab, die mit „daily“ oder dergleichen beschriftet werden. Denn die Luxusprodukte sollen die anderen billiger erscheinen lassen, sie sind nicht für jeden Tag, die anderen schon. Qualitativ sind diese Edel-Produkte nicht hochwertiger, bezahlt wird für das Gefühl, sich etwas zu Besonderes zu gönnen.

Ist das der Luxus der Hofer-Klientel? Manche andere würden zu Hofer gar nicht einkaufen gehen, weil er ihnen zu billig ist. „Niemals“ würde ihnen beim Gedanken an die Discount-Kette Luxus in den Sinn kommen. Luxus ist für sie ein teures Essen oder ein
schöner Urlaub. Vielleicht eine schöne Wohnung oder ein hübsches Auto. Dinge also, die wiederum für andere Normalität darstellen. Für die Wohlhabenderen sind diese Annehmlichkeiten ohnehin eine Selbstverständlichkeit und ihnen ist Luxus eher etwas, das beim besten Willen nicht notwendig ist. Teurer Schmuck vielleicht oder eine Yacht. Aber wer weiß, vielleicht ist Luxus sowieso etwas für die Ärmeren, während die Reichsten nicht in solchen Kategorien denken.

Ein Stück vom Paradies. Eines steht jedenfalls fest: Luxus ist relativ. Kein einzelnes Ding ist an sich Luxus, sondern es ist nur Luxus in seiner ganz bestimmten Stellung zu den Menschen. Manchmal reicht schließlich schon die richtige Präsentation eines Produkts, um es zum Luxus zu adeln. Es kann aber auch Luxus bedeuten, nicht soviel arbeiten zu müssen oder sich einen Nachmittag lang zu entspannen. Allerdings muss Luxus leistbar sein und er muss eigentlich zu viel kosten. Wer Luxus will, will etwas, das über dem jeweiligen Lebensstandard liegt, ein Stück vom Leben der Reicheren. Und dieser Blick ins Paradies muss weh tun, sonst wäre er keiner.

So betrachtet ist Luxus also teuer und nutzlos. Eigenschaften, die ihm mitunter Kritik eingebracht haben. Denn was nach Vergnügen aussieht, zog stets den Hass derjenigen auf sich, die vom Vergnügen ausgeschlossen sind. Deren Unmut ist verständlich. Wer will schon 40 Stunden die Woche schuften, um sich eine bescheide Bleibe und ein bisschen Freizeitspaß zu finanzieren, während andere den Monatslohn an einem Wochenende durchbringen. Darüberhinaus zieht das Unnütze gerne das Ressentiment derer auf sich, die ihre Leben dem Nützlichen verschrieben haben. Was ich nicht haben konnte, dass sollen auch die anderen niemals haben, lautet die Devise. Was ich mir versagen musste, soll sich ja niemand gestatten.

Der Luxus verkörpert das Privileg. Er macht deutlich, dass manche von den Zwängen des Arbeitslebens verschont bleiben. Die anderen aber, denen dieses Glück nicht vergönnt ward, identifizieren sich mit ihrem Schicksal und geben sich damit zufrieden, darauf zu hoffen, es möge auch den Reichen bald nicht mehr so gut gehen. Gehofft wird auf eine Nivellierung nach unten. Lieber soll es allen schlecht gehen, als nur einigen gut. Daher die Freude, wenn Reiche der Korruption überführt werden oder berühmte Menschen eines Verbrechen angeklagt. Denn damit ist bewiesen, auch sie sind vor der Brutalität der Welt nicht gefeit. Sie können
fallen und verschaffen so jenen Genugtuung, denen es schon immer schlechter ging.

„Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“, lautet dementsprechend ein alter linker Slogan, der auf Georg Büchner zurückgeht. Er weist in dieselbe Richtung wie das Lob von Bescheidenheit und die Romantisierung der Armut, wie sie in Literatur, Film und Fernsehen gerne gepflegt werden. Der Verzicht wird dort verherrlicht, die Armen sollen sich an ihrer Armut erfreuen. Sie werden in diesen Kulturerzeugnissen als die besseren Menschen gezeichnet. Sie sind arm, aber glücklich, sie lieben sich und halten zusammen – die Reichen könnten so scheint es, von ihnen lernen, denn sie werden ihres Reichtums nicht froh.

Kampf den Hütten, Paläste für alle. Aber könnte es nicht auch allen gut gehen? Ein Privileg ist ja nur solange ein Privileg, solange nicht alle in seinen Genuss kommen. Würde der Lebensstandard derer, denen es am schlechtesten geht, angehoben, verlören wohl manche Dinge ihren Schein von Abgehobenheit und dekadenter Luxuriösität. Zumindest verlören sie wohl den bitteren Beigeschmack des Privilegs, der heute moderne Kunst und spekulatives Denken zwangsläufig begleitet. Denn wer es sich leisten kann, stundenlang durch Museen zu tingeln oder sich in ein Buch zu versenken, von dem viele nicht einmal wissen, wovon es überhaupt handelt, sieht sich heute dem – oft zurecht erhobenen – Vorwurf ausgesetzt, sich um handfestere Dinge nicht zu scheren.

Allerdings ist diese Gesellschaft handfest genug und bedarf vielleicht gerade des Abgehobenen und Verträumten. Schließlich kann als Grund für den Hunger der Menschen auf der Welt, ihr Geschundensein und ihre Verhärtung ausgeschlossen werden, sie würden sich zu viel mit nutzlosen und geistigen Dingen abgeben. Im Gegenteil sind sie eher Opfer des Zwangs zur Nützlichkeit und Produktivität, der sich nicht ohne weiteres aufheben lässt und ihnen zum tun unnützer Dinge gar keine Gelegenheit bietet, sowie er das Nutzlose jenen madig macht, die es sich erlauben könnten. Denn der Luxus, das Überflüssige und Unproduktive, ist ja nicht unnütz hinsichtlich der Bedürfnisse der Menschen, sondern hinsichtlich der Produktion. Wäre von den Bedürfnissen der Menschen die Rede, dann würde sicherlich menschliche Arbeit als eines der nutzlosesten Dinge angesehen und es würde daran gearbeitet, Maschinen zu bauen, welche den Menschen diese Last von den Schultern nehmen könnten. Damit sie sich nun den wichtigen Dingen des Lebens widmen könnten: dem Luxus. Dafür wäre freilich der Umbau der Gesellschaft von einer elendigen zu einer luxuriösen, in der der Luxus verallgemeinert wäre, die Voraussetzung. Ein Projekt, das den Kern der kapitalistischen Produktionsweise erfassen müsste.

Der Autor studiert Philosophie an der Uni Wien.