LGBT

Frisurloses FischFleisch

  • 23.02.2017, 18:29
Häh, bi? Gibt's das noch? Und wenn ja, wo sind die richtigen bi-Personen? Über fehlende Labels und Revolution bi-Style Now.

Häh, bi? Gibt's das noch? Und wenn ja, wo sind die richtigen bi-Personen? Über fehlende Labels und Revolution bi-Style Now.

„Is there a bisexual option available?“ – „No, sir, this option is no longer available since about last summer, due to several operational problems.“ Was in „The Lobster“ als düsterer Eingangsgag wirkt, ist für viele bisexuelle Personen keine Dystopie, sondern Realität. „Für mich als bi-Person interessiert sich kaum jemand besonders“, meint Anja. Die 26-jährige Soziale-Arbeit-Studentin sieht die mangelnde Aufmerksamkeit, die bi-Personen zu Teil wird, als eine Medaille mit zwei Seiten: „Positiv ist, dass man als bi-Person oft kein großes Outing hat. Negativ dagegen ist das klischeehafte Porno-Bild vieler Männer und die geringe Akzeptanz einiger lesbischer Frauen gegenüber bi-Frauen.“ Für Anja ist die Diskriminierung, die sie aus der lesbischen Szene erfährt, besonders verletzend. „Sprüche wie ‚Du bist nicht Fisch und nicht Fleisch‘, ‚Du bist irgendwas‘, ‚Jetzt sagst du, du bist bi, aber vermisst dann doch einen Mann‘ sind von lesbischen Frauen mir gegenüber oft gefallen“, so Anja.

LGT. Das Gefühl zu haben, als bi-Person weder in hetero- noch in homo-Räume zu passen, ist für viele schwierig. Sanna, 25, machte ähnliche Erfahrungen: „Bei LGBT-Treffen kamen negative Reaktionen, wenn klar wurde, dass ich bi bin. Ich persönlich muss nicht mit einem bi-Button rumlaufen, aber ich möchte als bi-Person nicht aus LGBT-Räumen ausgegrenzt und rausgedacht werden.“ Um mehr bi- Empowerment zu schaffen, startete Sanna während ihres Studiums Media and Culture Studies 2015 das Projekt „Still Loving BI“. Dafür entwickelte sie eine Kampagne mit Facebookpage, Twitteraccount und einer Superheld_innen-Fotoaktion. Neben fehlender Sichtbarkeit und Vorurteilen, gegen die bi-Personen ankämpfen, fiel Sanna im Zuge ihres Projekts auf, dass bi-Personen oft Zweifel bezüglich ihres bi-Lebens haben: „In vielen Gesprächen mit bi-Personen kam die Frage auf: Wer ist eigentlich richtig bi?“

BISEUDO. Ist eine bi-Frau, die mit einem Typen zusammen ist, oder eine Person, die auf non-binary Personen steht, überhaupt bi oder nur pseudo-bi? „Für mich heißt bi, auf mehr als ein und eventuell verschiedene Gender zu stehen. Egal, welche Gender das dann sind und welche Erfahrungen eins schon gemacht hat. Es geht darum, ob eins das Potential hat, auf verschiedene Leute zu stehen“, so Sanna. Shiri Eisner setzt sich in ihrem Buch „Bi: Notes for a Bisexual Revolution“ mit dieser von der bi-Aktivistin Robyn Ochs stammenden Definition und anderen auseinander. Sie bleibt aber nicht nur bei der Auseinandersetzung mit Stereotypen und bi-Feindlichkeit. Ausführlich arbeitet sie Monosexismus als Struktur heraus, die Personen, die auf nur ein Geschlecht stehen, privilegiert und nichtmonosexuelle Personen systematisch bestraft. Sei es, wenn es um Gesundheit, Job oder persönliche Beziehungen geht.

BI CLASSIC. Julia* möchte ihren Namen nicht preisgeben. Sie befürchtet ungewollt vor Familienmitgliedern und Arbeitgeber_innen als bi geoutet zu werden, falls ihr Name öffentlich wird. „Ich war im Juli auf der dritten European Bisexual Conference in Amsterdam. Dort haben mich andere Teilnehmer_innen vor Problemen am Arbeitsplatz gewarnt“, so Julia. Wenn die 23-Jährige sonst von der EuroBiCon, dem größten bi-Treffen Europas, erzählt, kommt sie ins Schwärmen: „Ich musste mich nicht einmal für meine Bisexualität rechtfertigen. Die EuroBiCon war für mich eine Bubble aus Glücklichkeit.“ Auf die Frage hin, ob dort ein „bi- Code“ zu beobachten gewesen sei, erwidert Julia: „Wie eine klassische bi-Person aussieht und lebt, war eine Frage der Konferenz. Der Schluss war jedoch: In der bi-Community gibt es keine stereotype bi-Person und wir wollen und brauchen für die Sichtbarkeit auch keine ‚eigenen‘ Codes.“ Julia sieht auch in ihrer lokalen bi-Gruppe „VisiBIlity Austria“ keine Ansätze dahingehend.

INCONSISTENT BI SLUT. Geht das überhaupt, bi leben ohne eigene bi-Frisur? Bei dem monatlichen Treffen der „VisiBIlity Austria“-Gruppe in Wien scheint das kein Thema zu sein. Die bi-Gruppe ist heterogen und groß. Zu jedem Treffen kommen zwanzig bis dreißig Leute und die Gruppe wächst. „Heute sind sechs oder sieben neue da. Dafür fehlen die alten Hasen“, schätzt ein Teilnehmer. „Die alten Hasen“ sind eine Handvoll bi-Personen, die im Sommer vor zwei Jahren „VisiBIlity“ gründeten. Das Ziel der Gruppe ist es „Netzwerk und Anlaufstelle für Bisexuelle und Pansexuelle in Österreich sowie deren Freund_innen/Angehörige/ Unterstützer_innen zu sein“. Beim Treffen sammeln die Anwesenden, „unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität“, Ideen für Locations für die Bi-Visibility-Day-Party, diskutieren Themen für zukünftige bi-Inputs und tauschen Lieblingsserien mit queeren Charakteren aus. Was etwas chaotisch daherkommt, ist aber auch flexibel und offen für Neues. Es gibt Picknicks, Wandertage und Spieleabende – aber auch eine gewisse Trägheit, Personen, die Deutsch als Zweitsprache sprechen, einzubinden. Die werden mit Snacks besänftigt. Dabei müssten bi-Personen nicht ruhig halten. Im Druck, der auf bi-Personen ausgeübt wird, indem sie als „unentschlossen“, „slutty“ oder „inexistent“ bezeichnet werden, zeigen sich indirekt gesellschaftliche Ängste. Gleichzeitig bedeutet dies, dass bi-Personen nicht nur das Potential haben, auf verschiedene Leute zu stehen; sie haben auch großes revolutionäres Potential. Wie Shiri Eisner schreibt: „While we address monosexism, biphobia, and bisexual erasure, we must also keep in mind that the very powers that oppress us also give us the crack through which to break the system.“

*Name von der Redaktion geändert

Marlene Brüggemann hat Philosophie an der Universität Wien studiert.

„Aus Hassrede wurden Hassverbrechen“

  • 29.11.2016, 14:26
Die Filmemacherin und Aktivistin Maria Binder erzählt in ihrem Film „Trans X Istanbul“ über die Vertreibung von und die Gewalt gegenüber Trans*personen in Istanbul. Im Rahmen des Filmfestivals „Transition“ wurde der Film gezeigt. progress sprach mit der Filmemacherin.

Die Filmemacherin und Aktivistin Maria Binder erzählt in ihrem Film „Trans X Istanbul“ über die Vertreibung von und die Gewalt gegenüber Trans*personen in Istanbul. Im Rahmen des Filmfestivals „Transition“ wurde der Film gezeigt. progress sprach mit der Filmemacherin.

Verbale Beschimpfungen. Gewaltvolle Übergriffe. Mord. Trans*frauen in Istanbul sind mit Hass und Vorurteilen konfrontiert. Morde von und Gewalt gegenüber Trans*frauen werden von der Polizei meist nicht untersucht. Die Filmemacherin und Aktivistin Maria Binder begleitete die in Istanbul lebende Trans*frau Ebru Kırancı in ihrem täglichen Kampf gegen eine transfeindliche Gesellschaft mit ihrer Kamera. Das Ergebnis: Trans X Istanbul – ein Film, der die Entwicklung von Hassrede zu gewaltvollen Taten bis hin zum Mord aufzeigt und dabei Verschränkungen von Politik, Gesellschaft und ökonomischen Interessen analysiert. Im Mittelpunkt des Films steht dabei die Rolle von Urbanisierungs- und Gentrifizierungsprozessen, die zur Vertreibung von Trans*frauen führen. Mittlerweile zählt auch Maria Binder zu den Unterstützer*innen des von Ebru Kırancı aufgebauten Trans*-Vereins „Istanbul LGBTT“. Ein Gespräch mit Maria Binder über die Situation von Trans*frauen in Istanbul und welche Rolle dabei die menschenverachtende Politik des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan sowie die damit einhergehende eingeschüchterte Zivilgesellschaft spielt.

progress: Du greifst in deinen Filmen immer wieder das Thema Menschenrechte auf. In Trans X Istanbul geht es, wie der Name schon verrät, um die Rechte von Trans*frauen in Istanbul. Wie bist du auf das Thema gekommen?
Maria Binder: 2001 recherchierte ich zu Frauen in der Türkei, die verfolgt wurden, weil sie öffentlich darüber sprachen, dass sie vom Staat, also der Polizei, dem Militär vergewaltigt wurden. Im Zuge der Filmarbeiten, die ich gemeinsam mit Verena Franke gemacht habe, lernten wir die Trans*frau Hülya kennen. Sie hat als Sexarbeiterin in Istanbul gearbeitet, ist mehrfach entführt und vergewaltigt worden. In diesen Recherchen wurde uns klar, dass es Überschneidungen gibt, wie Unterdrückung von Frauen-, Trans*gender und LGBT*-Personen systematisch funktioniert. Wobei ich denke, dass es nochmal ein Unterschied zwischen Trans* und Gay gibt.

Kannst du darauf genauer eingehen?
Der Bildungshintergrund ist ein anderer. Outen sich Trans* gegenüber der Familie, ist das sichtbar. Oft verstößt die Familie Trans*personen, insbesondere Trans*frauen. Trans*frauen werden bei der Geburt männlich zugeordnet, was als das stärkere Geschlecht von der Gesellschaft gesehen wird und sie wählen dann das schwache Geschlecht. Patriarchal ist das als eine Art Entehrung der Männlichkeit definiert. Durch den Ausschluss von Trans*frauen aus der Familie, fällt die Schule weg. Es gibt einen Bruch in der Bildung. Wenn du keine Bildung hast, ist es schwierig einen Job zu finden. Und selbst wenn du Bildung hast, findest du als Trans*frau oft keinen anderen Job außer in der Sexarbeit. Schwule und Lesben haben diesen Knick in der Biographie meistens nicht so schnell. Das Coming-Out kann noch eher hinaus gezögert werden. Der Bildungsweg ist dadurch nicht so gebrochen.

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Kommen wir zurück zum Film: Im Film geht es unter anderem, um einen transfeindlichen Konflikt zwischen verschieden Hausparteien im Istanbuler Stadtteil Avcılar. Ebru spricht dabei immer wieder den Satz aus „Aber ihr ward doch Freund*innen“. Wie kann es sein, dass sich diese Freund*innenschaft in Transfeindlichkeitumgewandelt hat?
Da gab es ganz verschiedene Ebenen der Eskalation: Aus Hassrede (hate speech) wurden Hassverbrechen (hate crime). Allein die Hassrede hat dabei diverse Entwicklungen durchgemacht. Früher sind die Konfliktparteien tatsächlich zusammen gesessen, haben gemeinsam Tee getrunken. Hürriyet, die eine der Protagonist*innen des Kampfs gegen Trans* ist, hat vorher für eine Trans*frau Vorhänge gekauft und genäht. Dieser Häuserblock, um den es da geht, ist jetzt in einem Flächennutzungsplan. Als der Wert dieser Gegend stieg, hieß es, wir wollen keine Prostitution in unserem Haus. Obwohl schon davor klar war, dass hier Sexarbeiter*innen arbeiteten. Daraus wurde dann, wir wollen keine Trans*. Daraus wiederum wurde, wir haben die PKK besiegt, wir werden auch die Trans* besiegen. Die PKK ist aus deren Sicht eine Terrororganisation und wurde mit Waffen beschossen. Das heißt Trans* wurde mit Terror gleichgesetzt. Man sieht hier, wie sich Hasssprache entwickelt. Hass verstanden als systemischer und nicht als ein Gefühlsbegriff, wo verschiedene Mosaiksteine zusammen spielen und sich verschränken. Dadurch kann der Hass so eine Zugkraft entfalten. Da gehören Medien dazu, da gehört der Staat dazu. Und irgendwann kippt diese Stimmung. Die Personen, die gegen Trans* kämpfen, standen plötzlich jeden Samstag als demonstrierender Mob vor der Tür. Trans*personen wurden beim Arbeiten von Männergruppen mit Stöcken überfallen. Samen, eine alten Freund*in von Ebru, wurden Sofas vor ihrer Wohnungstür gestellt und angezündet, während sie in der Wohnung war. Ihr wurde auch in die Wohnung geschossen. Das ist Terror gegen Leib und Leben, aber auch Psychoterror. Dann kommt noch das Zusammenspiel mit der Polizei dazu, die nicht ermittelt. Stattdessen werden die Wohnungen der Trans*personen versiegelt, sie müssen ausziehen.

Du hast die Rolle der Medien angesprochen. Ebru kritisierte, dass selten über Morde an Trans*personen berichtet wird, die Gerichtsverhandlungen hinter verschlossenen Türen stattfinden. Welche Rolle spielen die Medien hier?
Viel kann ich dem nicht hinzufügen. Außer vielleicht, dass es sich nach dem Putsch erheblich verschärft hat. Es gab vorher zunehmend linke Medien, die darüber berichteten. Bis 2010 gab es eine Form von Boykott, das hat sich durch unsere Arbeit, durch die Trans*-Organisation geändert. Aber jetzt gibt es einen Rollback. Die Medien haben Angst zu berichten. Erdoğan sagte, dass sich diejenigen, die mit LGBT*-Organisationen zusammenarbeiten, schuldig machen, den Terror unterstützen.

International wird sehr wohl berichtet, dass Morde an Trans* in der Türkei zunehmen. Gibt es gar kein Bemühen von staatlicher Seite etwas zu ändern? Vor allem mit dem Hintergrund, dass die Türkei um den EU-Beitritt ansuchen will?
Vor den Wahlen, die Erdoğan wiederholen ließ, gab es Druck seitens der LGBT-Organisationen auf die Stadtverwaltungen. Es gab LGBT-freundliche Stellungnahmen vor der Wahl von der CHP und der HDP. Die Stadtverwaltungen von Beşiktaş, Kadıköy und Şişli haben uns geholfen: Anfang des Jahres ist unser Vereinssitz ausgebrannt. Die Stadtverwaltung von Beşiktaş hat uns das Geld gegeben, um den Verein wieder herrichten zu lassen. Danach hieß es von den Besitzern, dass sie uns nicht mehr haben wollen. Und warum? Weil sie es nun gewinnbringend vermieten konnten. Da verschränkt sich die Profit-Ebene mit der Politik, mit Erdoğan, der auffordert LGBT-Organisationen nicht zu unterstützen. Es ist so ähnlich wie in Cihangir. Das ist ein Istanbuler Stadtteil, der mit dem Prenzlauer Berg in Berlin verglichen werden kann. Eine Hochpreisgegend. Alles ist schick und cool, Künstler*innen sitzen rum. Vorher haben hier Trans* gewohnt, aber sie sind systematisch vertrieben worden. Das passiert überall nach dem gleichen Muster. Im Endeffekt ist das nicht typisch türkisch, sondern transkulturell: Wie jemand aufgrund eines äußeren Merkmals ausgegrenzt und das mit ökonomischen Interessen gekoppelt wird. Wenn es gleichzeitig eine starke Zivilgesellschaft gibt, dann wird das aufgefangen. Im Moment ist die Zivilgesellschaft in der Türkei aber so verängstigt, weil es diesen Mob auf der Straße gibt. Vor dem Putsch gab es politisch auch eine sehr breit aufgestellte Opposition. Durch die Kriminalisierung von der HDP ist aber einiges gebröckelt. Auf diese Form von Öffentlichkeit müsste man sich beziehen, aber die trauen sich nicht, weil die Hegemonie auf der Straße die Anderen haben. Wie auch nach der Trump-Wahl, wo sich so viele plötzlich ermuntert fühlen mit ihrer rechten Gesinnung in Wort und Tat in die Öffentlichkeit zu treten, sich wieder zu trauen. Das ist in der Türkei ganz ähnlich.

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Ebru wollte 2014 für die HDP Istanbul kandidieren. Das hat aber nicht geklappt. Wieso nicht?
Ebru war in der Vorwahl. Die Partei wählt dann diejenigen, die einen Listenplatz bekommen. Damals ist entschieden worden, dass keine Trans* auf eine Liste kommen soll. Stattdessen ist Barış Sulu, ein Freund von uns, auf die Liste in Eskişehir gewählt worden. Mittlerweile ist er im Exil in Berlin, weil er aufgrund seiner Kandidatur vom IS verfolgt worden ist. Im IS-Magazin wurde ein Bild veröffentlicht mit dem Aufruf zur Tötung. Im Nachhinein bin ich daher froh, dass es nicht geklappt hat. Ebru wäre heute vielleicht im Knast. Oder an einer Parteiveranstaltungen von der HDP, die immer wieder tätlich angegriffen werden, verletzt worden. Wenn man es positiv sehen will: Es war klug von der Partei, Ebru nicht noch zusätzlich zur Zielscheibe zu machen.

Ebru versucht bereits seit Jahren die türkische Gesellschaft zu verändern, natürlich insbesondere eine Besserstellung von Trans*personen zu erreichen. Hat sie in diesem Kampf auch Erfolge erreicht?
Ein großer Erfolg ist, dass wir ein Trans*-Haus für Geflüchtete aus dem Irak, dem Iran, aber vor allem aus Syrien aufbauen konnten. Das ist ausschließlich Community-finanziert und hält sich bereits vier Jahre lang. Mit Hilfe des holländischen Konsulats konnten wir auch ein Jahr lang Traumatherapie anbieten. Es fanden Workshops statt, die gleichzeitig die Funktion hatten, Gemeinschaftlichkeit zu erzeugen, weil plötzlich hast du nicht nur ein Sprachproblem, sondern Identität fängt wieder an eine Rolle zu spielen. Ein anderer Erfolg ist, dass wir Fortbildungsmaßnahmen in Form eines interaktiven Trainings für Lehrer*innen, Rechtsanwält*innen und Journalist*innen durchführen konnten.

Valentine Auer arbeitet als freie Journalistin in Wien.

Queere Refugees erzählen ihre Geschichte

  • 29.11.2016, 13:00
„Es gibt keine Sicherheit, keinen Schutz in Syrien... nicht einmal im Libanon. Es gibt keine Hoffnung. Alle Türen wurden in mein Gesicht geschlagen... auf jeden möglichen Weg. Ich wartete lange auf einen Hoffnungsschimmer von irgendjemanden. Oder auf jemanden der mir helfen könnte und meine sexuelle Orientierung versteht.... Aber ich wurde von der Gesellschaft zurückgewiesen.. von meinen Eltern... den Menschen... der ganzen Welt.“

„Es gibt keine Sicherheit, keinen Schutz in Syrien... nicht einmal im Libanon. Es gibt keine Hoffnung. Alle Türen wurden in mein Gesicht geschlagen... auf jeden möglichen Weg. Ich wartete lange auf einen Hoffnungsschimmer von irgendjemanden. Oder auf jemanden der mir helfen könnte und meine sexuelle Orientierung versteht.... Aber ich wurde von der Gesellschaft zurückgewiesen.. von meinen Eltern... den Menschen... der ganzen Welt.“

Knallroter Lippenstift ziert den Mund, der von dieser Hoffnungslosigkeit erzählt. Make-Up wird aufgetragen. Die Kinnpartie zittert. Im Kurzfilm „My refugee story“ erzählen LGBTIQ-Personen, die von Syrien in den Libanon flüchteten, ihre Geschichte. Sie erzählen davon, wie sie von ihrer Familie gezwungen wurden, sich auszuziehen, um der Gesellschaft zu zeigen, wie ihre Körper ausschauen. Sie erzählen, wie sie aufgrund ihrer Trans*-Identitäten von der Schule geschmissen wurden. Sie erzählen von Diskriminierungen, von Gewalterfahrungen, von Todesdrohungen, von Vergewaltigungen.

„My refugee story“ ist das Ergebnis von Workshops für geflohene LGBTIQ-Personen, die gemeinsam mit der Medienorganisation „One more Cup“ und der Initiative „Mosaic Mena“ durchgeführt wurden. Beide Organisationen setzen sich für marginalisierte Gruppen im Libanon ein. In beiden Gruppen ist der ägyptische Filmemacher und Aktivist Mohamed Nour Metwally tätig. progress erzählte er die Entstehung von „My refugee story“:

UNHCR arbeitet gemeinsam mit der Initiative „Mosaic“ an Projekten für LGBTIQ Flüchtlinge. Da kam die Idee auf. einen Film zu produzieren. Als ich zu UNHCR ging, um erste Schritte zu besprechen, fand ich mich plötzlich in einem Vortrag für LGBTIQ Flüchtlinge wieder. Ich begann mit den Personen zu sprechen, fragte sie, was sie machen wollen. Die Antwort: Wir müssen einen Film machen, weil wir von Übergriffen betroffen sind, wir müssen aufzeigen, wie sehr wir im Libanon leiden. Es ist jedoch nicht möglich, mit den Personen auf die Straße zu gehen und die Belästigungen zu zeigen. Als ich das erste Mal in den Libanon kam, sagten mir alle, ich darf keine Fotos machen. Durch die verschiedensten politischen Parteien, die teilweise stark verfeindet sind, ist das sehr schwierig im Libanon. Daher hatte ich die Idee einen Medienkompetenz-Workshop zu machen. Die Leute lernten so selber die Techniken zur Entwicklung eines Dokumentarfilms – vom Drehbuchschreiben, bis hin zu Regie und dem Schneiden. Wir begannen mit dem Schreiben von Geschichten. Wir sammelten diese Geschichten, wählten manche davon gemeinsam aus und an einem Tag drehten wir den Film.

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Das Ergebnis sind sehr intime Geschichten, die von verschiedenen Formen von Gewalt und Diskriminierung gegenüber LBGTIQ Flüchtlingen erzählen. Es sind Eindrücke, die auch vom UNHCR bestätigt werden. So sind laut dem UN-Flüchtlingshochkommissariat LGBTIQ Flüchtlinge mit Gewalt und sexuellem Missbrauch vonseiten der „refugee community“ ebenso konfrontiert wie von der eigenen Familie. Diskriminierung und Belästigungen gehen von staatlichen als auch von nicht-staatlichen Organisationen aus. Dies zeigt eine Studie, in der UNHCR weltweit 106 Asylbehörden im Zeitraum Juli 2014 bis Mai 2015 zum Thema queere Flüchtlinge befragte. Eines der Ergebnisse: Obwohl 64 Prozent der Behörden angaben, mindestens eine Maßnahme im Aufnahme- oder Registrierungsprozess zu haben, die sich speziell an LGBTIQ Personen richtet, berichten trotz dem Wissen um Diskriminierung und Gewalt gegenüber queeren Flüchtlingen nur 14 Prozent von der Einrichtung sicherer Schutzzonen. Zudem seien die Befragungen im Asylverfahren oft unsensibel, unangebracht. Der Film ist ein kleines Puzzlestück wie der letzte Punkt – zumindest im Libanon – geändert werden könnte, erzählt Metwally:
Im Libanon wurde der Film nicht öffentlich gezeigt. Er wird als Toolkit für Schulungen zu sexueller Orientierung und Genderidentitäten verwendet. Besucht werden diese Schulungen von Vertreter*innen verschiedener NGOS, von Sozialarbeiter*innen, Sachbearbeiter*innen – von allen, die mit queeren Refugees in Berührung kommen. Der Film wurde sehr gut aufgenommen, weil vielen dieser Personen ein persönlicher Zugang zu LGBTIQ Personen fehlt. Durch das Aufzeigen verschiedener Arten von Diskriminierung mit denen LGBTIQ Personen konfrontiert sind, erhalten sie erstmals Einblick in die Probleme und beginnen zu verstehen.

So hoffnungsvoll zeigt sich der Film jedoch nicht unbedingt. „Als ich mich endlich mit meiner Identität auseinander gesetzt und alles verarbeitet habe, traf ich nach wie vor auf Ablehnung und Zurückweisung von den Menschen, sie lehnten meine gesamte Existenz ab“, erzählt eine* der Protagonist*innen des Films. Das war der Punkt an dem sie die Hoffnung verlor – sowohl in Syrien als auch im Libanon.

Laut den Erfahrungen von Metwally gibt es trotzdem Unterschiede zwischen Syrien und dem Libanon, wenn es um LGBTIQ-Personen geht. Der Libanon sei offener. Stattdessen ist dort der Rassismus, insbesondere gegenüber Menschen aus Syrien ein großes Problem. „Es gibt einen Groll zwischen den beiden Ländern, weil Syrien den Libanon vor langer Zeit besetzte. Dadurch kommt eine Ebene des Rassismus gegenüber syrischen Flüchtlingen dazu“, erzählt Metwally. Die untragbare Situation für LGBTIQ-Personen in Syrien hat sich erst mit dem Krieg zum Schlechten gewandelt. Ob der Filmemacher und Aktivist an eine erneute Änderung in der MENA-Region (Middle East & North Afrikca) glaubt?

Ich denke, dass die Bildung diesbezüglich eine große Rolle spielt. Bevor ich in den Libanon kam, wusste ich nichts über Gender Studies. Als ich herkam, besuchte ich Schulungen zu Menschenrechten, zu sexuellen Orientierungen, zu Genderidentitäten. Ich lernte verschiedene Begriffe kennen. Ich lernte, dass es einen riesigen Unterschied zwischen Geschlecht und Sexualität gibt. So ging es auch vielen meiner Freund*innen, die von Algerien, von Tunesien oder auch vom Libanon nach Ägypten kamen, um Gender Studies zu studieren. All diese Personen und auch ich können ihre Gesellschaften, ihre Familien, durch das Wissen, das sie erlangt haben, positiv beeinflussen. Wenn man mit diesem Wissen spricht, kann man zu mehr Akzeptanz und Verständnis beitragen. Denn Stigma wird vom Nicht-Wissen produziert. Die Gesellschaft lehrt uns nur bestimmte Geschlechterrollen. Sie lehrt uns nicht, dass diese geändert werden können. Durch Bildung, durch das Sprechen über diese Dinge, beginnen die Menschen verschiedene Identitäten mehr zu akzeptieren.

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Derzeit ist es eines der Probleme noch die Unterbringung in den Zielländern. Viele der vom UNHCR befragten Behörden berichteten, dass die Akzeptanz von LGBTIQ-Personen in den Unterkünften niedrig sei, insbesondere in großen Camps. Auch Metwally kennt diese Problematik vom Libanon.
Es gibt kaum Personen, die in einer geeigneten Unterkunft wohnen. Hinzu kommt das Rassismus Problem im Libanon. Es gibt verschiedene Regionen, die unterschiedlich – je nach Religion – kategorisiert sind. Christ*innen werden getrennt, Muslim*innen werden getrennt und innerhalb der jeweiligen Regionen gibt es wieder Trennungen. Das heißt, auch LGBTIQ Flüchtlinge werden nach diesen Merkmalen untergebracht.

Er ist sich jedoch bewusst, dass es auch in Europa Aufholbedarf in der Unterbringung von queeren Flüchtlingen gibt:
Du kannst geflüchtete LGBTIQ Personen nicht in eine heterosexuelle Unterkunft geben. Viele der Personen kommen nach Europa und erwarten hier ein besseres Leben, erwarten Zugehörigkeit, „gay prides“, usw. Dann kommen sie in eine Flüchtlingsunterkunft und damit in eine Gesellschaft von der sie eigentlich flüchteten. Daher braucht es unbedingt individuelle Unterbringungsmöglichkeiten.

 

Valentine Auer arbeitet als freie Journalistin in Wien.

­Coming Out in der Schule?!

  • 25.05.2016, 23:44
Nicht nur für Schüler*innen, sondern auch für Lehrer*innen ist die Frage nach der sexuellen Orientierung bzw. Identität ein Thema am Arbeitsplatz Schule.

Nicht nur für Schüler*innen, sondern auch für Lehrer*innen ist die Frage nach der sexuellen Orientierung bzw. Identität ein Thema am Arbeitsplatz Schule.

Lesbischen, schwulen, bisexuellen und queeren Lehrer*innen und anderen Bildungsarbeiter*innen, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, werden nach wie vor große Vorbehalte entgegengebracht. Obwohl die rechtliche Situation eine einigermaßen große Sicherheit bietet, Beratungsstellen bei Problemen und Mobbingfällen bereitstehen, sind offen queere Lehrer*innen nach wie vor die Ausnahme. Es ist ein Widerspruch, dass es einerseits Projekte für Schüler*innen zu nicht-heteronormativen Lebensweisen gibt, die nicht-hetero oder cissexuelle Lehrkraft in punkto Sichtbarkeit jedoch die große Ausnahme darstellt.

Die Tabuisierung dieser Themen führt auf mehreren Ebenen zu Problemen. Erstens trifft sie Kinder und Jugendliche, die sich in ihrer geschlechtlichen Entwicklung nicht mit den vorhandenen Normen identifizieren, denn sie bleiben mit ihren Fragen und Positionen allein. Nicht selten hat dieses Orientierungsvakuum negative Auswirkungen auf die Identitätsentwicklung der Heranwachsenden. Zweitens bedeutet eine Tabuisierung nicht-heteronormativer Lebensweisen die Vielfalt gesellschaftlicher Wirklichkeit nicht kennen zu lernen und in Folge keinen selbstsicheren Umgang damit zu finden. Verständnis für Differenzen und Anerkennung der realen gesellschaftlichen Diversität wären Teile des staatlichen Bildungsauftrags.

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Schließlich kann die genannte Tabuisierung zu einer erheblichen Belastung von Lehrkräften selbst führen, die homo-, bi-, trans- oder intersexuell leben. Das Coming Out ist nicht nur für Schüler*innen einfacher, wenn sie Unterstützungsstrukturen, Austauschmöglichkeiten und role models zur Verfügung haben. Auch für Eltern, aber vor allem für Lehrer*innen sowie angehende Pädagog*innen ist dies der Fall.

Deshalb wurde in Wien die offene Gruppe „EDUqueer. LGBTIQ Lehrpersonen in Österreich“ gegründet. Im Rahmen der monatlichen Treffen sind einerseits Austausch über Erfahrungen und Strategien möglich, andererseits auch politische Bewusstseinsbildung – etwa im Sinne der Selbstermächtigung.

Die Treffen finden jeweils am dritten Dienstag im Monat um 18 Uhr im Gruppenraum der Türkis Rosa Lila Villa (6., Linke Wienzeile 102, 1. Stock) statt.

Die nächsten Termine vor der Sommerpause sind der 17. Mai und der 28. Juni 2016. Weitere Informationen und Kontaktmöglichkeiten gibt es auf unserer Facebookseite und auf unserer Homepage: www.eduqueer.at

Endlich sprechen Gaybies

  • 16.03.2016, 21:49
„Gayby Baby“ ist ein Dokumentarfilm, der vier Kinder auf sehr intime, aber unaufgeregte Art in ihrem Alltag begleitet.

„Gayby Baby“ ist ein Dokumentarfilm, der vier Kinder auf sehr intime, aber unaufgeregte Art in ihrem Alltag begleitet. Gus, Ebony, Graham und Matt haben zwei Dinge gemein: Sie sind zwischen zehn und zwölf Jahre alt und sie leben in einer Regenbogen-Familie. Sie sind „Gaybies“. Inmitten politischer Debatten über Ehe- und Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Paare, kommen in „Gayby Baby“ die Kinder selber zu Wort. progress sprach mit der Produzentin Charlotte Mars.

Gemeinsam mit Maya Newell hast du die Dokumentarreihe „Growing up Gayby“ realisiert. Jetzt habt ihr zusammen den Film „Gayby Baby“ gemacht, wo ihr Kinder begleitet, die mit gleichgeschlechtlichen Eltern aufwachsen. Wie seid ihr zu diesem Thema gekommen?
Vor fünf Jahren wurde die Debatte über die gleichgeschlechtliche Ehe sehr laut und dabei ging es immer mehr um die Frage von Familie und um diese rechts-konservative Sorge, dass homosexuelle Paare, die heiraten, auch Kinder wollen. Dass das ein Problem sein könnte. Dass diese Kinder anders sein könnten. Maya und ich kennen uns schon sehr lange und fanden die Debatte extrem beleidigend. Maya hat selber zwei Mütter. Es war nicht nur ein Angriff, weil die ganze Diskussion so tat, als ob Kinder aus gleichgeschlechtlichen Partnerschaften noch gar nicht existieren, sondern auch, weil sich niemand die Zeit genommen hat mit den Familien, mit den Kindern zu reden. Alle haben über die Kinder, aber niemand mit ihnen gesprochen. Und da es immer lauter und richtig hässlich wurde, wollten wir dem etwas entgegnen, indem wir den Kindern zuhören.

Ja, das Thema selber ist sehr politisch. Der Film ist aber überraschend unpolitisch. War es eine bewusste Entscheidung den Film zu entpolitisieren?
Ja, absolut! Es gab so viel Hass in der Diskussion und wir wollten nicht eine weitere aufgebrachte Stimme sein. Eine Kraft des Kinos sind die Geschichten, die du erzählen kannst. Damit wollten wir uns einbringen. Viele haben sich mit Regenbogen-Familien noch gar nicht auseinandergesetzt. Und in einer Welt voller heteronormativer Bilder, ist es erfrischend, etwas anderes zeigen zu können und zu sagen, dass es diese Familien gibt und zwar schon lange. Die Geschichten im Film sind zwar nicht politisch erzählt, aber der Kontext des Films ist politisch, Maya und ich sind politisch.
Auch der Kontext eurer Screenings ist sehr politisch: Der Film wurde an Schulen in Australien verboten. Wie kam es dazu?
Der Film kam in Australien bereits 2015 in die Kinos, eine Woche vor dem jährlich stattfindenden „Wear It Purple Day“ im August. Das ist ein Tag, an dem sich junge LGBTIQ-Menschen selbst feiern. Statt einem normalen Preview wollten wir den Schulen die Möglichkeit geben, den Film an diesem Tag zu zeigen. Rund dreißig oder vierzig Schulen haben zugesagt. Einen Tag vor den Screenings landeten wir auf dem Cover einer der größten Zeitungen mit der Schlagzeile „Gay class uproar“. Am Beispiel einer Schule ging es in dem Artikel darum, dass alle Eltern aufgebracht seien, weil ihre Kinder dazu gezwungen werden, ein – wie die Zeitung es formulierte – Video über homosexuelle Erziehung, zu sehen. Das war schrecklich! Wir haben vier Jahre an diesem Film gearbeitet, vier Jahre in der LGBTIQ-Community verbracht und dann kommt diese Schlagzeile. Wir waren eine Woche lang durchgehend in der Berichterstattung. Der Premierminister von New South Wales entschied, dass der Film an Schulen in diesem Bundesstaat nicht gezeigt werden darf. Das war auch furchtbar für die Community, da die Botschaft vermittelt wurde, dass diese Familien in den Schulen nicht willkommen sind.

Wie geht es euch und auch den Familien und Kindern aus dem Film jetzt – nach dem ersten Schock?
Das ist fünf Monate her und obwohl ich persönlich und sehr viele andere durch die Reaktion verletzt wurden, ist uns mittlerweile klar, dass eine Konversation, die lange nicht geführt wurde, plötzlich geführt wurde. Es war notwendig. Auch die Familien und Kinder waren sehr großartig. Uns ging es in erster Linie darum zu schauen, wie es den Kindern aus dem Film geht, weil sie diejenigen waren, die am nächsten Tag in die Schule mussten. Aber die Kinder haben als erste gemeint, wir sollen uns keine Sorgen machen, denn es sei das Beste, was passieren konnte.

Die Kinder im Film sind alle zwischen zehn und zwölf Jahre alt. Habt ihr euch bewusst für dieses Alter entschieden?
Nein, zumindest anfangs nicht. Wir haben für den Film Menschen sehr verschiedenen Alters interviewt. Aber als sich die Geschichten, die wir im Film erzählen wollten, herauskristallisierten, wurde uns bewusst, dass das Alter zwischen zehn und zwölf sehr spannend ist. Es ist eine Art „magisches Alter“. Du hast einen Fuß in der Kindheit und den anderen im Erwachsenensein. Deine eigenen Ideen beginnen sich in dem Alter zu formen. Du fängst an, deine Eltern als Personen und nicht nur als deine Eltern wahrzunehmen – was in unserem Kontext sehr spannend ist, da auch immer klarer wurde, dass nicht die ganze Welt denkt, dass meine Familie unbedingt normal ist.

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Meiner Meinung nach kamen die Kinder im Film sehr reif und erwachsen rüber. Kann das mit den täglichen Kämpfen zu tun haben, die man als Gayby in einer heteronormativen Gesellschaft, auszutragen hat?
Ich würde nicht sagen, dass die Kids andauernd am Kämpfen sind. Das sehe ich gar nicht so. Ich glaube aber, dass viele Gaybies sehr gut kommunizieren können, weil sie seit sie sprechen können, andauernd ihre Familie erklären müssen. Daher lernten viele über Familie, aber auch über queere Politiken, zu sprechen. Gleichzeitig sind die Kinder unglaublich belastbar, was eigentlich keine Eigenschaft von Kindern sein sollte. Aber sie treten jeden Tag vor die Haustüre, wissend, dass es die Möglichkeit gibt mit Homophobie konfrontiert zu werden. Auch wenn es gar nicht so sein muss. Aber allein dieses Bewusstsein schafft eine Art Belastbarkeit, ein Bereit-Sein.

Gemeinsam mit Gaybies wart ihr im australischen Bundestag. Dort hatten die Politiker*innen die Möglichkeit Fragen zu stellen. Welche Fragen sind gekommen?
Wir sind nicht mit den Kindern aus dem Film, sondern mit Erwachsenen hin. Ich kann mich nicht mehr an alle Fragen erinnern, aber wir wollten das Panel so strukturieren, dass wir langsam alle Fragen, die immer wieder kommen, durchgegangen sind. Es gibt einige wenige Fragen, die wiederholen sich: Zum Beispiel, wenn du zwei Mütter hast, kommt die Frage, ob du einen Vater vermisst. Die Leute wollen auch wissen, wie du gezeugt wurdest, ob du adoptiert bist – wie all das funktioniert. Viele fragen, ob du auf Grund deiner homosexuellen Eltern schikaniert wurdest oder wirst. Und natürlich kommt immer wieder die Frage, ob Gaybies homosexuell sind. Das klingt eigentlich sehr dumm. Aber es gibt wirklich viele Menschen, die glauben, dass es so ist.

Du hast mit Maya auch eine Firma mit dem Namen „Marla House“ gestartet zur Unterstützung weiblicher Filmemacherinnen. Ist die Branche nach wie vor männlich dominiert?
„Marla House“ haben wir eigentlich für unsere gemeinsamen Kollaborationen gestartet. „Marla“ bedeutet auf einer Aborigines-Sprache „Mädchen“. Das heißt es ist das „Mädchen Haus“, also unser Haus. Aber ja, ich bin absolut der Meinung, dass die Branche männlich dominiert ist. Das zeigen auch die Statistiken. Aber frage mich bitte nicht, wie man das...

… ändern kann?
Genau! Es gibt sehr viele Menschen, die versuchen diese Frage zu beantworten und daher gibt es auch viele verschiedene Zugänge. Meiner Meinung nach sollen wir sie alle probieren. Dabei geht es nicht nur um Frauen und Männer, sondern um LGBTIQ-Personen, aber auch um „People of Colour“. Wenn wir nur Geschichten von von weißen Männern hören und sehen, wenn nur diese kleine Gruppe repräsentiert wird, erhalten wir offensichtlich nicht das ganze Bild von Gesellschaft. Es ist wichtig, all die problematischen Systeme unserer Gesellschaft aus vielen verschiedenen Perspektiven zu zerlegen.

Valentine Auer lebt als freie Journalistin in Wien.

Queerness als Programm

  • 22.05.2015, 13:16

Veranstalter*innen und Publikum eint auf Tech-Veranstaltungen meist eines: Sie sind männlich, weiß und hetero. Stuart Cameron hat aufgrund des akuten Mangels an queeren Tech-Events vor einem halben Jahr unicornsintech gegründet und erstmals das #unitfestival veranstaltet.

Veranstalter*innen und Publikum eint auf Tech-Veranstaltungen meist eines: Sie sind männlich, weiß und hetero. Stuart Cameron hat aufgrund des akuten Mangels an queeren Tech-Events vor einem halben Jahr unicornsintech gegründet und erstmals das #unitfestival veranstaltet.

Das Festivalgelände liegt etwas abgelegen in der Straße der Pariser Kommune, Nahe des Berliner Ostbahnhofs. Die Wege rund um den Bahnhof sind weitläufig, aufwändige Graffitis zieren die Mauern um das Industriegelände. Man muss zweimal hinsehen, um den Eingang zu finden. Berliner Underground eben. Der Fritz Club gewährt den Besucher*innen genau die Art von lässiger Atmosphäre, die man von einem alternativen Tech-Festival erwartet. Es ist dunkel, verwinkelt und kalt. Obwohl die Party vom Vortag schon zu Ende ist, kann man den Geruch von Zigaretten und Bier erahnen. Im Inneren des denkmalgeschützten Gebäudes sind unzählige Kilometer Kabel und Lüftungsrohre verlegt worden, um den Veranstaltungsort optimal nutzbar zu machen. 1200 Menschen hätten theoretisch Platz, um irgendwo zwischen Liegestühlen, Vintagesofas, Bar und den drei Stages Platz zu nehmen.

Foto: Bianca Xenia Mayer

„Wenn wir 100 Leute zu unserem ersten Festival herbekommen, sind wir schon happy. Bis gestern haben sich 500 Leute registriert. Mal schauen, wie viele davon auch kommen“, erzählt mir unicornsintech-Gründer Stuart freitagmorgens. Eine unbegründete Sorge. Schon gegen zehn Uhr füllen sich die Sofas im Garden Tent. Zeit für die Eröffnungsrede.

Thematisch breit gefächert reihen sich englischsprachige Vorträge wie „Bitcoin and the Promise of Cryptocurrencies“, „Stigma of Boredom & Why We Love it: Elaborating Games With a Global Visual Language“ oder „Fluid Creativity Between the Digital & Physical“ aneinander. Das überschaubare Gelände ist in eine Mainstage, zwei sogenannte classrooms und zwei weitere, kleine Bühnen unterteilt.

Bässe wummern von früh morgens bis zum Ende des Tages durch die Gänge. Auf den Stress, der mit Massenveranstaltungen wie der re:publica einhergeht, hatten die Veranstalter*innen sichtlich wenig Lust. Die re:publica ist eine der wichtigsten Tech-Konferenzen in Deutschland, die sich mit Themen rund um das Web 2.0, die digitale Gesellschaft und soziale Medien befasst. Sie wird seit 2007 in Berlin veranstaltet und zählte dieses Jahr mehr als 6000 Teilnehmer*innen. 

Foto: Bianca Xenia Mayer

„Es gibt nicht nur Vorträge, sondern auch Musik. Künstler*innen sind da, man kann vieles direkt ausprobieren, zum Beispiel die Virtual-Reality-Brille. Das ist ein angenehmer Mix“, findet Stuart. Während man auf der re:pulica zeitweise das Gefühl hatte, auf einem netzwerkorientierten Business Speed-Dating gelandet zu sein, wird auf dem #unitfestival erstmal im Garten gechillt und auf neue Freund*innen gewartet.

Vor der Gründung von unicornsintech musste der diplomierte Betriebswirt feststellen, dass es zwar viele elaborierte Events gab, allerdings kaum welche, die sich explizit an queere Menschen richteten. „Es ist schwer als Einhorn auf solchen Veranstaltungen. Wir haben uns dann gedacht: Lass uns doch ein cooles Tech-Event machen, mit einer Atmosphäre, in der jedes Einhorn willkommen ist.“ Die unicornsintech sind eine Community, die die Sichtbarkeit von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Trans-Menschen in der Szene aktiv unterstützt und sich Queerness auf die Fahne schreibt, statt sie lediglich in einem Beisatz zu erwähnen. „Du kannst hier so sein, wie du bist, es juckt wirklich niemanden. Das ist es, was diese Veranstaltung besonders macht und was man hiervon mitnimmt. Diese gewisse Offenheit.“

Blaue Haare, lila Blumenschmuck, karierte Leggins. Unterschwellige Fashion Statements unterstreichen szeneninhärente Codes, statt sie zu zerschlagen. Das ist auch auf dem #unitfestival nicht anders als anderswo. Aktuell liegt der Frauenanteil des #unitfestival trotz der gut gemeinten Bestrebungen bei nur 35 Prozent, 50:50 wäre das Ziel. Die erste offizielle Session des Tages hält Anna Rojahn zu „Societal Change Through the Rise of Artifical Intelligence“. Dabei konfrontiert sie das Publikum mit der Frage, inwiefern künstliche Intelligenz ein Gewissen entwickeln kann und wenn ja, bis zu welchem Grat sich dieses Gewissen mit unseren Ideen von Moral und Ethik decken würde. Dass es schon für Menschen schier unmöglich scheint, einheitliche Vorstellungen von Moral zu entwickeln, ist bekannt.

Foto: Bianca Xenia Mayer

Wer nicht länger still sitzen wollte, konnte sich über eine Wendeltreppe Zutritt zum zweiten Stock verschaffen. Dort erwartete die Festivalteilnehmer*innen nicht nur Abwechslung in Form von Mario-Kart-Tournaments, sondern auch Workshops mit vielversprechenden Titeln wie: „Time to Leave For Berghain: Sobering Tales From a Frontier Called #identity“. Der vielleicht berühmteste Techno-Club Berlins ist nicht weit von der Location entfernt. Matteo Cassese beschäftigte sich in diesem Vortrag auch mit dem Einfluss mobiler Endgeräte auf unser alltägliches Leben. Wieso lächeln wir auf Profilfotos eigentlich so bescheuert? Brauchen wir Wecker, die uns daran erinnern, einen Club zu verlassen? Langjährige Feiergewohnheiten fließen in unser Big Data Profil mit ein, dem die plötzliche Alkoholabstinenz verdächtig vorkommt.

Foto: Bianca Xenia Mayer

Auch sehenswert: Die Live Coding Performance von Joseph Wilk, der allen Anwesenden Einblicke in die Welt des Programmierens gewährte. Ein wechselhaftes, schnelllebiges und buntes Spektakel, das auf der Leinwand ein Eigenleben aus herumschwirrenden Codes entwickelte.

Fern von Heteronormativität stellt das #unitfestival eine gelungene Alternative zu herkömmlichen Veranstaltungen dar, die laut Stuart durchaus ihre Daseinsberechtigung haben. „Wir haben nichts dagegen, dass es so etwas gibt. Es sollten aber auch Veranstaltungen existieren, die einen etwas anderen Fokus haben und die Branche auflockern. Wenn zwei Jungs oder zwei Mädels Hand in Hand bei uns über das Festival laufen, ist das das Normalste auf der Welt. Wenn die das auf einer anderen Tech-Veranstaltung machen, bleibt ein Hintergedanke: Bin ich hier wirklich willkommen oder schaut jetzt jemand blöd?“

Foto: Bianca Xenia Mayer

Zwischen all den Apps, kreativen Communities und zum Austesten bereitgestellten Wearables tönte Musik von den Razor Kunts, einer riot grrrl punk band, die mit zwei Cellos, Bass Drum und Snare ausgestattet gekonnt no wave mit punk kombiniert. No Wave entstand Ende der 1970er Jahre in der Lower East Side von New York City und gilt bis heute als avantgardistische Antwort auf die New-Wave-Bewegung. Ambika Thompson und Jane Flett schreiben erfrischende Songs über Menstruation und Zungenküsse mit Frida Kahlo.

Neben all den spaßigen Aktivitäten und Sand zwischen den Zehen sollte die Aneignung von Wissen nicht zu kurz kommen. Am frühen Nachmittag konnten alle Interessierten an einer Crypto-Party teilnehmen und dort lernen, wie das Verschlüsselungsprogramm enigma funktioniert. „Cryptoparty ist eine globale dezentrale Bewegung. Wenn du heute sagst, ich schmeiß morgen eine Cryptoparty in einem kleinen Dorf in den Alpen, dann darfst du das. Das Einzige, was du machen musst, ist die Richtlinien zu respektieren. Wenn du das nicht machst, kriegst du kein Publikum“, erklärt Shiro, Aktivistin und Journalistin, das Konzept. Das bedeutet: Keine Belästigung, kein Stalking, kein unangemessener körperlicher Kontakt und keine verletzenden und beleidigenden Worte.

„Ein Angel erklärt dir beispielsweise die E-Mailverschlüsselung, der muss das schon ausprobiert haben. Manchmal gibt es auf Cryptoparties auch Leute, die Crypto-Software Entwickler sind. Die meisten Leute sind aber wie ich.“ Ihren Bachelor hat Shiro in den Fächern Deutsch und Französisch abgeschlossen. Ein Handy benutzt sie mittlerweile nicht mehr. „Bis vor einem Jahr hatte ich einen Windows Rechner, Skype, Facebook und Gmail. Du brauchst gar nicht so extrem zu sein, um ein Crypto Angel zu werden.“ Man könne auch mit einem ganz normalen Windows PC, einem iPhone und Facebook Profil dazugehören. „Jeder der mitmachen will, kann mitmachen. Das ist das Schöne an Cryptoparty.“

Foto: Bianca Xenia Mayer

Stuarts oberstes Ziel, nämlich eine gute Zeit zu haben, hat sich für mich erfüllt. Ich habe zum ersten Mal bei der Verschlüsslung von E-Mails zugesehen, gelernt, wofür man einen public key benötigt und etwas über Asimov’s Three Laws of Robotics erfahren. Für das nächste Festival bleibt zu hoffen, dass der Anteil an Speakerinnen, insbesondere jener der nicht weißen, cis-hetero Frauen erhöht wird.

Teilnehmer*innen äußerten auf Twitter Kritik an der weißen Suprematie, die auch vor dem inklusiven #unitfestival nicht halt machte. Zudem hätten sich manche Besucher*innen einen stärkeren Fokus auf LGBT-Thematiken in der Tech-Branche gewünscht. So auch Theresa Enghardt, eine queere Feministin aus Berlin: „Es hätte mich gefreut, auf den Bühnen noch mehr explizit queere Inhalte zu sehen, denn ein signifikanter Teil der Vorträge nahm auf Technik Bezug, aber nicht auf das „queer”.”

Theresa, deren Bisexuailtät oftmals „nur als eine Phase" abgetan wird, fühlte sich von einer Session mit dem Titel „Lesbians who Tech“ nicht angesprochen, da bisexuelle Teilnehmer*innen zwar auch willkommen, aber nicht explizit angesprochen sind. “Schön und gut, aber ich bin nicht lesbisch, und ich möchte nicht unsichtbar gemacht werden und bei „Lesben" mitgemeint sein. Ich möchte nicht das Risiko eingehen, dass Leute entsetzt reagieren, wenn ich von einer Beziehung mit einem Mann erzähle. Ich wurde auf queeren Veranstaltungen dann schon geschockt gefragt, ob ich denn hetero sei. Mir wurde das Gefühl gegeben, ich gehöre nicht richtig dazu.”

Der partizipative und persönliche Charakter des Festivals muss an dieser Stelle hervorgehoben werden. Vor allem im Vergleich zu großen Tech-Veranstaltungen wie der re:publica war es auf dem #unitfestival deutlich leichter, mit spannenden Menschen ins Gespräch zu kommen. Auch abseits der Sessions waren die Speaker*innen dazu bereit, sich mit Interessierten über ihre Vorstellungen von einer digitalen Zukunft auszutauschen.

 

Bianca Xenia Mayer studiert Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien.

Kein Asyl ohne Erektion

  • 25.03.2015, 18:42

Nach dem Mord an der Trans* Frau Hande Öncü wird an den Asylverfahren von LGBTI-Personen scharfe Kritik geübt. Mit der geplanten Einführung von Schnellverfahren droht nun eine weitere Verschlechterung.

Nach dem Mord an der Trans* Frau Hande Öncü wird an den Asylverfahren von LGBTI-Personen scharfe Kritik geübt. Mit der geplanten Einführung von Schnellverfahren droht nun eine weitere Verschlechterung.

LGBTI-Personen begegnen im Zuge ihres Asylverfahrens Klischees, Stereotypen und verschiedenste Grenzüberschreitungen.  Der Mord an der Türkin Hande Öncü, die vor Gewalt gegen Trans*Frauen und Sexarbeiter*innen nach Österreich geflüchtet ist, ist ein Beispiel dafür, dass die Gewalt an LGBTI-Flüchtlingen in Österreich leider weitergeht.

MISGENDERN IST GEWALT. Ein anderer bekannter Fall spielte sich 2011 ab: Die Trans*Frau Yasar Ö. wurde in der Türkei aufgrund ihrer Transsexualität mehrmals verprügelt, ihre Familie setzte einen Mörder auf sie an. Ihr Asylantrag in Österreich wurde trotzdem abgelehnt. Der Grund: Sie wurde von den Asylbehörden nicht als Trans*Frau, sondern als homosexueller Mann, dem keine Verfolgung in der Türkei drohe, behandelt.

„Klare Themenverfehlung“, fasst Judith Ruderstaller das Urteil zusammen. Sie war damals beim Verein Asyl in Not tätig und betreute Yasars Fall. Nachdem NGOs wie Asyl in Not oder transX die Sachlage klarstellten, konnte das Urteil doch noch aufgehoben werden. Yasar wurde aus der Schubhaft entlassen und ein neues Verfahren wurde eingeleitet. Für Judith Ruderstaller war der Fall ein Wendepunkt, was den Umgang der österreichischen Asylbehörden mit LGBTI-Flüchtlingen betrifft: „Durch diesen Fall ist sehr viel Sensibilisierung reingekommen.“ Generell habe sich in den letzten fünf Jahren vieles verbessert: „2010 habe ich die Judikatur in Österreich im Bezug auf LGBTI-FLüchtlinge analysiert. Ich habe viele Asylbescheide gelesen und das waren grauenhafte Interviews, voller Stereotypen, die auch in intime Details der Sexualität hineinreichten“, erinnert sich Ruderstaller, die heute bei der Organisation Helping Hands Rechtsberatung zum Thema Fremdenrecht anbietet. Von Schulungen für Betreuer_innen, Dolmetscher_innen oder Richter_innen war damals noch keine Rede. Die Probleme, mit denen LGBTI-Flüchtlinge sowohl in ihrem Herkunftsland als auch in Österreich konfrontiert waren, konnten daher nur selten miteinbezogen werden.

BLUTFLUSSFRAGEN. Eine 2013 erlassene EU-Richtlinie sieht nun vor, dass Menschen, denen eine Haftstrafe aufgrund ihrer sexuellen Identität oder Orientierung droht, Anspruch auf Asyl haben. In Österreich wurde die EU-Richtlinie noch nicht im staatlichen Gesetz verankert. Hier werden LGBTI-Flüchtlinge zur Kategorie der „sozialen Gruppe“ gezählt. Asylgrund besteht also dann, wenn eine „Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe“ gegeben ist. Zu einer sozialen Gruppe zählen all jene Menschen, denen von der Gesellschaft in ihrem Heimatland ein gemeinsames Merkmal zugewiesen wird. Damit der Asylantrag positiv ausfällt, muss die Verfolgung jedoch eine gewisse „Erheblichkeitsschwelle“ überschreiten. Was das konkret bedeutet, ist Interpretationssache.

Die Personen müssen den Behörden glaubwürdig machen, dass sie homo-, bi-, trans- oder intersexuell sind. Im Bezug auf die Glaubwürdigkeit treten laut Ewa Dziedzic, Gründerin des Vereins MiGay, jedoch Probleme auf: „Wenn Menschen auf Grund einer Bedrohung flüchten, fällt ihnen in Europa nicht als erstes ein, über ihre Diskriminierungskategorie zu sprechen. Sie können auch zum Teil gar nicht wissen, wie hier mit diesem Thema umgegangen wird.“ Und doch: Über den Fluchtgrund mit geschultem und sensiblem Personal zu sprechen, ist ein weniger gewaltvolles und diskriminierendes Instrument als sogenannte „sexualpsychologische Gutachten.“ Zu diesen gehören die Forderung nach visuellen Beweisen intimer Handlungen oder wie bis vor kurzem in Tschechien noch üblich, phallometrische Messungen ebenso dazu wie indiskrete Fragen über das sexuelle Leben der Flüchtlinge. Gefragt wird zum Beispiel nach Sexstellungen bei gleichgeschlechtlichem Sex, der sexuellen Aktivität und der Anzahl der Partner_innen. Dass all diese „Gutachten“ nicht nur wissenschaftlich fragwürdig sind, sondern vor allem die Menschenwürde verletzen, stellte Anfang Dezember 2014 auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) fest.

SENSIBILITÄT. Trotz der Gewalterfahrungen, die Flüchtlinge aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe gemacht haben, muss wohl über diese Zugehörigkeit gesprochen werden. Denn es gibt kaum andere Instrumente, Fluchtgründe und ihre „Rechtfertigung“ zu ermitteln, als die eines sensiblen Nachfragens. Vereinzelt findet in Österreich noch ein anderes Instrument bereits Anwendung, so Ewa Dziedzic: „Was wir in Österreich auf NGO-Ebene machen, ist den Beweis dadurch zu erbringen, dass wir  den Behörden klarmachen, dass die betroffene Person in der LGBTI-Community aktiv ist. Insofern haben wir hier ein verstärkendes Instrument aus der Zivilgesellschaft.“

Auch wenn die Dolmetscher_innen, Berater_innen und Richter_innen schon etwas sensibler mit dem Thema umgehen als früher, gibt es immer wieder homo- und transphobe Situationen. So erzählt Ruderstaller von einem Gespräch zu einem Asylantrag: „Einmal hat sich ein Klient von einem Dolmetscher verletzt gefühlt. Auch die Vertrauensperson, die dabei war, empfand die Atmosphäre in dem Gespräch als homophob.“ Aufholbedarf sieht Ruderstaller auch bei der Judikatur. LGBTI-Flüchtlinge, die in ihren Herkunftsländern zwar nicht mit harten Strafen rechnen müssen, denen es aber unmöglich gemacht wird, ihr Privat- bzw. Familienleben öffentlich auszuüben, haben auch heute noch eher schlechte Chancen auf einen positiven Asylbescheid: „Da sollten die Asylbehörden sensibler werden“, wünscht sich Ruderstaller: „Man sollte das Privatleben überhaupt nicht verbergen müssen, weil man sonst in der Persönlichkeit stark eingeschränkt wird. Das sollten die Asylbehörden gerade bei Ländern, in denen etwa Homosexualität ein Tabu ist, auch einsehen und Asyl gewähren.“

 

Valentine Auer ist freiberufliche Journalistin und studiert Theater-, Film- und Medientheorie an der Universität Wien.