Krise

Vom Hochschulabschluss in die Krise

  • 12.03.2016, 15:12
Mit Mitte Zwanzig ziehen junge Menschen eine erste Lebensbilanz und fragen sich: Ist das Leben, das ich führe, das Leben, das ich führen will? Das endet oftmals in einer handfesten Krise.

Mit Mitte Zwanzig ziehen junge Menschen eine erste Lebensbilanz und fragen sich: Ist das Leben, das ich führe, das Leben, das ich führen will? Das endet oftmals in einer handfesten Krise.

Wer den Hochschulabschluss in der Tasche hat, hat auch das Rüstzeug, um in eine verheißungsvolle Zukunft zu starten. So sollte es zumindest sein. Was für die einen nämlich nach Aufbruch, Chancen und Freiheit klingt, ist für andere wiederum mit Angst, Unsicherheiten und Verzweiflung verbunden. Und darum verwundert es nicht weiter, wenn junge Menschen in dieser Lebensphase – nämlich beim Übergang vom Ausbildungs- zum Berufsleben – in eine Krise schlittern. Die Rede ist hier von der sogenannten „Quarterlife Crisis“.

#QUARTERLIFECRISIS. Ein Blick auf Twitter bestätigt: Die Quarterlife Crisis beschäftigt junge Menschen. Tweets wie „Ich hatte zwar keinen genauen Plan, wie mein Leben mit 24 aussehen sollte, aber so wie es jetzt aussieht… #quarterlifecrisis“, „Gespräche mit gleichaltrigen Berufstätigen zeigen mir auf: Ich würde auch nicht tauschen wollen. #quarterlifecrisis“ oder „Der Hashtag #quarterlifecrisis beschreibt mein Denken und meine Situation gerade sehr gut.“ lassen eine düstere Stimmungslage vermuten und sind nur ein Auszug der unzähligen Tweets zum Thema. Drei junge Menschen, die sich ebenfalls mit dem Hashtag #quarterlifecrisis zu Wort gemeldet haben, haben sich dazu bereit erklärt, über das Thema „Quarterlife Crisis“ zu sprechen: Thu Trang Eva (22) studiert „Zeitbasierte und Interaktive Medien“ an der Kunstuniversität Linz, Pia (28) hat kürzlich am Institut für Publizistik der Universität Mainz ihr Studium abgeschlossen und Roland (28) arbeitet als Assistenzarzt in der Notfallmedizin in Marburg.

Woran die drei erkannt haben, dass sie in einer Quarterlife Crisis stecken? „Ich habe vor allem gemerkt, dass mich das typische Generation Y-Gefühl, nämlich etwas ganz Besonderes aus meinem Leben machen zu müssen, plötzlich überfordert hat. Zudem hatte ich ständig Zweifel, welchen Weg ich denn nun einschlagen soll“, erzählt Pia. Mit dem Gefühl, den falschen Weg eingeschlagen zu haben, kämpft Roland: „Meine Berufsentscheidung zweifel‘ ich stark an. Ich habe einfach das Gefühl, dass ist nicht das Richtige.“ Obwohl Thu Trang Eva genau weiß, dass sie das Richtige macht, machten sich insbesondere in den ersten zwei Semestern ihres Studiums Zweifel breit: „Ich hatte damals den Eindruck, dass meine StudienkollegInnen viel besser, erfolgreicher und kreativer sind als ich.“ Den Eindruck, dass FreudInnen und KollegInnen ein besseres und erfolgreicheres Leben führen, als man selbst es tut, gewinnen junge Menschen auch über Social Media. „Die Geschichte mit Facebook und der plötzlichen Vermutung, im Vergleich schlechter abzuschneiden als andere, kenne ich sehr gut. Zum Glück wurde mir schnell klar, dass das Meiste auf Facebook reine Selbstdarstellung und nur eine Seite der Medaille ist.“

IST-ZUSTAND VS. IDEAL-ZUSTAND. Mit Mitte Zwanzig, also am Ende ihres ersten Lebensviertels, überkommt viele junge Menschen das Bedürfnis, eine erste Lebensbilanz zu ziehen, ob das Leben auch den eigenen Erwartungen und Vorstellungen entspricht. In dieser Phase stellen sie oftmals ihre Lebensentwürfe in Frage oder gleichen den Ist-Zustand mit dem vor Jahren anvisierten Ideal-Zustand ab. Dabei sind es Fragen wie „Bin ich mit meinen Beziehungen, meinen Interessen und meinem Job zufrieden?“, „Was mache ich mit meinem Leben?“ und „Wo sehe ich mich in der Zukunft?“, die jungen Menschen schlaflose Nächte bereiten. Während der Lebensweg der Eltern und Großeltern oftmals eingeschränkt und vorgezeichnet war, ist die Generation Y - also jene Menschen die zwischen 1980 und 1999 geboren sind - die erste Generation, die im Bewusstsein aufgewachsen ist, dass sie ihr Leben nach ihren eigenen Bedürfnissen und Wünschen gestalten können. Es ist die Freiheit, die zur Last wird und der Optionenüberschuss, der Entscheidungen erschwert. Die Freiheit wird vom permanenten Gefühl begleitet, dass man nicht alle Möglichkeiten, die einem offenstehen, gut genug nützen kann. Damit einhergehend entsteht auch oft der Eindruck, dass andere mehr aus ihren Möglichkeiten machen, als man selbst. Gleichzeitig machen anstehende Entscheidungen das Leben schwer, denn wer sich für etwas entscheidet, entscheidet sich gleichzeitig auch immer gegen etwas. Hier bekommt die Redensart „Wer die Wahl hat, hat die Qual“ einmal mehr ihre vollständige Berechtigung. Was sich auf den ersten Blick nach einem Luxusproblem anhört, kann tatsächlich in einer handfesten Krise enden.

Populär wurde der Begriff „Quarterlife Crisis“ um die Jahrtausendwende, als die beiden amerikanischen Autorinnen Abby Wilner und Alexandra Robbins das Buch „Quarterlife Crisis: Die Sinnkrise der Mittzwanziger“ verfassten. Dazu interviewten die beiden rund 200 MittzwanzigerInnen, werteten die Ergebnisse ihrer Befragungen aus und fassten sie in ihrem Buch zusammen. In diesem beschreiben sie die Quarterlife Crisis als einen Übergang von der „akademischen Welt“ in die „echte Welt“, an dem junge Menschen unaufhörlich ihre eigenen Entscheidungen und ihre Zukunft hinterfragen.

ORIENTIERUNGSLOSIGKEIT. Anlässlich ihrer Master-Thesis an der Wirtschaftsuniversität Wien hat Rafaela Artner sich intensiv mit dem Thema „Quarterlife Crisis“ beschäftigt und anhand einer Online-Umfrage die Verbreitung dieser Krise erhoben. Insgesamt haben 2.640 AkademikerInnen zwischen 20 und 30 Jahren des deutschsprachigen Raumes an der Ende 2014 durchgeführten Online-Umfrage teilgenommen. Durch die Auswertung ist Rafaela Artner zu dem Ergebnis gekommen, dass knapp ein Viertel (23,4 Prozent) der Befragten mit hoher Wahrscheinlichkeit an der Quarterlife Crisis leidet. Zwei interessante Fakten dazu: Laut den Ergebnissen sind Frauen, sozial Schwächere und Personen, die noch zu Hause wohnen, stärker betroffen als andere. Ein nennenswerter Zusammenhang zwischen dem Alter und dem akademischen Erfolg haben sich jedoch nicht nachweisen lassen - das heißt wohl, dass hochmotivierte KarrieristInnen von derselben Krise geplagt werden können wie LangzeitstudentInnen ohne große Karriereambitionen. Thomas Schneidhofer, mittlerweile Professor für Personal und Management an der Privatuniversität Schloss Seeburg, war Rafaela Artners Masterarbeitsbetreuer und weist darauf hin, dass in der Online-Umfrage lediglich die Selbsteinschätzung abgefragt wurde und es sich keineswegs um eine diagnostische Aussage handelt, dass rund ein Viertel der Befragten an einer Quarterlife Crisis leidet. „Wir können nicht sagen, dass wir definitiv wissen, dass die Befragten an einer Quarterlife Crisis leiden. Wir können nur sagen, dass ein sehr hoher Anteil der Befragten, nämlich insgesamt rund ein Viertel, angibt, unter der Quarterlife Crisis zu leiden“, so Schneidhofer.

Zusammengefasst sind es drei Symptome, die auf eine Quarterlife Crisis schließen lassen, erklärt Thomas Schneidhofer: „Das sind die Orientierungslosigkeit hinsichtlich der momentanen Lebenssituation und zukünftigen Lebensplanung, die Orientierungslosigkeit hinsichtlich der beruflichen Ziele und Berufswahl und die Orientierungslosigkeit hinsichtlich der Familiengründung und Karriereplanung.“ Diese drei Symptome lassen junge Menschen mit Mitte Zwanzig dann häufig in eine Krise schlittern. „Es geht um ein Gefühl der Perspektivenlosigkeit unter der gleichzeitigen Erfahrung, eigentlich schon recht viel gemacht und erreicht zu haben, aber nicht so ganz genau zu wissen, wie es weitergeht“, erklärt Schneidhofer.

KRISE ALS CHANCE. Warum die Quarterlife Crisis ein Phänomen der Generation Y ist, liegt laut Rafela Artner sowohl an der Überforderung mit der Vielzahl an Möglichkeiten, als auch am gestiegenen Konkurrenz- und Leistungsdruck. Die Erwartungshaltung der Generation Y sei wesentlich höher als die vorangegangener Generationen. Sie suche viel stärker nach dem Sinn des Lebens. Dazu kommt, dass sich junge Menschen heute viel stärker mit anderen vergleichen und dies heute im Vergleich zu früher auch sehr viel einfacher möglich ist. Die Vergleichsobjekte sind zum einen Menschen, die einem selbst aufgrund ihres bisherigen Werdegangs sehr ähnlich sind und andererseits auch Menschen, die aus anderen Gründen eine Vorbildfunktion ausüben. Social Media ermöglicht es, rasch und unkompliziert Einblick in das Leben dieser Menschen zu bekommen. Das kann dazu führen, dass man den Eindruck bekommt, dass alle anderen den besseren Job, die tollere Partnerschaft und grundsätzlich das erstrebenswertere Leben haben. „Durch diesen Vergleich kann natürlich der Eindruck entstehen, dass wir immer schlechter abschneiden, als die anderen. Und dabei haben wir gar nicht so wirklich im Kopf, dass das, was die über sich preisgeben, auch nur die positiven Dinge im Leben sind“, erklärt Schneidhofer.

Wissenschaftlich abgesicherte Methoden, um wieder aus einer Quarterlife Crisis herauszufinden, gibt es bisher noch keine. „Es lässt sich aber vermuten, dass es mit dem Eintritt ins Berufsleben und mit der Absicherung der beruflichen Perspektiven zu einer Besserung kommen müsste“, schließt Schneidhofer. Ein Patentrezept, um wieder aus der Krise herauszufinden, haben auch Thu Trang Eva, Pia und Roland nicht. Während Roland dabei ist, sich alternative Berufsmöglichkeiten zu erarbeiten, versucht Thu Trang Eva, sich nicht immer selbst so unter Druck zu setzen und einfach einmal zu schauen, wohin der Weg sie führt. Und Pia hat es sich zum Ziel gesetzt, sich mehr auf sich selbst und weniger auf die anderen zu fokussieren. Und bis es soweit ist, zahlt es sich in jedem Fall aus, die Chancen, die sich aus dieser Krise ergeben, zu ergreifen. Zum Beispiel die Chance, dass eine Bestandsaufnahme des bisherigen Lebens nicht nur sinnvoll, sondern auch reinigend sein kann. Und eine solche Bestandsaufnahme macht man meist eben nur dann, wenn es nicht so rund läuft.

Sandra Schieder studiert Globalgeschichte und Global Studies an der Universität Wien.

TTIP, CETA, ISDS: Entdemokratisierung in der Krise

  • 05.12.2015, 18:54

Das ISDS-Abkommen, das sowohl in TTIP wie in CETA enthalten ist, entdemokratisiert die undemokratischen Strukturen der Europäischen Union weiter.

Das ISDS-Abkommen, das sowohl in TTIP wie in CETA enthalten ist, entdemokratisiert die undemokratischen Strukturen der Europäischen Union weiter. Hanna Lichtenberger zeigt, warum sich Interessen von Kapitalfraktionen künftig noch leichter durchsetzen können.

Gegen das Freihandelsabkommen TTIP gibt es viel Widerstand, lange bevor es noch unterzeichnet ist. Denn das Abkommen greift nicht nur in den, durch das Chlorhuhn viel diskutierten Bereich der Lebensmittelsicherheit ein, sondern betrifft ein weites Feld von Gesundheits-, Verbraucher_innen-, Umwelt-, Daten- und Arbeitnehmer_innenrechten, Bereiche der Daseinsvorsorge und auch Fragen demokratischer Legitimation politischer Entscheidungsfindung. Letzteres bezieht sich sowohl auf den Modus der Verhandlungen wie auch die Inhalte des Abkommens in Bezug auf den sog. „Investitionenschutz“ (quasi dem I in TTIP).

Die Verhandlungen um TTIP werden praktisch im Geheimen geführt, lange war das Verhandlungsmandat der EU nicht öffentlich zugänglich. Erst im Rahmen einer Charmeoffensive der Kommission, die gesellschaftlichen Konsens für TTIP organisieren soll, veröffentlichte sie das bereits geleakte Dokument.

Neben der Frage, wer Einblick in den Verhandlungsprozess des TTIP-Abkommens bekommt und wessen Interessen gehört werden, gibt es einen zweiten Bereich, der aus demokratietheoretischer Perspektive zu untersuchen ist. Dabei geht es um die Rechte, die InvestorInnen im Rahmen von TTIP eingeräumt werden sollen.

Neben der Öffnung des Zuganges zu bisher geschützten Sektoren soll ein internationales Verfahren zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen InvestorInnen und Staaten festgelegt werden, auch ISDS (Investor-state dispute settlement) genannt. Konkret würde dies bedeuten, dass InvestorInnen in den USA und in der EU ein Klagerecht gegen zukünftige politisch-gesetzliche Regulierungen zugesprochen werden würde. Es ermöglicht InvestorInnen Staaten zu klagen, wodurch Staaten zu immensen Schadensersatzforderungen verpflichtet werden könnten.

ENTDEMOKRATISIERUNG. ISDS ist aber keine Erfindung des TTIP-Verhandlungsprozesses, sondern ist bereits heute in über 3.000 bilateralen und regionalen Verträgen Realität. Eingeführt wurde es ursprünglich, um Investitionen in Staaten mit funktionsunfähigen Rechtssystemen zu erleichtern und die dortigen (nicht)demokratischen Entscheidungswege umgehen zu können. Seit den 1990er Jahren ist es aber eine verbreitete Klausel in internationalen Verträgen, jedoch stieg die Zahl der angestrengten Verfahren im Rahmen des ISDS in den letzten Jahren signifikant. Die Konsequenzen an einem prominenten Beispiel verdeutlicht: Der Energie-Konzern Lone Pine Resources klagte, entsprechend der ISDS-Klausel im NAFTA-Vertrag, die Provinz Québec 2012 auf 250 Millionen CND-Dollar Schadensersatz, weil das dortige Parlament ein Moratorium auf die Förderung von Schiefergas („Fracking“) erließ und somit die getätigten Investitionen des Unternehmens nicht mehr rentabel waren. Andere Beispiele sind etwa Klagen eines Tabakunternehmens gegen Warnhinweise auf Zigarettenpackungen in Australien und Uruguay. Das Ensemble von EU-Apparaten, das mit der Verhandlung und Ausarbeitung von TTIP beauftragt ist, steht nicht unter direkter Kontrolle einer gewählten Institution. Ein Problem, das sich durch die Struktur der Europäischen Union zieht. Die Debatte rund um das Abkommen macht damit tieferliegende strukturelle Probleme der europäischen Integration deutlich und unterstreicht den wettbewerbsorientierten, neoliberalen Charakter der EU als politisches Projekt. Oliver Prausmüller von der Arbeiterkammer Wien weist in diesem Zusammenhang auf die „bemerkenswerte Kontinuität einer konstitutionalistischen Agenda, die den Handlungsradius öffentlicher Politiken marktkonform limitiert und auf eine Disziplinierung demokratisch legitimierter Regulierungen zugunsten von offensiven Unternehmens- und Investoreninteressen zielt“ hin. Die konstitutionalistischen Entwicklungen lassen sich bereits seit den 1970er Jahren feststellen, jedoch kann im Zuge der Krisenbearbeitung von einem autoritären Krisenkonstitutionalismus gesprochen werden, der auf einen weiteren Schub von Verrechtlichung von Herrschaft hinausläuft. Der ISDSMechanismus zieht bestimmte Regulierungszuständigkeiten aus dem Bereich bürgerlich-parlamentarischer Kontrolle und begünstigt die Durchsetzung lobbyingstarker Interessen, insbesondere Kapitalinteressen.

Die Erfahrungen rund um das NAFTA-Abkommen zeigen, dass viele Politiken etwa im Bereich des Umweltschutzes unter dem Vorzeichen von teuren Klagen seitens Unternehmen nicht durchgesetzt werden. Die Politikwissenschaft bezeichnet dies als sogenannten Chilleffect. Darüber hinaus könnte der ISDS-Mechanismus mit der Durchsetzung in TTIP und CETA einen Legitimationsschub erfahren und so zum Vorbild für zahlreiche weitere Handelsabkommen weltweit werden. Die USA und die EU könnten so ihre Interessen, die in der stockenden Doha-Runde der WTO nicht durchzusetzen sind, anders zum weltweiten Standard machen.

CETA GEHT UNTER. Während TTIP stark unter medialer Kritik steht, scheint die Blaupause CETA, das Abkommen zwischen Kanada und der EU, weniger sichtbar zu sein. Doch auch das bereits fertig verhandelte, aber noch nicht unterzeichnete CETAAbkommen inkludiert den ISDS-Mechanismus. Sollte CETA tatsächlich mit dem InvestorInnenklagerecht unterzeichnet werden, ist es nur mehr eine Frage der Postadresse, dass EU-InvestorInnen die USA klagen können und umgekehrt. Umso wichtiger ist die Einschätzung des kritischen Europarechtsexperten Andreas Fischer-Lescano, der davon ausgeht, dass der Europäische Gerichtshof den ISDS-Mechanismus in TTIP und CETA scheitern ließe, sofern sich der Verhandlungstext nicht grundsätzlich ändern würde.

Hanna Lichtenberger dissertiert am Institut für Politikwissenschaft und ist Redakteurin des Blogprojektes mosaik – Politik neu zusammensetzen.

Iberien igelt sich ein

  • 02.01.2013, 17:27

Im von Massenarbeitslosigkeit geplagten Spanien verfestigt sich die Meinung, dass Migration ein verzichtbares Übel sei, warnt die Internationale Organisation für Migration (IOM).

Im von Massenarbeitslosigkeit geplagten Spanien verfestigt sich die Meinung, dass Migration ein verzichtbares Übel sei, warnt die Internationale Organisation für Migration (IOM).

Die nicht enden wollende Wirtschaftskrise lässt die Ablehnung von MigrantInnen in Spanien deutlich steigen. Immer mehr SpanierInnen sind der Meinung, sie sollten das Land verlassen. „Das Klima gegenüber jenem Bevölkerungsteil hat sich besorgniserregend verschlechtert“, zu diesem Schluss kommt auch die Internationale Organisation für Migration (IOM) in ihrem jüngsten Länderbericht „Die Auswirkung der Krise auf Immigranten in Spanien“. 37 Prozent lehnen mittlerweile Einwanderung generell ab. Demgegenüber stehen 33 Prozent der SpanierInnen, die sich tolerant zeigen. Ein Drittel der Befragten gab sich gleichgültig in dieser Thematik, wenngleich die IOM diesen Bevölkerungsteil als „eher ablehnend“ einstuft. Vier von fünf SpanierInnen sind zudem überzeugt, dass Migration zu Lohndumping führt. Die Mehrheit der MigrantInnen verdient in Spanien weniger als den Mindestlohn. Wie der IOM-Bericht überdies darlegt, steigen Arbeitslosigkeit und extreme Armut unter EinwandererInnen (10,8 Prozent) weit rascher als unter SpanierInnen (6,7 Prozent).

Gefährliches Klima. „Der Nährboden istgesättigt. Wenn wir nicht gegensteuern, wird dies zu einer Situation der Fragmentierung der Gesellschaft und der Exklusion der Immigranten führen“, warnt Walter Actis, Co-Studienautor. Zwischen 1996 und 2010 stieg, angetrieben vom Bauboom und einer blühenden Tourismuswirtschaft, die Zahl der gemeldeten MigrantInnen in Spanien von knapp 500.000 auf mehr als 5,5 Millionen – inklusive der EU-BürgerInnen und Eingebürgerten. „Die Krise hat zwar den Migrationsdruck gebremst. Die Bedingungen, unter denen MigrantInnen leben, sind aber besorgniserregend“, so Actis.

2007 waren lediglich zwölf Prozent der SpanierInnen der Meinung, Menschen mit irregulärem Aufenthaltsstatus sollten abgeschoben werden. Mit 2010 stieg der Wert bereits auf ein Fünftel. 43 Prozent fordern die Ausweisung von ImmigrantInnen, die lange Zeit ohne Erwerb verbleiben. Die Arbeitslosigkeit unter MigrantInnen war zwischen 2008 und 2011 doppelt so hoch wie jene unter SpanierInnen, die zuletzt 25 Prozent überschritten hat. Sowohl die amtierende Rechtsregierung unter Premier Mariano Rajoy als auch dessen sozialistischer Vorgänger, José Luis Rodríguez Zapatero, haben MigrantInnen über weiterlaufende Arbeitslosenbezüge zur Rückkehr in ihre Herkunftsländer bewegt. Zugleich forcierte Spanien Abschiebungen. 2011 waren mehr als 13.000 MigrantInnen in den Auffanglagern C.I.E (in den Nordafrika-Exklaven CETI genannt) interniert. 60 Tage dürfen sie bleiben, und offiziellen Zahlen zu Folge wurden 48 Prozent in ihre Ursprungsländer abgeschoben. Laut Zahlen von NGOs hingegen waren es mehr als 11.000 Menschen, die im Vorjahr in ihre Heimatstaaten zurückgeschickt wurden. Mit Ende 2012 soll die 24.000-Personen-Schwelle überschritten werden.

Vor 20 Jahren, am 13. November 1992 erschütterte der rassistische Mord an der aus der Dominikanischen Republik stammenden Lucrecia Pérez das Land. Es war der erste dieser Art im demokratischen Spanien nach der Franco-Diktatur, die 1977 ihr Ende gefunden hatte. Eine Gruppe junger Neo-Faschisten hatte Pérez mit der Dienstwaffe eines Zivilgardebeamten, der an der Bluttat beteiligt war, erschossen. „Damals erkannte man ebenso wenig wie heute, dass es eine gefährliche Strömung gewaltbereiter Rassisten in Spanien gibt“, sagt Macel Camacho, Sprecher der Plattform gegen Xenophobie und Rassismus: „Es gilt, die Erinnerung an Lucrecia wachzuhalten, um einem aktuellen Widererstarken dieses Übels entgegenzuwirken.“

In den letzten zwei Dekaden hat Zuwanderung nach Spanien ein spektakuläres Wachstum erfahren, sagt Tomás Calvo Buezas, emeritierter Universitätsprofessor für Sozialanthropologie an der Madrider Universidad Complutense und Gründer des  Studienzentrums für Migration und Rassismus an der hiesigen politikwissenschaftlichen Fakultät. Dem Anstieg von einem auf zwölf Prozentpunkte gemessen an der spanischen Gesamtbevölkerung, exklusive der „Sin Papeles“ ohne legalen Aufenthaltsstatus, steht ein knapp fünfprozentiger Zuwachs an rassistischen Gewalttaten gegenüber. Bislang funktionierten, so Calvo Buezas, die Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung, die nun jedoch deutliche Bugdetkürzungen erfahren haben. Doch damit nicht genug, wie Calvo Buezas betont: „Die Krise schafft rascher ein immer gefährlicheres Klima. Denn die Neonazi-Fraktionen oder NeofaschistInnen, wie die Goldene Morgenröte in Griechenland, nähren sich an der Mittel- und Unterschicht, indem sie diesen einen Konkurrenzkampf um Jobs und Gehälter mit MigrantInnen vorgaukeln.“

Online-Bastionen. Auch im Internet wachsen spanische Neonazi-Communities. Gab es 1992 lediglich 200 einschlägige Websites, gibt es aktuell mehr als 2000. Gleichzeitig steigt die Zahl an Lokalen, Bars und Konzerten von Neonazi-Bands landesweit. „Die Krise ist der ideale Nährboden, auf dem Neonazi- Bewegungen wachsen und gedeihen“, warnt der Sozialanthropologe weiter. Nicht minder steigt die Zahl der rechtsextremen Parteien in Spanien abseits der üblichen, wie der einstigen Einheitspartei Francisco Francos, der Falange de las J.O.N.S., und ihrer unzähligen ideologischen Klone. In den vergangenen Jahren schafften deklariert xenophobe neue Fraktionen wie España 2000 in Alcalá de Henares – einer der Wiegen der spanischen Sprache – und anderen Orten der Region Valencia, Plataforma per Catalunya im katalanischen Vic oder Democracia Nacional auch den Einzug in Stadt- und Gemeinderäte, nicht jedoch in Regionalregierungen.

In den Einsparungen im Sozialwesen, dem Aus der Gesundheitsversorgung (progress berichtete) für Menschen ohne legalen  Aufenthaltsstatus, dem von Amnesty International mehrmals angeprangerten Kontrollwahn der spanischen Polizei gegenüber MigrantInnen und Massenabschiebungen sieht Calvo  Buezas „institutionellen Rassismus“.

Übergriffe auf Chinesinnen. Der steigende Rassismus gilt längst nicht mehr ausschließlich LateinamerikanerInnen, MaghrebbürgerInnen oder Menschen aus dem Subsahara-Afrika. Seit der Polizeiaktion Operación Emperador gegen die chinesischeMafia Mitte Oktober, die in Spanien bis zu 1,2 Milliarden Euro jährlich „gewaschen“ habe, sehen sich nun auch chinesische StaatsbürgerInnen in Spanien Übergriffen ausgesetzt. Anfang November streikte das Gros der von chinesischen ImmigrantInnen betriebenen Geschäfte. „SchülerInnen werden von KollegInnen und Eltern als Mafiosi beschimpft. GeschäftsinhaberInnen ergeht es gleich. ChinesInnen wurden sogar in der Metro Madrids verfolgt“, beklagt Jorge García, Sprecher der Spanisch-Chinesischen Handelskammer. Ende November wurden einige der Hauptangeklagten bereits wieder auf freien Fuß gesetzt. Die Ressentiments bleiben aber weiterhin bestehen.

Der Autor Jan Marot ist freier Journalist für Iberien und den Maghreb und lebt in Granada, Spanien.

Geld oder Leben

  • 13.11.2012, 19:02

Mit der jüngsten Reform des spanischen Gesundheitswesens verloren mehr als 150.000 MigrantInnen ohne regulären Aufenthaltsstatus ihr Anrecht auf Versorgung. Einzelne Regionen und tausende ÄrztInnen rebellieren. Sie wollen weiter kostenlose Behandlungen gewähren.

Mit der jüngsten Reform des spanischen Gesundheitswesens verloren mehr als 150.000 MigrantInnen ohne regulären Aufenthaltsstatus ihr Anrecht auf Versorgung. Einzelne Regionen und tausende ÄrztInnen rebellieren. Sie wollen weiter kostenlose Behandlungen gewähren.

Mit erstem September diesen Jahres verloren abertausende „Sin Papeles“ (zu deutsch „Ohne Papiere“) in Spanien ihr Anrecht auf Gesundheitsversorgung. Die Rechtsregierung unter Premier Mariano Rajoy stoppte per Gesetz (Real Decreto 16/2012) die Jahrzehnte lang gültige „universelle“ Gesundheitsversorgung, die auch für MigrantInnen mit irregulärem Aufenthaltsstatus galt. Zig E-Cards waren von einem Tag auf den anderen ungültig.

Je nachdem, in welcher Region Spaniens die Betroffenen leben, sind nun unterschiedlichste Regelungen in Kraft. Sowohl die Verwirrung und der Widerstand unter ÄrztInnen und PflegerInnen als auch die Ängste der MigrantInnen sind folglich immens. Dabei wollte die konservative Gesundheitsministerin aus den Reihen des Partido Popular (PP), Ana Mato, in erster Linie dem „Gesundheitstourismus“, der laut spanischem Rechnungshof 2009 bereits ein Budgetloch von knapp 900 Millionen Euro riss, ein Ende setzen. Spanien dürfe nicht länger „das Paradies der illegalen Einwanderung“ sein, wie sie meint. Einzig für Minderjährige, bei Notfällen oder auch Schwangerschaften sollen ÄrztInnen weiter Hilfe leisten, versicherte Mato in einem vergeblichen Versuch, die Wogen zu glätten.

Drohender Ruin. Wer nun im Krankheitsfall Dienstleistungen in Anspruch nehmen will, muss, sofern er oder sie unter 65 Jahre alt ist, einen Betrag von 710,40 Euro jährlich bezahlen. Wer älter ist, dem winken gar Kosten von 1864,80 Euro. Doch mit der neu etablierten „Versicherung“ ist lediglich die Grundversorgung gedeckt. Krankentransporte, Prothesen und Rollstühle etwa werden nicht gedeckt. Zudem sollen MigrantInnen auch 100 Prozent der Medikamentenkosten selber tragen. „Die Summen sind gerecht und zumutbar”, rechtfertigte der Gesundheitsrat der Region Kastilien-La Mancha, José Ignacio Echániz (PP) in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Mato die Reform. Wer sich nicht versichert, dem winkt aber der Ruin.

Denn nur ein einziger Tag auf der Intensivstation kostet in Kastilien-La Mancha 2824 Euro. Wer seine Beiträge nicht berappt, und Rechnungen nicht bezahlen kann, verliert zudem die Aufenthaltsbewilligung, sofern eine solche denn existiert. Die Caritas prüft zur Zeit noch, welche Folgen das Nichtbezahlen für MigrantInnen hat und warnt, dass jenen, die bislang zumindest gemeldet waren, in diesem Fall eine Art „ziviler Tod“ drohe, mit dem sie vollends aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden würden. „Schulden werden sich akkumulieren. Wer nicht bezahlt, dem droht die Sperre und Pfändung seines Bankkontos“, weiß Francisco Solans von der spanischen Anwaltskammer, wo er mit AusländerInnenrechten betraut ist. Einen Privatkonkurs gibt es in Spanien ohnehin nicht.

Doch wie die nötigen Beträge etwa von PflegerInnen und HaushaltshelferInnen, die in der Schattenwirtschaft arbeiten, von TaglöhnerInnen in dem „Plastikmeer“ aus Gewächshäusern rund um das südspanische Almeria, oder von den vielen StraßenhändlerInnen aufgebracht werden sollen, fragen sich FlüchtlingshelferInnen und Oppositionsparteien gleichermaßen. Immerhin sollen es zwischen 150.000 und 200.000 Menschen aus nicht EU-Staaten sein, die aus dem System gekippt wurden, wie offizielle Ministeriumszahlen belegen.

Widerstand. Doch nicht alle spanischen Regionen wollen dem Spardiktat der Madrider Zentralregierung Folge leisten. Abseits der PP-regierten Regionen Madrid, Valencia, Aragón, Balearen und Kastilien-León, wo ein jeder Arztbesuch fortan verrechnet wird, selbst wenn der oder die Kranke keine Mittel hat, um diesen zu bezahlen, rebellieren etwa das von einer Koalition aus SozialistInnen und Linken regierte Andalusien, sowie Katalonien und das Baskenland gegen Matos Pläne. Hier müssen MigrantInnen jedoch ihre lokale soziale Verwurzelung nachweisen, um einen Massenansturm aus anderen Regionen zu verhindern. Diese Regionen gewähren MigrantInnen weiterhin eine kostenlose Gesundheitsversorgung über eine im Leistungsumfang limitierte eigene Form der E-Card. Und auch das konservativ regierte Galicien bietet MigrantInnen ohne regulärem Status die selben Rechte in Sachen Gesundheit wie den SpanierInnen.

Das Geld zählt, nicht der Mensch. „Es ist ein Trugschluss, zu glauben, MigrantInnen ohne Aufenthaltsstatus seien GesundheitstouristInnen”, beklagt Sylvia Koniecki, die sich seit mehr als 25 Jahren bei Granada Acoge für MigrantInnen einsetzt: „Gesundheitstouristen(Innen?) sind meist EU-Bürger? oder Menschen, die aus reicheren Nationen nach Spanien kommen, um sich behandeln zu lassen.“ Mit der neuen Regelung zähle nicht mehr der Mensch, sondern nur mehr das, was er ökonomisch beisteuert, kritisiert Koniecki.

Auch viele ÄrztInnen steigen zudem auf die Barrikaden. „Retten wir Menschen, nicht Banken“, stand etwa auf einem Transparent bei einer Demonstration von MedizinerInnen in Madrid Ende August zum Protest gegen die „Apartheid im Gesundheitswesen“. Diesen Begriff brachte der Arzt Ricardo Angora, Mitglied von Medicos del Mundo (übersetzt, „Ärzte der Welt“) in die Debatte ein. Er pocht auf „das Recht der Ärzte zu behandeln und zu heilen“. „Es geht bei der Gesundheit nicht um ein Privileg, sondern um ein Menschenrecht“, ist er überzeugt. Álvaro González, Präsident ebenjener spanischen NGO, die das sofortige Außerkraftsetzen der betreffenden Gesetzgebung fordert, hofft, „dass die Mobilisierung der Bürger und der starke gesellschaftliche Widerstand gegen die Reform den eingeschlagenen Weg korrigieren wird“.

Und auch MigrantInnenvereine wollen mit Kundgebungen, über den Druck der Straße das Gesetz kippen, das Gilberto Torres, vom Dachverband der Flüchtlingshilfsorganisationen Spaniens als diskriminierend bezeichnet. Auf der Internetplattform yosisanidaduniversal.net werden zudem Fallbeispiele und Leidenswege dokumentiert. Zugleich gibt das Portal auch ÄrztInnen Rat, wie sie weiter – etwa in Berufung auf das Gewissen und den Berufsethos – behandeln können, ohne in einer rechtlichen Zwickmühle zu enden, oder gar den Job zu verlieren. Zudem werden freiwillige BegleiterInnen vermittelt, die mit MigrantInnen ohne regulärem Aufenthaltsstatus gemeinsam zum Arzttermin gehen.

Rationalität versus Solidarität. Mikel Mazkiarán von SOS Racismo kritisiert, dass „ein funktionierendes Modell zerstört worden ist, und nun die Improvisation regiert“. Auch Ärzte ohne Grenzen schlägt Alarm. Deren Sprecher konstatierte gegenüber El País: „Es herrscht große Verwirrung unter MedizinerInnen und unter MigrantInnen, die sich nun vor dem Arztbesuch fürchten, und auch im Krankheitsfall davon absehen, weil sie sich ausweisen müssen.“ Sie listen Fälle auf, wie jenen von M. (32) aus Bolivien, die schwarz als Putzfrau arbeitet. Sie leidet an Depressionen, seit ihr Sohn schwer erkrankt ist, aber kann sich ihre Behandlung nun nicht mehr leisten. P. aus Rumänien leidet an Lungentuberkulose und Diabetes und wird kein Insulin mehr erhalten, während die offene Infektionskrankheit nun auch zum Risiko für seine Mitmenschen werde. Ganz zu Schweigen von den vielen von AIDS- oder Krebskranken, deren Behandlung, wenn überhaupt, einzig unter hohen Kosten fortführbar ist. „Es kann nicht sein, dass man einzig wegen der nicht und nicht enden wollenden Wirtschaftskrise Menschen mir nichts dir nichts aus der Gesundheitsversorgung ausschließt“, kritisiert Hassan Q. (35) aus Marokko, der seit sechs Jahren in Granada lebt und sich mit Gelegenheitsjobs durchschlägt.

„Die Rationalität dominiert, nicht die Solidarität. Es gilt einzig zu sparen, und Epidemien vorzubeugen”, klagt Miguel Fonda, Präsident des Dachverbands der Rumänen in Spanien (FEDROM): „Viele Menschen werden nicht mehr behandelt. Das wird gefährliche Konsequenzen haben, nicht nur für die Betroffenen.“ Auch Joe Illoh, Präsident des Vereins der Nigerianer Spaniens wettert gegen das neue Gesetz: „Die extrem nachteilige Maßnahme der Regierung trifft unsere Gemeinschaft sehr stark. Verunsicherung und Angst regieren.“

http://yosisanidaduniversal.net

http://www.medicosdelmundo.org

www.apartheidsanitario.com

 

„Das neue Gesetz, dass MigrantInnen ohne legalen Aufenthaltsstatus aus dem öffentlichen Gesundheitssystem wirft, ist eine absolute Katastrophe. Zum Glück werden wir hier in Andalusien noch behandelt. Andernorts muss man fortan viel Geld zahlen, wenn man zum Arzt geht. Doch auf der Straße verdienen wir viel zu wenig. Menschen werden sterben. Und mehr noch, wer nicht behandelt wird, steckt viele andere an.“
Modou K. (35) aus dem Senegal schlägt sich seit mehr als sechs Jahren als Straßenhändler in Granada durch.

„Ich bin vor drei Monaten extra aus Alicante nach Granada gezogen, denn in der Region Valencia gibt es im Gegensatz zu Andalusien keine Gesundheitsversorgung für Menschen wie mich, die keine Papiere haben. Das kann doch nicht die Lösung sein. Die geforderten Beiträge kann sich niemand leisten. Es gibt keine Arbeit. Jeden Tag gehe ich in die Armenküche, um zumindest etwas Essen zu bekommen. Ich lebe in ständiger Angst, abgeschoben zu werden.“
Ismael S. (36) aus Mali lebt seit sieben Jahren in Spanien

„Zum Glück haben Ärzte und Pfleger ein viel größeres Herz als Politiker, die meist nur Populismus schüren und auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind. Die Gesundheitsversorgung ist ein Menschenrecht. Die Gesundheit eines jeden ist immens wertvoll, dennoch darf sie keinen Preis haben.“ 
Nordin S. (56) kam bereits vor 22 Jahren aus dem marokkanischen Casablanca nach Spanien und führt ein Geschäft in Granada, seit er seinen Aufenthaltsstatus legalisiert hat.