Kommentar

StudentInnenaufstand gestern und morgen

  • 13.07.2012, 18:18

Die seit Oktober andauernden Studierendenproteste dürfen nicht nur als Streit um verbesserte Lehre und einer Ausfinanzierung des hochschulischen Betriebs gesehen werden, sondern als eine Bewegung, die für die Verbesserung der Lebensbedingungen aller kämpft.

Die seit Oktober andauernden Studierendenproteste dürfen nicht nur als Streit um verbesserte Lehre und einer Ausfinanzierung des hochschulischen Betriebs gesehen werden, sondern als eine Bewegung, die für die Verbesserung der Lebensbedingungen aller kämpft. Zu dieser Verbesserung gehört Bildung, die eine Entwicklung zum emanzipierten Individuum fördert und zu einer gesellschaftlichen Transformation beiträgt.  In der Zeit der Besetzung der Hörsäle haben Studierende diese nicht veruntreut, sondern ihren eigenen Bedürfnissen dienstbar gemacht und in ihre Verantwortung genommen! Sie wehrten sich gegen ein System, das ihnen unmenschlich erscheint, und gegen die Entfremdung, die es mit sich bringt. Es kann dabei kein Unterschied gemacht werden zwischen den gesetzlichen Vertretungen und den protestierenden Studierenden – die Vertretung besteht aus Studierenden und die ÖH-Bundesvertretung identifiziert sich inhaltlich mit den Anliegen der protestierenden Studierenden, ist Teil davon, auch weiterhin.
Zu unrealistisch, zu unbedacht, zu wenige heißt es immer wieder. Das Wort utopisch wird zum Synonym für die Forderungskataloge der Studierenden. Herbert Marcuse, Vertreter der Frankfurter Schule, wusste zu gesellschaftlichen Vorstellungen, die als utopisch bezeichnet werden, in einem Interview 1976 folgendes zu sagen: „Der Begriff (Utopie) ist Propaganda von der Seite des Bestehenden. Es gibt nichts was nicht realisierbar ist, sofern die Menschen ihre Gesellschaft vernünftig einrichten.“ Wir fordern also das Utopische, ohne uns zu schämen, ohne eine Überprüfung der Verträglichkeit mit bestehenden Konformitäten.
Als Bundesvertretung würden wir uns freuen, gemeinsam mit euch die bestehende Diskussion und die Ideen der Bewegung weiterzuentwickeln und weiterzutragen. Gelegenheit dazu gibt es bei einem von uns organisierten Hochschulkongress vom 19. – 21. Februar (Anmeldungen unter  www.her2010.at) und beim Bologna-Gegengipfel zur Bologna Ministerial Anniversary Conference 2010 der europäischen HochschulministerInnen.

Keine rosigen Aussichten

  • 13.07.2012, 18:18

Die ÖH-Bundesvertretung hat den, unter dem Druck der Studierendenproteste eingerichteten, Hochschuldialog verlassen und damit die Konsequenzen aus der monatelangen Täuschungspolitik der Ministerin gezogen.

Die ÖH-Bundesvertretung hat den, unter dem Druck der Studierendenproteste eingerichteten, Hochschuldialog verlassen und damit die Konsequenzen aus der monatelangen Täuschungspolitik der Ministerin gezogen. Während sich die teilnehmenden Organisationen in den Arbeitsforen in vielen Punkten einig waren und gemeinsame Empfehlungen formulierten, ignoriert Karl regelmäßig diese Ergebnisse und tobt sich in der Öffentlichkeit mit haarsträubenden Vorschlägen zum Hochschulwesen aus. Zuletzt mit ihrem Vorstoß, die Studieneingangsphase auf den Universitäten als Selektionsphase umzugestalten. Wird dieser Vorschlag Wirklichkeit, hätte die ÖVP ihren Wunsch nach flächendeckenden Zugangsbeschränkungen letztlich doch noch durchgesetzt.

Generell zeigt Ministerin Karl kein Verständnis für die Probleme an den österreichischen Hochschulen und schließt mit ihrer Politik nahtlos an das Hahn´sche Kopf-in-den-Sand-stecken an. Das Bekenntnis, zwei Prozent des BIP für höhere Bildung ausgeben zu wollen, rückt mit der Ankündigung, die Universitätsbudgets bis 2015 einzufrieren und damit faktisch zu kürzen, in weite Ferne. Das Streichen des Zwei-Prozent-Ziels aus dem Strategiebericht der Bundesregierung zum Bundesfinanzrahmengesetz zeigt dabei einmal mehr, dass Karl als Erfüllungsgehilfin ihres Parteichefs Finanzminister Josef Pröll unsere Hochschulen mit vollem Tempo gegen die Wand fährt.

Beatrix Karl hat eindrucksvoll bewiesen, dass ihre Ankündigungen, eine dialogbereite Ministerin sein zu wollen, nur Schall und Rauch sind. Der Hochschuldialog ist tot, geht es so weiter, folgen die Hochschulen selbst. Wir hätten gerne bessere Nachrichten zum Semesterabschluss – mit den letzten Prüfungen im Genick sind das allesamt keine rosigen Aussichten. Aber wie heißt es so schön: Politik heißt, sich in die eigenen Angelegenheiten einzumischen. Und für die Rettung der Hochschulen werden wir wohl die nächsten Jahrzehnte mehr als genug Gelegenheit dazu haben.

 

Neues aus der Beziehungskiste

  • 13.07.2012, 18:18

Sibylle Hamann fordert, dass auch Männer über Gleichberechtigung nachdenken sollen.

Sibylle Hamann fordert, dass auch Männer über Gleichberechtigung nachdenken sollen.

Feminismus ist eine großartige Sache, hat Unterhaltungswert und vertreibt die Zeit. Auch Männer finden mittlerweile Gefallen daran – immer vorausgesetzt, er findet bloß im Fernsehen statt. Feminismus heute ist meistens eine Art Zuschauersport: Ein Moderator schickt Frauen mit unterschiedlichen Lebensentwürfen in den Ring, rotzige Girlies gegen angegraute Frauenrechtlerinnen, kühle Karrieristinnen gegen schwurbelige Esoterikerinnen, und dann freuen sich alle, wenn die Fetzen fliegen. Kinder oder keine? Vielfliegerlounge oder Vollwertkochkurs? Ach, was Frauen sich bloß alles an Problemen aufgehalst haben mit ihrer Gleichberechtigung! Wie herzig, ihnen bei der Bewältigung zuzuschauen! Aber wie gut, dass uns Männer das alles nichts angeht!
Die Gleichberechtigung der Geschlechter wird, immer noch und immer wieder, als „Frauenfrage“ definiert, mit einer Hartnäckigkeit, die ihresgleichen sucht. In der Politik ist die Frauenministerin dafür zuständig, im Betrieb die Frauenbeauftragte, im Beziehungsalltag der weibliche Beziehungsteil. Warum eigentlich?
Wahrscheinlich ist genau das der Hauptgrund, warum wir in der Geschlechterdebatte schon recht lange nicht mehr vom Fleck kommen.
Schauen wir uns die Gleichberechtigung einmal aus einer größeren historischen Perspektive an. Nüchtern betrachtet haben Frauen ihren Teil des Deals erfüllt. Ihr Auftrag lautete: Lernt etwas, stellt euch beruflich auf eigene Beine, macht euch ökonomisch unabhängig und erobert die Hälfte der Arbeitswelt. Das haben sie getan. Mädchen haben heute die besseren Noten in der Schule. Frauen machen die Mehrzahl der Universitätsabschlüsse. Sie haben gelernt, Flugzeuge und Anwaltskanzleien zu lenken, Raketen und Frühstücksflocken zu designen. Sie haben gezeigt, dass man Kanzlerin werden kann und Soldatin in Afghanistan. Sie machen ihre Sache eigentlich ganz gut.
Seltsam ist bloß: Die versprochene Gegenleistung will sich nicht recht einstellen. Frauen tun, was Männer immer schon getan haben, nur eben zusätzlich. Denn dabei, ihre traditionellen Aufgaben abzutreten, kommen sie nicht recht vom Fleck. Die Verantwortung fürs Kümmern und Pflegen, Trösten und Organisieren klebt an ihnen, als sei sie angewachsen. Man nennt sie jetzt „Alphamädchen“, doch sie räumen immer noch regelmäßig den Geschirrspüler aus und checken die Termine beim Kinderarzt. Sie wissen natürlich, dass man dabei cool lächeln sollte, um nicht als frustrierte, verhärmte Zicke dazustehen. Aber ein bisschen erschöpft, ein bisschen ausgetrickst fühlen sie sich doch.
Gleichzeitig sind auch die Männer unzufrieden. Sie spüren die weibliche Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, je jünger, desto heftiger, und haben immer weniger gute Argumente bei der Hand, um ihre letzten kleinen Exklusivreviere zu verteidigen. Ihre Erwerbsbiographien werden unsicherer, immer öfter zweifeln sie daran, ob sie tatsächlich noch genauso verlässlich als „Ernährer“ taugen wie ihre Väter und Großväter. Sie wissen nicht genau, was Frauen von ihnen erwarten, und sind sicherheitshalber misstrauisch. Immer öfter verweigern sie Beziehungen und laufen vor der Verantwortung für Kinder davon.

Das kann doch eigentlich nicht alles gewesen sein? Wahrscheinlich haben Frauen schon genug über Gleichberechtigung geredet. Wahrscheinlich sind jetzt einfach einmal die Männer dran. Es ist höchst an der Zeit, sich den Themen, die Frauen mittlerweile zum Hals heraushängen, einmal von der anderen, der männlichen Seite her zu nähern.
Da tun sich plötzlich gähnende Leerstellen auf. Wie lässt sich, zum Beispiel, eigentlich die Vaterrolle mit einer ernsthaften Karriere vereinbaren? Was tun, wenn die Dienstreise mit der Schulaufführung der Raupe Nimmersatt kollidiert, und was wird die Kollegin denken, wenn schon zum dritten Mal in diesem Jahr ein Pflegeurlaub notwendig wird? Welches Jobangebot lässt sich besser mit den Öffnungszeiten des Kindergartens verbinden? Und hätte ich über all das nicht schon bei der Wahl des Studiums oder des Lehrberufs nachdenken müssen?
Wer solche Fragen ernst nimmt, wird schnell draufkommen: Auch Männer können sich in Geschlechterklischees eingesperrt fühlen. Es ist nicht lustig, sich Wünsche, Bedürfnisse und Fähigkeiten abzuschneiden, bloß weil sie nicht in die Rolle passen. Und man wird auch draufkommen: Männer werden mit diesen Konflikten fast immer sehr allein gelassen. Von Politikern, von Vorgesetzten, von ihren Kollegen und Freunden – und, sehr oft, auch von ihren Kolleginnen, Freundinnen und Frauen.
Zeit wird’s also für eine Männerbewegung, die endlich drauf pocht, dass Männer in ihrer ganzen Vielfalt für voll genommen werden.
In vielen Bereichen der Gesellschaft fehlen sie nämlich bis heute, und ihr Fehlen tut weh. Sie fehlen in den Schulen und in den Sozialberufen, in der Pflege, in der Jugendarbeit. Sie hätten hier immens viel zu tun: Sie könnten Kindern zeigen, dass richtige Männer nicht nur zum Naseputzen, sondern auch zu komplexen Erziehungsaufgaben fähig sind. Sie könnten Buben auf die Idee bringen, sich fürs Trösten und Streitschlichten zuständig zu fühlen, statt automatisch Automechaniker werden zu wollen. Speziell für Buben aus traditionellen MigrantInnenfamilien könnten sie Identifikationsfiguren darstellen, die ein bisschen anders reden und handeln als die Väter daheim.
Es ist einige Jahrzehnte her, dass Frauen sich anschickten, die männlich beherrschte Arbeitswelt zu erobern. Sie waren dort nicht auf Anhieb willkommen. Man hat sich über sie lustig gemacht, sie mit Geringschätzung bestraft, oft stoßen sie bis heute auf eiskalte, berechnende Abwehr. Es war nicht immer einfach, trotzdem blieben sie dran.
Jetzt wären Männer an der Reihe, den zweiten Teil des Deals anzupacken – und den Frauen endlich die Familienkiste aus der Hand zu nehmen. Auch sie können nicht damit rechnen, überall auf Anhieb willkommen zu sein. Manchmal wird man sich über sie lustig machen, sie mit Geringschätzung strafen, mitunter werden sie auch auf eiskalte, berechnende Abwehr stoßen – denn loslassen fällt auch Frauen schwer.
Es wäre schön, wenn sie sich nicht so leicht entmutigen lassen. Wenn sie trotz allem dranbleiben. Sie könnten beweisen, was man ihnen – traditionell und klischeehaft gesprochen – so gerne nachsagt: Verwegenheit, Mut und Pioniergeist. Wir können ihnen versichern: Es ist nicht immer einfach, aber es zahlt sich aus.
Wovor fürchten sie sich eigentlich?

In welchem Universum lebt eigentlich Frau Knackal?

  • 13.07.2012, 18:18

„So falsch, dass nicht einmal das Gegenteil wahr ist.“

„So falsch, dass nicht einmal das Gegenteil wahr ist.“ So kanzelte eine Figur in Friedrich Torbergs Tante Jolesch einst einen Gegenspieler ab. In diese Richtung driftet auch das österreichische Fernsehen in seinem verzweifelten Versuch, die Alltagsrealität des Landes abzubilden. Am Schauplatz scheitert an dieser Aufgabe eigentlich am absurdesten, wie unlängst der Skandal um zwei Skinheads, den FPÖ-Chef und eine um sechzig Jahre veraltete Grußform zeigte. AusländerInnen, Spielsüchtige und  lkoholikerInnen sind in der Mediengalaxie des ORF am äußeren Rand der Milchstraße angeordnet, in einer Art Hundstage-Dystopia. Währenddessen verharrt das innere „Wir“ immer noch in einem flurbereinigten „Mittel- Österreich“, in dem soziale Probleme vor der eigenen Haustür enden.
Während die USA, angeblich das Land der „dummen, weißen Männer“ (wie es in Michael Moores Bestseller heißt), sich mit Serien wie The Wire selbst einer Psychotherapie unterzieht (sihe S. 26), fehlt der  inwohnerInnenschaft der Alpenrepublik immer noch ein modernes mediales Selbstbild. Im Kontinuum vom echten Wiener „Mundl“ bis zum Kaisermühlenblues wird endlos der Mythos einer Wohlstandsgemeinschaft wiederholt, in der – im Sinne der sinnesfrohen MA 2412 – nicht einmal richtig gehackelt werden muss. Ganz einfach eine Insel der Seeligen. Was wie Ein echter Wiener geht nicht unter einst stilistische Anleihen am sozialistischen Realismus nahm, ist längst zu einer Art grau-beigen Folklore verramscht worden.
Anleihen kann der ORF beim privaten Konkurrenten ATV suchen. Tausche Familie oder Teenager werden Mütter mögen degoutant sein, dumm oder überhaupt abgekupfert. Aber es stellt seine Narren nicht in ein separates Narrenkastl namens „Neonazi-Szene“, oder irgendeine andere scheinbare Halbwelt, sondern setzt sie intensiv mit dem herkömmlichen „Mittel- Österreich“ in Beziehung. Damit erreicht es eine beinahe phantastische Gesellschaftsutopie: Die Integration der verschiedenen Sorten von Öster- Menschen.

Wider dem Winterschlaf

  • 13.07.2012, 18:18

Wir haben ja nicht mehr daran geglaubt, aber kürzlich ist das Unfassbare geschehen

Kommentar

Wir haben ja nicht mehr daran geglaubt, aber kürzlich ist das Unfassbare geschehen – der Frühling hat sich angekündigt. Und so wie die Umwelt mit neuem Elan drangeht, den grauen Winter zu verdrängen, tun sich auch in der ÖH neue Projekte auf. Wir starten mit aktualisierten Broschüren, frischen Kampagnen und großen Kongressen ins Semester (die entsprechenden Berichte findet ihr wie immer im Blattinneren).
Im Gegensatz zu uns ist die Politik noch im Winterschlaf, hochschulpolitische Innovationen sind momentan nicht in Sicht. Aber zumindest eine neue Ministerin haben wir bekommen – Beatrix Karl ist seit geraumer Zeit für die österreichischen Unis und FHs verantwortlich. Noch sieht es nicht so aus, als würde sie die Hochschulpolitik revolutionieren, aber wer weiß, vielleicht erwartet uns ja das Unerwartete. Von „more of the same“ haben wir jedenfalls die Schnauze voll, darauf lautstark hinzuweisen wird unsere Aufgabe in den nächsten Monaten sein.
Auch der Studierendenprotest hat eine Frühlingsmetamorphose hinter sich, er hat sich europäisiert und international vernetzt. Während 46 BildungsministerInnen Anfang März den Erfolg des Bologna-Prozesses präsentieren, zeigen zwischen 11. und 14. März Studierende aus verschiedensten Ländern, warum die europäische Bildungspolitik keinesfalls ein Grund zu feiern ist.
Mit der Rückkehr des Sonnenscheins steht auch ein neues Semester vor der Tür. Wir wünschen euch viel Durchhaltevermögen im alltäglichen Studi-Wahnsinn - don‘t let the system get you down!

Karl hat viele Versprechen einzulösen

  • 13.07.2012, 18:18

Beatrix Karl wird in manchen Zeitungen mit Claudia Schiffer verglichen. Ein Vergleich, der die neue Wissenschaftsministerin nicht stört, wie sie sagt.

Beatrix Karl wird in manchen Zeitungen mit Claudia Schiffer verglichen. Ein Vergleich, der die neue Wissenschaftsministerin nicht stört, wie sie sagt. Weniger gerne wird Karl wohl mit ihrem Vorgänger verglichen, dem glücklosen Johannes Hahn. Ob dieser auch wegen dem Druck der Audimax-BesetzerInnen nach Brüssel geschickt wurde, ist eine Frage für ZeithistorikerInnen. Fest steht jedoch: Beatrix Karl wurde ins Amt bestellt, um die Ruhe auf den Universitäten wieder herzustellen. Ob ihr das gelingt, hängt von ihrem Geschick ab, und von uns, den Studierenden.
Karls Vorstellung davon, wie die Hochschulen aussehen sollten, ist klassische ÖVP-Ware. Die Fachhochschulen denkt sie als bessere Lehrstellen. An den Universitäten sollen Zugangshürden die Reihen der StudentInnen lichten. Auch kritisierte Karl in Interviews kurz nach ihrer Amtseinführung die Besetzung von Hörsälen als illegitim. Dennoch muss die Wissenschaftsministerin ein Interesse daran haben, mit den Studierenden zu verhandeln und ihre demokratische Vertretung zu stärken: Sie wird die Studis von der Straße wegholen wollen, und an den Verhandlungstisch bringen. Scheitert sie damit, wird sie ihr Amt ebenso geschlagen verlassen wie ihr Vorgänger.
Die Voraussetzungen für erfolgreiche Verhandlungen sind durchaus gegeben. Zwischen der Ministerin und der Studierendenbewegung gibt es Schnittmengen. Studienplätze will die Ministerin in Zukunft ausfinanzieren, also den Unis für jeden einzelnen Studierenden Geld geben. Bisher gab es für die Hochschulen nur einen Pauschalbetrag, egal wie viele inskribierten. Auch sollen die durch die Einführung des Bachelors vollgestopften Studienpläne wieder entrümpelt werden. Die Studierenden könnten dann mehr freie Wahlfächer machen und damit Raum für die freie Entfaltung ihrer Interessen haben. Sollten das nicht nur liberale Duftmarken zum Amtsantritt sein, sondern ernst gemeinte Versprechen, bleibt von Beatrix Karl womöglich einmal mehr in Erinnerung als ihre Ähnlichkeit mit Claudia Schiffer.

Lektüre für Lila Pudel

  • 13.07.2012, 18:18

Über memmige Männer, Strickjacken und zeitungsübergreifende Geschlechterklischees: Eine Bestandsaufnahme über „Feminismus“ in deutschen Medien von an.schläge-Redakteurin Lea Susemichel.

Über memmige Männer, Strickjacken und zeitungsübergreifende Geschlechterklischees: Eine Bestandsaufnahme über „Feminismus“ in deutschen Medien von an.schläge-Redakteurin Lea Susemichel.

Im Feuilleton der konservativen FAZ wird erklärt, was mit „hegemonialer Männlichkeit“ gemeint ist. Braucht es da überhaupt noch feministische Medien? Feministische Fragen werden schließlich tatsächlich längst auch in etablierten Medien verhandelt. Das war in der Gründungsphase vieler Zeitschriften der Zweiten Frauenbewegung in den 1970ern noch anders (von den Organen der ersten Frauenbewegung gar nicht zu reden): Wer damals frauenpolitische Forderungen stellen und verbreiten wollte, musste fast notgedrungen etwas Eigenes gründen, anderswo kamen sie einfach nicht vor.
Doch auch wenn sie heute vorkommen: Schaut man sich zum Beispiel jene Diskussion, in deren Rahmen in der FAZ über Geschlechterkonstruktion nachgedacht werden durfte, genauer an, wird sehr schnell klar, dass man dem medialen Main- und Malestream weiterhin tunlichst nicht das Feld in Sachen Feminismus überlassen sollte.

Das deutsche Feuilleton und der Macho. Im konkreten Fall ging es um die sogenannte „Schmerzensmänner“-Debatte. Deren Anfang machte Nina Pauer mit einem Zeit-Artikel dieses Titels über identitätsirritierte junge Männer in Strickjacken, die aufgrund vielfältiger Anforderungen nicht mehr wissen, wie und wer sie sein sollen, und die deshalb eigentlich nicht mehr zu gebrauchen sind. Es folgten Repliken unter anderem in der taz, in der Süddeutschen und im Spiegel, und nur vereinzelt wird darin der naheliegende Einwand formuliert, dass ein verändertes männliches Rollenverständnis doch wohl eigentlich ein Grund zur Freude sei. Und dass die Alternative doch nicht ernsthaft sein könne, sich den Macho zurückzuwünschen.
Doch der allgemeine Tenor der Diskussionsbeiträge ist ein ganz anderer: Solche Typen wollen wir nicht, ist man sich einig, der Feminismus mit seinem Männer-Umerziehungsprogramm habe mal wieder übers Ziel hinausgeschossen, die jungen Frauen würden es nun ja selbst merken und wieder nach starken Schultern schreien. Dieses zeitungsübergreifende Resümee klingt vertraut, denn zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommt die Presse immer wieder gerne anlässlich der seltenen Gelegenheiten, bei denen sie sich ausnahmsweise eingehender mit dem Geschlechterverhältnis befasst. Dass sich auch linke Medien wie die Jungle World dieser Einschätzung anschließen und im Rahmen der Debatte ganz besonders hämisch über die memmige „Metrosexualität“ dieser neuen Männer ätzen (Magnus Klaue: „Weicher werden“), macht klar, wie dünn gesät konsequent feministische Positionen im medialen Spektrum weiterhin sind, selbst in Alternativmedien.
Das Jammern über verweichlichte Männer ist dabei so alt wie die Angst vor männlichem Autoritäts- und Machtverlust. Und es wird gegenwärtig auch besonders gerne von aggressiv antifeministischen Männerrechtlern betrieben, die vom neuen Mann als „Lila Pudel“ sprechen. Von „Softies“ spricht man spöttisch schon seit den 1980ern, einer Zeit, in der bereits das Tragen eines Strickpullis für dieses Label vollauf genügte. Wenn heute nun Strickjacken das zeitgemäße Erkennungsmerkmal des scheinbar in seinem Rollenverhalten tief verunsicherten Mannes sind, dann geht das leider ebenso wenig wie damals notwendigerweise mit einer gewandelten Gesinnung ihres Trägers einher. Er hat weder verlässlich Queer Theorie gelesen, noch ist er zwingend Vater in Kinderkarenz oder teilt sich die Hausarbeit fifty-fifty mit seiner Partnerin. Und selbst wenn er überraschenderweise all dies doch erfüllt – er stellt beileibe nicht die männliche Mehrheit.

Eine Vorliebe für Strickmode macht noch keinen Feministen. Und ein Feminist in Strickjacke macht noch keine gleichberechtigte Gesellschaft. Auf solch simple Zusammenhänge hinzuweisen, bleibt nun also nach wie vor feministischen Medien überlassen. Wie sie auch die einzigen sind, die argumentieren, dass eine grundlegende Änderung des Geschlechterverhältnisses letztlich unweigerlich mit einer Infragestellung von Identität einhergehen müsse, und memmige Männer demnach ein höchst begrüßenswertes und positives Phänomen darstellen würden. Anders als alle anderen, freuen wir uns also aufrichtig über echte neue Weicheier.
Feministischer Journalismus muss zudem unermüdlich darauf hinweisen, dass zum Thema Männer weiterhin Wichtigeres festgehalten werden muss: Wie gering ihre Wandlungsbereitschaft im Privaten und wie groß ihr Beharrungsvermögen im Beruflichen ist, beispielsweise. Wie unerträglich schleppend deshalb Veränderungen passieren. Wie verbreitet Sexismus und Frauenverachtung weiterhin sind. Wie viel Männergewalt es immer noch gibt. Und wie himmelschreiend ungerecht die globale Macht- und Ressourcenverteilung ist.
Die Kernaufgabe feministischer Medien besteht also weiterhin schlicht und ergreifend darin, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung zu fordern. Denn es gibt sie noch nicht.
In diesem Punkt geben uns inzwischen glücklicherweise auch viele Mainstreammedien prinzipiell Recht. Denn ungeachtet aller Kritik an medialen Debatten wie dieser jüngsten Neuauflage der alten Softie-Schelte: Im Unterschied zu den Anfängen emanzipatorischer Medienproduktion hat sich die Situation in den letzten Jahrzehnten selbstverständlich deutlich verändert. Über die Diskriminierung von Frauen berichtet heute jedes Medium zumindest dann und wann, und noch dem kleinsten Lokalblatt sind Vokabeln wie Lohnschere und gläserne Decke inzwischen durchaus geläufig. Doch dass es diese Begriffe selbst in die Politikressorts der konservativen Presse oder der Boulevardmedien geschafft haben – das ist letztlich der Erfolg eines zähen feministischen (Medien-)Aktivismus, dessen langfristiger Einfluss nicht zu unterschätzen ist. Diese Gegenöffentlichkeit beteiligt sich kontinuierlich an gesellschaftlichen Diskursen und nutzt dafür unterschiedlichste mediale Mittel: handkopierte DIY-Zines ebenso wie Fernseh- und Radiosendungen, klassische Magazine oder die, vor allem im letzten Jahrzehnt entstandenen, unzähligen Blogs und Websites.

Die Notwendigkeit feministischer Medien. Und trotz widrigster Bedingungen hat sich diese feministische Medienlandschaft im Laufe der Zeit immer weiter professionalisiert und ausdifferenziert. Die Kritik, die sie formuliert, ist fundamental. Feministischer Journalismus belässt es idealerweise nicht alleine bei der Forderung nach einer Neuverteilung von Macht, Arbeit und Geld zwischen den Geschlechtern. Er stellt gesellschaftliche Grundstrukturen infrage und beschränkt sich bei der Analyse von Ungleichheit auch keineswegs auf das Geschlechterverhältnis.
Was auch die Eingangsfrage erneut unmissverständlich beantwortet: Es braucht diese Medien unbedingt weiterhin. Denn im Unterschied zu einer bloß punktuellen Berichterstattung über gesellschaftspolitische „Frauenthemen“ wird Feminismus darin als ressort- und themenübergreifende Querschnittsmaterie behandelt. Das heißt, ausnahmslos alles wird immer auch aus einer feministischen Perspektive beleuchtet, egal, ob es um die Finanzkrise, die Arabischen Revolutionen, um Occupy oder Lana Del Rey geht. Denn alles ist immer auch von frauenpolitischer Relevanz. Manchmal eben sogar ein neuer Strickmoden-Trend.

Lea Susemichel ist Redakteurin der an.schläge. Das feministische Magazin und Mitherausgeberin von Feministische Medien. Öffentlichkeiten jenseits des Malestream (Helmer Verlag 2008).

Westbahn. Fehlentwicklung Hilfsausdruck.

  • 13.07.2012, 18:18

Was Wolf Haas vielleicht über die Westbahn sagen würde. Ein Kommentar.

Was Wolf Haas vielleicht über die Westbahn sagen würde. Ein Kommentar.

Es ist schon wieder was passiert. Die Westbahnstrecke haben’s privatisiert, also eigentlich teilprivatisiert. Das mit der Westbahn GmbH ist ja eigentlich eine ganz eine eindeutige G’schicht, weil das nämlich eine Liberalisierung des öffentlichen Verkehrs ist, sprich nicht mehr so öffentliche Dienstleistung. Da gibt’s so einige Leute, die das mit den Privatisierungen normal überhaupt nicht gut finden. Die Westbahn finden’s aber dann doch gar nicht so schlimm. Widerspruch Hilfsausdruck.

Öffentlich vs. privat. Du wirst’s nicht glauben, aber da gibt’s einen Unterschied zwischen den öffentlichen und den privaten Dings, also Unternehmen. Die einen nämlich, die haben da quasi eine Aufgabe. Bestmögliche Qualität, billige Preise, viele Arbeitsplätze, gute Arbeitsbedingungen – sprich öffentlicher Auftrag. Die anderen, also die Privaten, die sind dann eher die mit dem Profit. Du hast vielleicht schon mal von der englischen Bahn gehört, auch Privatisierung, aber in den 80ern. Da hat’s sogar Tote gegeben, weil Profit im Vordergrund und nicht das mit der Sicherheit. Vielleicht heißt’s dann in ein paar Jahren nicht mehr happy-beppi mit den blau-grünen Zügen, sondern Arbeitsplätze gekürzt, Lohndumping, Einsparung von Nebenstrecken.

Das mit der Konkurrenz. Da meinst du vielleicht, Nebenstrecken einsparen ist eher die Sache von der ÖBB und gar nicht die von der Westbahn. Aber Vorsicht: Die Westbahn fahrt nämlich nur auf den Strecken, die auch wirklich rentabel sind, quasi Geld scheffeln. Die ÖBB kann sich das nicht aussuchen. Die muss alles machen. Mariazell, Mittersill, Mooskeuschen. Nicht nur Salzburg und Wien. Weil die Lisa aus Hintertupfing muss trotzdem in die Schule und die Huber in die Arbeit. Aber Geld kostet das, das glaubst du nicht. Auf der Westbahnstrecke, da hat die ÖBB Geld machen und damit auch die Nebenstrecken finanzieren können. Dann kommen die Privaten und bum, ist die Westbahnstrecke wegen der Konkurrenz nicht mehr so rentabel für die ÖBB. Die Nebenstrecken sind dann auch nicht mehr finanzierbar, weil weniger Geld, und die Arbeitsplätze auch nicht immer. Lisa und die Huber nicht mehr so glücklich.

Jetzt aber ÖBB. Du glaubst jetzt vielleicht, lustig, ich bin ÖBB-Fan. Stimmt gar nicht immer, weil die ÖBB mit der bestmöglichen Qualität und den billigen Preisen auch oft so ein Dings ist. Aber Fan vom öffentlichen Verkehr bin ich. Weil die öffentlichen Dienstleistungen, die sollten halt auch öffentlich sein, nicht privat. Verkehr genauso wie Bildung, Gesundheit und solche G’schichten. Fazit: Den öffentlichen Verkehr und damit die ÖBB verbessern und nicht aushungern. Nichts mit Profitgier, Kürzungen und dem Mythos von der Konkurrenz, die eh niemandem was bringt. Hausverstand Hilfsausdruck.

 

Sinn und Unsinn von Praktika

  • 13.07.2012, 18:18

Der offizielle Sinn eines Praktikums während der Studienzeit ist relativ naheliegend: Berufserfahrungen zu sammeln. Doch wird dieses Ziel auch wirklich erreicht und vor allem: Ist dieses Ziel genug, um den oft steinigen Weg zu rechtfertigen? – Ein Kommentar.

Der offizielle Sinn eines Praktikums während der Studienzeit ist relativ naheliegend: Berufserfahrungen zu sammeln. Doch wird dieses Ziel auch wirklich erreicht und vor allem: Ist dieses Ziel genug, um den oft steinigen Weg zu rechtfertigen? – Ein Kommentar.

Viele PraktikantInnen werden als billige Arbeitskräfte missbraucht und nur allzu oft lernen sie dabei nicht einmal sonderlich viel über den eigentlichen Job, sondern bekommen Aufgaben zugeteilt, die sonst niemand machen möchte. Gerade im sozialen Bereich dürfen sie nicht einmal mit einer Entlohnung für ihre Dienste rechnen, und wenn, dann ist es meist eher angebracht, diese kleine Summe als Entschädigung zu bezeichnen denn als tatsächlichen Lohn. Aber auch hier bestätigen natürlich Ausnahmen die Regel: Einige wenige glückliche PraktikantInnen können gleich mit dem Einstiegsgehalt von regulären MitarbeiterInnen in einem Betrieb anfangen. Da dies aber eben leider nur die Ausnahme ist, stellt sich die Frage: Warum sollte ich tun, was von mir verlangt wird, wenn ich dies absolut nicht will und ich noch nicht einmal dafür entlohnt werde? In einigen Studienrichtungen sind Praktika ja verpflichtend. Gerade hier und wiederum gerade im Sozialbereich ist die Wahrscheinlichkeit, dafür bezahlt zu werden, sehr gering. Dafür ist allerdings ein anderer Ansporn gegeben: Du wirst für das, was du tust, bewertet und diese Bewertung fließt in den Studienerfolg ein. Wenn ich jedoch aus eigenem Antrieb ein Praktikum mache und mir dieses dann nicht zusagt, ich das Gefühl habe, bloß ausgebeutet zu werden – was hält mich davon ab, alles sofort wieder hinzuschmeißen, wenn ich dafür weder sinnbringende Erfahrung, noch verwendbare Kontakte, noch Geld bekomme? Ich würde sagen, nichts. Also, fades Praktikum ade, ich wende mich lieber einem anderen zu, das mir Spaß macht. Und vielleicht gibt’s als i-Tüpfelchen sogar noch ein bisschen Bares oben drauf. Studierende haben’s ja schließlich nicht unbedingt so dick.

Der richtige Zeitpunkt. Ob es überhaupt notwendig ist, während des Studiums Berufserfahrung zu sammeln, ist eine andere Frage. Eigentlich sollte ein Studium an sich schon genug Vorbereitung auf das Berufsleben bieten, vor allem die Bachelorstudiengänge, die sich ja genau damit so sehr zu rühmen versuchen. Ich halte es allerdings sehr wohl für sinnvoll, sich das wirkliche Leben außerhalb der Uni oder FH einmal anzusehen, bevor sie eineN sozusagen ins kalte Wasser schmeißen. Klug wäre es wahrscheinlich auch, dies nach einer nicht allzu hohen Semesteranzahl zu tun. Wenig ist zermürbender als mit einem Studienabschluss in der Tasche in einem Beruf zu landen, von dem du dann herausfinden musst, dass er nicht das Richtige für dich ist. Außerdem kann es natürlich auch bereits während der Ausbildung nicht schaden, sich gewisse Bänder zu knüpfen.

Kontakte knüpfen. Im Zuge eines Berufspraktikums erschließt sich die Möglichkeit, nicht nur einen Arbeitsbereich und die wirkliche Arbeitswelt kennen zu lernen, sondern auch gleich einige Pfade auszutreten, deren Betreten nach dem Studium dadurch erleichtert wird. Und wenn du nach dem Studienabschluss schon weißt, welches Arbeitsklima und welche KollegInnen dich im Beruf erwarten, dann ist die wirkliche Welt doch gleich um einiges weniger anonym und beängstigend. Selbst wenn ich in einem Praktikum herausfinden sollte, dass ich diese Arbeitsstelle sicher nie wieder betreten möchte, so bin ich zumindest um diese Erfahrung reicher geworden und weiß, wo ich mich später nicht mehr bewerben muss. Auch die umgekehrte Variante des Kontakte-Knüpfens ist sicherlich nützlich: In einem Betrieb, in dem ich schon gearbeitet habe, muss ich nicht mehr lange getestet und eingeschult werden, sondern ich kann direkt dort eingesetzt werden, wo ich gut bin. Dies ist sowohl ein Argument für den Betrieb, mich zu nehmen, da die dortigen MitarbeiterInnen sich dadurch natürlich Arbeit sparen und auch für mich selbst vorteilhaft, weil ich schon weiß, was ich hier machen kann und möchte.

Ein dickleibiger Teufelskreis

  • 13.07.2012, 18:18

Die mangelnde Gesundheitsversorgung ist in den USA sowohl ein moralisches als auch ein finanzielles Problem. Das moralische Problem sind die 15 Prozent der Bevölkerung, die keine Krankenversicherung haben. Nach Schätzungen sterben jedes Jahr zwischen 20.000 und 40.000 Menschen, weil ihnen der Zugang zu medizinischer Versorgung fehlt.

Die mangelnde Gesundheitsversorgung ist in den USA sowohl ein moralisches als auch ein finanzielles Problem. Das moralische Problem sind die 15 Prozent der Bevölkerung, die keine Krankenversicherung haben. Nach Schätzungen sterben jedes Jahr zwischen 20.000 und 40.000 Menschen, weil ihnen der Zugang zu medizinischer Versorgung fehlt.
Das finanzielle Problem sind die steigenden Kosten. Die Kosten für die Gesundheitsversorgung in den USA machen etwa 17 Prozent unseres Bruttosozialproduktes (BSP) aus. Einigen Prognosen zufolge könnten sie in dreißig Jahren ein Drittel unseres BSP ausmachen. Kein anderer Industriestaat hat so viele nicht versicherte Bürger oder gibt einen so großen Anteil seines Einkommens für sein Gesundheitssystem aus.
Der Mangel an medizinischer Versorgung hat aber noch andere, unerwünschte Konsequenzen. So sind achtzig Prozent der Feuerwehr-Notrufe in Washington DC eigentlich medizinische Notfälle. (Die Dienste der Feuerwehr sind – im Gegensatz zu denen der Rettung – nicht kostenpflichtig). Für viele Unversicherte wird die Notaufnahmestation des Krankenhauses zur Hausarzt-Praxis.
Unzureichende Krankenversicherung bedeutet auch, dass der Patient sich keinen Zahnarzt leisten kann. Wenn die Zähne faulig sind, essen die Leute keine Dinge mehr, die beißen erfordern, wie Vollkornbrot oder Äpfel. Deshalb ernähren sie sich von Pommes und Hamburgern, was wiederum zu Dickleibigkeit, Herzproblemen und Diabetes führt – ein Teufelskreis. Eine Studie schätzt, dass sechzig Prozent aller Privatkonkurse in den USA durch hohe Gesundheitskosten verursacht werden, wobei sogar drei Viertel der Betroffenen zuvor eine private Krankenversicherung abgeschlossen hatten, die sich im Nachhinein allerdings als unzureichend erwies.
Die Gegner der Gesundheitsreform behaupten gerne, die Regierung wolle mit ihr schleichend den Sozialismus einführen. Dabei haben bereits jetzt viele US-Amerikaner eine staatliche Krankenkasse. Alle, die älter als 65 Jahre sind, haben Anspruch auf eine vom Steuerzahler finanzierte Gesundheitsversorgung. Pensionierte Militärangehörige bekommen eine kostenlose Behandlung in eigenen staatlichen Krankenhäusern. Zusätzlich versichern „Medicaid“ und das „Children Health Insurance Program“ Arme und Kinder. 
Als weiteres wird von Gegnern der Reform oft behauptet, sie sei sehr teuer. Das ist aber falsch: Sie wäre kostenneutral. Präsident Barack Obama will Betrug, Ineffizienz und Verschwendung im gegenwärtigen System beenden. So will er erreichen, dass jeder Amerikaner krankenversichert ist – und das bei gleich bleibenden Kosten. 

 

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