Kinderbuch

Von Prinzen und Superheldinnen

  • 12.05.2017, 21:53
Am Anfang steht die Frage: Wisst's ihr schon was es wird? Bub oder Mädchen?

Am Anfang steht die Frage: Wisst's ihr schon was es wird? Bub oder Mädchen?

Dieser Frage wird große Bedeutung beigemessen, geht es doch darum, ob eine süße Prinzessin oder ein wilder Rabauke auf die Welt kommen wird, eine Ballerina oder ein Fußballer, ein Stammhalter oder nur ein Mädchen, kurz: Rosa oder Blau? Diese Frage ist essenziell, man stelle sich vor, ein Bub in einem rosafarbenen Tragetuch, oder ein Mädchen im hellblauen Strampler? Da kennt sich doch niemand mehr aus.

Warum sind es genau Hellblau und Rosa? War das immer so? Wer profi tiert von der strikten Trennung in Buben- und Mädchensachen eigentlich, und was kostet es unsere und alle anderen Kinder und späteren Erwachsenen? Wie ist das eigentlich mit dem Testosteron? Und wie (un)beeinfl usst sind die Kleinsten wirklich? Welche Rolle spielt dabei Sprache? Doch am wichtigsten: Was können wir alle, ganz praktisch gesehen, tun, um den Nachwuchs möglichst wenig den Geschlechterklischees unserer Urgroßelterngeneration auszusetzen?

Unter anderem diese Fragen beantworten Almut Schnerring und Sascha Verlan ausführlich und trotzdem auf den Punkt gebracht, großteils durch umfangreiche Recherchen, teilweise aber auch aus dem Leben mit drei Kindern. Ohne Vorwissen zu Kindern oder Geschlechtertheorie gut lesbar, bietet es aber auch Menschen, die in einem oder beiden Themen bereits eingearbeitet sind, noch viel Informationen und Anregungen zum Weiterdenken.

Negativ ist mir hauptsächlich aufgefallen, dass der gesamte, für mich untrennbar verbundene, LGBTI-Themenkomplex weitgehend ausgeblendet wird, während so ziemlich jedes andere Thema, das in diesem Zusammenhang genannt werden könnte, in das Buch Eingang findet. Das passt anscheinend noch nicht in ein Buch, das Anschluss an den Mainstream möchte.

Trotzdem ein großartiges Geschenk statt Strampler oder Babydecke Nummer 62, an (werdende) Eltern oder gleich sich selbst. Wahlweise um es der nächsten Person an den Kopf zu werfen, die bereits Babys in Zicken und Machos einteilt.

Andrea Reisinger lebt ohne Kinder und Studium in Wien.

Zwei mal „Wo kommen Kinder her?“, ohne heteronormative Kackscheiße

  • 29.01.2016, 17:52

Zwei Bücher, zwei Kinder, zwei unterschiedliche Familien, zwei Geschichten darüber, wie Eltern zu Kindern kommen. Zwei Mal kinderfreundliche Erklärungen, die darauf verzichten, die Mär von Zweigeschlechtlichkeit und Vater-Mutter-Kind-Familien zu zementieren.

Zwei Bücher, zwei Kinder, zwei unterschiedliche Familien, zwei Geschichten darüber, wie Eltern zu Kindern kommen. Zwei Mal kinderfreundliche Erklärungen, die darauf verzichten, die Mär von Zweigeschlechtlichkeit und Vater-Mutter-Kind-Familien zu zementieren.

Wie Single-Vater Tobias mit Lotta schwanger wurde, erfährst du in „Wie Lotta geboren wurde“.

Die Geschichte fängt bereits vor seiner Schwangerschaft an, erzählt von Tobias Hobbys und seinen Freund_innen. Ein Freund schenkte ihm die Samen, die er benötigte, um Lotta zu bekommen. Dass Tobias vermutlich ein trans* oder inter* Mann ist und weshalb er eine Gebärmutter hat, wird nicht unnötig thematisiert. Stattdessen betont das Büchlein Tobias' Vorfreude – und wie er zusammen mit Freund_innen und Verwandten jubelte, als Lotta endlich auf der Welt war.

„Maxime will ein Geschwister“! Oder gleich mehrere. Dabei ist für ihn das Geschlecht des potentiellen Geschwisterchens gänzlich irrelevant und wird nicht mal angesprochen. Macht einfach mal, Mamis! Die beiden Mütter sind einverstanden, greifen zur anonymen Samenspende und neun Monate später kann Maxime sein Geschwister Nikola im Arm halten.

Test

Beide Bücher behandeln eine ähnliche Thematik und eignen sich beide dafür, Kindern zu erklären, wie sie auf die Welt kamen, ohne ihnen dabei gleich cissexistische Unwahrheiten à la „alle Frauen können schwanger werden, alle Männer können das nicht“ aufzutischen. Auch die Mär von der Familie, die unbedingt genau einen Vater und genau eine Mutter bräuchte, bleibt den Kindern so erspart. Ein klares Plus für alle Kids: Sowohl für die, deren Familie nie in Kinderbüchern vorkommt, als auch für alle anderen, die so ein bisschen über den Tellerrand raus schauen können, von Kindern bis Erzieher_innen. Je nach Alter der Kinder können sie auch als Anstoß dienen, über Geschlecht zu sprechen: z.B. warum wir bei jedem Menschen unbedingt das Geschlecht wissen wollen. Oder warum die meistern Eltern auf „Bruder oder Schwester“ beharren, statt einfach wie in Maximes Geschichte „Geschwister“ zu benutzen.

Die Erklärungen zum Ablauf einer Schwangerschaft sind liebevoll und kleinkindgerecht. Körperteile sind weniger wichtig als das Wesentliche: Die Freude, die mit den Kindern und dem Kinderbekommen verbunden ist. So dass jedes Kind weiß: Die Hauptsache ist, dass meine Eltern sich bewusst für mich entschieden haben und sich darüber freuen, dass es mich gibt!

Auch die Vielfalt von möglichen Bezugspersonen und Familienformen wird betont. Nicht nur Maxime und seine Mütter oder deren Verwandten freuen sich über das Baby , sondern auch Mitbewohner_innen und Freund_innen sind gleichberechtigt dabei. Nicht angesprochen, aber gezeigt wird, dass nicht alle in einer Familie die gleiche Hautfarbe haben müssen: Maxime ist ebenso wie eine seiner Mütter Schwarz, Baby Nikola und die andere Mutter weiß.

Der Zeichenstil der Bücher ist liebevoll minimalistisch auf das Wesentliche reduziert. Verbunden mit tuscheähnlicher Zeichnung spricht das stringente Farbkonzepte sehr an: Keine Hintergründe, als Farben nur Schwarz, Gelb und ein Hauch Rot in Lottas Geschichte, Schwarz, Lila und Grautöne in Maximes Büchlein.

Hinter den Mini-Format-Büchern (13,6 x 13,6 cm) steht der neue, reichlich queere Zwei-Personen-Verlag „Atelier 9 ¾“ , der sich auf Comics und Kinderbücher spezialisiert hat.  „Wie Lotta geboren wurde“ gibt es sogar schon auf Schwedisch.

Non Chérie studiert mitunter versehentlich an der Universität Wien, macht meist feministisches Gedöns und queeren Krempel.

Beide Bücher könnt ihr euch auch gleich ausleihen – in der queer_feministischen Bibliothek der ÖH Bundesvertretung. Dort gibt es einen ganzen Schwerpunkt zu nicht-normativen und queerfreundlichen Kinderbüchern für verschiedene Altersstufen und zu diversen Themen. Schaut vorbei.

Aufklärung für Alle!

  • 26.03.2015, 08:36

Endlich! Ein nicht-heteronormatives Aufklärungsbuch für Menschen ab drei Jahren, aus dem auch Erwachsene noch einiges lernen können.

Endlich! Ein nicht-heteronormatives Aufklärungsbuch für Menschen ab drei Jahren, aus dem auch Erwachsene noch einiges lernen können. „Silverbergs nuancierte Darlegung von Reproduktion und Gestaltung kommt einer Offenbarung gleich“, sagt, laut Buchrücken, die sechsjährige Sophie über „Wie entsteht ein Baby“. Und Sophie hat so recht. Das Buch beschreibt, was es braucht, damit ein Baby entsteht: eine Eizelle und eine Samenzelle, die beide sehr viele Geschichten über den Körper, aus dem sie kommen, in sich tragen. Sie tanzen miteinander und tauschen sich aus, sodass sie am Ende ein eigenes Ding werden. Dann brauchen sie noch eine Gebärmutter, in der das Baby wachsen kann. Dabei kommt Sex Educator Cory Silverberg angenehmerweise ohne Geschlechterzuschreibungen aus, unterstützt wird er dabei von Fiona Smiths knallig bunten Illustrationen: „Nicht jeder Mensch hat eine Gebärmutter. Manche ja, manche nein.“ Es kann so einfach sein. Durch diese Reduzierung aufs Wesentliche wird Platz für Details gelassen, die jede Familie individuell für sich besprechen kann. Alle, denen dabei die Worte fehlen oder die sich Inspiration von Expert*innen holen wollen, können auf what-makes-a-baby.com einen Readers Guide (auf Englisch) herunterladen und sich von Silverberg Tipps für eine diverse Auseinandersetzung mit Reproduktion und Sexualität holen. Themen wie Sex/Gender, trans*/cis, Intersexualität, Behinderung und Race haben hier ebenso viel Platz wie sämtliche Reproduktionsmöglichkeiten: Samenspende, In-vitro-Fertilisation, Adoption, Leihmutterschaft und Geschlechtsverkehr.

Am Ende steht kein Abbild einer glücklichen heteronormativen Kleinfamilie, sondern die Frage: „Wer hat dabei geholfen, dass die Eizelle und die Samenzelle zusammenkamen, aus denen du entstanden bist? Wer war glücklich, dass ausgerechnet DU dabei entstanden bist?“

Cory Silverberg, Fiona Smyth: „Wie entsteht ein Baby? Ein Buch für jede Art von Familie und jede Art von Kind“
Mabuse-Verlag, 17 Seiten
16,90 Euro

 

Carla Heher studiert Volksschullehramt an der PH Wien.