Jugoslawien

Generacija ‘68: Die erste große Liebe

  • 10.05.2017, 20:37
„Was mich betrifft, gibt es keinen Grund ‘68 zu feiern. Ich bin nicht beeindruckt von euren Sit-ins in Kantinen, von euren gehaltenen Reden. Und ja, ‘68 war ein wichtiges Jahr, aber nur, weil es euer Jahr war und auch euer Jahr blieb. Sonst blieb nichts davon übrig.“

„Was mich betrifft, gibt es keinen Grund ‘68 zu feiern. Ich bin nicht beeindruckt von euren Sit-ins in Kantinen, von euren gehaltenen Reden. Und ja, ‘68 war ein wichtiges Jahr, aber nur, weil es euer Jahr war und auch euer Jahr blieb. Sonst blieb nichts davon übrig.“ Das sind die Worte von Mac. Mac ist der Schwiegersohn des kroatischen Filmemachers Nenad Puhovski. Die jüngeren Familienmitglieder sticheln den Filmemacher und seinen Glauben an die ‘68er Bewegung immer wieder. Zeit, seine Gefühle für die Bewegung der 1968er, filmisch zu verarbeiten, seine alten Freund*innen, die allesamt zum Kern der linken Studierendenproteste zählten, zu besuchen und sich gemeinsam zu erinnern. Puhovski im Gespräch über große Gefühle, die Rolle Titos in der Bewegung, über die Transformation vom Sozialismus zum Kapitalismus und über das Scheitern heutiger Proteste.



In Ihrem Film „Generacija ‘68“ („Generation ‘68“) sieht man bereits einen Teil der Entstehungsgeschichte des Films. Sie waren selber ein Teil der Studierendenproteste und stoßen heute teilweise auf Unverständnis vonseiten der jungen Generation. Wieso wollten sie ausgerechnet einen Film über diese Generation machen?
Ich vergleiche die Bewegung 1968 gerne mit der ersten große Liebe. Wenn du das erste Mal verliebt bist, glaubst du, dass es ewig so sein wird. 25 Jahre später triffst du diese große Liebe wieder und sie ist verheiratet mit jemanden, den du blöd findest, hat drei Kinder und erkennt dich fast nicht wieder. Du fragst dich, wie du in diese Person verliebt sein konnte. Dieses Gefühl hatte ich damals auch, es war für mich, für unsere Generation, die erste Liebe, die man nicht vergisst. Heute sind die Proteste der 68er, insbesondere im ehemaligen Jugoslawien, fast vergessen. Wenn ich mit meinen Kindern und Enkelkindern rede, wird mir klar, dass sie die Bewegung von damals nicht verstehen. Daher wollte ich meinen Kindern und dieser Generation erzählen, dass es für uns etwas sehr Wichtiges war. Es war eine Art von Erotik in Bezug auf die „Revolution“, in Bezug auf das Ändern der Welt. Denn es war nichts weniger als der Versuch, die Welt zu verändern, auch wenn wir nicht erfolgreich waren.

Sie adressieren die junge Generation direkt und fragen, was heute von 1968 übrig ist. Oft lautet die Antwort „Nichts“. Gleichzeitig vergleichen Sie die damalige Bewegung mit heutigen Protesten wie der „Occupy“-Bewegung. Welche Parallelen können gezogen werden, welche nicht?
Es gibt heute nur wenige Bewegungen, die so global orientiert sind wie die 68er – „Occupy“- ist eine davon. Wir haben daran geglaubt, dass wir nichts auf lokaler Ebene ändern können, wenn wir nicht das System verändern. Die Generation meiner Kinder glaubt an kleine Schritte, an die Veränderung einzelner Ebenen. Natürlich unterstütze ich Demonstrationen für die Rechte Homosexueller, aber ich glaube nicht, dass sich dadurch etwas substantiell ändern kann. Und wenn mich heute die Menschen fragen, was der 68er Bewegung passiert ist, gibt es für mich nur eine Antwort: Kapitalismus. Und diesen Fakt konnten wir nicht ignorieren. Wir konnten nicht sagen, dass gegen den Kapitalismus anzukämpfen ein zu großer Kampf ist. Das System im Großen zu verändern war es, an das wir glaubten. Das war es, was wir machen wollten und das war es, an dem wir scheiterten. Und dennoch, glauben wir immer noch, dass es möglich ist.

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Kapitalismus und Sozialismus werden in Ihrem Film auf verschiedene Arten thematisiert: Eine der Protagonist*innen sagt, dass sie solidarisch mit den Revolutionär*innen im Westen ist, aber eine Revolution in einem sozialen Regime keinen Sinn mache. Eine andere Person meinte, dass es eine linke Bewegung braucht, weil der Sozialismus nicht radikal genug war. Können Sie diese Beziehung zwischen der 68er-Bewegung und dem sozialistischen Regime kommentieren?
In unserer Meinung näherte sich der Sozialismus zu sehr an den Kapitalismus an. Unsere Botschaft war, wir wollen keinen Kapitalismus, wie wollen Sozialismus – aber „Sozialismus mit einem menschlichen Gesicht“, wie wir es nannten. Die ersten kapitalistischen Züge sahen wir an unseren Eltern, gegen die wir rebellierten. Unsere Eltern hatten noch all die Narben aus dem zweiten Weltkrieg und sagten sich danach „Fuck it! Wir wollen ein Leben haben, wir wollen ein Haus, ein Auto.“ Und dann kamen wir Kinder und erinnerten sie daran, gegen was sie kämpften und fragten, wieso sie jetzt all diese Konsumgüter haben müssen. Damals verstanden wir nicht, dass es manchmal einfach um das Vergessen ging. Für uns war es ein Zeichen, dass es in Richtung Kapitalismus ging. Es wurde wichtiger, ein Sommerhaus zu besitzen als das Geld umzuverteilen.

Trotz dieser Kritik am damaligen Sozialismus gab es eine Art „Unterstützung“ vonseiten des damaligen jugoslawischen Präsidenten Titos.
Tito war ein großartiger Politiker, weil er ein großartiger Manipulator war. Das einzige Ziel von Politik ist Machterhalt. Darin war er sehr gut und zwar nicht in erster Linie durch Unterdrückung, die es natürlich auch gab. Aber er wusste, wen er unterstützen musste, um im Gegenzug auch Unterstützung zu erhalten. Dazu kam, dass er Charme hatte. War er ein Demokrat? Nein. War er ein Diktator? Jein. Aber trotzdem, die Leute liebten ihn.

Diese Art Unterstützung gab es auch nach dem Einmarsch der russischen Truppen in die damalige Tschechoslowakei. Die linke Bewegung – so auch Sie – befand Sich zu dieser Zeit in der „Sommerschule“ der Philosophie auf der Insel Korčula, die von der marxistischen „Praxis-Gruppe“ veranstaltet wurde. Auch Intellektuelle wie Herbert Marcuse oder Ernst Bloch waren da. Wie haben sie diesen Moment – als sie vom Einmarsch erfuhren – erlebt?
Wir wussten sofort, dass es das Ende war. Wir hatten die damaligen wichtigsten Intellektuellen aus aller Welt hier. Wir verfassten innerhalb einer halben Stunde ein Statement um zu sagen, dass wir dagegen protestieren. Der Einmarsch war nicht nur gegen die Tschechoslowakei gerichtet, sondern eine Nachricht an uns alle. Sie wollten sagen, passt auf, was ihr macht. Und es gab eine Art „Semi-Unterstützung“ von Tito, weil er wusste, dass er unsere Unterstützung im Notfall braucht. Sollte die Rote Armee an die jugoslawische Grenze kommen, braucht er junge Leute, die sofort für Jugoslawien kämpfen würden. Die jugoslawische Armee alleine hätte das nicht geschafft. Ein weiterer Grund, wieso er die Studierendenproteste nicht zerschlug, war meiner Meinung nach, dass wir auch eine Art Erbe darstellten. Vielleicht kann ich nach dieser Aussage nicht wieder zurück nach Kroatien fahren (lacht), aber ich glaube Tito war damals schon bewusst, dass es eine große Wahrscheinlichkeit für den Zerfall Jugoslawiens nach seinem Tod gibt.

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Stattdessen kam – wie Sie bereits damals geahnt haben – der Kapitalismus.
Ja, und es gibt heute noch viele Menschen, die sagen, dass wir zwar nicht so viel Freiheit im Sozialismus hatten, dafür Sicherheit, bessere Schulen, ein besseres Gesundheitssystem. Was der Preis wofür ist, ist eine andere Diskussion. Aber es stimmt, dass die Industrie der ehemaligen ex-jugoslawischen Staaten zerstört wurde, zu einem großen Teil auch das Bildungssystem, teilweise das Gesundheitssystem. Und es gibt sehr viel Korruption. In den 1990ern gab es in Kroatien ein großes Referendum, in welchem die Menschen gefragt wurden, ob sie ein unabhängiges Kroatien wollen. Die meisten sagten ja. Aber es gab keine zweite Frage. Nämlich die Frage, ob die Menschen Kapitalismus haben wollen. Es gab kein Referendum darüber, ob das sozialistische System geändert werden soll. Viele der Menschen wussten nicht, dass mit dieser Form der Unabhängigkeit auch die Transformation in ein kapitalistisches System einherging. Und ja, es gibt Demokratie, aber heute ist die Vorstellung davon, was Demokratie ist, sehr vereinfacht: Es gibt freie Wahlen und das ist es.

Wie würden Sie dann die Frage, was von den 68ern übrigblieb, selbst beantworten?
Es war ein Traum, den wir lebten. Ein Traum, den wir liebten. Ein Traum, aus dem wir aufwachten. Und wir sind immer noch Traumwandler und werden es bis zu unserem Tod sein. Dessen sind wir uns bewusst. Um zurück zur ersten große Liebe zu kommen: Oft ist es so, dass du dein eigenes Gefühl verliebt zu sein, mehr magst als die Person. Zyniker*innen würden sagen, dass du dein eigenes, dein verliebtes Ich, liebst. Aber das ist ein Teil der Liebe. Diese Liebe, diese Freude war es, die unsere Köpfe bewegte und die ich mit diesem Film weiterreichen will.


Zur Person: Nenad Puhovski studierte Soziologie, Psychologie sowie Filmregie. Als Regisseur arbeitete er an mehr als 250 Theater-, Film- und Fernsehproduktionen. Seine Dokumentarfilme fokussieren meist gesellschaftspolitische Themen. Zudem ist er Gründer sowie Direktor von „ZagrebDox“, dem größten Dokumentar-Filmfestival in der Region und leitet als Professor ein MA-Programm zu Regie und Produktion im Dokumentarfilm-Bereich.


Valentine Auer lebt als freie Journalistin in Wien.

Zwei mal Jugoslawien

  • 04.04.2017, 20:19
„Beyond Boundaries – Brezmejno“ bewegt sich in einer ovalen Schleife um den slowenischen Sprachraum, während „Unten“ linear zwischen Linz und dem vormals serbischen Teil Kroatiens pendelt.

„Beyond Boundaries – Brezmejno“ bewegt sich in einer ovalen Schleife um den slowenischen Sprachraum, während „Unten“ linear zwischen Linz und dem vormals serbischen Teil Kroatiens pendelt.

Beide Filme verhandeln das politische und individuelle Erbe Jugoslawiens, bedienen sich aber gegensätzlicher dokumentarischer Erzählstrategien. „Beyond Boundaries – Brezmejno“ besucht im Modus der Rundreise jeweils unterschiedliche ProtagonistInnen, die zu Geschichte und gegenwärtigem Leben an unterschiedlichen Orten dies- und jenseits der slowenischen Staatsgrenze Auskunft geben: In Südkärnten wird eine BusfahrerIn porträtiert, die vom Kampf gegen patriarchale Zuschreibungen in ihrem Arbeitsalltag erzählt. Anderswo feiern Tito-Nostaligiker ein Fest in einem mit sozialistischen Devotionalien reich geschmückten Raum. Am Ufer der Mur philosophiert ein Landwirt mit Hochschulstudium über die Bedeutung des Grenzfluss als trennenden und verbindenden Faktor. In der durch die Grenze mit Italien seit Ende des Zweiten Weltkriegs zweigeteilten Stadt Goricia-Nova Goricia wird eine Filmemacherin am Schnitttisch besucht und so auf sehr reflektierte Art fremdes Filmmaterial, klar als solches geframet, in den Film einbezogen.

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„Unten“ wiederum stellt den Dokumentarfilmer selbst in den Mittelpunkt. Der Film beginnt in einem verwaisten Schulgebäude. Es wäre das von Filmemacher Djordje Čenić gewesen, wären seine Eltern nicht nach Linz gezogen, wo er als GastarbeiterInnenkind – zunächst in sehr ärmlichen Verhältnissen – aufwuchs. Mit den Jahren folgt ein allmählicher, durch harte Arbeit beider Elternteile ermöglichter, sozialer Aufstieg. Schließlich kann die Familie nach mehreren beengten Substandard-Wohnungen, vermittelt durch einen sozialdemokratischen Gemeinderat, eine Gemeindebauwohnung beziehen. In Österreich im sozialistisch-jugoslawischen Kulturverein politisch sozialisiert, bricht sich in den frühen 1990ern beim Regisseur – wie auch bei vielen anderen jungen Männern seiner Generation – eine politische Persönlichkeitsspaltung die Bahn. Oben (=Linz) nach wie vor links, mutiert er unten (=Kroatien) zum serbischen Nationalisten. Mittels biographischer Selbstreflexion zeigt der Film eindrucksvoll, wie schnell aus NachbarInnen, für die Kategorien wie Religion und vermeintliche nationale Zugehörigkeit weitgehend irrelevant waren, FeindInnen werden konnten. Doch der Film zeigt auch – und das ist seine Stärke –, dass alles nicht so kommen hätte müssen.

 

Beyond Boundaries – Brezmenjno, DE/SI/AT 2016.

Unten, AT 2016.

 

Florian Wagner studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien.

Geschichtsrevisionismus auf Jugoslawisch

  • 21.06.2016, 21:17
Die Rechte wird nicht nur in Österreich offensiver, auch in Serbien und Kroatien kommt es zu einer stärkeren Mobilisierung. Dies zeigt sich mitunter an vermehrten Übergriffen gegen Linke und Homosexuelle. Eine Analyse nationalistisch-religiöser Hegemonie in zwei Ländern des ehemaligen Jugoslawiens.

Die Rechte wird nicht nur in Österreich offensiver, auch in Serbien und Kroatien kommt es zu einer stärkeren Mobilisierung. Dies zeigt sich mitunter an vermehrten Übergriffen gegen Linke und Homosexuelle. Eine Analyse nationalistisch-religiöser Hegemonie in zwei Ländern des ehemaligen Jugoslawiens.

Am 31. März 2016 drangen sieben bewaffnete Männer in die Zadruga Oktobar, ein linkes Kulturzentrum in Belgrad, ein, verwüsteten das Lokal und verletzten Antifaschist*innen. Immer wieder liest man von gewaltvollen Übergriffen durch Rechtsextreme in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens: Ein weiteres, Beispiel hierfür ist die erste Pride Parade in Split, die 2011 abgebrochen werden musste, als rund 10.000 Menschen – mitunter bewaffnet – auf etwa 300 Teilnehmer*innen losgingen. Doch davon hört und liest man in Österreich kaum – und das, obwohl auch in Wien immer wieder rechtsextreme Botschaften aus dem Raum des ehemaligen Jugoslawiens im öffentlichen Raum sichtbar sind. Ustascha-Symbole beispielsweise, also Verweise auf jene faschistischen Brigaden, die im Zweiten Weltkrieg mit dem NS-Regime kooperiert hatten, sind in österreichischen Städten keine Seltenheit.

SERBIEN. Was aber alle Staaten des ehemaligen Jugoslawiens gemein haben ist, dass eine rechte Hegemonie zu beobachten ist." Rechte Kräfte haben es geschafft, „eine politische und ideologische Vormachstellung einzunehmen, die sich nicht zuletzt am bedeutenden Einfluss der Kirchen zeigt“, so Luka Matić, Doktorand am Institut für Philosophie der Universität Zagreb, der sich mit (neo-)faschistischen Bewegungen in Kroatien und Serbien auseinandersetzt. Die Situation in Serbien unterscheidet sich jedoch etwas von jener in Kroatien: Rechtsextreme Gruppierungen scheinen organisierter zu sein und offener mit staatlichen Behörden – vor allem der Polizei – zu kooperieren. „Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass der Angriff auf das Kulturzentrum Zadruga Oktobar von einer neofaschistischen und relativ neuen Gruppierung ausging, die sich aus Personen zusammensetzt, die in kämpferischen Konflikten zwischen Russland und der Ukraine aktiv waren“.

„Wir gehen davon aus, dass dieser Angriff eine Reaktion auf eine antifaschistische Gegendemonstration zu einem nationalistischen Marsch war – wobei wir uns hierbei nicht sicher sein können“, deuten Antifaschist*innen aus Belgrad, die aus Sicherheitsgründen nicht genannt werden wollen, die Attacke. Parallel dazu hat die rechtsextreme Partei Dveri – übersetzt bedeutet das „Die Türen“, ein Verweis auf die christlich-orthodoxe Kirche – bei den kürzlich stattgefundenen Wahlen den Einzug ins Parlament geschafft. Bei Dveri handelt es sich nicht bloß um eine Partei, sondern um eine rechtsextreme Plattform, die seit knapp einem Jahrzehnt bestens mit anderen nationalistischen Kräften vernetzt ist. Der Rechtsruck in Serbien wird auch auf einer anderen Ebene deutlich: Es kommt vermehrt zur Rehabilitation von Kriegsverbrechern durch serbische Gerichte. So wurde beispielsweise Dragoljub „Draža“ Mihailović, dessen Truppen an Kriegsverbrechen gegen Muslim*innen beteiligt waren, rehabilitiert und auch Milan Nedić, ein Kollaborateur mit dem NS-Regime und serbischer Nationalist, soll rehabilitiert werden.

KROATIEN. Auch in Kroatien ist eine enge Verflechtung rechtsextremer Positionen mit der Vormachtstellung der Kirche zu beobachten. Während es in Serbien die orthodoxe Kirche ist, ist es in Kroatien die katholische Kirche, die gesellschaftspolitisch eine wichtige Rolle spielt. Was immer wieder in Angriffen gegen LGBTQI-Personen gipfelt, ist das Ergebnis einer religiösnationalistischen Hegemonie. Das zeigt sich unter anderem in der Popularität der Band Thompson, im Speziellen ihres Frontmanns Marko Perković. Perković selbst ist bekannt dafür, immer wieder öffentlich Ante Pavelić, den kroatischen faschistischen Diktator und Führer der Ustascha-Bewegung, zu huldigen; auch besang er des Öfteren – und zwar nicht gerade kritisch – die beiden kroatischen Konzentrationslager Jasenovac und Stara Gradiška, in denen zehntausende Menschen ermordet wurden.

Die kroatische rechtsextreme Szene setzt sich aus vielfältigen Subszenen zusammen. Zum einen sind Veteranenorganisationen, die eine geschichtsrevisionistische Ideologie vertreten und kroatische Kriegsverbrechen leugnen, dominierend, zum anderen gibt es lose Verbindungen zu Fangemeinden verschiedener Fußballclubs und den Jugendorganisationen verschiedener rechter Parteien. Seit einigen Jahren kommt es innerhalb dieser Szene zu Verschiebungen, deren Resultat Parallelen zur Identitären Bewegung Österreichs aufweisen: Die NGO Urbana Desnica – „Urbane Rechte“ – aus dem Raum Split, also jener Region, in der es 2011 zu massiven Gewaltakten während der Pride Parade kam, wird immer größer. Diese Gruppe ist auch auf Facebook sehr aktiv und versucht, dem Rechtsextremismus eine moderne Fassade zu verleihen: Mit Hashtags, Memes und jugendlichem Slang wird Hetze gegen Antifaschist*innen, Homosexuelle und all jene, die nicht in das Bild eines katholisch-nationalistischen Kroatiens passen, betrieben. Der Generationenkonflikt innerhalb verschiedener rechtsextremer Gruppierungen wurde im Rahmen der Mobilisierung von U ime obitelji („Im Namen der Familie“), die ein Referendum gegen gleichgeschlechtliche Ehen initiierte, etwas aufgelöst.

RECHTE HEGEMONIE BRECHEN. „Es sind nicht bloß militante Gruppierungen, welche die rechtsextreme Szene ausmachen: In Kroatien gibt es viele lokale Fernsehsender, die von verschiedenen privaten Organisationen betrieben werden und größtenteils rechte Propaganda betreiben: etwa Hetze gegen Linke und Personen, die das Recht auf Abtreibung verteidigen“, so Mira L., Geschichtelehrerin aus Zagreb. Sowohl in Serbien als auch in Kroatien sind es nicht bloß rechtsextreme Gruppierungen, sondern auch die Vormachtstellung der ihnen zugrunde liegenden Ideologien, die Repression gegen Linke ermöglichT. „Wenn es in Kroatien relativ wenig Übergriffe gegen Linke gibt, liegt das vor allem daran, dass es der Linken nicht mehr möglich ist, offensiv und breit öffentlich aufzutreten“, heißt es von Mitgliedern verschiedener antifaschistischer Organisationen. Was also bleibt, ist zunächst die notwendige Offenlegung rechtsextremer Ideologien und die Hoffnung auf linke Organisation und Gegenhegemonie, die sich gegen Geschichtsrevisionismus und Nationalismus stellt. Diese Bewegungen müssen unterstützt werden – das bedeutet „fremden“ Nationalismus auch in Österreich, wo Thompson-Konzerte massenhaft besucht werden und nicht-österreichische Nationalismen selten thematisiert werden, anzusprechen.

Nora Zism hat Politikwissenschaft an der Universität Wien studiert.

Der Vaterror

  • 25.03.2015, 19:09

„Haunting“ ist wohl die beste Beschreibung für das Portrait des Vaters in Nina Bunjevac’ vor Kurzem erschienener Graphic Novel „Vaterland“; die deutschen Übersetzungen „beklemmend“ und „unvergesslich“ lassen die geister- und rätselhafte Komponente im Grinsen des serbischen Nationalisten vermissen.

In präzisen, kontrastreichen schwarz-weißen Bildern fährt Bunjevac die „Familiengeschichte zwischen Jugoslawien und Kanada“ nach und erzählt davon, was ihre Familie vom Balkan nach Nordamerika und zwei Mal wieder hin und zurück trieb. Und, wie ihr Vater zum dem Mann wurde, der im Ausland terroristische Anschläge auf jugoslawische Vertretungen und Tito-Sympathisant*innen durchführte.

Bei der einfühlsamen Nacherzählung ihrer Familiengeschichte vergisst Bunjevac nicht auf den politischen Kontext, aber auch nicht auf pointierte, makabere Spitzen. „Es lag etwas Böses und Kaltes in der Art, wie die Deutschen die Unerwünschten eliminierten. Mit so viel Leidenschaft, wie man braucht, um einen Dieselmotor zu perfektionieren“, zeichnet Bunjevac die systematische, industrielle Vernichtung der Juden während des zweiten Weltkrieges. „Im Gegensatz dazu widmete sich die Ustascha (kroatische Faschisten, Anm.) mit Herz und Seele ihrem praktischen Ansatz des systematischen Schlachtens.“ Bunjevac’ Graphic Novel ist hier, bei der Rekapitulation der Geschichte des Balkans, am stärksten und fetcheindrücklichsten. Selten wurden die historischen Verstrickungen so prägnant und verständlich auf den Punkt gebracht wie in den Rückblenden in „Vaterland“. Was unbeschreiblich und unüberblickbar scheint und an dessen Erklärung schon so viele Literat*innen und Publizist*innen gescheitert sind, wird in Bunjevac’ Buch zum Lehrstück, ohne jemals parteiisch zu werden. Und doch ist „Vaterland“ kein schwerer Familien- oder Historienepos, sondern ein feinfasriges Buch über das Private im Politischen.

Mit der Darstellung des Terrors (in diesem Fall übrigens die gerne „vergessene“ Ausformung des christlich-nationalistischen) trifft Bunjevac heute mit spitzem Stift einen Nerv und zeigt mit ihrer neuartigen Verarbeitung der Geschichte Jugoslawiens: Vielleicht ist die Graphic Novel ja die beste Form, den Landstrich, „der mehr Geschichte produziert, als er verarbeiten kann“, zu verhandeln.

Nina Bunjevac: „Vaterland“
avant-Verlag, 156 Seiten
24,95 Euro

 

Olja Alvir studiert Physik und Germanistik an der Universität Wien.