Judenverfolgung

Jüdische GenossInnen

  • 22.06.2017, 16:43
„Wir müssen Revolution machen, weil Gott es uns befiehlt. Gott will, daß wir Kommunisten sein sollen!“ *

„Wir müssen Revolution machen, weil Gott es uns befiehlt. Gott will, daß wir Kommunisten sein sollen!“ *
Viele der bedeutendsten VertreterInnen der ArbeiterInnenbewegung waren nicht jüdisch. Ebenso waren die meisten RevolutionärInnen, SozialistInnen oder KommunistInnen nicht jüdisch. Und dennoch trugen Juden und Jüdinnen gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil überproportional zur Entwicklung des Marxismus bei. Dies zeigt sich bereits an den Gründerfiguren dieser Bewegung: Karl Marx, Moses Hess, Ferdinand Lassalle, Rosa Luxemburg und Leo Trotzki wurden zu regelrechten Ikonen der internationalen ArbeiterInnenbewegung. Ihre jüdische Herkunft und die „Judenfrage“ beachteten die meisten von ihnen kaum. Antisemitismus war für sie Symptom der kapitalistischen Gesellschaft und würde in einer klassenlosen Gesellschaft nicht mehr existieren. Juden und Jüdinnen hätten sich im Lauf der Zeit assimiliert.

Als Leo Trotzki in seinem Wiener Exil die Oktoberrevolution plante, hätte er auch Vertreter des „Bunds“ oder der „Poale Zion“ treffen können. Beides jüdische Arbeitervereinigungen, die von Assimilation nichts wissen wollten. Sie kämpften explizit für die jüdischen ArbeiterInnen. Mit dem Ausbruch der Oktoberrevolution blickte die ganze Welt auf Russland, die Hoffnung auf eine gerechtere Welt weckte vielerorts große Erwartungen. Der bewusste Bruch der Sowjets mit dem Antisemitismus des Zarenreichs euphorisierte viele Juden und Jüdinnen, die begeistert im neuen Staat und an der Entwicklung eines neuen Menschen mitarbeiteten. Gleichzeitig litt vor allem die jüdische Bevölkerung in den Schtetln unter der neuen Wirtschaftspolitik und der religionsfeindlichen Haltung.

SOWJETISCHES ZION. In Wien verwies die jüdische, liberale Zeitung Dr. Blochs Wochenschrift am 14. Dezember 1917 stolz auf die jüdische Herkunft Trotzkis: „Trotzki hat seine Zugehörigkeit zum Judentum nie verleugnet, und als in einer politischen Diskussion ein Redner auf seine Abstammung die Anspielung machte, erwiderte er, er habe doch nie Ursache gehabt, seine Abstammung zu bedauern, der er ein geschärftes Verständnis für das Menschenelend der Vergangenheit und für die Aufgaben sozialer Gerechtigkeit in der Zukunft vielleicht zu danken habe.“ Kein Jahr später wurde in Wien die Kommunistische Partei Deutsch-Österreich gegründet. Von Beginn an nahmen einige jüdische GenossInnen bedeutende Positionen in der Bewegung ein, andere leisteten ihr Leben lang Parteiarbeit im Hintergrund. So Prive Friedjung, sie stammte aus einem Schtetl in Galizien, in den 20er-Jahren kam sie nach Wien und schloss sich der kommunistischen Partei an. Als es für sie nach dem Verbot der Partei 1933 und dem Februaraufstand 1934 immer schwieriger in Wien wurde, emigrierte sie in die Sowjetunion. In diesem Jahr kam es auch zu der offiziellen Gründung von Birobidschan, das als autonomes Siedlungsgebiet für jüdische SowjetbürgerInnen gedacht war. Das Projekt des sowjetischen Zion scheiterte an den schweren klimatischen Bedingungen und einer mangelnden logistischen Umsetzung, an der der verschwindende Wille an einer Forcierung einer jüdisch-sowjetischen Nation ablesbar war.

PARADIES AUF ERDEN. Bereits in diesen Jahren fanden die ersten Schauprozesse statt, die sich vor allem gegen (vermeintliche) trotzkistische AbweichlerInnen richteten, unter ihnen auch etliche JüdInnen. Zu Kriegszeiten war hingegen das Jüdische Antifaschistische Komitee auf Tour, um für Unterstützung im Krieg gegen Nazi-Deutschland zu werben. 1948 wurde dieses Komitee aufgelöst. Es folgten die sogenannten „Schwarzen Jahre“, in denen zahlreiche jüdische wie nicht-jüdische Personen verurteilt, verschickt und ermordet wurden. Das stalinistische Terrorsystem erreichte in diesen Jahren seinen Höhepunkt. Prive Friedjung befand sich zu dieser Zeit bereits wieder in Wien und arbeitete für sowjet-nahe Betriebe. Zu Zeiten des Kalten Krieges erlebte sie die feindliche Stimmung gegenüber der KPÖ, einer Partei, die in Österreich immer mehr in der politischen Bedeutungslosigkeit versank. Enttäuscht durch den innerparteilichen Umgang mit Mitgliedern und einer fehlenden Auseinandersetzung mit den Ereignissen in Ungarn und Prag, trat sie 1969 aus der Partei aus. 14 Jahre später trat sie ihr wieder bei, in der Hoffnung, die Partei würde die richtigen „Formen finden, die richtigen Wege gehen, um ihre Funktionen zu erfüllen“. Zu dieser Zeit hatte in der Sowjetunion die Refusenik-Bewegung und in Folge die Emigration sowjetischer Juden und Jüdinnen eingesetzt. Die meisten wanderten über Wien aus, einige blieben. Prive Friedjungs Memoiren tragen den Titel „Wir wollten nur das Paradies auf Erden“ und erzählen vom Traum einer jungen Frau aus einem Schtetl von einer gerechteren Welt. Lebensgeschichten, die von diesem Traum und oftmals von dessen Scheitern erzählen, werden in der Ausstellung im Jüdischen Museum Wien die jüdische Geschichte des Kommunismus – auf sowjetischer und auf österreichischer Seite – veranschaulicht.

Ausstellungshinweis: Genosse. Jude. Wir wollten nur das Paradies auf Erden.
6. Dezember 2017 bis 29. April 2018, Jüdisches Museum, Dorotheergasse 11, 1010 Wien

Gabriele Kohlbauer-Fritz ist Kuratorin im Jüdischen Museum Wien und Sammlungsleiterin.
Sabine Bergler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Jüdischen Museum Wien.

Jenseits bloßer Vorurteilsforschung

  • 10.03.2016, 15:12
Dem Band „Schiefheilungen. Zeitgenössische Betrachtungen über Antisemitismus“ ist eine Zusammenstellung von Texten gelungen, die präzise und anschaulich verschiedene Aspekte und Formen von Antisemitismus ausleuchten, ohne ihn als bloße Feindseligkeit gegen Juden und Jüdinnen zu vereinfachen.

Dem Band „Schiefheilungen. Zeitgenössische Betrachtungen über Antisemitismus“ ist eine Zusammenstellung von Texten gelungen, die präzise und anschaulich verschiedene Aspekte und Formen von Antisemitismus ausleuchten, ohne ihn als bloße Feindseligkeit gegen Juden und Jüdinnen zu vereinfachen.

Er bricht mit der häufigen Annahme, Antisemitismus habe etwas Wesentliches mit Juden und Jüdinnen zu tun und könne bekämpft werden, indem man nur zeigt, dass pejorative Vorstellungen nicht der Wirklichkeit entsprechen. Stattdessen sind die Beiträge gesellschaftstheoretisch wie psychoanalytisch fundiert und zeigen, dass Antisemitismus aus der sozialen und psychischen Lage der AntisemitInnen zu erklären ist. Inhaltliche Klammer ist dabei die Anlehnung an Theorien und Erkenntnisse von Karl Marx, Sigmund Freud, Theodor W. Adorno und Max Horkheimer. Abgesehen davon haben die Texte erstaunlich wenig gemeinsam. Der Sammelband ist transdisziplinär angelegt und enthält Zugänge aus Geschichtswissenschaft, Psychologie, Linguistik, Philosophie und kritischer Ökonomie. Das thematische Spektrum erstreckt sich von Grundlagen einer Sozialpsychologie des Antisemitismus über den Zusammenhang von Antisemitismus und Antiziganismus mit ökonomischen Verhältnissen über die nationalsozialistische Auffassung von Arbeit bis hin zur Demaskierung eines sich feministisch begreifenden Antisemitismus. Zudem wird im Buch dem nicht zuletzt auch im akademischen Milieu weitverbreiteten Antizionismus eine konsequente inhaltliche Kritik entgegengesetzt.

Neben den für sich genommen jeweils sehr gelungenen Beiträgen wurde es allerdings versäumt, sich mit islamischem Antisemitismus als einer der aktuell drängendsten Gefahren – nicht nur für Juden und Jüdinnen – auseinanderzusetzen. Dies mag daran liegen, dass eine Benennung islamischer Spezifika häufig zu einer automatischen Stigmatisierung als rassistisch und islamophob führt. Dabei würde sich eine Analyse des islamischen Antisemitismus hier gerade aufgrund des besonderen Fokus auf psychische Dispositionen und Subjektkonstitution anbieten, die eben nicht biologistisch argumentiert, wie dies in der populistischen Meinungsmache gegen MuslimInnen der Fall ist.

Marlene Gallner studiert Politikwissenschaft und Austrian Studies an der Universität Wien.

WU Wien: Erinnerung an einen Mikrokosmos des Grauens

  • 12.05.2014, 13:43

Am 8.Mai 2014 wurde am neuen Campus der Wirtschaftsuniversität Wien feierlich eine Skulptur enthüllt, die jenen jüdischen Studierenden, DozentInnen und MitarbeiterInnen ein Denkmal setzen soll, welche im Nationalsozialismus von der damaligen Hochschule für Welthandel vertrieben wurden. Margot Landl hat für progress online die Feierlichkeit besucht.

Am 8.Mai 2014 wurde am neuen Campus der Wirtschaftsuniversität Wien feierlich eine Skulptur enthüllt, die jenen jüdischen Studierenden, DozentInnen und MitarbeiterInnen ein Denkmal setzen soll, welche im Nationalsozialismus von der damaligen Hochschule für Welthandel vertrieben wurden. Margot Landl hat für progress online die Feierlichkeit besucht.

Cilja Odinac. Zacharias Mundstein. Walter Mann. Adele Romanowska. Die metallenen Schriftzüge glänzen in der Sonne. Zusammen ergeben sie eine große silberne Weltkugel, die seit kurzem in der Mitte des neuen Campus der Wirtschaftsuniversität Wien auf einer kleinen Grünfläche steht. Mehr als 110 Namen verschiedener Herkunft befinden sich auf der Kugel. In ihrer Modernität fügt sie sich gut in den Campus ein. Die Skulptur ist nicht vollständig, etwa ein Drittel der Fläche ist leer geblieben.  Laufend gehen Studierende an ihr vorbei, manche halten kurz an, um die Namen zu lesen. Die StudentInnen Jacqueline und Katja sind gerade auf dem Weg ins benachbarte Library and Learning Center und bleiben stehen, um die Kugel näher zu betrachten. „Durch einen Newsletter, der an alle StudentInnen ausgeschickt wurde, wissen schon einige über das Projekt Bescheid“, meint Jacqueline. Ihr persönlich gefällt die Skulptur. So auch Katja und sie ergänzt: „Die Kugel ist auch dann schön, wenn man nicht genau weiß, worum es geht.“

Dunkle Vergangenheit sichtbar machen

Die Skulptur auf dem WU-Campus ist ein Denkmal für jene Personen, die aufgrund ihrer jüdischen Herkunft im Lauf der Machtergreifung der Nationalsozialisten schrittweise von der damaligen Hochschule für Welthandel verbannt wurden. Und sie wurde auch im Gedenken daran errichtet , dass vielen von ihnen später noch Schlimmeres wiederfahren war. Es handelt sich um DozentInnen, Verwaltungspersonal und vor allem Studierende. „Jene Studierenden, denen man an ihrer Hochschule für Welthandel die Chance auf ein Leben genommen hat, welches sie sich gewünscht hätten“, nennt sie der Rektor der WU Christoph Badelt in seiner Ansprache bei der symbolischen Enthüllung der Kugel am 8.Mai 2014. Bewusst wurde der Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus für die Festlichkeit ausgewählt, denn auch die eigene dunkle Vergangenheit soll damit sichtbar gemacht werden, wie es der Rektor formuliert. „Auch wenn die damalige Hochschule für Welthandel nur ein kleiner Bereich war, war sie ein Mikrokosmos des Grauens.“

Ungefähr eineinhalb Jahre haben Peter Berger, WU-Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte und sein Mitarbeiter Johannes Koll gebraucht, um die Liste der Namen zu erstellen, die heute als Teil der silbernen Kugel auf dem WU-Campus stehen. Die beiden Wissenschaftler recherchierten in Archiven, Datenbanken, Printmedien sowie Internetressourcen und knüpften Kontakte mit den Hinterbliebenen und Nachfahren der Vertriebenen. Aus dieser Forschungsarbeit entstand auch ein virtuelles Gedenkbuch, welches Kurzbiografien zu vertriebenen, ausgegrenzten oder ermordeten Mitgliedern der damaligen Hochschule für Welthandel enthält. Es ist in deutscher, englischer und polnischer Sprache verfügbar, da die Mehrheit der vertriebenen jüdischen StudentInnen aus Polen war. Vollständig ist die Liste jedoch vermutlich trotzdem nicht, da viele Spuren nicht nachvollzogen werden können. Deshalb hoffen die Historiker, über das Projekt zu weiteren Informationen und Denkanstößen zu gelangen.

Der WU-Professor und Wirtschaftshistoriker Peter Berger hat mit seinem Mitarbeiter Johannes Koll die Liste der Vertriebenen rekonstruiert. Foto: Christopher Glanzl

Doch die vollständige Rekonstruktion der Lebensläufe ist besonders problematisch. „Die Schwierigkeiten beginnen damit, wenn man wissen will, wohin die Menschen gegangen sind“, erklärt Peter Berger im Gespräch. Wie die anderen Universitäten und Hochschulen Österreichs war auch die damalige Hochschule für Welthandel an einer Rückholung der Vertriebenen nicht besonders interessiert. Lediglich ein Professor wurde nach dem Krieg wieder an die Hochschule geholt und auch nur einer von etwa 80 vertriebenen StudentInnen nahm das Studium nach 1945 wieder auf. Deshalb bietet ein Drittel des Denkmals noch Platz für Ergänzungen und auch das Gedenkbuch wird ständig aktualisiert. Vor 1938 war über die Hälfte der Studierenden der Hochschule für Welthandel jüdischer Herkunft. „Die Vertreibung war nur der Höhepunkt eines langen unrühmlichen Prozesses. Davor herrschte schon lange ein Klima des Hasses, des Mobbings und der physischen Bedrängnis“, erklärt Rektor Badelt in seiner Ansprache. „Als Mensch, der 1951 geboren ist und mehr als 60 Jahre des Wohlstands miterlebt hat, stehe ich selbst fassungslos der Geschichte meiner eigenen Universität gegenüber.“

Zwischenstopp am Weg zum Hörsaal

Etwa 200 Menschen wohnen der feierlichen Enthüllung der Skulptur in der Mitte des neuen Campus bei, die von der Ö1-Radiosprecherin Ina Zwerger eröffnet und moderiert wird. 130 Sitzplätze wurden für BesucherInnen in Form von Metallsesseln zur Verfügung gestellt. Dahinter und an der Seite  beobachten viele Zaungäste das Ereignis. Es ist elf Uhr Vormittag und damit Hochbetrieb an der Uni. Unzählige Studierende gehen vorbei und werfen neugierige Blicke auf die Veranstaltung. Einige bleiben an der Seite des abgetrennten Sitzbereichs stehen und schauen neugierig zu. Auch Marina unterbricht ihren Laufschritt von einem zum anderen Universitätsgebäude kurz, um festzustellen, worum es hier geht. „Ich wusste noch gar nichts über das Projekt. Aber ich finde es gut, dass man der Menschen gedenkt, die vertrieben worden sind“, meint sie zustimmend. Danach macht sie sich gleich wieder auf den Weg in den Hörsaal.

Allerdings sind nicht alle besonders begeistert, wie beispielsweise Philipp. Er beobachtet die Veranstaltung etwas länger und blickt gelangweilt auf die Bühne. Er hält die 25-seitige Broschüre in der Hand, die von der WU extra für das Gedenkprojekt herausgegeben wurde. „Eigentlich interessiere ich mich nicht vordergründig dafür, ich war nur gerade da und es betrifft meine Uni. Von der Veranstaltung habe ich über das Radio erfahren“, meint Philipp. Er deutet auf die Tische für den Sektempfang im Hintergrund und fragt in sarkastischem Tonfall: „Gibt’s da dann koscheres Essen für alle oder wie?“.

Borodajkewycz-Affäre
Bevor der Sekt serviert wird, folgen noch einige Reden. Nach Rektor Badelt richtet die Rektorin der Universität für angewandte Kunst Eva Blimlinger einen längeren Redebeitrag an das Publikum. Denn die Skulptur entstand aus einer Zusammenarbeit der beiden Hochschulen. 28 StudentInnen und AbsolventInnen der Universität für angewandte Kunst reichten Vorschläge für das Denkmal ein, aus denen von einer Fachjury schließlich die Arbeit von Alexander Felch ausgewählt wurde. Blimlinger ist auch Historikerin und schlägt den Bogen zwischen Kunst und Geschichte. In ihrer Ansprache geht sie auf die Borodajkewycz-Affäre ein, die ein unrühmliches Kapitel in der Geschichte der WU nach 1945 darstellt. Der Historiker Taras Borodajkewycz war von 1934 bis 1945 Mitglied der NSDAP und wurde bereits 1946 im Zuge der Minderbelastetenamnestie rehabilitiert. 1955 erhielt er den Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte an der damaligen Hochschule für Welthandel. In seinen Vorlesungen propagierte er öffentlich bis in die 1960er Jahre hinein antisemitisches Gedankengut sowie seine fortbestehenden Sympathien für den Nationalsozialismus.

Der spätere sozialdemokratische Finanzminister Ferdinand Lacina und der heutige Bundespräsident Heinz Fischer waren damals seine Studenten. Sie veröffentlichten seine Vorlesungsinhalte und lösten eine gesellschaftspolitische Diskussion aus. 1965 wurde bei einer Demonstration gegen Taras Borodajkewycz der ehemalige Widerstandskämpfer Ernst Kirchweger von dem Rechtsradikalen und RFS-Mitglied Günther Kümel brutal niedergeschlagen. Zwei Tage später verstarb Kirchweger an den Folgen des Angriffs. Er wird als „Erstes Opfer der Zweiten Republik“ bezeichnet. Taras Borodajewycz wurde schließlich 1966 bei vollen Bezügen zwangspensioniert. „Man kann sagen, dass Taras Borodajkewycz bis zu seinem Tod 1984 ein illegaler Nationalsozialist war“, resümiert Eva Blimlinger.

Eva Blimlinger thematisierte die Taras Borodajkewycz-Affäre auf der Pressekonferenz zum Mahnmal. Foto: Christopher Glanzl

Ein Riss, der nie ganz geschlossen werden kann

Die Präsentation des Mahnmals ist bewusst international und öffentlich gehalten. Neben der Bühne wehen die Fahnen der EU, Österreichs, Wiens und der WU im Wind.  Eine Stunde davor fand bereits eine Pressekonferenz statt, bei der Christoph Badelt, Eva Blimlinger, Peter Berger und Johannes Koll JournalistInnen das Projekt gegenüber der Presse präsentiert hatten. Die Pressemappe ist zweisprachig und Teile der Redebeiträge sind zweisprachig. Manche Personen sprechen Englisch, einige Herren tragen eine Kippa. Auch die Skulptur symbolisiert laut deren Gestalter Alexander Felch eine Weltkugel, auf der sich die Vertriebenen im Falle einer gelungenen Emigration verstreut haben.

Durch das Mahnmal sollen sie symbolisch zurück in den Kreis der Universität geholt werden. Die Öffnung an der Seite der Kugel steht für den Riss, den der Nationalsozialismus in der Welt hinterlassen hat und der - auch wenn künftig Namen ergänzt werden - nie ganz geschlossen werden kann. „Ich bin selbst der Sohn einer russischen Jüdin, aber bei mir war das nie ein Thema. Darüber bin ich sehr froh“, erklärt der Künstler, der an der Angewandten Bildende Kunst und Kunst im öffentlichen Raum studiert hat und jetzt in Wien und St. Petersburg lebt und arbeitet.

Die Skulptur wurde von dem Künstler Alexander Felch gestaltet. Sie stellt eine Weltkugel dar, auf der sich die Vertriebenen im Falle einer gelungenen Emigration verstreut haben. Foto: Christopher Glanzl

Warum erst jetzt?

Doch bei allgemeiner Begrüßung und Wertschätzung des Projekts stellt sich doch die Frage: Warum passiert das alles erst jetzt? Warum hat es fast 70 Jahre gebraucht, um das Leid der von der Hochschule für Welthandel vertriebenen Juden und Jüdinnen angemessen zu würdigen? Eva Blimlinger nimmt in ihrer Rede zu dem Vorwurf des stark verspäteten Gedenkens folgendermaßen Stellung: „Es kommt spät, das Gedenken. Sehr spät, ja. Der Einwand mag berechtigt sein. Aber meiner Ansicht nach ist es für so etwas nie zu spät.“

„Ich selbst habe von 1971 bis 1975 hier studiert und damals war das politische Klima an der WU noch ein deutlich intoleranteres. Heute haben die Studierenden hier nicht mehr diese Einstellung“, erzählt Paul Berger im Gespräch. Dennoch gab es auch in der jüngeren Vergangenheit schon Versuche der Aufarbeitung: „Bereits 1990 wurde anlässlich des hundertjährigen Bestehens der Universität ihre Geschichte in zwei Bänden und eine Sonderausgabe der Österreichischen Zeitschrift für Politikwissenschaft veröffentlicht. Den Anstoß für dieses konkrete Projekt gab die Anfrage der Amerikanerin Ilse Nusbaum im Jahre 2012, welche posthum das Doktorat für ihren Vater Karl Löwy beantragte.“ Karl Löwy und Arthur Luka waren zwei jüdische Doktoranden, welche Ende 1938 ihre Doktorarbeit eingereicht hatten. Die Promotion wurde ihnen allerdings verweigert, da sie „mosaisch zu den Rigorosen nicht zugelassen“ waren. So wurden sie noch stärker diskriminiert als jene 13 jüdischen DoktorandInnen, welche 1938 ohne Feierlichkeit promovieren konnten. „Es ist gesetzlich nicht möglich, Karl Löwy den Doktortitel im Nachhinein zu verleihen“, erklärt Berger, „doch Ilse Nusbaum hat das Forschungsprojekt ins Laufen gebracht.“ Während sich die Spur von Arthur Luka 1941 im Konzentrationslager verliert, schaffte es Karl Löwy, in die USA zu emigrieren, in der er 1970 verstarb.

WU-Rektor Christoph Badelt will einen Anreiz für Studierende schaffen, sich politisch zu engagieren, „damit nicht ein Hundertstel von dem jemals wieder passiert, was damals geschehen ist.“ Foto: Christopher Glanzl

Christoph Badelt nennt vor allem den Neubau der Wirtschaftsuniversität als Anlass für das erneute Aufrollen des Themas. „Heute haben es die StudentInnen hier schön. Aber sie sollen sich auch an Zeiten erinnern, die nicht so schön waren“, plädiert der Rektor in seiner Rede. Er will einen Anreiz für Studierende schaffen, sich politisch zu engagieren, „damit nicht ein Hundertstel von dem jemals wieder passiert, was damals geschehen ist.“ Am Ende seiner Rede bezieht er sich schließlich konkret auf die aktuelle politische Lage: „Wehret den Anfängen, nicht nur Antisemitismus, sondern auch Rassismus! Verwendet eure Ausbildung, um ein Leben voll Demokratie, Menschenrechten und Toleranz zu führen und tretet jenen entgegen, die – in diesem konkreten politischen Umfeld Europa – diese Werte zuerst mit Worten, aber später auch mit Taten, mit Füßen treten!“

Gedenkbuch der WU Wien: http://gedenkbuch.wu.ac.at/

Die Autorin Margot Landl studiert Lehramt Deutsch und Geschichte sowie Politikwissenschaften an der Universität Wien.

Eine Jugend im Konzentrationslager Theresienstadt

  • 31.03.2014, 13:56

Helga Pollak-Kinsky, 1930 in Wien geboren, war zwölf als sie im Jänner 1943 zusammen mit ihrem Vater Otto Pollak nach Theresienstadt deportiert wurde. “Mein Theresienstädter Tagebuch 1943-1944 und die Aufzeichnungen meines Vaters Otto Pollak” wurde im eigens dafür gegründeten Verlag edition Room 28 veröffentlicht. progress online hat mit der Herausgeberin Hannelore Brenner über dieses einzigartige, zeithistorische Dokument und über die Schwierigkeiten für dieses einen Verlag zu finden gesprochen.

Helga Pollak-Kinsky, 1930 in Wien geboren, war zwölf als sie im Jänner 1943 zusammen mit ihrem Vater Otto Pollak nach Theresienstadt deportiert wurde. “Mein Theresienstädter Tagebuch 1943-1944 und die Aufzeichnungen meines Vaters Otto Pollak” wurde im eigens dafür gegründeten Verlag edition Room 28 veröffentlicht. progress online hat mit der Herausgeberin Hannelore Brenner über dieses einzigartige, zeithistorische Dokument und über die Schwierigkeiten für dieses einen Verlag zu finden gesprochen.

progress online: Wie kam es zur Zusammenarbeit zwischen Ihnen und Helga Pollak-Kinsky?

Hannelore Brenner: 1996 habe ich ein Hörfunk-Feature über die Kinderoper „Brundibár“ von Hans Krása und Adolf Hoffmeister für den Sender Freies Berlin gemacht; ein Jahr später übrigens für den ORF. Im Rahmen der Recherchen lernte ich einige Überlebende von Theresienstadt und Auschwitz kennen. Ich war damals auch in den USA, um Ela Weissberger zu sprechen, die in den Theresienstädter Aufführungen von ‚Brundibár‘ die Katze gespielt hatte. Sie erzählte viel von ihren ‚Freundinnen vom Zimmer 28‘. Beim Abschied ermunterte sie mich, im September nach Prag zu kommen, wo sie sich mit einigen ihrer Freundinnen treffen wollte. Das tat ich, und das war der Beginn. Ich lernte einen außerordentlichen Freundeskreis kennen und erfuhr eine Geschichte, die mich nicht mehr losließ. Ich besuchte die Frauen – zunächst Anna Hanusová in Brünn und Helga Pollak-Kinsky in Wien.

Und dann haben Sie mit der Arbeit an dem Buch „Die Mädchen von Zimmer 28“ begonnen?

So schnell ging das nicht. Aber als ich Flaška (Anna Hanusová) in Brno und Helga in Wien besuchte, zeigten sie mir wertvolle Dokumente. Flaška ihr Poesiealbum und Helga ihr Tagebuch. Dabei sprachen sie davon, dass sie etwas tun wollten zur Erinnerung an die Mädchen, die nicht überlebten, auch etwas zur Erinnerung und Würdigung der Erwachsenen, die sich um sie gekümmert haben. Ich wollte diese Idee spontan unterstützen Wir haben uns gut verstanden, trafen uns dann öfters und sprachen immer wieder über dieses Vorhaben. Dann wurde ein Projekt daraus.

Ab 1998 trafen wir uns  - Helga, Flaška und weitere Überlebende von Zimmer 28 –regelmäßig im September in Spindlermühle, Riesengebirge, um an dem Projekt zu arbeiten. Sechs Jahre später erst, im März 2004, kam endlich das Buch heraus - „Die Mädchen von Zimmer 28“. Ohne Helgas Tagebuch und die Aufzeichnungen ihres Vaters hätte das Buch nicht geschrieben werden können. Es diente nicht nur mir als roter Faden, um die Geschichte dieser Mädchen zu erzählen, es diente auch ihren Freundinnen als Katalysator der Erinnerung.

Dachten Sie damals schon daran, Helgas Tagebuch als separates Buch zu veröffentlichen?

Ja, natürlich. Ich hätte damals schon gerne Helgas Tagebuch als eigenständiges Buch veröffentlicht. Es ist ja ein wunderbares Dokument. Aber es galt, die gemeinsame Geschichte dieser Mädchen zu schreiben. Das war das Anliegen, der Ausgangspunkt. Es sollte ein Buch werden zur Erinnerung an die Mädchen, die umgekommen sind. Helga hat ihr Tagebuch ganz bewusst in den Dienst dieses Anliegens gestellt.

Als ich später für Helgas Tagebuch einen Verlag suchte, lehnten alle ab. Es stehe doch schon alles in dem Buch über ‚Die Mädchen von Zimmer 28‘, hieß es oft. Aber das stimmt natürlich nicht. Es ist eine ganz andere Geschichte, Helgas genuin persönliche Geschichte.

Sie haben extra einen Verlag gegründet, um die Tagebücher herauszugeben, warum war es so schwierig einen Verlag zu finden?

Das verstehe ich selbst am wenigsten. Ich habe immer wieder Briefe und Exposés an Verlage geschrieben, aber es kamen nur Ablehnungen. Eigentlich ein Wahnsinn – wenn ich an die vielen Lesungen mit Helga, an die vielen Zeitzeugengespräche und Veranstaltungen mit ihr denke und an das Interesse an ihr und dem Tagebuch. Helga ist eine äußerst sympathische und beeindruckende Persönlichkeit und alle waren immer sehr berührt von ihr und den Lesungen und viele haben gefragt: Warum ist das Tagebuch nicht längst veröffentlicht? Irgendwann war für mich klar: Ich muss das Buch einfach selber herausbringen.

Das Buch besteht ja nicht nur aus Helgas Tagebüchern, sondern auch aus den Notizen des Vaters, Briefen, Postkarten, historischen Fakten und Interviews. Wie ist entschieden worden, was ins Buch hineinkommt?

Wir wollten ein Buch machen, das vor allem von jungen Menschen gelesen wird. Das heißt, es genügte nicht, einfach die Dokumente abzudrucken. Sie mussten in den historischen und biografischen Kontext gestellt werden, vieles musste erklärt werden, verständlich gemacht werden. Vor allem die Kindheitsgeschichte musste erzählt werden. Erst durch sie erfährt man, wer Helga war, wie sie in Wien und dann in Gaya/Kyjov (heute Tschechische Republik) gelebt hat bevor sie nach Theresienstadt kam. Ihre Kindheit zu kennen heißt, ihr Tagebuch besser zu verstehen und das, was ihr und ihrem Vater widerfahren ist. In dem Kapitel ihrer Kindheit lernt man auch viele der Verwandten kennen, von denen am Ende fast alle nicht mehr da sind.

Ja, und dann stellten sich einige Fragen. Wie mit der Tatsache umgehen, dass der dritte Band von Helgas Tagebuch verloren gegangen ist, dass ihre Aufzeichnungen im April 1944 aufhören? Wie die Geschichte zu Ende erzählen? Die Antwort lag auf der Hand. Denn in den Aufzeichnungen ihres Vaters spiegelt sich vieles von dem wieder, was Helga erlebte. So musste das Kalendertagebuch eingeflochten werden, so dass die Aufzeichnungen des Vaters dort, wo Helgas Tagebuch endet, die Geschichte weiter erzählen. Es kommt hinzu, dass ich natürlich weiß, dass Helga sich an vieles erinnert, was nicht in ihrem Tagebuch steht; ich bin sicher, im dritten Band wäre einiges zu lesen gewesen – über die Kinderoper Brundibár, Friedl Dicker-Brandeis, die Konzerte, die sie besuchte, Rafael Schächter, über die Transporte im Mai und über vieles andere. Also war es nötig, auch dies zu beleuchten und so kam es zu den Interviews.

Das Kulturleben in Theresienstadt und die Bedeutung, die es gehabt haben muss, ist auch beim Lesen der Tagebücher auffallend.

Vor allem Musik, Konzerte. Sie beschreibt immer wieder Konzerte. Und dann ihre Erinnerungen an Verdis Requiem, an Rafael Schächter. Ja, Sie haben vollkommen Recht – es bedeutete ihr sehr viel.

Und auch die Literatur.

Auch die Literatur, ja. Oder die philosophischen Gespräche, die sie mit ihrem Vater führte. Sie wird ja manchmal sehr philosophisch. Da sind wunderschöne Stellen drin! Zum Beispiel schreibt sie einmal nachdem sie ein Konzert erlebt hat: „Musik ist die schönste Schöpfung der menschlichen Seele, die der Mensch aus dem Nichts geschaffen hat.“ Oder sie schreibt darüber, dass sie oft an sich zweifele, und dass sie mit Rita darüber gesprochen habe und Rita ihr sagte: „Nur dumme Leute sind sich ihres Handelns und ihrer selbst sicher. Je klüger ein Mensch, desto mehr zweifelt er.“ Und dann fügte sie hinzu: “DENKEN IST DIE SCHÖNSTE SACHE“.

Es sind so kluge Sachen drin. Helga denkt viel über die Welt nach, verliert sich manchmal für Augenblicke in ihrer Gedankenwelt, träumt von der Zukunft, malt sich in ihrer Vorstellung die Zukunft aus, dass sie eines Tages studieren und Ärztin oder Wissenschaftlerin wird.

Es erzählt ja auch die Geschichte einer Jugend.

Ja, Helga kommt mit zwölf Jahren nach Theresienstadt, sie ist noch ein Kind. In den folgenden Monaten reift sie heran, man spürt den Übergang von der Kindheit hin zum Erwachsenenalter, erlebt mit wie sie sich verändert und immer reflektierter wird, nachdenkt über Dinge, über die viele junge Menschen nachdenken. Ich glaube, dass heutige Jugendliche sich in sie einfühlen, sich mit ihr identifizieren können. Und ich glaube, dass die Lektüre von Helgas Tagebuch vergleichbar ist mit dem Tagebuch der Anne Frank.

Ich bedaure sehr, dass der dritte Band verlorenging. Denn gerade gegen Ende des zweiten Bandes fängt sie an, erstaunlich dichterisch zu werden. Der letzte Eintrag vom 5. April 1944 – er ist phantastisch! Sie erzählt ein wunderbares Märchen -  es liest sich wie eine Parabel auf ihre eigene Geschichte. Ein Märchen, das ihr die Musik eingab, während sie einem Beethoven-Konzert zuhörte. Dieses Märchen könnte genauso wie es geschrieben ist, als Kinderbuch veröffentlicht werden.

Was ist mit dem dritten Tagebuch geschehen?

Helga hatte 1951 geheiratet und lebte mit ihrem Mann zunächst in Bangkok, dann in Addis Abeba. Als sie 1956 wieder nach Europa zurückkehrten und sie ihr Umzugsgut auf dem Schiffsweg nach London transportieren ließen, kam ein großer Teil zerstört am Hafen an. Auf dem Schiff war ein Feuer ausgebrochen und hatte einige Container in Brand gesetzt, in einem war der dritte Band des Tagebuchs.

Ein Glück, dass es die Kalendernotizen von Otto Pollak gibt.

Otto Pollak erzählt die Geschichte weiter. Von ihm erfahren wir, was er erlebte und was Helga erlebte, ehe sie am 23. Oktober 1944  nach Auschwitz deportiert wurde. Doch nach dem 19. Oktober 1944 sind die Seiten im Kalender von Otto Pollak leer. Zu schwer war es für ihn, mit ansehen zu müssen, wie seine Tochter nach Auschwitz deportiert wurde. Er konnte nicht mehr schreiben. Was dann geschah, können nur Erinnerungen und vereinzelte Dokumente vermitteln.

 

Am 1. April um 19:00 Uhr wird “Mein Theresienstädter Tagebuch 1943-1944 und die Aufzeichnungen meines Vaters Otto Pollak” im Top Kino in Anwesenheit von Helga Pollak-Kinsky mit anschließender Podiumsdiskussion präsentiert:

http://edition-room28.de/Termine.html

Hier kann man das Buch bestellen: http://edition-room28.de/index.html

 

Sara Schausberger hat Germanistik studiert und arbeitet als Kulturjournalistin (u.a. für den Falter) in Wien.