Judentum

Jüdische GenossInnen

  • 22.06.2017, 16:43
„Wir müssen Revolution machen, weil Gott es uns befiehlt. Gott will, daß wir Kommunisten sein sollen!“ *

„Wir müssen Revolution machen, weil Gott es uns befiehlt. Gott will, daß wir Kommunisten sein sollen!“ *
Viele der bedeutendsten VertreterInnen der ArbeiterInnenbewegung waren nicht jüdisch. Ebenso waren die meisten RevolutionärInnen, SozialistInnen oder KommunistInnen nicht jüdisch. Und dennoch trugen Juden und Jüdinnen gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil überproportional zur Entwicklung des Marxismus bei. Dies zeigt sich bereits an den Gründerfiguren dieser Bewegung: Karl Marx, Moses Hess, Ferdinand Lassalle, Rosa Luxemburg und Leo Trotzki wurden zu regelrechten Ikonen der internationalen ArbeiterInnenbewegung. Ihre jüdische Herkunft und die „Judenfrage“ beachteten die meisten von ihnen kaum. Antisemitismus war für sie Symptom der kapitalistischen Gesellschaft und würde in einer klassenlosen Gesellschaft nicht mehr existieren. Juden und Jüdinnen hätten sich im Lauf der Zeit assimiliert.

Als Leo Trotzki in seinem Wiener Exil die Oktoberrevolution plante, hätte er auch Vertreter des „Bunds“ oder der „Poale Zion“ treffen können. Beides jüdische Arbeitervereinigungen, die von Assimilation nichts wissen wollten. Sie kämpften explizit für die jüdischen ArbeiterInnen. Mit dem Ausbruch der Oktoberrevolution blickte die ganze Welt auf Russland, die Hoffnung auf eine gerechtere Welt weckte vielerorts große Erwartungen. Der bewusste Bruch der Sowjets mit dem Antisemitismus des Zarenreichs euphorisierte viele Juden und Jüdinnen, die begeistert im neuen Staat und an der Entwicklung eines neuen Menschen mitarbeiteten. Gleichzeitig litt vor allem die jüdische Bevölkerung in den Schtetln unter der neuen Wirtschaftspolitik und der religionsfeindlichen Haltung.

SOWJETISCHES ZION. In Wien verwies die jüdische, liberale Zeitung Dr. Blochs Wochenschrift am 14. Dezember 1917 stolz auf die jüdische Herkunft Trotzkis: „Trotzki hat seine Zugehörigkeit zum Judentum nie verleugnet, und als in einer politischen Diskussion ein Redner auf seine Abstammung die Anspielung machte, erwiderte er, er habe doch nie Ursache gehabt, seine Abstammung zu bedauern, der er ein geschärftes Verständnis für das Menschenelend der Vergangenheit und für die Aufgaben sozialer Gerechtigkeit in der Zukunft vielleicht zu danken habe.“ Kein Jahr später wurde in Wien die Kommunistische Partei Deutsch-Österreich gegründet. Von Beginn an nahmen einige jüdische GenossInnen bedeutende Positionen in der Bewegung ein, andere leisteten ihr Leben lang Parteiarbeit im Hintergrund. So Prive Friedjung, sie stammte aus einem Schtetl in Galizien, in den 20er-Jahren kam sie nach Wien und schloss sich der kommunistischen Partei an. Als es für sie nach dem Verbot der Partei 1933 und dem Februaraufstand 1934 immer schwieriger in Wien wurde, emigrierte sie in die Sowjetunion. In diesem Jahr kam es auch zu der offiziellen Gründung von Birobidschan, das als autonomes Siedlungsgebiet für jüdische SowjetbürgerInnen gedacht war. Das Projekt des sowjetischen Zion scheiterte an den schweren klimatischen Bedingungen und einer mangelnden logistischen Umsetzung, an der der verschwindende Wille an einer Forcierung einer jüdisch-sowjetischen Nation ablesbar war.

PARADIES AUF ERDEN. Bereits in diesen Jahren fanden die ersten Schauprozesse statt, die sich vor allem gegen (vermeintliche) trotzkistische AbweichlerInnen richteten, unter ihnen auch etliche JüdInnen. Zu Kriegszeiten war hingegen das Jüdische Antifaschistische Komitee auf Tour, um für Unterstützung im Krieg gegen Nazi-Deutschland zu werben. 1948 wurde dieses Komitee aufgelöst. Es folgten die sogenannten „Schwarzen Jahre“, in denen zahlreiche jüdische wie nicht-jüdische Personen verurteilt, verschickt und ermordet wurden. Das stalinistische Terrorsystem erreichte in diesen Jahren seinen Höhepunkt. Prive Friedjung befand sich zu dieser Zeit bereits wieder in Wien und arbeitete für sowjet-nahe Betriebe. Zu Zeiten des Kalten Krieges erlebte sie die feindliche Stimmung gegenüber der KPÖ, einer Partei, die in Österreich immer mehr in der politischen Bedeutungslosigkeit versank. Enttäuscht durch den innerparteilichen Umgang mit Mitgliedern und einer fehlenden Auseinandersetzung mit den Ereignissen in Ungarn und Prag, trat sie 1969 aus der Partei aus. 14 Jahre später trat sie ihr wieder bei, in der Hoffnung, die Partei würde die richtigen „Formen finden, die richtigen Wege gehen, um ihre Funktionen zu erfüllen“. Zu dieser Zeit hatte in der Sowjetunion die Refusenik-Bewegung und in Folge die Emigration sowjetischer Juden und Jüdinnen eingesetzt. Die meisten wanderten über Wien aus, einige blieben. Prive Friedjungs Memoiren tragen den Titel „Wir wollten nur das Paradies auf Erden“ und erzählen vom Traum einer jungen Frau aus einem Schtetl von einer gerechteren Welt. Lebensgeschichten, die von diesem Traum und oftmals von dessen Scheitern erzählen, werden in der Ausstellung im Jüdischen Museum Wien die jüdische Geschichte des Kommunismus – auf sowjetischer und auf österreichischer Seite – veranschaulicht.

Ausstellungshinweis: Genosse. Jude. Wir wollten nur das Paradies auf Erden.
6. Dezember 2017 bis 29. April 2018, Jüdisches Museum, Dorotheergasse 11, 1010 Wien

Gabriele Kohlbauer-Fritz ist Kuratorin im Jüdischen Museum Wien und Sammlungsleiterin.
Sabine Bergler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Jüdischen Museum Wien.

„Es hat ja damit angefangen…“

  • 27.01.2014, 11:40

Marko Feingold (*1913) hat das Vernichtungslager Auschwitz überlebt und ist heute Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg. Djordje Čenić hat mit ihm für progress online über sein Leben nach 1945 und die österreichische Rechte gesprochen.

Marko Feingold (*1913) hat das Vernichtungslager Auschwitz überlebt und ist heute Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg. Djordje Čenić hat mit ihm für progress online über sein Leben nach 1945 und die österreichische Rechte gesprochen.

progress online: Herr Feingold, die Kamera läuft, es wird ab jetzt alles aufgezeichnet. Wenn Sie etwas nicht aufgezeichnet haben wollen, dann sagen Sie es einfach.

Marko Feingold: Nein, ich bin ein offenes Buch, ich habe keine Angst. Ich stehe im Telefonbuch drinnen, ich habe keine Probleme diesbezüglich. Ich bin sogar interessiert daran, dass das weitergetragen wird, denn die Zeitzeugen sind viel weniger geworden.

Wir Österreicher haben unsere Geschichte nicht aufgearbeitet. Jetzt immer mehr kommt es heraus, insbesondere von der Sozialistischen bzw. Sozialdemokratischen Partei gedeckt, dass ja rot ziemlich braun gefärbt wurde, antisemitisch von Anfang an. Und jetzt kommt die Geschichte: Das ist ganz einfach entstanden, als 1938 der Dr. Karl Renner gleich für den Anschluss war. Er war für den Anschluss und wir gingen ins KZ, weil wir gegen den Anschluss waren. Nach 45 wollte er niemanden da haben, der wusste, was er 1938 gemacht hat. Was mich persönlich betrifft, am 11. April 45 ist Buchenwald befreit worden, unter den vielen Nationen, ich glaube 28 Nationen waren da, sind 27 Nationen geholt worden. Nur die 500 Menschen aus Österreich nicht. Wir werden bei den Amerikanern vorstellig, wir wollen nach Hause. „Ja, aber wir haben momentan keine Transportmittel.“ Da haben wir drei Busse der Verkehrsbetriebe von Weimar gekapert. 128 Häftlinge, durchwegs politische Häftlinge, gemischt - Juden, Nichtjuden -, so waren wir unterwegs, über Nürnberg, München, Salzburg, Linz. Da kommen wir an die Zonengrenze. „Halt!“ Die Russen lassen uns nicht durch. Auf Befehl von Renner dürfen keine KZler, keine Juden und keine Vertriebenen zurückkommen.

Warum eigentlich? Damit keiner da ist, der weiß, was 38 war!  So ein Mann, der für den Anschluss war, hätte niemals Bundespräsident werden dürfen. Denn er musste schon wissen, als Politiker musste er schon wissen, was in Deutschland war seit 33, in den fünf Jahren bis 38. Schon aus dem Grund hätte er Nein sagen müssen.

Und nach 1945 hat er sich mehr um die armen Nazi gekümmert, die da jetzt sind. Ob er daran gedacht hat, er könnte aus den Nazis Rote machen, darüber will ich nicht diskutieren. Selbst Politiker, die bei uns mit dabei waren, niemanden hat er durchgelassen. Ein Freund von mir, der Frau und Kind in Wien hatte, der wird jetzt 120 Kilometer vor Wien aufgehalten und er darf nicht nach Wien kommen. Das ist der Stand, von dem man ausgegangen ist. Man soll es nicht in die Länge ziehen, hat man da gleich formuliert. Auf der anderen Seite: Wehret den Anfängen. Man hat ja noch nicht Schluss gemacht und man soll schon den Anfängen wehren. Also lauter Blödsinn.

Das Absinken beider Parteien, dadurch konnte ja dann 1948 der VDU respektive die FPÖ auf einmal eine große Partei werden, denn sie waren alle rechtsradikal noch immer. Und in Salzburg ist man am rechtsradikalsten von ganz Österreich, man will es nur nicht zugeben. Die Schmierereien jetzt in der letzten Zeit sind das typische Beispiel. Wenn ich sage, Salzburg ist antisemitisch, streiten das Alle ab. Hätte ich das nicht 1945 erlebt, dann dürfte ich das ja nicht sagen, aber ein einziger Satz wird ihnen bestätigen, ich habe Recht.

In Salzburg waren ja ein paar hunderttausend Flüchtlinge, darunter auch sehr, sehr viele jüdische Flüchtlinge. Für die Flüchtlinge besorgten die Amerikaner Lebensmittel, die Stadtgemeinde musste nur die Kasernen, die damals alle leer waren, zur Verfügung stellen. Eines Tages kommt man zu mir, die Lager sind überfüllt, wir müssen die Leute weiterbringen. Es waren darunter jüdische Flüchtlinge,  die nach Palästina zogen - offiziell keine Möglichkeit. Bis hierher hat man sie mit unechten Fahrausweisen, mit falschen Papieren gebracht. Ganze Züge sind mit ihnen gekommen. Ich will auf das nicht eingehen, sie waren jedenfalls dann hier. Da ich perfekt Italienisch gesprochen habe, ich war sechs Jahre vorher in Italien, war es naheliegend für mich. Also ich muss das irgendwie arrangieren. Jetzt ist es so, man braucht Autos. Die Landesregierung hat alle im Land Salzburg stehengebliebenen Militärfahrzeuge gesammelt. Wenn ein Frächter jetzt ein Fahrzeug braucht, wird das geschwärzt. Er bezahlt, er kann es haben. An diese Stelle wurde mir empfohlen zu gehen. Ich wusste selbst nichts davon. Und ich ging dorthin.

Marko Feingold erzählt über seine Rückkehr nach Österreich. Foto: Djordje Čenić

Aber: „Nein, nein.“ „Passen Sie auf“, sagte ich, „es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder ich kriege die Autos, die ich brauche, oder die Juden bleiben da.“ „Wie viele brauchen Sie?“

Was ist das? Ist das antisemitisch oder nicht? Die Juden bleiben da – ein Schreckgespenst – und auf einmal: „Wie viele Autos brauchen Sie?“ Ich habe sechs bekommen.

So sehe ich schon 45 alles und so sehe ich das ununterbrochen weiter, Jahr für Jahr und immer wieder. Ein paar tausend Mal bin ich hier angegangen worden, ich war ja in Salzburg sehr bekannt – „Herr Feingold, warum gehen sie nicht nach Palästina?“ „Wenn Sie nach Rom gehen, gehe ich nach Palästina.“ Dann  sind die Leute draufgekommen, dass das doch ein bisschen zu hart war.

1948 die Gründung des VDU in Salzburg. Warum nicht in Kärnten, warum nicht in der Steiermark, warum in Salzburg? Überall hat´s geheißen, in Salzburg wären mehr Nazi, die Stadt der Erhebung, und was weiß ich was. Man kann darüber diskutieren - ausgerechnet in Salzburg!

Hier bei uns, der ORF hat sie engagiert, als Reporter, bei den Zeitungen, sind sie untergekommen. Canavals Schützlinge waren sie alle, das ist der Chef der Salzburger Nachrichten gewesen. Das ist ja alles hier zusammengekommen. Die Kameradschaft IV, eine SS-Formation, ich glaube sie marschieren jetzt auch noch am 1.November auf. Nur die meisten gehen auf Krücken oder werden auf Wägen herumgeführt, weil sie schon so alt sind.

Aber es hat Jahrzehnte Schwierigkeiten am Friedhof gegeben. Wir haben immer einen Tumult am 1. November gehabt, weil die sind in Reih und Glied marschiert zum Heldendenkmal und haben dort ihre Kränze hingelegt. Einige Male hat ein Münchner Künstler sogar die Schleifen abgeschnitten, weil sie hatten das Original- SS-Zeichen drauf, was nicht sein darf. Es hat einen Prozess gegeben gegen ihn. Ích glaube, zwei bis drei Jahre hat er nicht nach Salzburg kommen können, bis man das irgendwie eingestellt hat. Er war im Recht.

Jetzt nehme ich an, Sie haben auch irgendwelche Fragen?

In Salzburg gibt es seit Monaten Nazi-Schmierereien. Sie sind davon auch betroffen…
Wir sind gut versichert, wir werden das durch die Versicherung gedeckt bekommen. Aber die neue Gegensprechanlage ist kaputt, verschmiert. Es ist kein Bild zu sehen. Wir haben es schon versucht zu reinigen, aber ich glaube, es wird nicht werden. Die erste Anlage wurde beschädigt. So, dann haben wir eine neue Anlage bekommen. Wenige Tage später schon, mit einem harten Metallgegenstand eingeritzt, aber es hat noch funktioniert. Dann begannen die Schmierereien. Und das soll kein Antisemitismus sein?

Wissen Sie, das wachsame Auge unsereins sieht diese Sachen. Es stört sie natürlich. Andere sehen es ja nicht, oder sie wollen es nicht sehen, oder sie finden das sind Lausbübereien. Aber wie heißt so schön der Satz? Wehret den Anfängen.

Ja, was ist ein Anfang? Ein Anfang ist die Lausbuberei, ich habe es aus den 20er Jahren heraus in Erinnerung, es hat ja damit angefangen.

Was halten Sie von der FPÖ?

Ich war mit Haider sehr gut. Und ich habe intensive Gespräche mit ihm geführt. Ich habe ihm gesagt, er soll die scharfen Kanten, die er hat, mildern, dann könnte er tragbar werden. Aber hat auf mich nicht gehört. Die Betrügereien in Kärnten, die nach seinem Tod ans Licht gekommen sind, waren skandalös. Er hat ganz Kärnten in den Ruin geführt mit seinen Machenschaften. Er und seine Umgebung, lauter Gangster!  

Würden Sie nicht sagen, dass Haider ein dem Nationalsozialismus zumindest zugetaner Mensch war? Kann man das so sagen?

Ja, ja, ja.

War er ein Antisemit?

Das ist die alte Geschichte. Jeder Germane hat einen Juden gehabt, den er gut leiden konnte.

Und in Haiders Fall waren Sie das anscheinend.

Ja.

Sie hatten nie Berührungsängste?

Keine. Im Gegenteil. Er war einmal in Salzburg, als wir gerade bei der Gründung des Jüdischen Instituts bei einem Kollegen waren, unter der Festung. Auf einmal ruft mich ein befreundeter Notar an und teilt mir mit, der Haider ist da und wäre bei unserem Treffen gerne dabei. Es sei nicht mein Haus, ich bin nicht der Einlader, aber ich würde den Kollegen fragen, ob er was dagegen hat. Da gibt es eine Menge Fotos von ihm und mir zusammen im Gespräch oben. Und ich habe ihn gefragt, ob er sich bei der Finanzierung des Instituts beteiligen will. Ja, mit 800.000 Schilling. Er ist dann mit der Riess-Passer und einem Rechtsanwalt gekommen und hat mir einen Vorschuss von 400.000 gegeben. Daraufhin gab es eine Ausstellung von Künstlern bis 1938 in Österreich. Eine wunderbare Ausstellung. Wo immer man sie zeigte, wurde sie verlängert. Ich habe einen Platz gefunden, von den Festspielen zur Verfügung gestellt. Alles bestens, alles schönstens. Und wir haben eine Pleite gehabt. 200.000 Schilling Schaden. Durch die 400.000 konnten wir das abdecken. Sonst hätten wir es aus unseren Taschen bezahlen müssen. Die restlichen 400.000 habe ich nie gekriegt.

Ich habe noch ein paar persönliche Fragen an Sie. Sie sind ja 1945 eher durch Zufall in Salzburg gelandet… Hatten Sie jemals den Gedanken wegzugehen?

Nein, nein. Vielleicht als letzter Jude würde ich weggehen. Oder mich begraben lassen. Nein, ich hatte nie die Absicht, denn das hieße die Flinte ins Korn zu werfen. Nein, das kann ich nicht.

Glauben Sie, dass die Umtriebe der, nennen wir es einmal, Nazis schlimmer werden?

Nein. Nein, also ich persönlich fürchte keine Angriffe. Und außerdem wissen Sie, es wird sich keiner eine Ehre antun, einem 100-jährigen etwas anzutun. Mit der Zuversicht lebe ich. Es wird sich herausstellen, ob es stimmt oder nicht.

 

Marko Feingold (*1913 in Wien) ist Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde in Salzburg und betreut die Salzburger Synagoge. 1939 wurde Feingold nach Auschwitz deportiert. Von 1941 bis 1945 war er im KZ Buchenwald interniert, nach der Befreiung ließ er sich in Salzburg nieder, wo er bis zu seiner Pensionierung 1977 ein Modegeschäft betrieb. Marko Feingold ist aktiv als Zeitzeuge in Schulen und Pfarrgemeinden unterwegs und hat mit „Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh“ seine Überlebensgeschichte geschrieben.   

Feingold, Marko M.: Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh. Picus Verlag, Wien 2000.

 

Lina Čenić ist Juristin und Rechtsberaterin im Flüchtlingsbereich. Djordje Čenić ist Historiker und Filemacher.

 

 

Politaktivismus meets Isratrash

  • 12.12.2013, 11:20

Am 14. Dezember öffnen Ursula Raberger (32) und Stefan Schaden (37) zum vierten Mal die Pforten zum Wiener Kibbutz Klub. Doch das mittlerweile „angesagteste Event der Stadt“ ist weit mehr als eine Party. progress online hat mit den beiden GründerInnen über den Kibbutz Klub, die Wahrnehmung der jüdischen Kultur und den Antisemitismus gesprochen.

Am 14. Dezember öffnen Ursula Raberger (32) und Stefan Schaden (37) zum vierten Mal die Pforten zum Wiener Kibbutz Klub. Doch das mittlerweile „angesagteste Event der Stadt“ ist weit mehr als eine Party. progress online hat mit den beiden GründerInnen über den Kibbutz Klub, die Wahrnehmung der jüdischen Kultur und den Antisemitismus gesprochen.

progress online: Warum organisiert ihr in Wien eine Party mit israelischer Popmusik?

Ursula Raberger: Ich liebe Mizrahi Musik und israelischen Pop. Und ich liebe auch den Trashfaktor, der dieser Musik anhaftet. Hinzu kommt, dass Stefan und ich in der israelsolidarischen Szene aktiv sind und auch die AktivistInnen-Plattform QueerHebrews gemeinsam betreiben.

Stefan Schaden: Ich habe insgesamt zwei Jahre in Israel gelebt. Die israelische Musik ist während dieser Zeit ein Teil meines Alltags gewesen und ich habe sie in Österreich natürlich weitergehört. Politisch bin ich - wie Ursula bereits gesagt hat - in israelsolidarischen Gruppen aktiv. Bei meiner politischen Tätigkeit habe ich das Problem erkannt, dass israelische KünstlerInnen und Kulturschaffende in Österreich und Europa boykottiert werden, und dass Diskussionen über die Legitimität eines Boykotts israelischer Produkte geführt werden. Mit dem Kibbutz Klub schaffen wir einen Raum für israelische Kunst und Musik und zeigen gleichzeitig, dass ein Boykott nicht legitim ist.

Ursula: Ich bin Mitarbeiterin beim internationalen LGBT-Filmfestival TLVFest in Tel Aviv und habe dort Kulturboykott miterlebt. Nach dem Vorfall auf der Gaza-Flottille im Jahr 2010 haben FilmemacherInnen aus Brasilien ihre Filme zurückgezogen. Das hat mich schockiert, da dieses Filmfestival einen offenen Platz für Diskussionen bietet. Bei Israel wird aber ein anderer Maßstab angewendet. Auch in Österreich haben Stefan und ich erlebt, dass Filme aus Israel auf österreichischen Filmfestivals kaum gezeigt werden. Das ist wirklich schade. Denn es gibt wirklich viele tolle FilmemacherInnen, SängerInnen und MusikerInnen aus Israel, die hier nicht bekannt sind. Diesen Mangel wollen wir mit unserer Party ausgleichen.

 

Foto: Gregor Hofbauer

 

Wann habt ihr beschlossen den ersten Kibbutz Klub zu veranstalten?

Ursula: Stefan und ich haben sehr lange überlegt, ob wir so eine Party in Österreich überhaupt machen können. Denn leider gibt es noch immer einen sehr gravierenden und vorherrschenden Antisemitismus in diesem Land. Die Entscheidung für die Party ist im Sommer 2012 gefallen. Das war zu jener Zeit, als die FPÖ ihren unsäglichen und explizit antisemitischen Cartoon verbreitet hat und Fußballfans einen Rabbi am Wiener Schwedenplatz antisemitisch beschimpft haben. Antiisraelische Ressentiments waren damals und sind auch heute hierzulande sowieso immer anzutreffen. Daher haben Stefan und ich uns gesagt: Jetzt erst recht.

Stefan: Der heutige Antisemitismus reagiert sich stark am Staat Israel ab. Deswegen organisieren wir den Kibbutz Klub, um ein Stachel zu sein und den Raum zu besetzen.

 

Mit eurer Party erweitert ihr die Wahrnehmung jüdischer Kultur abseits der weit verbreiteten Klezmermusik.

Stefan: Die Klezmermusik bedient ein Klischee und kommt eigentlich aus einer zerstörten Kultur. Mittlerweile ist es so, dass man in Österreich nicht mehr so ein großes Problem mit den während des Nationalsozialismus getöteten Jüdinnen und Juden hat. Es wird ja auch „schon“ der Shoah gedacht und bei diversen Gedenkveranstaltungen werden traurige Mienen aufgesetzt. Aber das alles verkommt zum Ritual und es gibt kein Spillover zum heutigen Antisemitismus und der Tatsache, dass sich dieser sehr stark an Israel abreagiert und es Vernichtungsdrohungen gegen Israel gibt.

Ursula: Mich hat die Einweihung der Wachsfigur von Anne Frank in Madame Tussauds in Wien sehr gestört. Das ist etwas, das mir übel aufstößt und für mich eine Verkitschung des Todes von sechs Millionen jüdischen Menschen darstellt. Das möchte ich mit meiner jüdischen Identität nicht mittragen. Dagegen wehre ich mich. Da kann man noch so eine betroffene Miene machen und meinen, dass das total tragisch wäre. Denn in Wahrheit geht es um das Abfeiern der toten Jüdinnen und Juden. Wenn es aber um den Staat Israel geht, dann werden antisemitische Aussagen getätigt.

 

Das Leben in Israel und der Antisemitismus werden abseits von Kriegsberichterstattung und Dokumentarfilmen über die Shoah kaum thematisiert. Was meint ihr dazu?

Stefan: Es gibt ein aktuelles und ganz „tolles Beispiel“ über die Wahrnehmung des Antisemitismus in Österreich. Im ORF lief die Sendung Menschen und Mächte über die 1980er Jahre in Österreich. Darin wurde natürlich auch über die Waldheim-Affäre 1986 berichtet. Und auch die internationale Kritik an Waldheim wurde darin angesprochen. Der Sprecher der Doku sagte: „Die Angriffe des jüdischen Weltkongresses förderten antisemitische Ressentiments.“ So nach dem Motto: die Juden sind am Antisemitismus Schuld. Das ist typisch für Österreich.

Ursula: Stefan und ich versuchen bei den Queer Hebrews auf derartige Missstände hinzuweisen. Und es ist uns sehr wichtig zu betonen, dass aus unserer aktivistischen Arbeit heraus der Kibbutz Klub entstanden ist. Denn der Kibbutz Klub ist quasi die einzige Party, um die israelische Kunst und Kultur - die hier weitgehend ignoriert wird – zu fördern und bekannt zu machen.

 

Foto: Gregor Hofbauer

 

Welche Leute besuchen den Kibbutz Klub?
Ursula:
Ich war beim ersten Mal überrascht, dass das Publikum so gemischt ist. Denn den Kibbutz Klub besuchen Gay-Hipster, junge jüdische Leute, StudentInnen von der Bildenden und Angewandten ebenso wie Anzugträger.  Dieser wilde Mix feiert dann eine Party, die auch Queer ist. Zur Party kommen aber auch jene, die mit der LGBT-Szene sonst nichts zu tun haben und feiern mit. Und es freut mich, dass wir mit unserem DJ Aviv (without the Tel) – der als Israeli in Berlin lebt – bei unserem Publikum Stimmung machen.

 

Hattet ihr auch unangenehme Erlebnisse mit manchen Gästen?

Stefan: Wir verwenden unter anderem den Hebrew Hammer – das sind aufblasbare Luftmatratzen in Hammerform mit Israelfahne - als Dekorationsobjekt. Einmal ist eine junge Frau zu mir gekommen und hat mich folgendes gefragt: „Was ist denn das für ein Hammer? Hat der etwas mit der Unterdrückung der Palästinenser zu tun?“ Ich habe wirklich keine Ahnung, was die Fantasie von dieser Person war.

Ursula: Wann immer eine Israelfahne zu sehen ist – oder auch eine noch so kleine Israel-Anstecknadel – wird man blöd angemacht. Aber über andere Fahnen – wie beispielsweise jamaikanische Fahnen auf Reggae-Partys – regt sich niemand auf.

 

Foto: Gregor Hofbauer

 

KIBBUTZ KLUB – THE CHOSEN PARTY

Samstag: 14.12.2013, 22:00 Uhr
CLUB U, Künstlerhauspassage, Karlsplatz, 1010 Wien, www.club-u.at

DJ Aviv without the Tel (Berlin Meschugge)
DJ J'aime Julien (Malefiz)
VJ Alkis

Eintritt: 5 Euro
Cocktails Happy Hour 22:00-23:00 Uhr
SPECIAL: israelisches Bier GOLDSTAR – solange der Vorrat reicht!

 

Kontakt: kibbutzklub@gmail.com

facebook.com/KibbutzKlub

facebook.com/qhebrews

 

„Hoppauf, Hakoah!“

  • 01.12.2013, 13:17

Der jüdische Sportverein Hakoah Wien zählt seit mehr als 100 Jahren zu einem der erfolgreichsten Sportvereine Österreichs. Eine Fotoreportage von Margot Landl und Sarah Langoth.

Der jüdische Sportverein Hakoah Wien zählt seit mehr als 100 Jahren zu einem der erfolgreichsten Sportvereine Österreichs. Eine Fotoreportage.

Der SC Hakoah wurde im Jahr 1909 als Zeichen jüdischer und zionistischer Kultur und gleichzeitig als Reaktion auf die in immer mehr Sportvereinen gültigen rassischen Arierparagrafen gegründet. Diese schlossen Juden und Jüdinnen in Zeiten des wachsenden Antisemitismus immer stärker vom gesellschaftlichen und damit vereinssportlichen Leben aus. In der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg feierte die Hakoah viele Erfolge und war weltweit einer der erfolgreichsten Breitensportvereine. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde auch die Hakoah aufgelöst und enteignet.

Nach 1945 konnte die Vereinstätigkeit jedoch bald wieder aufgenommen werden. Heute steht ein modernes Sportzentrum auf dem etwa 2000 Quadratmeter großen Grundstück im zweiten Wiener Gemeindebezirk, welches dem Verein erst 70 Jahre nach seiner Enteignung zurückgegeben wurde.

 

Foto: Sarah Langoth

„Hakoah“ ist hebräisch und bedeutet so viel wie „Kraft“. Der Verein war ein Teil jüdischer Kultur und ist es auch heute noch. „Heute besitzen wir etwa 500 Mitglieder und natürlich sind die meisten davon jüdischer Religion, doch wir sind offen für Menschen aus allen Kulturen und Religionen“, erklärt der Präsident des Vereins Paul Haber.

„Viele Menschen kommen auch einfach zu uns, weil sie unsere Angebote nutzen möchten. Markus Rogan ist auch erst zum Judentum übergetreten, als er schon lange nicht mehr bei uns trainiert hat. Nicht der Hakoah, sondern der Liebe wegen“, schmunzelt er.

 

Foto: Sarah Langoth

Der Präsident Paul Haber ist der 69-jährige Sohn von Karl Haber, der die Hakoah nach dem Krieg neu gegründet hat. „Ich bin im Verein groß geworden. Meine Großeltern sind alle im Krieg umgekommen, viele Verwandte emigriert oder gestorben. Die Hakoah war, wenn man so will, ein Familienersatz.“

In der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg zählte die Hakoah etwa 8000 Mitglieder – „So viel, wie heute die ganze Kultusgemeinde“, überlegt Paul Haber. Der Verein war mehr als ein Sportklub, er hatte ein eigenes Orchester, veranstaltete Bälle und die Fußballmatches zogen auch Juden und Jüdinnen an, die sich sonst eher wenig für Sport begeisterten. 25.000 ZuschauerInnen bei einem Derby waren keine Seltenheit. Der Schlachtruf lautete: „Hoppauf, Hakoah!“.

 

Foto: Sarah Langoth

Mannschaftssportarten wie Fußball, Handball oder Wasserball waren beliebte Disziplinen beim SC Hakoah. Ein Wasserballer, der auf anderem Weg berühmt geworden ist,  ist der Schriftsteller Friedrich Torberg. Heute besteht der Verein aus den Sektionen Basketball, Bowling, Judo, Karate, Schwimmen, Tennis, Tischtennis, Wandern und Skifahren.

 

Foto: Sarah Langoth

Bela Guttmann war 1925 mit dem Fußballklub der Wiener Hakoah österreichischer Meister, danach führte er als Trainer beispielsweise Spanien zu einem Sieg im Europacup.

Der Fußballplatz war, damals wie heute, immer ein Ort der Emotionen. Mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten wurde auch das Fußballfeld immer mehr zum Platz der Diskriminierung und der Gewalt, bis schließlich ab 1933 die sportliche Tätigkeit der Hakoah in allen Bereichen immer stärker eingeschränkt und schließlich unterbunden wurde.

 

Foto: Sarah Langoth

Eine der erfolgreichsten und berühmtesten Schwimmerinnen der Hakoah war Hedy Bienenfeld. Sie gewann nicht nur verschiedene österreichische, sondern auch zahlreiche internationale Meistertitel, beispielsweise bei den Maccabiaden, der größten jüdischen, internationalen Sportveranstaltung.

Bei vielen Wettbewerben waren die SportlerInnen offenen antisemitischen Angriffen ausgesetzt. „Bei manchen Bewerben musste die Hakoah-Ringerstaffel die Schwimmerinnen bis zum Start begleiten“, erzählt Paul Haber. Nicht alle von ihnen nahmen diesen Zustand wortlos hin: Im Jahr 1936 verweigerten die Schwimmerinnen Judith Deutsch, Lucie Goldner und Ruth Langer neben einigen Leichtathleten die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Berlin aus Protest gegen die nationalsozialistische Rassenideologie – eine Entscheidung, die nach den Statuten des Internationalen Olympischen Komitees erlaubt war. Daraufhin wurden sie durch den österreichischen Schwimmverband lebenslänglich gesperrt und es wurden ihnen alle Titel aberkannt. Es dauerte bis in die 1990er Jahre, bis die Sportlerinnen öffentlich rehabilitiert wurden.

 

Foto: Sarah Langoth

Paul Haber zeigt auf die vielen Pokale, Plaketten und Medaillen, die in den Schaukästen im Eingangsbereich des Sportzentrums ausgestellt sind: „Die Hakoah konnte in allen betriebenen Sportarten mindestens einen Staatsmeistertitel vorweisen, in einigen Bereichen konnte man sogar Weltklassesportler hervorbringen, wie beispielsweise Ringen oder Schwimmen. In den 1930ern  waren wir der größte Allroundsportklub der Welt.“

Der SC Hakoah war auf Breitensport hin ausgerichtet, das Angebot des Vereins vor dem Zweiten Weltkrieg umfasste dreizehn verschiedene Sportarten: Fußball, Schwimmen, Ringen, aber beispielsweise auch Fechten oder Schach. Trotzdem, oder genau deshalb, gelang es, in einigen Sportarten SportlerInnen bis an die Weltspitze zu bringen.

 

Foto: Sarah Langoth

In dem Museum des SC Hakoah, welches eine Enklave des Jüdischen Museums Wiens ist, sind Fotos, Texte und Gegenstände ausgestellt, welche hauptsächlich die Zeit vor 1945 thematisieren. Der muskulöse Mann auf dem Schwarz-Weiß-Foto ist Paul Haber im Jahr 1964, als er österreichischer Meister im Schwimmen wurde.

Schwimmen war eine der wenigen Sportarten, welche im Verein kontinuierlich ausgeübt werden konnte, da man dafür nicht viele Ressourcen benötigte. Als nach dem Zweiten Weltkrieg der Verein die meisten seiner, vor allem jungen Mitglieder und sein gesamtes Eigentum verloren hatte, waren Schwimmen und Leichtathletik vorerst die einzigen Sportarten, die weiter praktiziert werden konnten.

 

Foto: Sarah Langoth

Da das Sportzentrum erst 2008 nach der Rückerstattung des Hakoah-Grundstücks gebaut wurde, ist es äußerst modern ausgestattet. „Es ist mit Sicherheit eines der modernsten Fitnessstudios Österreichs“, beurteilt Paul Haber.

Durch die Zusammenarbeit mit der TU und Universität Wien soll auch alles getan werden, um immer auf dem neuesten Stand der Forschung zu bleiben. Ein Team aus PhysiotherapeutInnen, SportmedizinerInnen, TrainerInnen und LeistungssportlerInnen steht den Mitgliedern des Vereins zur Verfügung.

 

Foto: Sarah Langoth

Das Sportzentrum besitzt eine sogenannte „Dreifach-Halle“, welche in drei einzelne Hallen unterteilt werden kann. Diese wird unter der Woche von der benachbarten jüdischen Zwi Perez Chajes-Schule genutzt, die dort ihren Turnunterricht abhält.

Auf der anderen Seite des Gebäudes grenzt das Maimonides-Zentrum an, eine Kombination aus betreutem Wohnen und Seniorenheim für vorwiegend jüdische Personen. Auch einige von diesen kommen regelmäßig in das Fitness- und Wellnesscenter.

 

Foto: Sarah Langoth

Der Außenbereich der Sportanlage besteht aus drei Tennisplätzen, einem Hartplatz und einem Swimming Pool für den Sommer. Alle Sektionen haben hier ihren Standpunkt, außer die Bowling- und die Schwimmsektion, die in eigenen Hallen in anderen Bereichen Wiens trainieren.

 

Foto: Sarah Langoth

Neben dem Fitnessbereich besitzt das Sportzentrum auch einen modernen Wellnessbereich mit Sauna, Solarium und Massagemöglichkeit. Ebenso gibt es einen Aufenthaltsbereich im Freien für den Sommer, einen Seminarraum oder eine Cafeteria, das Tagesgericht ist ein Falafelteller.

„Wir haben ein relativ hohes Durchschnittsalter im Verein, die ältesten Mitglieder sind über 80 Jahre alt. Ich selbst lege als Sportmediziner einen besonderen Schwerpunkt auf ältere Menschen“, erzählt Paul Haber. Andererseits ist der Verein auch eine Trainingsakademie für LeistungssportlerInnen und bringt immer wieder Medaillenhoffnungen wie den Judoka Stephan Hegyi hervor. Alle Generationen sollen eingeladen sein.

 

Sportclub Hakoah
Karl Haber Sport & Freizeitzentrum
Simon-Wiesenthal-Gasse 3 (Eingang: Wehlistr. 326)
1020 Wien

Telefon: +43/1/726 46 98 - 0
FAX:      +43/1/726 46 98 - 999
e-Mail:    office@hakoah.at

Öffnungszeiten:
 Mo. - Fr. (werktags): 08:00 - 22:30
 Sa., So., feiertags:    09:00 - 21:00

Wiens „Shooting Girls“

  • 24.02.2013, 09:41

Jüdische Fotografinnen dominierten die begehrtesten und erfolgreichsten Foto­studios. Das Jüdische Museum Wien zeigt ihre Geschichte und Arbeiten.

Jüdische Fotografinnen dominierten die begehrtesten und erfolgreichsten Foto­studios. Das Jüdische Museum Wien zeigt ihre Geschichte und Arbeiten.

Auf der Treppe zum zweiten Stock des Jüdischen Museums Wien in der Dorotheergasse blickt den BesucherInnen eine Gestalt entgegen: Um den Hals eine große, schwarze Kamera aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ein schweres Stativ und eine Lampe geschultert, in der Hand eine Tasche mit weiterem Zubehör: Eine professionelle Fotografin am Weg zur Arbeit. Es handelt sich um Lilly Joss Reich, eines jener „Vienna Shooting Girls“, denen das Museum derzeit eine zweistöckige Ausstellung widmet. Denn die Fotostudios in Wien vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs waren fest in weiblicher, jüdischer Hand.

Von Trude Fleischmann bis Alice Schalek nutzten jüdische Frauen eine der wenigen Nischen in der bildenden Kunst, die ihnen die Männer gelassen hatten, und betrieben bald die erfolgreichsten und renommiertesten Ateliers der Stadt. 1907 eröffnete Dora Kallmus, später besser bekannt als Madame d’Ora, als erste Frau ein Fotostudio in Wien. An der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt durfte sie nur als Gasthörerin anwesend sein, ihr Atelier wure später zu einer Lehr- und Lernstätte für den Fotografinnennachwuchs. Gleich zu Beginn der Ausstellung begegnen BesucherInnen ihr und ihren rund vierzig Kolleginnen: Ein Selbstporträt zeigt sie halb hinter einer schwarzen Katze versteckt, ein wenig skeptisch in die Kamera blickend. Mit ihrem ganz eigenen Stil der Mode- und Porträtfotografie prägte Kallmus viele jüngere Kolleginnen und wurde selbst in der Metropole Paris berühmt und geschätzt.

Berufsfotografinnen. Schon im 19. Jahrhundert waren in Wiens Fotostudios zahlreiche Frauen zugange, allerdings meist als namenlose Helferinnen oder Ehefrauen. Als eine der ersten selbstständigen Berufsfotografinnen expandierte Bertha Wehnert-Beckmann von Leipzig aus nach Wien und New York. Die Fotografie war jedoch bereits vor ihrer Ankunft in Österreich durchaus auch in weiblichen Händen. In der 1861 gegründeten Photographischen Gesellschaft tummelten sich auch weibliche Mitglieder wie etwa Julie Haftner, Wien konnte zudem drei weibliche k.u.k. Hoffotografinnen verzeichnen. Mit der Entwicklung der handlicheren Klein- und Mittelformatkameras sowie der Öffnung der „Graphischen“ für  Frauen 1908 boomte das Fotografinnenwesen in Wien.

Besonders Frauen des liberalen jüdischen Bürgertums wählten den Beruf der Fotografin. Sie stammten aus Elternhäusern, in denen auch Mädchenbildung ein Thema war. Der Anteil jüdischer Schülerinnen in den Mädchenlyzeen des späten 19. Jahrhunderts war etwa achtmal so hoch wie der Anteil jüdischer BürgerInnen an der Gesamtbevölkerung. Die wachsende Zahl jüdischer Fotografinnen illustrieren sowohl eine Projektion des Wiener Stadt plans in der Mitte des ersten Raumes, auf der immer mehr Punkte für den Zuwachs an Studios stehen, als auch die Porträts erfolgreicher jüdischer Frauen, die sich wiederum von Frauen fotografieren ließen. So finden sich Porträts von Berta Zuckerkandl, Bertha von Suttner, aber auch Rosa Mayreder.

Aber nicht nur Frauen, alles, was Rang und Namen hatte, kam in die Studios der Fotografinnen: Kaiser Karl I. von Österreich samt Thronfolger Otto, Admirale und Fürsten. SchauspielerInnen ließen sich in ihren Rollenkleidern ablichten, Adelige etwa beim „Caroussel“ oder bei feierlichen Umzügen. Später finden sich berühmte und gedruckte Porträts von Karl Kraus, Max Reinhardt oder Stefan Zweig. Die Arbeit beschränkte sich jedoch nicht nur auf Studiofotografien: Auch in der Kunst- und Amateurfotografie fassten Frauen zunehmend Fuß. Mit bewusst eingesetzten Unschärfen und Glanzlichtern machten die Fotografinnen ihre Studioaufnahmen zu Kunstwerken. Neben klassischen Porträts waren aber auch Landschaften, Großstädte und Architektur begehrte Motive. Mit Mode- und Produktfotografie verdienten die Fotografinnen zusätzlich. Trude Fleischmanns Blumenstillleben Schneeglöckchen im Glas ist hier ebenso zu sehen wie ein Modefoto von Pepa Feldscharek, das eine Dame mit fein ondulierten Haarwellen in einem teuren Blumenrankenkleid zeigt. Vor allem die neu aufkommenden Illustrierten der 1920er-Jahre waren bei solchen Aufnahmen gute Kunden, auch das Aufkommen der Autogramm- und Starpostkarten beflügelte das Geschäft.

Wandelbares Frauenbild. Die Ausstellung zeigt aber nicht nur das Leben erfolgreicher Fotografinnen, in den Werken selbst spiegelt sich das dynamische Frauenbild der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Es sind teils sehr unkonventionelle, moderne und frische Bilder, die an den starren Normen der Gesellschaft rütteln und freche Flapper Girls (ein Trend der 1920er aus den USA, der kurze Röcke und kurzes Haar, Zigaretten und Alkohol durch Provokation für Frauen salonfähig machte), androgyne Garconnes, aber auch Intellektuelle, Akademikerinnen und Anhängerinnen der Frauenbewegung, sogenannte „Blaustrümpfe“, porträtierten.

Für Aufsehen sorgten auch Trude Fleischmanns heute weltberühmte Abbildungen nackter Tänzerinnen, die ebenfalls Ausdruck eines sportlicheren und natürlicheren Körperbilds waren sowie die gesellschaftliche Befreiung zum Ausdruck brachten. Auch Madame d’Ora widmete sich dem Tanz und fotografierte den deutschen Skandaltänzer Sebastian Droste zusammen mit seiner Ehefrau Anita Berber in verschiedenen Tanzszenen. Eine ganz andere Form der Fotografie prägte dagegen Alice Schalek: Als einzige weibliche Kriegsberichterstatterin des k.u.k. Kriegspressequartieres hielt sie den Ersten Weltkrieg dokumentarisch fest, reiste aber auch durch Indien, Sumatra oder Japan und veröffentlichte ihre Werke in Bildbänden.

Emigration, Flucht, Exil. Mit dem Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland 1938 war die Wiener Sternstunde der jüdischen Fotografinnen schlagartig vorbei. Die roten Punkte der Studios am Wiener Stadtplan nahmen radikal ab und verstreuten sich in Richtung London, Paris und Vereinigte Staaten. Madame d’Ora, jetzt wieder Dora Kallmus, überlebte wie auch Erna Adler-Rabus in der Illegalität in Frankreich, Belgien und den Niederlanden. Noch aus ihrem Versteck in Amsterdam fotografierte Maria Austria (eigentlich Maria Caroline Östreicher) 1943 Deutsche Soldaten marschieren durch die Vondelstraat, nach dem Ende des Krieges besuchte und dokumentierte sie das Versteck der Anne Frank. Jedoch nicht alle konnten sich retten: Eugenie Goldstern, Edith Barakovich oder Hilde Zipper-Strnad wurden zusammen mit vielen weiteren Fotografinnen ermordet oder in den Freitod getrieben. Während sich Trude Fleischmann in New York als Fotografin für Illustrierte eine neue Existenz aufbauen konnte, und etwa Albert Einstein oder Oskar Kokoschka ablichtete, und Camilla Koffler als Ylla mit ihren Tierreportagen weltberühmt wurde, zwang der Krieg andere, ihren Traumberuf für immer aufzugeben. Ein  einschneidendes Erlebnis und Trauma blieb aber bei allen Geretteten zurück: Elly Nieblar dokumentierte in nüchternen schwarz-weißen Aufnahmen den Wiederaufbau des Stephansdoms, Sowjetpanzer am Stalinplatz (heute Schwarzenbergplatz) und zerbombte Häuser in Wien. Auch Dora Kallmus, früher als Madame d’Ora für ihre Mode-, Star- und Glamourporträts bekannt, wandte sich nach dem Krieg realistischeren Sujets zu und fotografierte unter anderem eine Serie in den Schlachthöfen von Paris.