Journalismus

Rechte Klagen

  • 23.02.2017, 20:58
Wie Rechtsextreme die „Lügenpresse“ durch Klagen mundtot machen wollen.

Wie Rechtsextreme die „Lügenpresse“ durch Klagen mundtot machen wollen.

Die Ablehnung von gesellschaftskritischem Engagement Andersdenkender verdeutlicht sich in vielen rechtsextremen Kreisen nicht zuletzt in ihrem Umgang mit (linken und alternativen) Medien. Durch Vorwürfe wie jenem der „Lügenpresse“ wird dabei versucht, sich gegen Kritik zu immunisieren und politische Gegner_innen durch finanziell aufwändige Klagen einzuschüchtern.

„SYSTEMHANDLANGER“. Journalist_innen scheinen es aktuell angesichts des sinkenden gesellschaftlichen Vertrauens in Medien und der steigenden Angriffe nicht leicht zu haben. So zeigte 2016 eine repräsentative Umfrage für den Bayerischen Rundfunk, dass die Mehrzahl der in Deutschland lebenden Menschen die Medien für gelenkt hält. Bedient und verstärkt wurde das Ressentiment der „gleichgeschalteten“, „Meinungsbildung betreibenden“ Berichterstattung unter anderem auf den von antimuslimischem Rassismus geprägten Pegida- Demonstrationen. Im Skandieren von Begriffen wie „Lügen-“ oder auch „Systempresse“ bei derartigen Events verdeutlicht sich, dass von weit rechts Außen bis zur gesellschaftlichen Mitte Medien pauschal als „Handlanger des Systems“ und manipulierende Propaganda imaginiert werden, gegen die sich die vermeintliche Rebellion des Volks zur Wehr setzen müsse. So wird zwar nach Meinungsfreiheit oder -vielfalt gerufen, ohne diese jedoch selbst zu vertreten, da die eigene Perspektive als die einzig wahre inszeniert und der Rest als Lügen verunglimpft wird. Dieser Vorwurf trifft somit vor allem jene, die versuchen, differenziert, kritisch und sachlich zu berichten. Obgleich der Begriff „Lügenpresse“ sogar zum Unwort des Jahres 2014 gewählt wurde, blieb eine weiter reichende Diskussion über die verantwortungsvolle Aufgabe der Medien aus. Dennoch liefern diese Entwicklungen ein anschauliches Beispiel für die tiefe Verankerung rechtsextremer Logiken in der gesellschaftlichen Mitte.

BILDRECHTE UND GEGENKLAGEN. Während manche Journalist_innen in vorauseilendem Gehorsam und gemäß des gesellschaftlichen Klimas ohnehin bereits nach rechts geschwenkt sind, versuchen insbesondere linke Medien nach wie vor ungeschönt über rechtsextreme Entwicklungen und Aktivitäten in Österreich aufzuklären. Immer öfter sind sie in dieser Arbeit mit Klagen von rechten/ rechtsextremen Einzelpersonen, Gruppen und Parteien konfrontiert. Egal, ob gegen den Tiroler SPÖ-Chef, der Norbert Hofer (FPÖ) als „Nazi“ bezeichnet hatte, die Betreiberin des Cafés „Fett und Zucker“, die mittels eines Schildes Hofer-Wähler_ innen aufgefordert hatte, ihren Betrieb nicht zu besuchen. Aber auch die Anfechtung der Bundespräsidentschaftswahl zeigt, wie gerne die FPÖ klagt. Aus diesem Grund versuchte die Initiative „Heimat ohne Hass“, die mittels eines Internetblogs rechtsextreme Vorfälle in Österreich dokumentiert, vorletztes Jahr bei einer Pressekonferenz gemeinsam mit anderen darauf aufmerksam zu machen, dass die FPÖ seit geraumer Zeit versuche, antifaschistische Projekte auf diese Weise mundtot zu machen.

„Heimat ohne Hass“ muss sich nämlich mit einer Urheber_innenrechtsklage wegen der Veröffentlichung eines Fotos auseinandersetzen. Im Zuge der polizeilichen Räumung des linken Projekts „Pizzeria Anarchia“ in Wien, hatte der Blog über einen freiheitlichen Personalvertreter berichtet, der vor Ort bewaffnet und mit einem eisernen Kreuz aufgetreten war. Geklagt hatte in diesem Fall die freiheitliche Gewerkschaft AUF. Eine Gegenklage der FPÖ beschäftigte auch das linke Kollektiv „Filmpirat_innen“. Nachdem die FPÖ widerrechtlich Materialien des Filmkollektivs verwendet hatte, schlug die Partei mit einer Gegenklage wegen „falscher Behauptungen“, die „die Meinungsfreiheit der FPÖ behindern“ würden, zurück. Auch gegen das Urteil, das den „Filmpirat_innen“ Recht gab, legte die Partei Berufung ein. Bedrohlich wirken auch Fälle staatlicher Angriffe auf Jounalist_innen und Medien. So wurden beispielsweise 2007 in Berlin mehrere Fotografen vom Landeskriminalamt (LKA) wegen „Fotografieren von Neonazis bei Naziaufmärschen“ überwacht. Ermittelt wurde vom Berliner LKA (Abteilung Linksextremismus) auch gegen das Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum (apabiz), weil sie in einem Dossier über einen Neonaziaufmarsch einen Teil eines indizierten Aufruftexts zur Demo zitiert hatten.

EINSCHÜCHTERUNGSSTRATEGIEN. Wie die beiden Beispiele aus Österreich verdeutlichen, geht es oftmals nicht um politische Inhalte, die vor Gericht zur Diskussion gestellt werden sollen. Rechte bedienen sich dem Mittel der Klage vor allem, um öffentliche Kritik durch mit Rechtsstreiten verbundene Einschüchterungen oder große finanzielle Belastungen zu delegitimieren und zum Schweigen zu bringen. Nicht selten sind die Klagswerte im fünfstelligen Bereich angesiedelt, was bedeutet, dass zumeist das nötige Kleingeld fehlt, um dagegen vorzugehen. Die Anzahl derartiger Klagen und Klagsdrohungen ist zudem weitaus höher als öffentlich bekannt. Dass selbst von betroffenen Medien selten darüber berichtet wird, liegt nicht zuletzt daran, dass Rechtsextreme damit in erster Linie versuchen, linke/kritische Strukturen einzuschüchtern und die Klagsdrohungen selbst meist wenig Gehalt haben. Vielmehr ist es Teil der Einschüchterungsstrategie, unabhängig vom erwarteten Erfolg zeitraubend und belastend viele Ressourcen der Betroffenen zu binden.

Judith Goetz ist Literatur- und Politikwissenschafterin und Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (fipu.at).

Bekannt, aber doch unbekannt

  • 23.02.2017, 20:52
Was oder wer ist OKTO?
OKTO gilt als der erste nichtkommerzielle, selbstorganisierte Fernsehsender österreichweit. Gestartet vor elf Jahren, entstehen die Produktionen auf Eigenregie, die SendungsmacherInnen sind meist unbekannte Personen aus der Zivilbevölkerung. In einem Gespräch mit dem Geschäftsführer Christian Jungwirth und den SendungsmacherInnen Ilse Kilic und Fritz Widhalm geht progress der Frage auf den Grund, was das Besondere an OKTO ist.

progress: Wie hat denn OKTO eigentlich begonnen? War es die ursprüngliche Idee, ein selbstorganisiertes Medium zu sein?
Christian Jungwirth: Das war es schon. Es gibt eine lange Tradition von partizipativen, nicht kommerziellen Medien besonders im Radio, aber auch im Fernsehen. Es hatte ein Arbeiterfernsehen in Linz gegeben. Im November 2005 erfolgte der Sendestart von OKTO. Vom Finanzierungsansatz, den die Stadt Wien wählte, war es ein gefördertes, subventioniertes Projekt, mit der Auflage, tunlichst werbefrei zu sein.

Wie würden Sie OKTO’s Sendungsstil beschreiben?
Jungwirth
: Wir sind jung, schrill, ecken in vielerlei Art an, sind sicher überraschend und definitiv alternativ. Unser Anspruch ist es, komplementär zum anderen Angebot im österreichischen Fernsehen zu sein, und ich glaube, dass es seit Bestehen sehr gut gelungen ist. Das ist unsere Legitimation. Wenn wir das verlieren würden, müsste man die Frage stellen, ob wir noch eine Berechtigung auf öffentliche Finanzierung haben, weil Mainstream und angepasste Programme gibt es genug. Wenn wir ganz ehrlich sind, ist das Programm von ORF nicht unterscheidbar vom privaten kommerziellen Programm wie RTL. Ich glaube, dass ein zunehmend großer Anteil der ZuseherInnen genug davon hat. Wir konnten das werbefreie Programm quasi auch als USB Port positionieren.
Ilse Kilic und Fritz Widhalm: Das Außergewöhnliche an OKTO ist die Tatsache, dass viele Menschen ihre Inhalte gestalten und einbringen können. Es ist eben ein Versuch, „Fernsehen von allen für alle" zu ermöglichen. Sprechen ist ja auch eine Möglichkeit, Klarheit zu gewinnen und Widersprüchlichkeiten zu diskutieren. Es geht also nicht nur um Programm- Machen. Wenn jemand aus dem Mainstream eine Sendung bei Ihnen produzieren wollen würde, würden Sie das auch zulassen? Jungwirth: Wir haben de facto professionelle JournalistInnen bei uns, die hauptberuflich im ORF tätig sind. Der inhaltliche Anspruch den wir, auch bei diesen Leuten stellen, ist, dass die Sendungen diesen komplementären, authentischen Charakter haben. Wenn wir versuchen, Formatfernsehen zu kopieren, kann das nur peinlich sein.

Wie kommt man bei OKTO zu einer eigenen Sendung?
Jungwirth:
Unsere Channel-ManagerInnen sind angestellte MitarbeiterInnen. Die sind dazu da, mit den interessierten Menschen ihre Sendungen zu entwickeln. Man bekommt das Equipment wie Kamera, Schnittplätze und Studio – alles gratis von uns. Wir schicken die Leute in die verschiedenen Workshops und dann geht es in die Produktion eines Piloten und mit ein paar Adaptierungen in die erste Episode. Der oder die MitarbeiterIn von OKTO fungiert in weiterer Folge als Coach.

Wie sind Sie zu OKTO gekommen und wie gestalten Sie Ihre Sendung „Wohnzimmerfilmrevue“? Welche Vorbereitungen treffen Sie, wenn Sie eine Folge produzieren?
Jungwirth:
Wir sind schon ziemlich lange dabei, eigentlich fast von Anfang an. Wir fanden es faszinierend, an einem solchen Projekt mitzuarbeiten. In der „Wohnzimmerfilmrevue“ zeigen wir Kurzfilme aus eigener Produktion zu verschiedenen Themen. Auch Literaturverfilmungen und kurze Lesungen von Kolleginnen und Kollegen. Wir versuchen, auf künstlerische Art und Weise Themen aufzugreifen, die im öffentlichen Raum Platz haben sollten. Sie haben letztes Jahr ihr zehnjähriges Jubiläum gefeiert.

Vieles verändert sich rasant, wie hat sich das auf OKTO ausgewirkt?
Jungwirth:
Momentan sind wir im Fernsehen sehr stark damit befasst, dieses sich erdrutschartig verändernde Fernsehverhalten der jungen Leute aufzufangen. Da ist die Herausforderung von OKTO, „Antworten“ als nicht-kommerzielles, alternatives, partizipatives Fernsehen anzubieten. Youtube hat eine etwas andere Herangehensweise, weil es in der Vielfalt unübertrefflich und komplett offen ist. Wenn wir was on-demand anbieten, muss eine Garantie mitgeliefert werden, dass es sich hierbei um authentischen und alternativen Inhalt handelt. Diesen Anspruch erhebt Youtube nicht.
Kilic und Widhalm: OKTO ist wichtiger geworden. Es ist einfach ein Gegenpol zu all den unzähligen „normalen“ Fernsehprogrammen, die die Menschen letztlich nur als Publikum sehen und ihnen die aktive Teilnahme vorenthalten. Es geht um die Stärkung der sogenannten Gegenöffentlichkeit und die Selbstermächtigung, dass die Dinge, die man zu sagen hat, bedeutend sind. OKTO ist ja nicht nur in Wien empfangbar, wie sehen die Einschaltquoten in anderen Bundesländern aus? Jungwirth: Man muss schon eingestehen: Das was OKTO ausmacht, ist ein stark urbaner Ballungsraum, besonders mit der Einbindung vieler migrantischer Communities. Bezüglich Reichweite und Nachfrage haben wir Wien im Fokus. Es freut uns auch, wenn wir am Land gesehen werden, aber da sind wir sicher eine Randerscheinung.

Wird OKTO in zehn Jahren weiterhin Teil der Medienlandschaft sein?
Jungwirth:
Wir haben in Linz „Dorf TV“, in Salzburg „FS1“ als alternative Fernsehstationen, die auch partizipativ und nicht kommerziell ausgerichtet sind. Ich bin überzeugt, dass in Zukunft die Bedeutung von Einrichtungen wie unserer zunehmen wird. Es braucht Alternativen.
Kilic und Widhalm: Der Wunsch vieler Menschen, selbst ihre Anliegen zu präsentieren und das Wort zu ergreifen wird ebenso an Bedeutung gewinnen wie die Notwendigkeit einer linken Plattform.

Ralph Chan studiert Soziologie und Geographie an der Universität Wien.

Feministische Gegenöffentlichkeit

  • 23.02.2017, 20:37
Ein Blick hinter die Kulissen der an.schläge

Ein Blick hinter die Kulissen der an.schläge

Seit über 30 Jahren schreiben die an.schläge über politische, gesellschaftliche und kulturelle Themen aus einer feministischen Perspektive. Wir haben die leitenden Redakteurinnen Lea Susemichel und Fiona Sara Schmidt interviewt.

progress: Warum ist euer Magazin ein alternatives Medium?
Lea Susemichel: Wir verstehen unser Magazin als feministische Gegenöffentlichkeit zum Male- und Mainstream, als wichtiges Korrektiv zu den etablierten Medien also. Dort geht es weder in den Redaktionen noch bei der Themensetzung geschlechtergerecht zu. Emanzipatorische Medienarbeit ist deshalb weiterhin unerlässlich und ich bin der festen Überzeugung, dass sie nicht wirkungslos bleibt. Feministische Medien können trotz kleiner Auflage und sehr überschaubarer Reichweite etwas bewirken. Sie setzen Themen, die über kurz oder lang von anderen Medien aufgegriffen werden, und sie verändern langfristig auch dort die Kriterien, was Nachrichtenwert hat, was als gewichtige und relevante Meldung gilt.

Wie finanziert ihr euch?
Susemichel:
Wir bekommen Förderungen von der Wiener Frauenabteilung und gegenwärtig auch vom Frauenministerium. Letztere werden aber jährlich neu vergeben und sind in der Vergangenheit – unter Schwarz-Blau – auch schon komplett ausgefallen. Ein sehr großer Teil unserer Einnahmen stammt aus Abos, auf die wir unbedingt angewiesen sind. Der Einzelverkauf des Magazins trägt hingegen kaum zum Budget bei. Die Inserate sind auch seit Jahren rückläufig, zumal wir viele AnzeigenkundInnen aus politischen Gründen von vorneherein ausschließen und umgekehrt auch nur für wenige attraktiv sind.

Was für Abhängigkeiten ergeben sich aus eurem Finanzierungsmodell?
Susemichel:
Wir lassen uns bei redaktionellen Entscheidungen grundsätzlich nicht von der Überlegung beeinflussen, wen welche Berichterstattung evtl. verärgern könnte. In unserer mehr als dreißigjährigen Geschichte haben wir zwar schon viele massive Anfeindungen und öffentliche Attacken von ÖVP und FPÖ erlebt, aber es wurde vonseiten der FördergeberInnen noch nie versucht, konkret Einfluss zu nehmen. Ich persönlich halte eine solide staatliche Medienförderung unter den gegenwärtig verfügbaren Optionen deshalb auch für einen Garanten größtmöglicher Unabhängigkeit, journalistischer Seriösität und Qualität. Es braucht unbedingt eine entsprechende Reform der Medienförderung, die eine Basisförderung auch für kritische kleine Medien vorsieht.

Erlebt ihr diese Abhängigkeiten als Widerspruch zu eurem Selbstbild?
Susemichel:
Das Ansuchen um Förderungen ist ein hoher administrativer Aufwand, der viele unserer ohnehin begrenzten Ressourcen frisst. Aber politisch und inhaltlich gibt es keinen Widerspruch zu unserem Selbstverständnis, weil wir ja nicht von politischen Parteien gefördert werden. Und wir hatten bislang tatsächlich das Privileg, auch nie durch „unmoralische Angebote“ von AnzeigenkundInnen in Versuchung geführt worden zu sein – wir sind schlicht nicht interessant genug für sie. Als größten Widerspruch erleben wir stattdessen, dass zuwir als linkes, feministisches Medium entschieden gegen die Prekarisierung von Arbeitsbedingungen eintreten, gleichzeitig aber selbst unter sehr prekären Bedingungen arbeiten. Wir wollen Frauen fair und angemessen für ihre Arbeit bezahlen, können als prekäres Projekt aber eben nur kleine Honorare für Artikel bieten.

Braucht es noch Printmagazine im 21. Jahrhundert?
Schmidt:
Magazine werden nach wie vor nachgefragt, junge Leser_innen wollen nicht ausschließlich online lesen. Neben Print sind für Magazine auch crossmediale Formate mit Bild/ Text/Video oder die grafische Aufbereitung von Daten interessant, mit der große Medien nun zaghaft experimentieren. Wir haben als feministisches Magazin eine Zielgruppe, die Frauen der Zweiten Frauenbewegung, die mit Print politisiert wurde, genauso ansprechen will wie feministische Digital Natives. Auch wenn einige feministische Zeitschriften in den letzten Jahren eingestellt wurden, ist das Interesse auf jeden Fall da und es entstehen im deutschsprachigen Raum neben Blogs auch ständig neue Zeitschriften und Zines.

Wie könnte die Zukunft alternativer Printmedien aussehen?
Schmidt:
Die Übergänge im Print- und Onlinejournalismus werden immer fließender. Ich denke, grafisch ansprechend und hochwertig aufbereitete Beiträge im gedruckten Heft werden sich neben aktuellen Nachrichten online, wo die Leser_innen mitdiskutieren können, etablieren. Bei den Finanzierungsmodellen sind da aber weiterhin kreative Lösungen gefragt, gerade für alternative Medien, bei denen meist die Infrastruktur und das technische Wissen den Ideen hinterherhinken.

Viele alternative Medien bauen zum Teil auf ehrenamtlicher Arbeit auf. Wie ist das bei euch?
Schmidt:
Unser Redaktionskollektiv ist ehrenamtlich neben der Lohnarbeit tätig, Sitzungen werden zum Beispiel nicht vergütet. Auch die Angestellten (wir teilen uns zu viert für die Redaktionsleitung und Verwaltung 1,5 Stellen) arbeiten über ihre bezahlten Stunden hinaus, wenn es notwendig ist. Meist unterstützt uns eine Praktikantin. Artikel und Fotos/Illustrationen werden bezahlt. Wir können als Non-profit-Medium leider keine marktüblichen Honorare bezahlen und schätzen es umso mehr, wenn freiberufliche Journalistinnen auch für uns tätig sind, weil sie unser Projekt unterstützen möchten. Positiv ist die relativ freie Zeiteinteilung der Redakteurinnen und dass man sich je nach Situation mehr oder weniger einbringen kann. Aufgaben wie das Layout machen inzwischen externe Mitarbeiterinnen, die das Projekt mit ihrem Know-how unterstützen.

Wo und wie kann man euch abonnieren?
Schmidt:
Auf anschlaege.at/abo gibt es günstige Schnupper- und Jahresabos. Wir erscheinen achtmal pro Jahr und freuen uns über diese kontinuierliche Unterstützung.

Das Interview führte Joël Adami, er studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien.

„Eine Form von Probierraum“

  • 23.02.2017, 20:32
Seit 1999 findet in Wels jährlich das YOUKI, ein internationales Jugend Medien Festival, statt. Wir haben Laura vom Veranstaltungsteam gefragt, was dort passiert.

Seit 1999 findet in Wels jährlich das YOUKI, ein internationales Jugend Medien Festival, statt. Wir haben Laura vom Veranstaltungsteam gefragt, was dort passiert.

Als das erste Festival im Jahr 1999 stattfand, hieß es noch „Young Kinova“ und so setzt sich bis heute der Name zusammen. Im Herbst 2017 wird es vorraussichtlich die 18. Auflage des Festivals geben. Wieder werden einige Preise vergeben, der höchste ist mit 1.500 Euro dotiert. Wir haben mit Laura vom YOUKI darüber geredet, was die ca. 5.000 Besucher und Besucherinnen in dort erwartet, warum das Festival ausgerechnet in Wels stattfindet und was für sie „freie Medien“ sind.

progress: Kannst du kurz erklären, was das YOUKI ist und an welches Publikum es sich richtet? Das YOUKI ist ein Jugend Medien Festival, aber was ist für euch Jugend?
Laura: YOUKI ist Österreichs größtes internationales Nachwuchs Film- und Medien Festival. Es ist ein Fest aus Film, Workshops, Musik, Lectures und Popkultur. Im Zentrum ist der internationale Wettbewerb. Junge Filmemacher_innen (10–26 Jahre) aus der ganzen Welt schicken ihre Beiträge (max. Filmlänge 20 Minuten). Aus ca. 500 Einreichungen werden ca. 90 Filme gezeigt. Das Festival bildet eine Plattform für den Austausch. Einerseits unter den jungen Filmemacher_innen selbst, andererseits bietet das Festival aber auch immer die Möglichkeit, Profis aus der Filmbranche kennenzulernen (z.B. bei Workshops, Filmgesprächen oder Werkstattgesprächen, u.a.). Hier werden aber nicht nur Filme gezeigt. Hier werden auch Radio, Zeitung und TV gemacht. Das Format Media Meeting gibt es nun seit über zehn Jahren. Hier beschäftigen wir uns auf verschiedenen Ebenen mit einem Themenschwerpunkt. Im letzten Jahr mit dem Phänomen des Abhängens. Es gibt Lectures, Filmvorführungen und Diskussionen.

Das Thema unseres Dossiers ist diesmal „freie / alternative Medien“. Inwiefern passt ihr da hinein? Könnt ihr mit dem Begriff etwas anfangen?
Es gab ja bereits viele Versuche, den Begriff der freien Medien zu definieren. Für mich ist es eine Form von Probierraum. Die Nutzung und Verwertung lässt die Möglichkeit offen, sich selbst darin auszuprobieren. Dabei spielt auf jeden Fall Partizipation eine wichtige Rolle. YOUKI ist ein großer Probierraum. Unsere Labs (Zeitungs-Redaktion, Radio-Redaktion, Festival-TV, Druckwerkstatt u.a.) werden von jungen engagierten „Medienmacher_innen“ geleitet. Es steht jedem_ jeder offen, dabei mitzuwirken.

Lästige Frage vielleicht, aber: Warum Wels? Habt ihr jemals überlegt, mit dem YOUKI umzuziehen?
YOUKI ist in Wels geboren, vor 19 Jahren als Idee von Hans Schoisswohl. Bei einer Teamsitzung wurde tatsächlich mal darüber geredet, was wäre, wenn YOUKI nicht in Wels wäre? Wäre das möglich? Für mich nicht. Das Festival profitiert von den Vorteilen einer Kleinstadt, genauso wie es mit den Nachteilen zu kämpfen hat. Außerdem ist die Infrastruktur des Medien Kultur Haus und des Alten Schlachthof nicht wegzudenken und vor allem ausschlaggebend für das YOUKI-Feeling. Dennoch ist es für uns wichtig, auch unter dem Jahr in anderen Städten sichtbar zu sein.

Seit 2015 wird Wels blau regiert. Die FPÖ stellt bei euch mit Andreas Rabl den Bürgermeister. Was hat sich für euch dadurch verändert?
In den letzten beiden Jahren hat sich für beinahe alle Kulturvereine/-institutionen/-schaffende in Wels einiges verändert. Von der 10-Prozent-Kürzung für alle Förderungen der Stadt Wels war natürlich auch YOUKI betroffen. Zehn Prozent wirken auf den ersten Blick nicht viel – sie gehen aber auch nicht spurlos an einem vorüber. Finanzielle Kürzungen sind das eine – viel stärker spürbar ist jedoch, dass sich das gesamte politische Klima verändert hat. Vor der Machtübernahme der FPÖ hatten wir als Festival den absoluten Rückhalt der Stadt Wels – wir hatten nicht nur das Gefühl, wahrgenommen zu werden, sondern auch das Gefühl, für die Stadt unverzichtbar zu sein. Derzeit haben wir eher das Gefühl „wir müssen uns behaupten“! – Das stellt keine gute Basis für Kulturarbeit dar. Aber wir sind viele in Wels, die in einer ähnlichen Situation sind. Im letzten Jahr hat sich das Netzwerk „pro.viele“ formiert. Denn es sind tatsächlich viele, die von der derzeitigen politischen Situation betroffen sind. In den letzten 12 Jahren bevor er Bürgermeister wurde, war Herr Rabl meines Wissens nie beim Festival. Im vergangenen Jahr haben wir ihn eingeladen. Denn es war uns ein Anliegen, dass er YOUKI kennenlernt – und sieht, was das Festival leistet. Als Jugend Medien Festival sehen wir es als unsere Pflicht, auf aktuelle politische Geschehnisse bzw. Situationen zu reagieren! Sehr viele unserer Filmbeiträge beschäftigen sich (kritisch) mit Politik. Im letzten Jahr waren es gefühlt so viele Einreichungen wie noch nie. Die Jugend ist politisch.

Gibt es „berühmte“ YOUKI-Teilnehmer*innen, die (z.B.) in der Filmbranche gelandet sind?
Die Frage ist natürlich immer, ab wann ist jemand berühmt. Aber ich würde auf jeden Fall sagen, dass es einige Filmemacher_innen gibt, die bei YOUKI erste Festivalerfahrung gesammelt haben. So etwa der Filmemacher Florian Pochlatko, er hat mit seinem Kurzfilm „Running Sushi“ 2006 den Publikumspreis gewonnen. Seine aktuellen Filme reisen durch die Festivallandschaft. U.a. war sein wohl bekanntester Film „Erdbeerland“ (2012, 32 Min) auf der Viennale zu sehen. Auch Kurdwin Ayub hat uns viele Jahre mit ihren Kurzfilmen glücklich gemacht, bei der Diagonale 2016 hatte ihr erster Lang- Film „Paradies, Paradies!“ (Ö 2016) Premiere. So auch Lisa Weber, die im letzten Jahr ihren ersten Langfilm präsentierte, „Sitzfleisch“ (Ö 2014). YOUKI begleitete einige Filmemacher_innen über die Jahre. Es ist immer schön, diese künstlerischen Entwicklungen begleiten zu dürfen.

Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies an der Universität Wien.

Medienproduktion im Exil

  • 23.02.2017, 20:23
Die Plattform „Join Media“ vernetzt geflüchtete Medienschaffende mit den hiesigen Redaktionen, um so ihren Eintritt in die Arbeitswelt zu erleichtern.

Die Plattform „Join Media“ vernetzt geflüchtete Medienschaffende mit den hiesigen Redaktionen, um so ihren Eintritt in die Arbeitswelt zu erleichtern.

Schikanen und Morddrohungen vonseiten des syrischen Assad-Regimes und vonseiten des sogenannten Islamischen Staats (IS). Die Flucht in die Türkei. Der Versuch, nach dem Abzug der Assad-Truppen erneut im nördlichen Syrien zu leben. Wieder zurück in die Türkei, da der IS die Region eingenommen hatte. Nach all diesen Erfahrungen waren es schließlich Einschüchterungen und Drohungen vonseiten der Freien Syrischen Armee, die den im syrischen Aleppo lebenden Journalisten Jehad Nour Eddin Hussari nach Österreich flüchten ließen.

„Alle Journalisten, die in Syrien leben und gegen das Regime berichten, werden mit Entführungen und Mord bedroht. Alle Truppen, die du als Journalist kritisierst, versuchen dich loszuwerden“, erklärt der heute 31-jährige Hussari. Eigentlich war er in Syrien Imam. Mit Ausbruch des Krieges begann er als Journalist zu arbeiten, um über die Missstände in seinem Land zu berichten. Seit eineinhalb Jahren lebt Hussari in Österreich.

VERNETZUNG. Hier angekommen, heißt es unzählige Behördengänge erledigen, Deutsch lernen, sich in einem neuen Umfeld zurechtfinden und eben auch: Zugang zu österreichischen Medien erhalten, um die Arbeit wieder aufnehmen zu können. Unterstützung dabei bietet die Plattform „Join Media“. Anfang des Jahres 2016 luden die Initiator_innen des Netzwerkes erstmals geflüchtete Medienmacher_innen und in Österreich arbeitende Kolleg_innen ein, um sich kennen zu lernen. Im Mai folgte die erste „Vernetzungskonferenz von Journalist_innen und Medienschaffenden mit und ohne Fluchterfahrung“. Mittlerweile versammelt die Plattform rund 45 Medienmacher_innen mit Fluchthintergrund.

Das zentrale Anliegen: Vernetzung. Denn ohne Kontakte funktioniere es nicht, erklärt eine der Initiator_innen, Sonja Bettel: „Eine große Hürde für geflüchtete Journalist_innen und Medienmenschen ist, dass sie weder Kontakte noch Referenzen haben – insbesondere in einem kleinen Land wie Österreich, ist dies problematisch, denn die Arbeitsmöglichkeiten für freie Medienschaffende sind ohnehin nicht üppig. Wir helfen, indem wir Kontakte zu österreichischen Medien herstellen und Kolleg_innen für konkrete Projekte empfehlen.“

Hussari konnte bereits erste Projekte in österreichischen Medien umsetzen. Er arbeitet vor allem mit dem Fernsehsender Okto TV zusammen. Derzeit macht er den Schnitt für die Sendung „Nour Show“. In dieser wird ironisch über Flüchtlinge berichtet. Darüber, wie das Leben unter den Regimen in den Herkunftsländern die Menschen verändert und wie sich das Ankommen in Österreich gestaltet.

Die Aufarbeitung dieser Themen ist naheliegend. Die erlebten Repressionen als syrischer Journalist, die Fluchterfahrung, das Zurechtfinden in Österreich sind Erfahrungswerte, die den österreichischen Redaktionen zu Gute kommen – zumindest theoretisch.

Auch die Sprachkenntnisse und Kontakte der geflüchteten Journalist_innen sind für die Redaktionen hilfreich, um über die Herkunftsländer zu berichten, erklärt Jonas Paintner, ein weiterer „Join Media“-Initiator: „Sprachkenntnisse sind bei dieser Thematik nicht nur nice-to-have, sondern notwendig. Außerdem gibt es keine offiziellen Stellen in umkämpften Gebieten. Recherchen müssen über private Kontakte laufen. Vieles, was österreichische Journalist_innen aus zweiter oder dritter Quelle erfahren, haben die geflüchteten Kolleg_innen selbst durchlaufen.“

KEINE MEHRSPRACHIGKEIT. Bis dato werden diese wichtigen Ressourcen nur selten von den Redaktionen erkannt und mögliche Barrieren – allen voran die zu Beginn noch fehlenden Sprachkenntnisse – höher bewertet. So seien mangelnde Sprachkenntnisse für die Realisierung einzelner Artikel kein Problem, für eine feste Anstellung jedoch oftmals schon, so Paintner. Hier ist die Scheu genauso groß wie beim Gedanken, Mehrsprachigkeit in die Medien zu integrieren: „In der österreichischen Medienlandschaft findet alles auf Deutsch statt. Gäbe es mehr Medien, die mehrsprachig arbeiten, gäbe es auch mehr Möglichkeiten“, so Paintner weiter.

Auch Hussari hatte bereits die Idee, eine arabischsprachige Sendung mit deutschen Untertiteln in Österreichs Fernsehlandschaft unterzubringen: „Mit einer neuen Sprache wird jeder Sender die Zahl seiner Zuseher_innen erhöhen. Viele interessieren deutschsprachige Programme nicht, da die Deutschkenntnisse dafür noch fehlen“, ist sich Hussari sicher. Ein von ihm an Puls4 herangetragenes mehrsprachiges Konzept wurde mit den Worten, sie würden das Projekt gründlich analysieren, kommentiert. Hussari wartet noch auf eine Antwort.

EXPERT_INNEN DER FLUCHT. Trotz aller Expertise, wird innerhalb des „Join Media“-Netzwerkes die Frage, über welche Themen geflüchtete Journalist_innen berichten können, diskutiert. Ja, sie sind Expert_innen in den Bereichen Flucht, Asyl und Migration. Eine gleichberechtigte Wahrnehmung als Journalist_innen fehle jedoch. Paintner bringt das Problem auf den Punkt: „Wenn ich meine Bachelor-Arbeit über das Thema Flucht schreibe, macht es Sinn, dass ich einen Artikel darüber verfasse. Das Problem: Während ich die Möglichkeit habe, mich in weiterer Folge wieder mit anderen Themen zu beschäftigten, haben die geflüchteten Kolleg_innen riesige Schwierigkeiten, aus dieser Nische rauszukommen.“

Hussari fühlt sich wohl in dieser Nische. Trotz seinem temporären Aufenthaltsstatus als „subsidiär Schutzberechtigter“ ist ihm klar, dass die Rückkehr nach Syrien keine Option ist: „Die Drohungen verschwinden nicht. Es gibt nur die Möglichkeit, in Österreich zu bleiben und hier eine Karriere als Journalist aufzubauen. Das will ich nutzen, um über Syrien, über die Menschen dort und die Geflüchteten hier zu berichten. So wird gegenseitiges Verständnis und gegenseitiger Respekt möglich.“

Valentine Auer arbeitet als freie Journalistin in Wien.

 

„Gesund ist das nicht!“

  • 15.03.2016, 12:33
Barbara Eders neuer Spielfilm „Thank you for bombing“ wirft einen Blick auf die Arbeit dreier Kriegsjournalist*innen, die in oder auf dem Weg nach Afghanistan sind

Barbara Eders neuer Spielfilm „Thank you for bombing“ wirft einen Blick auf die Arbeit dreier Kriegsjournalist*innen, die in oder auf dem Weg nach Afghanistan sind: Während Cal auf der Suche nach einem richtigen Krieg ist, wird die Journalistin Lana von allen Seiten mit Sexismus konfrontiert. Den älteren Ewald holen bereits am Flughafen Wien-Schwechat Erfahrungen aus dem Jugoslawien-Krieg ein. Ursprünglich als Dokumentarfilm angelegt, erzählt der Film vom Alltag als Journalist*in in Krisengebieten – abseits mythischer Heldenerzählungen. progress sprach mit der Regisseurin über Sexismus in der Branche, psychische Folgen der Arbeit und über Alice im Wunderland.

progress: Beginnen wir mit einer sehr klassischen Frage: Wie bist du auf die Idee gekommen einen Film über Kriegsreporter*innen zu machen?
Barbara Eder: Was heißt es, Reporter in Zeiten des arabischen Frühlings zu sein? In Zeiten, in denen man von entführten oder geköpften Journalisten hört. Darüber wollte ich einen Film machen. Zu Beginn hatte ich ein oberflächliches Bild davon. Ich habe mir alles sehr heldenhaft vorgestellt und die Mythen drum herum geglaubt. Zu einem gewissen Teil ist es auch so.
Dann bin ich ein Jahr gereist, weil ich spüren und erfahren wollte, wie das abläuft: Nach Israel, nach Beirut an die libanesisch-syrische Grenze, nach Afghanistan. Dort habe ich mich vom Militär einbetten lassen. Da wirst du mit auf Touren genommen und bist in einem sehr geschützten Raum. Das wirkt eher so, als ob du zu einem Ausflug mitgenommen wirst. Ich war auch mit sehr großen Sendern unterwegs. Einer davon hat den Leuten vor Ort einen Text aus Atlanta geschickt, den sie in die Kamera sprechen mussten. Das sind Fakten. Ich war geplättet. Ich habe auch viele Freelancer kennengelernt, darunter sehr tolle Frauen, die meistens keine Vollverträge bekommen. Ich habe auf jeden Fall viel gesehen. Aber ich hatte ein heldenhafteres Bild im Kopf. Ich dachte auch, dass die Leute viel mehr über das Land wissen.

Wie kam es dazu, dass du dich doch für einen Spielfilm und nicht für einen Dokumentarfilm entschieden hast?
Ab einem gewissen Punkt bin ich mit sehr vielen Eindrücken nach Hause gekommen und stellte mir die Frage, ob ich das Thema in einem Dokumentarfilm behandeln kann: Würden die Journalisten das, was sie mir sagen, die Wahrheiten, die sie aussprechen, auch vor laufender Kamera sagen? Würden sie es bereuen, wenn sie es tun? Welche Folgen hat das für ihre weitere Karriere? Es gab Reporter, die ohne Valium nicht durch den Tag gekommen sind. Daher entschieden wir uns einen fiktionalen Film zu machen. So konnte ich auch Geschichten, die in der Vergangenheit liegen, einbauen. Und aus all diesen verschiedenen Menschen und Eindrücken drei Figuren formen und mich darauf konzentrieren, was ich zeigen will, ohne ständig damit kämpfen zu müssen, wie ich Reporter schützen kann.

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Der Film erzählt am Beispiel der jungen amerikanischen Journalistin Lana unter anderem von einen sexistischen System im Journalismus. Glaubst du, dass dieser Punkt bei Kriegsreporter*innen öfters vorkommt als in anderen journalistischen Bereichen?
Ja! Es klingt immer so schön, wenn man sagt, die Frauen erobern diese und jene Bereiche. Das ist ja schön, aber in den Köpfen ist es nicht so. Ich habe von vielen die Frage gehört, was eine Frau in diesem Land überhaupt zu suchen hat. Man kann aber genau so fragen, was ein Mann in diesem Land zu suchen hat, der auch auf eine Miene treten kann. Gefährlich ist es für alle. Natürlich musst du als Frau in Afghanistan ein Kopftuch tragen. Und ja, du wirst auch mal begrapscht. Sexuelle Belästigung habe ich aber mehr in den Reporter-Teams erlebt. Das war mir nicht klar, das habe ich unterschätzt.

Was glaubst du, woher dieser spezielle Sexismus kommt?
Oft ist es der Gedanke, die Frau schützen zu müssen. Das ist unterschwellig in den Köpfen vieler Männer verankert und daher schicken sie lieber einen Mann. Es ist ja gut gemeint, aber einfach nicht richtig. Niemand würde eine Frau vorschicken, weil es für den Mann zu gefährlich sei. Das ist absurd. Das Schlimme ist, dieses Verhalten hat einen Effekt auf Frauen: Sehr viele begeben sich eher in Gefahr, riskieren mehr, um zu beweisen, dass sie es können. Dann kommt es auch zu Übergriffen. Lana geht ja völlig alleine, ohne Schutz zu zwei Soldaten, von denen sie nichts weiß und die alles andere als freundlich sind. Da könnte man sagen, dass das dumm ist. Ich glaube aber, dass man im Film sehen kann, warum diese Person einen Schritt zu weit geht.

Gleichzeitig zeigst du doch auch Sexismus in Afghanistan. In Hinblick auf die seit Köln entstanden Geschichten und Bilder über einen frauenfeindlichen Islam, könnte dieser Punkt von sogenannten „besorgten Bürger*innen“ instrumentalisiert werden. Bereust du die Entscheidung Afghanistan so gezeichnet zu haben?
Natürlich gibt es Sachen, bei denen ich mir denke, das ist vielleicht die falsche Zeit. Ich hoffe aber, dass die Leute, die den Film sehen, den Kontext nicht vergessen. Klar kann man Querverbindungen ziehen, aber ich kann auch nicht verneinen, dass Übergriffe passieren. Ich kann nicht alles schön reden. Das heißt aber noch lange nicht, dass man nach Köln sagen darf, dass jeder Flüchtling oder alle, die aus einem muslimischen Staat kommen, potentielle Vergewaltiger sind. Das Gleiche gilt für den Titel: Nach den Anschlägen in Paris wollte ich mich mit dem Titel "Thank you for Bombing" vergraben. Ich habe überlegt ihn zu ändern, aber ich hatte doch das Gefühl, dass die Leute sich durchlesen, um was es in dem Film geht und diesen Kontext beherzigen.

Kommen wir zu einem weiteren Protagonisten, Cal: Für mich hat er am meisten dem Bild des westlichen Kriegsjournalisten entsprochen. Er ist jung, weiß, männlich, auf der Suche nach Action, um die Quoten nach oben zu treiben und bringt sich selbst dabei in Gefahr. War das während deiner Recherche der vorherrschende Typus? Oder ist das ein Klischee?
Vielleicht ist es irgendwo ein Klischee. Aber es ist auf jeden Fall so, dass die Leute so sehr mit sich hadern. Sie legen fast schon Selbstmord-Tendenzen an den Tag. Sie hören nicht auf. Stillstand ist die Hölle für sie. Ich kann mich an einen Korrespondenten erinnern, der Cal sehr ähnlich war: Immer wenn nichts los war, wenn die Stille eingebrochen ist, hat er angefangen zu saufen, Drogen zu nehmen, sich einfach nieder zu dröhnen oder irgendeinen viel zu riskanten Bullshit zu machen. Er konnte die Stille nicht aushalten, da er dann angefangen hat über Dinge nachzudenken, die er gesehen hat. Er war im Irak-Krieg. Da ist einiges bei ihm hängen geblieben. Der Irak-Krieg war für viele der Tiefpunkt, der viel verändert hat.

Auch beim älteren Protagonisten Ewald ist einiges aus dem Jugoslawien-Krieg, von dem er berichtet hat, hängen geblieben. Er hat Probleme zwischen Realität und Paranoia zu unterscheiden …
Ich wollte diese ältere Figur haben, die gebremst wird, die etwas hindert: Eine Vergangenheit, die nicht loslässt. Ganz viele dieser Leute haben post-traumatische Störungen, aber die wenigsten sagen es. Ich habe jemanden getroffen, der im Jugoslawien-Krieg war. Dort wurden sehr viele Massengräber ausgehoben. Bis heute riecht er hin und wieder diesen Leichengeruch an seiner Kleidung. Er bekommt den Geruch nicht weg und muss die Kleidung wegwerfen. Das fand ich heftig und traurig. Es gab so viele, die mir gesagt haben, dass sie mir jahrelang erzählen könnten, was sie alles erlebt haben und ich würde es dennoch nicht begreifen. Gesund ist das nicht!

Der Film beginnt mit dem Zitat "All this talk of blood and slaying has put me off my tea" aus Alice im Wunderland. Ist das eine Aussage, die du so ähnlich von Kriegsreporter*innen gehört hast?
Ich habe bei diesen Film das erste Mal mit Michael Glawogger zusammen gearbeitet, da ich seine Meinung haben wollte. Er hatte bei seinen Projekten viele Berichterstatter und Korrespondenten. Die Geschichten, die ich erzählt habe, erinnerten ihn sehr an diese Kontakte. Und da fand ich es lustig, dass sowohl er als auch viele Leute, die in diesem Feld arbeiten, den Jabberwocky aus „Alice hinter den Spiegeln“ zitieren konnten. Vielleicht war das nur ein Trend, aber das drückt so gut aus, zu welchem Punkt viele der Journalisten kommen: Es herrscht in diesem Bereich so ein Zynismus, so ein Sarkasmus. Jabberwocky ist ja ein komplett unsinniges Gedicht. Und im Abspann kommt das wieder, wo die Korrespondenten kompletten Unsinn in die Kamera sprechen.

Valentine Auer arbeitet als freie Journalistin in Wien.

In Hitlers Badewanne

  • 25.06.2015, 11:23

„Mein Name ist Lee Miller, und ich bin Ihre neue Schülerin.“ Mit diesen an Man Ray gerichteten Worten begann Lee Miller ihre Karriere als Fotografin im Jahr 1929 in Paris.

„Mein Name ist Lee Miller, und ich bin Ihre neue Schülerin.“ Mit diesen an Man Ray gerichteten Worten begann Lee Miller ihre Karriere als Fotografin im Jahr 1929 in Paris.

Zuvor war die damals 22-Jährige in New York vor den Kameras renommierter Fotografen wie Edward Steichen gestanden. Das Werk der Amerikanerin ist untrennbar mit ihrer legendären Biografie verbunden. In der Albertina wird nun anhand von 100 Fotos aus den Jahren 1929 bis 1945 Lee Millers Entwicklung von der surrealistischen Fotokünstlerin zur fotografierenden Kriegskorrespondentin nachvollzogen. In den 1930ern schuf sie gemeinsam mit Man Ray ikonische Bilder des Surrealismus; als Statue in Jean Cocteaus Film „Le

Sang d’un Poète“ wurde Lee Miller zum steinernen Mythos. Ironisch gebrochen wird die Reihe weiblicher Akte durch ihre Fotos von amputierten Brüsten, arrangiert auf Tellern mit Messer, Gabel und Dessertlöffel. Ab 1940 inszenierte die Fotografin Mode und Mannequins – etwa mit Brandschutzmasken am Eingang zu Schutzkellern – für die englische Vogue. Der leicht(fertig)e Schritt an diesen vom Surrealismus geprägten Bildwelten vorbei wird im hinteren Raum  der  thematisch  angeordneten Ausstellung dann abrupt unterbrochen.

1945 fotografierte Lee Miller als Kriegsreporterin in Deutschland. Einschneidend ist bei diesen Aufnahmen nicht nur die Brutalität der Sujets selbst – der tote, im Kanal treibende SS-Mann oder die befreiten Häftlinge in Lageruniform, aufgereiht vor einem Leichenberg – sondern auch deren Inszenierung durch die Fotografin. Die ganze Wucht von Lee Millers „ungeheurer" Persönlichkeit  offenbart sich in jenen berühmten Aufnahmen, die ihr Kollege David E. Scherman am 30. April 1945 von ihr machte. Während sich Hitler im sogenannten Führerbunker mit der Pistole der Verantwortung entzog, wusch sich Lee Miller den Staub der Konzentrationslager in der Badewanne dessen Münchner Wohnung vom Körper und legte sich in legerer Pose mit Zigarette in Eva Brauns Bett. Der Gang aus der Wiener Albertina nach draußen ist kein lässiger, hingehen und um eine beeindruckende Erzählung reicher werden, ist trotzdem empfehlenswert.

„Lee Miller“ Kurator: Walter Moser
Albertina Wien
bis 16.8.2015


Flora Schausberger studiert Critical Studies an der Akademie der bildenden Künste Wien.

Alles Böse ist autistisch

  • 11.05.2015, 08:00

Behinderte auf Basis fehlender oder unzureichend vorhandener Fähigkeiten abzuwerten wird als Ableismus bezeichnet. Im Journalismus ist es inzwischen gängiges Stilmittel geworden, den Begriff des Autismus für alles zu verwenden, was irgendwie negativ besetzt werden soll – auf Kosten der AutistInnen.

Klarstellung:
In der Ausgabe 03/15 haben wir einen Kommentar über Autismus der Autorin Marlies Hübner veröffentlicht. Wir haben am letzten Tag der Produktion, also einen Tag vor Drucklegung entschlossen, den Begriff "seelische Behinderung" durch den Begriff "geistige Behinderung" zu ersetzen. Wir gingen dabei davon aus, dass beide Begriffe synonym verwendet würden und der Begriff "seelische Behinderung" sich auf den christlichen Begriff der "Seele" beziehen würden, weshalb wir den Begriff "geistige Behinderung" für korrekter hielten. Über den Behinderungsbegriff und seine Definitionen lässt sich allgemein streiten – eins sollte dabei jedoch nicht getan werden: Betroffenen die Definitionsmacht über die Begriffe nehmen, mit denen sie sich selbst bezeichnen wollen.
Das haben wir jedoch getan und möchten uns dafür entschuldigen. Zumindest in der Online-Version haben wir den Begriff wieder geändert.

Viele werden sich fragen, warum solche Änderungen nicht mehr mit Autor_innen abgesprochen werden. Die Antwort ist einfach: Wir arbeiten zu dritt ehrenamtlich (mit geringer Aufwandsentschädigung) am Print-progress und verbringen bei der Produktion ein Wochenende mit Lektorieren, wobei wir von zwei Lektorinnen unterstützt werden. Natürlich verstehen wir, dass Autor_innen am liebsten über jedes Wort und jedes Komma mit uns diskutieren wollen würden – das ist rein zeitlich aber leider nicht drin. Weshalb es dann vorkommen kann, dass wir Sätze kürzen, Leads ändern, neue Überschriften erfinden oder eben auch Wörter ändern, ohne nochmal nachzufragen. Diese letzten Entscheidungen zu treffen ist auch ein Teil unserer Job-Description. Dabei passieren Fehler, und für diesen Fehler möchten wir uns entschuldigen.

Wir werden darüber nachdenken, wie bei heikleren Themen, bei denen wir es als unsere Aufgabe ansehen, Betroffene zu Wort kommen zu lassen, die Produktionsabläufe so gestalten können, dass solche Situationen nicht mehr entstehen.

die progress-Redaktion

 

Behinderte auf Basis fehlender oder unzureichend vorhandener Fähigkeiten abzuwerten wird als Ableismus bezeichnet. Im Journalismus ist es inzwischen gängiges Stilmittel geworden, den Begriff des Autismus für alles zu verwenden, was irgendwie negativ besetzt werden soll – auf Kosten der AutistInnen. 

Die deutsche Sprache verfügt, so schätzen WissenschaftlerInnen, über rund 5,3 Millionen Wörter – Tendenz steigend. Etwa 200.000 der regelmäßig genutzten Wörter sind im „Großen Wörterbuch der deutschen Sprache“ erfasst. Die meisten professionellen SchreiberInnen besitzen dieses Buch, eventuell auch ein Konkurrenzprodukt. Und doch fällt es gerade Menschen, deren Beruf der Umgang mit unserer Sprache ist, schwer, sich in eben dieser souverän, elegant und treffend auszudrücken.

Immerhin: Viele sprachliche Fehltritte, die vor Jahren noch gängig waren, verschwinden nach und nach aus unserem Sprachgebrauch. Wäre da nur nicht diese kleine Gruppe Menschen, die von dieser Entwicklung in den Mainstreammedien bisher vollständig ausgenommen ist: die AutistInnen. Ihre Neurodiversität, also ihre angeborene Entwicklungsstörung, wird zunehmend zu einem schicken, intellektuell klingenden Modewort für alles Negative.

SHELDON, MONK UND SHERLOCK? Autismus ist eine seelische, eine „unsichtbare“ Behinderung, deren Symptome erstmals 1938 vom österreichischen Kinderarzt Hans Asperger beschrieben wurden und die bis heute vergleichsweise unbekannt sind. Der Autismus wird inzwischen als großes Spektrum gesehen, das von leichten Auffälligkeiten bis hin zur schweren geistigen Behinderung reichen kann. Eine quasi kaum überschaubare Vielfalt an Ausprägungen und Persönlichkeiten also, von denen keine der anderen gleicht – ein Punkt, der es so schwer macht, Autismus abseits der reinen Diagnosekriterien zu verstehen. Gerade im Fall von AutistInnen, die man vor der Einführung des Autismusspektrums als Asperger-AutistInnen kategorisierte, bleiben Symptome oft unbemerkt, wenn sie sich nicht selbst outen. Sie werden meist als sehr verschlossen, einzelgängerisch, analytisch denkend und eher humorlos wahrgenommen. Dieser einseitige Blick von außen kann nicht widerspiegeln, was Autismus ist und wer AutistInnen sind. An sie werden oft Ansprüche gestellt, die sie aufgrund ihrer Einschränkungen nicht erfüllen können, was auf längere Sicht Frustration, Neigung zu Depression, erhöhte Arbeitslosigkeit und soziale Isolation verursacht.

ONANIERENDE VOLKSSCHULKINDER. Inzwischen vergeht trotz fehlendem Bewusstsein darüber, was Autismus überhaupt ist, kaum eine Woche, in der sich nicht in einen Zeitungsartikel das Schlagwort „autistisch“ einschleicht. Ende März forderte die mit Plagiatsvorwürfen ins Gerede gekommene Helene Hegemann im Feuilleton der FAZ einen neuen, „autistischen“ Persönlichkeitstypus, einen selbstlosen Übermenschen, der die Gesellschaft vor sich selbst rette: „Bei dieser neuen, glorifizierten Form von Autismus handelt es sich nicht um unberechenbare Asperger-Kids, die schon im Vorschulalter masturbierend am Kronleuchter hängen.“

Nun gut, Frau Hegemann, wir AutistInnen sind hier. Aber warum sollen wir eine Gesellschaft retten, die uns als Synonym für Ichbezogenheit, Isolati-
on, Egozentrik, Rücksichtslosigkeit und Ähnliches verwendet? Lassen wir die verstörenden sexualisierten Vorschulkinder weg, bleiben nur noch eine Handvoll Worte in Hegemanns Text. Diese ergeben zwar keinen Sinn, werfen aber ein recht merkwürdiges Licht auf AutistInnen. Eigentlich will Hegemann in ihrem Feuilleton-Beitrag nur ein bisschen jammern, weil man während der Plagiatskontroverse vermeintlich so schlecht mit ihr umging. Und das direkt zu tun, gehört sich ja nicht. Aber Ableismus, nun, das kann man schon mal machen.

WENN BABY DIE WÄSCHE MACHT. Im Februar ließ sich die Geschlechtsverkehrs-Spezialistin Paula Lambert in ihrer Sex- und Beziehungskolumne im Testosteronblättchen GQ darüber aus, dass ihr Protagonist Claus nun in einer festen Beziehung sei. Was sie nicht sonderlich zu freuen schien: „Claus hat eine intensive Phase des sozialen Autismus durchlebt, wie so viele Männer, die plötzlich eine Frau kennenlernen, die ihnen die Wäsche macht.“ Man stutzt kurz, fragt sich, wie so ein sozialer Autismus denn aussieht und ob es Autismus auslösen kann, jemandem die Wäsche zu machen. Dann merkt man, dass Frau Lambert lediglich sagen wollte, dass Claus sich in so einer Beziehung sehr wohl fühlt und die „Fürsorge“ seiner Partnerin ohne Gewissensbisse genießt. Das kann die Autorin nicht gutheißen, also muss sie es abwerten. Warum jedoch AutistInnen den Kopf für etwas herhalten müssen, was Frau Lambert doof findet, verschweigt sie uns leider.

EIN DEPP OHNE SEXUALITÄT. Besonders geschmacklos zeigte sich der Kabarettist Max Uthoff bei einer Rede gegen Mügida (den Münchner Ableger von Pegida), in der er verlauten ließ: „Was ist ein patriotischer Europäer? Ein Autist im Swingerclub.“ Er fand diesen Spruch derart lustig, dass er ihn kurz darauf im ZDF wiederholte. AutistInnen konnten darüber aber weniger lachen. Ihre Sexualität ist immer wieder Ziel wilder Mutmaßungen. Dass Uthoff aber AutistInnen ihre Sexualität per se aberkennt und sie vor einem Millionenpublikum demütigt, ist ihm gleichgültig. Er erntet damit billige Lacher und schlägt behinderten Menschen damit grinsend ins Gesicht.

Die falsche Verwendung und negative Konnotation des Autismus-Begriffs schadet unmittelbar AutistInnen, die nun nicht mehr wagen, über ihren Autismus zu sprechen. Doch genau das ist notwendig, um die Hilfe zu erhalten, die sie benötigen. Autismus ist weder Erkrankung noch Impfschaden oder von mangelnder Liebe oder falscher Ernährung verursachter Zustand. Und ganz sicher kein schlechter Witz, den drittklassige Schreiberlinge immer dann herbeizaubern können, wenn das eigene fachliche Unvermögen nichts mehr hergibt.

 

Marlies Hübner ist Autorin und erhielt mit Mitte 20 ihre Autismus-Diagnose. Seitdem setzt sie sich gegen Ableismus und für die Akzeptanz von AutistInnen ein und schreibt darüber unter anderem als Mitglied der Redaktion für N#mmer und auf robotinabox.de.

 

A New War On Terror

  • 21.02.2015, 19:24

Die Wortwahl in Mediendebatten zu systematischen Gewaltverbrechen führt zu Desinformation und Hetze. Ein Plädoyer für die Abschaffung des Terrorbegriffs.

Die Wortwahl in Mediendebatten zu systematischen Gewaltverbrechen führt zu Desinformation und Hetze. Ein Plädoyer für die Abschaffung des Terrorbegriffs.

Am 10. Februar erschoss der „Anti-Theist“ Craig Stephen Hicks seine muslimischen Nachbar*innen Deah Shaddy Barakat, Yusor Mohammad Abu-Salha und Razan Mohammad Abu-Salha in Chapel Hill, North Carolina. Die großen Nachrichtenagenturen und -Sender ließen sich lange Zeit mit der Berichterstattung über den Anschlag; als sie endlich kam, wurde nicht etwa von rassistischen Morden oder einem rassistischen Terroranschlag gesprochen, sondern von einem „Parkplatzstreit“.

Diese „Vorsicht“ bei der Bezeichnungen von An- oder Übergriffen Weißer findet im obligatorischen Nachsatz „die Polizei schließt einen rassistischen Hintergrund aus“ mittlerweile fast schon eine Zuspitzung als Gag. Bittere Ironie ist auch, dass nun offenbar keine Atheisten (oder Autofahrer*innen) genötigt werden, sich von Craig „I hate religion“ Stephen Hicks zu distanzieren, aber das ist wohl eine andere Geschichte.

Ähnlich wie mit dem Rassismus gestaltet es sich mit dem offenbar nichtexistenten weißen Terrorismus: Selbst Anders Breivik, der 2011 in Norwegen 77 vorwiegend Jugendliche in einem lange und akribisch geplanten Massaker erschoss, gilt als „Wahnsinniger“ und „Psychopath“. (Dass er unter anderem exakt wegen Terrorismus verurteilt wurde, ging in der Prozess-Berichterstattung unter.)

Ab wie vielen Menschen ist es eigentlich ein terroristischer Anschlag, wenn die Opfer Muslime oder Nicht-Weiße und der Täter ein Weißer ist? Die Antwort ist, dass es keine Antwort gibt. Der Begriff Terrorismus ist in den westlichen Medien und ihrer Gesellschaft nämlich ausschließlich für Gewalttaten Nicht-Weißer vorbehalten. Weiße Verbrechen werden somit individualisiert und pathologisiert, während den Verbrechen und der Gewalt Nicht-Weißer eine permanent systematische Komponente angehängt wird.

Zusätzlich zeigt die Tatsache, dass es keine objektiven Maßstäbe dafür gibt, wie sich ein Terroranschlag von einem Massaker oder einem Amoklauf abgrenzt, wie beliebig und deshalb gefährlich der Begriff ist. Eine der unzulänglichen Definitionen für „Terror“ ist „die systematische Verbreitung von Angst und Schrecken durch Gewaltaktionen zum erreichen politischer Ziele“. (Dass diese Definition sich übrigens manchmal auch mit jener für das Gewaltmonopol des Staates deckt, lassen wir mal außen vor.) Der breite Interpretationsspielraum dieser Definition wird nicht zufällig nie genutzt, um beispielsweise Gewalt und Verbrechen von Kolonialmächten als solche zu verurteilen; nein, der Terror ist trotz lateinischer Wurzel eine Erfindung der Post-9/11-Ära. Der US-amerikanische „War on Terror“ und seine gesellschaftlichen und innenpolitischen Auswirkungen schließlich haben gezeigt, dass der Terrorbegriff zum Begriffsterror geworden ist.

Harte Zeiten, harte Buchstaben: Das fast lautmalerische Zitterwort macht natürlich wunderbare Schlagzeilen und weltbedeutenden Journalismus, jedoch führt die beliebige (und an den falschen Orten inflationäre) Anwendung und das Verschwimmen der ohnehin schon schwammigen Anhaltspunkte nur zu Desinformation, Zementierung von Ungerechtigkeiten und Hetze gegen Nicht-Weiße. Wir brauchen einen neuen Kampf gegen den Terror: Nieder mit der rassistischen Begriffskultur.

 

Olja Alvir studiert Germanistik und Physik an der Universität Wien.

Differenzieren, differenzieren, nochmals differenzieren

  • 05.02.2015, 08:00

Der Anschlag auf die Zeitschrift Charlie Hebdo löste eine Schockwelle in den Redaktionshäusern aus. Der Betroffenheit zum Trotz können und müssen gerade die Medien durch Sachlichkeit und Differenzierungsvermögen einen Beitrag zur Entemotionalisierung leisten.

Der Anschlag auf die Zeitschrift Charlie Hebdo löste eine Schockwelle in den Redaktionshäusern aus. Der Betroffenheit zum Trotz können und müssen gerade die Medien durch Sachlichkeit und Differenzierungsvermögen einen Beitrag zur Entemotionalisierung leisten.

Als die Nachricht über den Taliban-Anschlag in Pakistan um die Welt ging, bei dem mehr als 130 SchülerInnen – Kinder von Militärangehörigen – brutal hingerichtet wurden, da haben wohl viele Menschen unwillkürlich an die Klassenzimmer gedacht, in denen sie selbst viele Jahre ihres Lebens verbracht haben.

Und als die Bilder von der Gewalttat in der Redaktion von Charlie Hebdo als Breaking News weltweit die Kanäle überfluteten, da saß der Schock bei einer Berufsgruppe besonders tief, nämlich bei den JournalistInnen. Ob angestellt oder freiberuflich, alle, die schon einmal journalistisch tätig waren, kennen die Redaktionssitzung als eine Bühne der kreativen und argumentativen Auseinandersetzung. Eine Redaktionssitzung bedeutet einen Wettstreit der Ideen und ist gelebte Meinungsfreiheit mit all ihren Facetten.

Es ist daher nachvollziehbar, dass gerade JournalistInnen, für die Meinungsfreiheit Motivation, Credo und Zweck ihrer Tätigkeit zugleich ist, in einem ganz besonderen Ausmaß von dem Attentat in Paris erschüttert sind. Aber zugleich kann es nicht die Aufgabe von JournalistInnen sein, die ohnehin emotional aufgewühlte Atmosphäre zusätzlich anzuheizen oder durch Vereinfachungen und unzulässige Vergleiche dem Sündenbock-Denken Vorschub zu leisten.

WAS IST „DIE COMMUNITY“? Hans Rauscher vom Standard nimmt in seiner Kolumne vom9. Jänner die „muslimische Community und ihre geistigen Führer“ in die Pflicht, Verantwortung zu übernehmen – dafür, „dass diese Wahnideen in der Community bekämpft werden“. Mit Verlaub, was soll bitte „die Community“ sein? Wie viele Menschen muslimischen Glaubens würden von sich ernsthaft behaupten, einer klar definierten Community anzugehören und deren Regeln – sofern diese überhaupt ausformuliert sind – lückenlos zu befolgen? DieVorstellung, dass „die Muslime“ sich in einer klar abgegrenzten und definierten „Community“ organisieren, entspringt eher dem Wunsch nach Klarheit und Kategorisierbarkeit sowie Lenkbarkeit eines Bevölkerungssegments als der komplexen Realität, die sich einem solchen Ordnungsprinzip widersetzt.

WER SIND „WIR“? WER „DIE MUSLIME“? Rauscher weiter: „Um es offen zu sagen: Wir haben uns mühsam die Moderne angeeignet – Säkularisierung, Frauenemanzipation, eine liberale Sexualmoral und -gesetzgebung, eine nicht vollständige, aber doch beträchtliche Abkehr von altem autoritärem Denken sowohl in der Familie als auch in der Politik. Von den Muslimen kann man das so nicht sagen.“ Wer sind „wir“? Wer sind „die Muslime“? Sind die sozialen und kulturellen Errungenschaften Europas etwa „unser“ Verdienst? Eine derart krass vereinfachende Aufteilung in „wir“ und „sie“ gilt es zu hinterfragen, gerade in der aktuell so aufgeheizten Atmosphäre.

„Es gibt Abstufungen innerhalb der Muslime“, hält Rauscher fest, und fügt hinzu: „Doch ein ziemlich großer Teil hat einen anderen Wertekanon.“ Ja,das mag so sein. Aber nicht die Werte sind es, die töten, sondern es sind gewaltbereite, bewaffnete Menschen. In einer pluralistischen Gesellschaft ist es nun einmal erlaubt, unterschiedliche Werte zu haben. Nicht die Werte der Muslime gilt es zu bekämpfen, sondern die Radikalisierung, die Frustration und die Aggression. Selbst wenn morgen sämtliche geistliche Würdenträger in jeder einzelnen Moschee Europas das Attentat von Paris aufs Schärfste verurteilen sollten, wäre damit die Terrorgefahr nicht aus der Welt geschafft.

HINKENDE NAZI-VERGLEICHE. Und schließlich der Nazi-Vergleich: „Aber es heißt, die Verantwortung dafür anzunehmen, dass diese Wahnideenin der Community bekämpft werden. So wie in Deutschland und Österreich Politiker, Publizisten, Intellektuelle, auch geistliche Führer aktiv die Verantwortung angenommen haben, dass die Wahnideen der Nazis nicht weiterleben oder verharmlost werden. Das war zu Zeiten Waldheims und Haiders ein keineswegs leichter Kampf von ein paar liberalen Geistern gegen den Mainstream.“ Dieser Vergleich hinkt so gewaltig, dass es den Rahmen sprengen würde, ihn an dieser Stelle einer eingehenden Analyse zu unterziehen. Es sei lediglich darauf hingewiesen, dass Nazi-Vergleiche an sich problematisch und grundsätzlich in einem Qualitätsmedium nicht gut aufgehoben sind.

SKEPSIS GEGENÜBER PATHOS. Allerdings ist Rauscher zuzustimmen, wenn er sagt: „Es geht um das geistige Klima in einer Gemeinschaft.“ Ja, das ist richtig. Es geht heute um das geistige Klima in Europa, und hier spielen Medien als vierte Gewalt eine ungeheuer wichtige Rolle, jetzt mehr denn je. Was bedeutet es denn für die Medien, Verantwortung zu übernehmen? Es bedeutet nichts anderes als zu differenzieren, zu differenzieren und nochmals zu differenzieren, sich unermüdlich mit der Komplexität der Realität auseinanderzusetzen, zu versachlichen, zu entemotionalisieren und sich stets aufs Neue auch mit der eigenen Rolle kritisch auseinanderzusetzen.

Verantwortung zu übernehmen heißt auch, jedweder Pauschalisierung oder Hysterisierung die rote Karte zu zeigen, sich von Schwarz-Weiß-Schemata zu distanzieren, und jeglichem Pathos mit Skepsis zu begegnen. Verantwortung zu übernehmen heißt, den Wunsch nach einfachen Rezepten und simplen Erklärungsmustern als eine Versuchung zu erkennen und dieser mit aller Kraft zu widerstehen.

 

Mascha Dabić hat Translationswissenschaft (Englisch und Russisch) fertig und Politikwissenschaft fast fertig studiert und unterrichtet Russisch-Dolmetschen an den Universitäten Wien und Innsbruck.

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