Jobbik

Alle böse außer uns. Ungarns nationalistischer Umbruch

  • 02.12.2013, 20:43

Marschierende Paramilitärs, ein repressives Mediengesetz, „Zwangsarbeit“ für Arbeitslose, der Versuch, Obdachlosigkeit per Dekret abzuschaffen und zig andere bedenkliche Gesetzes- und Verfassungsänderungen sind Teil einer besorgniserregenden politischen und gesellschaftlichen Entwicklung in Ungarn.

Marschierende Paramilitärs, ein repressives Mediengesetz, „Zwangsarbeit“ für Arbeitslose, der Versuch, Obdachlosigkeit per Dekret abzuschaffen und zig andere bedenkliche Gesetzes- und Verfassungsänderungen sind Teil einer besorgniserregenden politischen und gesellschaftlichen Entwicklung in Ungarn. Nach den Wahlen 2010 inszeniert sich die ungarische Politik immer häufiger mit Folklore und geschichtlich belasteter Symbolik. Wie ein Vogel und das Trauma von einem zerbrochenen Reich den ungarischen Nationalismus stärken.

Miklós Horthy, ehemaliger ungarischer Reichsverweser und Verbündeter Adolf Hitlers, kommt in Ungarn in den letzten Jahren wieder in Mode. Anfang November dieses Jahres wurde ihm ein weiteres Andenken gesetzt: Am Szabadság Platz, vor der reformierten Kirche, inszenierte die faschistische Jobbik-Partei mit Unterstützung des rechtsextremen Pastors Lóránt Hegedüs vor etwa hundert Sympathisant_innen eine Zeremonie und enthüllte eine Statue jenes Mannes, unter dem 1920 mit einem Numerus Clausus für jüdische Student_innen das erste antisemitische Gesetz im Nachkriegseuropa eingeführt wurde. Die Einweihung der Statue ist indes nur ein weiterer Mosaikstein im Vorhaben der nationalkonservativen Fidesz-Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orbán, das Land nach ihren Vorstellungen zu positionieren und auszurichten: ein Ungarn ausschließlich für die Ungar_innen, gedacht als grenzüberschreitende Nation mit Rückbesinnung auf christlich-konservative Werte und Stärkung des „Magyarentums“.

 

Die Wahlen 2010 als Spiegelbild der eigenen Geschichte

Im Frühjahr 2010 erreichte der rechtskonservative Fidesz (Ungarischer Bürgerbund) 53% der Wähler_innenstimmen und regiert dank des Mehrheitswahlrechts mit einer parlamentarischen Zweidrittelmehrheit. Mit knapp 17 % Stimmenanteil errang die neofaschistische Jobbik („Die Besseren“/Die „Rechteren“) 12 % der Mandate und zog sieben Jahre nach ihrer Gründung erstmals ins Abgeordnetenhaus ein. Die zuvor regierenden Sozialdemokrat_innen (MSZP) wurden mit nur 19 % der Wähler_innenstimmen regelrecht von ihren Regierungsposten gejagt. Hauptgrund für dieses schlechte Abschneiden war die  berühmt gewordene „Lügenrede“ des damaligen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány, bei der dieser zugab, ein Budgetloch bewusst verschwiegen zu haben, um bei den Wahlen 2006 als Sieger vom Platz gehen zu können. Als vierte Partei sicherten sich noch die Grünen mit knapp 7,5 % der Stimmen ihren Verbleib in Ungarns höchster politischer Spielklasse.

Büste von Miklós Horthy (Foto: Mindenki joga)

Die Jobbik unter Parteichef Gabor Voná kündigte bereits kurz nach den Wahlen an, im Land „aufräumen zu wollen“ - wozu ihnen auch der Einsatz einer paramilitärischen und optisch an die nationalsozialistischen Pfeilkreuzler (unter ihnen wurde eine halbe Million ungarische Juden und Jüdinnen deportiert) angelehnten „Ungarischen Garde“ recht ist. Die Garde dient dazu, durch Aufmärsche und Gewalttaten Angst unter politischen Gegner_innen und gesellschaftlichen Minderheiten zu verbreiten. Ideologisches Bindeglied ist der Opfermythos rund um den Trianon-Vertrag von 1920, der zum Spielball der Politik geworden ist. Durch diesen Vertrag verlor Ungarn 2/3 seiner Staatsgebiete, der Grenzverlauf wurde von den Siegermächten ohne Einbeziehung Ungarns und der in Ungarn lebenden Menschen gezogen. Die Rückgabe der verloren Gebiete ist eine ständige Forderung der ungarischen Rechten.

Auch die Regierungspartei Fidesz ist den großungarischen Ansprüchen nicht abgeneigt und unterstreicht ihre Haltung durch eine Staatsbürger_innenschaftsreform, die auch „ungarischstämmigen“ Menschen außerhalb der Staatsgrenzen einen ungarischen Pass garantieren soll. Die Latte, um die ungarische Staatsbürgerschaft zu ergattern, ist nicht sonderlich hoch gelegt. So genügt es vorzuweisen, dass man vor 1920 oder zwischen 1938 und 1945 zumindest einen verwandten Vorfahren mit ungarischem Pass hatte. Die oftmals angesprochenen „fließenden Ungarischkenntnisse“ entpuppen sich bei genauerer Betrachtung als Farce: so genügt es häufig, nur ein paar wenige Floskeln Ungarisch zu beherrschen, um an den begehrten Pass des EU-Mitgliedslandes zu gelangen.

Die Stärkung nach außen geht mit der Schaffung eines inneren Feindes einher, so hetzen Fidesz wie Jobbik seit Jahren gegen Roma, Juden und Jüdinnen, Linke sowie Liberale und seit den letzten Monaten vermehrt auch gegen Obdachlose - es muss sauber sein im Land, jegliche Zeichen eines Makels gilt es unsichtbar zu machen und aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen. Mit einer Verfassungsänderung schuf das ungarische Parlament 2013 die gesetzliche Grundlage dafür, dass Kommunen „obdachloses Verhalten“ per se als kriminell erklären und sanktionieren dürfen. Doch der Wandel hin zu einem speziell völkisch geprägten Nationalismus geschah nicht über Nacht.

Rechtsradikale Paramilitärs (Foto: Dieter Diskovic)

Turan Turan – rechte Ideologie und Neopaganismus

Das in weiten Teilen der ungarischen Bevölkerung verwurzelte rechte Gedankengut ist Produkt einer jahrzehntelangen Entwicklung, mitnichten kann man von einem plötzlichen „Rechtsruck“ sprechen. Selbst in der Ära des so genannten „Gulaschkommunismus“ ab 1956 versuchte sich die Regierung mit positivem Bezug auf den ungarischen Nationalismus Legitimität in der Bevölkerung zu verschaffen. Das völkische Denken ist heute in großem Ausmaß bei der nationalkonservativen Regierungspartei Fidesz und bei der neofaschistischen Oppositionspartei Jobbik vorhanden, jedoch selbst bei Teilen der tendenziell liberalen bis links stehenden Parteien wie der sozialdemokratischen MSZP und den Grünen anzutreffen. Das völkische Denken zeichnet sich durch einen ausschließenden Nationalismus, den Glauben an eine ethnisch-homogene Abstammungsgemeinschaft und eine Abgrenzung gegen vermeintliche innere und äußere Feinde aus.

Neben den allgegenwärtigen Bezügen auf die ungarische Nation und das Christentum hat sich in den letzten Jahren in Teilen der Bevölkerung eine Rassentheorie aus dem 19. Jahrhundert etabliert: der Turanismus. Diese Ideologie geht von einer gemeinsamen Abstammung von Ungarn, Türken, Esten, Finnen, Mongolen, Mandschuren und Jakuten aus, in manchen Auslegungen soll sich die „turanide Rasse“ gar bis Japan erstrecken. Der Turanismus, der unter anderem auch von den rechtsextremen türkischen Grauen Wölfen vertreten wird, steht in Ungarn für eine Abwendung von Westeuropa hin zu den asiatischen Ursprüngen der ungarischen Zivilisation. Auf zahlreichen völkischen Festivals feiern hunderttausende Besucher_innen ein Magyarentum, das mit der historischen Realität nur wenig zu tun hat. Unterstützt von den Abstammungslehren zweifelhafter rechter „Historiker_innen“ inszeniert man sich als wildes, edles und vor allem verfolgtes Reitervolk aus dem Osten.

Das Symbol des Turanismus ist der Turul, ein mythischer Vogel zwischen Adler und Falke, der die Magyaren von Asien nach Europa gebracht haben soll. Welche identitätsstiftende Bedeutung dieses Fabelwesen für die ungarische Rechte mittlerweile hat, zeigt der Kampf um eine 2005 errichtete Turul-Statue im 12. Budapester Gemeindebezirk. Die Figur des Turul wurde in der Zeit des Zweiten Weltkrieges von den faschistischen Pfeilkreuzlern intensiv verwendet und ist deshalb massiv vorbelastet. Dennoch ließ es sich der Bezirksvorsteher der heutigen Regierungspartei Fidesz im Jahr 2005 nicht nehmen, eine mit faschistischen Symboliken gespickte und von der damaligen links-liberalen Stadtverwaltung Budapests nicht genehmigte Turul-Statue aufzustellen. In den folgenden Jahren versuchte die Budapester Stadtregierung immer wieder, diese illegal errichtete Skulptur abreißen zu lassen, was durch Aufmärsche der paramilitärischen und rechtsextremen Ungarischen Garde wiederholt abgewehrt werden konnte. 2008 wurde die Statue sogar von Vertretern christlicher Kirchen gesegnet. 2010 war es eine der ersten Maßnahmen der neu gewählten Fidesz-Regierung, diesen mittlerweile „heiligen“ Turul durch ein eigenes Gesetz legalisieren zu lassen.

Turul (Bild: Dieter Diskovic)

Aber selbst damit nahm das Trauerspiel um das bronzene Fabeltier noch kein Ende. 2009 wollte die britische Künstlerin Liane Lang auf die antisemitische und rassistische Symbolik der Statue aufmerksam machen und fotografierte den Turul mit einer Plastikhand im Schnabel. Die Reaktion folgte nur einen Tag später: das Budapester Holocaust-Mahnmal „Schuhe am Donauufer“, das an die Ermordung ungarischer Jüdinnen und Juden durch Pfeilkreuzler erinnern soll, wurde von Unbekannten geschändet. Die bis heute nicht gefassten Täter_innen hatten blutige Schweinshaxen in die Schuhe gesteckt.

Ungarn – das „Palästina Europas“?

Die ungarische extreme Rechte ist aufgrund ihrer Gebietsforderungen an alle Nachbarländer international isoliert, die Suche nach östlichen Bündnispartnern hat also durchaus auch strategische Gründe. Die Jobbik etwa sieht den Iran als „Brudervolk“, der dort weit verbreitete Antizionismus deckt sich auch mit der eigenen Ideologie. Im ungarischen rechtsextremen Milieu sieht man sich als beständiges Opfer äußerer Einflüsse, in politischen Ansprachen stellt man sich gar als das „Palästina Europas“ dar.. Der Fidesz, zwar auch Teil der ungarischen Rechten, doch minder ausgegrenzt, stellt mit Viktor Orbán seit 2002 sogar den Vizepräsidenten der Europäischen Volkspartei und wird auch von Österreichs höchstem kirchlichen Würdenträger geschätzt. So ließ es sich Kardinal Christoph Schönborn 2012 nicht nehmen, die ungarische Regierung ob ihrer Standhaftigkeit zu den christlichen Werten zu loben (im Gegenzug wurde ihm im ungarischen Parlament das „Großkreuz für Verdienste um den Staat Ungarn“ verliehen).

Zusätzlich zu völkischem Gedankengut und Turanismus gibt es ein weiteres Element, das nur auf den ersten Blick dem stets betonten Christentum widerspricht: eine mythische Erhöhung der ungarischen Nation, die nicht selten einen neopaganistischen Charakter aufweist. Ein Höhepunkt dieser Entwicklung ist der „Tempel Karpatenheimat“ in Veröce, in dem statt Gott das Magyarentum, die Stephanskrone und der Turul angebetet werden. Selbst in das Parlament hat es der Schamanismus bereits geschafft: im März 2012 wurde ein schamanisches Tanzritual zum Schutz der „Heiligen ungarischen Krone“ abgehalten. Im gleichen Jahr war bereits die neue Verfassung in Kraft getreten, der ein „nationales Glaubensbekenntnis“ vorangestellt wurde.

Bei den kommenden Wahlen im Frühjahr 2014 dürfte sich in Ungarn aber nur wenig ändern. Jüngste Umfragen sehen den Fidesz bei 45 – 50 %, wobei auch ein Wiedererlangen der parlamentarischen 2/3 Mehrheit nicht undenkbar ist. Möglich macht das auch eine Wahlrechtsreform des Fidesz, in der verschiedene Wahlbezirke zugunsten der Regierungspartei zusammengelegt wurden. Von der (liberalen) Opposition ist nicht viel zu sehen, anstatt eigene Programme zu forcieren und dadurch das Profil zu schärfen, begnügt man sich mit Anti-Orbán-Rhetorik. Das hat verheerende Auswirkungen: die sozialdemokratische MSZP stagniert bei etwa 22 %, gefolgt von der rechtsextremen Jobbik (14 %) an der dritten und dem liberalen Wahlbündnis „Gemeinsam 2014“ (8 %) an der vierten Stelle. Die restlichen Parteien, darunter die Grünen und die Demokratische Koalition (DK) des ehemaligen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány, können als „ferner liefen“ eingestuft werden.

Einen Wandel zu einem wirklich demokratischen Ungarn können aber nur die Ungar_innen selbst erreichen. Trotz vieler kleiner oppositioneller Initiativen, häufig außerhalb des Parteienspektrums, dürfte es bis dahin noch ein weiter Weg sein.

 

Als weiterführende Lektüre empfehlen wir:

KOOB, Andreas et al. 2013. Mit Pfeil, Kreuz und Krone. Nationalismus und autoritäre Krisenbewältigung in Ungarn. Unrast Verlag.

Dieter Diskovic (geb. 1979), lebt in Wien. Er ist Student der Kultur- und Sozialanthropologie, Sozialarbeiter und Musiker bei der Band Collapsing New People.

Gabriel Binder (geb. 1987), lebt in Wien und ist Angestellter und freier Schriftsteller.

Beide engagieren sich bei „Screaming Birds“, einer 2012 gegründeten Gruppe, die sich gesellschaftskritisch und in verschiedenen Formen politischen Themen widmet.