Israel

Reden wir Tacheles: Claude Lanzmann

  • 20.06.2017, 18:15
Claude Lanzmann war auf Einladung des Filmclub Tacheles zu Besuch in Wien. Erzählt hat er vieles. Wir haben beim Filmclub nachgefragt, wie es dazu kam.

Claude Lanzmann war auf Einladung des Filmclub Tacheles zu Besuch in Wien. Erzählt hat er vieles. Wir haben beim Filmclub nachgefragt, wie es dazu kam.

Seit dem Sommersemester 2017 gibt es den Filmclub Tacheles an der Universität Wien. Bei einer Veranstaltungsreihe dieses Semester zeigte man Lanzmanns Israel-Trilogie. Höhepunkt war ein Vortrag von Claude Lanzmann selbst im vollbesetzten Audimax.

Lanzmann – ein polarisierender Charakter, einerseits bekannt durch seine Filme, andererseits durch seine schriftstellerischen Tätigkeiten, vor allem als Herausgeber von Les Temps Modernes, zusammen mit Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir. Wie kam es nun dazu, dass Lanzmann einen Vortrag im Wiener Audimax hielt? „Die Mutter eines Filmclub- Mitglieds hat den Vorschlag gebracht, was zunächst belächelt wurde. Ein Telefonat und eine E-Mail später hatten wir dann seine Einwilligung, was uns sehr verblüfft hat. Von diesem Zeitpunkt an war es für uns von höchster Wichtigkeit, dem Regisseur selbst Raum zu geben, sich zu seinen Filmen zu äußern“, erklärt ein Mitglied des Filmclubs.

Der Filmclub Tacheles ist eine Initiative von antifaschistischen Student_innen verschiedener geistesund kulturwissenschaftlicher Disziplinen, die Filme zu den Themen Judentum, Israel und Antisemitismus zeigen wollen. Primäre Intention zur Gründung war der Wunsch, Lanzmanns Hauptwerk vorzuführen. „Die meisten Studis wissen um die Filme, aber finden nie die passende Gelegenheit, sich diese anzuschauen“, meint eine Aktivistin des Filmclubs. Gezeigt wurde die Israel-Trilogie: Diese umfasst Pourquoi Israël, in dem es um die ersten Jahre des Staates Israel geht; Shoah, Lanzmanns wohl bekanntestes, 9½-stündiges Meisterwerk; und Tsahal, der um das israelische Heer zentriert ist. Insgesamt sind das 18 Stunden und 41 Minuten, die dieses Semester an vier Nachmittagen an der Universität Wien über die Leinwand liefen, wobei Shoah in zwei Etappen zu je zirka fünf Stunden gezeigt wurde.

Lanzmanns Filme sind voller Interviews und vermitteln authentische Eindrücke von Zeitzeug_innen in den 1970ern. Es fühlt sich zynisch an, in diesem Kontext den Begriff authentisch zu verwenden – Lanzmanns Werk ist zweifelsohne echt, reale Abbilder des Unvorstellbaren beziehungsweise Unzeigbaren. Shoah gilt bis heute als die erfolgreichste, umfassendste und auch erfassendste filmische Auseinandersetzung mit dem Genozid an den Jüdinnen und Juden im zwanzigsten Jahrhundert. Es wäre nicht möglich, seine Filme an dieser Stelle ausreichend zu beschreiben – um zu verstehen, muss man sehen. „Was fundamental ist, lässt sich nicht zerteilen. Kein Warum, aber auch keine Antwort darauf, warum das Warum zurückgewiesen wird – aus Angst, dieser Obszönität zu verfallen“, so Lanzmann im Vorwort zum 2011 erschienenen Buch zu Shoah.

An einem Freitagabend im März füllte sich also das Audimax der Hauptuniversität mit Studierenden und Interessierten jeden Alters. Spannung lag in der Luft, als der 91-jährige Lanzmann den Saal betrat, gestützt auf einen Gehstock, begleitet von einer grandiosen Dolmetscherin. Lanzmann ist Franzose, und trotz seiner Deutschkenntnisse bevorzugt er seine Muttersprache – bewundernswert ist die Dolmetscherin, da Lanzmann keine Rücksicht nimmt. Man merkt, er hat schon oft diese Episoden aus seinem Leben erzählt, der Vortrag ist also ein Zuhören und Warten, ein Hin und Her zwischen jeweils 15 Minuten Französisch und Deutsch. Lanzmann erzählt von seinen Erfahrungen mit dem israelischen Militär, rund um den Dreh von Tsahal, von seinem neuen Film Vier Schwestern, der noch immer vom Material von Shoah zehrt. Auch über den Entstehungsprozess rund um seinen Film und einzelne Episoden mit seinen InterviewpartnerInnen wird gesprochen. Er verweist oft auf seine 2010 erschienene Autobiografie Der Patagonische Hase, in welcher er ebenso episodisch wie bei der Lecture im Audimax aus seinem Leben erzählt. Wer also mehr über die Entstehungsgeschichte seiner Werke erfahren möchte, ist mit seiner Autobiografie gut beraten. Darin führt er auch aus, dass er DolmetscherInnen gewohnt sei, die einen Lauf von einer halben Stunde Länge mit Notizen übersetzen können, was seine fordernde Erzählweise im Audimax erklärt. Lanzmann als Popstar unter den ErzählerInnen: Am Ende des Vortrags gab es Standing Ovations, gefolgt von Signier-Session, Selfies und langer Schlange am Merch-Tisch.

Ebenso dankbar wie der Filmclub Tacheles für die Zusage Lanzmanns waren wahrscheinlich auch alle Anwesenden über die Möglichkeit, Lanzmann einmal live zu erleben. Und auch der Filmclub Tacheles ist motiviert für mehr. Im Juni veranstaltete man ein Balagan am Campus mit Filmscreening und Party. Außerdem beginnen gerade Kooperationen mit Gruppen an anderen österreichischen und deutschen Universitäten.

Den Vortrag kann man sich unter diesem Link ansehen.
Der Filmclub Tacheles: https://www.facebook.com/ filmclubtacheles

Franziska Schwarz studiert viele Dinge an der Universität Wien, unter anderem Publizistik

Blut und Boden gegen Israel

  • 11.05.2017, 09:00
Die antisemitische internationale Bewegung BDS – Boycott, Divestment, Sanctions – delegitimiert Israel mit Lügen und Halbwahrheiten. Auch in Österreich hat sie einen Ableger.

Die antisemitische internationale Bewegung BDS – Boycott, Divestment, Sanctions – delegitimiert Israel mit Lügen und Halbwahrheiten. Auch in Österreich hat sie einen Ableger.

„Was ist eigentlich Apartheid?“, fragten AktivistInnen von BDS Österreich bei ihrem letzten Flashmob in Wien. Der Ableger der internationalen Kampagne für den Boykott des einzigen jüdischen Staates warb anlässlich der sogenannten „Israeli Apartheid Week“ im März 2017 unter anderem vor der Synagoge am Campus der Uni Wien für Veranstaltungen. Deren Durchführung aber war schwierig: Unter anderem kündigte das linke Wiener Kulturzentrum WUK schon gebuchte Räume, als man dort auf den Charakter von BDS aufmerksam wurde.

Bewegungsgeschichte. International gibt es BDS seit 2005, in Österreich seit 2014, stets in enger Verbindung zum Verein Dar al-Janub. Der entstand 2003 im Umfeld der offen antisemitischen Gruppe „Sedunia“, die im selben Jahr eine Gedenkveranstaltung zu den Novemberpogromen im zweiten Wiener Gemeindebezirk angegriffen hatte. Im November 2008 distanzierte sich Dar al-Janub online von diesem „sinnlosen“ Angriff, und offener Antisemitismus ist bei ihnen nicht zu beobachten. Auch BDS Österreich vermeidet zunehmend allzu offensichtliche Nähe zum offenen Antisemitismus: Auf früheren Kundgebungen etwa gehörten häufig noch Fotos ungeklärter Herkunft von toten Kindern zur Propaganda, die an das antisemitische Motiv des kindermordenden Juden erinnerten. Solche Fotos findet man heute kaum noch bei BDS Österreich.

Analysiert man aber die drei Forderungen von BDS, tut sich eine Mischung aus ,alternativen Fakten‘ und dem Willen auf, Israel als jüdischen Staat abzuschaffen. Diese jüdische Souveränität allein aber ist es, die Juden und Jüdinnen auch mit Waffengewalt vor den Angriffen von AntisemitInnen verteidigen kann und leider bis heute auch andauernd muss. Sie ist der Kern des Zionismus als emanzipatorischer politischer Bewegung, die den Staat Israel errichtet und so hunderttausenden Juden und Jüdinnen das Leben gerettet hat – zum Teil sehr direkt. Bei Militäroperationen Mitte der 1980er Jahre und 1991 etwa wurden rund 20.000 äthiopische Juden und Jüdinnen nach Israel ausgeflogen. Wer Israel abschaffen will, nimmt potentiell den Tod von Juden und Jüdinnen in Kauf.

„Das Ende der Besetzung und Kolonisation allen arabischen Landes und ein Abriss der Mauer“, die erste Forderung von BDS, lässt tief in die Blut-und-Boden-Ideologie der Bewegung blicken, die „arabisch“ mit Land verknüpft. Im heutigen Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten haben seit Jahrhunderten die unterschiedlichsten Gruppen – und eben nicht nur AraberInnen – gelebt, politisch war es unter anderem unter osmanischer Herrschaft, später unter britischer Verwaltung und seit dem Unabhängigkeitskrieg, der dem jungen jüdischen Staat von seinen Nachbarn aufgezwungen wurde, unter israelischer, jordanischer, ägyptischer und syrischer Kontrolle. Es „arabisches Land“ zu nennen suggeriert, nur AraberInnen hätten ein historisches Recht, hier zu leben, weil allein sie es „immer schon“ getan hätten. Zudem lässt der Begriff „Kolonisation arabischen Landes“ die Interpretationsmöglichkeit offen, auch Israel selbst in den Grenzen von vor dem Sechs-Tage-Krieg 1967 sei ein koloniales Projekt gewesen und müsse also mit dem geforderten Ende weg.

Die „Mauer“, die abgerissen werden soll, ist eine Sicherheitsbarriere, die nach langem Für und Wider in Israel gegen tödliche Anschläge palästinensischer TerroristInnen aus dem Westjordanland gebaut wurde – erfolgreich. Zur Illustration, wie genau BDS es mit Fakten nimmt: Die „Mauer“ besteht zu etwa 95 Prozent aus Zaun, der ähnliche Zwecke erfüllt, aber mit Bildern von Beton lässt sich das Ressentiment besser bedienen.

Auch die zweite Forderung, „die vollkommene rechtliche Gleichstellung der arabisch-palästinensischen BürgerInnen Israels“, basiert auf Unwahrheit, denn sie ist längst israelische Realität – mit einer Ausnahme: Die meisten der etwa 20 Prozent nichtjüdischen Israelis müssen anders als jüdische nicht zum Militär, können sich aber freiwillig melden.

Die dritte Forderung schließlich, die nach der „Anerkennung der Rechte der palästinensischen Flüchtlinge, in ihre Heimat und zu ihrem Eigentum zurückzukehren“, ist in mehrerlei Hinsicht merkwürdig: Palästinensische Flüchtlinge sind weltweit die einzigen, deren Flüchtlingsstatus sich vererbt und deren Probleme von der für sie zuständigen UN-Agentur UNRWA nach deren eigener Auskunft nicht dauerhaft gelöst werden sollen. Die UNRWA wurde 1949 als temporäres Hilfsprogramm gegründet und ihr Mandat seither regelmäßig um drei Jahre verlängert. So hart Flucht individuell ist, so alltäglich ist sie global, und kaum jemand käme etwa auf die Idee, ein Rückkehrrecht für die rund 850.000 nach 1948 aus arabischen Staaten geflohenen Juden und Jüdinnen zu fordern – geschweige denn für ihre Nachkommen.

Aus den etwa 750.000 AraberInnen, die aus dem heutigen Israel im Bürger- und Unabhängigkeitskrieg um 1948 geflohen sind, vertrieben wurden oder freiwillig gingen, sind mittlerweile knappe 5,3 Millionen Menschen geworden, die bei der UNRWA als „Flüchtlinge“ registriert sind. Von ihnen ist kaum noch jemand selbst geflohen, sondern, so das Kriterium der UNRWA, männliche Vorfahren von ihnen. Die Forderung, 5,3 Millionen nichtjüdische Menschen nach Israel mit seinen acht Millionen EinwohnerInnen einwandern zu lassen, kann Israel unmöglich erfüllen, würde es doch damit sein vitales Charakteristikum aufgeben, ein demokratischer und jüdischer Staat mit gleichen Rechten für alle seine BürgerInnen zu sein.

Diese Forderung also läuft nicht nur auf die Abschaffung des jüdischen Staates hinaus. Durch ihre Verbreitung weit über BDS hinaus trägt sie auch dazu bei, dass diese 5,3 Millionen Menschen in Flüchtlingslagern in den Nachbarstaaten Israels unter oft schlechten Bedingungen leben müssen und eben dort keine Bürgerrechte genießen – würden diese Staaten sie ihnen zuerkennen, gäben sie das Druckmittel auf, als das sie diese Menschen bei Verhandlungen mit Israel immer wieder verwendet haben. Die Leidtragenden sind PalästinenserInnen, BDS trägt dazu bei.

Ersatzhass. Was ist also Apartheid? Die israelische Situation, in der Juden und Jüdinnen, AraberInnen und andere mit gleichen Rechten leben, hat damit jedenfalls nichts zu tun. Gleiches gilt für den von BDS gegen Israel erhobenen Vorwurf der „ethnischen Säuberungen“. Dass BDS so erfolgreich ist, liegt wohl eher daran, dass Antisemitismus zwar nicht gesellschaftsfähig ist, solange er offen sagt: „Ich hasse die Juden.“ Die zugrundeliegende Struktur ist aber gesellschaftlich nach wie vor stark und richtet sich in Form von so genannter „Israelkritik“ – ein Terminus, dessen Absurdität am Vergleich zu nicht existenten Begriffen wie „Schwedenkritik“ oder „Chinakritik“ offenbar wird – in erster Instanz oft nicht mehr offen gegen Juden und Jüdinnen, sondern gegen den jüdischen Staat.

 

Nikolai Schreiter studiert Politikwissenschaft in Wien und Jerusalem.

Mehr als eine Autopanne.

  • 06.04.2017, 18:14
Kurzfilme sind immer so eine Sache. Sind sie gut, wünscht man sich es dauerte länger, sind sie schlecht, fragt man sich ehrlich wie lange einem 20 Minuten erscheinen können.

Kurzfilme sind immer so eine Sache. Sind sie gut, wünscht man sich es dauerte länger, sind sie schlecht, fragt man sich ehrlich wie lange einem 20 Minuten erscheinen können.

„Die Überstellung“ von Regisseur Michael Grudsky findet dagegen die genau richtige Länge.

Irgendwo im Nirgendwo in der Wüste Negev steht Abu Sharif vor seiner letzten Überstellung bis seine Haftstrafe in zwei Wochen abgebüßt ist. Der junge Befehlshaber Erez versucht streng die Disziplin durchzusetzen, die seine untergebenen Soldaten vermissen lassen und eher kommod mit den Regeln und den Gefangenen umgehen.

Der Produzentin Nina Poschinski gelang es, Drehgenehmigungen in einem israelischen Gefängnis und in der Wüste Negev zu bekommen, was sich in der bemerkenswertenCinemateographie widerspiegelt. Im Niemandsland der Wüste taucht eine Festung der Überwachung auf, die abgelöst wird von bombastischen Weitwinkelaufnahmen der Wüste auf der Fahrt in Abu Sharifs letzten Gefängnisaufenthalt Megiddo. Als dann plötzlich der Wagen einen Motorschaden hat, geraten die Soldaten in eine Ausnahmesituation. Abu Sharif ist Automechaniker, darf aber laut Erez weder seine Handschellen ablegen noch den Wagen berühren. Es scheint Erez einziger Halt, in einer aus den Fugen geratenen Situation streng nach Vorschrift vorzugehen. Erst als der Fahrer durch sein Asthma in eine lebensbedrohliche Situation zu kommen droht, lässt Erez es zu, Hilfe von dem Mann anzunehmen, von dem er nur Schaden erwartet. Abu Sharif hilft und schafft so einen kurzen Moment der Kameraderie auf der Weiterfahrt. Es wird über Autos und Zigaretten geredet und gelacht. Der normale tägliche Wahnsinn dringt jedoch über das Radio ein, das einen Terroranschlag in Ashkelon meldet, der Heimatort eines der Soldaten, der panisch seine Freundin anruft. Die Rollen sind wieder klar verteilt und alles was bleibt, ist Schweigen.

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Es ist die Unmöglichkeit von Freundschaft und Frieden in einer ausweglosen Situation, die den Nahostkonflikt im kleinen Rahmen der Autofahrt spiegelt. Die Schuldfrage bleibt nicht unbeantwortet: Es ist der Terrorismus der Feinde Israels, die eine Normalität verhindert. Die Fronten sind wieder geklärt, hier ein (ehemaliges) Mitglied einer islamistischen Gruppe, dort Soldaten, die ihren Dienst tun und doch nicht ihre Liebsten zu schützen vermögen, wenn Terrorist*innen attackieren.

Bemerkenswert war auch eine Frage des Moderators im Publikumsgespräch. Der Film sei ja durchaus kritisch gegenüber Israel (der Regisseur merkte hier an, dass er dies nicht so sehe), ob dieser dann überhaupt in Israel zum Beispiel im Rahmen eines Festivals zeigen könne. Hier zeigt sich ein Bild von Israel, dass selbst vor der Kulturszene nicht Halt macht: Israel lasse keine Kritik an seiner Politik zu. Der Regisseur musste den Moderator erst darauf hinweisen, dass es in Israel keine Zensur gibt und durchaus noch viel kritischere Filme in Israel gezeigt werden.

Die Überstellung, DE 2017 | Hebr. mit dt. UT |23 Minuten

Anne Marie Faisst schreibt (nicht) ihre Masterarbeit in Internationale Entwicklung sondern stattdessen Filmkritiken von der #Diagonale17 in Graz.

Gegenöffentlichkeit, die keine ist

  • 23.02.2017, 20:45
AJ+ präsentiert sich auf den ersten Blick wie ein progressives, alternatives Medium. Doch hinter den eingängigen Kurzvideos steht ein global agierender Medienkonzern mit antisemitischer Agenda.

AJ+ präsentiert sich auf den ersten Blick wie ein progressives, alternatives Medium. Doch hinter den eingängigen Kurzvideos steht ein global agierender Medienkonzern mit antisemitischer Agenda.

AJ+ gibt vor, ein Medium „für die vernetzte Generation“ zu sein, das ein „Licht auf soziale Kämpfe wirft und Stimmen stärkt, die den Status Quo bekämpfen“. Finanziert wird der Kanal von Al Jazeera. Der global agierende Medienkonzern aus Katar möchte mit AJ+ ein neues Publikum ansprechen. Ein Schönheitswettbewerb für Meerschweinchen in Peru; Schüler*innen, die vor dem Krankenhaus für ihren krebskranken Lehrer singen; jesidische Frauen, die gegen ISIS kämpfen und ein Clip über die USA, die den Israelis 38 Millarden Dollar Militärhilfe überweisen, damit sie noch mehr palästinensische Kinder töten können. Wait, what? Das alles sind Videos, die AJ+ innerhalb einer Woche auf Facebook veröffentlicht hat. AJ+ gestaltet seine Videos so, dass in den ersten drei bis fünf Sekunden eine eyecatching Überschrift und interessante Bilder zu sehen sind: Clickbait, das dank Facebook-Autoplay funktioniert. Die Videos sind meist nicht länger als eine Minute, untertitelt, ohne Voiceover und am Ende immer mit dem schwarz-gelben AJ+-Logo versehen.

EMSIGE ANTISEMITISCHE BIENE. AJ+ hat über sechs Millionen Likes auf Facebook und mehr als eine Milliarde Views. Seit Juni 2014 online, war das Portal bereits 2015 der zweitgrößte Videoproduzent im Facebook-Nachrichtensektor. Die Themen sprechen ein globales, vernetztes Publikum an: BlackLivesMatters, der Syrienkonflikt, feministische Themen wie sexualisierte Gewalt an US-Colleges, gemischt mit süßen Videos von Tieren und den neuesten Grausamkeiten der Israelis. AJ+ betont, trotz der hundertprozentigen finanziellen Abhängigkeit von Al Jazeera völlige Freiheit bei der Contentauswahl zu haben. Das scheint zum Teil auch zu stimmen: AJ+ setzt sich für die Rechte der LGBTIQ-Community ein und äußert sich klar feministisch. Im nun zweijährigen Bestehen hat AJ+ fast überall von sozialen Missständen berichtet. Über die Proteste im Zuge der Sommerspiele in Rio, die Festung Europa und politische Unruhen in Indien – doch bestimmte Teile der arabischen Halbinsel werden in der Berichterstattung ausgespart. Kein einziger Post über die schrecklichen Arbeitsbedingungen beim WM-Stadionbau in Katar oder über sonstige Missstände in den Golfstaaten. Während AJ+ sich mit seinem westlichen Publikum freut, dass Schwule und Lesben in den USA nun heiraten dürfen, wird in Katar Homosexualität mit fünf Jahren Gefängnis und 90 Peitschenhieben bestraft. Darüber verliert AJ+ ebenfalls kein Wort.

DER VERBINDENDE FAKTOR. Bis zur Absetzung von Al Jazeera America teilte man sich mit AJ+ die Büros. Wie es dort zugegangen ist, beschrieben ehemalige Angestellte, die Al Jazeera wegen Sexismus und Antisemitismus verklagten und zum großen Teil recht bekamen. Während AJ+ empowernde feministische Clips produzierte, wurden Frauen in den gleichen Büros diskriminiert und waren sexistischen Übergriffen ausgesetzt. Antisemitische Äußerungen standen an der Tagesordnung, der CEO von Al Jazeera America tätigte vor versammelter Belegschaft Aussagen wie „whoever supports Israel should die a fiery death in hell“. Das stellt jedoch keinen Kontrast zu AJ+ dar, sondern kann als verbindender Faktor zu Al Jazeera gesehen werden. Nur verzuckert AJ+ seinen Antisemitismus und kleidet ihn in das Mäntelchen der Israelkritik.

Nun ist eine Unterscheidung zwischen legitimer Kritik an der Politik Israels, Antizionismus und Antisemitismus nicht immer leicht. Der Politiker und Aktivist Naran Sharansky hat dazu den 3-D-Test entworfen und meint, antisemitische Kritik könne daran erkannt werden, dass sie Israel „delegitimiert, dämonisiert und mit doppeltem Standard“ misst. AJ+ teilt jede Woche mindestens zwei bis drei Videos zum Thema Israel, keinem anderen Land außerhalb der USA widmet der Kanal dermaßen viel Aufmerksamkeit. Ein Beispiel für dämonisierende Berichterstattung ist der Fall Dima al Wawi. Dima war 12 Jahre, als sie von israelischen Soldaten festgenommen und am Kopf getreten wurde. Sie musste als jüngste weibliche Gefangene in einem israelischen Gefängnis ausharren und durfte keinen Kontakt zu ihren Eltern haben, so AJ+. Warum Dima im Gefängnis war, wird verschwiegen: Sie stach mit einem Messer mehrmals auf einen israelischen Soldaten ein. Gefragt, ob sie ihre Tat bereue, meinte sie, das Einzige, was sie bereue, wäre, dass der Mann nur verletzt, aber nicht tot sei. Der Kontakt zu ihren Eltern wurde ihr verboten, weil sie für die Radikalisierung ihrer Tochter mitverantwortlich waren. Damit sei nicht bestritten, dass die Unterbringung einer 12-Jährigen in einem Gefängnis unvertretbar ist. Illustriert sei an diesem Beispiel jedoch die verzerrende Berichterstattung durch das bewusste Weglassen bestimmter Informationen.

In einem für AJ+-Verhältnisse recht langen Video besucht eine Reporterin die AIPAC (American Israel Public Affairs Committee) Konferenz. Der Text liest sich wie eine Undercover Story: „Dena went inside the pro-Israel lobby AIPAC“. Den Juden und Jüdinnen auf dem Kongress wird vorgeworfen, sie kümmerten sich mehr um Israel als um die USA. Unterschwellig bedient AJ+ das antisemitische Klischee, dass „die Juden kein Vaterland“ kennen würden. Im Video heißt es, Menschen seien zum Kongress gekarrt worden, um bei ihren Repräsentant*innen für Israel zu lobbyieren, und sogar Schüler*innen würden dazu benutzt. In Palästina ist eine 12-jährige eine Heldin, weil sie („allegedly“) versucht hat, einen Soldaten umzubringen – in den USA ist es moralisch verwerflich, wenn eine wahlberechtigte Schülerin mit ihrem Abgeordneten über Israel spricht. Diese Clips sind kurz, pointiert und werden als unbedenklich konsumiert, geshared und geliked. AJ+ schafft es, einem riesigen, sich tendenziell progressiv verstehenden Publikum antisemitische Inhalte leicht bekömmlich zu servieren.

Anne Marie Faisst ist Buchhändlerin und studiert nebenbei Internationale Entwicklung an der Universität Wien.

Politaktivismus meets Isratrash

  • 12.12.2013, 11:20

Am 14. Dezember öffnen Ursula Raberger (32) und Stefan Schaden (37) zum vierten Mal die Pforten zum Wiener Kibbutz Klub. Doch das mittlerweile „angesagteste Event der Stadt“ ist weit mehr als eine Party. progress online hat mit den beiden GründerInnen über den Kibbutz Klub, die Wahrnehmung der jüdischen Kultur und den Antisemitismus gesprochen.

Am 14. Dezember öffnen Ursula Raberger (32) und Stefan Schaden (37) zum vierten Mal die Pforten zum Wiener Kibbutz Klub. Doch das mittlerweile „angesagteste Event der Stadt“ ist weit mehr als eine Party. progress online hat mit den beiden GründerInnen über den Kibbutz Klub, die Wahrnehmung der jüdischen Kultur und den Antisemitismus gesprochen.

progress online: Warum organisiert ihr in Wien eine Party mit israelischer Popmusik?

Ursula Raberger: Ich liebe Mizrahi Musik und israelischen Pop. Und ich liebe auch den Trashfaktor, der dieser Musik anhaftet. Hinzu kommt, dass Stefan und ich in der israelsolidarischen Szene aktiv sind und auch die AktivistInnen-Plattform QueerHebrews gemeinsam betreiben.

Stefan Schaden: Ich habe insgesamt zwei Jahre in Israel gelebt. Die israelische Musik ist während dieser Zeit ein Teil meines Alltags gewesen und ich habe sie in Österreich natürlich weitergehört. Politisch bin ich - wie Ursula bereits gesagt hat - in israelsolidarischen Gruppen aktiv. Bei meiner politischen Tätigkeit habe ich das Problem erkannt, dass israelische KünstlerInnen und Kulturschaffende in Österreich und Europa boykottiert werden, und dass Diskussionen über die Legitimität eines Boykotts israelischer Produkte geführt werden. Mit dem Kibbutz Klub schaffen wir einen Raum für israelische Kunst und Musik und zeigen gleichzeitig, dass ein Boykott nicht legitim ist.

Ursula: Ich bin Mitarbeiterin beim internationalen LGBT-Filmfestival TLVFest in Tel Aviv und habe dort Kulturboykott miterlebt. Nach dem Vorfall auf der Gaza-Flottille im Jahr 2010 haben FilmemacherInnen aus Brasilien ihre Filme zurückgezogen. Das hat mich schockiert, da dieses Filmfestival einen offenen Platz für Diskussionen bietet. Bei Israel wird aber ein anderer Maßstab angewendet. Auch in Österreich haben Stefan und ich erlebt, dass Filme aus Israel auf österreichischen Filmfestivals kaum gezeigt werden. Das ist wirklich schade. Denn es gibt wirklich viele tolle FilmemacherInnen, SängerInnen und MusikerInnen aus Israel, die hier nicht bekannt sind. Diesen Mangel wollen wir mit unserer Party ausgleichen.

 

Foto: Gregor Hofbauer

 

Wann habt ihr beschlossen den ersten Kibbutz Klub zu veranstalten?

Ursula: Stefan und ich haben sehr lange überlegt, ob wir so eine Party in Österreich überhaupt machen können. Denn leider gibt es noch immer einen sehr gravierenden und vorherrschenden Antisemitismus in diesem Land. Die Entscheidung für die Party ist im Sommer 2012 gefallen. Das war zu jener Zeit, als die FPÖ ihren unsäglichen und explizit antisemitischen Cartoon verbreitet hat und Fußballfans einen Rabbi am Wiener Schwedenplatz antisemitisch beschimpft haben. Antiisraelische Ressentiments waren damals und sind auch heute hierzulande sowieso immer anzutreffen. Daher haben Stefan und ich uns gesagt: Jetzt erst recht.

Stefan: Der heutige Antisemitismus reagiert sich stark am Staat Israel ab. Deswegen organisieren wir den Kibbutz Klub, um ein Stachel zu sein und den Raum zu besetzen.

 

Mit eurer Party erweitert ihr die Wahrnehmung jüdischer Kultur abseits der weit verbreiteten Klezmermusik.

Stefan: Die Klezmermusik bedient ein Klischee und kommt eigentlich aus einer zerstörten Kultur. Mittlerweile ist es so, dass man in Österreich nicht mehr so ein großes Problem mit den während des Nationalsozialismus getöteten Jüdinnen und Juden hat. Es wird ja auch „schon“ der Shoah gedacht und bei diversen Gedenkveranstaltungen werden traurige Mienen aufgesetzt. Aber das alles verkommt zum Ritual und es gibt kein Spillover zum heutigen Antisemitismus und der Tatsache, dass sich dieser sehr stark an Israel abreagiert und es Vernichtungsdrohungen gegen Israel gibt.

Ursula: Mich hat die Einweihung der Wachsfigur von Anne Frank in Madame Tussauds in Wien sehr gestört. Das ist etwas, das mir übel aufstößt und für mich eine Verkitschung des Todes von sechs Millionen jüdischen Menschen darstellt. Das möchte ich mit meiner jüdischen Identität nicht mittragen. Dagegen wehre ich mich. Da kann man noch so eine betroffene Miene machen und meinen, dass das total tragisch wäre. Denn in Wahrheit geht es um das Abfeiern der toten Jüdinnen und Juden. Wenn es aber um den Staat Israel geht, dann werden antisemitische Aussagen getätigt.

 

Das Leben in Israel und der Antisemitismus werden abseits von Kriegsberichterstattung und Dokumentarfilmen über die Shoah kaum thematisiert. Was meint ihr dazu?

Stefan: Es gibt ein aktuelles und ganz „tolles Beispiel“ über die Wahrnehmung des Antisemitismus in Österreich. Im ORF lief die Sendung Menschen und Mächte über die 1980er Jahre in Österreich. Darin wurde natürlich auch über die Waldheim-Affäre 1986 berichtet. Und auch die internationale Kritik an Waldheim wurde darin angesprochen. Der Sprecher der Doku sagte: „Die Angriffe des jüdischen Weltkongresses förderten antisemitische Ressentiments.“ So nach dem Motto: die Juden sind am Antisemitismus Schuld. Das ist typisch für Österreich.

Ursula: Stefan und ich versuchen bei den Queer Hebrews auf derartige Missstände hinzuweisen. Und es ist uns sehr wichtig zu betonen, dass aus unserer aktivistischen Arbeit heraus der Kibbutz Klub entstanden ist. Denn der Kibbutz Klub ist quasi die einzige Party, um die israelische Kunst und Kultur - die hier weitgehend ignoriert wird – zu fördern und bekannt zu machen.

 

Foto: Gregor Hofbauer

 

Welche Leute besuchen den Kibbutz Klub?
Ursula:
Ich war beim ersten Mal überrascht, dass das Publikum so gemischt ist. Denn den Kibbutz Klub besuchen Gay-Hipster, junge jüdische Leute, StudentInnen von der Bildenden und Angewandten ebenso wie Anzugträger.  Dieser wilde Mix feiert dann eine Party, die auch Queer ist. Zur Party kommen aber auch jene, die mit der LGBT-Szene sonst nichts zu tun haben und feiern mit. Und es freut mich, dass wir mit unserem DJ Aviv (without the Tel) – der als Israeli in Berlin lebt – bei unserem Publikum Stimmung machen.

 

Hattet ihr auch unangenehme Erlebnisse mit manchen Gästen?

Stefan: Wir verwenden unter anderem den Hebrew Hammer – das sind aufblasbare Luftmatratzen in Hammerform mit Israelfahne - als Dekorationsobjekt. Einmal ist eine junge Frau zu mir gekommen und hat mich folgendes gefragt: „Was ist denn das für ein Hammer? Hat der etwas mit der Unterdrückung der Palästinenser zu tun?“ Ich habe wirklich keine Ahnung, was die Fantasie von dieser Person war.

Ursula: Wann immer eine Israelfahne zu sehen ist – oder auch eine noch so kleine Israel-Anstecknadel – wird man blöd angemacht. Aber über andere Fahnen – wie beispielsweise jamaikanische Fahnen auf Reggae-Partys – regt sich niemand auf.

 

Foto: Gregor Hofbauer

 

KIBBUTZ KLUB – THE CHOSEN PARTY

Samstag: 14.12.2013, 22:00 Uhr
CLUB U, Künstlerhauspassage, Karlsplatz, 1010 Wien, www.club-u.at

DJ Aviv without the Tel (Berlin Meschugge)
DJ J'aime Julien (Malefiz)
VJ Alkis

Eintritt: 5 Euro
Cocktails Happy Hour 22:00-23:00 Uhr
SPECIAL: israelisches Bier GOLDSTAR – solange der Vorrat reicht!

 

Kontakt: kibbutzklub@gmail.com

facebook.com/KibbutzKlub

facebook.com/qhebrews

 

Eichmanns Ankläger in Wien

  • 20.09.2012, 16:15

Genau vor 50 Jahren fand in Israel der Prozess gegen Adolf Eichmann, den „Organisator der Shoa“, statt. Anlässlich einer Ausstellung im Justizpalast war der damalige Ankläger Gabriel Bach für ein ZeitzeugInnengespräch in Wien.

Genau vor 50 Jahren fand in Israel der Prozess gegen Adolf Eichmann, den „Organisator der Shoa“, statt. Anlässlich einer Ausstellung im Justizpalast war der damalige Ankläger Gabriel Bach für ein ZeitzeugInnengespräch in Wien.

Gabriel Bach ist 84 Jahre alt. Schon oft hat er vom Eichmann-Prozess erzählt. Doch wenn er erklären soll, welcher Moment ihn am stärksten berührt hat, wird seine Stimme zittrig. Der Ankläger im Prozess gegen Adolf Eichmann erzählt von einem Zeugen, der im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau seine ganze Familie verloren hat: „Er sagte: Ich habe meine Frau nicht mehr gesehen, die war verschwunden in der Menge. Ich habe meinen Sohn nicht mehr gesehen, der war verschwunden in der Menge. Aber mein Töchterchen, zweieinhalb Jahre alt, die hatte einen roten Mantel. Und dieser rote Punkt wurde immer kleiner. So verschwand meine Familie aus meinem Leben. Und ganz zufällig hatten wir eine kleine Tochter. Genau zweieinhalb Jahre alt. Ich hatte ihr zwei Wochen vorher einen roten Mantel gekauft.“ Als der Zeuge das gesagt hatte, da verschlug es Bach vollständig die Stimme, erzählt er heute: „Es hat vielleicht zwei oder drei Minuten gedauert, bis ich mich wieder unter Kontrolle hatte. Wahrscheinlich eine banale, kleine Geschichte, aber für mich symbolisiert das diesen Prozess mehr als irgendwelche anderen Momente.“
Gabriel Bach war der stellvertretende Chefankläger im Prozess gegen Adolf Eichmann im Jahr 1961. Ein halbes Jahrhundert später war er Ende November anlässlich der Ausstellung „Der Prozess – Adolf Eichmann vor Gericht“ im Justizpalast zu einem Gespräch in Wien. Schon oft habe er von seinen Erfahrungen erzählt, merkt Bach man an. Doch jedes Mal auf neue Weise, ergreifend und voll innerer Überzeugung, spricht er über diesen Prozess, der bis heute sein Leben geprägt hat.

Glückskind. Bach überlebte den Nationalsozialismus wie durch ein Wunder – sein Vater hatte die richtige Intuition und flüchtete mit der Familie nur zwei Wochen vor den Pogromen am 9. November 1938 nach Holland. Und nur ein Monat vor der deutschen Invasion in den Niederlanden konnte die Familie auf einem Schiff weiter nach Jerusalem reisen. Er ist der einzige aus seiner Schulklasse, der die Zeit überlebt hat. „Wir konnten vorher all die Jahre hindurch immer nur hören und lesen, was da geschehen war und nie etwas dagegen tun“, sagt Bach heute. Daher auch der Wille, „auf demokratischste und juristisch fundierteste Weise die Sachen zu beweisen gegen den Mann, der verantwortlich war für alle Aspekte. Das hat einem doch eine große Befriedigung gegeben.“
Der Angeklagte, der ehemalige Leiter des nationalsozialistischen „Judenreferats“ Adolf Eichmann, wurde 1960 vom israelischen Geheimdienst Mossad in Argentinien aufgespürt und für seinen Gerichtsprozess nach Israel verschleppt. Eichmann, der in Linz aufgewachsen war, war maßgeblich für die Organisation und Durchführung der Deportationen und Ermordungen von sechs Millionen Juden und Jüdinnen verantwortlich. Jeder Transport nach Auschwitz ging über seinen Schreibtisch. Und so leitete er beispielsweise das ungarische „Judenkommando“, im Zuge dessen in der kurzen Zeit von März 1944 bis Juli 1944 eine halbe Million ungarischer Juden und Jüdinnen nach Auschwitz deportiert wurden. Mit Eichmann hatte man den Fachmann für die „Judenfrage“ im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) dingfest gemacht.
Zuvor war er, wie viele andere NS-Funktionäre untergetaucht und über die „Rattenlinie“ nach Südamerika gelangt, wo er unter falschem Namen lebte. Eichmanns Verteidigungsstrategie war es, sich als Befehlsempfänger und kleines Rädchen darzustellen. Aber das stimmte nicht, erzählt Bach: „Am Ende des Krieges hat Eichmann gesagt: ,Ich weiß, der Krieg ist verloren, aber ich werde meinen Krieg noch gewinnen.‘ Und dann fuhr er nach Auschwitz, um die Tötungen von 10.000 am Tag auf 12.000 heraufzubringen.“

Eichmann in Jerusalem. Bis heute kontrovers sind die Prozessbeobachtungen Hannah Arendts, die den SS-Obersturmbannführer in ihrem Buch „Eichmann in Jerusalem“ als Befehlsempfänger und banalen Schreibtischtäter schildert. „Das ist von Hannah Arendt völlig falsch wiedergegeben“, sagt Bach. Zu einem Gespräch zwischen den beiden ist es nicht gekommen, erinnert er sich: „Ich hörte, da ist eine Frau nach Israel gekommen. Eine Philosophin aus Amerika, um gegen den Prozess zu schreiben. Das hat mich gewundert und ich habe ihr mitteilen lassen, ich würde mich freuen, mich mit ihr zu treffen. Sie hat geantwortet, dass sie nicht bereit sei, mit irgendjemand von der Staatsanwaltschaft zu sprechen. Das war ziemlich typisch.“
Die Bedeutung des Gerichtsprozesses für die Identität des jungen Staates Israel ist kaum zu ermessen. „Ich werde nie den ersten Moment dieses Prozesses vergessen, als die Richter in den Saal kamen mit dem Israeli-Wappen hinter sich und Eichmann da reinkam und Haltung annahm vor einem souveränen israelischen Gericht. Die Bedeutung des Staates Israel wurde mir auf einmal klarer als in irgendeinem Moment davor. Mehr als jede Parade, jeder Leitartikel in der Zeitung oder jede Zeremonie hat mich das ungeheuer beeindruckt“, sagt Bach.
Eichmann wurde der Verbrechen gegen das jüdische Volk und gegen die Menschheit schuldig befunden und im Mai 1962 hingerichtet. „Er ist der einzige Mensch, der in Israel jemals zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Ich glaube, ich kann objektiv sagen, dass er wirklich ein Mann ist, der das absolut verdient hat“, sagt sein Ankläger.

Der Autor hat Theater-, Film- und Medienwissenschaften in Wien studiert. Die Gedenkstätte Yad Vashem hat den gesamten Prozess online gestellt: www.youtube.com/eichmanntrial