Islamismus

Muslime als die neuen Juden

  • 11.05.2017, 09:00
Diesen März wurde der Dokumentarfilm Islamophobie österreichischer Prägung, der bereits im vergangenen Jahr Premiere feierte, im Wiener UCI-Kino gezeigt.

Diesen März wurde der Dokumentarfilm Islamophobie österreichischer Prägung, der bereits im vergangenen Jahr Premiere feierte, im Wiener UCI-Kino gezeigt. Der Andrang zur dritten Vorstellung war überraschend groß, der Saal an einem Montagabend fast ausverkauft. Der Film von Regisseur Sinan Ertugrul hat den Anspruch, Islamfeindlichkeit in Österreich zu problematisieren. Während auf der einen Seite rassistische Angriffe in den letzten Jahren nachweislich zunehmen, muss sich der Film auf der anderen Seite die Frage gefallen lassen, ob es ihm im Kern um den Schutz von Individuen, oder um den Schutz der Religion geht.

In mehreren ExpertInneninterviews wird betont, dass man Diskriminierung und Angriffe auf Einzelne thematisieren möchte. Verschiedene Beispiele von Diskriminierung werden den Plot hindurch auch immer wieder aufgegriffen. Allerdings präsentiert der Film durchgehend Personen, die dem politischen Islam das Wort reden. Einer der befragten Experten, Universitätsprofessor Rüdiger Lohlker, verkehrt Theodor W. Adornos und Max Horkheimers Dialektik der Aufklärung und versucht diese als Beweis anzuführen, weshalb die Aufklärung per se schlecht sei. Er übergeht dabei schamlos die Dialektik, die bereits im Titel des Buches betont wird.

Auch einige persönliche Beispiele von Islamophobie, die im Film angerissen werden, nehmen der zu Anfang naiv geäußerten Behauptung, es ginge um den Schutz von Individuen, die Glaubwürdigkeit. Es wird suggeriert, das Eintreten gegen sexuelle Gewalt an Frauen in islamischen Ländern sei „koloniales Denken“. Oder dass es bereits rassistisch sei, wenn die Sportlehrerin muslimische Schülerinnen auch an Ramadan auffordert, genügend Wasser zu trinken. Ein eindringliches Motiv, das zum Ende des Filmes mehrmals Erwähnung findet, ist der Vergleich von MuslimInnen und Juden/Jüdinnen in den 1930er Jahren. Dabei wird „Charlie Hebdo“, die französische Satirezeitschrift, die vor zwei Jahren Ziel eines islamistischen Terroranschlags wurde, indirekt zum neuen „Völkischen Beobachter“ erklärt, der es auf Muslime abgesehen habe. Mehrere der im Film interviewten ExpertInnen bezeichnen Religionskritik als eindeutig rassistisch und damit als illegitim. Das ist schade, denn es bekräftigt zum einen das Bild von Religion als quasi-natürlicher Zugehörigkeit, zum anderen stellt es säkulare und reformerische Kräfte ins Abseits.

Anna Grellmeer studiert im Master Politikwissenschaft an der Universität Wien.

Über Frauen, die zu Bomben werden

  • 21.04.2017, 20:05
Das Geschlechterverhältnis im Selbstmordattentat. Ein Interview mit Yasemin Makineci.

Das Geschlechterverhältnis im Selbstmordattentat. Ein Interview mit Yasemin Makineci.

Im Rahmen der Vortragsreihe „Antisemitismus und Geschlecht“ wird Yasemin Makineci einen Vortrag zum Geschlechterverhältnis des Terrorismus und des islamistischen Selbstmordattentates halten. Über dies und andere Themen hat progress mit ihr gesprochen.

progress: In deinem Vortrag wird es um das Geschlechterverhältnis des islamistischen Terrorismus und des Selbstmordattentates gehen. Was unterscheidet die weibliche von der männlichen Täterschaft, beziehungsweise gibt es Unterschiede in den Motiven?
Yasemin Makineci:
Der Öffentlichkeit scheint die Vorstellung einer Frau, die ein Selbstmordattentat verübt, besonders fremd zu sein. Leila Khaled, die zwar keine Selbstmordattentäterin, jedoch noch bis heute eine weibliche Ikone des palästinensischen Terrorismus ist, hat mit der tschetschenischen Selbstmordattentäterinnen-Gruppe Smertnizy, welche mehrere Anschläge in Russland verübte, etwas gemeinsam: Sie erlangten nicht nur allein wegen ihres Terrors Aufmerksamkeit, sondern auch weil die Täterinnen Frauen waren.

Frauen und Männer werden unterschiedlich rekrutiert. Die Hauptanwerberin der irakischen Terrorgruppe Ansar as-Sunna organisierte beispielsweise gezielt Vergewaltigungen von Frauen, um diese dann, als einzigen Ausweg aus dieser „Schande“, zum Selbstmordattentat zu bewegen. AttentatsanwerberInnen garantieren für die Ikonisierung und sprechen die „Ehre“ dieser Frauen sowie ihrer Familie als wiederhergestellt aus. Außerdem übernehmen die Gruppen, die diese Frauen rekrutieren, Aufgaben, die eigentlich ein funktionierender Staat hätte: Sie garantieren die finanzielle Versorgung der Hinterbliebenen.

Welche Rolle spielt dann die soziale Lage der Frauen und natürlich auch Männer, die sich für das Selbstmordattentat entscheiden?
Aus Furcht sprechen die wenigen Frauen, denen die Flucht gelungen ist, sehr wenig darüber. Auch die Quellenlage ist sehr dünn. Jedoch kann man sagen, dass die soziale Herkunft der rekrutierten Männer wesentlich heterogener ist als die der Frauen. Bei Selbstmordattentätern des IS sind Männer mit hoher wie niedriger Bildung; hohem wie niedrigem Einkommen vertreten. Bei den Frauen sieht die Lage jedoch anders aus. Die soziale Herkunft der Frauen ist wesentlich homogener. Eine besondere Auffälligkeit ist, dass Frauen vor allem sehr jung sind. Ihr Alter zum Zeitpunkt des Attentates liegt meist zwischen 15 und 28 Jahren. Es ist allerdings weniger die soziale als vielmehr die ideologische Frage zu stellen.

Welche Rolle spielt der Islam in diesem Phänomen?
Der Missionierungsauftrag des politischen Islam spielt eine große Rolle. Die islamische Volksgemeinschaft, die Umma, erhebt einen omnipotenten Anspruch auf die Welt und ihre Menschen und muss diese daher auch in ihr Unternehmen einfassen oder eben vernichten. Des Weiteren braucht es ein Augenmerk auf die islamische Gesellschaft als solche: Ermordung von Ungläubigen, gemeinhin eben als Djihad bekannt, bezeichnet lediglich den kleinen Djihad. Der große Djihad ist der Kampf des Subjektes gegen sich selbst und seine eigenen, zutiefst menschlichen Triebregungen. Alles, was unkontrollierbar, unislamisch, „unrein“ und damit „westlich“ sei, muss abgespalten werden – der politische Islam verheißt durch das Selbstmordattentat, die Vernichtung des widerspruchsgeplagten Ichs, eine Befreiung irdischen Leidens und verspricht ihm im Himmel das Paradies der Triebabfuhr.

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Kritik am Islam sieht sich immer wieder dem Vorwurf der Islamophobie ausgesetzt. Sollten wir mit der Kritik am Islam nicht lieber vorsichtig sein?
Islamophobie ist ein Kampfbegriff der IslamistInnen und ihrer ideologischen Komplizenschaft. Der Großteil der antirassistischen Linken hat sich diesen islamistischen Kampfbegriff als vermeintlich wertfreie Bezeichnung einverleibt, um ihren politischen GegnerInnen den Lauf vor das Gesicht zu halten. Psychoanalytisch hat eine Phobie wenig mit einem Ressentiment zu tun. Dieser Begriff braucht die Negativbestimmung – dröselt man das nun positiv auf, wird der Islam zu Identität. Genau hier zeigt sich, dass sich linke und rechte Identitäre nichts voneinander nehmen: „Islam“ wird zu etwas wie race. Der Islam ist aber keine Rasse.

Warum fällt es vielen Linken und Liberalen so schwer, Kritik am Islam zu üben? Solidarisiert sich die Linke mit den Falschen?
Zum einen ist es sicherlich die Angst, nicht in der Lage zu sein, eine Kritik am Islam zu üben, ohne sich selbst als VerräterInnen der Unterdrückten zu glauben. Aus dem eigenen Unwillen, die Hässlichkeiten der Moderne zu verstehen, dienen Muslime nicht nur für Rechte, sondern auch für Linke als Projektionsfläche. Zum anderen scheint sich die Linke im Wissen, keine relevante Kraft zur Befreiung der Gesellschaft zu sein, ein revolutionäres Subjekt imaginieren zu müssen, um sich selbst noch eine Existenzberechtigung geben zu können. Dies mündet dann im Islam als schützenswertes Kulturgut. Es sind aber nicht die Institutionen und Personen einer Glaubensgemeinschaft, denen eine Stimme gegeben werden muss, sondern jenen, die von rechts, links und aus der islamischen Community ihre Bedrohung erfahren: Die Solidarität gebührt Ayaan Hirsi Ali oder Hamed Abdel-Samad, sie gebührt den Angehörigen der Opfer von Paris oder Brüssel. Es macht mich traurig und sehr wütend, dass diese Liste mit vielen weiteren lebenden wie ermordeten Unbekannten weitergeht und sie überhört und ihre Erinnerungen vergessen werden. Mit einer Linken, die sich nicht genau mit diesen Personen solidarisiert, möchte ich nicht zusammenarbeiten.

Yasemin Makineci ist Ex-Muslima und studiert Politikwissenschaft an der Universität Wien.
Colin Kaggl studiert ebenfalls Politikwissenschaft an der Universität Wien. Sie lernten sich im Zuge ihrer gemeinsamen Tätigkeit in der Fakultätsvertretung Geisteswissenschaften (FV GEWI) kennen.

Informationen zur Vortragsreihe „Antisemitismus und Geschlecht“ der FV GEWI findet ihr auf Facebook und unter: fv-gewi.at/aktuelles/veranstaltungen/2017