Interview

„Kein Platz für Yom Hashoah"

  • 24.10.2012, 17:35

See you soon again ist ein Film über die Holocaust-Überlebenden Leo Bretholz und Bluma Shapiro, die unermüdlich an Baltimore´s Schulen ihre Geschichten erzählen. Lisa Zeller erzählte die Filmemacherin Bernadette Wegenstein im progress-Interview über den Film, die Überlebenden in Baltimore und Hierarchien in der österreichischen Kultur.

See you soon again ist ein Film über die Holocaust-Überlebenden Leo Bretholz und Bluma Shapiro, die unermüdlich an Baltimore´s Schulen ihre Geschichten erzählen. Lisa Zeller erzählte die Filmemacherin Bernadette Wegenstein im progress-Interview über den Film, die Überlebenden in Baltimore und Hierarchien in der österreichischen Kultur.

Es ist Samstagnachmittag in Baltimore. Bernadette Wegenstein ist gerade zurück von einem Filmfestival in Boston, wo sie ihren aktuellen Film „See you soon again“ vorgestellt hat. Im Laufe unseres Gesprächs wird die Professorin und Filmemacherin zwei Mal angerufen. Einmal von einer Studentin, die sie zurückrufen wird. Das andere Mal muss sie den Anruf wirklich annehmen, denn: „Es geht um einen wichtigen Shoot nächste Woche“. Während wir über den aktuellen Film reden, ist sie schon längst mitten in der Arbeit für ihren nächsten.

progress: Sie publizieren viel im Bereich Körpermodifikation und Brustkrebs sowie deren Repräsentation in den Medien. Wie kamen Sie dann zum Film See you soon again?

Bernadette Wegenstein: Es kam eigentlich durch mein Interesses am Leo und durch die Kooperation mit Lukas Stepanik. Ich hab den Leo kennengelernt, weil ich Professorin an der Johns Hopkins in Baltimore bin. Ich bin dort hingezogen und hab damals für das erste Semester an der neuen Uni geplant, einen historischen Kurs über Holocaustfilme zu unterrichten. In dem Zusammenhang hat mir mein Nachbar erzählt: „Da gibt’s ja hier einen sehr berühmten legendären Holocaustüberlebenden und der ist wie Sie aus Wien.“ Den hab ich dann angerufen, sein Buch gelesen und irgendwie hat mich das sehr berührt. Davon hab ich dem Lukas Stepanik erzählt, der sowieso filmisch Interesse am Holocaust hat und dann haben wir das zusammengestellt. Das sind oft sehr biografische Zufälle, die natürlich auch zu allem Möglichen führen.

progress: Es gibt in Baltimore 100 Überlebende, die an Schulen gehen. Warum gerade Leo und Bluma?

Wegenstein: Viele wollen gar nicht gefilmt werden. Begleitet haben wir ungefähr fünf Überlebende, aber die anderen nie so weit wie Leo. Das hat sich während des Drehs ergeben. Leo ist für einen Cinéma Vérité-Film das perfekte Sujet. Man hat die Kamera ja sozusagen „in the face“ und er hat das total vergessen. Bluma ist eigentlich erst später in den Film hineingekommen. Wir haben mehrere Charaktere versucht zu entwickeln, aber dann hat es einfach unglaublich gepasst mit dem Leo. Seine Art ist so ein Auf und Ab und rein von den dramaturgischen Motiven hat es eine Balance gebraucht zu diesem Rhythmus. Da war die Bluma einfach eine ideale Counterfigur. Den anderen hab ich DVDs gemacht, damit sie sich auch sehen können.

progress: Leo scheint im Film mehr Rampenlicht zuzukommen als Bluma…

Wegenstein: Es ist schon klar, dass die Bluma im Film neben ihm steht. Das haben wir dann im Laufe des Schnitts und der Dramaturgie erst entschieden. Es ist so, dass diese Details des Überlebens und das Wie in seiner Geschichte viel klarer sind. Aber Bluma lassen wir zwei Mal ihre Geschichte anfangen und dann weitererzählen. Sie ist sozusagen elliptisch aufgebaut. Ihre Geschichte ist eben nicht so klar ersichtlich und das ist schade, da geb ich Ihnen recht. Aber die Geschichte der Bluma wird auf der US- als auch auf der österreichischen Seite des Films genau erklärt.

Außerdem ist Cinéma Vérité sozusagen dieser Anspruch, dass man die Wahrheit findet in der Realität, dass man die dann so darstellt, wie sie auch gewesen ist. Aber man braucht natürlich dazu eine Art von Filtersubjekt, über das diese Wahrheit irgendwie ausgeführt wird. Und dieses Subjekt bin natürlich ich, bzw. mein Ko-Regisseur Lukas. Ich würde auch sagen, dass der Film sozusagen eine Liebeserklärung an Leo ist, weil wir ihn so faszinierend gefunden haben durch seinen Charme und seinen Witz. Jedes Mal, wenn ich den Film sehe, hab ich auch noch das Gefühl, dass ich total fasziniert, aber auch sehr bewegt bin von diesem Mann und das ist in dem Film ausgedrückt. Insofern ist das durchaus eine subjektive Auswahl.

progress: Liegt das vielleicht daran, dass Sie selbst aus Wien sind?

Wegenstein: Das liegt sicherlich daran, dass ich aus Wien bin, doch es gibt viele Wiener Juden hier. Aber mich fasziniert am Leo auch dieses eine Ereignis in seinem Leben: diese Schuld, die er auch fühlt, dass er Wien als Erster verlassen hat und dass seine Schwester und seine Mutter da nicht rausgekommen sind. Daran denkt er zurück in allen möglichen Wegen. Also er ist total „obsessed“, ein richtig neurotischer traumatisierter Mensch und mich faszinieren solche Menschen. Ich frage mich, was ist so einem Menschen passiert? Wie ist er da hingekommen?

progress: Was haben Sie persönlich bei dieser Arbeit dazugelernt?

Wegenstein: Was ich gelernt hab, ist, dass es für so traumatisierte Menschen wie Leo und Bluma in Wahrheit keine Heilung gibt. Es gibt historische Wunden und Sachen, wie die Sklaverei, den Holocaust oder den Genozid im Sudan oder Darfur oder auch der Krieg, den die USA gegen den Islam führt, wovon man sich jahrhundertelang nicht erholt. Das sind Emotionen, die man auch gar nicht nachvollziehen kann. All das hat extrem lange Nachwirkungen. Das hab ich mir irgendwie anders vorgestellt. Ich hab schon gedacht, dass ein Holocaust-Überlebender, der schon seit mehreren Jahren umhergeht und das erzählt, das sozusagen schon bewältigt hat. Aber das ist nicht so. Das hab ich eben auch ganz bewusst in dem Film gezeigt, dass es auf diese offenen Wunden keine Antwort gibt und es keinen Sinn macht, diese zu vergleichen, weil da nix rauskommt.

Was ich auch gesehen habe, ist, dass sich Leo kleines Wiener Shtetl (jüdisches Wort für Dorf, Anmerkung) aufgebaut hat, wie er es in Wien auf der Mazzo-Insel zurückgelassen hat. Ich glaube, dass das viele Migranten, inklusive meiner selbst, machen. Nach 13 Jahren, die ich jetzt in den USA lebe, perpetuiere ich eben trotzdem gewisse Dinge, die ich aus der Kindheit hab. Man nimmt sich überall hin mit, egal wo man ist, also ob man nach Amerika geht, oder ob man, Gott bewahre, in einen Zug gesteckt wird nach Auschwitz. Man ist immer mit sich selbst und das sieht man halt auch beim Leo oder etwa bei Blumas Großnichte, Livia, die in Colorado studiert. Sie hat mir erzählt, sie beginnt dort ein neues Leben und ein Studium und all das – und dann hat sich rausgestellt, dass sie dort Kurse über Holocaust-Traumata belegt. Sie nimmt sich den Holocaust eben dorthin mit. Das wird vergessen und das ist glaub ich in Österreich auch nicht ganz bewusst, wenn ich gefragt werde: „Warum können wir den Holocaust nicht einfach vergessen und diese Geschichte nicht irgendwie ausklammern?“

progress: Es ist schon bezeichnend, dass Sie das in Österreich gefragt werden…

Wegenstein: Genau und aus amerikanischer Sicht kann man das nicht ausklammern, denn hier gibt es nicht eine Geschichte. Hier gibt’s diese ganzen „communities“, die Afro-Amerikaner, die Juden und die Christen. Natürlich gibt’s Minderheiten, aber die werden extrem ernst genommen, auch legislativ. Das kann man ja überhaupt nicht vergleichen. Man hat eine völlig andere Gesetzesgrundlage, die reflektiert, wie man über Zugehörigkeiten, über Beruf und über solche Sachen denkt, also wer sozusagen das Recht hat, einen Namen zu tragen und all das. Hier kann man hingehen und sagen „I want to be called `Bloody Idiot´“. Das ist vielleicht nicht so leicht, aber man würde das durchkriegen auf dem Standesamt, wenn man das Gefühl hat, man ist so und so will man sein. Dadurch ist es so eine blöde Frage, ob wir den Holocaust vergessen wollen. Ich mein, was soll das bitte? Das geht einfach gar nicht aus dieser hiesigen Sicht. Man muss deswegen auch nicht übersentimental sein. Natürlich hat das nichts mit einem persönlich zu tun und niemand sollte einen dessen beschuldigen, aber das heißt nicht, dass man sich nicht anschaut, was auf österreichischem Grund und Boden passiert ist.

progress: Wie spürt man den Einfluss der survivor community auf Baltimore selbst?

Wegenstein: Den spürt man insofern, dass alle Schüler in Baltimore mindestens einen Holocaust Überlebenden in der Schule kennenlernen. Also dafür, dass es nicht Österreich ist, ist es beachtlich, dass man die jüdische Gemeinde hier so ernst nimmt und dass das eben zum Allwissen gehört. Das spürt man auch.

Außerdem gibt es den Holocaust-Rememberance Day, Yom Hashoah, im April. Der ist hier allen ein Begriff und das ist für mich auch das beste Beweisstück, das ich immer gerne angeführt habe vor Österreichern, die gesagt haben: „Naja, aber man hat den Holocaust ja auch nicht vergessen!“, aber es geht ja nicht darum!

progress: Worum geht es dann?

Wegenstein: Es geht darum, was die Institutionen damit machen. Der Yom Hashoah Remembrance Day ist hier relativ institutionalisiert. Das heißt, dass es eben wie ein Feiertag auch gefeiert wird in mehreren Ländern weltweit. In Österreich ein unbekannter Tag! Da wird er erstens nicht gefeiert und zweitens weiß auch niemand, was das soll und das find ich schon arg, muss ich sagen. Ich versteh das nicht! Das heißt ja nicht, dass man hingehen muss, aber wenn Weihnachten ist, weiß auch jeder, was das ist!

Aber so ist die Kultur: Die Kultur zeigt sich dann eben immer auch aus hierarchischer Sicht und die Hierarchie in der österreichischen Kultur und Wien ist ja eine katholische, da ist sozusagen kein Platz für Yom Hashoah.

progress: Was wird Ihr nächster Film behandeln?

Wegenstein: Jetzt mache ich gerade einen Film über Brustkrebs und Körpermodifikation.

 

Eine Rezension zum Film See you soon again findet ihr hier

2000 Feministinnen in Wien

  • 10.10.2012, 15:51

Das Frauenfußballteam ballerinas hat die erste internationale queer-feministische Fußballade für Frauen, Lesben, Inter und Trans in Wien organisiert. Vanessa Gaigg traf zwei ballerinas, Lisi und Cécile, zum Interview.

Das Frauenfußballteam ballerinas hat die erste internationale queer-feministische Fußballade für Frauen, Lesben, Inter und Trans in Wien organisiert. Vanessa Gaigg traf zwei ballerinas, Lisi und Cécile, zum Interview.

progress: Wie seid ihr zum Fußball gekommen?

Lisi: Ich bin vor ungefähr drei bis vier Jahren dazugekommen. Als Kind bin ich nie auf die Idee gekommen, Fußball zu spielen, weil ich nie eine Frau gesehen habe, die das macht – ich bin da ‚klassisch weiblich’ sozialisiert worden. Ich hab dann erst auf der USI (Universitätssportinstitut, Anm. d. Red.) einen Kurs gemacht und es hat mir so Spaß gemacht, dass ich weiter spielen wollte. Dann bin ich auf die ballerinas gestoßen, die sich da gerade neu formiert haben.

Cécile: Ich bin 2007 dazugestoßen. Fußball ist ein Bestandteil meines Lebens seit ich klein bin – immer, immer, immer. Ich hab semi-professionell gespielt, aber aufgehört, weil ich mit dem Kontext Fußball nix mehr anfangen konnte. Die Gewalt am Feld, die Gewalt in der Kantine, die Gewalt in der Vereinsstruktur. Da hatte ich Fußball für mich abgeschrieben. Dann hab ich die ballerinas getroffen und mir gedacht: na gut, ich probier's noch einmal. Fußball ist für mich das schönste und intelligenteste Spiel, das ich je gesehen und erlebt habe. Und hier funktioniert's: Es geht ums Spielen, dass ein Pass ankommt, dass man mitläuft, dass man überlegt und dass man als Team funktioniert.

progress: Euch ist vor allem wichtig, dass ihr schön zusammenspielt, es geht nicht nur ums Gewinnen. Ist das ein wesentlicher Abgrenzungspunkt zu anderen Teams?

Lisi: Es ist sehr wichtig für uns, dass es wirklich ums Fußballspiel geht. Wir sind ein Team und wir wollen gemeinsam spielen. Es gibt bei uns Leute wie Cécile, die seit ihrer Kindheit spielen und Leute wie mich, die erst später dazugestoßen sind. Uns ist total wichtig, dass alle mitspielen können und nicht einige wenige die Tore reinbrettern, weil das geht schnell einmal. Natürlich wollen wir  Bälle ins Tor bringen, aber es geht schon sehr stark drum dass wir gemeinsam spielen und schön spielen. Und wir sind schon oft auf Turnieren angesprochen worden, dass wir am schönsten gespielt haben, auch wenn wir letzte geworden sind. 

progress: Wie hat sich die Gewalt geäußert?

Cécile: Damit meine ich zum Beispiel eine Schlägerei am Feld, nicht nur ein Foul, sondern die Gegnerinnen treten und in der Kabine noch erklären, dass Fussball Krieg ist. Weil es geht ums Siegen, nur ums Siegen. Dann – klar – gibt es noch die strukturelle Gewalt zwischen Männern und Frauen. Die Frauen kriegen den Platz zum Trainieren, wo es kein Flutlicht gibt, das heißt du trainierst im Dunklen oder nur mit Straßenlaternenlicht. Der Verein hat im Winter keine Kohle, damit du in der Halle trainieren kannst, also heißt's auch im Jänner oder Februar draußen zu trainieren... das ist auch nicht so lustig. Und dann natürlich noch die Homophobie, alle Fußballerinnen sind lesbisch, und so weiter. Das ist eine Struktur, die sich durchzieht.

progress: In eurem Manifest steht, dass ihr bewusst außerhalb jeglicher Vereinsstrukturen spielt. Warum ist euch das wichtig?

Cécile: Ein Verein hat eine Struktur, eine Hierarchie, eine Hackordnung... und das wollen wir nicht. Wir haben keine TrainerIn, keine Kapitänin, keine Sprecherin, wir sind ein Kollektiv.

Lisi: Wir gehören schon dem schwul-lesbischen Sportverein Aufschlag an, aber das eher aus praktischen Gründen. Das ist kein Fussballverein, das heißt wir sind relativ autonom.

progress: Gibt es Vereine, mit denen ihr befreundet seid?

Cécile: Ja, mit den Gaynialen schaffen wir es, ein bis zwei Mal im Winter zu trainieren. Seit kurzem haben wir auch Kontakt zu acht weiteren Teams, wir versuchen das auf jeden Fall zu intensivieren.

progress: Wie schätzt ihr die Situation von Frauenfußball in Wien ein?

Lisi: Es wird besser, aber es wird noch lange nicht ernst genommen. Ich weiß nicht, wie das ist mit professionellen Vereinen, aber ich merke in meinem privaten Umfeld, dass es immer noch schwierig ist. Es gibt extrem viel Sportförderung für alles, was mit Männerfußball zu tun hat, aber wenn Frauenfußballinitiativen mal um Förderungen ansuchen, dann ist plötzlich kein Geld da.

Cécile: Ich habe mein Leben lang beim Vater/Sohn Turnier zusehen müssen, weil ich eben nicht der Sohn meines Vaters bin. Ich will endlich mal ein Mutter/Tochter Turnier sehen, ich hätte gerne, das andere das erleben dürfen.Wir wollen im Schweizergarten (in Wien, Anm. d. Red.) einen gesperrten Platz haben für Mädchen zum Fußball spielen beziehungsweise Sport treiben. Wir versuchen seit zwei Jahren, das durchzukämpfen. Nach dem Turnier wollen wir das wieder in Angriff nehmen. Wir wollen einen Platz mit Kabine und Platzwart, wir würden sogar zwei Arbeitsplätze in Wien schaffen. (lacht)

Lisi: Die Mädchen werden immer von Burschen vertrieben und können nicht spielen. Deswegen ist auch die Notwendigkeit da, einen eigenen Bereich zu schaffen, wo sie spielen können. Das sichtbar zu machen ist ganz wichtig - deswegen war es uns auch ganz wichtig, das Turnier draußen zu veranstalten, dass man uns sieht und wenn man vorbeikommt sieht: Die haben Spaß!

Cécile: Und es sind viele!

Lisi: Ja, es sind sehr viele! Es spielen 16 Teams und 145 Spielerinnen.

progress: Wie habt ihr das Turnier organisiert? Von den 145 Spielerinnen sind ja viele auch extra angereist.

Cécile: Ja, es sind auch Teams aus Polen, Deutschland und England angereist. Wir haben uns anfangs jedes Monat, später jede Woche getroffen. Jede von uns hat sich verpflichtet, ein Jahr dabei zu sein und nicht abzuspringen.

Lisi: Wir wollten eben nicht nur das Turnier organisieren, sondern haben auch eine Ausstellung zu Lesben und Schwulen im Sport aufgestellt und wir haben einen Infotisch mit Infomaterial. Wir wollen nicht nur spielen, sondern auch einen politischen Anspruch haben.

Cécile: Wir haben Glück gehabt, dass gleichzeitig die FrauenSommerUni (FSU) und rampenfiber stattgefunden hat. Es sind an die 2000 Feministinnen in Wien! Nicht nur Frauen, sondern: Feministinnen! Es gibt Sport, Kultur und Bildung: Feminismus lebt und wird gelebt.

progress: Besitzt Fußball mehr emanzipatorisches Potential als andere Sportarten? Gerade was feministische Belange angeht?

Lisi: Theoretisch nein, praktisch ja. Es ist so, dass Fußball nach wie vor in der Welt, in der wir leben sehr stark mit diesen seltsamen Männlichkeitsbildern aufgeladen ist und ich deswegen schon glaub', dass es einfach eine gewisse emanzipatorische Wirkung haben kann, wenn man als Frau Fußball spielt.
Wenn wir im Prater oder auf der Donauninsel trainieren passiert es uns oft, dass Männer stehen bleiben und wenn wir den Ball grad rausschießen, müssen sie vorher unbedingt noch Tricks machen, bevor sie ihn zurückschießen. Bei einem Männerteam macht das niemand. Je mehr Frauen in der Öffentlichkeit Fußball spielen, umso mehr kann es auch verändern. Auch das Selbstbild von Frauen ändert sich dadurch. Zumindest meines hat sich dadurch verändert.

Cécile: Klar, weil du exponiert bist. Du bietest eine Angriffsfläche.

Lisi: Und Fußball ist auch ein Kontaktsport.

Cécile: Ja, du bist verschwitzt, rutscht am Boden, bist dreckig, fällst und stehst wieder auf.

 

Auch ein kleiner Beitrag hilft

  • 30.09.2012, 21:45

„Nachhaltige Umweltsysteme“ nennt sich das berufsbegleitende Studium an der FH Burgenland, über das wir mit dem 26-jährigen Steirer Andreas Kröpfl gesprochen haben.

„Nachhaltige Umweltsysteme“ nennt sich das berufsbegleitende Studium an der FH Burgenland, über das wir mit dem 26-jährigen Steirer Andreas Kröpfl gesprochen haben.

progress: Nehmen die ÖsterreicherInnen den Klimawandel zu sehr auf die leichte Schulter?

Andreas: Den meisten Leuten ist meiner Meinung nach schon bewusst, dass die globale Erwärmung ein Problem darstellt. Mit einfachen Richtlinien würde allen klar was sie selbst tun können um dem entgegen zu wirken. Jeder, auch kleine, Beitrag hilft und ist gesamtheitlich wertvoll. Viele glauben noch immer, Kleinigkeiten bewirken nichts.

progress: Elektrogeräte im Haushalt sind heute deutlich energieeffizienter als noch vor 20 Jahren, trotzdem ist der Stromverbrauch zwischen 1990 und 2007 um fast 24 Prozent gestiegen. Woran könnte das liegen?

Andreas: Der Fernseher braucht heute zwar viel weniger Strom als vor 20 Jahren, nur hat heute jede und jeder drei Fernseher statt einem. Also steigt in Summe der Verbrauch. Wir machen zwar alles stromsparender und effektiver, nur kaufen wir dann einfach mehr davon.

progress: Wie kann den Menschen näher gebracht werden, dass das nachhaltige Handeln jedes und jeder Einzelnen wichtig ist?

Andreas: Es muss ein System geschaffen werden, in dem jedeR Einzelne sieht, welchen Sinn der eigene Beitrag hat. Es könnte für einen Ort eine konkrete Zielvorgabe festgelegt werden, zB eine gewisse Menge Strom, die innerhalb eines Jahres eingespart werden soll. Am Ende des Jahres könnte dann in der Lokalzeitung veröffentlicht werden: Familie Maier hat soviel gespart und Familie Huber soviel. Dann weiß jedeR, wo der eigene Haushalt steht und es gibt einen Anreiz.

progress: Was müsste passieren, damit sich der Einsatz erneuerbare Energien, wie zum Beispiel Photovoltaik-Anlagen auf Privathäusern, tatsächlich rechnet?

Andreas: Die Anschaffung der Anlagen muss günstiger werden oder der Geldertrag steigen. Wenn ich bei Photovoltaik-Anlagen dieselbe Menge absetze wie bei Gasthermen, kann ich mit dem Preis auch so günstig sein, dass sich Photovoltaik auf jeden Fall rechnet. Auch wenn der Strompreis auf entsprechend hohem Niveau läge, wäre eine Rentabilität sofort gegeben.

„Ein unglaublich reicher Kontinent“

  • 29.09.2012, 02:57

In afrikanischen Ländern hat Zivilgesellschaft nichts mit Gutmenschen zu tun, sondern mit (Über-)Lebensstrategien. „Da liegt eine unglaubliche Kraft dahinter“ meint die Soziologin Veronika Wittmann vom Zentrum für soziale und interkulturelle Kompetenz an der Johannes-Kepler-Universität Linz.

In afrikanischen Ländern hat Zivilgesellschaft nichts mit Gutmenschen zu tun, sondern mit (Über-)Lebensstrategien. „Da liegt eine unglaubliche Kraft dahinter“ meint die Soziologin Veronika Wittmann vom Zentrum für soziale und interkulturelle Kompetenz an der Johannes-Kepler-Universität Linz.

progress: Es ist vermutlich sehr verallgemeinernd, von „der afrikanischen Zivilgesellschaft“ zu sprechen. Was kann Zivilgesellschaft übertragen auf afrikanische Länder bedeuten?

Veronika Wittmann: Grundsätzlich einmal halte ich es für unmöglich Konzepte von Zivilgesellschaft, die in Europa und Nordamerika entstanden sind, auf einen Kontinent wie Afrika zu übertragen. Die Rahmenbedingungen unter denen zivilgesellschaftliche Bewegungen dort handeln, sind ganz andere. Die Mehrheit der so genannten fragilen Staaten, wo der Staat nicht mehr das Gewaltmonopol hat, liegt in Afrika. Und ohne jetzt wieder ein klassisches Bild reproduzieren zu wollen, es ist ein Faktum, dass von den 48 ärmsten Ländern der Welt 35 in Sub-Sahara-Afrika liegen. Das bedeutet beispielsweise Analphabetismus oder dass 80 % des Kontinents nicht elektrifiziert sind. Dann muss man natürlich die immens hohen Raten an HIV-positiven Menschen berücksichtigen. Es sind andere Kämpfe, die geführt, und andere Mittel die eingesetzt werden. Außerdem ist es tatsächlich absolut verallgemeinernd von „der afrikanischen Zivilgesellschaft“ zu sprechen. Afrika, das sind 54 Länder mit unterschiedlichen historischen Entstehungsprozessen und gegenwärtigen politischen Rahmenbedingungen dessen was man unter einer Zivilgesellschaft verstehen kann.

progress: Welche Funktion erfüllen zivilgesellschaftliche Organisationen und Bewegungen in einzelnen afrikanischen Ländern?

Wittmann: Da muss man unterscheiden nach der Form der Organisation. Es gibt die ganze Bandbreite der Non Governmental Organisations. Die erfüllen durchaus eine Rolle des Watch Dog, drängen Regierungen auf die Einhaltung und Implementierung von Gesetzen, machen auf Missstände in einer Gesellschaft aufmerksam und so weiter. Diese NGOs sind darin zu unterscheiden, ob sie Regierungsgelder annehmen oder ob es NGOs sind, die vom Norden Donor-Funding erhalten. Hier kann dann natürlich die kritische Frage gestellt werden: wer bestimmt die Themen? Ein anderer wichtiger Teil von Zivilgesellschaft in Afrika sind Community-Based-Organisations, die so genannten CBOs. Das sind beispielsweise kleine lokale Radiostationen, die es vielerorts gibt, die unglaublich wichtig sind als Informationsquelle, um Menschen, die nicht lesen und schreiben können, zu erreichen. Das passiert in lokalen Sprachen. Man darf nicht vergessen, Afrika ist der sprachenreichste Kontinent der Welt. Hier erfüllen CBOs eine sehr wichtige Funktion zwischen NGOs und der dritten Gruppe der Zivilgesellschaft in afrikanischen Ländern, den Graswurzel-Bewegungen. Bei uns würde man sie als Basisbewegungen bezeichnen. Das sind beispielsweise oft Frauengruppen, die sich zusammenschließen, um mit bescheidenen Mitteln Aktivitäten zu setzen. Da liegt eine unglaubliche Kraft dahinter, diese Gruppen sind eigentlich die driving force. Aus Müll werden Kunstgegenstände hergestellt und verkauft. Frauen besetzen Gerichtsgebäude, wenn Fehlurteile gefällt werden. Wenn in Simbabwe Lebensmittelpreise erhöht werden, sind es Frauen, die sich auf die Straße stellen und demonstrieren. Es sind immer wieder Frauengruppen, die halte ich auch für die stärkste politische Bewegung am ganzen Kontinent.

progress: Füllen NGOs, CBOs und Grass-Roots-Organisations auch Versorgungslücken, die der Staat hinterlässt?

Wittmann: Ja. Ganz wenige Länder zum Beispiel haben eine staatliche Altersversorgung. Da kommen andere Netzwerke wie Großfamilien ins Spiel. Familie ist in vielen afrikanischen Ländern das, was wir als Netzwerk bezeichnen würden, weil es 200, 300 Personen umfasst, die zahlreiche Aufgaben übernehmen, die bei uns in eine öffentliche Sphäre gerückt sind. Ein anderes wichtiges Thema im südlichen Afrika ist HIV/Aids. Botswana hat eine Rate von 38 Prozent HIV-positiven Menschen. Viele von Frauen organisierte Grass-Roots-Bewegungen übernehmen die Betreuung der großen Anzahl an Aidswaisenkindern. Das sind klassische Aufgaben, die bei uns staatlicher Natur sind. In Sub-Sahara Afrika, wenn das nicht Frauen machen würden, würde es gar niemand machen.

progress: Zivilgesellschaft in afrikanischen Ländern ist also weniger eine bewusst wahrgenommene dritte, vierte Macht im Staat, sondern schlicht und einfach das alltägliche Leben?

Wittmann: Ja, das ist richtig ausgedrückt. Weil es ja oft auch eine Frage des Überlebens ist. Kämpfen wir dafür, dass wir sauberes Trinkwasser haben oder nicht?

progress: Welchen Stellenwert haben kulturelle Initiativen innerhalb von Zivilgesellschaft?

Wittmann: Ich denke, einen großen. Es gibt in Uganda eine Musiktruppe, die „Ndere-Troup“, die in einem Kulturzentrum in Kampala arbeitet, welches mit finanzieller Unterstützung der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit entstanden ist. Die MusikerInnen und TänzerInnen informieren Menschen in ländlichen Gebieten mit ihren Auftritten zum Beispiel über Verhütung. Denn ein Informationsblatt nützt nichts, wenn man nicht lesen und schreiben kann. Gesang und Tanz sind wichtige Informationsquellen, sehr viel Aufklärungsarbeit läuft über diese kulturellen Ausdrucksformen. Kulturelle Aktivitäten spielen aus einem weiteren Grund eine wichtige Rolle. Ich denke, dass gerade Kultur ein Bereich ist, wo sich der globale Süden und der globale Norden auf einer relativ gleichwertigen, partnerschaftlichen Ebene begegnen können. Das ist oft nicht der Fall, zum Beispiel im ökonomischen Bereich. Afrika ist nach wie vor primär ein Agrarproduzent, und am Weltmarkt haben Agrarprodukte einen geringen Stellenwert.

progress: Kann das Berichten über zivilgesellschaftliche Bewegungen vor Ort dem Bild, das viele Menschen von Afrika haben, etwas hinzufügen?

Wittmann: Ja! Menschen zu zeigen, die für sich sprechen und ihre Rechte einfordern, kann dem oft existierenden Bild von unterdrückten Menschen etwas entgegen setzen. Afrika, das ist oft ein stereotypes Bild von einerseits Katastrophen und andererseits Safaris. Und dazwischen viele arme Menschen. Afrika ist auch ein unglaublich reicher Kontinent und hat ein immenses Potential an dem, was man als Zivilgesellschaft bezeichnen kann. In Südafrika habe ich eine Frau kennen gelernt, die wäre ein Paradebeispiel. Sie kann nicht lesen und schreiben, aber sie hat in Zeiten der Apartheid Widerstand geleistet. Ihr größter Traum ist ein Haus aus Backsteinen statt Wellblech und ein Dach über diesem Haus. Und das ist auch eine Frau, die zusammen mit anderen das Bürgermeisteramt in Kapstadt besetzt. Die geht mit anderen Frauen 40 Kilometer zu Fuß dorthin, weil sie sich keinen Transport leisten können. Als sie keine Wasserleitung in ihrem Township bekommen haben, sind sie so lange gemeinsam im Bürgermeisteramt gesessen, bis sie ihr Ziel erreicht haben. Und von diesen Beispielen gibt es sehr viele mehr.

Dr. Veronika Wittmann besuchte im Rahmen zahlreicher Forschungs- und Studienaufenthalte neun Länder des afrikanischen Kontinents.
 

„Die Burschenschaften führen ein Rückzugsgefecht“

  • 29.09.2012, 00:56

Ist der Rechtsextremismus nichts anderes ist als Zuspitzung von konservativen Ansätzen aus der Mitte der Gesellschaft? Ein Gespräch mit dem Rechtsextremismus-Experten und Buchautor Heribert Schiedel vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW).

Ist der Rechtsextremismus nichts anderes ist als Zuspitzung von konservativen Ansätzen aus der Mitte der Gesellschaft? Ein Gespräch mit dem Rechtsextremismus-Experten und Buchautor Heribert Schiedel vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW).

progress: In Ihrem soeben erschienenen Buch „Der rechte Rand“ schreiben Sie, dass der Rechtsextremismus der gesellschaftlichen Mitte entspringt. Wäre ein gewöhnlicher Biertisch am Buchcover da nicht passender gewesen als ein Springerstiefel?

Heribert Schiedel: Ja, aber sowohl Titel als auch Buchcover habe ich dem Verlag überlassen. Der Verleger Heribert Steinbauer ist ein sehr engagierter Mensch. Er war ÖVP-Nationalratsabgeordneter und vertritt damit die politische und soziale Mitte, die Adressat und zugleich Gegenstand der Kritik in meinem Buch ist. Der Titel hat mir immerhin Gelegenheit geboten, gleich in der Einleitung dagegen zu polemisieren, den Rechtsextremismus als Randphänomen zu verstehen. Denn der Rechtsextremismus bezieht seine Ideen aus der Mitte der Gesellschaft, er ist in sehr vielem ein zugespitzter Konservativismus.

progress: Vielen bürgerlich-liberalen VertreterInnen der ÖVP graut es vermutlich, wenn man sie mit Rechtsextremismus konfrontiert. Dennoch hat die ÖVP im Jahr 2000 erstmals mit der FPÖ koaliert, die Sie als rechtsextrem beschreiben.

Schiedl: Ja, und deshalb ist im Buch auch immer wieder die Rede vom Tabubruch im Februar 2000. Trotzdem muss man sagen, dass die FPÖ damals schon noch eine andere war als die FPÖ heute. Ich habe die zweite Koalition zwischen der ÖVP und der FPÖ nach Knittelfeld im Jahr 2002 noch viel skandalöser gefunden als die erste. Denn da wusste die ÖVP genau, dass sie mit dem Rechtsextremismus koaliert. Die FPÖ rückt ja seit Jahren systematisch so weit nach rechts, dass sich fast automatisch ideologische, inhaltliche und personelle Berührungspunkte mit dem verfassungsfeindlichen neonazistischen Bereich ergeben. Viele Menschen – nicht nur in der ÖVP – möchten den Rechtsextremismus aber als Randphänomen sehen, weil das etwas Beruhigendes und Entlastendes für sie hat: Da ruft man dann nach Polizei und Sozialarbeit und macht aus einem gesellschaftlichen und politischen Problem eines, das mit Repression und Street Work zu lösen ist. Das ist es aber nicht.

progress: Lässt sich heute festmachen, was der FPÖ ihre Regierungsbeteiligung gebracht hat?

Schiedl: Die meisten Nachwirkungen gibt es an den Universitäten. Darauf hat sich die FPÖ konzentriert. Der Ring Freiheitlicher Studenten (RFS) und die Burschenschafter kämpfen vor allem gegen die so genannte Massenuniversität. Die Demokratisierung der Universität ist für sie gleichbedeutend mit ihrer „Vermassung“, und die lehnen sie vor allem in Bezug auf die Zusammensetzung der Universitäten ab – sowohl was die Geschlechter als auch die soziale Herkunft der Studierenden betrifft. Die Burschenschaften führen in Wirklichkeit seit über 100 Jahren ein Rückzugsgefecht. In ihren Männerbünden wird gelebt, was die Universität früher war: frei von Frauen und frei von Angehörigen unterer sozialer Schichten.

progress: Zumindest bei den ÖH-Wahlen verliert der RFS allerdings an Unterstützung bei den Studierenden.

Schiedl: Ja. RFS und die Rechten an den Universitäten bauen in dem Ausmaß ab, in dem die Universitäten in den 1970er-Jahren der Gesellschaft angepasst und demokratisiert wurden – Stichwort Universitätsordnungsgesetz 1975, freier Hochschulzugang und Ausweitung der Mitbestimmung. Rechtsextremismus ganz allgemein braucht ja bestimmte gesellschaftliche Voraussetzungen, um zu gedeihen: Da kommt ganz oben die Männlichkeit, eine bestimmte Art von Formiertheit, der Autoritarismus und ein Elitedenken. Deshalb sind die Rechten immer offen gegen die Massenuniversität aufgetreten, gegen den freien Hochschulzugang und für die Aufhebung der Mitbestimmung. Mit den Universitätsräten, die es seit dem Universitätsgesetz 2002 gibt, haben sie dann direkt ihre eigenen Leute an die Spitze gebracht. Wenn man Burschenschafter oder Freiheitliche heute fragt, was von ihrer Regierungsbeteiligung bleibt, nennen sie als Erstes immer diese „Reform“ der universitären Bildung.

progress: Worin sehen Sie die Unterschiede zwischen FPÖ und BZÖ?

Schiedl: Im Rassismus gibt es kaum welche. Bei der FPÖ ist der Rassismus allerdings aufgesetzt auf eine klare theoretische Fundierung, die beim BZÖ fehlt. Darum bezeichne ich das BZÖ als rechtspopulistisch und die FPÖ als rechtsextrem. Ein Unterschied zeigt sich in der Wirtschaftspolitik: Das BZÖ ist eher neoliberal, die FPÖ setzt mehr auf antikapitalistische Demagogie.

progress: Vor 15 Jahren haben 350.000 Menschen beim Lichtermeer gegen das FPÖ-Volksbegehren „Österreich zuerst“ demonstriert. Heute druckt die FPÖ ungestraft das Wort „Überfremdung“ auf Plakate und der niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) bezeichnet Minarette offiziell als „artfremd“. Was hat sich da im öffentlichen Diskurs verschoben?

Schiedl: Ich bezeichne diese Verschiebung in meinem Buch als „Normalisierung“. Zunächst einmal im Sinne einer Gewöhnung, einer Abstumpfung der Öffentlichkeit. Die „Normalisierer“ schauen dagegen immer, was noch geht: Wenn sich Andreas Mölzer zum Beispiel mit Vertretern des belgischen Vlaams Belang (früher Vlaams Blok, Anm.) und der französischen Front National zusammentut, regen sich zwar ein paar Menschen auf, der große Rest aber schweigt. Dann wartet Mölzer eben ein halbes Jahr, trifft sich dann mit Neonazis usw. usf. Die Grenze wird permanent weiter nach rechts verschoben. Der Gebrauch des Wortes „Überfremdung“ ist ein gutes Beispiel für diese „Normalisierung“: 1991 begründete der Österreichische Verfassungsgerichtshof in einem Urteil die Nichtzulassung einer Neonazi-Partei zu den Nationalratswahlen damit, dass diese den Begriff „Überfremdung“ wiederholt verwendete und daher – wörtlich – „ihre verhetzerische Absicht und neonationalsozialistische Gesinnung belegt“ war. Heute prangt der Begriff auf Wahlplakaten im ganzen Land. Wenn mir 1991 jemand gesagt hätte, dass die FPÖ acht Jahre später mit „Stop der Überfremdung“ in den Wahlkampf ziehen und damit rund 27 Prozent der Wählerstimmen erreichen wird, ich hätte es einfach nicht geglaubt

Das Buch:

In „Der rechte Rand. Extremistische Gesinnungen in unserer Gesellschaft“ beschreibt der Historiker Dr. Heribert Schiedel fundiert und beispielreich, was den Rechtsextremismus in Österreich ausmacht und was zum Erfolg der FPÖ geführt hat. Schiedel kennt die rechtsextreme und neonazistische Szene in Österreich und international und gewährt spannende Einblicke in ein Milieu, das alles andere als eine Randerscheinung ist.

Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen

  • 28.09.2012, 23:20

Dr.in Ingrid Schacherl ist eine der AutorInnen der vom BMWF beauftragten Studie „Gender und Exzellenz“. Gegenstand war die Bedeutung des Exzellenzparadigmas für die Offenheit des österreichischen Wissenschaftsbetriebs. Sie forscht bei Joanneum Research zu „Gender in Wissenschaft und Technik“ und „Gender Mainstreaming“.

Dr.in Ingrid Schacherl ist eine der AutorInnen der vom BMWF beauftragten Studie „Gender und Exzellenz“. Gegenstand war die Bedeutung des Exzellenzparadigmas für die Offenheit des österreichischen Wissenschaftsbetriebs. Sie forscht bei Joanneum Research zu „Gender in Wissenschaft und Technik“ und „Gender Mainstreaming“.

PROGRESS: Sie unterscheiden in der Studie gründlich zwischen „Elite“ und „Exzellenz“. Warum war diese begriffliche Trennung wichtig?
Ingrid Schacherl: Der Exzellenzbegriff war in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit sehr präsent. Dabei war immer von Exzellenz die Rede – manchmal steckten dahinter aber Elitekonzepte. Uns war wichtig, herauszufiltern, wie der Begriff definiert wird und wo er herkommt – im Gegensatz zu Elite, denn das sind zwei verschiedene Dinge. Der Elite-Begriff kommt aus Militär, Kirche, Wissenschaft, aus Organisationen die traditionell männlich konnotiert und hierarchisch strukturiert sind. Eliten agieren selektiv und arbeiten mit normativen Konzepten. Die Elite entscheidet, wer gefördert wird. Dieser Kreis ist sehr klein und bleibt unter sich. Der Exzellenzbegriff dagegen ist breiter angelegt. Die Leistungsorientierung steht im Vordergrund. Insofern ist er auch offener, weil niemand per se ausgeschlossen ist.

Sehen Sie im Exzellenzbegriff die Chance, dass er geschlechterneutral wirkt?
Ja. Der Begriff ist leistungsorientiert, und wenn es um Leistung geht, ist Geschlecht kein Ausschlusskriterium. Nachdem aber Leistung in sozialen Prozessen hergestellt wird, ist das nicht automatisch geschlechtsneutral. Im Wissenschaftsbetrieb wird darüber, was als beste Leistung zählt, in männlich dominierten Gruppen entschieden. Deshalb ist es wichtig, Leistungsbeurteilung und Auswahlverfahren möglichst transparent zu gestalten, damit Diskriminierung nicht wirksam werden kann.

Sie erwähnen, dass Österreich im EU-Vergleich bei den Frauenanteilen in der Forschung relativ weit hinten liegt. Warum ist Österreich schlechter als andere Länder?
Es gibt erstens eine historische Begründung. Frauen sind sehr spät an Unis zugelassen worden und hatten zur Zeit des Nationalsozialismus nur begrenzt Zugang. Die zweite Begründung ist, dass hier eine Hochschulkarriere mit einem hohen Statusgewinn verbunden ist. Und da sind wir wieder beim Elitekonzept. Wenn eine männliche Elite ihren Nachwuchs rekrutiert, dann ist es so, dass Männer traditionell Männer wählen. Auch wenn Geschlecht formal kein Kriterium ist – auch wenn alle sagen, es ist objektiv – in den Entscheidungen spielt es immer eine Rolle.

Ist das akademische System im deutschsprachigen Raum elitärer als das in anderen europäischen Ländern?
Ja, das könnte man schon sagen.

Beim Thema Exzellenz drängt sich die Frage des freien Hochschulzugangs förmlich auf. Ist das ein Widerspruch? Ist ein Massenstudium mit Exzellenzförderung vereinbar?
Exzellenz ist ein leistungsorientiertes Konzept. Rein vom Konzept her würde ich sagen, das ist kein Widerspruch. Der Exzellenzbegriff schließt das nicht aus, das sind eher bildungspolitische Entscheidungen.

Das Interview führte Anna Schiller.

Weiterführende Links:
http://www.joanneum.at/uploads/tx_publicationlibrary/rr66_gender_Exzelle...
http://www.advancingwomen.org/files/7/127.pdf

„Manipulative Tendenzen aufdecken“

  • 28.09.2012, 11:10

Wieso man sich nicht immer nur in der Freizeit politisch betätigen sollte und weshalb auch gescheiterte Volksbegehren erfolgreich sein können. progress im Gespräch über direkte Demokratie mit der Politikwissenschafterin Birgit Sauer.

Wieso man sich nicht immer nur in der Freizeit politisch betätigen sollte und weshalb auch gescheiterte Volksbegehren erfolgreich sein können. progress im Gespräch über direkte Demokratie mit der Politikwissenschafterin Birgit Sauer.

progress: Woher kommt die plötzliche Popularität der direkten Demokratie in Österreich?

Birgit Sauer: Ursache dafür ist die Unzufriedenheit mit den demokratischen Verhältnissen. In der Politikwissenschaft heißt das Postdemokratie: Unzufriedenheit bezüglich der Partizipation, aber auch hinsichtlich der Leistungen demokratischer Systeme. Und: Demokratien sind auf unterschiedlichen Ebenen damit konfrontiert, dass – wenn niemand mehr wählt – den politischen RepräsentantInnen eigentlich die Legitimation fehlt. Die Idee von direkter Demokratie ist im Kern: Wenn sich BürgerInnen mehr beteiligen, sind die politischen Entscheidungen vielleicht besser.

Trotzdem hat man den Eindruck, das Thema direkte Demokratie bleibt meist doch nur Nebendarstellerin.

Das stimmt. Direkte Demokratie ist eher Schlagwort als Diskussionsgegenstand. Hier müssten populistische   und manipulative Tendenzen aufgedeckt werden. Außerdem wird die Vorstellung, die soziale Bewegungen von direkter Demokratie haben, dassman so Demokratie offener machen und beleben kann, in der aktuellen österreichischen Debatte nicht diskutiert.

Dabei sind es ja gerade die sozialen Bewegungen, die sich für ein bestimmtes Thema einsetzen.

Ja. Darum geht es eben auch bei direkter Demokratie von unten. So, wie sie jetzt institutionalisiert ist, ist sie meist direkte Demokratie von oben. Dies ist jedoch eigentlich ein Element in der Logik des parlamentarischenSystems. Wenn hingegen eine Initiative von unten mit einem bestimmten Thema entsteht, geht es oft darum, eine bessere Entscheidung zu treffen, die schlicht
von mehr Menschen getragen wird. Wenn eine politische Partei ein Referendum oder eine Volksabstimmung initiiert, dann hat das aber den Charakter einer Meinungsumfrage. Oder Referenden werden als Legitimationsinstrument eingesetzt, weil die Entscheidung des parlamentarisch repräsentativen Systems unpopulär ist oder keine Mehrheit findet. Betrachtet man die Geschichte der Volksbefragungen in Österreich, wird offensichtlich, dass sie lange Zeit ausschließlich durch Parteien oder durch ParlamentsvertreterInnen initiiert wurden. Das war also kein Instrument der direkten Demokratie in dem Sinne, dass die BürgerInnen direkter beteiligtgewesen wären, sondern es war ein weiteres Instrument der Parteien.

Kann direkte Demokratie mithelfen, dem Gefühl, es werde „über den Kopf der BürgerInnen entschieden“, entgegenzuwirken?

Politik basiert auf Information. Insofern bin ich auch auf EU-Ebene eher skeptisch bezüglich Referenden. Soll man jetzt entscheiden, ob Griechenland aus der Eurozone austritt? Das halte ich für absurd, weil die Stimmung z.B. in Deutschland aufgeheizt ist. Und das liegt an manipulativer Informationsvermittlung.

Was bräuchte es stattdessen?

Viel weitergehende Reformen als ein Referendum oder ein BürgerInnenbegehren. Meines Erachtens müssten Verfahren direkter Demokratie in ganz andere Formen der Informationsvermittlung und des politischen Handelns eingebettet werden. In der Schweiz sind die Leute trotz der Tradition der direkten Demokratie verdrossen. Die Abstimmungsbeteiligung bei Referenden ist sehr niedrig. Den Leuten ist es zu viel. Demokratie müsste dort stattfinden, wo die Menschen sind. Warum sollte man sich nur in der Freizeit politisch betätigen und nicht am Arbeitsplatz oder in der Schule?

Es wird oft vor der Manipulierbarkeit von Volksabstimmungen gewarnt, also dass sich diejenigen, die am meisten Geld haben, durchsetzen. Das gilt jedoch in einem gewissen Maße auch für Parlamentswahlen. Ist die Gefahr der Manipulationen wirklich höher bei Volksabstimmungen?

Es braucht Öffentlichkeit und Einfluss, wenn man ein Referendum initiiert. Da haben soziale Bewegungen weniger Ressourcen als andere Gruppierungen. Die Gefahr, dass ein Thema in manipulativer Weise gerahmt wird, existiert beim Wahlkampf allerdings genauso. Jedoch: Wenn man eineN Repräsentanten/in wählt, ist dies keine ganz spezifische Entscheidung für oder gegen ein Thema. Es gibt eine Verzögerung, einen politischen Prozess, eine politische Diskussion. Deshalb sind Informationen beim Referendum viel wichtiger und der manipulative Gehalt ist deshalb größer. Oft wird gesagt: Wenn möglichst viele ihre Gedanken, ihre Ideen, ihre Interessen in eine politische Debatte einbringen können, gäbe es rationalere Entscheidungen. Die öffentliche Sphäre ist jedoch nicht herrschaftsfrei. Macht orientiert sich ganz stark an den Ressourcen, die die einzelnen Akteure zur Verfügung haben. Gegenbeispiele wie die ACTA-Proteste gibt es aber auch.

Kann direkte Demokratie über den akuten Tellerrand hinaussehen, und auch mit langfristigen Problemlösungenkonfrontiert werden?

Zum einen können die BürgerInnen nicht ständig und über alles abstimmen. Zum anderen ist es aber sinnvoll, über besonders kontroverse Themen abzustimmen, dies erfordert aber, dass die Bevölkerung informiert ist. Ich würde das Konzept „direkte Demokratie“ nicht mehr so eng sehen wollen, dass es nur Abstimmungen umfasst. Stattdessen glaube ich, macht es nur Sinn, wenn man es in einen größeren Reformprozess von Demokratie einbindet, wie ich es vorher erwähnt habe. Man müsste aber auch mitdenken, dass sich im direktdemokratischen Verfahren eben nur diejenigen beteiligen können, die wahlberechtigt sind. Entsprechend ist zu überdenken, wie man mit MigrantInnen umgeht; sowohl jenen aus der EU wie auch jenen aus sogenannten Drittstaaten. Letztere sind demokratiepolitisch völlig abgehängt. Daher wäre es sinnvoll, demokratische Verfahren zu entwickeln, in  denen auch ihre Stimmen Gehör finden, damit ihre Interessen in die politische Debatte einfließen können.

Würde sich das auch positiv auf das politische Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern auswirken?

Der Wunsch der neuen Frauenbewegungen war es seit den 1970er Jahren, die Demokratie zu reformieren; also die politischen Systeme frauenfreundlicher zu machen. Die erste forderte mehr Frauen in politischen Entscheidungsgremien. Die zweite wollte mit dem politischen System im engeren Sinne gar nichts zu tun haben, sondern autonom bleiben, Frauenprojekte umsetzen und dadurch die politische Kultur verändern. Politische RepräsentantInnen sollten von außen beeinflusset werden. Deshalb bestand bei einigen Frauengruppierungen in den 70ern, 80ern und eigentlich bis in die 90er-Jahre hinein die Überlegung, dass man mit mehr direkter Demokratie zumindest die Interessen von Frauen im politischen System besser vertreten könnte.

Zeigte sich das auch beim Frauenvolksbegehren? Es wurde von einer unabhängigen Initiative 1997 gestartet und beinhaltete beispielsweise die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit und einem Mindesteinkommen von 15.000 Schilling.

Das Frauenvolksbegehren war ein interessanter Fall. Es hat die Verfassung zwar nicht unmittelbar geändert, aber die Diskussion war wertvoll und führte im Endeffekt doch zu den verfassungsrechtlichen Zielen. Und auch hinsichtlich der Anwendung des Instruments des Volksbegehrens auf EU-Ebene gab es einen Gleichstellungsfortschritt. Trotzdem frage ich mich, warum alleine Abstimmungen
bessere Gleichstellungspolitik bedeuten sollten? Insbesondere, da es kein unbedingtes Interesse der ÖsterreicherInnen an Gleichstellungspolitik gibt. Entsprechend glaube ich, dass dies so einfach nicht ginge. Bei Themen wie Familienpolitik, Karenz und Arbeitszeit – die im Kern Gleichstellungsfragen sind – wäre es wichtig, Öffentlichkeit herzustellen. Das Private politisch machen. Dies ist gerade in einer Konsensdemokratie, wie es in Österreich der Fall ist, wo sehr viel hinter verschlossenen Türen ausverhandelt wird, ein wichtiges Argument.

Und wo liegt bei der direkten Demokratie die Verantwortung, wenn etwasschief geht? Könnten PolitikerInnen dann sagen: Ihr habt es ja so gewollt?

Das ist wirklich ein Problem. Aber auch bei repräsentativen Verfahren können BürgerInnen die PolitikerInnen nur dadurch verantwortlich machen, indem sie sie bei den nächsten Wahlen abwählen. Das ist ohne Zweifel wichtig, aber vergleichsweise wenig. Wie man an Korruptionsfällen sieht, stellt das in repräsentativen Systemen ebenfalls ein Problem dar. Entsprechend halte ich die Ablehnung von direkter Demokratie aufgrund des Argumentes der mangelnden Verantwortung für überzogen.

Könnte man in einem direktdemokratischen System also noch im gleichen Sinne von politischer Verantwortung sprechen?

Es bräuchte eine politische Debatte, was es heißt, Verantwortung für eine Entscheidung zu übernehmen. Also mit den Fragen: Was heißt es, Verantwortung für Entscheidungen zu übernehmen? Bin ich meiner Partei oder bin ich einer größeren Gruppe, die ich sozusagen als Auftraggeber für ein Gemeinwohl sehe, gegenüber verantwortlich? Und was würde es eigentlich heißen, von Gemeinwohl im Zusammenhang mit der ökonomischen Entwicklung zu sprechen? Da scheint sofort eine ganz andere Form von Verantwortlichkeit auf.

Zur Person: Birgit Sauer ist Professorin am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien. Ihre Forschung widmet sich insbesondere Fragen der Geschlechterverhältnisse sowie auch politikwissenschaftlichen Staats- und Institutionentheorien.

"Die Sanktionen wirken"

  • 28.09.2012, 00:31

Die deutsch-iranische Publizistin Saba Farzan gibt dem Regime Irans nur mehr wenige Jahre an der Macht. Flora Eder erzählte sie von der iranischen Studierendenbewegung, vom Kampf für Frauenrechte und von gefälschten Wahlen.

Die deutsch-iranische Publizistin Saba Farzan gibt dem Regime Irans nur mehr wenige Jahre an der Macht. Flora Eder erzählte sie von der iranischen Studierendenbewegung, vom Kampf für Frauenrechte und von gefälschten Wahlen.

PROGRESS: Das Lager des iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad wurde bei den Parlamentswahlen im März abgestraft. Wird sich im Iran nun etwas ändern?

Farzan: Nein, das bedeutet das Wahlergebnis definitiv nicht. Außerdem kann man leider nur von einer Wahlfarce sprechen. Von Vornherein war die Auswahl der Kandidaten vom Wächterrat fixiert. Aber es regt sich starker Widerstand. Das Regime hätte zwar gerne, dass der Iran ein zweites Nordkorea wird, aber mit der jungen Generation geht das nicht. Sie boykottierten ja auch die Wahl: Das ist die einzige vernünftige Art, mit einer solchen Wahlfarce umzugehen.

Hat der Boykott der Opposition also etwas gebracht?

Sagen wir so: Witzig finde ich, dass im Iran angeblich 64,2 Prozent der Bevölkerung gewählt haben - und wenige Tage zuvor in Russland ebenso 64,2 Prozent. Bei beiden Wahlen können wir davon ausgehen, dass das eine Zahl ist, die von den staatlichen Medien ausgegeben wurde, und dass die tatsächliche Wahlbeteiligung deutlich niedriger ist. Auch wenn wir nicht genau wissen, wie hoch die Teilnahme am Boykott war, so war er auf jeden Fall deutlich und erfolgreich.

In österreichischen Medien wurden die Gegenkandidaten von Ahmadinejad als konservativ dargestellt. Passt dieses Wort?

Konservativ wäre zu nett. Es geht um fundamentalistische Positionen, sowohl nach innen als auch nach außen. In diesem Regime gibt es keine Schattierungen, keine verschiedenen Fraktionen, die für unterschiedliche Positionen stehen. Von daher ist der zur Schau gestellte „Pluralismus“ ein PR-Manöver des Regimes gewesen, damit die internationale Staatenwelt getäuscht und vom wahren Charakter des Regimes abgelenkt wird.

2009 hast du dich im Rahmen eines Vortrags sehr optimistisch gezeigt, dass das schon der Anfang des Endes des Regimes sei. Wie siehst du das heute?

Die Zeit arbeitet für uns. Die Sanktionen wirken. Der Druck auf das Regime ist sehr groß. Es ist ja nicht durch Legitimität, nicht durch demokratische Wahlen, nicht durch irgendeine Art der Unterstützung aus der Bevölkerung an der Macht. Sondern es ist einfach nur durch Repression an der Macht geblieben und das reicht nicht, um auf Dauer weiterzumachen.

Wie stark ist die Opposition derzeit, wie stark ist die Repression?

Die Repression ist menschenverachtend und sie ist so dermaßen groß, dass sie an die Anfangszeit dieser Diktatur erinnert, mit unglaublich vielen Todesurteilen, die in den letzten zwei Jahren ausgesprochen und vollstreckt wurden. Mit unglaublich hohen Gefängnisstrafen für politische und gesellschaftliche AktivistInnen. Trotzdem geht der Protest von 2009 weiter. Er hat aber andere Formen angenommen und ist nicht mehr auf den Straßen des Irans unterwegs. Aber in der Blogosphäre ist er sehr aktiv und hat sich auch in der Substanz verändert: Es geht um das Ende des Regimes und nicht mehr einfach nur um Reformen.

Zeigt sich das auch in der Popkultur?

Ja. Beispielhaft finde ich einen aktuellen Rap-Song, der die Solidarität mit der syrischen Freiheitsbewegung ausdrückt. In dem Text geht es darum, dass die ganze Welt über Israel spricht, während in Syrien tausende Menschen ermordet werden und nichts dagegen getan wird. Es gibt also eine Solidarität auch mit anderen Bewegungen im Nahen Osten, und das ist eine Bewegung, die sich klar gegen Antisemitismus und Antizionismus stellt. Vor zehn, fünfzehn Jahren hätte es das noch nicht gegeben.

Und wie verhält sich das in puncto Frauenrechte?

Schon vor 2009 gab es die Initiative für die rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern, und das war eigentlich der Vorläufer für die Protestbewegung 2009. Denn bei den Frauenrechten sieht es im Iran genau so schlecht aus wie vor drei Jahrzehnten, als das Regime an die Macht gekommen ist. Die Islamische Republik versucht die Frauen zurück an die Kochtöpfe zu drängen. Die Iranerinnen machen das aber nicht mit. Das wurzelt auch in ihren eigenen Familien, weil die jüngere Generation der Iranerinnen schon sehr starke Mütter und Großmütter erlebte, die eben teilweise schon säkular geprägt waren, kein Kopftuch trugen und zu Hause in ihren privaten Räumen aufgeklärte Religion gelebt haben.

Es studieren besonders viele Frauen an iranischen Universitäten - trotz der starken Diskriminierung. Wie äußert sich die?

1982 gab es eine Art kulturelle Revolution an den Universitäten. Davor war es so, dass Frauen zu fast zwei Drittel der naturwissenschaftlichen Fächer nicht zugelassen waren. Das hat sich mittlerweile geändert. Nicht geändert hat sich allerdings, dass Studentinnen einer unglaublichen Benachteiligung ausgesetzt sind - es ist ja auch ein Bildungssystem, das von einem Regime geschaffen wurde, das Frauen als minderwertig betrachtet. Die junge Generation arbeitet aber stark autodidaktisch. Denn an den Unis lernen sie nicht akademisches Wissen, sondern Linientreue.

Worin unterscheidet sich der Alltag einer iranischen Studentin am meisten von dem einer österreichischen Studentin?

Im privaten Bereich unterscheidet sich der Alltag bestimmt überhaupt nicht. Er unterscheidet sich nur dann, wenn man einen Fuß vor die Haustür setzt. Zentral ist die Zwangsverschleierung. Es geht damit weiter, dass an den Universitäten die Geschlechter getrennt sind, und eigentlich separate Eingänge benutzt werden müssten - das wird aber boykottiert. Junge Frauen werden aufgrund ihres Make-Ups schikaniert und sind massiven Repressionen durch die Universitäten ausgesetzt. Studentinnen können sich auch in Studierendenvertretungen nicht politisch engagieren. All diese Geschichten müssen im Iran im Untergrund stattfinden. Viele der StudentInnen sind dafür auch im Gefängnis gelandet und wurden teilweise auch mit sehr hohen Haftstrafen bestraft. Der Mut ist aber keineswegs gebrochen.

Wie setzt sich denn die Studierendenbewegung aus sozialer Sicht zusammen?

Studieren ist im Iran eine sehr teure Angelegenheit. Es gibt Studiengebühren, die selbst für Familien aus der Mittelschicht nicht einfach zu tragen sind. Und das Schulsystem ist immer noch aus der Schah-Zeit. Wenn die Leute ihr Abitur gemacht haben, steht noch eine Aufnahmeprüfung für die Uni an. Die Vorbereitungszeit dafür beansprucht manchmal ein ganzes Jahr. Privatinstitutionen bereiten auf diese Prüfung vor - auch das kostet Geld. Trotzdem versuchen auch Familien aus ärmeren Schichten mit großem Aufwand, ihre Kinder auf die Unis zu bringen.

Wie verhält es sich mit Protest gegen das staatliche Vorgehen gegen homosexuelle Personen?

Obwohl die iranische Gesellschaft modern ist, ist Homosexualität noch ein Stück weit Tabuthema. Wenn, dann wird Homosexualität innerhalb der Familien geschützt. Es gilt hier aber noch immer sehr viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Das Regime geht brutal gegen Homosexuelle vor, verhaftet sie, setzt sie massiver Repression aus und hängt sie an Baukränen auf. Das macht natürlich auch Aufklärungsarbeit sehr schwierig. Aber die junge Generation kriegt über das Internet mit, dass die Rechte von Homosexuellen in der westlichen Welt sehr wohl ein Stück weit gesichert sind.

Ahmadinejad sagte ja einmal, im Iran gebe es keine Homosexualität.

Ja, weil das Regime ja auch versucht, so viele wie möglich zu erhängen.

Greifen die Sanktionen gegen das iranische Regime?

Die Sanktionen greifen nicht nur, sondern sie schädigen massiv die Geschäfte und den täglichen Handel des Regimes. Das ist immer eine gute Nachricht. Natürlich treffen die Sanktionen aber auch die Bevölkerung. Sie ist aber bereit, das in Kauf zu nehmen: Sie wollen, dass dieses Regime bankrottgeht. Das ist der Preis, den wir zahlen müssen. Sie wissen auch, dass die Sanktionen die einzige Möglichkeit sind, um eine militärische Intervention zu verhindern. Das Regime selbst ist in sich zerstritten, und eigentlich dabei, sich selbst zu zerlegen. Da wird die Wirkung der Sanktionen in den kommenden Wochen noch stärker sein.

Wie lang hat das Regime also noch Zeit?

Ich bin leider keine Hellseherin - ich kann kein Datum nennen. Aber ich hoffe und bin recht zuversichtlich, dass diese Parlamentswahlen im März die letzten der Islamischen Republik waren.

Saba Farzan ist deutsch-iranische Publizistin und Autorin. Sie studierte an der Universität Bayreuth Theaterwissenschaft, Amerikanische Literaturwissenschaft und Soziologie mit Forschungsaufenthalten in New York und an der Yale University.

Identitätsfindung oder Kinderspiel?

  • 27.09.2012, 02:34

Ein 10jähriges Mädchen, das sich vor ihren neuen FreundInnen als Junge ausgibt. Ein nicht unbedingt brandneues Thema, das der von Filmfestivals hoch gelobte Film Tomboy mit der jungen Zoé Heran in der Hauptrolle, aufnimmt. Vivian Bausch sprach mit der Regisseurin Céline Sciamma bei der diesjährigen Viennale.

Ein 10jähriges Mädchen, das sich vor ihren neuen FreundInnen als Junge ausgibt. Ein nicht unbedingt brandneues Thema, das der von Filmfestivals hoch gelobte Film Tomboy mit der jungen Zoé Heran in der Hauptrolle, aufnimmt. Vivian Bausch sprach mit der Regisseurin Céline Sciamma bei der diesjährigen Viennale.

Der Film handelt von der 10jährigen Laure, die sich aus einem Spiel heraus als Junge ausgibt und sich den Kindern ihrer neuen NachbarInnenschaft als Mikaël vorstellt. Einen Sommer lang passt sie sich ihrer neuen Rolle immer besser an und wird auch von ihren FreundInnen als Mikaël akzeptiert. Bei ihrer Freundin Lisa beginnt diese Fassade allerdings zu bröckeln, denn die beiden kommen einander zunehmend näher. Nur ihrer kleinen Schwester Jeanne vertraut Laure sich an. Zunehmend schwieriger gestaltet es sich im Laufe der Zeit allerdings diese neue Identiät aufrecht zu erhalten, bis durch die Entdeckung des Lügenspiels durch ihre Mutter schließlich ein Familendrama ausbricht. Vivian Bausch sprach bei der Viennale mit der Regisseurin Céline Sciamma.

PROGRESS: Wie war deine Reaktion, als du erfahren hast, dass mehrere KritikerInnen in Tomboy die Behandlung eines „psychologischen Phänomens“ sehen?
Céline Sciamma: Ich habe einige Interpretationen von ZuschauerInnen wahrgenommen und bin auf ein paar widersprüchliche Analysen meines Films gestoßen. Es ist natürlich richtig, dass ich mir mit der psychologischen Frage schwer tue. Der Film gibt keine psychologische Antwort beziehungsweise Analyse der Hauptcharaktere wieder. Er erklärt nicht wirklich, wieso Laure sich als Junge ausgibt. Natürlich kann man aber gesellschaftspolitische Aspekte rauslesen.

Was hat dich inspiriert dieses Projekt zu starten und wie hast du die Idee schließlich filmisch verarbeitet?
Im Prinzip habe ich Geschichten über ein kleines Mädchen, das sich als Junge ausgibt, gelesen. Ich wollte nicht nur einen Film über Kinder drehen. Darüber hinaus haben mich Thematiken wie die Schwierigkeiten zwischenmenschlicher Beziehungen, die Identitätsfrage und das Lügenspiel besonders inspiriert. Im Allgemeinen hat mich einfach diese Spannung der Themen extrem gereizt, da sich all diese Schwierigkeiten vernetzt in einer Geschichte zu einem schönen Ganzen weben lassen.

Wieso hast du dich für den Titel „Tomboy“ entschieden?
Tomboy weist vordergründig auf die Rolle von Mädchen in der Gesellschaft hin, auf das Phänomen, dass Jungs und Mädchen unterschiedlich erzogen werden und einen anderen Zugang zur Öffentlichkeit haben. Ich meine, natürlich gibt es Unterschiede zwischen Männern und Frauen, aber wir sollten dieses typische Muster von Vorurteilen gegenüber dem einen oder dem anderen Geschlecht tiefgründig hinterfragen.

Was wird man in Zukunft von dir sehen?
Zukünftig würde ich gerne eher Fernsehprojekte starten. Ich möchte mich in nächster Zeit auf die Produktion von Serien konzentrieren, da ich mich gerne länger mit spezifischen Charakteren beschäftigen möchte, um diese ausbauen und individualisieren zu können.

„Wir landeten im Gefängnis“

  • 18.09.2012, 20:54

Der Barkeeper des legendären Stonewall Inn in New York, Tree, ist stolz auf seinen Job. progress-Redakteurin Flora Eder erzählt der Zeitzeuge über die Riots, die im Jahr 1969 den Startschuss der modernen Schwulen- und Lesbenbewegung abgaben, Polizeirepression und Obamas Vorstoß in puncto gleichgeschlechtlicher Ehe.

Der Barkeeper des legendären Stonewall Inn in New York, Tree, ist stolz auf seinen Job. progress-Redakteurin Flora Eder erzählt der Zeitzeuge über die Riots, die im Jahr 1969 den Startschuss der modernen Schwulen- und Lesbenbewegung abgaben, Polizeirepression und Obamas Vorstoß in puncto gleichgeschlechtlicher Ehe.

Die Sonne ist an diesem Tag besonders stark. Tree besteht aber darauf, sich direkt unter sie und vor das Stonewall Inn zu setzen. „Die nächsten Tage soll es regnen“, sagt er. Für den mittlerweile 73jährigen Zeitzeugen der Stonewall Riots ist es nicht das erste Interview. Seine Biographie wurde auf CNN ausgestrahlt, und wenn der US-Präsident ankündigt, für gleichgeschlechtliche Ehe einzutreten, dann bitten US-Medien auch Tree um seine Einschätzungen und Kommentare. Das Gespräch muss immer wieder unterbrochen werden, weil Tree Leute begrüßt, die vorbeikommen. Auch ein alter Highschool-Freund, der ihn noch mit „Hi, Freddy!“ begrüßt. „Sonst nennen mich aber alle Tree“, sagt er.

progress: Was ist in der Nacht der Stonewall Riots geschehen, in der Nacht des 27. Juni 1969?

Tree: Aus persönlicher Sicht schien es vorerst eine Nacht wie jede andere: Wir sind in dem Lokal Mamas Chicken Rib, nicht weit weg von hier, als Gruppe abgehangen, und haben im Stonewall Inn vorbeigeschaut, um noch etwas zu trinken und zu tanzen. Betrunken waren wir in dieser Nacht übrigens nicht – die Getränke waren nämlich stark mit Wasser verdünnt. Das heutige Stonewall Inn  umfasst nur die damalige Tanzfläche – es war damals ungefähr doppelt so groß, und der Eingang und die Bar waren dort, wo sich heute der Maniküre-Salon befindet. Wir tanzten und als die Polizei das Stonewall Inn betrat, konnten wir also durch die andere Tür schnell flüchten.

Als die Polizei ins Stonewall Inn kam – was geschah da genau?

Die Polizei nahm etliche Menschen fest – darunter Drag Queens und Lesben in Männerkleidung. Geschlechtsuntypische Kleidung zu tragen, war damals sogar ein Grund, ins Gefängnis zu wandern. Wenn du als Mann Frauenkleidung trugst, musstest du mindestens drei „männliche Erkennungsstücke“ mit dir mittragen, sonst wurdest du verhaftet. Und vice versa war es für die Lesben. Die Polizei nahm auch den Kellner und die Inhaber fest. Als wir auf die Straße kamen, hat uns hier bereits eine kleine Menschenmenge von 30 Personen erwartet.

Um zu demonstrieren?

Ja, genau. Schnell wurden es 70, dann 150, dann 200, dann 700 Menschen. Zu guter Letzt haben sich über 1000 Menschen auf diesem Platz eingefunden. Die Türen der Bar wurden von außen verschlossen, Steine wurden geworfen. Einige schüttelten so lange an einem Parkzähler, bis sie ihn aus dem Gehsteig herausreißen konnten und nutzten ihn ebenfalls als Verschluss für die Türe. Aber die Polizei hätte sich ohnehin nicht mehr getraut, herauszukommen. Sie schrien um Hilfe, aber niemand im Grätzl unterstützte sie. Als dann Müll  angezündet wurde, gingen die Riots los – und ich lief davon. So ging es Vielen. Viele hatten Angst, dass ihre Eltern in den Medien davon lesen würden, dass sie schwul oder lesbisch seien, und versteckten sich.

Wie ging es mit den Demonstrationen weiter?

Wir gingen zurück in unser Lokal um die Ecke und schworen einander, nicht zu sagen, dass wir beim Stonewall Inn gewesen waren. Glücklicherweise kam die Polizei nie ins Mamas Chicken Rib. Aber am darauffolgenden Tag war es schon in allen Zeitungen. Und aus dem sehr bekannten Frauengefängnis, das sich gleich hier in der Nähe befand – hier war zum Beispiel Angela Davis gefangen – hörten wir von den Lesben immer wieder laute Rufe, die forderten, zurückzuschlagen und sich das nicht länger von der Polizei gefallen zu lassen. Permanent wurden uns von der Polizei Gesetzesüberschreitungen unterstellt, die wir niemals begangen hatten. Nur weil wir in einer Schwulenbar waren, landeten wir häufig im Gefängnis, so lange, bis jene RichterInnen, die darauf bestanden, ausreichend Schmiergeld erhielten, um uns wieder freizulassen.

Die Stonewall Riots waren der Startschuss für die moderne Schwulen- und Lesbenbewegung. Warum waren diese Proteste so erfolgreich?

Ich weiß nicht, warum ausgerechnet sie so erfolgreich waren. Ich kann mich erinnern, dass es mich verwunderte, wie schnell es ging, dass hier überall Regenbogenfahnen hingen und Proteste organisiert wurden. Bei einem der großen Protestmärsche gingen ich und meine Clique mit, aber nur auf der Seite. Ich bin so groß und hatte immer besondere Angst, sofort im Fernsehen erkannt  zu werden. Wir wurden von den PassantInnen als Queers, Fags, Lesben und so weiter beschimpft, und glaubten auch, dass es mit diesen Demos dann wieder vorbei sein würde. Wir konnten ja nicht ahnen, dass es bis zu unserem Lebensende nicht mehr aufhören würde.

Wer waren die Menschen, die damals auf die Straße gingen?

Hauptsächlich waren es Männer, einige waren auch Heteros. Sie engagierten sich aber meist nur, um für andere Belange zu agitieren. Und wie bei jeder Demo waren auch bei uns welche, die sich nur mit der Polizei anlegen  wollten. Trotzdem waren es meist sehr ruhige Demos, an denen etliche Hippies und nette Menschen teilnahmen. Überwiegend waren die TeilnehmerInnen aber Menschen, die keine Familie in New York hatten oder die bereits geoutet waren. Auch ich habe meiner Mutter lange Zeit nicht gesagt, dass ich schwul bin: Sie wusste zwar, dass ich immer wieder in dieses Viertel kam, jedoch nicht, welche Bars ich hier besuchte. Als sie es eines Tages herausgefunden hatte, sagte sie nur: „Oh.“ Das war das Ende des Gesprächs.

Immerhin besser, als wenn sie sich empört hätte?

Nun ja. Mütter sind Mütter.

Gingen auch viele Lesben bei den Demos mit?

Natürlich. Außerdem haben wir uns immer gegenseitig als TanzpartnerInnen gebraucht, um nicht als homosexuell aufzufallen. Jedoch gab es auch jene Lesbenbars, in denen Männer nicht erlaubt waren. Mir hat besonders jene Lesbenbar gefallen, deren Besitzerin für gemischtes Publikum eintrat und sagte, dass Lesben und Schwule gemeinsam kämpfen sollten.

Was veränderte sich durch die Stonewall Riots unmittelbar?

Davor war alles top secret: Man musste an der Bartür klopfen, bevor man sich hineinschleichen konnte – und wenn du nicht wusstest, wo eine Bar war, hast du auch keine gefunden. Das hatte seinen Zweck, auch meine FreundInnen in Brooklyn hätten mich verprügelt, hätten sie gewusst, dass ich schwul bin.

Sind Sie stolz, damals dabei gewesen zu sein?

Natürlich bin ich stolz darauf. Aber immer, wenn sich wer bei mir bedanken möchte, weiß ich nicht, wie ich darauf reagieren soll. Wir konnten ja gar nicht ahnen, welche Dimensionen das annehmen würde. Heute gibt es auf der ganzen Welt Regenbogenfahnen – und sogar Lokale, die nach dem Stonewall Inn benannt werden. Erst kürzlich hat eines in Deutschland aufgemacht. Das Interesse an den Protesten und daran, was damals passiert ist, ist ungebrochen.

Auch von Seiten jüngerer Leute?

Viele von ihnen wissen gar nicht, was damals passiert ist. Deswegen gehe ich auch in die Schulen und unterrichte dort. Ich finde, das ist das Beste, das man gegen Homophobie machen kann. Mir ist auch wichtig, zu vermitteln, dass sie ihr Leben genießen sollen – und verhüten!

In den USA ist ja die Debatte über gleichgeschlechtliche Ehen voll im Gang. Wird Barack Obama damit Erfolg haben?

Ich denke, New York wird geschlossen hinter Obama stehen. Was mich jedoch schockiert, sind erste Umfragen, die zeigen, dass ein großer Teil der AfroamerikanerInnen und der spanischsprachigen Community gegen die gleichgeschlechtliche Ehe ist. Aber ich denke trotzdem, dass Obama auch die nächsten vier Jahre US-Präsident bleiben wird – und ich bin ihm sehr dankbar.

Wird sich das Leben von LGBTQ-Personen dadurch wirklich so sehr ändern?

Nein – aber es wird Schritt für Schritt besser. Ein Kampf nach dem anderen, little by little.

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