Interview

Schlaflos

  • 24.06.2015, 17:12

Nur zwei Stunden Schlaf am Tag? Das polyphasische Schlafmodell, ein künstlich umgestellter Schlafrhythmus, soll das ermöglichen. progress sprach mit dem Schlafberater Georg Mühlenkamp.

Nur zwei Stunden Schlaf am Tag? Das polyphasische Schlafmodell, ein künstlich umgestellter Schlafrhythmus, soll das ermöglichen. progress sprach mit dem Schlafberater Georg Mühlenkamp.

Zeit, die wir mit Schlafen verbringen, ist Zeit, die uns tagsüber oft fehlt. Doch ist Schlaf tatsächlich verlorene Zeit, die wir sinnvoller nützen könnten? Gerade in der Prüfungs- und Abgabenzeit am Ende des Semesters tauschen viele Studierende Studienerfolg  gegen Schlaf,  wie einige US-Studien zeigen. Das polyphasische Schlafmodell kann helfen, das eigene Schlafpensum zu reduzieren. Dabei handelt es sich um einen künstlich umgestellten Schlafrhythmus, bei dem, im Gegensatz zum monophasischen Schlafmodell, statt über einen längeren Zeitraum in der Nacht mehrmals täglich für kürzere Zeit geschlafen wird.

progress: Eine Studie der Universität Cambridge besagt, dass zu viel Schlaf genauso ungesund ist wie zu wenig Schlaf – wie viel Stunden Schlaf benötigen wir wirklich?
Georg Mühlenkamp: Jeder Mensch hat ein individuelles Schlafmuster, das zum Teil vererbt wird und zum Teil antrainiert ist. Es gibt Menschen, denen reichen täglich fünf Stunden Schlaf,  um ihre Leistungsfähigkeit zu regenerieren. Andere wiederum benötigen zehn Stunden Schlaf. Der statistische Mittelwert liegt bei sieben Stunden.  Versuche  von SchlafforscherInnen  in  sogenannten Bunkern - ProbandInnen haben keine Uhr, kein natürliches Licht, keinen Kontakt zur Außenwelt - zeigten, dass die Menschen anfangs zehn Stunden durchschliefen und dabei ihr Schlafdefizit aufholten. Danach schliefen sie circa acht Stunden am Stück.

Polyphasisches Schlafen bedeutet im Gegensatz zum monophasischen Schlafen,  dass man mehrmals kurz am Tag schläft. Welche physischen und psychischen Beeinträchtigungen kann das mit sich bringen?
Eine Änderung des Schlafrhythmus ist mit den Auswirkungen eines Jetlags oder einer Zeitumstellung vergleichbar. Dazu zählen zum Beispiel Appetitlosigkeit, Depressionen, Konzentrationsschwächen, Stimmungsschwankungen und Unwohlsein.

Ist Leistungsfähigkeit ohne ausreichenden Schlaf überhaupt möglich?
Wir alle wissen, wie es uns nach einer schlaflosen Nacht geht. Unsere Leistungsfähigkeit hängt zum überwältigenden Teil von unserem Schlaf ab. Ein Beispiel: SpitzensportlerInnen können nur dann Topleistungen vollbringen, wenn sie vor Wettkämpfen ausreichend schlafen. Daher ist Doping mit Schlafmitteln im Spitzensport weit verbreitet.

Bei einer Umstellung des Schlafrhythmus auf polyphasisches Schlafen leidet der Körper besonders in den ersten Wochen unter Schlafentzug. Welche Folgen hat Schlafentzug über einen längeren Zeitraum?
Der Schlaf dient der geistigen, psychischen und physischen Regeneration. Unser Immunsystem regeneriert sich während des Schlafs und auch der größte Teil der Zellerneuerung geschieht im Schlaf. Unser Gedächtnis sortiert jede Nacht Wichtiges und Unwichtiges. Schlafentzug birgt schwere gesundheitliche Risiken und ist das weltweit am häufigsten eingesetzte Foltermittel. 

Wenn wir acht Stunden am Stück schlafen, stellen sich auf die Nacht verteilt in etwa zwei Stunden Tiefschlafzeit –  also  die  für die  Erholung wichtigen REM-Phasen – ein. Beim polyphasischen Schlafen wird das Gehirn mehrmals am Tag dazu gebracht, beim Einschlafen direkt in diese REM-Phasen zu gleiten und danach gleich wieder aufzuwachen. Was ist daran so verlockend?

Fälschlicherweise halten viele Menschen die Schlafzeit für verlorene Zeit und möchten daher ihr Schlafpensum reduzieren. Internet und Fernsehen haben  unsere Gesellschaft in eine 24-Stunden-Gesellschaft verwandelt. Wer schläft, hat Angst etwas zu verpassen.

Polyphasisches Schlafen kann nach unterschiedlichen Mustern praktiziert werden – die extremste Variante ist das „Uberman“-Schlafmuster. Konkret bedeutet das  sechs Mal 20 Minuten Schlaf und 22 Stunden Wachzeit täglich. Kann sich ein solches Schlafmuster bewähren?

Wenn es tatsächlich gelingt, sich während dieser insgesamt zwei Stunden Schlaf durchgehend in den REM-Phasen zu befinden, dann ja. Gelingt das nicht, ist es mit diesem Schlafmuster ähnlich wie mit Energiedrinks und Kaffee: Sie versetzen einen in ein künstliches Wachsein. Hier verwechselt man Unruhe sehr schnell mit Lebensenergie.

Gibt es eine gesunde und effektive Technik, das eigene Schlafpensum zu reduzieren?
Definitiv nicht. Wir sollten unser Schlafpensum auch nicht  reduzieren und unseren Schlaf nicht als Zeitverschwendung betrachten. Unsere Gesundheit, unser Sozialverhalten und unsere Leistungsfähigkeit hängen vom gesunden und erholsamen Schlaf ab.

In zahlreichen Blogs, Online-Foren und Büchern berichten  Menschen über ihre Erfahrungen mit dem polyphasischen Schlafmodell. Ist polyphasisches Schlafen ein Trend?
Ich würde es nicht als Trend bezeichnen, aber als einen begrüßenswerten Schritt in die Richtung, sich mit seinem oder ihrem Schlaf zu beschäftigen. Was gegen einen Trend spricht, ist die Tatsache, dass die überwältigende Mehrheit durch den Arbeitsrhythmus in ein zeitliches Schema zur Regeneration gezwungen wird.

Viele kommen in ihren Selbstversuchen zum Schluss, dass das polyphasische Schlafmodell langfristig gesehen nicht sehr erholsam ist. Warum wird der Versuch des polyphasischen Schlafens dennoch praktiziert?

Wir leben in einer Zeit, in der Menschen das Interesse am Schlaf wiederentdecken und sich mit ihrem eigenen Schlafverhalten auseinandersetzen wollen. Wegen der Sachzwänge wie Arbeit oder Studium bleibt es in der Regel  aber beim Versuch.


Sandra Schieder studiert Journalismus und Public Relations an der FH JOAN- NEUM in Graz.

Wege ohne Heimkehr. Das armenische Leben vor und nach dem Genozid in der Türkei

  • 23.04.2015, 11:51

Am 24. April 2015 jährt sich der Völkermord an den ArmenierInnen im Osmanischen Reich zum hundertsten Mal. Progress sprach mit der Historikerin Corry Guttstadt über die Situation der ArmenierInnen in der heutigen Türkei.

Am 24. April 2015 jährt sich der Völkermord an den ArmenierInnen im Osmanischen Reich zum hundertsten Mal. progress sprach mit der Historikerin Corry Guttstadt über die Situation der ArmenierInnen in der heutigen Türkei.

Das armenische Leben in der Türkei ist nach wie vor durch Diskriminierung, Hass und die fortdauernde Leugnung des Genozids von 1915 gekennzeichnet. Bis heute verhindert der türkische Staat die geschichtliche Aufarbeitung des Genozids und versucht auch international die Anerkennung des Völkermords zu verhindern.

progress: Der Völkermord löschte die armenische Bevölkerung im Gebiet der heutigen Türkei weitgehend aus. Gibt es noch eine lebendige armenische Gemeinschaft in der Türkei?

Corry Guttstadt: Heute leben schätzungsweise 60.000 Armenier in der Türkei, Tendenz fallend. Sie leben fast ausschließlich in Istanbul, wo es mehrere armenische Schulen, die beiden armenischen Tageszeitungen Jamanak und Marmara sowie die Wochenzeitung AGOS und etwa dreißig armenische Kirchen gibt, wenn man dies als Gradmesser einer „lebendigen Gemeinschaft“ ansehen möchte.

In Anatolien leben so gut wie keine Armenier mehr. Dies ist nicht allein eine Folge des Genozids sondern auch eine Folge der erneuten Vertreibung und Ermordung des in der Türkei als „Befreiungskrieg“ bezeichneten Krieges von 1919-1920. Dieser richtete sich gegen die Rückkehr überlebender Armenier im Schutz französischer Besatzungstruppen nach Kilikien und die vorgesehene Gründung eines armenischen Staates im Nordosten Anatoliens. Es kam erneut zu Massakern an armenischen Zivilisten, die als Fortsetzung des Völkermords angesehen werden können. Nach der Gründung der Republik Türkei sollte nach der Auslöschung der armenischen Bevölkerung auch ihre Geschichte ausradiert werden. So wurden außerhalb von Istanbul zahlreiche Kulturbauten zerstört, die Namen von Dörfern und Städten türkisiert, und überall Straßen, Stadtteile und Schulen nach den Mördern benannt.

Die aggressive nationalistische Politik führte während der folgenden Jahrzehnte zur Schließung von Schulen und Gemeindeeinrichtungen und in Folge dessen zu einem weiteren Fortzug der verbliebenen Armenier aus Ostanatolien.

Wie der Titel meines Buches „Wege ohne Heimkehr“ zum Ausdruck bringt, gab es nach dem Völkermord auch für die überlebenden Armenier keine „Heimkehr“: Muslime hatten ihre Häuser und ihren Besitz beschlagnahmt. Mehrere der Erzählungen in dem Band beschreiben dies: Hagop Mintzuri bezeichnet seine Situation in Istanbul als das Leben „einer Geisel“, die Großmutter „Garine“ in der Erzählung Karin Karakașlıs hat nur durch Konversion zum Islam überlebt und ihre armenische Identität bis zum Tode verborgen.

Wie sieht die rechtliche Stellung der nicht-muslimischen Minderheiten und die der armenischen Gemeinschaft  in der Türkei im Speziellen aus?

Formalrechtlich gesehen sind die Armenier Staatsbürger des Landes und genießen die gleichen Rechte wie muslimische Türken. Außerdem sind ihre Rechte als Minderheit – also auf Unterhalt eigener Schulen und Gemeindeeinrichtungen, Gebrauch der eigenen Sprache etc. – wie die der Griechen und Juden im Lausanner Vertrag von 1923 festgeschrieben. In der Realität hat die Politik der Türkei von Beginn an zwischen „echten“ (muslimischen) Türken und den nichtmuslimischen Bürgern unterschieden.

Armenier und andere Nichtmuslime waren zahlreichen Beschränkungen unterworfen: Sie wurden elementarer Rechte wie der Freizügigkeit, Meinungs- und Organisationsfreiheit beraubt und waren im Alltag zahlreichen Diskriminierungen und Beschränkungen ausgesetzt; bis heute ist ihnen z.B. im Staatsdienst oder in der Armee ein Aufstieg verwehrt.

Anstatt das Leben seiner (nichtmuslimischen) Bürger zu schützen, sind es immer wieder Politiker und staatliche Stellen, die den Hass gegen Armenier schüren und die Aufklärung von Gewalttaten (wie z.B. dem Mord an Hrant Dink, Journalist und Herausgeber der in Istanbul erscheinenden zweisprachigen Wochenzeitung Agos) verschleppen.

Welche Auswirkung hat eine Politik des türkischen Staates, die den Genozid leugnet, auf die ArmenierInnen?

Die Leugnung beschränkt sich nicht auf ein Abstreiten oder eine Relativierung von Fakten, sondern Armenier werden weiterhin als „Feinde und Verräter“ bezichtigt, wobei nun auch die Forderung der Anerkennung des Völkermords - vor allem seitens außerhalb der Türkei lebender Armenier - als weiterer Beweis ihres „Verrats“ gewertet wird.

Begleitet wird dies durch die Kontinuität antiarmenischer Propaganda und Taten seitens großer Teile der türkischen Gesellschaft und politisch Verantwortlicher. Schulbücher enthalten antiarmenische Aussagen, die den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen, eine Petition mehrerer hundert Intellektueller diese Bücher zu korrigieren blieb unbeantwortet. Die staatliche Gazi-Universität in Ankara rief zu einem Plakatwettbewerb auf, welche die armenischen Gräueltaten darstellen sollten.

Hat sich die Lage der ArmenierInnen unter der AKP-Regierung verbessert oder eher verschlechtert? Gibt es inzwischen Bestrebungen, die ethnische und religiöse Pluralität der türkischen Gesellschaft anzuerkennen und zu fördern?

In ihren ersten Regierungsjahren hat die AKP – zum Teil wohl in der Hoffnung auf eine Aufnahme in die EU – eine Reihe von Reformen durchgeführt, die unter liberalen Intellektuellen sowie unter Angehörigen der Minderheiten Hoffnungen auslösten.

Ein Gesetz von 2011 sieht die Rückgabe des widerrechtlich beschlagnahmten oder eingefrorenen Eigentums der christlichen und jüdischen Stiftungen an diese vor. In der Praxis verläuft die Rückgabe äußerst schleppend und wird von staatlichen Stellen immer wieder behindert. In ihrer Rhetorik propagiert die AKP das „Zusammenleben der verschiedenen ethnischen und religiösen Gemeinschaften“, das zu osmanischen Zeiten angeblich so friedvoll war.

Die Ideologie der AKP ist nicht nur islamistisch, sondern immer auch nationalistisch: Es war der AKP-Bildungsminister, der die antiarmenische  Propaganda in den Schulunterricht brachte. Während des Wahlkampfes für die Präsidentschaftswahlen im letzten Sommer sagte Erdoğan, man habe ihn „sogar“  - und dann entschuldigte er sich für das schlimme Wort - „als Armenier bezeichnet“.

Die Lockerungen, die wir in der Türkei erleben – z.B. dass die Bezeichnung des Völkermords als Völkermord nicht mehr zur Strafverfolgung führt - sind der Erfolg der Zivilgesellschaft, des unerschrockenen und unermüdlichen Engagements von mutigen Publizisten und Menschenrechtsaktivisten.


Ismail Küpeli ist Politikwissenschaftler. Gerade arbeitet er an einem Sammelband über den Kampf um Kobanê, der voraussichtlich im Sommer 2015 bei edition assemblage erscheint.

„Er macht blabla, sie macht haha“

  • 25.03.2015, 18:58

Frauen im Kabarett: Schön sein, lachen, kurze Kleider tragen. Ein Interview mit der Kabarettistin Nadja Maleh über eine Rollenverteilung im Umbruch.

Frauen im Kabarett: Schön sein, lachen, kurze Kleider tragen. Ein Interview mit der Kabarettistin Nadja Maleh über eine Rollenverteilung im Umbruch.

Im Jahr 2007 feierte die österreichische Kabarettistin und Schauspielerin Nadja Maleh mit ihrem ersten Soloprogramm „Flugangsthasen“ in Wien Premiere. Drei Jahre später wurde der gebürtigen Wienerin der Österreichische Kabarettpreis verliehen. Heuer steht sie mit ihrem vierten Programm „Placebo“ abermals auf der Bühne. progress hat mit der Künstlerin über Sexismus, Humor und ihr neues Programm gesprochen.

progress: Warum gibt es im Kabarett deutlich weniger Frauen als Männer?
Nadja Maleh: Das Ungleichgewicht ist meiner Meinung nach eine Folge unserer klassischen Rollenaufteilung. Die ist zwar heute im Wandel, aber alte Muster sind dennoch stark. Im Kabarett lässt sich das so skizzieren: Er sagt etwas Lustiges, sie lacht. Er ist aktiv, sie ist passiv. Er macht „blabla“, sie macht „haha“. Schon junge Mädchen wurden und werden noch immer dazu erzogen zu harmonisieren, anstatt zu polarisieren. Letzteres blieb seit jeher den Männern überlassen. Aber im Kabarett geht es darum Tabus zu brechen, laut zu sein und auch den Mut zu haben Hässlichkeit zu zeigen. Das fällt einerseits manchmal Frauen schwer und andererseits haben manche Männer ein Problem mit Frauen, die die scheinbar natürlichen Verhältnisse in Unordnung bringen wollen. Natürlich kann es als Frau oft auch sehr ermüdend und anstrengend sein, andauernd gegen tradierte Altherren-Vorurteile anzukämpfen. Kein Wunder also, dass nicht so viele Ladies Lust darauf haben. Aber glücklicherweise werden wir Kabarettistinnen immer mehr.

Sehr hartnäckig hält sich das Stereotyp, dass Frauen weniger Humor als Männer hätten.
Das stimmt natürlich nicht. Frauen und Männer haben ohne Frage gleich viel Humor. Auch wenn es da und dort gewiss weniger humorvolle Exemplare gibt.

Woher kommt dann diese Vorstellung?
Humor war in der westlichen Welt nie ein typisch weiblicher Wert, über den sich eine Frau zu definieren hatte. Daher kommen auch solche Behauptungen, dass Frauen weniger Humor hätten als Männer. Schönheit, Sanftheit und Mitgefühl sind hingegen Eigenschaften, die oft Frauen zugeschrieben werden und somit auch jene Charakteristika, mit denen sich Frauen wiederum selbst definieren. Humor ist aber nicht immer gleich Humor. Da gibt es sehr wohl Unterschiede, die wir auch in Bezug auf Mann und Frau attestieren können: Zum Beispiel haben Untersuchungen gezeigt, dass Frauen eher dazu tendieren über sich selbst zu lachen. Männer hingegen machen vermehrt Witze über andere.

Gibt es Sexismus im Kabarett?
Sexismus hat immer etwas mit Ungleichheit und mit dem sozialen Status zu tun. Das Kabarett soll als Spiegel unserer Gesellschaft verstanden werden. Und in der herrscht eben genau diese Ungleichheit. Wenn wir darüber lachen, ist das sicherlich zugleich auch eine Form der unbeschwerten Reflexion darüber. Über die sogenannten „Schwächeren“ zu lachen, war eben immer schon ein Leichtes.

Wurden Sie schon einmal in ihrem Arbeitsbereich sexistisch behandelt?
Ja, da gab es zum Beispiel einmal einen Veranstalter, der von einer Agentur Kabarett-Vorschläge einholte. Als ich ihm vorgeschlagen wurde, war seine Antwort: „A Frau!? Naaa, wir wollen was Lustiges!“

Sind also sexistische Witze vor allem bei männlichen Kollegen beliebt?
Wenn ich jetzt so überlege, dann muss ich ehrlich sagen, dass mir kaum ein Kollege einfällt, der sich in erster Linie sexistischer Witze und Nummern bedient. Und wenn doch einmal, dann kommt das meistens nur bei einem bestimmten Publikum gut an.

Womit wir bei den Zuschauer_innen wären. Wer lacht überhaupt? Über wen wird gelacht? Und gibt es Grenzen des Humors?
Beim Kabarett soll jeder und jede das Recht haben, lachen zu dürfen. Es soll im Gegenzug aber auch über jeden und jede gelacht werden können. Natürlich gibt es Grenzen. Aber diese Grenzen hat jeder Kabarettist und jede Kabarettistin für sich selbst zu wählen. Ein Mindestmaß an Respekt sollte meiner Meinung nach auch im Kabarett niemals fehlen. Wir leben in einer Gesellschaft in der Gedankenfreiheit, Witzefreiheit und darstellerische Freiheit existieren und propagiert werden. Wo die individuelle Barriere erreicht ist, muss der Künstler oder die Künstlerin innerhalb seines und ihres ganz persönlichen ethischen und künstlerischen Rahmens herausfinden.

Wie definieren Sie diesen Respekt und welche Art von Humor grenzt aus?
Es gibt Humor, der zerstörerisch ist, menschenfeindlich oder sogar dumm. Das ist eine Form, die für mich ausgrenzend ist. Auch Humor auf Kosten von jemandes Unzulänglichkeiten, für die er oder sie nichts kann, zählt für mich dazu.

Im Februar fand die Premiere ihres neuen Programms „Placebo“ statt. Wie wichtig sind Klischees? Bedienen Sie sich selbst frauenfeindlicher Witze?
Wir alle erkennen uns und das Leben in Klischees. Sie sind wie der kleinste gemeinsame Nenner unserer Gesellschaft. Im Kabarett wird natürlich immer mit Klischees gespielt. Das ist ein Muss. Im besten Fall aber werden sie neu beleuchtet und erweitert. Für mich tritt Kabarett Frauen und Männern und allen übrigen Klischees gleich fest auf die Zehen.

 

 

Anne Schinko studiert Politikwissenschaft und Geschichte an der Universität Wien.

Generationenvertrag ade?

  • 09.04.2014, 11:03

 

Brauchen wir einen neuen Generationenvertrag oder ist der Aufschrei, die staatliche Altersvorsorge wäre nicht mehr finanzierbar, nur Panikmache? Welche Anpassungen am Arbeitsmarkt überfällig sind, erklärt Christine Mayrhuber (WIFO) im Gespräch mit Oona Kroisleitner.

progress: Brauchen wir wegen rückgängiger Geburtenrate und längerer Lebenserwartung einen neuen Generationenvertrag?

Christine Mayrhuber: Natürlich gibt es durch die steigende Lebenserwartung eine Verschiebung. Aber nicht alle Menschen im Pensionsalter beziehen eine Pensionsleistung. Im österreichischen Umlagesystem existiert ein Pensionsanspruch für jene, die sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren. Es gibt immer noch Ältere, überwiegend Frauen, die keinen eigenen Pensionsanspruch haben, weil sie nicht, oder nicht ausreichend erwerbstätig waren. Auf der anderen Seite hängt im Umlagesystem die Finanzierung vom Verhältnis von Beitragsleistenden und PensionistInnen, nicht von der Demographie ab.

Wie sieht dieses Verhältnis aktuell aus?

Derzeit kommen auf eine Person im Erwerbsalter 0,3 Personen im Alter von 65 Jahren und mehr. In der Pensionsversicherung entfallen auf einen sozialversicherungsrechtlich abgesicherten Job 0,6 Pensionen. Um diese Relation zu verbessern gibt es zwei Möglichkeiten: einerseits – im Widerspruch zum Generationenvertrag – eine Reduktion der Zahl der Pensionen, andererseits eine Erhöhung der Beschäftigtenzahlen. Ob das Pensionssystem finanziell nachhaltig ist, hängt davon ab, wie groß die Gruppe der Beschäftigten ist und wie hoch ihre Löhne und Gehälter sind. Und die Anzahl der Beschäftigten ist wirtschaftspolitisch gestaltbar.

In den 1960ern stieg die Geburtenrate stark an, die Generation der „Babyboomer“ wird in den nächsten Jahren in Pension gehen. Was bedeutet das für das Altersvorsorgesystem?

Das könnte eine spannende Situation für den Arbeitsmarkt darstellen. Auf der einen Seite müssen die Arbeitsplätze jener Leute, die in Pension gehen, nachbesetzt werden. Das würde die momentan extrem schlechten Arbeitsmarktchancen für die Jungen verbessern. Auf der anderen Seite ist die Erwerbsbeteiligung der BabyboomGeneration hoch, da auch die Frauen in der Bildung stark aufgeholt haben. Dadurch wird die Zahl der Pensionen deutlich steigen. Allerdings werden auch viele pensionsdämpfende Maßnahmen wirken. Leider beobachten wir im Moment eine Prekarisierung sowohl der Beschäftigungsformen als auch der Einkommen.

Gerade Junge befinden sich häufig in Arbeitsverhältnissen, in denen sie keine Pensionszeiten ansparen. Was heißt das für die Altersvorsorge?

Die Arbeitsmarktsituation hat sich geändert. Selbst mit Uni- und Fachhochschulabschlüssen ist der Berufseinstieg schwierig geworden. Ich würde dennoch allen empfehlen die langfristigen Auswirkungen der beruflichen Situation im Auge zu behalten: In Österreich gibt es die Möglichkeit der freiwilligen Kranken- und Pensionsversicherung für geringfügige Beschäftigte. Der monatliche Beitrag beträgt 55,79 Euro bei einer Geringfügigkeitsgrenze in der Höhe von 395,31 Euro.

Gibt es überhaupt Alternativen zum österreichischen Pensionssystem?

Wir haben ein umlagefinanziertes Pensionssystem: Meine Pensionsbeiträge dienen sofort als Pensionsleistungen an Pensionist_innen. Durch meine Beitragsleistung erwerbe ich einen Anspruch auf Pensionsleistung, wenn ich pensioniert bin. Eine archaische Form der Alterssicherung wäre eine innerfamiliäre Versorgung. Die eigene Alterssicherung wäre damit von der Zahl der Kinder und ihrem Wohlwollen bestimmt. Eine dritte Möglichkeit ist eine individualisierte Form der Ersparnisbildung fürs Alter. Ein Umstieg wäre mit großen sozialen und ökonomischen Verwerfungen verbunden.

Also Privatpensionen?

Ja. Aber auch im Fall individueller Altersvorsorge über das Ansparen von Kapitalbeständen bin ich nicht unabhängig von der Nachfolgegeneration. Ich brauche sie, um meinen Kapitalstock in die im Alter benötigten Güter und Dienstleistungen umzuwandeln.

Welche Risiken birgt eine Pension über Kapitaldeckung?

Im Kapitaldeckungsverfahren bin ich auf mich alleine gestellt und trage alle Risiken selbst: genügend für das Alter anzusparen, die Wertentwicklung der Ersparnisse, möglicherweise arbeitsunfähig zu werden, etc. Habe ich kein Einkommen und daher keine Beitragsleistung, vergrößert sich auch mein Kapitalstock nicht. Dieses Risiko habe ich im Umlagesystem zwar auch, hier werden aber gesellschaftlich relevante Tatbestände wie Präsenz-/Zivildienst, Zeiten der Kindererziehung, Krankheit etc. von der Versicherungsgemeinschaft solidarisch mitfinanziert. Beim Kapitaldeckungsverfahren habe ich neben der Eigenverantwortung, die Beiträge zu leisten, auch das Kapitalmarktrisiko zu tragen.

Wie sieht der Generationenvertrag in anderen Ländern aus?

So wie der Sozialstaat insgesamt ganz unterschiedliche Ziele hat, hat er diese auch in der Alterssicherung. In Österreich gilt das Prinzip der sogenannten „Lebensstandardsicherung“. Das ist die erste Säule des Pensionssystems. Es gibt Länder (Großbritannien, USA etc.), deren erste Säule die Armutsvermeidung ist. Sie wird dann meist um eine zweite Säule ergänzt, wo das Ziel der Lebensstandardsicherung über Betriebspensionen definiert ist.

Welche Maßnahmen können gesetzt werden, um das österreichische System finanzierbar zu halten?

Jetzt sind verstärkt Maßnahmen im Beschäftigungs- und Einkommenssystem notwendig. Beispielsweise könnten verstärkt finanzielle Anreize für Betriebe geschaffen werden, ältere Arbeitskräfte länger zu beschäftigen. Eine weitere Maßnahme wäre die Senkung der Sozialversicherungsabgaben im unteren Einkommensbereich: Bei Bruttoeinkommen bis zu monatlich 1500 Euro könnten reduzierte Sozialversicherungsbeiträge zu höheren Nettoeinkommen führen und Arbeitskosten für Unternehmer_innen reduzieren. Dazu braucht es jedoch eine Gegenfinanzierung, etwa durch zweckgewidmete Abgaben oder Steuern auf Vermögensbestände.

Es bedarf also keines neuen Vertrages, sondern lediglich Reformen?

Das umlagefinanzierte Alterssicherungssystem wurde immer wieder an neue Gegebenheiten am Arbeitsmarkt, in den Familienstrukturen aber auch an Finanzierungsengpässe angepasst. In Zukunft muss bei Reformen verstärkt darauf geachtet werden, dass die steigende Einkommensungleichheit vom Alterssicherungssystem ausgeglichen und nicht verstärkt wird.

 

Christina Mayrhuber ist wissenschaftlichen Mitarbeiterin im österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung. Oona Kroisleitner studiert Rechtswissenschaften an der Uni Wien.

Heimweh nach La Paz

  • 20.03.2014, 17:06

Die pensionierte Kinderärztin Miriam Rothbacher (*1935, geb. Krakauer) musste wegen des nationalsozialistischen Antisemitismus mit ihrer Familie 1939 Deutschland verlassen. Bolivien gewährte der Familie damals Zuflucht. Im Interview erzählt sie von ihrem Leben und ihrem Hilfsprojekt Pro Niño Boliviano.

Die pensionierte Kinderärztin Miriam Rothbacher (*1935, geb. Krakauer) musste wegen des nationalsozialistischen Antisemitismus mit ihrer Familie 1939 Deutschland verlassen. Bolivien gewährte der Familie damals Zuflucht. Im Interview erzählt sie von ihrem Leben und ihrem Hilfsprojekt Pro Niño Boliviano.

progress: Wie sind Sie mit Ihrer Familie nach Bolivien gekommen?

Miriam Rothbacher: Wir sind sehr spät im Jahr 1939 ausgewandert und hatten das Problem, dass die meisten Zufluchtsländer ihre Grenzen für die jüdischen Flüchtlinge bereits geschlossen hatten. Sogar eine Flucht in die großen lateinamerikanischen Länder Argentinien und Brasilien war nicht mehr möglich. In Bolivien hatte mein Vater eine entfernte Cousine, deren Mann als Ingenieur in den Bergminen gearbeitet hat. Mit ihr hat mein Vater Kontakt aufgenommen und sie um Hilfe gebeten. Mein Vater war Lehrer und Studienrat und meine Cousine hat für meinen Vater ein Visum über den Rektor der Methodistischen Schule in La Paz besorgt.

Gab es einen politischen Hintergrund für die Aufnahme von jüdischen Flüchtlingen in Bolivien?

Bolivien hatte damals den Krieg gegen Paraguay hinter sich und der damalige General Germán Busch Becerra hatte die Juden ins Land geholt, um das Land aufzubauen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen dann rechte Diktatoren an die Macht, die geflohenen Nazis Zuflucht gewährten.

Viele jüdische Flüchtlinge hatten große Probleme, im Zufluchtsland ihrem Beruf nachzugehen. Wie war das in Ihrer Familie?

Mein Vater hatte das Glück, schon in Deutschland Studienrat gewesen zu sein und Sprachen unterrichtet zu haben. Er konnte auch Spanisch und hat eine Anstellung als Lehrer an der amerikanischen Schule von La Paz bekommen. Meine Mutter hatte in Deutschland Schwedische Massage gelernt und als Masseurin gearbeitet. Sie hat sehr gut verdient, da die alten eingesessenen Deutschen von La Paz verrückt nach ihrer Massage waren und eine Fachkraft in diesem Bereich rar war.

Haben Sie in Bolivien Antisemitismus von den ansässigen Deutschen erfahren?

In Bolivien lebten viele Deutsche, die vor oder unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg ins Land gekommen sind. Es gibt heute noch eine deutsche Wurstfabrik in La Paz und in den tropischen Gegenden besaßen die Deutschen große Ländereien und Farmen. Die meisten von ihnen hatten nichts gegen Juden und haben den Nationalsozialismus in Deutschland auch nicht erlebt. Es hat jedoch eine deutsche Schule in La Paz gegeben, in der ein Hitlerbild hing und die Jüdinnen und Juden nicht besuchen durften. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs hatte diese Schule nicht mehr viele Lehrer, da diese meist aus Deutschland kamen und dort in den Krieg gezogen waren. Da überlegte die Schulverwaltung der deutschen Schule, meinen Vater – den Herrn Krakauer – als Lehrer an die Schule zu holen. Der Elternverein sprach sich jedoch dagegen aus, da mein Vater ein „J“ (Anm.: für Jude) im Pass hatte.

Hatten Sie als Kind Kontakt mit den Kindern der deutschstämmigen Bevölkerung? Ich bin zwölf Jahre in die amerikanische Schule gegangen und hatte mit den deutschen Kindern keinen Kontakt. Mit meinen SchulkollegInnen aus der Maturaklasse der amerikanischen Schule treffe ich mich aber immer noch.

Sind Sie einem der geflohenen Nazis einmal begegnet?

Nicht wissentlich. Aber ich kann folgende Anekdote erzählen: Als Kind habe ich mit meiner Mutter in den Winterferien das Hotel Hamburgo in der Ortschaft Chulumani in den Tropen besucht. In das Hotel sind viele EmigrantInnen auf Urlaub gefahren, weil die Besitzerin eine alte Hamburgerin war und europäisches Essen gekocht hat. Nach 1945 haben in dem Ort auch der „Schlächter von Lyon“ Klaus Barbie und andere Nazigrößen gelebt. Bei einer meiner späteren Bolivienreisen wollte ich meinem Mann das Hotel zeigen. Ich habe es jedoch nicht auf Anhieb gefunden und als wir bei einem Haus vorbeikamen, hat mich ein Mann gefragt, was ich suche. Er hat mir dann gesagt, dass von dem Hotel nur noch das Schwimmbad existieren würde. Und er habe erzählt, dass das der alten Nazifrau gehört hat, die damals den geflohenen Naziverbrechern Teller und Bestecke mit Hakenkreuz-Emblem serviert habe. Ich hab mir damals gedacht: Um Gottes willen! Meine Mutter würde sich im Grab umdrehen, wenn sie das wüsste!

Haben Sie damals Vorurteile seitens der bolivianischen Bevölkerung gegenüber Ihnen als Europäerin gespürt?

Ich habe keinen Antisemitismus durch die bolivianische Bevölkerung erfahren, außer manchmal von der katholischen Kirche, wenn der Pfarrer von der Kanzel gepredigt hat, dass die Juden Jesus Christus getötet hätten. Der Sozialmediziner Ludwig Popper war auch in Bolivien im Exil und hat das Buch „Bolivien für Gringos“ geschrieben. Auch er berichtet, dass er dort niemals Antisemitismus gespürt habe.

Was verbindet Sie bis heute mit Bolivien?

Ich wollte mein Leben lang wieder zurück nach Bolivien. Aber es hat sich dann ergeben, dass ich in Österreich geblieben bin. Dennoch ist Bolivien mein Land und meine Heimat. Ich war sehr lange wegen meiner drei Kinder und auch aus finanziellen Gründen nicht in Bolivien. Erst 1981 – als meine Kinder alt genug waren, um dieses Land zu verstehen – sind wir zusammen mit zwei meiner Freundinnen nach Bolivien gefahren. Damals war ich sehr aufgeregt. Viele meiner Freunde hier warnten mich davor, dass mich nach so langer Zeit niemand mehr in Bolivien kennen würde. Aber als ich nach La Paz gekommen bin, war es so, wie wenn ich niemals weggewesen wäre. Meine bolivianischen Freunde haben mich gleich erkannt und mich zu ihnen und ihrer Familie zum Essen eingeladen. Und obwohl damals die Situation wegen der Militärdiktatur eher trist war, hatte ich das Gefühl hier zu Hause zu sein. Als ich dann wieder nach Österreich zurückgekehrt bin, hatte ich wirklich großes Heimweh. Da ist es mir so gegangen wie 1955, als ich als junges Mädchen von Bolivien nach Heidelberg zum Studieren ging. Wenn ich hier keine Familie hätte, würde ich trotz Armut und sozialer Ungleichheit in Bolivien leben wollen.

Welche Erfahrungen haben Sie in Deutschland während Ihres Studiums gemacht?

Ich bin 1955 nach Deutschland gefahren, um in Heidelberg Medizin zu studieren. Ich wäre natürlich viel lieber in die USA zum Studium gegangen als nach Deutschland. Aber mein Vater hatte eine Pension bekommen, von der ich in Deutschland studieren konnte. Ich hatte damals sehr großes Heimweh nach Bolivien und habe meine Eltern sehr vermisst. Hinzu kam, dass die Deutschen sich als die einzigen Opfer des Zweiten Weltkriegs betrachtet haben. Die ganze Zeit über habe ich mir als Studentin anhören müssen, wie schlimm die Bombenangriffe waren und wie arm die Deutschen nicht gewesen wären. In Deutschland habe ich als Studentin zur Untermiete gewohnt und die Vermieterin hat mir gleich erzählt, dass ihr Bruder einem Juden in Karlsruhe ein Haus abgekauft habe und dass dieser es wieder zurückhaben wolle. An der Uni in Heidelberg haben auch die Burschenschaften eine zentrale Rolle gespielt. Ich selbst bin auf der Uni immer mit „Herr Miriam“ angesprochen worden, weil der Name überhaupt nicht bekannt war. Er war von den Nazis ausradiert worden. Und natürlich hat damals jeder Deutsche behauptet, von den Verbrechen an den Juden nichts gewusst zu haben. Ich hatte damals kaum Kontakt mit deutschen Studierenden. Meine Studienzeit in Deutschland war keine schöne Zeit. Auch später habe ich keine guten Erfahrungen mit Deutschland gemacht. In Schöneiche bei Berlin hatten meine Großeltern und mein Großonkel zwei Grundstücke. Das eine Grundstück von meinem Großonkel wurde mir als Alleinerbin geschenkt. Ich hätte aber für dieses Grundstück sehr viel Schenkungssteuer zahlen müssen und musste es veräußern. Und das, obwohl man meiner Familie das Grundstück weggenommen hatte.

Wie sind Sie nach Österreich gekommen?

Ich habe 1961 eine Freundin nach Wien begleitet, die sich im St. Anna Kinderspital vorgestellt hat. Der damalige Primar hat mich gesehen und mich gefragt, ob ich mich auch vorstellen möchte. Da habe ich mir gedacht, dass ich doch auch ein Jahr in Wien bleiben könnte. Während dieser Zeit habe ich aber meinen Mann kennengelernt und bin in Wien geblieben. Hier war vieles lustiger als in Deutschland, die ÖsterreicherInnen haben eine leichtere Art zu leben als die Deutschen. Ich finde, dass Österreich Bolivien ähnlicher ist als Deutschland. Ich war und bin gerne in Wien.

Wie ist Ihr Projekt Pro Niño Boliviano entstanden?

Als ich in Pension war, hat meine jüngere Tochter mich daran erinnert, dass ich geplant hatte, für längere Zeit nach Bolivien zu gehen. Sie wollte selbst nach Bolivien reisen, um zu sehen, wo ich aufgewachsen bin. 1996 sind wir dann gemeinsam mit ihrem damals eineinhalb-jährigen Sohn für längere Zeit nach Bolivien gereist. Damals ist mir die soziale Ungleichheit aufgefallen, doch ich hatte nicht die Absicht ein Projekt zu leiten. Daher habe ich nur ein bisschen in der Caritas vor Ort geholfen und mir Schulen angeschaut. Dabei habe ich dann beschlossen, zurück in Österreich Schulmaterial für die bolivianischen SchülerInnen zu sammeln. Doch die Sammelaktion hat eine Eigendynamik bekommen und mit der Zeit haben sich einzelne Projekte entwickelt.

Welche Projekte haben Sie seither verwirklicht?

Zunächst habe ich eine staatliche Schule in einer sehr abgelegenen Gegend von El Alto unterstützt. El Alto ist eine Satellitenstadt in der Nähe von La Paz, von der man sagt, dass sie die ärmste Stadt Lateinamerikas sei. In dieser Schule gab es nur zwei nackte Räume ohne Schulmöbel für 240 Kinder. Da haben wir damit begonnen Schulklassen zu bauen und Tische und Sessel für die Kinder zu organisieren. Wir haben uns bei diesem Projekt immer nach den Wünschen der Kinder und LehrerInnen gerichtet. Mittlerweile ist aus dieser Schule eine Maturaschule geworden, in der viele Klassen maturieren konnten. Nach diesem Projekt ist jemand gekommen und hat mich gefragt, ob ich nicht auch eine andere Schule unterstützen wolle. Das haben wir dann getan, indem wir die Kinder mit Schulmaterial versorgt haben. Außerdem haben wir dort eine mobile Bücherei ins Leben gerufen. Danach habe ich bei einer meiner Reisen den Frauen gesagt, dass sie Handarbeiten anfertigen könnten und ich diese in Österreich verkaufen könnte. Heute machen wir fünfbis sechsmal im Jahr Verkaufsstände mit den Handarbeiten der Frauen. Mittlerweile können 20 Frauen von unserem Projekt leben. Und wir haben auch ein Tuberkuloseprojekt. Die Abwicklung der Projekte ist leider nicht einfach, da Bolivien für die österreichische Entwicklungspolitik kein Schwerpunktland ist.

 

Der Verein Pro Niño Boliviano sucht laufend ehrenamtliche MitarbeiterInnen: http://www.proninoboliviano.org/ Kontakt: office@proninoboliviano.net

Das Interview führte Claudia Aurednik.

 

Reichhaltigkeit ist etwas Schönes

  • 13.03.2014, 19:08

 

Das Wiener Elektropop-Duo Konea Ra weiß, wie man das Publikum überzeugt: mit verspieltem Sound und opulenter Ästhetik.

Wer Konea Ra das erste Mal hört, mag vielleicht überrascht sein, dass es sich hier um ein Popduo aus Österreich handelt. Das liegt wohl an dem Vorurteil, dass österreichischer Pop immer etwas verspätet und verstaubt sei. Oder daran, dass man ihren Sound eher mit düster-glamourösen skandinavischen Klängen à la Fever Ray in Verbindung bringt. Eines steht jedenfalls fest: Konea Ra machen Musik am Puls der Zeit. Das merkt man nicht nur an ihren vielfältigen musikalischen Einflüssen, die von Neo Soul bis Hip Hop reichen, sondern auch an der starken visuellen Komponente, die sie pflegen.

progress: 2012 habt ihr euer Debütalbum „Pray for Sun“ herausgebracht. Ihr habt aber beide schon vor Konea Ra Musik gemacht. Wie kam es zu eurer Kollaboration?

Stephanie Zamanga: Wir haben uns bei einer ReleaseParty von Karl Möstls Label Defusion Records kennen gelernt, da sind wir beide aufgetreten. Ich als Sängerin bei Señor Torpedo und Matthias als Mangara. Matthias hat sich eineinhalb Jahre danach bei mir gemeldet und gefragt, ob wir einmal gemeinsam Musik machen wollen.

Matthias Cermak: Genau. Nach meinem Soloalbum wollte ich etwas ganz Neues machen und war auf der Suche nach Leuten, mit denen ich gemeinsam Musik machen kann. Ich habe viele verschiedene MusikerInnen ins Studio eingeladen und Stephi ist gleich mit super Ideen gekommen. Daraus entstand dann Konea Ra.

Ihr wart dann 2012 gleich als Duo auf Tour in Mexiko. Wie kam es dazu, dass ihr so schnell nach der Bandgründung gleich so weit weg aufgetreten seid?

Stephanie: Wir hatten soeben unser Album released und damit die Aufmerksamkeit von Flo Launisch geweckt, er ist einer der Visual Artists von Luma.Launisch. Matthias: Flo ist auch Teil des sound:frameFestivals und die haben Vienna Visuals kreiert, ein Projekt, in dem es darum geht, in verschiedene Länder zu reisen und Wien zu präsentieren – da war normalerweise immer ein DJ dabei. Für Mexiko (Festival In- ternacional Cervantino) war jedoch eine Band gefragt. Flo hat uns dann mitgenommen. Aus einem einzelnen Gig ist eine ganze Tour geworden, das war sehr cool.

Euer Sound hat eine düstere, melancholische und gleichzeitig eine sehr kraftvolle, glamouröse Seite. Musikalisch seid ihr schwer einzuordnen. Ihr wurdet mal mit The Knife verglichen. Passt der Vergleich für euch?

Stephanie: Ich sehe das als Kompliment.

Matthias: Die sind unglaublich cool, aber ich finde sie klingen gar nicht wie wir. Inzwischen ist das ja Kunstmusik, so nervöser Elektrosound. Vielleicht klingen wir eher wie Fever Ray (Anm. der Red.: Soloprojekt der Sängerin von The Knife).

Ihr legt sehr viel Wert auf eine visuelle Ästhetik – kann man nicht auch eure Musik als Kunstmusik bezeichnen?

Matthias: Nein, wir haben ja noch immer einen starken Song-Bezug, es ist noch immer irgendwie Popmusik.

Wieso ist die visuelle Komponente eurer Musik wichtig?

Matthias: Ich denke, wenn man so viel Liebe in die Musik steckt und dann mit den gleichen Kleidern, die man während der Arbeit anhatte, auf die Bühne geht, passt das nicht zusammen. In der Musik steckt viel Arbeit –  die Leute sollen das auch bei den Auftritten spüren und sehen können.

Im Jänner habt ihr die 2-Track 7'' „Switching Lanes“ released. Die Platte habt ihr bei Duzzdownsan veröffentlicht, einem Independant-Label, das man eher mit Hip Hop als mit Elektropop in Verbindung bringt. Und dann gibt’s da noch die Zusammenarbeit mit DJ Phekt. Wie kam es dazu? Und was verbindet euch mit Rap?

Stephanie: Die Einflüsse von Hip Hop waren für uns immer gegeben. Ich denke, sie fließen auch sehr stark in unsere Musik ein. Wir versuchen nicht uns von Rap fernzuhalten. Phekt wurde damals auch auf die MexikoTour eingeladen, da haben wir dann gemeinsam den Song „Oh Vienna“ produziert (ein Remake des UltravoxKlassikers) und danach die Single „Boy“. Bei beiden Songs hat er mitgewirkt und die Cuts gemacht. So haben wir ihn kennengelernt und mittlerweile sind wir ein Dreamteam, es harmoniert einfach zwischen uns.

Matthias: Die Frage ist hier auch, was Rap überhaupt sein soll. Wenn du damit die Musik meinst, dann sind wir sehr nahe dran. Ich habe früher viel Trip Hop und Hip Hop gehört und Stephi hat einen starken Soul-Bezug. Bei uns ist es auch so, dass uns unterschiedliche Genres aus unterschiedlichen Zeiten beeinflussen. Heute ist es ja nicht mehr so, dass man nur einen Sound hört. Früher hat einer nur West Coast oder Public Enemy gehört, heute hören die Leute gleichzeitig Indie und Electronic. Stephi weiß immer Bescheid, was gerade neu und cool ist und daran orientieren wir uns auch. Sie legt ja nebenbei auch auf. Lustigerweise ist es bei uns nicht so, dass der Produzent auflegt – ich habe da keine Ahnung (lacht).

An welchem Sound orientiert ihr euch denn?

Stephanie: Meine ursprünglichen Einflüsse sind Soul und Neo Soul zum Beispiel Erykah Badu, Mary J. Blige aber auch Sade. Jetzt sind es eben die, die Soul und elektronische Musik vereinen, so wie etwa James Blake, Jessy Lanza oder auch Little Dragon.

Und wer inspiriert dich beim Produzieren?

Matthias: Zum Beispiel Shlohmo, Flying Lotus oder Emika – die ist auch ganz wichtig für uns. Bei ihr ist es einfach toll, dass sie den Mut hat schöne, glatte Songs zu schreiben, dabei aber auch total deep ist. Reichhaltigkeit in der Musik ist etwas Schönes. Es ist gut, wenn man nicht nur in eine Richtung geht, sondern auch nach rechts und links schaut.

Was sind eure weiteren Pläne?

Stephanie: Zur Zeit arbeiten wir im Studio an der Fertigstellung unseres zweiten Albums – im Mai ist die Veröffentlichung geplant. Das nächste Konzert werden wir am 26. März beim sound:frame-Festival spielen. Gemeinsam mit Luma.Launisch und DJ Phekt. Da freuen wir uns schon riesig darauf!

 

Das Interview führte Simone Grössing.

Ein ausgeprägter Mangel an Perfektionismus

  • 13.03.2014, 18:17

Judith Holofernes ist ab April mit ihrem neuen Soloalbum „Ein leichtes Schwert“ auf Tour. Mit progress sprach sie über ihren musikalischen Neubeginn nach Wir sind Helden.

Judith Holofernes ist ab April mit ihrem neuen Soloalbum „Ein leichtes Schwert“ auf Tour. Mit progress sprach sie über ihren musikalischen Neubeginn nach Wir sind Helden.

progress: Du bist nun wieder solo als Judith Holo­fernes unterwegs. Sieht so aus, als hättest du die schwere Flotte Wir sind Helden verlassen...

Judith Holofernes: Auf einem kleinem Ruderboot hab ich mich vom Acker gemacht {lacht).

Wie wichtig ist dir dein Kurswechsel als Musikerin?

Ich als Fan finde es toll, wenn sich Leute verändern. Für mich hat das keinen hohen Selbstwert, wenn jemand 30 Jahre lang in derselben Band ist und immer das Gleiche macht. Ich selbst hing sehr an meiner Band Wir sind Helden und wenn das nicht so gewesen wäre, hätten wir sicher fünf Jahre früher aufgehört. Mit zwei Kindern waren die Helden doch ein Himmelfahrtskommando. Ich bin froh, dass ich einen Weg gefunden habe, überhaupt noch Musik machen zu können.

Nach Wir sind Helden wurde es sehr ruhig um deine Person. An „Ein leichtes Schwert" hast du fast heim­lich gearbeitet. Wie kam es zu dem Entschluss die Platte nicht groß anzukündigen?

Ich hatte gar nicht vor eine Platte zu machen. Ich habe nur irgendwann bemerkt, dass ich das eigent­lich gerade tue. Ich habe niemandem davon erzählt, außer meinem Mann Pola und meinen Freunden. Auch auf meinem Blog hab' ich erst sehr spät kleine Zeichen gegeben. Das war ein Segen, weil ich bis zum Schluss ein Gefühl von Freiheit hatte. Niemand wartet auf irgendetwas. Das hatte ich das letzte Mal bevor es Wir sind Helden gab.

Auf deiner letzten Platte hast du in dem Song „Die Träume anderer Leute" noch gesungen: „Wenn die Träume so tief fliegen/weil sie zum Schweben zu viel wiegen". Deine neuen Songs klingen hingegen viel unbeschwerter. Hast du mit dem Soloprojekt die Leichtigkeit wieder gefunden?

„Die Träume anderer Leute" trifft total die damalige Situation. Wenn man die Geschichte von Wir sind Helden erzählt, ist sie wie ein Märchen und das dann loszulassen braucht Mut. Ich finde die Band immer noch toll und trotzdem will ich das nicht mehr machen. Die Energie, die nach Wir sind Helden frei­gesetzt wurde, ist nun in dieser Platte und es freut mich, dass sie wie die letzten drei Jahre meines Lebens klingen.

A propos Mut, viele deiner Texte, zum Beispiel in „Pechmarie" oder „Liebe Teil 2", beschreiben den schwierigen Alltag mit Kind. In „Nichtsnutz" zeigst du, dass man auch mal nichts zu machen braucht. Ist Müßiggang für dich manchmal eine Mutprobe?

Ich finde das Thema Müßiggang total wertvoll, weil ich es wichtig finde, sich mit dem - in Deutschland würde man sagen - preußischen Arbeitsethos ausei­nander zu setzen. Unsere Gesellschaft definiert sich sehr über das, was man macht und schafft.

Einige Lieder haben einen sehr selbstironischen Touch, obwohl sie sich eher um ernstere Themen drehen. Ist Ironie deine Methode, den Dingen ihre einschüchternde Größe zu nehmen?

Das ist gewissermaßen der Blick, den ich auf die Welt habe. Ich nehme viele Sachen mit Humor. Aber nicht, um mich von ihnen zu distanzieren. Ich glaube der Humor kommt einfach mit einem liebevollen Blick. Das können dann schon schwere Themen sein, weil es ist nicht so einfach ein Mensch zu sein. Wir sind alle niedlich und es ist auch etwas Lustiges in der Art, wie wir uns abstrampeln und dem, was dabei alles schiefgeht. Ich als Fan mag es am liebsten, wenn das Ernste und das Humorvolle zusammenkommen. Wenn ich in der ersten Strophe des Liedes lache und in der dritten weine, dann ist das Lied für mich perfekt. Dann ist das Menschsein auf den Punkt gebracht.

In einem Interview hast du erwähnt, dass in deiner neuen Band Frauen dabei sind. Warum ist dir das wichtig?

In erster Linie hat das musikalische Gründe, weil auf der Platte sehr viele Backingvocals drauf sind, die mir wichtig waren. Unsere Vorbilder dafür waren Dolly Parton oder die Backingsängerinnen von Bob Marley. Ich wollte, dass das so klingt. Nach 20 Jahren, in denen man immer seine eigenen Ba­ckingvocals singt und dann auf der Bühne die Jungs „AURELIE!" brüllen hört, habe ich mir überlegt, wie das wohl mit Frauen klingen würde. Auf der anderen Seite finde ich es auch einfach super Frauen in der Band zu haben. Mein Beruf ist sehr männ­lich geprägt. Ich war jahrelang mit 18 Männern im Tourbus unterwegs. Jetzt habe ich ein Frauenma­nagement und die letzten Heldenjahre hatten wir eine technische Leiterin, der testosteronigste Job am Platz. Ein bisschen mehr Frauen in meinem Umfeld, das tut mir schon gut - allein schon, weil mir ab und zu jemand sagt, dass ich mir die Haare kämmen könnte (lacht).

Musikalisch sind die Lieder sehr unterschiedlich. Von Indie Rock und Pop bis Country und Folk lässt sich darin einiges finden.

Und Afrobeat. Und Blues. Im Prinzip bin ich meinen ganz persönlichen Vorlieben nachgegangen: von Alternative-Country über Zydeko bis hin zu afrika­nischer Musik. Jetzt wo ich alleine unterwegs bin, mach ich eben jeden Quatsch, der mir so einfällt. Auf „Ein leichtes Schwert" sind viele verschiede­ne Musikstile zu hören, aber sie haben alle eine gemeinsame Wurzel und das ist ein ausgeprägter Mangel an Perfektionismus.

 

www.judithholofernes.com

Konzert: 9.4. Wien, Arena

Wien ist alles

  • 09.12.2013, 20:50

Thees Uhlmann schreibt gerne Songs über Städte. Diesmal war Wien dran. Im Interview verriet er uns, wie es dazu kam und welchen österreichischen Act er gerne mit Lady Gaga zusammen auf Tour schicken würde.

Thees Uhlmann schreibt gerne Songs über Städte. Diesmal war Wien dran. Im Interview verriet er uns, wie es dazu kam und welchen österreichischen Act er gerne mit Lady Gaga zusammen auf Tour schicken würde.

An einem verregneten Abend haben wir den sympathischen Thees Uhlmann im Rahmen seines Konzerts in Wien getroffen. Wie das mit (Indie-) Rockern oft so ist, begann das Gespräch mit dem ehemaligen Tomte- Sänger beim Thema Bier: „Wieso gibt’s kein Ottakringer im Kühlschrank?“, fragt der leicht überdrehte Thees, der sich gut gelaunt dann aber gleich mit der Alternative in Dosenform anzufreunden weiß. Im von Plakaten vollgekleisterten, lauschigen Backstageraum der Arena, erzählt Thees dann mehr über seine Wienaufenthalte und seinen Bezug zu Österreich.

progress: Hi Thees, dir wurden heute sicher schon ganz viele Fragen über dein Verhältnis zu Wien gestellt. Oder?

Thees Uhlmann: Eigentlich werde ich zu Wien gar nicht so viel gefragt. Ich würde gern öfter über Wien reden, das ist interessanter, als über meine Musik zu reden.

Du bist oft in Wien. Warum eigentlich?

Thees: Zum Beispiel weil ich hier noch als Tourist durch die Gegend gehen kann. Es gibt zwei legendäre Stunden, die ich mit meiner Tochter im Museumsquartier lachend und rutschend auf den Plastikteilen verbracht habe. Ich bin hier auch gerne mit meinen Homies unterwegs, zum Beispiel mit David Schalko. Und natürlich ist es auch die Psyche der Stadt, die schön ist.

Wie ist die denn so?

Thees: Hedonistisch und depressiv.

Auf deinem aktuellen Album gibt es auch einen Song über Wien: „Zerschmettert in Stücke, im Frieden der Nacht“. Er handelt vom Flakturm, wo heute das Haus des Meeres zu finden ist. Wie kam es dazu?

Thees: Ich habe schon über Detroit, New York, Hamburg und Paris geschrieben. Es kommt mir einfach immer wieder in den Sinn, über Städte zu singen. Das hat für mich eine gewisse Tradition. Diesmal war Wien fällig, weil ich oft hier bin und ich in Wien wahnsinnig gute Freunde habe. Es ist eine gute Landschaft, über die man schreibenkann, vor allem weil sich Deutschland und Österreich in vielen Dingen ein bisschen ähnlich sind – und dann doch überhaupt nicht. Das mit den Flaktürmen ist mir eingefallen, weil auf dem Turm beim Haus des Meeres ja „Smashed into pieces in the still of the night“ geschrieben steht und das für mich einfach riesige Kunst ist. Es beschreibt die Macht des Krieges in wenigen Worten. Mir haben mittlerweile sogar einige Wiener geschrieben, dass sie schon tausendmal daran vorbeigegangen sind und ihnen der Spruch nie aufgefallen ist. Das ist eine Form von „Heimatblindheit“, die auch ich von mir und Hamburg kenne. Fremden fallen Dinge auf, an denen man selbst tagtäglich blind vorbeigeht. Das finde ich spannend.

Willst du mit dem Lied auch die österreichische Gesellschaft und ihre Mentalität kritisieren? Eine Zeile darin lautet nämlich: „Ich wäre so gerne ein Schaf, ein Schaf in deiner Herde, doch es gibt keinen Schäfer, der über uns wacht.“

Thees: Ich hab da schon ein bisschen in Geschichtsbüchern herumgekramt, als ich den Song geschrieben habe. Ich bin dabei über einen Satz gestolpert, der lautet: „Wien ist nichts und der Kaiser ist alles.“ Das ist für mich ein total verrückter Satz. Er sagt ja, dass das kollektive Schicksal einer Stadt weniger wert ist als irgendein Mann mit weißer Perücke. Ich dachte mir, dass man das umdrehen muss, denn eine Gesellschaft ist immer mehr wert als ein Einzelschicksal. Aber grundsätzlich wollte ich damit nichts kritisieren. Ich möchte als Künstler gar nicht bewerten. Mir steht das auch nicht zu, finde ich. Wien ist eine geile Stadt, das ist eigentlich die einzige Message des Songs. Als Künstler habe ich kein Interesse an großen politischen Aussagen.

In deinen Songs finden sich immer wieder historische Referenzen und Jahreszahlen, so etwa auch in deiner aktuellen Single „Am 7. März“. Du interessierst dich sehr für Geschichte, oder?

Thees: Ja, schon. Aber es geht mir um etwas anderes. Mich interessiert, wie man auf Ideen und Erfindungen kommt, die die ganze Welt verändern. Das passiert einfach oft beiläufig mitten in der Nacht, wie zum Beispiel bei der Erfindung der Cornflakes.

Also ist das eher ein Stilmittel?

Thees: Kann man so sagen.

Dein aktuelles Album klingt mit dem orchestralen Singer-Songwriter-Soundsehr zeitgemäß. Die Produktion erinnert ein bisschen an Caspers „Hinterland“. Welche Platten haben dich während des Aufnehmens inspiriert?

Thees: Kann ich nicht sagen, denn es spielt für meine Musik keine große Rolle, was ich höre. Wenn ich ein Album aufnehme, lese ich eher und suche nach guten Zitaten. Ich hab nur bei einem Song gesagt, dass ich ein ähnliches Keyboard wie bei einem Marteria-Song haben möchte (lacht und macht das Geräusch nach). Tobias (Anm. d. Red.: Thees' Gitarrist) und ich haben in unserem Leben einfach schon so wahnsinnig viel Musik gehört. Wenn ich Musik schreibe, ist mein Hirn deswegen schon zu voll. Ich muss dafür nicht auch noch die neue Daft Punk hören. Klar, man saugt immer auch auf und klaut Elemente von anderen. Auf meiner Platte wird es etwa immer drei Sachen geben, die ich von Kanye West geklaut habe – ich bin einfach Kanye-Fan. Man hört manchmal etwas und fühlt sich inspiriert, etwas Ähnliches zu schreiben. Ich schätze Kanyes Offenheit und Melancholie sehr.

Auf deinem letzten Album gab es noch zwei Nummern mit Casper. Wieso gab’s diesmal keine Features und bist du derzeit noch in andere Projekte involviert?

Thees: Ich wüsste jetzt gar nicht mit wem und wie und nein – manchmal träume ich davon Sänger einer Punkband zu sein (lacht). Aber dafür bleibt neben meiner Tochter und meinem Solo-Projekt einfach keine Zeit.

Verfolgst du eigentlich die österreichische Musikszene?

Thees: Mein Homie Max Perner bringt jetzt bald eine Garish-Platte raus – da bin ich schon neugierig, was das wird, und zur Zeit finde ich auch Koenig Leopold ziemlich spannend. Wenn Lady Gaga das sehen würde, was die machen, die würde die einfach mitnehmen und sagen: „Guys you’re coming with me on tour.“ Das ist wahnsinnig cool, diese Einstellung, die die haben. So auf „Alter, wir wollen nicht nach Tokyo. Wir wollen auch nicht nach New York. Wir stehen im Wald und singen so, dass es keiner verstehen kann“. Das gefällt mir.

Das Interview führte Simone Grössing.

Foto: Alexander Gotter.

 

Mic statt Aktenkoffer

  • 21.10.2013, 15:31

Enge Jeans, schlichtes blaues Shirt und bedachte Antworten: Der 26-jährige Österreicher Gerard wirkt nicht wie der typische Rapper. Mit seinem neuen Album „Blausicht“ erobert er im Moment die deutschsprachige Rapszene und gibt ihr neue Maßstäbe.

Enge Jeans, schlichtes blaues Shirt und bedachte Antworten: Der 26-jährige Österreicher Gerard wirkt nicht wie der typische Rapper. Mit seinem neuen Album „Blausicht“ erobert er im Moment die deutschsprachige Rapszene und gibt ihr neue Maßstäbe.

progress: Die „Generation Maybe“- Thematik zieht sich wie ein roter Faden durch dein Album „Blausicht“. Folgendes Zitat stammt vom Journalisten Oliver Jeges: „Wir 20- bis 30-Jährigen sind eine Generation ohne Eigenschaften. Gut ausgebildet, aber ohne Plan, ohne Mut, ohne Biss. Weil alles möglich ist, sind alle heillos überfordert.“ Was würdest du ihm entgegnen?

Gerard: Ich tue mir recht schwer, wenn ich als Generationssprecher gesehen werde. Ich sage immer, dass ich von mir, meinem Umfeld und meinen Freunden rede. Da trifft das auf jeden Fall auf einige zu, weil viele Freunde gerade mit dem Studium fertig werden. Die überlegen jetzt, ob sie vielleicht noch etwas studieren oder einen Master im Ausland machen sollen. Für mich ist Studium ein Graubereich: Du bist zwar kein Schüler mehr, musst aber gleichzeitig noch keine Steuern oder Sozialversicherung zahlen.

Du hast einmal gesagt, du probierst das mit dem professionellen Musikmachen auch stellvertretend für die Leute aus, die sich noch nicht trauen, das zu tun, was sie wirklich wollen. Wann wusstest du, was du wirklich willst?

Eigentlich ab dem Moment, wo es keine andere Möglichkeit mehr gegeben hat. Ich habe nach meinem Jus-Studium noch das Gerichtsjahr gemacht und da einfach gemerkt, was ein echter Job an Energie und Zeit frisst. Wenn du jeden Tag um acht dort sein musst und um halb vier heimkommst, hast du nicht mehr den Nerv, dass du noch kreativ tätig bist. Ich wusste einfach, entweder mache ich eine normale Arbeit oder eben Musik. Ich wollte ja schon immer Musik machen, aber bisher war nie in Aussicht, dass man davon leben kann.

Du warst der Tour-Support des Berliner Rappers Prinz Pi. Hat diese Erfahrung deine Entscheidung einfacher gemacht? Zu welchem Zeitpunkt im Studium ist die gefallen?

Die Pi-Tour ist etwa in das letzte dreiviertel Jahr meines Studiums gefallen und war ein halbes Jahr immer an den Wochenenden. Das war dann schon Hardcore: Ich bin teilweise erst um sieben Uhr mit dem Nachtzug aus Berlin gekommen und hatte um neun am Morgen eine Prüfung. In der Prüfungszeit blieben nur drei Tage Zeit zum Lernen, wo du sonst sechs oder sieben hast. Körperlich und psychisch hätte ich das nicht länger geschafft. Aber ich habe auf der Tour jedenfalls gemerkt, dass die auch nur mit Wasser kochen, das ermutigt einen. Wenn es der schafft, warum sollte ich das nicht schaffen?

Eine juristische Laufbahn kommt für dich nicht in Betracht?

Beim Gerichtsjahr habe ich einfach gemerkt, dass ich da nicht mit ganzem Elan dabei war. Ich habe viele Schlampigkeitsfehler gemacht. Die Richterin dachte, dass ich völlig verloren bin. Die wusste, dass ich eigentlich etwas ganz anderes verfolge. Wenn ich eine juristische Laufbahn eingeschlagen hätte, wäre ich untergegangen. Aber ich hoffe, dass ich das auch nie muss.

Hat dir dein Studium dann etwas gebracht?

Auf jeden Fall. Es war auch nicht so, dass es mich überhaupt nicht interessiert hat. Sonst könnte man das nicht sechs Jahre lang durchziehen. Und ich habe dadurch Sitzfleisch und Disziplin erlangt. Ich habe durch das Studium gelernt, strukturiert zu sein, und viel über Zeitmanagement erfahren. Ich bin kein „Künstler-Künstler“, der Termine verpennt. Und auch Selbstbewusstsein habe ich bekommen. Als ich bei meiner ersten Jus-Prüfung die riesige Anzahl der Bücher gesehen habe, habe ich mich gefragt: Wie soll das denn gehen? Aber dann sitzt man einfach längere Zeit an etwas und auf einmal hast du den Dreh heraus.

Deine Texte wirken auf den ersten Blick melancholisch, doch auf den zweiten erkennt man das Optimistische daran. Zudem formulierst du Zeilen oft so, dass man sowohl ein „ich“, als auch ein „wir“ einfügen könnte. Das macht sie für die HörerInnen interessant. Machst du das bewusst?

Ich versuche Tracks und Konzepte so zu gestalten, dass man etwas hineininterpretieren kann. Auch wenn ich selbst Musik höre, gefällt mir das bei Songs immer sehr gut. Auf „Verschwommen“ gibt es so ein Element, wo ich den Namen Nora nenne, ein anderer aber stattdessen vielleicht Lisa im Kopf hört. Bezüglich des Zweifels: Der Song „Standby“ ist etwa nicht auf dem Album, weil er noch viel zu orientierungslos war. Ich finde, dass das Album positiv ist. Sogar auf dem Track „Nichts“, wo es um den Tod einer Freundin geht, gibt es ein optimistisches Element, wenn ich rappe: „Das Drama von damals ist heute nicht der Rede wert.“ Also blöd gesagt: Wenn du noch gewartet hättest, würdest du heute darüber lachen.

Hinter dem Track „Wie neu“ steckt eine Kritik an der österreichischen Freunderlwirtschaft. Gegen wen richtet sich der Song und bist du eigentlich ein politischer Mensch?

Politisch … – es geht so. Ich habe mir schon immer die Wahlkonfrontationen angesehen und überlege mir genau, wen ich wähle. Ich lese mir auch Wahlprogramme durch. Aber der Track bezieht sich nicht nur auf Parteipolitik. Er richtet sich auch gegen veraltete Strukturen und das nicht nur in Österreich. Ich habe einfach das Gefühl, dass ganz allgemein viele alte Dogmen existieren. Das kann man auch auf die Major Labels ummünzen. Wenn man einen Jungen mit Visionen ranlassen und ein bisschen riskieren würde, würde vieles besser laufen.

Auf „Manchmal“ und „Lissabon“ rappst du über sehr persönliche Dinge wie etwa das Thema Beziehung. Gibt es da eine Grenze für dich, wie viel Persönliches du in einem Track niederschreibst?

Eigentlich nicht. Im Endeffekt halte ich sie sehr allgemein. Ich werde oft gefragt, ob ich mich nicht angreifbar mache. Aber selbst wenn du darüber rappst, dass dich die Frau verlassen hat, hat das jeder in einem gewissen Alter schon erlebt. Das heißt jetzt nicht, dass du als Mensch schlecht bist (lacht). Auch wenn etwas extrem persönlich wirkt, kannst du als Künstler stets selbst bestimmen, wie viel davon wahr ist.

Versuchst du mit den elektronischen Einflüssen auf deiner Platte, Deutschrap auch für die breitere Masse zu öffnen?

Ja, das war eigentlich immer so geplant, wobei das jetzt so strategisch klingt. Mir ist das völlig egal, ob man unsere Musik noch als Hip Hop sieht oder nicht. Ich höre auch oft, dass es Indie oder Pop sei. Ich persönlich finde, dass es voll Hip Hop ist, sonst würde es wohl auch keine Referenzen auf Leute wie Hudson Mohawke geben. Der kommt ja auch ursprünglich aus dem Rap.

 

Die Autoren studieren Rechtswissenschaften und Sozioökonomie in Wien.

Arbeitsverweigerung als politisches Kapital

  • 15.05.2015, 21:23

Mit ihrer Single „Turn“ haben es Chili and the Whalekillers letztes Jahr auf Platz drei der isländischen Charts geschafft. Jetzt erhofft sich die isländisch-österreichische Band Wettbewerbsvorteile in Japan und Norwegen. Mit progress sprachen sie über ihr neues Album, Humor und Arbeitsverweigerung.

Mit ihrer Single „Turn“ haben es Chili and the Whalekillers letztes Jahr auf Platz drei der isländischen Charts geschafft. Jetzt erhofft sich die isländisch-österreichische Band Wettbewerbsvorteile in Japan und Norwegen. Mit progress sprachen sie über ihr neues Album, Humor und Arbeitsverweigerung.

progress: Ihr habt Alben über Weihnachten, den Zirkus und die Finanzkrise gemacht. Ist euer neues Album „a dot in the sky“ auch ein Konzeptalbum?

Chili Tomasson: Bei dem Projekt gibt es kein übergeordnetes Thema. Wir haben kurz überlegt, ob wir dem Ganzen für uns selber ein Thema geben sollen und haben über einen Piloten mit Superman-Umhang nachgedacht, der in einer alten Maschine über Erdbeerfelder fliegt. Aber im Prinzip haben sich einfach Songs angesammelt und wir haben sie zusammengestellt. Das Album deckt musikalisch sehr viele Bandbreiten ab. Wir haben zum Beispiel Akkordwechsel benutzt, die man eigentlich nicht verwenden darf, die aber trotzdem funktionieren – wie zum Beispiel bei „Industry“.

Michael Szedenik: Wir haben versucht, nicht immer nur mit Klischees zu arbeiten. Es ist toll, wenn etwas eine catchy Melodie hat und bei genauem Hinhören auch eine tolle Struktur aufweist. Das macht gute Popmusik aus, wenn sie inhaltlich und musikalisch anspruchsvoll ist und trotzdem greifbar bleibt.

Foto: Alexander Gotter

In euren Liedern verbindet ihr oft ernste Themen mit tragisch-komischen Erzählungen. Welche Rolle spielen Humor und Ironie in euren Texten?

Michael: Wenn man einfach nur kritische Songs schreibt, wirkt es oft wie ein Schuldzuweisen – so auf die Art: „Das ist falsch, das ist falsch und sowieso ist alles scheiße“. Gewisse Zustände muss man einfach mit Humor nehmen. Dann wird es als Musiker lustiger und ich glaube, die Leute merken es sich auch besser. Ich schaue mir zum Beispiel sehr gerne politisches Kabarett an.

Chili: Hagen Rether und so.

Michael: Genau. Das Programm bei manchen Kabarettisten ist sehr informativ und bleibt gut im Kopf.

Chili: Ich denke Humor ist auch insofern wichtig, weil man es sonst selbst irgendwann nicht mehr packt. Wenn man einen Song im Studio probt und ihn hunderttausendmal hört, ist es besser, sich damit nicht in eine Depression zu stürzen, sondern Spaß dabei zu haben. Aber es ist ein schwieriger Grat und Humor funktioniert für mich persönlich ab einem gewissen Punkt auch nicht mehr, wenn das Thema zu ernst wird.

Was wäre denn ein zu ernstes Thema?

Chili: Ich finde es schwierig, aus einer Außenposition über Dinge zu schreiben. Ich stehe momentan nicht in Griechenland und ich ertrinke nicht im Mittelmeer. Ich würde mir zum Beispiel über die Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer keinen Humor anmaßen, da finde ich ihn fehl am Platz.

In eurem Song „Industry“ lautet eine Zeile „refusing to work is capital“. Was sind die Hintergründe zu dem Lied?

Chili: Ich bin auf das Thema Arbeitsverweigerung gestoßen und habe mir lange sehr schwer getan damit, weil ich – das ist jetzt sehr persönlich – von einer kommunistischen Seite her gekommen bin und da geht das nicht, Arbeitsverweigerung. Dann habe ich langsam begonnen, anarchistische Theorien zu verstehen, und zwar so richtig zu verstehen – im Bauch zu spüren, worum es geht. Ich habe dann nach Wörtern gesucht, um dieses Riesenthema in kompakte Lyrik zu fassen. Das Lied versucht, Arbeitsverweigerung als politisches Kapital zu behandeln. Im Prinzip ist es kläglich gescheitert, weil das Thema viel größer ist als das, aber es war kein schlechter Versuch.

Michael: Ich weiß nicht, ob man es so sehen kann. Es bleibt so oder so ein Popsong.

Chili: Das Lied selbst beginnt mit einer Szene in einer leeren Nähfabrik. Alle Menschen, die dort gearbeitet haben, haben die Fabrik verlassen, weil sie Besseres zu tun haben. Das Wichtige ist der Refrain, der musikalisch das behandelt, wo die Menschen sind, wenn sie nicht mehr arbeiten – und das ist unter Umständen ein ganz guter Ort. Die Strophen des Liedes führen immer wieder dorthin, an einen Ort, den ich mir gar nicht anmaße zu beschreiben, weil er für alle anders ist.

Foto: Alexander Gotter

Betrachtet ihr das Musikmachen als eure Arbeit?

Beide: Ja klar.

Spielt Arbeitsverweigerung für euch persönlich eine Rolle?

Michael: Wir mussten das zum Glück noch nie machen.

Chili: Auch deswegen, weil es eine Arbeit ist, die wir irrsinnig gern machen, und uns niemand dazu gezwungen hat, das so zu machen.

Michael: Weil wir selbst bestimmen und unsere Marke selbst vertreten.

Chili: Genau, wir haben das Kapital, zumindest in Gerätschaften. Wir haben zwar kein Geld, aber die Produktionsmittel sind da.

 

Flora Schausberger studiert Critical Studies an der Akademie der bildenden Künste Wien.

www.chiliandthewhalekillers.com

 

 

Seiten