Internet

Die Liebe als Gegenstück zur Rationalisierung

  • 14.02.2014, 20:41

Online-Datingplattformen werben mit dem Versprechen auf Intimität und der Aussicht auf den richtigen Match. Ein Angebot, dass in den vergangenen Jahren zunehmende Beliebtheit erfahren hat. Der Sozialwissenschaftler Kai Dröge von der Universität Frankfurt hat sich im Rahmen eines Forschungsprojekts mit dem Thema Online-Dating beschäftigt. Im Interview mit dem progress erklärt Dröge, woher die Faszination für diese Form der PartnerInnensuche kommt und wie das mit unseren modernen Lebens- und Arbeitsverhältnissen verflochten ist.

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Online-Datingplattformen werben mit dem Versprechen auf Intimität und der Aussicht auf den richtigen Match. Ein Angebot, dass in den vergangenen Jahren zunehmende Beliebtheit erfahren hat. Der Sozialwissenschaftler Kai Dröge von der Universität Frankfurt hat sich im Rahmen eines Forschungsprojekts mit dem Thema Online-Dating beschäftigt. Im Interview mit dem progress erklärt Dröge, woher die Faszination für diese Form der PartnerInnensuche kommt und wie das mit unseren modernen Lebens- und Arbeitsverhältnissen verflochten ist.

progress: Sie haben sich wissenschaftlich mit dem Thema Online-Dating beschäftigt. Warum entscheiden sich so viele Menschen für diese Variante der PartnerInnensuche?

Kai Dröge: Für eine Person, die einsam ist und sich eine Beziehung wünscht, hat das Internet viele Verlockungen: Es bietet eine schier unerschöpfliche Auswahl potentieller Partnerinnen und Partner und die Möglichkeit, hier anonym und unbeobachtet durch FreundInnen und KollegInnen erste intime Bande zu knüpfen. Datingplattformen versprechen darüber hinaus, dass man erst durch sie endlich den ‚perfect match‘ finden kann, weil man auf Basis der Informationen in den Profilen alles herausfiltern kann, was nicht zu den eigenen Vorlieben passt. Außerdem kennt inzwischen fast jede/r jemanden, der oder die im Netz die Liebe gefunden hat.

Allerdings erweisen sich viele der genannten Vorzüge mit der Zeit als Bumerang: Wir sehen in unserer Forschung immer wieder, dass die Anonymität nicht selten zu Unverbindlichkeit führt, dass ein hundertprozentig ‚passendes‘ Gegenüber eher Langeweile als emotionale Erregung hervorruft und dass die gigantische Auswahl schließlich Ermüdung und Abstumpfung erzeugt, die die Bindungsfähigkeit der AkteurInnen grundsätzlich untergraben kann. Wir sind nicht Wenigen begegnet, die schon seit Jahren im Netz vergeblich auf der Suche sind, und bei denen sich inzwischen einiges an Frust angesammelt hat. Trotzdem können sie oft schwer davon lassen, denn von den Versprechungen des Netzes geht auch eine große Faszination aus.

progress: Woher kommt der weit verbreitete Wunsch nach Romantik, der romantischen Liebe?

Dröge: Die romantische Liebe ist in der modernen Gesellschaft zum dominanten Beziehungsideal geworden und hat sich, trotz aller Veränderungen im Bereich von Liebe und Paarbeziehung in den letzten 150 Jahren, bis heute als sehr resistent erwiesen. In der Soziologie der Liebe wird argumentiert, dass dies einen systematischen Grund hat: Gerade weil Rationalisierung und Individualisierung in unserer Gesellschaft immer weiter um sich greifen, wird die Liebe als eine „Gegenwelt“ dazu immer wichtiger. Das romantische Ideal mit seiner Betonung von Irrationalität, wechselseitiger Verschmelzung und zweckfreier Hingabe bietet genau dieses Kontrastprogramm. Aber natürlich wird die Liebe dadurch mit extrem hohen Erwartungen aufgeladen: Sie soll all das kompensieren, woran wir in der modernen Gesellschaft leiden. Bei dieser Überforderung ist es kein Wunder, dass Beziehungen heute oft nicht mehr sehr lange halten.

progress: Viele Online-Plattformen versprechen nicht nur authentische Erfahrungen, sie verlangen von ihren NutzerInnen auch authentisch zu agieren. Was bedeutet Authentizität in diesem Kontext?

Dröge: Authentizität im Sinne von Ehrlichkeit und Offenheit ist für unser modernes romantisches Liebesideal von zentraler Bedeutung. Im Internet wird das noch einmal wichtiger, weil der Körper und die nonverbale Kommunikation als Wirklichkeits- und Authentizitätsgaranten zunächst einmal fehlen.

Allerdings gibt es immer ein gewisses Problem, wenn das Authentizitätsideal auf eine Wettbewerbssituation trifft: Dies gilt in der modernen Arbeitswelt, wo die Subjekte ganz sie selbst und trotzdem optimal angepasst sein sollen. Und dies gilt auch auf Online Dating Plattformen, wo man sich direkt in Konkurrenz zu abertausenden anderen Mitgliedern bewegt. Da ist der Weg zu ein wenig Selbstoptimierung nicht weit – allerdings ohne dass die Leute bewusst lügen würden, das kommt nach unserer Erfahrung eher selten vor. Allerdings: Auch außerhalb des Netzes zeigt man am ersten Abend ja nicht gerade seine schlechtesten Seiten.

progress: Sie weisen darauf hin, dass Emotionsarbeit auf diesen Plattformen eine entscheidende Bedeutung zukommt – sowohl für NutzerInnen als auch auf die BetreiberInnen. Wie ist Emotionsarbeit in diesem Kontext zu verstehen?

Dröge: Es geht hier darum, genauer zu verstehen, wie die digitale Ökonomie der Gegenwart eigentlich funktioniert und wie sich im Internet die Quellen der Wertschöpfung verschieben. Die simple Frage, womit Datingplattformen ihr Geld verdienen, ist gar nicht so leicht zu beantworten. Die Grundfunktionalität dieser Plattformen - ein persönliches Profil, eine Suchfunktion, ein internes Nachrichtesystem - ist vielerorts im Netz auch kostenlos zu haben. Warum sollte man dafür 30 oder 40 Euro im Monat zahlen? In unseren Interviews wurde deutlich: Die Leute entscheiden sich nur dann für eine kostenpflichtige Mitgliedschaft, wenn sie sich davon bestimmte emotionale Erlebnisse und Beziehungen versprechen. Die emotionale Erlebnis- und Beziehungsqualität macht also den eigentlichen ökonomischen Wert einer Plattform aus. Allerdings sind es ja die Nutzerinnen und Nutzer selbst, die diesen Wert auch produzieren: durch eine attraktive Selbstdarstellung, durch die Qualität und Quantität ihrer emotionalen Interaktionen, etc. Sie leisten also gewissermaßen emotionale Arbeit, die einen ökonomischen Wert generiert, und zahlen gleichzeitig dafür, diesen Wert konsumieren zu dürfen - kein schlechtes Geschäftsmodell.

In der Internetforschung spricht man hier von „Prosumption“, also einer Vermischung von Produzenten- und Konsumentenrolle. Auch YouTube produziert ja seine Videos nicht selbst. Die Bedeutung der Emotionen und der emotionalen Arbeit war in diesem Kontext allerdings bisher nicht untersucht, deshalb haben wir uns damit etwas eingehender beschäftigt.

progress: Handelt es sich bei der PartnerInnensuche im Netz nicht einfach um eine Konsequenz davon, wie Beziehung als Institution gemeinhin verstanden wird?

Dröge: Wie schon erläutert, entwirft das romantische Liebesideal ja gerade eine Gegenwelt zur modernen Marktvergesellschaftung. Dass dieses Ideal in unserer Kultur heute immer noch so prominent ist zeigt, dass sich die Menschen eine nicht marktförmige Liebe zumindest wünschen und erhoffen.

Aber natürlich ist unsere Beziehungswelt heute nicht frei von Konkurrenz, von strategischem Kalkül und anderen Elementen einer ökonomischen Rationalität. Online Dating verstärkt dies teilweise noch, indem es eine Art Online-Shopping-Plattform entwirft, wo Personen anhand standardisierter Merkmale vergleichbar gemacht werden und sich somit gewissermaßen Marktpreise bilden lassen. Dennoch: Wenn diese marktförmigen Elemente zu sehr in den Vordergrund traten, so wurde das von unseren InterviewpartnerInnen fast ausnahmslos als Problem gesehen und nicht etwa begrüßt. Von der Liebe aus dem Katalog sind wir also noch weit entfernt. Außerdem bietet das Netz auch ganz andere Erfahrungen: Eine tiefe Emotionalität, wechselseitige Selbstoffenbarung und Intimität beispielsweise, die stark romantische Züge tragen. Dass die mediale Distanz die Gefühle bisweilen intensivieren kann, wissen wir ja schon aus den romantischen Briefromanen des 18. und 19. Jahrhunderts. Deshalb haben wir das Internet auch einmal als „neoromantisches Medium“ bezeichnet.

progress: Es werden immer wieder Studien veröffentlicht, die belegen wollen, dass PartnerInnenschaften, die online gefunden wurden länger halten würden. Wie schätzen Sie diese Studien ein?

Dröge: Diese Studien werden häufig von den Betreiberfirmen selbst in Auftrag gegeben und finanziert. Entsprechend tendenziös fällt dann die Interpretation der Ergebnisse aus. Die mir bekannten Zahlen zeigen aber immerhin, dass Beziehungen, die im Internet begonnen haben, im Durchschnitt nicht schneller auseinandergehen als andere auch. Dies widerspricht dem gängigen Vorurteil, das Netz sei eigentlich nur für One-Night-Stands zu gebrauchen.

progress: Kann Online-Dating generell einen Einfluss darauf haben, wie wir uns Beziehungen vorstellen und sie leben?

Dröge: Online Dating hat sich in den letzten Jahren stark verbreitet. Außerdem werben die Plattformen offensiv damit, dass sich nur mit ihrer Hilfe eine optimale, passgenaue und damit auch letztlich glücklichere Partnerschaft erreichen lässt. Wie ich schon erläutert habe, sind gegenüber diesen Werbeversprechen einige Zweifel angebracht. Aber natürlich wirft die öffentliche Präsenz des Themas bei vielen, die nicht dabei sind, die Frage auf, ob sie nicht etwas verpassen. Es geht hier letztlich um das alte Glückversprechen der modernen Technologie, die unserer Leben einfacher, besser und effizienter machen soll. Aber wie wir wissen, wirkt dieses Glücksversprechen in vielen Bereichen heute nicht mehr so ungebrochen wie noch von 40 oder 50 Jahren. Auch hinsichtlich der Segnungen des Internets für unser Liebesleben gibt es eine Menge Zweifel in unserer Gesellschaft. Welche Wirkkraft dieses Modell letztlich entfalten kann, ist daher heute noch schwer abzusehen.

progress: Bietet Online-Dating nicht aber auch Vorteile etwa  für LGBTQ-Jugendliche in ländlichen Regionen, oder schüchterne Menschen?

Dröge: In vielen Szenen, die vom heteronormativen Standard abweichen, hat das Internet große Veränderungen bewirkt. Einmal, weil sich hier leichter Treffpunkte auch für geographisch verstreut lebende Gleichgesinnte schaffen lassen. Wichtiger aber ist noch, dass die Anonymität des Netzes eine Art geschützten Raum schafft, der Experimente mit der eigenen Geschlechtsidentität und sexuellen Orientierung begünstigt. Schüchtern sollte man im Netz allerdings nicht gerade sein, sonst geht man in der Masse eher unter. Und wer nur versteckt hinter dem Computer zu markigen Sprüchen in der Lage ist, wird so kaum zu einem erfüllten Liebesleben kommen.

 

Zur Person:

Der Sozialwissenschaftler Kai Dröge ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialforschung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt und Dozent an der Hochschule Luzern. „Online Dating. Mediale Kommunikation zwischen romantischer Liebe und ökonomischer Rationalisierung”, war der Titel des Forschungsprojektes, im Rahmen dessen er und sein Kollege Oliver Voirol dem Phänomen Online-Dating beschäftigt haben. Das Projekt war eine Kooperation des Instituts für Sozialforschung der Universität Frankfurt und der Universität von Lusanne in der Schweiz.

 

Das Interview führte Georg Sattelberger. Er studiert Internationale Entwicklung an der Universität Wien.

 

Der Blog zum Forschungsprojekt: http://romanticentrepreneur.net

Hier gehts zum Atikel: Romantik zwischen Suchfiltern
 

Romantik zwischen Suchfiltern

  • 14.02.2014, 19:34

Immer mehr Menschen suchen die Liebe im Internet. Der Alltag auf diesen Plattformen bewegt sich zwischen Rationalität und ersehnter Intimität.

Immer mehr Menschen suchen die Liebe im Internet. Der Alltag auf diesen Plattformen bewegt sich zwischen Rationalität und ersehnter Intimität.

Die Verheißung einer Industrie:„Ist das wofür wir leben, das Größte wovon wir träumen, wirklich so schwer zu finden? Jetzt den passenden Partner finden!“ Mit diesem Spruch wirbt eines der größten und zugleich ältesten Online-Dating-Services im deutschsprachigen Raum: Parship. Ein Slogan und zugleich Sinnbild für eine ganze Branche, die Singles helfen will den „idealen Match“ zu finden. Portale wie Elitepartner, Friends-Scout24 oder OkCupid machen ihren KundInnen Hoffnung auf baldige Zweisamkeit
– und zwar effizient, mit möglichst wenig Aufwand und das bequem von zu Hause oder unterwegs. Können sie diese Versprechen einlösen? Und verändert der Online-Datingmarkt die Art und Weise, wie wir Beziehungen denken, fühlen und leben?

Basierend auf vorgeblich wissenschaftlichen Tests sollen die PartnerInnenvermittlungen im Internet den „perfekten Match“ ermöglichen. Wer sich auf Parship anmeldet, füllt zuerst circa 30 Minuten lang einen Fragebogen über Beziehungsvorstellungen, Selbsteinschätzung und Lebensplanung aus. Ist das eigene Profil dann angelegt, werden einem/r sogleich jene UserInnen gemeldet, deren Antworten den eigenen am nächsten kommen. Ohne einen Mitgliedsbeitrag bezahlt zu haben, der sich bei den größten Anbietern auf stattliche 30- 60 Euro pro Monat beläuft, sind die potentiellen Traumfrauen und -männer aber nur auf verpixelten Bildern zu sehen. Ob kostenpflichtig oder nicht, die meisten Plattformen bieten ihren NutzerInnen Suchfilter an, mittels derer sie die Profile der anderen Online-DaterInnen sortieren können, ganz nach den eigenen Bedürfnissen: nach Alter, sexueller Orientierung, Hobbies oder Monatseinkommen. Damit soll die Suche nach potentiellen PartnerInnen effizienter und einfacher werden.

Oberflächliche Kriterien Erste Erfahrungen mit der gezielten PartnerInnensuche im Netz hat der Kurzfilmregisseur Gregor Schmidinger in seiner Jugend gemacht. Der heute 28-Jährige ist in einer kleinen Gemeinde in Oberösterreich aufgewachsen und hat mit 16 sein erstes Profil auf braveboy.de angelegt. Bis Anfang 2013 war er regelmäßig auf Dating- Seiten unterwegs, zuletzt vor allem auf Gayromeo und der Dating-App Grindr. Schmidinger kennt sich also aus mit der Alltagskultur auf diesen Seiten. „Es funktioniert sehr schemenhaft, man geht sehr systematisch vor und sortiert nach oberflächlichen Kriterien aus. Dabei lässt man sich natürlich nie wirklich auf jemanden ein“, sagt er. Getroffen hat sich Gregor Schmidinger nur selten mit Personen, die er aus dem Netz kannte. Wenn doch, dann war das für ihn meist eine Enttäuschung. „Man hat ein gewisses Bild im Kopf. Es entstehen schnell Vorstellungen und Hoffnungen, wie jemand sein wird. Wenn man die Person dann trifft, unterscheiden sich oft die eigenen Erwartungen von der Realität. Es fehlen im Netz einfach bestimmte Informationen, wie etwa das Haptische, die Gestik, wie jemand spricht.“

Wie NutzerInnen mit dem Versprechen der Dating-Plattformen umgehen, hat der Sozial- und Kulturwissenschafter Kai Dröge von der Universität Frankfurt in den Blick genommen. Allgemein liegt für Dröge der Grund dafür, dass die romantische Liebe zum dominanten Beziehungsideal geworden ist, in der zunehmenden Rationalisierung und Individualisierung. „Natürlich wird die Liebe dadurch mit extrem hohen Erwartungen aufgeladen: Sie soll kompensieren, woran wir in der mo- dernen Gesellschaft leiden“, erklärt er. Zwar sei auch unsere Beziehungswelt abseits des Internets von ökonomischer Rationalität durchzogen, Online-Dating verstärke diese Tendenz aber noch, „indem es eine Art Online-Shopping-Plattform entwirft, wo Personen anhand standardisierter Merkmale vergleichbar gemacht werden und sich somit gewissermaßen Marktpreise bilden lassen“.

Prosumer der Liebe. Daran verdienen die Dating-Plattformen nicht schlecht. 2011 hat die Dating-Industrie im EU-Raum einen Umsatz von 811 Millionen Euro erwirtschaftet. Die BritInnen haben dabei mit 211 Millionen Euro am meisten ausgegeben, dicht gefolgt von den Deutschen mit 203 Millionen. Dabei sind es die NutzerInnen selbst, die das eigentliche Business der Plattformen betreiben. Wer sich auf einer Dating-Plattform registriert, tut dies „in der Erwartung auf emotionale Erlebnisse und Beziehungen“, erklärt Dröge. „Die Nutzerinnen und Nutzer selbst produzieren diesen Wert: durch eine attraktive Selbstdarstellung oder durch die Qualität und Quantität ihrer emotionalen Interaktionen.“ Diese Vermischung von ProduzentInnen- und KonsumentInnenrolle wird in der Internetforschung als „Prosumtion“ bezeichnet. Auch die Anzahl der NutzerInnen ist in den vergangenen Jahren rasant gestiegen. Allein im deutschsprachigen Raum hat sich die Zahl der aktiven NutzerInnen zwischen 2003 und 2012 versiebenfacht. Rund um das eigentliche Geschäftsmodell der Dating-Plattformen haben sich außerdem weitere Geschäftszweige entwickelt: Mittlerweile gibt es ein umfassendes Angebot an Ratgeberliteratur darüber, was es braucht, um online den perfekten Match zu finden. Auch zahlreiche Blogs und Videos erklären, wie das eigene Profil optimiert werden kann und worauf es bei der Selbstdarstellung in Bild und Text ankommt.

Kai Dröge hat sich auch mit den Auswirkungen der Anonymität auf Dating- Plattformen beschäftigt. Zwar sind auf manchen Portalen ausdrücklich Klarnamen erwünscht, teils werden diese sogar verlangt, die Regel sind sie allerdings noch nicht. „Wir sehen in unserer Forschung immer wieder, dass die Anonymität häufig zu Unverbindlichkeit führt“, erklärt Dröge, wie sich ein vermeintlicher Vorzug von Online-Dating letztlich negativ auf das Bindungsverhalten der NutzerInnen auswirken kann. Darüber hinaus ist Dröge auch auf weitere Nebeneffekte der angeblichen Vorteile von Dating- Plattformen gestoßen: Der perfekte Match führe etwa „eher zu Langeweile als zu emotionaler Erregung“.

Spiel mit Identitäten. An einem perfekten Match war die erfahrene Online-Daterin Anne Kran* aber ohnehin nie interessiert. Sie hat sich ihr erstes Profil vor rund zehn Jahren zugelegt und seither einige Plattfor- men ausprobiert. Zunächst hat sie sich zum Zeitvertreib registriert, dann aber schnell gemerkt, dass sie am Spiel mit Identitäten Spaß findet. Mittels verschiedener Benutzerinnennamen hat sie jeweils unterschiedliche Aspekte ihrer Person hervorgehoben, dabei aber nie Falschangaben gemacht. Ab und an hat sie sich auch mit Leuten offline getroffen, woraus sich manchmal auch längere Freundschaften entwickelt haben. Beziehungen hat sie über Dating-Seiten aber nie gefunden. Zwei ihrer PartnerInnenschaften haben sich zwar tatsächlich über Kontakte in Online-Musikforen entwickelt, allerdings war sie dort zunächst nur aufgrund ihrer Leidenschaft für Musik aktiv. Unterschiede zwischen Online- und Offline-Dating sieht sie nicht. „Es gibt doch auch Lokale, die richtige Fleischmärkte sind. Genügend Events sind darauf ausgelegt, dass du jemanden mit nach Hause nimmst.“ Mittlerweile ist Kran kaum noch auf Dating- Seiten unterwegs, waren es früher noch ein paar Stunden pro Tag, so sind es heute nur mehr ein paar Minuten.

Gregor Schmidinger hat sich vom Online-Dating sogar ganz verabschiedet. Vor gut einem Jahr hat er einen Selbstversuch gestartet, bei dem er unter anderem auf den Konsum von Pornographie und den Besuch von Dating-Seiten verzichtet – seine Erfahrungen damit veröffentlicht er auf einem eigens dafür geschaffenen Blog. „Irgendwann habe ich gemerkt, dass das auch so ein komisches Spiel ist: Du schaust, ob du ihn haben kannst und wenn du ihn hast, dann ist er eigentlich gar nicht mehr interessant.“ Das Profil seines nunmehrigen Freundes hat er zuerst auf Grindr gesehen, sein Interesse habe sich aber damals nicht über das Oberflächliche hinausentwickelt und schnell verlaufen. Erst als sich die beiden offline begegnet sind, hat es gefunkt. Seinen Selbstversuch sieht er bisher als Erfolg: Er habe kein Interesse, wieder ein Dating-Profil anzulegen. Dennoch fügt er hinzu, dass Dating-Plattfor- men etwa für LGBTQI-Jugendliche, besonders im ländlichen Raum, eine gute Möglichkeit seien, Kontakte mit Gleichgesinnten zu knüpfen.

Geisterdate oder echte Intimität? Damit den Dating- Services nicht allzu viele NutzerInnen dauerhaft abhanden kommen, erweitern diese stetig ihr Angebot. In den vergangen Jahren boomen unter anderem Dating-Apps. Mitunter wählt der Dating-Markt aber auch fraglichere Strategien, um NutzerInnen bei Laune zu halten. Sogenannte Internet- Kontaktmarkt-SchreiberInnen werden gezielt dazu eingesetzt, NutzerInnen mit Hilfe gefälschter Profile auf Seiten mit Mitgliedsbeiträgen zu locken oder dort zu halten.

Einfallsreich ist aber auch so mancheR Online-DaterIn. Aus Unzufriedenheit mit den Matching-Algorithmen der Dating-Seiten hat die amerikanische Unternehmerin und Autorin Amy Webb die Vorgangsweise anderer NutzerInnen penibel beobachtet. Schließlich entwickelte sie ihr eigenes Punktesystem, mit dessen Hilfe sie online ihren jetzigen Ehemann gefunden hat. Ihre Ergebnisse hat sie in dem Buch „Data, A Love Story“ veröffentlicht. Wer besonders geschäftig oder faul und zudem zahlungskräftig ist, kann die Suche nach dem perfekten Match aber auch ganz outsourcen und auf Ghost-Dating zurückgreifen. Dabei zahlen NutzerInnen andere dafür, das Alltagsgeschäft auf den Plattformen für sie zu erledigen, also potentielle Dates zu suchen, Nachrichten zu schreiben und gegebenenfalls eine Verabredung zu arrangieren. Nur das tatsächliche Date jenseits des Internets wird schließlich persönlich bestritten.

Trotz aller Bedenken und Absurditäten, die Online-Dating mit sich bringt, glaubt aber auch Kai Dröge nicht, dass wir in absehbarer Zeit die komplett durchrationalisierte Liebe aus dem Netz erleben werden: „Von der Liebe aus dem Katalog sind wir noch weit entfernt. Außerdem kann das Netz durchaus auch ganz andere Erfahrungen bieten: eine tiefe Emotionalität, wechselseitige Selbstoffenbarung und Intimität, die stark romantische Züge tragen können.“

*Angaben zur Person wurden von der Redaktion geändert.

 

Georg Sattelberger studiert Internati- onale Entwicklung an der Universität Wien.

Hier gehts zum Interview mit Kai Dröge

 

Internet macht Musik interessant

  • 13.07.2012, 18:18

Im Rahmen ihres Konzertes in Lissabon hat progress die amerikanische Gitarristin Kaki King getroffen und mit ihr im Kaffeehaus über ihre Musik und die digitale Evolution gesprochen.

Im Rahmen ihres Konzertes in Lissabon hat progress die amerikanische Gitarristin Kaki King getroffen und mit ihr im Kaffeehaus über ihre Musik und die digitale Evolution gesprochen.

progress: Die Dreharbeiten zum Buch „Nachtzug nach Lissabon“ von Pascal Mercier finden hier gerade statt. Es handelt von einem Lehrer, der sein geordnetes Leben hinter sich lässt, um in eine neue Stadt zu reisen. Hast du das Gefühl, dass es als Künstlerin möglich ist, aus dem Alltag auszubrechen und alte Gewohnheiten zu durchbrechen?

Kaki King: Ja, manchmal kann es das sein. Ich glaube, viele Leute glorifizieren das - und das sollten sie auch. Ich meine, ich führe kein gewöhnliches Leben. Aber ich finde nicht, dass ich so anders oder einzigartig bin. Ich muss trotzdem noch alltägliche Dinge erledigen. Aber vielleicht mache ich das alles auch schon so lange, dass es sich normal anfühlt.

Das weitaus wichtigste Instrument in deiner Musik ist die Gitarre. In „Second Brain“ singst du: „Are we to have another century of the guitar when the best instrument in the world is still the piano...“. Warum hast du dich für die Gitarre entschieden?

Ich finde zwar, dass das Klavier das beste Instrument ist, weil es übersichtlicher und einfacher aufgebaut ist. Das ist auch der Grund, wieso MusikerInnen eher auf dem Klavier komponieren und nicht auf der Gitarre. Jedoch ist es mit dem Klavier schwieriger, auf Reisen zu gehen. Die Gitarre ist viel praktischer.

Auf „Junior“, deinem aktuellen Album, singst du von deinen kommunistischen FreundInnen. Gibt es die wirklich?

Ja klar! Ich war für fünf Minuten Kommunistin.

Wieso nicht länger?

Weil es definitiv eine gescheiterte Ideologie ist.

Hast du irgendwelche Erfahrungen mit kommunistischen Gruppen gemacht?

Irgendwann erreichen wir mal den Punkt, wo wir uns fragen: Hey, das Leben ist so unfair, was würde es fair machen? Lasst uns alle gleich sein! Und dann triffst du diese Freaks auf der Uni, die meinen, sie sind ernsthafte Hardcore-KommunistInnen. Die glauben, die nächste Revolution steht vor der Tür. Einmal nur erwähnte ich in deren Gegenwart, dass ich eine kommunistische Webseite gelesen hatte, und sie sagten gleich: „Komm mit uns, denn du bist eine von uns!“

Und bist du jemals zu einem Treffen gegangen?

Nein, auf keinen Fall. Mein Gott, nein.

Die Diskussion rund um den Schutz von künstlerischem Eigentum ist in den letzten Monaten durch gesetzliche Maßnahmen wie SOPA (Stop Online Piracy Act) in den USA und ACTA (Anti-Counterfeiting Trade Agreement) in der EU neu entfacht. Wie findest du es, wenn Leute deine Musik frei downloaden und sharen?

Das Internet ist Teil der Evolution geworden, des kollektiven Bewusstseins. Es ist nicht mächtig, weil es eine Person kontrolliert, sondern weil wir alle Teil davon sind. Das zu bekämpfen, ist eine ganz schlechte Idee. Und das bedeutet nicht, wenig Geld zu verdienen. Es gibt Wege, deine Information zu schützen. Aber wenn du sagst, ich werde das nicht tun, weil ich nicht will, dass Leute das hören, wenn du alleine gegen diese Welle ankämpfst, ist das dumm. Das ist einfach ein neuer Weg, Wissen zu teilen. Ich denke nicht, dass man das stoppen sollte. Manchmal kommen Leute zu mir und sagen, dass sie alle meine Alben haben, und sie haben sie nicht gekauft, sondern runtergeladen und nicht dafür bezahlt.

Macht dich das wütend?

Nein, denn sie sind zur Show gekommen. Ich sehne mich nicht nach den Tagen, als man haufenweise Geld gemacht hat und von den Major Labels bezahlt wurde, um auf Tour zu gehen. Das gab es einmal, aber diese Zeit ist vorbei. Internet macht Musik wirklich interessant. Und ich liebe das: Leute können von Musik leben und sie verkaufen und gratis ins Internet stellen und auf Tour gehen. Mein Vater war früher immer dieser besondere Typ mit der coolen Musiksammlung, der zuhause immer Platten aufgelegt hat. Heute können wir alle derjenige mit der Wahnsinns-Musikkollektion auf dem iPod sein.

Gibt es andere Wege, Musik zu „schützen“, als mit Gesetzesentwürfen wie etwa SOPA, PIPA (Protect IP Act) und ACTA?

Dieser Gesetzesentwurf (Anm. der Red.: SOPA) ist wirklich verrückt. Es gibt keinen Weg, das zu überwachen, aber das ist ja das Schöne daran. Außer du bist die Regierung und blockierst die Website. Aber wenn Musik eingeschränkt wird, wird am nächsten Tag die Meinungsfreiheit eingeschränkt. Das ist eine krasse Entwicklung. Ich möchte nicht Teil einer solchen Welt sein.

Was sind deine Pläne für die nächste Zeit?

Ich arbeite an einem Album. Irgendwas mit Sologitarren. Wird aber noch dauern. Ich habe mir im letzten Jahr ein bisschen freigenommen, und jetzt fang ich wieder mit der Arbeit an. We'll see!

Zur Person

Die amerikanische Musikerin Kaki King (geb. 1979) wurde durch ihre experimentelle Spieltechnik auf der Gitarre bekannt. King hat bereits mit Musikgrößen wie Dave Grohl, Tegan and Sara und Timbaland zusammengearbeitet und für Sean Penns preisgekrönten Film „Into the Wild“ den Soundtrack komponiert. 2006 schaffte sie es als einzige Frau in die Liste „The New Guitar Gods“ des Rolling Stones. Seit 2003 hat sie sieben Alben veröffentlicht, darunter ihr jüngstes Werk „Junior“, das auf Rounder Records erschienen ist.

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