Internationale Entwicklung

„Ich bin ein Produkt der Entwicklungszusammenarbeit“

  • 22.10.2016, 18:41
Die Entwicklungszusammenarbeit sieht sich immer wieder mit heftiger Kritik konfrontiert. progress sprach mit dem gebürtigen Nigerianer Ike Okufar über diese Kritik und über Alternativen.

Die Entwicklungszusammenarbeit sieht sich immer wieder mit heftiger Kritik konfrontiert. progress sprach mit dem gebürtigen Nigerianer Ike Okufar über diese Kritik und über Alternativen.

Abhängigkeiten verschärfen sich. Lokale Bedürfnisse werden ignoriert. Eigeninteressen der „Geberländer“, der NGOs, der Konzerne stehen im Vordergrund. Hilfe kommt oft erst gar nicht dort an, wo sie hingehört. Das sind zentrale Kritikpunkte, mit denen sich die Entwicklungszusammenarbeit (EZA) immer wieder konfrontiert sieht. Doch was sind Alternativen? Welchen Einfluss hat die Diaspora auf Entwicklungen der betroffenen Länder? progress sprach mit dem gebürtigen Nigerianer Ike Okufar, der im Rahmen des „1zu1 Vernetzungstreffens“ über Möglichkeiten einer sinnvollen EZA diskutierte.

progress: Laut der sambischen Ökonomin Dambisa Moyo ist Afrika aufgrund der EZA heute ärmer als vor 50 Jahren. Wie konnte es dazu kommen?
Ike Okufar:
Durch die EZA schaffte man eine Abhängigkeit. Dadurch lernten die Leute nicht, sich selber zu entwickeln, sondern bestehende Systeme zu akzeptieren und zu kopieren. Die kulturelle Zusammensetzung der Leute wurde nicht berücksichtigt. Die Leute geben sich dadurch selber auf. Es leidet nicht nur der Selbstwert der Menschen. Auch was im Land produziert wird, hat weniger Wert. Das Problem ist, dass viele der Personen, die von Außen kommen nicht lernten, dass es auch andere Welten, andere Handlungen – abseits von dem Gewohnten – gibt. Das ist der Grund, warum so viele Projekte der EZA scheitern.
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Diese Kritik an der Entwicklungszusammenarbeit gibt es schon länger. Hat sich seit dem ersten Laut-Werden der Kritik an der Praxis der EZA etwas verändert?
Es verändert sich etwas, weil einige Personen, die wie ich ein Produkt der EZA sind, heute im Ausland leben. Diese Menschen haben gelernt, dass wir uns von der Abhängigkeit befreien müssen. Der gesamte Transfer von Leuten in der Diaspora wird von der EZA nicht berücksichtigt: Ich zahle zum Beispiel von meinem Nettogehalt das Gesundheitssystem meiner Familie, ich finanziere die Schulbildung meiner Verwandtschaft. Am Ende bleibt mir nichts, weil ich die ganze Zeit versuche die Aufgabe des Staates zu erledigen. Doch wenn ich ein Projekt beispielsweise über Österreich abwickle, muss ich die dahinterliegende Bürokratie erledigen und zahlen. Gibt Österreich mir 100 Euro, werden zehn Euro für den bürokratischen Aufwand verwendet. Es wird hier eine Arbeitsstelle allein für die Bürokratie geschaffen. Noch dazu, muss ich das Interesse Österreichs in Afrika wahren, sonst gibt es nächstes Jahr keine Fördergelder mehr. Es geht langsam einen Schritt nach vorne, aber gleichzeitig fünf Schritte zurück.

Wenn die derzeitige Entwicklungszusammenarbeit negative Einflüsse auf die Zielländer hat, was ist die Alternative?
Afrika braucht keine Hilfe, sondern eine Kooperation, einen Austausch. Die Leute müssen in die gesamte Planung, in die gesamte Realisierung miteinbezogen werden. Es braucht eine Art von Kommunikation, bei der Menschen nicht von vornherein verurteilt werden.

Ihrer Meinung nach sollte Entkolonialisierung eine der Hauptaufgaben der Entwicklungszusammenarbeit sein. Wie muss eine Entwicklungszusammenarbeit ausschauen, die das schafft und die Abhängigkeit nicht noch verschärft?
Entkolonialisierung meint die Befreiung im Kopf: „change the mind-set of the people“. Dazu gehört die Frage danach, wie die Menschen konsumieren: Zum Beispiel müssten Leute davon überzeugt werden, dass sie nicht den Reis aus Europa kaufen müssen, weil es auch Naturreis in Afrika gibt. Es braucht also kritisch denkende Bürger, die sich vom Gral diesesEinflusses von außen befreien können. Genauso beim Bau einer Schule: Welche Art von Schulbildung braucht es? Welche Informationen sollen weitergegeben werden und was können die Menschen, nachdem sie die Schule abgeschlossen haben? Darüber wird nicht nachgedacht. Hinzu kommt, dass das alte Wissen, das bereits Bestehende, das die Basis einer Entwicklung ausmachen sollte, derzeit verloren geht, weil wir ständig nach Neuem streben.

In den letzten Jahren engagierten sich vermehrt chinesische Konzerne – insbesondere im Bereich Straßenbau und Infrastruktur – in afrikanischen Ländern. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Was China macht, ist keine Entwicklungsarbeit. Genauso wie die westlichen Länder nie Interesse an der Entwicklung dieser Länder hatten. Diese neu eingerichtete Infrastruktur dient erneut der Ausbeutung von Ressourcen, damit diese schnell den Weg in die westlichen Länder finden. Europa oder die USA haben die Entwicklung dieser Länder verschlafen. Denn hätten Sie in die Schaffung kritischer Bürger investiert, Menschen empowert sich selber zu entwickeln, dann wären die Verhandlungen mit den chinesischen Konzernen anders verlaufen. Ein kritisch denkender Mensch würde nicht Land an China verkaufen, während die Leute hungern. Die chinesischen Konzerne verteilen die Produkte nicht im Dorf, sondern packen sie in Container und bringen sie raus aus Afrika.

Ein weiteres Problem sind EU-Subventionen: Durch die starke Finanzierung der Agrarindustrie wird ein Überfluss von Agrarprodukten in Europa produziert, der unter anderem nach Afrika gebracht wird. Was bedeutet das für die lokale Produktion?

Die lokale Produktion kann preislich bei Weitem nicht mithalten. Es gibt wenige Leute, die das gesamte Volumen der Weltressourcen besitzen und sie verteilen können, wie sie wollen. Die Anderen haben keinen Markt. Dadurch können sie gar nicht konkurrieren. Indem die EU die Überproduktion nach Afrika schickt, wird die Eigenproduktion in Afrika erstickt. Hinzu kommen die Abkommen CETA und TTIP, die derzeit verhandelt werden. So werden noch zusätzlich Interessen der großen Konzerne gestärkt. Sie haben die Möglichkeit ihre Produkte von A nach B zu transportieren. Kleine Produzenten werden so geschwächt. Brauchen wir das? Das ist eine Frage an die politisch denkenden Bürger.

Valentine Auer arbeitet als freie Journalistin in Wien.

Reservate für Eliten

  • 24.10.2013, 22:43

Der Sparstift, der an Spaniens Universitäten angesetzt wird, zwingt Hunderttausende zum Studienabbruch. Während Stipendien von der konservativen Regierung massiv beschnitten werden, stecken die Hochschulen selbst in der Krise.

Der Sparstift, der an Spaniens Universitäten angesetzt wird, zwingt Hunderttausende zum Studienabbruch. Während Stipendien von der konservativen Regierung massiv beschnitten werden, stecken die Hochschulen selbst in der Krise.

Mit Semesterbeginn flammt der Protest der Studierenden gegen die aktuelle Bildungspolitik der konservativen spanischen Regierung wieder auf. Spätestens Anfang November soll das Gesetzespaket zur „Verbesserung der Qualität der Ausbildung“ in Spanien in Kraft treten. Mit einem landesweiten Streik werden Schulen und Universitäten am 24. Oktober dagegen Widerstand leisten. „Meine KommilitonInnen haben es sehr schwer. Kein Wunder, dass sie wie auch beim Generalstreik im Herbst 2012 die Möglichkeit zum Protest nutzen. Dabei geht es ihnen nicht ums Blaumachen, wie es rechte PolitikerInnen gerne sehen“, weiß Julia Portnova (23), ukrainischdeutsche Politikwissenschaftsstudentin, die über Erasmus ein Jahr in Granada verbracht hat.

Knapp 360.000 Anspruchsberechtigte werden zukünftig wegen ihres Notenschnitts keine oder deutlich weniger finanzielle Unterstützung erhalten. Denn das Bildungsministerium unter José Ignacio Wert von der rechtskonservativen Volkspartei hat die Voraussetzungen für den Bezug von Stipendien drastisch verschärft. Hunderttausende sind folglich zum Abbruch ihres Studiums gezwungen. Hinzu kommt, dass auch Förderungen für die Mobilität von Studierenden wegfallen. Wer einen Studienort fern des Elternhauses hat, hat nicht mehr unbedingt Anspruch auf Förderungen, weil nicht länger der Wohnsitz der Eltern, sondern jener des nächsten Verwandten zur Berechnung herangezogen wird. Mittlerweile wurde vor dem Verfassungsgerichtshof eine Klage gegen die Stipendienkürzungen eingebracht.

MASSIVE KÜRZUNGEN. „Ich konnte mit 3.000 Euro jährlich an Unterstützung rechnen“, sagt Juan Castillo Argudo (35). Castillo hat in Madrid und Granada bereits erfolgreich zwei Studien – Lehramt Pädagogik und Psychopädagogik – absolviert und macht derzeit einen Master in Sevilla . Jedoch erfuhr er kürzlich, dass er von nun an weniger als 1.500 Euro bekommen wird: „Nicht einmal mit 3.000 Euro jährlich kann man überleben. Mit der Hälfte ist das unmöglich.“ Er werde mehr arbeiten müssen und sich kaum dem Studium widmen können, sofern sich ein Job findet. „Die Universität wird wieder ein Reservat der Eliten, die Geld haben“, prophezeit Castillo.

Auch um die Förderung der internationalen Mobilität steht es nicht gut in Spanien: Castillo hat im Zuge seiner bisherigen Studien über Erasmus auch ein Jahr in Lissabon verbracht. Dabei hat man ihn und viele andere um einen Teil ihrer Erasmusförderungen geprellt. Staat und EU zahlen einen Teil, außerdem stockt die andalusische Regionalregierung mit maximal 350 Euro monatlich auf 900 Euro auf. Eine Summe, die Castillo niemals gänzlich erhalten hat, wenngleich schriftlich vereinbart worden war, dass das Geld spätestens bei der Rückkehr ausbezahlt werde. KollegInnen nahmen Bankkredite oder Darlehen bei Verwandten auf, die sie nicht retournieren können. „Über 2.100 Euro sind sie mir schuldig geblieben“, sagt Castillo. Einige StudentInnen haben gegen die Einsparungen geklagt, doch bis es zu einem Urteil kommt, werden mindestens fünf Jahre vergehen.

Mit all dem nicht genug: Studiengebühren rangieren in Spanien zwischen 2.000 Euro und 18.000 Euro pro Jahr – Summen, die durch hinzukommende Prüfungstaxen noch um 15 bis 25 Prozent, in einzelnen Fällen sogar um 50 Prozent, erhöht werden. Zusätzlich zu den Studiengebühren kostet das Absolvieren von 60 ECTS-Credits, laut Bildungsministerium, im Schnitt 1.070 Euro. Außerdem krempelt Spanien derzeit auch die Regelungen des Hochschulzugangs radikal um. Einzelne Studiengänge können nun selbst ihre Studierenden auswählen, während vormals das Abschneiden bei der „Selectividad“ – der spanischen Version der Matura – ausschlaggebend war.

NACHHALTIGE KRISE. Mit Spaniens aktuellem Kurs in Sachen Bildungspolitik legt die konservative Regierung von Premier Mariano Rajoy den Grundstein für die Permanenz der Krise. Derzeit sind weit mehr als zwei Millionen junge SpanierInnen weder in Ausbildung, noch haben sie eine Arbeit. Ein Wert, der laut OECD in den Krisenjahren um 69 Prozent angestiegen ist. Die Jugendarbeitslosigkeit (bei 18–25 Jährigen) rangiert bei rund 60 Prozent. Wer kann, sucht sein Glück im Ausland.

Aber auch Prostitution scheint für Studierende vermehrt ein Mittel zum Zweck der Studienfinanzierung zu sein, wie der in Barcelona beheimatete Verein der SexarbeiterInnen Aprosex betont. Seit Krisenbeginn würden rund 300.000 Menschen mehr als zuvor mittels sexueller Dienste ihr Leben finanzieren, betont Concha Borrell, Sprecherin der NGO. Ärzte ohne Grenzen sprach für 2012 von lediglich 2.100 neuen SexarbeiterInnen in Spanien. Davon wären 18 Prozent Studierende. Bei Aprosex geht man von mehr als 100.000 Studierenden seit Krisenbeginn aus.

Was abseits der Kürzungen von Stipendien an Spaniens kaputt gesparten Universitäten in Sachen Forschung und Lehre geschieht, sorgt derzeit auch für Spott und Häme aus dem Ausland. So sprach die Süddeutsche Zeitung zu Recht von „akademischem Inzest, Filz, Nepotismus und Vetternwirtschaft“ und „Plagiieren mit Auszeichnung“. Weite Wellen schlug die Causa um den Plagiatsvorwurf gegen den Präsidenten des spanischen Olympischen Komitees Alejandro Blancos betreffend seiner Doktorarbeit. Eine in weiten Teilen identische Arbeit wurde an der Universität von Alicante eingereicht – ebenfalls betreut von Blancos Doktormutter, die mittlerweile für ihn arbeitet. Die Uni reagierte auf Kritik mit dem Kommentar, es „sei keine Arbeit eingereicht worden“, es handle sich lediglich um „Vorstudien“.

KÜNDIGUNG NACH PROTEST. Der Pädagoge José Penalva hat in seinem Buch „Korruption an Spaniens Universitäten“ die Kritik an abgekarteten Auswahlverfahren, Postenschachern und der damit unmittelbar verknüpften Vergabe von Stipendien und Fördermitteln gebündelt. Weil er Missstände aufzeigt, wird er nun von KollegInnen massiv gemobbt. In einem anderen Fall wurden fünf WissenschaftlerInnen, die zum ForscherInnenstab der Universität von La Rioja gehörten und dort über Alzheimer forschten, nach ihrer Teilnahme an Protesten gegen Einsparungen gekündigt. So wird ein Klima geschaffen, in dem viele lieber schweigen, um nicht den Kündigungswellen an öffentlichen Universitäten zum Opfer zu fallen.

 

Jan Marot ist freischaffender Journalist in Granada.

Protest in progress

  • 29.09.2012, 17:16

Das Studium Internationale Entwicklung an der Uni Wien soll abgeschafft werden – die Studierenden und Lehrenden demonstrieren dagegen lautstark. Doch wie kritisch ist das Studium wirklich und wie unterstützenswert sind die Proteste? Im Pro und Contra gehen die Meinungen auseinander.

 

Das Studium Internationale Entwicklung an der Uni Wien soll abgeschafft werden – die Studierenden und Lehrenden demonstrieren dagegen lautstark. Doch wie kritisch ist das Studium wirklich und wie unterstützenswert sind die Proteste? Im Pro und Contra gehen die Meinungen auseinander.

Contra: Goodbye Bonokids

Die Universität Wien wird zum Wintersemester wohl auf einen neuen Bachelorjahrgang motivierter Internationale-Entwicklung-Studierender verzichten. Auch wenn dies leider einmal mehr Ausdruck von Sparmaßnahmen ist, und daher vor allem auf die gegenwärtige Krise des Kapitals verweist, kann der Einebnung des IE-Bachelorstudiums durchaus etwas abgewonnen werden. So steht doch gerade das IE-Studium für das menschliche Antlitz des grüngewaschenen Kapitalismus: Für einen hübschen Entschuldigungsbrief der Ersten Welt gen Süden, der im Endeffekt aber doch nichts anderes ist als die Freikarte für eine weitere Rundfahrt auf realkapitalistischer Safari.

Da derartige Freikarten aber schlechterdings von eingefleischten Liberalen auszustellen sind, sind es vor allem interventionistische Linke und jungschargestählte KatholikInnen, die sich der globalen Sozialarbeit verschreiben wollen. Geeint darin, im missionarischen Eifer auszuziehen, um für die unmündigen Menschen des Südens die Welt zur Gerechtigkeit zu reformieren. Eine Reformierung freilich, die ganz im Geiste der einstigen Missionare, die bekanntlich mit Glasperlen die Welt beglückten, mit dem schönen Schein die elenden Verhältnisse zum Glitzern bringen will. Eigentlich kann man dies noble Anliegen ja auch niemandem verübeln. Denkt man an die ursprüngliche Akkumulation in Übersee, die Ausrottung und Versklavung von Zigtausenden zu Gunsten der europäischen KolonisatorInnen, erscheint der Wunsch, heute nicht mehr ganz so grobmotorisch durch die Welt zu stampfen, durchaus nachvollziehbar. Aber es wäre schon etwas gemein, den Studierenden hier schlechtes Gewissen oder gar bösen Willen zu unterstellen. Vielmehr muss man wohl davon ausgehen, dass sie wirklich selber glauben, was sie in den Medien zum Besten geben: Dass man im IE-Bachelorstudium mal so richtig querdenken, entwicklungspolitische Diskurse beeinflussen und der neoliberalen Bestie eins auswischen könne. So etwas kommt dabei heraus, wenn JungschargruppenleiterInnen ihr entwicklungspolitisches Engagement im Rahmen von Sternsingeraktionen entdecken. Und genau zu solch einem moralinsauren Blödsinn hat Oscar Wilde in The Soul of Man under Socialism schon alles Nötige gesagt: „Daher tritt man mit bewundernswerten, jedoch irregeleiteten Absichten sehr ernsthaft und sehr sentimental an die Aufgabe heran, die sichtbaren Übel zu heilen. Aber diese Heilmittel heilen die Krankheit nicht: sie verlängern sie bloß. In der Tat sind sie ein Teil der Krankheit selbst.“

Pro: Kritikspektakel

Die hochschulpolitischen Proteste müssen mit laufender Kritik leben und diese verarbeiten. Das kann durchaus produktiv sein und Bewegungen vorantreiben. Dies gilt insbesondere, wenn Protestbewegungen einen lebendigen und emanzipatorischen Bildungsbegriff für sich in Anspruch nehmen. Wenn Kritik allerdings unbeteiligt von außen zugerufen und nicht in die Proteste getragen wird, bleibt sie meist unproduktiv. Nicht selten lauten die Zurufe: Die Forderungen seien zu partikular, die Analyse nicht tiefgehend genug, die zugrundeliegenden Austausch - und damit Ausbeutungsverhältnisse würden nicht berücksichtigt oder der Bildungsbegriff sei oberflächlich. Diese Kritiken können teilweise berechtigt sein oder auch nicht. Oft gehen sie an den unmittelbaren Lebensrealitäten der Beteiligten, die sich in ihre eigenen Angelegenheiten einmischen, aber vorbei. Wenn etwa Beihilfen gekürzt, neue Zugangshürden zum Studium errichtet oder Studienrichtungen gestrichen werden, bedeutet das zunächst einen massiven Einschnitt in das Leben und Studieren der Betroffenen. Dass Protest dann direkt an diesen zündenden Themen entbrennt, ist wenig verwunderlich, ja sogar erforderlich. Auch aus strategischer Sicht ist es regelmäßig notwendig, einzelne Anliegen herauszugreifen, um eine Intervention stark machen zu können. Natürlich müssen die jeweiligen Forderungen laufend kritisch überprüft, kontextualisiert und die Wurzeln ihrer zugrundeliegenden Widersprüche freigelegt werden. Bildungsprotest ist eben auch ein Bildungsprozess. Die Kämpfe der Studierenden der Internationalen Entwicklung haben dies in den vergangenen Jahren recht eindrücklich bewiesen. Je nach Kalkül des Rektorats sollte das IE-Studium einmal ganz, dann wieder nur teilweise abgeschafft werden oder gar in ein Elitestudium umgewandelt werden. Um dagegen anzukämpfen, haben sich die Protestierenden der IE aber nicht nur auf Demonstrationen oder Besetzungen als Methoden beschränkt, sondern die Diskussion rund um den Protest in die eigenen Lehrveranstaltungen getragen und Workshops sowie Guest-Lectures organisiert.

Die Protestierenden selbst, das gilt nicht nur für jene der IE, gestalten den Widerstand oft entgegen der anhaltenden Tendenz der Verschulung universitärer Bildung. Die Proteste werden, ob der anhaltenden Debatten, weitergehen, so viel ist klar. Kritik, die sich dabei darauf beschränkt, von außen und unbeteiligt zuzurufen, wird weiterhin kaum dazu beitragen, die Proteste voranzutreiben. Aber sie wird eines bleiben: Spektakel.