Homosexualität

„Homosexualität“ und „Die Anderen“

  • 23.02.2017, 19:56
Mit „Schwule Sichtbarkeit – Schwule Identität“ haben Zülfukar Çetin und Heinz- Jürgen Voß ein Buch vorgelegt, das sich mit den Möglichkeiten und Formen schwuler Politik auseinandersetzt.

Mit „Schwule Sichtbarkeit – Schwule Identität“ haben Zülfukar Çetin und Heinz- Jürgen Voß ein Buch vorgelegt, das sich mit den Möglichkeiten und Formen schwuler Politik auseinandersetzt. Sie zeichnen ein Bild, in der diese auf ambivalente Weise eingebunden ist in westliche Herrschaftsverhältnisse, und versuchen, darüber hinaus zu weisen. Auffallend durchzogen von einer Dringlichkeit, emanzipatorische Politik kritisch im Lichte des aktuellen reaktionären Aufwinds zu reflektieren, ist das Buch zweigeteilt. Im von Voß verfassten ersten Teil wird die Geschichte des „Schwulen“ nachgezeichnet. Als Diskursfigur, als Identität – im Gegensatz zur bloßen sexuellen Praxis – entsteht der „Schwule“ in den 1860er Jahren in einer Gemengelage von europäischem Kolonialismus und der Entwicklung naturwissenschaftlich- staatlicher Klassifikation von Menschen. Homosexualität wird darin auch von grundsätzlich progressiven Wissenschaftlern wie Magnus Hirschfeld von vornherein gegen einen „Orient“ konstruiert – mit „echter Homosexualität“ auf der einen und „unechter“ auf der anderen Seite. Im zweiten Teil zeigt Çetin auf, wie diese konstruierte Dichotomie in aktueller Politik in Berlin fortläuft. Wenn etwa ein Kiss-In weißer Schwuler in einem migrantisch geprägten Stadtteil die dort existierenden queeren Strukturen ignoriert, zeigt sich, wie hinter der Identität des „Schwulen“ andere Weisen zu leben – z.B. Muslim zu sein und gleichgeschlechtlichen Sex zu haben – politisch verdrängt und unsichtbar gemacht werden. Eingerahmt sind die zwei Teile von Reflektionen zu klaren Identitäten, Funktion von Sichtbarkeit als politischer Kategorie, und der räumlichzeitlichen Verortung politischer Praxis, die versuchen, die entwickelten kritischen Perspektiven politisch nutzbar zu machen. In einer Zeit, in der in Deutschland ein Autonomes Schwulenreferat die AfD zu einer Podiumsdiskussion einzuladen gewillt ist und die Teilnahme antidemokratischer Kräfte – erschienen in Begleitung von gut 20 Neonazis – als für eine „umfassende Meinungsbildung unumgänglich“ verteidigt, in einer Zeit in der zugleich die Rückholbarkeit des Erstrittenen in der Homophobie derselben Partei deutlich wird, sei die Lektüre dieses Buchs dringend empfohlen.

Zülfukar Çetin und Heinz-Jürgen Voß: Schwule Sichtbarkeit – Schwule Identität, Psychosozial-Verlag 2016, 146 Seiten, 19,90 €

Endlich sprechen Gaybies

  • 16.03.2016, 21:49
„Gayby Baby“ ist ein Dokumentarfilm, der vier Kinder auf sehr intime, aber unaufgeregte Art in ihrem Alltag begleitet.

„Gayby Baby“ ist ein Dokumentarfilm, der vier Kinder auf sehr intime, aber unaufgeregte Art in ihrem Alltag begleitet. Gus, Ebony, Graham und Matt haben zwei Dinge gemein: Sie sind zwischen zehn und zwölf Jahre alt und sie leben in einer Regenbogen-Familie. Sie sind „Gaybies“. Inmitten politischer Debatten über Ehe- und Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Paare, kommen in „Gayby Baby“ die Kinder selber zu Wort. progress sprach mit der Produzentin Charlotte Mars.

Gemeinsam mit Maya Newell hast du die Dokumentarreihe „Growing up Gayby“ realisiert. Jetzt habt ihr zusammen den Film „Gayby Baby“ gemacht, wo ihr Kinder begleitet, die mit gleichgeschlechtlichen Eltern aufwachsen. Wie seid ihr zu diesem Thema gekommen?
Vor fünf Jahren wurde die Debatte über die gleichgeschlechtliche Ehe sehr laut und dabei ging es immer mehr um die Frage von Familie und um diese rechts-konservative Sorge, dass homosexuelle Paare, die heiraten, auch Kinder wollen. Dass das ein Problem sein könnte. Dass diese Kinder anders sein könnten. Maya und ich kennen uns schon sehr lange und fanden die Debatte extrem beleidigend. Maya hat selber zwei Mütter. Es war nicht nur ein Angriff, weil die ganze Diskussion so tat, als ob Kinder aus gleichgeschlechtlichen Partnerschaften noch gar nicht existieren, sondern auch, weil sich niemand die Zeit genommen hat mit den Familien, mit den Kindern zu reden. Alle haben über die Kinder, aber niemand mit ihnen gesprochen. Und da es immer lauter und richtig hässlich wurde, wollten wir dem etwas entgegnen, indem wir den Kindern zuhören.

Ja, das Thema selber ist sehr politisch. Der Film ist aber überraschend unpolitisch. War es eine bewusste Entscheidung den Film zu entpolitisieren?
Ja, absolut! Es gab so viel Hass in der Diskussion und wir wollten nicht eine weitere aufgebrachte Stimme sein. Eine Kraft des Kinos sind die Geschichten, die du erzählen kannst. Damit wollten wir uns einbringen. Viele haben sich mit Regenbogen-Familien noch gar nicht auseinandergesetzt. Und in einer Welt voller heteronormativer Bilder, ist es erfrischend, etwas anderes zeigen zu können und zu sagen, dass es diese Familien gibt und zwar schon lange. Die Geschichten im Film sind zwar nicht politisch erzählt, aber der Kontext des Films ist politisch, Maya und ich sind politisch.
Auch der Kontext eurer Screenings ist sehr politisch: Der Film wurde an Schulen in Australien verboten. Wie kam es dazu?
Der Film kam in Australien bereits 2015 in die Kinos, eine Woche vor dem jährlich stattfindenden „Wear It Purple Day“ im August. Das ist ein Tag, an dem sich junge LGBTIQ-Menschen selbst feiern. Statt einem normalen Preview wollten wir den Schulen die Möglichkeit geben, den Film an diesem Tag zu zeigen. Rund dreißig oder vierzig Schulen haben zugesagt. Einen Tag vor den Screenings landeten wir auf dem Cover einer der größten Zeitungen mit der Schlagzeile „Gay class uproar“. Am Beispiel einer Schule ging es in dem Artikel darum, dass alle Eltern aufgebracht seien, weil ihre Kinder dazu gezwungen werden, ein – wie die Zeitung es formulierte – Video über homosexuelle Erziehung, zu sehen. Das war schrecklich! Wir haben vier Jahre an diesem Film gearbeitet, vier Jahre in der LGBTIQ-Community verbracht und dann kommt diese Schlagzeile. Wir waren eine Woche lang durchgehend in der Berichterstattung. Der Premierminister von New South Wales entschied, dass der Film an Schulen in diesem Bundesstaat nicht gezeigt werden darf. Das war auch furchtbar für die Community, da die Botschaft vermittelt wurde, dass diese Familien in den Schulen nicht willkommen sind.

Wie geht es euch und auch den Familien und Kindern aus dem Film jetzt – nach dem ersten Schock?
Das ist fünf Monate her und obwohl ich persönlich und sehr viele andere durch die Reaktion verletzt wurden, ist uns mittlerweile klar, dass eine Konversation, die lange nicht geführt wurde, plötzlich geführt wurde. Es war notwendig. Auch die Familien und Kinder waren sehr großartig. Uns ging es in erster Linie darum zu schauen, wie es den Kindern aus dem Film geht, weil sie diejenigen waren, die am nächsten Tag in die Schule mussten. Aber die Kinder haben als erste gemeint, wir sollen uns keine Sorgen machen, denn es sei das Beste, was passieren konnte.

Die Kinder im Film sind alle zwischen zehn und zwölf Jahre alt. Habt ihr euch bewusst für dieses Alter entschieden?
Nein, zumindest anfangs nicht. Wir haben für den Film Menschen sehr verschiedenen Alters interviewt. Aber als sich die Geschichten, die wir im Film erzählen wollten, herauskristallisierten, wurde uns bewusst, dass das Alter zwischen zehn und zwölf sehr spannend ist. Es ist eine Art „magisches Alter“. Du hast einen Fuß in der Kindheit und den anderen im Erwachsenensein. Deine eigenen Ideen beginnen sich in dem Alter zu formen. Du fängst an, deine Eltern als Personen und nicht nur als deine Eltern wahrzunehmen – was in unserem Kontext sehr spannend ist, da auch immer klarer wurde, dass nicht die ganze Welt denkt, dass meine Familie unbedingt normal ist.

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Meiner Meinung nach kamen die Kinder im Film sehr reif und erwachsen rüber. Kann das mit den täglichen Kämpfen zu tun haben, die man als Gayby in einer heteronormativen Gesellschaft, auszutragen hat?
Ich würde nicht sagen, dass die Kids andauernd am Kämpfen sind. Das sehe ich gar nicht so. Ich glaube aber, dass viele Gaybies sehr gut kommunizieren können, weil sie seit sie sprechen können, andauernd ihre Familie erklären müssen. Daher lernten viele über Familie, aber auch über queere Politiken, zu sprechen. Gleichzeitig sind die Kinder unglaublich belastbar, was eigentlich keine Eigenschaft von Kindern sein sollte. Aber sie treten jeden Tag vor die Haustüre, wissend, dass es die Möglichkeit gibt mit Homophobie konfrontiert zu werden. Auch wenn es gar nicht so sein muss. Aber allein dieses Bewusstsein schafft eine Art Belastbarkeit, ein Bereit-Sein.

Gemeinsam mit Gaybies wart ihr im australischen Bundestag. Dort hatten die Politiker*innen die Möglichkeit Fragen zu stellen. Welche Fragen sind gekommen?
Wir sind nicht mit den Kindern aus dem Film, sondern mit Erwachsenen hin. Ich kann mich nicht mehr an alle Fragen erinnern, aber wir wollten das Panel so strukturieren, dass wir langsam alle Fragen, die immer wieder kommen, durchgegangen sind. Es gibt einige wenige Fragen, die wiederholen sich: Zum Beispiel, wenn du zwei Mütter hast, kommt die Frage, ob du einen Vater vermisst. Die Leute wollen auch wissen, wie du gezeugt wurdest, ob du adoptiert bist – wie all das funktioniert. Viele fragen, ob du auf Grund deiner homosexuellen Eltern schikaniert wurdest oder wirst. Und natürlich kommt immer wieder die Frage, ob Gaybies homosexuell sind. Das klingt eigentlich sehr dumm. Aber es gibt wirklich viele Menschen, die glauben, dass es so ist.

Du hast mit Maya auch eine Firma mit dem Namen „Marla House“ gestartet zur Unterstützung weiblicher Filmemacherinnen. Ist die Branche nach wie vor männlich dominiert?
„Marla House“ haben wir eigentlich für unsere gemeinsamen Kollaborationen gestartet. „Marla“ bedeutet auf einer Aborigines-Sprache „Mädchen“. Das heißt es ist das „Mädchen Haus“, also unser Haus. Aber ja, ich bin absolut der Meinung, dass die Branche männlich dominiert ist. Das zeigen auch die Statistiken. Aber frage mich bitte nicht, wie man das...

… ändern kann?
Genau! Es gibt sehr viele Menschen, die versuchen diese Frage zu beantworten und daher gibt es auch viele verschiedene Zugänge. Meiner Meinung nach sollen wir sie alle probieren. Dabei geht es nicht nur um Frauen und Männer, sondern um LGBTIQ-Personen, aber auch um „People of Colour“. Wenn wir nur Geschichten von von weißen Männern hören und sehen, wenn nur diese kleine Gruppe repräsentiert wird, erhalten wir offensichtlich nicht das ganze Bild von Gesellschaft. Es ist wichtig, all die problematischen Systeme unserer Gesellschaft aus vielen verschiedenen Perspektiven zu zerlegen.

Valentine Auer lebt als freie Journalistin in Wien.

Pixelsex

  • 10.03.2016, 17:36
Die weltweit meistverkaufte PC-Spiel-Reihe „Die Sims“ fand 2014 mit der Veröffentlichung von „Die Sims 4“ ihre Fortsetzung. Nach 16 Jahren fehlen jedoch noch immer unverpixelte stillende Personen_*, das Wort Sex statt „Techtelmechtel“ und queere Charaktere.

Die weltweit meistverkaufte PC-Spiel-Reihe „Die Sims“ fand 2014 mit der Veröffentlichung von „Die Sims 4“ ihre Fortsetzung. Nach 16 Jahren fehlen jedoch noch immer unverpixelte stillende Personen_*, das Wort Sex statt „Techtelmechtel“ und queere Charaktere.

Egal ob Stay-at-Home-Parent_ mit Romanzen, verheiratete Künstler_in oder ein_e Geek mit mehreren Freund_innen; seit der Veröffentlichung von „Die Sims“ im Jahr 2000 kann eins in jede erdenkliche Rolle schlüpfen. Was jedoch alle Sims gemeinsam haben: Sex unter der Decke und nackte Pixelkörper. „Bei den ersten ‚Die Sims‘ konnte man nicht mal Spaßsex haben! Nur mit dem vibrierenden Herzbett aus der Erweiterung ‚Das volle Leben‘ konnten die Sims ‚spielen‘. Das hat sich erfreulicherweise geändert“, sagt Laura Tomani und lacht. Die 23-jährige Kulturwissenschaftenstudentin an der JKU in Linz bekam mit zehn „Die Sims“ und ist seitdem Sims-Gamerin. Was Laura daran mag, ist die Verknüpfung aus dem „echtem“ Leben und dass es das gerade nicht ist. „Ich kann Göttin spielen, aber auch der Realität entfliehen“, so Laura.


404 NOT FOUND: FANTASIE. Als Fan weiß Laura aber auch, wo die programmierten Grenzen der Fantasie liegen. „Immer wieder erstellte ich Kommunenhäuser. Da war das einzige Problem die Eifersucht. Das fehlt mir an Sims: Dreiecks-, Vierecks- und andere nicht-monogame Beziehungen.“ Wenig progressiv gehen die Entwickler_ innen auch mit queeren und trans_ Charakteren um. Mit ihrer Offenheit gegenüber Homo-, A- und Bisexualität hatten sie zwar seit der ersten Sims- Generation eine Vorreiter_innenrolle inne. Seitdem hat sich aber nicht viel geändert. Crossdressing, queere oder trans_ Charaktere können auch in „Die Sims 4“ nicht gespielt werden. Aus diesem Mangel heraus entwickelten Gamer_ innen unautorisierte „Sex-Modifikationen“ („Sex-Mods“) des offiziellen Sims-Spiels. Diese machen es zum Beispiel möglich, dass Sim-Männer Kinder bekommen, Sims außerhalb des Bettes öffentlich Doggy-Style-Sex haben oder auch gegen Entgelt eine Schwangerschaft abbrechen können. Und: Nacktheit ist unverpixelt.


SEXPERIMENTE. Nina Kiel erforscht seit einigen Jahren Sex und Geschlecht in Video- und Computerspielen und weiß: „Nackt- und Sex-Mods sind weit verbreitet und eine direkte Konsequenz des von offizieller Seite zurückhaltenden Umgangs mit Sexualität. Solange Sexualität als Zensurgrund gilt, kann dieses Thema auch nicht eingehend interaktiv erforscht werden.“ Sie kritisiert die vorauseilende Zensur von Nacktheit in „Die Sims“ und wünscht sich einen lockeren Umgang mit Körperlichkeit. Was Sex anbelangt, müsse eins mehr differenzieren. „Dass Sex [in ‚Die Sims‘] nicht gezeigt wird, ist plausibel, weil die Zielgruppe in Bezug auf ihr Alter breitgefächert ist. Man übertreibt es aber mit der kindgerechten Darstellung, wenn der Geschlechtsverkehr oder Liebesakt nicht als solcher bezeichnet wird, sondern verschämt ‚WooHoo‘ (Anm. d. Red.: auf Deutsch ‚Techtelmechtel‘) genannt wird. Kann man Sex weder zeigen noch entsprechend benennen, wäre es vielleicht besser, ganz darauf zu verzichten“, so Kiel.

Gerade wegen ihrer Interaktivität bieten Computer- und Videospiele eine spannende Plattform für „aufklärerische, emotionale und horizonterweiternde Sex-Experimente“. „Bei einem Gros der Veröffentlichungen handelt es sich um interaktive Pornos, die ein völlig verzerrtes Bild von Intimität vermitteln, in dem der Mann* als Akteur und die Frau* für gewöhnlich als passives Spielzeug gezeichnet wird. Spiele, die Sex sachlich und unaufgeregt thematisieren oder auf einer persönlich-emotionalen Ebene schildern, gibt es relativ wenige“, so Kiel. Aus diesem Grund stellen besonders Games in denen Trans_Personen, Frauen_, die Nerds sind, oder Queers, ihre sexuellen Erfahrungen schildern, einen wichtigen Beitrag dar.


MMORPGLOVE. Eines dieser gelungenen Computerspiele ist das 2015 von Nina Freeman mit Star Maid Games veröffentlichte autobiografische Spiel „Cibele“. „Es ist ein Spiel über ein normales Pärchen, das den Spieler_innen die Möglichkeit gibt, in die Rolle der jungen Frau in dieser Beziehung zu schlüpfen“, so Freeman. In „Cibele“ spielt eins die 19-jährige Nina, die einen jungen Mann in dem MMORPG (Massively Multiplayer Online Roleplaying Game) „Valtameri“ kennenlernt. Nach und nach zockt eins nicht nur gemeinsam, sondern verabredet sich auch zum Chaten und Telefonieren.


Neben dem Erzählstrang der Liebesgeschichte kann eins sich durch Ninas virtuellen Desktop durchklicken. Dort finden sich Fotodateien, Sicherungen von Blogeinträgen sowie Chat- und Emailverläufe mit Freund_innen von Nina. Je mehr der_die Gamer_in sich durch ihren privaten Computer navigiert, desto klarer entwickelt sich Nina zu einem dreidimensionalen Charakter. Besonders intim kommen einer_m Selfies von Ninas Brüsten oder Nina in einem knappen silbernen Body vor, die sie Blake schickt. Doch Freeman hatte keine Bedenken deswegen: „Die sexy Selfies und Fotos sind dazu da, um die Erzählung zu unterstützen, die Spieler_innen den Charakter Nina besser verstehen zu lassen und eine Geschichte und Atmosphäre zu entwickeln, die sich echt anfühlt. Sexy Selfies zu machen ist eine ziemlich normale Sache und ich versuchte Cibele so menschlich wie möglich und Nina als real fühlende Person darzustellen.“ Freeman ist überzeugt davon, dass (sexuelle) Beziehungen zwischen Gamer_innen weit verbreitet sind: „Seit der Veröffentlichung von ‚Cibele‘ erhielt ich viele Mails von Gamer_innen, die ähnliche Beziehungserfahrungen mit Computer- und Videospielen und online hatten wie ich, als sie jünger waren. Onlinedating ist etwas, das es schon viel länger gibt, als man erwarten würde.“

Sexuelle Beziehungen werden längst real über Games geführt. Was oft fehlt, sind queere Lebens- und Sexrealitäten in den virtuellen Welten der Computer- und Videospiele selbst. Denn bei allem Wer-anderes-sein wollen sich die Gamer_innen in den Spielen wiedererkennen. So auch Laura: „Games bieten dir so viele Möglichkeiten. Und am Ende baue ich meist doch meine Realität ein.“ Manchmal reicht es nicht, die (Sex-)Göttin_ zu sein, wenn Laura Laura spielen will.

Lukas Kitzenmüller studiert Chemie an der Universität Wien.

Retter_innen der Kernfamilie

  • 10.03.2016, 17:17

Stärker denn je nehmen Rechtsextreme (staatliche) Gleichstellungspolitiken und sexualpädagogische Maßnahmen ins Visier. Besondere Bedeutung kommt dabei den Debatten rund um vermeintliche „Frühsexualisierung“ zu.

Obgleich die Bedeutung des Schlagworts „Frühsexualisierung“ in rechtskonservativen und rechtsextremen Diskursen zumeist nicht näher ausgeführt wird, scheint sich der Terminus in den letzten Jahren zu einem Kampfbegriff entwickelt zu haben. Er wird dabei vor allem zur Abwehr zeitgemäßer pädagogischer Ansätze der Sexualerziehung im frühen Kindesalter zum Einsatz gebracht, die Kindern ein positives Körpergefühl, Abbau von Schamgefühlen und die Entwicklung einer verantwortungsvollen, selbstbestimmten Sexualität ermöglichen sollen. Die Bestrebungen zielen unter anderem auf die Befähigung ab, (sexualisierte) Gewalt zu erkennen und sich gegen diese zur Wehr zu setzen.

In kindergerechter Weise werden Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit nur als eine von vielen gleichberechtigten Möglichkeiten geschlechtlicher und sexueller Lebens- und Begehrensformen präsentiert, von „natürlichen“ Vorstellungen von Sexualität wird Abstand genommen. Grund genug für konservative und rechte Kräfte, Sturm zu laufen. Anlass für Diskussionen lieferten in Deutschland ein Methodenbuch zur „Sexualpädagogik der Vielfalt“ sowie Bestrebungen, „Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Identitäten“ in Sexualkunde-Unterrichtspläne zu integrieren.

In Österreich wiederum stand vor allem die 2012 vom Verein Selbstlaut herausgegebene sexualpädagogische Broschüre „Ganz schön intim“, die Lehrer_innen Anregungen für die Thematisierung von Liebe und Sexualität im Unterricht liefert und unter anderem Selbstbefriedigung, Patchwork-Familien, gleichgeschlechtliche Beziehungen und Intersexualität selbstverständlich behandelt, im Fokus eines vermeintlichen Skandals. Sowohl von ÖVP, FPÖ, BZÖ als auch (rechts-)katholischen Organisationen wurde die in den Medien als „Sex- Fibel“ (Kurier) oder „Sex-Unterlagen“ (Krone) betitelte Broschüre als „verstörend“ kritisiert, da sie homosexuelle Paare heterosexuellen gleichstellt. Dadurch würde, so die homophobe Argumentation, die „Kernfamilie bedroht“ und „Kindern ein irritierendes Bild von Familie und Sexualität“ (Barbara Rosenkranz) vermittelt.

ALTBEKANNTE MUSTER. In der Diskreditierung derartiger pädagogischer Ansätze bedienen sich Rechtsextreme bekannter Methoden, die von selektiven Darstellungen über die Umdeutung von Diskursen bis hin zur Verbreitung von Unwahrheiten reichen. So ist in einschlägigen Veröffentlichungen und Wortbeiträgen von „ideologischer Stimmungsmache“, „staatlicher Umerziehung“, „Indoktrination“, „Manipulation“ oder der „Trans- und Homosexualisierung“ der Kinder und Schulen zu lesen und zu hören.

Nicht selten inszenieren sich die selbsternannten Retter_innen der „Kernfamilien“ dabei als die eigentlichen Diskriminierten, da „Berufsschwule“ und „Genderbeauftragte“, so die beinahe wahnhaften Vorstellungen, bis in die Klassenzimmer die Erziehung ihrer Kinder bestimmen könnten, während die Rechte der Eltern ausgehebelt würden. Der Diskurs fixiere sich zudem zu stark auf „Diskriminierungen, die in der sexuellen Identität begründet sind“, wohingegen andere Benachteiligungen außer Acht gelassen würden. So wird „Frühsexualisierung“ von der Auflösung der Familie bis hin zum Niedergang des Bildungssystems und des (deutschen) Volkes für so ziemlich alles verantwortlich gemacht. Wenig verwunderlich auch, dass in antifeministischer Manier Vaterlosigkeit als schwerwiegenderes Problem in Stellung gebracht und in weiterer Folge bejammert wird, dass (frauenfeindliche) Väterrechtsorganisationen nicht in gleicher Weise an Schulen dürften wie Sexualpädagog_innen. Umschreibungen wie „unnatürlich“, „pervers“ oder gar „pädophil“ zielen zudem nicht nur darauf ab, Homosexualität damit in Verbindung zu bringen, sondern alles von Heterosexualität Abweichende zu stigmatisieren.

BESORGTE ELTERN. Inszenierte Angst- und Bedrohungsszenarien ermöglichen es der extremen Rechten, ihre Positionen als notwendige, legitime Kritik in öffentlichen und medialen Debatten zu präsentieren. Durch die ohnehin tiefe Verankerung derartiger Denkmuster in der Mitte der Gesellschaft, gelingt es ihnen zudem, ihre antifeministische und homophobe Agenda als mainstreamfähig darzustellen.

Die Hartnäckigkeit, mit der Rechtsextreme hierzulande versuchen, sexualpädagogische Debatten zu beeinflussen, zeigte sich zuletzt auch an Hand einer auf progress-online.at erschienenen Rezension zweier Kinderbücher, „die darauf verzichten, die Mär von Zweigeschlechtlichkeit und Vater- Mutter-Kind-Familien zu zementieren“. Grund genug für manche sowohl auf Facebook wie auch der rechtsextremen, von Martin Graf gegründeten, Internetplattform unzensuriert.at heiß zu laufen und mit biologistischen Argumenten die heterosexuelle Kleinfamilie als einzige zur Reproduktion fähige, „natürliche“ Instanz zu verteidigen.

Der Grund für das unglaubliche Mobilisierungspotential derartiger Diskurse kann vor allem darin gefunden werden, dass durch Sexualerziehung im frühen Kindesalter tatsächlich die Möglichkeit besteht, sexistischen, homo- und transfeindlichen Denkmustern präventiv vorzubeugen. In Aufruhr scheinen Rechtsextreme und ihre Verbündeten jedoch vor allem deswegen zu sein, weil durch derartige Bestrebungen nicht nur dichotome Geschlechtervorstellungen ins Wanken geraten, sondern auch die traditionelle heteronormative, bürgerliche Kleinfamilie. Die Familie wird als „Keimzelle, Rückgrat und Leistungsträger“ der Gesellschaft dagegen in Stellung gebracht, um vermeintlich natürliche Geschlechterordnungen und die damit verbundenen Privilegien aufrechtzuerhalten und abzusichern. Das vermeintliche Wohl der Kinder wird für die eigenen Interessen instrumentalisiert.

Judith Goetz ist Literatur- und Politikwissenschafterin und Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (www.fipu.at).

Romeo und Romeo

  • 25.06.2015, 11:35

Eine große Liebe, die sich über mehrere Jahrzehnte und Länder, verschiedene Karrierestufen und Lebensverhältnisse hinweg zieht, lebensbestimmend ist, ewig Sehnsucht nach ihrer Erfüllung produziert und doch nie wirklich sein kann. Denn die zwei, die sich in „Herrlichkeit“ lieben, sind zwei Männer.

Eine große Liebe, die sich über mehrere Jahrzehnte und Länder, verschiedene Karrierestufen und Lebensverhältnisse hinweg zieht, lebensbestimmend ist, ewig Sehnsucht nach ihrer Erfüllung produziert und doch nie wirklich sein kann. Denn die zwei, die sich in „Herrlichkeit“ lieben, sind zwei Männer.

Die Verhältnisse stehen gegen sie, wie das nun mal bei jedem großen Liebespaar der Fall ist. Dazu passt, dass „Herrlichkeit“ von Margaret Mazzantini ein ungemein klassischer, fast schon konventioneller Roman ist. Guido als Ich-Erzähler breitet sein Leben aus, geradlinig ohne formale Auffälligkeiten und Ausbrüche. Beeindruckend zurückhaltend, könnte man das nennen. 

Guido wächst Mitte des 20. Jahrhunderts in einem akademischen Haushalt ohne elterlichen Halt in einem Palazzo in Rom auf, Constantino in dessen Keller als Sohn des Pförtners. Nach einer sehr innigen Begegnung der beiden auf einer Klassenfahrt kreist Guidos ganzes Leben um seine Liebe zu Konstantin, manchmal in weiten, manchmal in engen Bögen. Ob in Rom oder London, ob verheiratet, mit Kind, als Student, als Professor der Kunstgeschichte, in Krankheit und Gesundheit.

Das macht es diesem Leben natürlich schwer, sich als reine Freude zu präsentieren. Dass Constantino dabei etwas blass bleibt und sein Leben als Koch und Restaurantbesitzer (und ebenfalls Ehemann) vor allem das Gegenstück zu Guidos akademischer Karriere markiert, mag der Erzählform geschuldet sein, ein unbekanntes Muster ist es aber nicht. Hier ist alles aus einem Guss: die lückenlose Erzählweise, das runde Sprachbild, dessen Metaphern nur vereinzelt leicht ins Kitschige kippen und die Zeitbezüge, die immer wieder eingeflochten werden, beispielsweise das U-Bahn-Attentat in London. Bücher und Lieder werden auf eine Art und Weise erwähnt, die diese Methode nicht zum Selbstzweck machen, sondern eine Art von Realitätsnähe beim Lesen kreieren, die man schätzt oder auch nicht.

Eine melancholische Liebesgeschichte, deren teilweise durchaus kreischende Tragik gedämpft wird durch den ruhigen, reflektierenden Erzählton.

Margaret Mazzantini: „Herrlichkeit“
DuMont, 500 Seiten, 23,70 Euro, eBook 17,99  Euro

 

Dorothea Studthoff studierte Germanistik und Skandinavistik in Freiburg und betreibt das Blog ,,Hauptsache: fadengeheftet“.