Holocaust

Karl Pfeifer: Lebenslanges Engagement gegen Antisemitismus

  • 30.01.2014, 13:56

Der Journalist Karl Pfeifer (*1928) ist ein Mahner gegen den Antisemitismus und Rechtsradikalismus. Claudia Aurednik hat für progress online in einer Audiosendung mit Karl Pfeifer über sein Leben gesprochen. Die Musik hat Mark Klatt komponiert.

Der Journalist Karl Pfeifer (*1928) ist ein Mahner gegen den Antisemitismus und Rechtsradikalismus. Claudia Aurednik hat für progress online in einer Audiosendung  mit Karl Pfeifer über sein Leben gesprochen. Die Musik hat Mark Klatt komponiert.

Nach seiner Rückkehr aus Israel im Jahre 1951 hat er in Österreich selbst jahrzehntelang unter Antisemitismus und Ausgrenzung gelitten. Im Gegensatz zu den meisten ZeitzeugInnen spricht Karl Pfeifer offen über seine Erfahrungen und die Problematik des österreichischen Juden- und Israelhasses, der in nahezu allen politischen Parteien zum Vorschein kam. Karl Pfeifer erhielt 2003 für sein Engagement und seine Zivilcourage die Ernst-Bloch Medaille der Aktion gegen den Antisemitismus in Österreich. Seine Erfahrungen sind erschütternd und verdeutlichen die Kontinuität der Problematik innerhalb von Politik und Gesellschaft. 

Ausschnitte aus der Sendung:

„Und man hat nie gegen mich vom Staat her diskriminiert. Das hat man nicht. Allerdings als ich wegen meines Staatsbürgerschaftsnachweis ins Magistrat der Stadt Wien 1951 kam, kam ich mit der Heimatrolle meiner Eltern und mit meiner Geburtsurkunde, die man in der jüdischen Gemeinde schnell ausgestellt hat. Dort hat man bei meinen Vornamen Karl Eduard Pfeifer bei Eduard das "d" vergessen. Der Beamte hat gesagt: ‚ein `d´ das geht nicht. Also so geht das nicht, das kann ich nicht bearbeiten. Sie müssen zurück und ein anständiges Geburtszeugnis holen‘. Ich habe gesagt: ‚Wissen Sie was,  ich mag das nicht mehr machen. Ich brauch jetzt einen Pass, weil ich eine Arbeit habe.‘ Darauf hin hat der Beamte gesagt: ‚Na ja, hamm‘s  eh recht a Jud braucht net zwei Vornamen‘. Das war so. Auch ein schöner Empfang. Uns hat man doch aufrichtig und gut empfangen in diesem Land.“

„Wo ich natürlich meine Schwierigkeiten hatte: Ich wurde in einem Kibbuz erzogen, wo man mir beigebracht hatte immer geradeaus seine Meinung zu sagen. Aber in Österreich lernten die Menschen schon in ihrer Kindheit, dass es besser ist nicht die direkt seine Meinung zu sagen.“

„…Ich bin ein Mensch, der nie seine Menschlichkeit aufgegeben hat, der für seine Ideen mit seinen bescheidenen Kräften gekämpft hat. Aber ich habe etwas getan. Die meisten, die zurückkamen, konnten dies nicht tun. Stellen Sie sich vor, ich war Geschäftsführer während der 1960er Jahre und da kamen Kunden – ich hatte ja mit Österreichern zu tun – und erzählten mir Gaskammerwitze. Wie hätte ich mich verhalten sollen? Hätte ich ihnen eine in die Goschn haun sollen und meine Existenz verlieren? Oder das was ich gemacht habe: Es hat sich mir auf den Magen geschlagen und ich habe Magengeschwüre bekommen.“

„Ich glaube, dass dieser Antizionismus - diese ungerechtfertigte Israelkritik, die mit sehr wenig berechtigter Israelkritik zusammengeht -, aus dem Bedürfnis des Kompensierens entsteht. Ich habe nie daran gezweifelt.“

„Ich habe nie pauschalisiert und von ‚den Österreichern‘ gesprochen und habe immer Unterschiede zwischen den Menschen gemacht. Und ich habe dann festgestellt, dass es sehr vielen Österreichern auf gut Wienerisch ‚Powidl‘ ist, ob jemand ein Jude ist oder nicht. Denn sie kennen nicht viele Juden. Während der Waldheim-Zeit hat mir Professor Gottschlich zwei Studierende geschickt, denen ich mein Archiv ‚Antisemitismus in den österreichischen Medien‘ gezeigt habe. Es kam ein Bursch hinein und ich habe ihn die Hand gedrückt, mich vorgestellt und ihm einen Kaffee angeboten. Dann kam ein Mädchen aus Oberösterreich und die drückte meine Hand und ließ sie nicht los. Sie sagte mir - meine Hand noch immer drückend - ‚Herr Pfeifer, Sie sind der erste Jude, den ich kennenlerne.‘ Daraufhin sagte ich: ‚Na ja, wir sind ja Menschen wie alle anderen.‘ ‚Nein‘, sagte sie und sie hielt noch immer meine Hand fest. Da war ich erschrocken und ich fragte sie ‘Warum nicht ?‘ Sie sagte mir folgendes: ‚Ich bewundere Ihr Volk so sehr wegen der Intelligenz.‘ Da sagte ich: ‚Hören Sie, ich arbeite seit zehn Jahren in einer jüdischen Institution und bekommen jeden Tag Beweise gegen Ihre These‘. Also das ist natürlich genauso ein Vorurteil wie jenes, dass Juden geizig, gierig oder so und so wären.“

 

progress online Rezension zu Karl Pfeifers Autobiographie „Einmal Palästina und zurück. Ein jüdischer Lebensweg“

Veranstaltungstipp:

Buchpräsentation:

Karl Pfeifer: Einmal Palästina und zurück. Ein jüdischer Lebensweg.

Wien: Edition Steinbauer 2013

Dienstag, 11.02.2014, 19.00 Uhr
Hauptbücherei am Gürtel, Urban Loritz-Platz 2a, 1070 Wien
Lesung und Diskussion mit Karl Pfeifer
Moderation: Heimo Gruber (Büchereien Wien)
 

Film:

Dokumentarfilm: Zwischen allen Stühlen – Lebenswege des Journalisten Karl Pfeifer

Regie und Produktion: Mary Kreutzer, Ingo Lauggas, Maria Pohn-Weidinger und Thomas Schmidinger.

Schnitt: D. Binder
http://film.antisemitismusforschung.net/

An einer KZ-Gedenkstätte arbeiten

  • 28.01.2014, 17:18

Wer sind die Menschen, die im Vermittler_innen-Pool an der KZ-Gedenkstätte Mauthausen arbeiten? Warum tun sie sich das an und wie gehen sie damit um? Fünf Guides haben über ihren Bezug zu Arbeit, Ort und Motivation gesprochen und darüber welchen Platz sie dort besonders interessant finden.

Wer sind die Menschen, die im Vermittler_innen-Pool an der KZ-Gedenkstätte Mauthausen arbeiten? Warum tun sie sich das an und wie gehen sie damit um? Fünf Guides haben über ihren Bezug zu Arbeit, Ort und Motivation gesprochen und darüber welchen Platz sie dort besonders interessant finden.

Die Portrait-Strecke ist der zweite Teil zum progress online Bericht Wo sich Vergangenheit und Gegenwart treffen - Mauthausen

„Wenn man hier lange arbeitet und sich jedes Mal schrecklich fühlt, dann ist das nicht gesund.“ -Stefan

Stefan studiert Jura in Linz und arbeitet nebenbei als Vermittler an der Gedenkstätte. Eigentlich wollte er schon 2011/12 als Zivildiener Rundgänge durchführen, was jedoch zu dieser Zeit nicht möglich war. Deshalb besuchte er den letzten Ausbildungsturnus und ist somit seit Anfang diesen Jahres Teil des Vermittler_innen-Teams. Der Gedenkstätte Mauthausen wendete er sich zu, da seine Großeltern in der Nähe wohnen, der Ort ihm also nicht fremd war und er stark an Geschichte interessiert ist. Deswegen macht er auch bald ein Auslandssemester in Krakau, wo er sich gern in die Materie vertiefen möchte und gespannt auf die Gedenkdiener_innen in den dort umliegenden Gedenkstätten ist.

Die meisten Leute aus seinem Umfeld finden seine Arbeit im Memorial toll, meint er, zieren sich aber, selbst zu kommen. So sieht er sich manchmal nicht nur als Vermittler vor Ort, sondern auch als Vermittlungsstelle nach außen, denn „viele Leute wollen her, brauchen aber eine private Einladung.“

Die Arbeit mit den Besucher_innen-Gruppen findet er spannend, obwohl er sich nach mehreren Schüler_innen-Gruppen auch mal auf älteres Publikum freut. „Jeder Rundgang ist unterschiedlich, manchmal ist es schwieriger sich auf die Menschen einzustellen, manchmal einfacher“, sagt er. Probleme mit Desinteresse habe er aber noch nie gehabt.

Sehr interessant findet er das spanische Denkmal am Denkmalhain. Dessen Hintergrund ist ein Beispiel dafür, wie kompliziert die Geschichte der NS- und Nachkriegszeit eigentlich ist. Nach der Ankunft der US-Armee im Lager der so genannten Befreiung, war es vielen Häftlingen nicht möglich nach Hause zurück zu kehren, so auch den Spanier_innen, welche fast 30 Jahre darauf warten mussten und sich danach vereinzelt auch in der Umgebung angesiedelt hatten. Fast alle Denkmäler in diesem Bereich der Gedenkstätte wurden von Staaten finanziert. Nicht so das spanische, was – wenn man an den dortigen Bürgerkrieg und Diktator Franco denkt – auch logisch erscheint. Deshalb hängt auch bei den Befreiungsfeiern im Mai am Denkmal nicht nur die aktuelle spanische Nationalflagge sondern auch die republikanische.

An einem solchen Ort Geschichte zu vermitteln, ist Stefan sehr wichtig. Und obwohl hier so viel Grausames passiert ist, verbindet er mit dem Ort mehr Positives als Negatives. Man trifft hier seine Kolleg_innen und interessante Gruppen und denkt nicht immer an den ganzen Schrecken, denn „wenn man hier lange arbeitet und sich jedes Mal schrecklich fühlt, dann ist das nicht gesund.“

 

Dass sich ein KZ inmitten einer offenen und wunderschönen Landschaft befand, damit rechnen die wenigsten. - Reinhard

Reinhard macht seit seinem Abschluss der dritten Vermittlungsausbildung Rundgänge an der Gedenkstätte. Im Jahr 2010 war er bereits als Zivildiener dort tätig und hatte sich anschließend unter anderem aufgrund seines großen Interesses an Zeitgeschichte für die Vermittlungstätigkeit entschieden.

Jeder Rundgang und jede Gruppe sei unterschiedlich, er findet aber alle Altersklassen interessant: „Zu Jüngeren habe ich vielleicht einen guten Zugang, weil ich selbst noch nicht so alt bin und ihnen einfacher auf gleicher Stufe begegnen kann. Aber generell hat auch jedes Alter des Vermittlers oder der Vermittlerin seine Vorteile.“

Er ist nicht ganz so oft hier, aber macht die Arbeit sehr gerne. Die Vermittlung von Geschichte ist ihm wichtig und bietet ihm außerdem eine Abwechslung zum Studium an der FH Steyr. Wegen seinem Studium würde er auch nicht hauptberuflich am Memorial arbeiten wollen.

Ein interessanter Aspekt an der Gedenkstätte ist für ihn der schöne Ausblick. Die beeindruckende Landschaft passe einfach nicht zu den Dingen, die damals hier geschehen sind. Genau das thematisiert er auch in seinen Rundgängen, was bei vielen Besucher_innen zu einem AHA-Effekt führt. Jede_r hat schon etwas darüber gehört und jede_r hat sich vor der Ankunft schon seine/ihre Meinung darüber gebildet. Dass sich dann ein KZ inmitten einer offenen und wunderschönen Landschaft befindet, sichtbar auf einem Hügel und nicht versteckt im Wald, damit rechnen die wenigsten. Dieser Kontrast eignet sich laut ihm besonders gut, mit den Besucher_innen über die damalige Zivilgesellschaft in der Umgebung und deren Mitwissen zu sprechen.

Das macht auch diesen Ort für ihn zu einem Ort der Aufklärung: „Ich sehe viel Aufklärungsbedarf und man muss Missverständnisse aus dem Weg räumen.“

 

„Es wird einem hier so viel Herzlichkeit und Dankbarkeit entgegen gebracht.“ - Silvia

Silvia ist seit 2 Jahren hauptberuflich an der Gedenkstätte tätig. Sie arbeitet im Bookshop, im Museum und wo sonst jemand gebraucht wird. Um sich noch mehr mit der Materie beschäftigen zu können, entschied sie sich zusätzlich an der letzten Vermittler_innen-Ausbildung teilzunehmen. Nun macht sie seit ca. einem Jahr Rundgänge an der Gedenkstätte - zwar nicht so oft, da diese außerhalb der hauptberuflichen Arbeitszeit stattfinden, was stressig ist, aber sie meldet sich, wann immer sie Zeit hat. Sie widmet sich dieser Arbeit sehr gern.

Die „Information“ bzw. der Bookshop, wie er genannt wird, ist für Silvia zentral. Hier hält sie sich die meiste Zeit auf und ist dort vor und nach den Rundgängen die erste und letzte Ansprechperson für ihre Kolleg_innen aus der Vermittlung und für viele Besucher_innen. Letztere kaufen dort die Tickets und/oder Literatur zum Thema, melden sich für Rundgänge an, leihen sich Audioguides, lassen sich von ihr den Weg erklären und erzählen auch hin und wieder über ihre Beweggründe die Gedenkstätte aufzusuchen. Häufig wird Silvia auch von Überlebenden bzw. deren Angehörigen angesprochen. Für die Gespräche mit ihnen nimmt sie sich gerne Zeit. „Sie berühren mich sehr“, sagt sie und fügt hinzu: „Es wird einem dort so viel Herzlichkeit entgegen gebracht. Einmal ist mir eine US-amerikanische Besucherin nach unserer Unterhaltung fast um den Hals gefallen.“ 

Als Vermittlerin und Festangestellte genießt Silvia den Kontakt und die Kommunikation in den unterschiedlichsten Sprachen mit den vielen verschiedenen Menschen, denen sie dadurch begegnet. Sie mag ihre Aufgaben an diesem Ort und empfindet die Auseinandersetzung mit ihm als sehr wichtig. Bevor sie nach Dienstschluss nach Steyr heimfährt, schließt sie mit dem Ort ab. „Man muss das tun, wie in anderen Tätigkeiten auch.“

 

„Wenn ich mir vornehme was zu ändern, dann ist das ein guter Ort, um das zu versuchen.“ - Casimir

Casimir ist schon vor längerer Zeit als Fremdenführer auf das „Vermitteln“ in Gedenkstätten gestoßen. Sein Großvater war in einem Konzentrationslager inhaftiert, was sein Interesse an der Tätigkeit geweckt hat. So begleitet er seit nun dreizehn Jahren Besucher_innen an der Gedenkstätte Mauthausen, gelegentlich auch am Lern-und Gedenkort Schloss Hartheim und im ehemaligen Mauthausen-Außenlager Ebensee. Teil des Vermittler_innen-Teams in Mauthausen ist Casimir seit der ersten Ausbildung, jedoch bietet er seine Dienste auch außerhalb dessen an, auf Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch. Er beginnt seinen Rundgang vor den massiven Mauern des ehemaligen Schutzhaftlagers. Dieser Bereich ist für ihn besonders interessant, denn hier werden die Besucher_innen zum ersten Mal mit ihren Vorstellungen und teilweise Hirngespinsten konfrontiert. Die Menschen bringen viele skurrile Ideen mit an diesen Gedächtnisort und genau dann, wenn sie das erste Mal vor den hohen Mauern stehen, sprudeln diese meist in Form von Fragen aus ihnen heraus: Wo denn die ganzen Juden umgebracht wurden oder ob das Geräusch (Bohren der Renovierungsarbeiten) eine Soundinstallation sei, die das Leiden nachahmen soll.

Als Guide am Memorial Mauthausen zu arbeiten bedeutet für Casimir nicht nur eine Einkommensquelle, sondern auch eine Möglichkeit sich darin auszuprobieren, die Welt zu retten. Die Gedenkstätte als Ort empfindet er als sehr vielfältig, was auch mit der eigenen Empfindlichkeit zusammenhänge. Deshalb ist es für Casimir sehr wichtig darauf zu achten, den Ort da zu lassen, wo er ist, auf dem Hügel. Ihn von dort mit nach Hause zu nehmen, tue nicht gut.

Dieser Gedächtnisort hat für ihn viele verschiedene Facetten, er sei ein Ort des Leidens und Vernichtens, ein Ort der Überlebenden, aber auch ein Ort der Hoffnung. Auch wenn Letzteres für viele Außenstehende skurril klinge, für Casimir ist die Gedenkstätte Mauthausen ein Platz, an dem man etwas leisten kann, damit gewisse Dinge nicht wieder passieren. Auch wenn man dann doch zuhause Nachwirkungen einer anderen Facette spürt. „Das Dort-Lassen funktioniert eben nicht immer.“

 

„Die Menschen sollen zum Nachdenken anfangen, nicht nur über die Vergangenheit, am besten über sich selbst“ - Barbara

Barbara studiert Kultur- und Sozialanthropologie und ist durch einen Kommilitonen auf die Vermittlungsarbeit an der Gedenkstätte Mauthausen aufmerksam geworden. Nun macht sie seit drei Jahren als Teil des Vermittler_innen-Pools vor Ort Rundgänge, wird aber bald auch eine Fixanstellung im Museum annehmen, um sich noch intensiver am Memorial einbringen zu können. Durch ihren Großvater, der aufgrund seines Engagements im Widerstand nahezu die gesamte NS-Zeit im Zuchthaus verbringen musste, besteht für sie ein starker Zusammenhang zwischen Arbeit und Familiengeschichte.

Die Vermittlungsarbeit bietet ihr die Möglichkeit, sich mit anderen Menschen über ein so schwieriges Thema auszutauschen und diese zum Nachdenken anzuregen. Jene Interaktion sei ein Geben und Nehmen, man bekomme von der jeweiligen Gruppe meist auch immer viel zurück. Auch die Kolleg_innen sind ihr wichtig, um es an diesem schwierigen Ort auszuhalten.

Um die nötige Distanz zu dem schwierigen Platz gewinnen zu können, hilft ihr nicht nur die geographische Entfernung zwischen Mauthausen und ihrem Zuhause in Wien-Umgebung, auch die lange Autofahrt dahin nutzt sie, um sich etwaiger Nachwirkungen zu entledigen.

Der „Raum der Namen“ ist für sie ein besonderer Bereich, denn hier werden seit der Umgestaltung der Gedenkstätte die im Lagersystem getöteten Menschen mit ihrem Namen, in der jeweiligen Schrift (Kyrillisch, Griechisch, etc.) auf beleuchteten Glasplatten angeführt. „Er zeigt auf, wie divers wir Menschen sind“, sagt sie. „Wir haben verschiedene Sprachen und Schriften, wir sehen unterschiedlich aus usw... Aber was uns verbindet ist, dass wir alle Menschen sind. Wir sollten Respekt füreinander haben."

Der in unserer Gesellschaft oft fehlende Respekt für das Leben, habe den Nationalsozialismus erst möglich gemacht. Barbara möchte die Menschen zum Nachdenken anregen, nicht nur über die Vergangenheit, sondern am besten auch über sich selbst.

 

 

Wo sich Vergangenheit und Gegenwart treffen - Mauthausen

  • 27.01.2014, 12:10

Am 27.1. ist Holocaust-Gedenktag – ein Anlass, sich mit der Gedenkkultur in Österreich zu beschäftigen. Das Memorial Mauthausen sticht da besonders hervor. Nina Aichberger ist Guide in der Gedenkstätte und berichtet für progress online von der KZ-Gedenkstätte und seinen Mitarbeiter_innen.

Am 27.1. ist Holocaust-Gedenktag – ein Anlass, sich mit der Gedenkkultur in Österreich zu beschäftigen. Das Memorial Mauthausen sticht da besonders hervor. Nina Aichberger ist Guide in der Gedenkstätte und berichtet für progress online von der KZ-Gedenkstätte und ihren Mitarbeiter_innen.

Mauthausen ist fast jedem/jeder ein Begriff. Eine Exkursion mit der Schule zur KZ-Gedenkstätte ist keine Seltenheit. So strömen jährlich knapp 200.000 Schüler_innen, aber auch Studierende und Einzelbesucher_innen auf den Hügel, auf welchem sich das ehemalige Konzentrationslager befindet. Orte, wie die Gaskammer und die so genannte Todesstiege bleiben den meisten in Erinnerung. Ein Ort, an dem man sich besonders gerne aufhält, ist das Konzentrationslager auf Grund seiner Geschichte nicht. Es gibt jedoch Leute, die häufig, manche davon sogar jeden Tag, viel Zeit zwischen den Mauern und Gedenktafeln verbringen. Und zwar diejenigen, die dort arbeiten. Mauthausen ist kein verfallener, dunkler und verstaubter oder gar versteckter Ort, sondern eine gut besuchte und teilweise belebte Einrichtung, welche manchmal auch einer Umgestaltung oder Renovierung bedarf.

 

Überblick über den Denkmalhain aus der Richtung des Schutzhaftlagers mit Blick auf den Steinbruch. Foto: Nina Aichberger

Vom Konzentrationslager zur Gedenkstätte

1938 ließen die Nationalsozialisten nahe der Stadt Mauthausen auf einem Hügel das gleichnamige Konzentrationslager errichten. Für die bis Österreich weit verteilten 49 Außenlager fungierte es zu der Zeit als Mutterlager. Andere bekannte Standorte waren beispielsweise Gusen, Linz, Ebensee, Melk, Steyr, Wien und viele mehr. Am 8. Mai 1945 wurde das Lager von der US-Armee „befreit“ bzw. als Lager aufgelöst,, die Häftlinge wurden versorgt. Deshalb finden rund um dieses Datum die Befreiungsfeiern im Konzentrationslager statt. Ca. 200.000 Menschen wurden aufgrund ihrer politischen Gesinnung, ihres Glaubens, ihrer Herkunft oder sexuellen Ausrichtung in dieses Lagersystem verschleppt und rund die Hälfte ging an den Lebens- und Arbeitsbedingungen zugrunde oder wurde durch gezielte Exekutionen ermordet.

Von der US-Armee den sowjetischen Besatzern übergeben, erhielt Österreich im Jahre 1947 die Aufgabe aus dem ehemaligen KZ eine Gedenkstätte zu schaffen, was 1949 auch geschah. Heute ist das Memorial im Gegensatz zu vielen deutschen Gedenkstätten, welche in Stiftungen integriert sind, dem Bundesministerium für Inneres unterstellt, was immer wieder für Diskussionsstoff sorgt.

Auf dem österreichischen Denkmal am Appellplatz legen Besucher_innen Steine ab, um ihre Anteilnahme auszudrücken. Foto: Nina Aichberger

Pädagogische Neuerungen und Angebot

Seit 2007 gibt es eine pädagogische Abteilung, welche für die pädagogischen Angebote, die Ausbildung des Vermittler_innen-Teams und die Rahmenbedingungen eines Gedenkstättenbesuchs zuständig ist. Seitdem wurden drei Vermittlungsausbildungen durchgeführt und ein pädagogisches Konzept erstellt, ganz nach der zentralen Frage „Was hat das mit mir zu tun?“.

Das Team der Vermittler_innen aus dem Pool des Memorial, welche Besucher_innen an der Gedenkstätte begleiten, ist bunt gemischt. Von Studierenden über Pensionist_innen, bis hin zu Menschen, die  sich in ihrer Freizeit dem Thema widmen, ist alles dabei. Auch das pädagogische Angebot ist unterschiedlich. Die klassischen Rundgänge dauern zwei Stunden, Rundgänge mit einem Vor- und einem Nachgespräch bis zu dreieinhalb, ein Impulsrundgang im Sommer nur eine Stunde.

In der Gestaltung ihrer Arbeit sind die Mitglieder jedes Vermittler_innen-Pools sehr frei, werden aber auch nach ihrer Ausbildung von der pädagogischen Abteilung unterstützt. Es wird viel mit Fotos und Illustrationen, mit Plänen und Zitaten von Überlebenden gearbeitet, das ist besonders im Außenbereich sehr wichtig, denn dort sind fast keine Bauten mehr erhalten. So erkennt man die Vermittler_innen meist an einer dicken Fächermappe, in der sie ihre oft selbst laminierten Materialien mit sich herumtragen.

Im Zentrum der Begleitungen steht die Interaktion. Die Besucher_innen sollen sich durch Diskussionen mit den drei Perspektiven Opfer, Täter_innen und Umfeld beschäftigen. Von Frontalvorträgen und Gruselgeschichten hält man in der Gedenkstätte nichts. Häufig beginnt der Rundgang vor dem im Zuge der Neugestaltung errichteten Besucherzentrum, in welchem sich die Räumlichkeiten der Pädagogik und Verwaltung, sowie ein Bookshop, ein Café, Seminarräume usw. befinden. In der Regel führt die Tour dann um das festungsartige, so genannte „Schutzhaftlager“ herum und durch den Denkmalhain. In diesem ehemaligen SS-Bereich stehen nun Denkmäler vieler betroffener Nationen und Gruppen. Vom monströsen Monument der Sowjetunion, bis hin zur kleinen Marmorsäule Griechenlands, jedes Denkmal ist für sich einzigartig und interessant. Manche, wie das der BRD wird an den Befreiungsfeiern gern von Kindern als Lauframpe genutzt, das der Roma und Sinti als Aussichtsplattform in den Steinbruch.

Teil des Bulgarischen Denkmals am Denkmalhain. Foto: Nina Aichberger

Neugestaltung und Ausstellung

Im ehemaligen „Krankenrevier“ im Inneren der Festung, wurden letztes Jahr endlich zwei neue Ausstellungen eröffnet. Im Obergeschoß befindet sich unter anderem eine Ausstellung, welche sich mit der Geschichte des Konzentrationslagers beschäftigt, im Keller wird auf den Tatort Mauthausen eingegangen. Er soll die Besucher_innen auf die sich im Keller befindenden Exekutionsstätten vorbereiten. Durch die schlängelt sich ein beleuchteter Pfad, der auch Informationen zum jeweiligen Raum bereithält und seit neuem das Betreten zur Gaskammer als Pietätsraum verwehrt. Dieses noch nicht ganz optimierte Einbahnsystem führt auch durch den „Raum der Namen“, ein zusätzlicher neuer kollektiver Gedenkraum: In dem damaligen Leichenlagerraum wurden Glasplatten montiert, welche ein bisschen an ein Labyrinth erinnern. Auf diesen sind 81.000 Namen der im Lagersystem Verstorbenen angebracht. Da der Boden eine leichte Neigung hat, wirkt es beim Hineingehen, als würde man in dem Meer aus Namen versinken.

Aussicht auf den Garagenhof der SS. Rechts im Hintergrund ist das Besucherzentrum, links ist das Schutzhaftlager. Foto: Nina Aichberger

Ein Ort der Gegenwart

Sichtbar auf einem Hügel, umgeben von einem umwerfenden Ausblick erhebt sich die graue Festung der KZ-Gedenkstätte Mauthausen. Man begegnet nicht nur knarrenden Türen und sausendem Wind, sondern auch dem Brummen eines Rasenmähers oder dem Zwitschern der Schwalben, welche unter den Dächern der Baracken nisten. Zwar gibt es Tage,  besonders die, an denen es früher dunkel wird, an denen möchte man sich nicht gerne zur Sperrstunde im Inneren der massiven Mauern aufhalten, aber generell ist der Ort ein sehr belebter. So trifft man nicht nur weinende und traurige Gesichter, sondern auch lachende Schüler_innen und beispielsweise eine Gruppe jüdischer Frauen, welche an einem Gedenkstein ein fröhliches Lied singt oder einen Spaziergänger mit Hund im Außenbereich. Es ist ein Ort, an dem schreckliche Dinge passiert sind, Dinge, die sich niemand von uns vorstellen kann. Genau dieses Unvorstellbare lässt uns erschaudern und zusammenzucken. Den Ort selbst kreiert sich aber jede_r von uns selbst und oft ist es nicht nur der gespenstische Platz des Massensterbens, sondern auch ein Ort der Überlebenden, ein sich wandelnder Ort der Gegenwart, an dem man die Möglichkeit hat etwas aus der Geschichte und über sich selbst zu lernen.

Eine Blume auf einem Teil des Denkmals der DDR. Im Hintergrund sieht man auf den Steinbruch. Das Denkmal befindet sich direkt an der Steinbruchkante. Foto: Nina Aichberger

 

„Wenn ich mir vornehme was zu ändern, dann ist das ein guter Ort um das zu versuchen.“ - progress online Portraitstrecke An einer KZ-Gedenkstätte arbeiten

 

 

„Kein Platz für Yom Hashoah"

  • 24.10.2012, 17:35

See you soon again ist ein Film über die Holocaust-Überlebenden Leo Bretholz und Bluma Shapiro, die unermüdlich an Baltimore´s Schulen ihre Geschichten erzählen. Lisa Zeller erzählte die Filmemacherin Bernadette Wegenstein im progress-Interview über den Film, die Überlebenden in Baltimore und Hierarchien in der österreichischen Kultur.

See you soon again ist ein Film über die Holocaust-Überlebenden Leo Bretholz und Bluma Shapiro, die unermüdlich an Baltimore´s Schulen ihre Geschichten erzählen. Lisa Zeller erzählte die Filmemacherin Bernadette Wegenstein im progress-Interview über den Film, die Überlebenden in Baltimore und Hierarchien in der österreichischen Kultur.

Es ist Samstagnachmittag in Baltimore. Bernadette Wegenstein ist gerade zurück von einem Filmfestival in Boston, wo sie ihren aktuellen Film „See you soon again“ vorgestellt hat. Im Laufe unseres Gesprächs wird die Professorin und Filmemacherin zwei Mal angerufen. Einmal von einer Studentin, die sie zurückrufen wird. Das andere Mal muss sie den Anruf wirklich annehmen, denn: „Es geht um einen wichtigen Shoot nächste Woche“. Während wir über den aktuellen Film reden, ist sie schon längst mitten in der Arbeit für ihren nächsten.

progress: Sie publizieren viel im Bereich Körpermodifikation und Brustkrebs sowie deren Repräsentation in den Medien. Wie kamen Sie dann zum Film See you soon again?

Bernadette Wegenstein: Es kam eigentlich durch mein Interesses am Leo und durch die Kooperation mit Lukas Stepanik. Ich hab den Leo kennengelernt, weil ich Professorin an der Johns Hopkins in Baltimore bin. Ich bin dort hingezogen und hab damals für das erste Semester an der neuen Uni geplant, einen historischen Kurs über Holocaustfilme zu unterrichten. In dem Zusammenhang hat mir mein Nachbar erzählt: „Da gibt’s ja hier einen sehr berühmten legendären Holocaustüberlebenden und der ist wie Sie aus Wien.“ Den hab ich dann angerufen, sein Buch gelesen und irgendwie hat mich das sehr berührt. Davon hab ich dem Lukas Stepanik erzählt, der sowieso filmisch Interesse am Holocaust hat und dann haben wir das zusammengestellt. Das sind oft sehr biografische Zufälle, die natürlich auch zu allem Möglichen führen.

progress: Es gibt in Baltimore 100 Überlebende, die an Schulen gehen. Warum gerade Leo und Bluma?

Wegenstein: Viele wollen gar nicht gefilmt werden. Begleitet haben wir ungefähr fünf Überlebende, aber die anderen nie so weit wie Leo. Das hat sich während des Drehs ergeben. Leo ist für einen Cinéma Vérité-Film das perfekte Sujet. Man hat die Kamera ja sozusagen „in the face“ und er hat das total vergessen. Bluma ist eigentlich erst später in den Film hineingekommen. Wir haben mehrere Charaktere versucht zu entwickeln, aber dann hat es einfach unglaublich gepasst mit dem Leo. Seine Art ist so ein Auf und Ab und rein von den dramaturgischen Motiven hat es eine Balance gebraucht zu diesem Rhythmus. Da war die Bluma einfach eine ideale Counterfigur. Den anderen hab ich DVDs gemacht, damit sie sich auch sehen können.

progress: Leo scheint im Film mehr Rampenlicht zuzukommen als Bluma…

Wegenstein: Es ist schon klar, dass die Bluma im Film neben ihm steht. Das haben wir dann im Laufe des Schnitts und der Dramaturgie erst entschieden. Es ist so, dass diese Details des Überlebens und das Wie in seiner Geschichte viel klarer sind. Aber Bluma lassen wir zwei Mal ihre Geschichte anfangen und dann weitererzählen. Sie ist sozusagen elliptisch aufgebaut. Ihre Geschichte ist eben nicht so klar ersichtlich und das ist schade, da geb ich Ihnen recht. Aber die Geschichte der Bluma wird auf der US- als auch auf der österreichischen Seite des Films genau erklärt.

Außerdem ist Cinéma Vérité sozusagen dieser Anspruch, dass man die Wahrheit findet in der Realität, dass man die dann so darstellt, wie sie auch gewesen ist. Aber man braucht natürlich dazu eine Art von Filtersubjekt, über das diese Wahrheit irgendwie ausgeführt wird. Und dieses Subjekt bin natürlich ich, bzw. mein Ko-Regisseur Lukas. Ich würde auch sagen, dass der Film sozusagen eine Liebeserklärung an Leo ist, weil wir ihn so faszinierend gefunden haben durch seinen Charme und seinen Witz. Jedes Mal, wenn ich den Film sehe, hab ich auch noch das Gefühl, dass ich total fasziniert, aber auch sehr bewegt bin von diesem Mann und das ist in dem Film ausgedrückt. Insofern ist das durchaus eine subjektive Auswahl.

progress: Liegt das vielleicht daran, dass Sie selbst aus Wien sind?

Wegenstein: Das liegt sicherlich daran, dass ich aus Wien bin, doch es gibt viele Wiener Juden hier. Aber mich fasziniert am Leo auch dieses eine Ereignis in seinem Leben: diese Schuld, die er auch fühlt, dass er Wien als Erster verlassen hat und dass seine Schwester und seine Mutter da nicht rausgekommen sind. Daran denkt er zurück in allen möglichen Wegen. Also er ist total „obsessed“, ein richtig neurotischer traumatisierter Mensch und mich faszinieren solche Menschen. Ich frage mich, was ist so einem Menschen passiert? Wie ist er da hingekommen?

progress: Was haben Sie persönlich bei dieser Arbeit dazugelernt?

Wegenstein: Was ich gelernt hab, ist, dass es für so traumatisierte Menschen wie Leo und Bluma in Wahrheit keine Heilung gibt. Es gibt historische Wunden und Sachen, wie die Sklaverei, den Holocaust oder den Genozid im Sudan oder Darfur oder auch der Krieg, den die USA gegen den Islam führt, wovon man sich jahrhundertelang nicht erholt. Das sind Emotionen, die man auch gar nicht nachvollziehen kann. All das hat extrem lange Nachwirkungen. Das hab ich mir irgendwie anders vorgestellt. Ich hab schon gedacht, dass ein Holocaust-Überlebender, der schon seit mehreren Jahren umhergeht und das erzählt, das sozusagen schon bewältigt hat. Aber das ist nicht so. Das hab ich eben auch ganz bewusst in dem Film gezeigt, dass es auf diese offenen Wunden keine Antwort gibt und es keinen Sinn macht, diese zu vergleichen, weil da nix rauskommt.

Was ich auch gesehen habe, ist, dass sich Leo kleines Wiener Shtetl (jüdisches Wort für Dorf, Anmerkung) aufgebaut hat, wie er es in Wien auf der Mazzo-Insel zurückgelassen hat. Ich glaube, dass das viele Migranten, inklusive meiner selbst, machen. Nach 13 Jahren, die ich jetzt in den USA lebe, perpetuiere ich eben trotzdem gewisse Dinge, die ich aus der Kindheit hab. Man nimmt sich überall hin mit, egal wo man ist, also ob man nach Amerika geht, oder ob man, Gott bewahre, in einen Zug gesteckt wird nach Auschwitz. Man ist immer mit sich selbst und das sieht man halt auch beim Leo oder etwa bei Blumas Großnichte, Livia, die in Colorado studiert. Sie hat mir erzählt, sie beginnt dort ein neues Leben und ein Studium und all das – und dann hat sich rausgestellt, dass sie dort Kurse über Holocaust-Traumata belegt. Sie nimmt sich den Holocaust eben dorthin mit. Das wird vergessen und das ist glaub ich in Österreich auch nicht ganz bewusst, wenn ich gefragt werde: „Warum können wir den Holocaust nicht einfach vergessen und diese Geschichte nicht irgendwie ausklammern?“

progress: Es ist schon bezeichnend, dass Sie das in Österreich gefragt werden…

Wegenstein: Genau und aus amerikanischer Sicht kann man das nicht ausklammern, denn hier gibt es nicht eine Geschichte. Hier gibt’s diese ganzen „communities“, die Afro-Amerikaner, die Juden und die Christen. Natürlich gibt’s Minderheiten, aber die werden extrem ernst genommen, auch legislativ. Das kann man ja überhaupt nicht vergleichen. Man hat eine völlig andere Gesetzesgrundlage, die reflektiert, wie man über Zugehörigkeiten, über Beruf und über solche Sachen denkt, also wer sozusagen das Recht hat, einen Namen zu tragen und all das. Hier kann man hingehen und sagen „I want to be called `Bloody Idiot´“. Das ist vielleicht nicht so leicht, aber man würde das durchkriegen auf dem Standesamt, wenn man das Gefühl hat, man ist so und so will man sein. Dadurch ist es so eine blöde Frage, ob wir den Holocaust vergessen wollen. Ich mein, was soll das bitte? Das geht einfach gar nicht aus dieser hiesigen Sicht. Man muss deswegen auch nicht übersentimental sein. Natürlich hat das nichts mit einem persönlich zu tun und niemand sollte einen dessen beschuldigen, aber das heißt nicht, dass man sich nicht anschaut, was auf österreichischem Grund und Boden passiert ist.

progress: Wie spürt man den Einfluss der survivor community auf Baltimore selbst?

Wegenstein: Den spürt man insofern, dass alle Schüler in Baltimore mindestens einen Holocaust Überlebenden in der Schule kennenlernen. Also dafür, dass es nicht Österreich ist, ist es beachtlich, dass man die jüdische Gemeinde hier so ernst nimmt und dass das eben zum Allwissen gehört. Das spürt man auch.

Außerdem gibt es den Holocaust-Rememberance Day, Yom Hashoah, im April. Der ist hier allen ein Begriff und das ist für mich auch das beste Beweisstück, das ich immer gerne angeführt habe vor Österreichern, die gesagt haben: „Naja, aber man hat den Holocaust ja auch nicht vergessen!“, aber es geht ja nicht darum!

progress: Worum geht es dann?

Wegenstein: Es geht darum, was die Institutionen damit machen. Der Yom Hashoah Remembrance Day ist hier relativ institutionalisiert. Das heißt, dass es eben wie ein Feiertag auch gefeiert wird in mehreren Ländern weltweit. In Österreich ein unbekannter Tag! Da wird er erstens nicht gefeiert und zweitens weiß auch niemand, was das soll und das find ich schon arg, muss ich sagen. Ich versteh das nicht! Das heißt ja nicht, dass man hingehen muss, aber wenn Weihnachten ist, weiß auch jeder, was das ist!

Aber so ist die Kultur: Die Kultur zeigt sich dann eben immer auch aus hierarchischer Sicht und die Hierarchie in der österreichischen Kultur und Wien ist ja eine katholische, da ist sozusagen kein Platz für Yom Hashoah.

progress: Was wird Ihr nächster Film behandeln?

Wegenstein: Jetzt mache ich gerade einen Film über Brustkrebs und Körpermodifikation.

 

Eine Rezension zum Film See you soon again findet ihr hier

„Wir müssen es tun”

  • 24.10.2012, 17:12

Die Holocaust-Überlebenden Leo Bretholz und Bluma Shapiro erzählen ihre Geschichte an Schulen in Baltimore. Im Film See you soon again werden sie dabei begleitet.

See you soon again. Eine Filmrezension.

 „I am over-holocausted“, sagt der Holocaust-Überlebende Leo Bretholz in einer Szene des Films See you soon again. „Aber wir müssen es tun, um an die Opfer zu erinnern“, antwortet der ehemalige Wiener einer Schülerin in einer anderen Szene auf die Frage, ob er es nicht manchmal leid ist, davon zu erzählen. Leo lebt in Baltimore, wo er und weitere Mitglieder der Übelebendengemeinde seit Jahren an Schulen gehen, um ihre Geschichten mit den SchülerInnen zu teilen. Lukas Stepanik und Bernadette Wegenstein begleiten ihn und Bluma Shapiro auf ihrer unermüdlichen Reise durch die unterschiedlichsten Schulen und ZuhörerInnenkreise. Nicht ihre Geschichten, sondern die Personen selbst und ihr Umgang mit der Vergangenheit stehen im Mittelpunkt des Films. So erleben die ZuseherInnen ihre Höhen und Tiefen hautnah mit. Vor allem bei Leo, der sehr temperamentvoll auf Fragen reagieren kann, wenn er sich nicht verstanden fühlt, dennoch aber an anderer Stelle mit viel Witz und Charme seine Geschichte übermittelt. Abgerundet wird dies durch die gebürtige Polin Bluma, die eher gefasst wirkt und ganz klar das Ziel verfolgt, „wenigstens ein Kind zu erreichen“. Bei ihr zeigt sich zudem ein Generationenkonflikt innerhalb der Überlebendengemeinde. Ihre Großnichte Livia streitet sich fast mit ihr darüber, ob auch Kinder und Enkelkinder der Überlebenden zur Überlebendengemeinde gehören oder nicht  und stellt klar, dass auch die nachfolgende Generation der Überlebenden traumatisiert ist.
Damit werden im Film verschiedene Aspekte und Reaktionen auf die Holocaust-Überlebenden beleuchtet.

See you soon again ist ein klug inszenierter, liebevoller und glaubhafter Cinéma-Vérité-Film, der durch seine Mischung aus Humor und überzeugender Ernsthaftigkeit zum Lachen wie auch zum Nachdenken anregt und somit einen bittersüßen Nachgeschmack hinterlässt. Auch wenn geschichtliche Aspekte nicht im Mittelpunkt stehen, werden sie den ZuseherInnen doch nähergebracht. Insbesondere von Leo. Wenn er etwa über seine letzte Fahrt am 25. Oktober 1938 in Wien mit der 5er Straßenbahn Richtung Westbahnhof berichtet, werden die langfristigen Auswirkungen der Juden- und Jüdinnenvefolgung realer als es jedes Geschichtsbuch darzustellen vermag.

SEE YOU SOON AGAIN
Lukas Stepanik/Bernadette Wegenstein, A/USA 2012, OmU, DCP, 79 min.

Zum Trailer des Films, zur Webseite und zu den Spielterminen.

Sodom und Andorra

  • 04.10.2012, 23:44

Was in Schulen gelesen wird und wo dabei das Problem liegt. Ein Kommentar von Simon Sailer.

Was in Schulen gelesen wird und wo dabei das Problem liegt. Ein Kommentar von Simon Sailer.

Seit 1989 gibt es im österreichischen Lehrplan für den Deutschunterricht keine Leselisten mehr. Allerdings sieht er weiterhin vor, für die verschiedenen Epochen der Literaturgeschichte repräsentative Werke zu behandeln. Gerade, wenn es um Antisemitismus und Nationalsozialismus geht, wird jedoch auch ohne Liste immer wieder zu den gleichen Werken gegriffen. Und so arbeitet sich jede  Klasse aufs Neue durch das Tagebuch der Anne Frank, Andorra und Auszüge aus der Blechtrommel. Hin und wieder werden vielleicht auch Thomas Bernhards Heldenplatz oder Passagen aus Karl Kraus’ Die letzten Tage der Menschheit berücksichtigt. Dabei werden diese Werke – das kann aus eigener Erfahrung und den Berichten anderer mit einiger Gewissheit gesagt werden – meist nicht problematisiert, sondern als die Wahrheit über die Zeit, den Antisemitismus und die Menschen im Allgemeinen präsentiert.

Probleme. Zu problematisieren gäbe es an manchen der genannten Schriften aber durchaus einiges. Max Frischs Andorra wurde etwa von dem Kabarettisten Georg Kreisler als „schwach auf der Brust und latent antisemitisch“ angesehen. Ein Urteil, das Kreisler nicht nur so nebenher gegen einen von ihm Ungeliebten losließ. Zusammen mit KünstlerInnen wie Topsy Küppers und Kurt Sowinetz vertonte er sogar eine Parodie, die den plakativen Titel Sodom und Andorra trägt. Frisch versucht in seinem Stück die Funktionsweise von Antisemitismus aufzuzeigen. Die recht durchsichtige These lautet, dass es das antisemitische Vorurteil sei, welches die Juden zu Juden mache. In dem Stück gilt der junge Andri in seinem Dorf im erfundenen Land Andorra als Jude und nimmt aufgrund der Behandlung durch die Bevölkerung schließlich jene Eigenschaften an, die nach Frisch das antisemitische Stereotyp charakterisieren. Der Tischler will die Meisterschaft seiner Arbeit nicht anerkennen und zwingt ihn in den Verkauf, der Pfarrer dagegen will eine besondere Gabe bemerkt haben und empfiehlt ihm, in die Wissenschaft zu gehen. Der derart gegängelte Andri wird schließlich nervös, unruhig, wittert überall Antisemitismus und zieht sich schließlich auf die Position zurück, sich nur  noch um Geld kümmern zu wollen.

Der wohl gut gemeinte Versuch, die Wirkmächtigkeit von Vorurteilen zu demonstrieren, endet, genauer betrachtet, in einer Affirmation der antisemitischen Karikatur, die Andri schließlich darstellt. Fast als wäre Frisch der Ansicht, die Juden – bei ihm ist der archetypische Jude schließlich ein Mann – sind schon so, nur liege dies nicht in ihrem Wesen, sondern die antisemitische Gesellschaft habe sie selbst hervorgebracht. Da wundert es dann wenig, dass in seinem Stück keine Jüdinnen oder Juden in positiven Rollen vorkommen. Andri stellt sich schließlich als Andorraner heraus, positive jüdische Figuren würden das Bild des Juden als manifestierte Projektion nur stören.

Würden solche Probleme im Unterricht behandelt werden, wäre an der Lektüre nichts auszusetzen. Aber in der Praxis werden diese Werke als Lehrstücke behandelt, fast als aus der Wirklichkeit genommene Beispiele. Was will uns der Autor sagen? Was lernen wir daraus?

Textwahl. Darüber hinaus ist bemerkenswert, welche Schriften nie oder nur sehr selten im Unterricht behandelt werden: so beispielsweise Bertolt Brechts Furcht und Elend des Dritten Reichs, ein Stück, das der Autor im Exil in den 1930er-Jahren verfasste. Oder Edgar Hilsenraths Der Nazi und der Friseur, das zunächst nur in der englischen Übersetzung erscheinen konnte, weil im  Deutschland der 1960er niemand bereit war, diesen Roman zu veröffentlichen, der als Anti-Blechtrommel bezeichnet werden könnte. Hilsenrath schildert den Nationalsozialismus aus der ungeschönten Sicht eines Täters in seiner Kontinuität bis in die Gegenwart. Anders als bei den nivellierenden Formulierungen Grass’ handelt es sich um eine wirkliche Groteske: eine, die real bleibt.

Hilsenraths Darstellung spitzt die Brutalität aufs Äußerste zu und steigert sie ins Unmögliche, ohne dabei den Charakter der Realität einzubüßen. In Deutschland konnte dieses Buch erst Ende der 1970er-Jahre erscheinen, obwohl es zuvor bereits in den USA große Erfolge erzielt hatte. Es ist kein Zufall, dass Die Blechtrommel als das Buch der Deutschen bezeichnet werden kann, während sich  ein Autor wie Edgar Hilsenrath erst allmählich etablieren konnte. In Schulen wird er wohl niemals vergleichbar oft gelesen werden wie Grass.

Kritik. Natürlich kann die Konsequenz daraus nicht darin bestehen, die Lektüre dieses oder jenes Werkes anzuempfehlen. Es ist durchaus eine Errungenschaft, dass Lehrern und Lehrerinnen große Freiheit in der Auswahl der behandelten Texte zugestanden und dadurch eine Vielfalt der behandelten Werke begünstigt wird. Das Problem liegt allerdings in der unkritischen Behandlung der schließlich ausgewählten Texte. Literatur, die sich kritisch mit Nationalsozialismus und Antisemitismus befasst, müsste daraufhin untersucht werden, ob sie ihrem Anspruch gerecht wird, welche Vorstellungen von Antisemitismus, von Geschichte und Gesellschaft ihr zugrunde liegen und ob sie womöglich selbst antisemitische Topoi enthält oder Entlastungsangebote macht. Auch diese Aufgabe obliegt schließlich den Lehrenden. Ihre Erfüllung könnte aber von einem gesellschaftlichen Klima gestützt werden, in dem nicht alles, was kritisch daherkommt, zum nicht zu hinterfragenden Nonplusultra erklärt wird – je plakativer desto besser.

Verzögerte Erinnerung

  • 28.09.2012, 00:24

Etwa 8000 tschechische Roma fielen zwischen 1939 und 1944 dem Holocaust zum Opfer. Über einen Kampf ums Gedenken, bei dem kein Ende in Sicht ist.

Etwa 8000 tschechische Roma fielen zwischen 1939 und 1944 dem Holocaust zum Opfer. Über einen Kampf ums Gedenken, bei dem kein Ende in Sicht ist.

20 Kilometer nördlich von Brünn liegt Hodonín. Mitten im böhmisch-mährischen Plateau gelegen, windet sich - von Süden kommend - eine Landstraße zu der kleinen, versteckt gelegenen Gemeinde hinauf. Verlässt man Hodonín nordöstlich auf derselben Straße, gelangt man nach etwa 500 Metern zu einer Abzweigung, die in den Wald hineinführt. Wer an dieser Stelle abbiegt, kommt zu einem umzäunten Areal, das, auf einem Abhang gebettet und von Bäumen umgeben, von der Straße aus nicht sichtbar ist. Hinter dem Zaun befinden sich ein großes Haus und mehrere kleine Holzhütten. In der Mitte eine etwas größere Baracke mit gemauerten Schornsteinen, daneben ein Swimmingpool. Keine Menschenseele. Vor dem Zaun ein großer Stein mit goldener Inschrift.

Zwischen Mai und August 1943 wurden aus Hodonín 849 Menschen in Lastwägen direkt nach Auschwitz II (Birkenau) deportiert. Im Protektorat Böhmen und Mähren war Hodonín eines von zwei „Zigeunerlagern“, in denen gemäß der NS-deutschen Reichsverordnung „Bekämpfung der Zigeunerplage“ Frauen, Männer und Kinder inhaftiert waren, die als „Zigeuner“, „Zigeunermischlinge“ oder „nach Zigeunerart Umherziehende“ klassifiziert wurden. Im mährischen Hodonín und dem böhmischen Lager Lety leisteten die InsassInnen unter einem rigorosen Strafregiment und verheerenden hygienischen Bedingungen Zwangsarbeit. Es brachen Epidemien aus, Hunderte starben an Typhus und Fleckfieber. Etwa 8000 tschechische Roma, deren Namen in Listen erfasst wurden, kamen nach Auschwitz. Knapp 1000 überlebten, 600 kehrten in ihre Heimat zurück.

SPÄT EINGESTANDENE SCHULD. Da der Holocaust in den Schulbüchern der ČSSR, der tschechoslowakischen sozialistischen Republik, gänzlich ausgespart wurde, war es auch lange Zeit ein Tabu, über die Verfolgung von Angehörigen der Roma-Minderheit zu sprechen. Gedenken fand bis zur Revolution 1989 ausschließlich im geheimen Kreis der Betroffenen statt, daran änderte sich auch in der Tschechoslowakei nach der Wende zunächst nichts. Der Knalleffekt kam 1994, als Paul Polansky, ein amerikanischer Hobbyhistoriker, den tschechischen Staat der Vertuschung eines Völkermords bezichtigte. Eine Gruppe ehemaliger Dissidenten griff Polanskys Anschuldigungen auf und erhob Anklage gegen die Tschechische Republik. Erstmals wurde die tschechische Bevölkerung, und nicht, wie zuvor, die deutschen Nazis, offen mit der Frage der Schuld und der MittäterInnenschaft konfrontiert. Die Untersuchungen ergaben, dass an jeglichen Elementen der Verfolgung - von der Administration bis zu den Erschießungskommandos in den Lagern - durchwegs tschechische BeamtInnen beteiligt gewesen waren. Unter den Überlebenden und jenen geschätzt 300.000 slowakischen Roma, die heute in Tschechien leben, überwog ab diesem Zeitpunkt die Angst, Opfer rassistischer Übergriffe zu werden: Insbesondere nach der Gründung der Republik erklomm der Hass gegen Roma als lebendiges Relikt einer ungeliebten Ära neue Höhen. Die meisten Betroffenen der NS-Verfolgung, die als ZeitzeugInnen für historische Recherchen helfen wollten, baten um Anonymität. Dennoch wurde 1998 das „Komitee für die Entschädigung des Roma-Holocaust“ gegründet, dessen Präsident Čeněk Růžička, Sohn eines Überlebenden des KZ Lety, seither der wichtigste Ansprechpartner auf Seiten der Roma ist. 2001 erhielten erstmals auch Roma Entschädigungszahlungen, die Tschechien seit Ende der 1990er an Holocaust-Opfer zahlte. Der öffentliche Diskurs um die Erinnerung kam erst nach dem EU-Beitritt Tschechiens ins Rollen, als im Brüsseler Sitz des EU-Parlaments die Ausstellung „Lety - Die Geschichte eines verschwiegenen Völkermords“ gezeigt wurde. Initiator war Milan Horáček, gebürtiger Tscheche und Europaabgeordneter für die deutschen Grünen. In Tschechien entpuppte sich der amtierende konservative Präsident Václav Klaus als Vertreter einer revisionistischen Position, der äußere Umstände (Flecktyphus-Epidemie in einem Lager für „Arbeitsscheue“ des Protektorats) für den Tod von Lagerinternierten machte. Dieses Paradigma fiel, als der damalige sozialdemokratische Premierminister Jiří Paroubek öffentlich zu Protokoll gab, dass das ehemalige Lager wohl tatsächlich ein KZ gewesen sei. Die Ausstellung wurde daraufhin in den Tschechischen Senat verlegt, und Paroubek setzte mit seinem Besuch eine symbolische Geste der Anerkennung.

DAS SYMBOL LETY. Wer in Tschechien Lety hört, denkt jedoch sofort an die sich heute dort befindende Schweinemast. In den vergangenen Jahren konnte die tschechische Regierung das Versprechen, die Farm den Besitzern abzukaufen und dem Komitee zur Errichtung eines Mahnmals zur Verfügung zu stellen, dazu nutzen, mit der antiziganistisch gefärbten Einstellung der Mehrheitsbevölkerung zu spielen. Als 2008 der Kauf des Areals kurz bevorstand, verlautbarte Premier Paroubek, man wolle die angeblich benötigten 25 Millionen Dollar doch lieber in das Bildungsniveau sozial benachteiligter Roma-Kinder investieren. Seit einigen Jahren fragt das Europäische Parlament regelmäßig nach „Fortschritten“ in der Sache Lety. Der Grund dafür ist, dass eine Resolution des Europäischen Parlaments, die allgemeine Standards für einen menschenwürdigen Umgang mit der europäischen Roma- und Sinti-Minderheit definierte, als einzige konkrete Forderung an einen konkreten Mitgliedsstaat die Schließung der Farm enthielt.

Um von Lety abzulenken, bemühte sich die tschechische Regierung um eine „Ersatzleistung“, was 2009 den Lagerort Hodonín zurück auf die Bildfläche brachte. Es sollte ein „internationales Forschungs- und Ausbildungszentrum“ für Schulklassen auf dem Arsenal entstehen. Doch auch drei Jahre später sucht man dieses vergebens. Nur der Gedenkstein gibt etwaigen BesucherInnen ein sicheres Indiz, dass sie hier überhaupt richtig sind. Seitens der Mediensprecherin des Museums heißt es auf Anfrage, dass man „mit dem Projekt schon seit Längerem nichts mehr zu tun“ habe. „Bitte wenden Sie sich an das Pädagogische Museum in Prag.“ Der Verantwortliche in Prag kann zu seiner eigenen Arbeit keine nähere Auskunft geben, man beschäftige sich aber intensiv mit den Plänen für eine Gedenkstätte.

EUROPÄISCHE WILLKÜR? Die Sturheit im Umgang mit Lety und die zeitweilige Ignoranz gegenüber Forderungen der Hinterbliebenen fügt sich gut in ein Bild Tschechiens als Land ein, dessen Probleme von der wachsenden Zahl gewaltsamer rassistischer Übergriffe bis zur selbstverschuldeten Ohnmacht gegenüber einer verelendeten und zusehends sozial isoliert lebenden Minderheit reichen. Was dabei schnell übersehen wird: „Zigeunerlager“ gab es nicht nur in Tschechien. Und: Antiziganismus ist ein europäisches Problem, das alle EU-Mitgliedstaaten betrifft. In Österreich wurde zuletzt wegen des Verbots des sogenannten „bandenmäßigen Bettelwesens“ über die Kriminalisierung einer ohnehin stigmatisierten Bevölkerungsgruppe - nämlich jener der Roma und Sinti - diskutiert. Im burgenländischen Lackenbach waren nach dem „Anschluss“ 2300 Roma unter KZ-ähnlichen Bedingungen inhaftiert. 1941 erfolgte die Deportation von 5000 Burgenland-Roma in das Ghetto Łódź in Polen. Niemand überlebte. Weitere 2900 wurden 1943 direkt nach Auschwitz deportiert. In Lackenbach steht schon lange ein Mahnmal. Ob es jemand kennt?