Hedonismus

Feiern gegen die Gesamtscheiße

  • 23.02.2017, 20:20
Veganismus, Partykommunismus, Freie Liebe und Straight Edge – wie passt das zusammen? Gibt es ein richtiges Leben im falschen oder muss ich eh nicht recyclen?

Veganismus, Partykommunismus, Freie Liebe und Straight Edge – wie passt das zusammen? Gibt es ein richtiges Leben im falschen oder muss ich eh nicht recyclen?

Der Winter ist vorbei und mit den ersten Sonnenstrahlen tauchen auch die ersten Gedanken an die Festival-Saison auf. Während die einen im Winter auf einen erfüllten Ferienkommunismus zurückblicken konnten, haben andere daheim weiter gearbeitet: am Refugee-Projekt, im Haushalt, haben Demos angemeldet oder ihr Zuhause verteidigt. Der Ärger über den Hedonismus ist nicht neu, auch nicht die Frage, wie links oder subversiv es sein kann, mehrere Tage unter dem Motto „Koksen, Kotzen, Kommunismus“ in einer arrangierten Parallelwelt zu feiern.

Wer ein Festival wie die „Fusion“ besuchen kann und wer nicht, wird durch die hohen Kosten für die Anreise, die Vergabe teurer Tickets im Lotterie- Verfahren und andere Barrieren, wie etwa Stacheldraht, festgelegt: ein weitestgehend junges, weißes Publikum, das unkritisch Federkopfschmuck oder Dreadlocks trägt. Das Statement der Veranstaltenden, „Vier Tage Ferienkommunismus ist das Motto der ‚Fusion‘. (…) Weil es aber keinen Ort nirgends gibt, wo die Menschen frei sind, ist es gerade die Vereinigung der FusionistInnen aller Länder und der Ferienkommunismus, der uns spüren lässt, dass wir mehr wollen, als das, was uns in diesem Leben geboten wird. Nämlich alles und zwar sofort!“, meint eben alles für alle mit bezahltem Ticket. Nun sind der Besuch von Dixie-Klos und Dauerrausch nicht unbedingt eine rühmliche oder produktive Freizeitgestaltung, aber für manche eben Erholung. Gerne werden vermeintliche „Wohlfühllinke“ kritisiert, die bloß zu Festivals und Soli-Partys gehen, nicht aber nicht bei Lesekreisen und Plena auftauchen. Kapitalistische Härte für alle zu fordern, passt gut in eine Zeit, in der die Kritik an einer kalten Ellenbogen-Gesellschaft ins Gegenteil umschwenkt. Mit Begriffen wie „Slacking“, also dem ambitionslosen Herumhängen, oder „Cocooning“, dem angeblichen Rückzug ins Private, wird Kritik geäußert: Der Rückzug in die persönliche „Comfortzone“ und das „Einbubbeln“ seien Probleme, die genauso wie Netzaktivismus überwunden werden müssten. Das glauben nicht nur Berufsberater_innen, sondern auch asketisch orientierte Linke.

[[{"fid":"2381","view_mode":"colorbox","fields":{"format":"colorbox","field_file_image_alt_text[und][0][value]":"Foto: Stephanie Gmeiner","field_file_image_title_text[und][0][value]":"Foto: Stephanie Gmeiner"},"type":"media","attributes":{"alt":"Foto: Stephanie Gmeiner","title":"Foto: Stephanie Gmeiner","height":"253","width":"380","class":"media-element file-colorbox"}}]]

Dabei wird eine Revolution wohl auch nicht von jenen ausgelöst, die sich nicht auf Festivals schon morgens mit Pfefferminzschnaps betrinken oder „Pokémon Go“ spielen. Hedonistische und materielle Lebensweisen – als „Opium fürs Volk“ (Lenin) – abzulehnen, vergrößert die Kluft zwischen Theorie und Praxis. Während das „Antifaschistische Sommercamp“ sicherlich mehr linke ECTS bringt als der Besuch des „Nova Rock“, haben beide gemeinsam, dass dort Kontakte geknüpft und gepflegt werden, Beziehungen, Freundschaften und Projektideen entstehen. Das Versinken in der Party, der Musik, in einem Pulk Menschen, die sich gegenseitig akzeptieren, kann eine einzigartige Erfahrung sein und einen Schutzraum, fern von Alltagsproblemen oder Diskriminierungen, bieten. Ein Festival kann auch sinnlose Gaudi und Besäufnis im Dreck sein, ohne Anspruch auf Verwertbarkeit. Statt dies abzulehnen, sollte ein linker Selbstanspruch lauten, solche Erfahrungen und das gute Leben allen zugänglich zu machen. Denn Burnout ist nicht nur im Job, sondern auch in der aktivistischen oder ehrenamtlichen Arbeit ein Thema.

KAPITALISTISCHE HÄRTE FÜR ALLE. Ohne Bezahlung, dafür mit Gruppendruck und nach dem Motto „Wer macht, hat Recht“, wird auch in der Linken teilweise bis zur Selbstaufgabe gearbeitet. Wer sich durch besonderes Engagement hervortut, verschafft sich Wert und Bedeutung. Das Recht der Macher_innen führt fast unweigerlich auch zu Gatekeeping, also der Macht über Informationsflüsse und Zugang zu Ressourcen. Solche Entwicklungen und Haltungen unterscheiden sich manchmal kaum von ausbeuterischen Strukturen der Arbeitswelt. So wird gegenseitige Mobilisierung zur Regulierung. Wer sich wann, mit wem, auf welcher Demo zeigt oder nicht, wird beobachtet und bewertet, ohne unterschiedliche Abilities oder Arbeitsverhältnisse einzubeziehen oder sich zu fragen, wer sich wieviel Freizeitopfer oder die Fahrkarte zur Projektbesprechung leisten kann. Wie gefährlich das ist, zeigen mehrere Fälle, in denen Polizeispitzel lokale Projekte wie etwa die „Rote Flora“ in Hamburg unterwandern konnten oder (mutmaßliche) Vergewaltiger wie Assange und Jacob Appelbaum wichtige Rollen in aktivistischen Umfeldern einnehmen konnten.

[[{"fid":"2382","view_mode":"colorbox","fields":{"format":"colorbox","field_file_image_alt_text[und][0][value]":"Foto: Stephanie Gmeiner","field_file_image_title_text[und][0][value]":"Foto: Stephanie Gmeiner"},"type":"media","attributes":{"alt":"Foto: Stephanie Gmeiner","title":"Foto: Stephanie Gmeiner","height":"253","width":"380","class":"media-element file-colorbox"}}]]

YO, FUTURE! „Don’t smoke, don’t drink, don’t fuck, at least I can fucking think“, singt Ian MacKaye von der Band Minor Threat im Song „Out of Step“, der zentral bei der Entstehung der asketisch lebenden Straight-Edge-Bewegung (sXe) war. So daneben zugequalmte Kulturzentren, betrunkene Ausfälle und unbefriedigende One-Night-Stands auch sein mögen, der Gegenentwurf zur selbstzerstörerischen Punk-Kultur der 80er („No Future“) klingt im heutigen Kontext, in dem „bewusster“ Konsum und Verzicht im selbstoptimierenden Mainstream angekommen sind, fast wie eine Erhebung über die Rauchenden, Trinkenden und Fickenden. Denen wird, zumindest implizit, die Fähigkeit zum eigenständigen Denken abgesprochen.

Die nüchterne Subkultur argumentiert etwa, dass für die Gestaltung politischer Aktionen ein klarer Kopf von Vorteil sei. Wer vor Demos und Aktionen Alkohol trinkt oder Drogen nimmt, gefährdet sich selbst und andere, das steht in jeder „Demo 1x1“- Broschüre. Ein Handbuch für das richtige Linkssein im falschen gibt es aber glücklicherweise nicht. So ist sXe ein radikaler Versuch, politische Dimensionen des eigenen Konsums oder Verzichts aufzuzeigen. Viele Edger_innen leben zudem vegan und denken beispielsweise durch Antispeziismus oder Unterstützung von Fair-Trade-Produkten Machtverhältnisse in ihren Konsumpraxen mit.

Auch über Esskultur werden Machtverhältnisse, Rassismen und Klassen reproduziert. Wer, was und wie öffentlich essen darf oder nicht, ist nicht erst dann politisch, wenn ein „denn’s“-Biomarkt in die ehemalige „Zielpunkt“-Filiale einzieht oder auf der Straße Fat- und Bodyshaming betrieben werden. Anzunehmen, jede Küche, in der Chia-Samen verwendet werden, wäre Brutstätte für Körperkult oder moralische Überheblichkeit, ist jedoch genauso falsch, wie zu glauben, die Kaufentscheidung für die saisonalen, regionalen Bio-Zucchini, wären ein wirksames Statement. Mögen sich auch einzelne durch ihre Ernährungsform und Lifestyle-Wahl über andere erheben wollen, versuchen die meisten doch schlicht, zu essen, was sie sich leisten können, was ihnen gut tut und für sie selbst ethisch vertretbar ist. Als Verbraucher_in ist kaum zu überblicken, wie Produktions- und Beschäftigungsbedingungen oder Konzernstrukturen wirklich aussehen.

[[{"fid":"2383","view_mode":"colorbox","fields":{"format":"colorbox","field_file_image_alt_text[und][0][value]":"Foto: Stephanie Gmeiner","field_file_image_title_text[und][0][value]":"Foto: Stephanie Gmeiner"},"type":"media","attributes":{"alt":"Foto: Stephanie Gmeiner","title":"Foto: Stephanie Gmeiner","height":"253","width":"380","class":"media-element file-colorbox"}}]]

SAUFEN, SNICKERS, SELF-CARE. Das bekannte Zitat „Mich um mich selbst zu sorgen, heißt nicht, sich gehen zu lassen. Es ist selbsterhaltend und das ist ein Mittel des politischen Kampfs“ von Audre Lorde setzt destruktiven Machtstrukturen das Konzept der „self-care“, also der Selbstfürsorge, und der radikalen „self-love“ entgegen. „Sich nicht gehen lassen“, regelmäßige Mahlzeiten und auch gesunde Ernährung können self-care sein. Für sich selbst zu sorgen, kann aber auch bedeuten, maßlos Junkfood zu essen, wochenlang mit niemandem zu reden und Videospiele zu spielen. Das Saufen auf dem Festival oder die Familienpackung Snickers sind nicht nur selbstschädigend, sie bedienen bloß andere Bedürfnisse als nur die richtige Nährstoffzufuhr. Eigentlich hedonistische Lebens- und Verhaltensweisen werden ent-individualisiert, das (gute) Überleben gilt als revolutionärer Akt: „Selbsterhalt ist Widerstand.“

Selbstfürsorge basiert auf dem Gedanken: Erst, wenn es mir selbst gut geht, kann ich anderen helfen, denen es nicht so gut geht, und habe ich das nötige Rüstzeug, um auch langfristig politisch aktiv sein zu können. Zu den Ursprüngen der „selfcare“- Idee schreibt die feministische Autorin Laurie Penny: „Weite Teile der Linken können noch eine Menge von der Queer-Community lernen, die schon lange die Haltung vertritt, dass für sich selbst und seine Freund_innen zu sorgen in einer Welt voller Vorurteile kein optionaler Bestandteil des Kampfes, sondern auf viele Arten der Kampf selbst ist.“

[[{"fid":"2384","view_mode":"colorbox","fields":{"format":"colorbox","field_file_image_alt_text[und][0][value]":"Foto: Stephanie Gmeiner","field_file_image_title_text[und][0][value]":"Foto: Stephanie Gmeiner"},"type":"media","attributes":{"alt":"Foto: Stephanie Gmeiner","title":"Foto: Stephanie Gmeiner","height":"253","width":"380","class":"media-element file-colorbox"}}]]

Nicht umsonst kommen alternative Beziehungskonzepte wie Relationship Anarchy, die Freundschaften und anderen nicht-sexuellen Beziehungen größere Bedeutung zumessen, aus der Community. Enge Freundschaften und Netzwerke können für Queers oder von Rassismus Betroffene lebenswichtig sein. Die klassische monogame Hetero-Paar-Beziehung ist nach wie vor Quell für Unterdrückung und Gewalt: „Durch ihren (früheren) Partner wurde 13 % der Österreicherinnen körperliche/sexuelle Gewalt sowie 38 % der Frauen psychische Gewalt zugefügt – etwa durch Einschüchterung, Kontrolle, Hausarrest oder Herabwürdigung vor anderen Personen.“ Dass die Ehe aber auch eine Schutzfunktion für die Ehepart13 ner_innen und Kinder beinhalten und Absicherung bedeuten kann, wird gerne ignoriert, etwa wenn queere Paare sich dafür rechtfertigen sollen, eine „Ehe für alle“ zu fordern und damit angeblich ein Recht auf Spießbürgerlichkeit einfordern – wenn der rechtliche Status in der Praxis darüber bestimmt, wer etwa am Krankenhausbett Händchen halten darf und wer nicht.

Gegenkonzepte wie Polyamorie oder das Verzichten auf schnellen Sex von Straight Edgern können aber vor allem für Frauen Freiheiten bedeuten. Rebecca Gold fasst in einem Essay zusammen: „Wir können das Patriarchat nicht rückgängig machen ohne Monogamie zu verdrängen“ und schreibt weiter: „In einer nicht monogamen Welt werden Frauen ihr Leben nicht damit verschwenden, nach dem perfekten Mann zu suchen. Intimität wird eine immer präsente Möglichkeit sein, die biologische Uhr wird nicht mehr die Flugbahn bestimmen, die das Leben einer Frau einschlägt, da das Konzept von Familie weniger an biologische Reproduktion geknüpft ist.“ Doch auch Mehrpersonen-Beziehungen schnurren schnell auf eine klassische Familienkonstellation zusammen, sobald Windeln gewechselt werden müssen oder die Festivalsaison ansteht. Um gleiche (reproduktive) Rechte, die Auflösung klassischer Familienbilder, Eifersucht, gerecht verteilte Care-Arbeit und sexuelle Selbstbestimmung oder Kindererziehung ohne Stereotypen geht es im (Beziehungs-)Alltag oft nur am Rande, egal welches Label wir unseren Zwischenmenschlichkeiten verpassen.

[[{"fid":"2385","view_mode":"colorbox","fields":{"format":"colorbox","field_file_image_alt_text[und][0][value]":"Foto: Stephanie Gmeiner","field_file_image_title_text[und][0][value]":"Foto: Stephanie Gmeiner"},"type":"media","attributes":{"alt":"Foto: Stephanie Gmeiner","title":"Foto: Stephanie Gmeiner","height":"253","width":"380","class":"media-element file-colorbox"}}]]

Das gute Leben für alle – es darf ruhig bei uns selbst anfangen. Ob der Bio-Apfel, ein Snickers, Polyamorie oder der Lesekreis sich gut anfühlen, bleibt dabei uns überlassen. Der persönliche Lifestyle und die Freiheit, andere Lebensweisen und -konzepte ausprobieren zu können, ist nicht einfach da, sie muss immer wieder verhandelt, behauptet und neu erkämpft werden. Und irgendjemand räumt danach den Müll vom Festivalplatz.

Anne Pohl ist freiberufliche Marketing- und Event- Beraterin und gründet non-kommerzielle Projekte wie herzteile.org.

Das süße Leben

  • 23.06.2013, 14:42

Der Begriff des Hedonismus wir oft als abwertendes Schlagwort gebraucht. Es versteckt sich aber mehr dahinter. Claudia Aurednik hat mit einer bekennenden Hedonistin, einem Politaktivisten und einem Yuppie über Hedonismus gesprochen.

Der Begriff des Hedonismus wir oft als abwertendes Schlagwort gebraucht. Es versteckt sich aber mehr dahinter. Claudia Aurednik hat mit einer bekennenden Hedonistin, einem Politaktivisten und einem Yuppie über Hedonismus gesprochen.

„Ich versuche immer Spaß zu haben und mein Leben zu genießen“, erklärt Anna Wieser* (22) und ergänzt: „Schließlich lebe ich nur einmal und ich mag mir nicht vorwerfen irgendetwas in meinem Leben mal versäumt zu haben.“ Wieser jobbt derzeit in der Gastronomie und wird diesen Sommer als Animateurin in einem Clubhotel auf Ibiza arbeiten: „Das ist der perfekte Job für mich, denn ich reiße gerne andere Menschen aus ihren Alltagstrott und versuche mit ihnen Spaß zu haben.“ Vor einem Jahr hat sie ihre Studien abgebrochen. Anna hat Transkulturelle Kommunikation und Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien studiert. „Ich habe mir viel mehr von den Studien erwartet. Speziell mit den Knock-Out Prüfungen bin ich nicht zurecht gekommen, aber vielleicht gehe ich in ein paar Jahren wieder an die Uni: „Momentan möchte sie aber primär ihr Leben genießen und vor allem endlich ihre Jugend nachholen. Anna ist in einem kleinen oberösterreichischen Ort aufgewachsen, in dem es
nach ihren Erzählungen nicht einmal ein Jugendzentrum gab. Ihre Eltern haben sie sehr streng erzogen und den Konsum von Alkohol bis zur Matura verboten: „Meinen ersten Rausch hatte ich erst mit 19 in Wien. Das ist bei Leuten aus Oberösterreich normalerweise
nicht üblich“, erzählt Anna. Sie ist das erste halbe Jahr in Wien deswegen fast jeden Tag ausgegangen und hat so rasch viele Freundschaften geschlossen. Mit ihren FreundInnen besucht sie heute verschiedenste Events: „Uns kann man im Volksgarten
und im Reigen ebenso treffen wie im Fluc oder auf illegalen Raves in Niederösterreich. Hauptsache es kommen viele Leute zusammen, die gemeinsam Spaß haben wollen.“

Ein Recht auf Rausch. Der Slogan „Ein Recht auf Rausch“ ist auch Agnes Müllers Lebensmotto: „Rausch bedeutet für mich, mich mit Alkohol und anderen Substanzen im positiven Sinn zu betäuben. Ich verfalle aber auch beim Raven in einen Rausch und kann dann wunderbar abschalten.“ Das „Abschalten“ ist für sie besonders wichtig, denn sie findet den Leistungsdruck der Gesellschaft oft erdrückend. „Wir sollen in Mindestdauer studieren, vier Fremdsprachen sprechen und darüber hinaus noch Berufserfahrung haben. Jeder Monat unseres Lebens muss belegt sein“, klagt Agnes: „Und das Schlimme daran ist, dass man oft auch mit einer Top-Ausbildung und unzähligen Zusatzqualifikationen keine Chance am Arbeitsmarkt hat. Da mach ich einfach nicht mehr mit!“ Für Politik interessiert sich Agnes nicht. Sie erklärt, dass sie und die meisten ihrer FreundInnen der Meinung seien, dass die Politiker
die jungen Menschen in Österreich im Stich lassen. Die Gesellschaft würde sie dennoch gerne ändern: „Ich mag mich zwar nicht politisch engagieren, weil ich nicht der Mensch dafür bin. Aber ich würde schon gerne in einer Gesellschaft leben, die weniger gestresst ist und die dem einzelnen Menschen mehr Raum für Selbstverwirklichung und Freiheit lässt.“

Hedonistische Hippies 2.0. Marco Brunner* (24) ist Student der Internationalen Entwicklung und bezeichnet sich selbst als gesellschaftskritischen Politaktivisten, der bewusst nicht dem gängigen Bild eines Hedonisten entsprechen mag. Der schwarze Baggy-Pants, „No Border - No Nation“-Shirt und Sneakers tragende Brunner erzählt, dass er oft mit dem Fahrrad unterwegs ist und sein Geld nur für wirklich notwendige Dinge ausgibt. Außerdem ist er seit zehn Jahren überzeugter Vegetarier und ein Gegner von Alkohol, Zigaretten und Drogen: „Wirklich wichtig ist für mich, dass ich meine Miete begleichen kann und einen vollen Kühlschrank habe“, erzählt er und ergänzt: „Außerdem ist mir ein solidarischer Umgang mit Mitmenschen und ein Engagement gegen die antisemitischen, sexistischen und rassistischen Zustände wichtig. Wobei es schon schwierig ist einen solidarischen Umgang mit jenen zu haben, die meine Einstellungen nicht teilen.“ Brunner ist wegen des Studiums vor fünf Jahren von Bayern nach Wien gezogen und arbeitet als Kellner in einem Szenelokal. Hedonistischen Slogans wie „ein Recht auf Rausch“ kann er nichts abgewinnen, denn damit würde seiner Meinung nach jedes „beschissene“ Verhalten entschuldigt.
Das habe er schon öfters miterlebt: „Ich habe das unsolidarische Verhalten gegenüber Betroffenen etwa auf der Freeparade 2010 in Wien beobachten können, als gewalttätige Neonazis Menschen angegriffen haben. Da hieß es einfach, dass auch die ein Recht zu tanzen hätten!“ Und er ergänzt: „2011 gab es dann keine Freeparade in Wien und auf der Website der OrganisatiorInnen war zu lesen, dass in Folge von sexistischen, homophoben oder sogar sexuellen Übergriffen die Veranstaltung abgesagt wurde.
Derartige Übergriffe sind aber bereits in den Jahren zuvor passiert.“ Brunner berichtet, dass die OrgansatorInnen der Veranstaltung selbst Kritik an dem unsolidarischen Verhalten geübt haben. Außerdem wurde von ihnen der Widerspruch zwischen der Forderung
nach einer freien Gesellschaft und dem unsolidarischen Verhalten gegenüber von Gewalt betroffenen Personen thematisiert. Für das Nichteinschreiten bei derartigen Missständen macht Marco Brunner den Hedonismus der Freeparade-TeilnehmerInnen verantwortlich: „Die hatten im hedonistischen Sinn einfach keine Lust den Menschen zu helfen. Denn im Hedonismus wird die Lust essentialisiert und nicht als Konstrukt begriffen. Und viele haben in ihrem Rausch einfach nichts mitbekommen.“

Besonders jene politischen AktivistInnen, die Hedonismus mit einem vermeintlich gesellschaftskritischen Engagement verbinden wollen, sind Marco Brunner ein Dorn im Auge: „Diese Hippies 2.0 sind für mich untragbar! Das sind jene Leute, die daran glauben, dass mit Lust und absoluter Selbstbefriedigung die ganze Welt schön wird. Bei denen stehen doch nur Egoismus und die eigene Befriedigung im Zentrum. Dadurch verhalten sie sich anderen Menschen gegenüber oftmals selbst diskriminierend.“

Die AktivistInnen der Hedonistischen Internationale sehen das anders. Das internationale, aktionistische und linke Netzwerk besteht seit 2006 und hat mehr als 30 Sektionen. Hedonismus ist das Streben nach Freude, Lust und Genuss. Die AktivistInnen betrachten nach eigenen Angaben den Hedonismus nicht als Motor einer dumpfen, materialistischen Spaßgesellschaft, sondern als Chance zur Überwindung des Bestehenden. Im Manifest der Hedonistischen Internationale halten die AktivistInnen fest, dass sie keine Organisation darstellen, sondern eine Idee, deren Ausgestaltung bei jedem selbst liegt und dass niemand außer den Handelnden für die eigenen Aktionen verantwortlich ist. Die Aktionen selbst sind vielfältig und umfassen unter anderem nackte FlizzerInnenaktionen in Neonazi-Lokalen, Satireaktionen gegen die Atomindustrie sowie Tanzdemonstrationen gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm. Die Medien greifen diese gerne als moderne Form des Protests auf. Marco gehört zu den Kritikern des Netzwerks und wirft den AktivistInnen eine mangelnde Auseinandersetzung mit den politischen Problemen vor. Auch von Slogans wie „Gegen eine Kommerzialisierung der Partykultur“ hält er nichts, da diese einen Widerspruch in sich darstellen.

Hedonismus und Karriere. „Während der 80ies und frühen 90ies hatte man die Vorstellung, dass Hedonismus mit dem Motto ‚the winner takes it all‘ verbunden ist. Man wollte im Job und im Privatleben zu den Gewinnern gehören,“ erklärt Martin Berger, Manager einer internationalen Consultingfirma in Wien. Er erzählt, dass auch er selbst von dem Yuppie-Zeitgeist stark geprägt wurde: „Rückblickend betrachtet haben wir den Kontrast zur Jugend der 70ies verkörpert. Die berufliche Karriere sollte mit einem dementsprechenden Lebensstil voll von Statussymbolen, aber auch mit einer dazugehörigen Portion an Lust und Lebensqualität verbunden sein.“ Berger legt bis heute viel Wert auf qualitativ hochwertige Kleidung und ein sportliches Äußeres. Mit 20 Jahren hat er an der Wirtschaftsuniversität Wien mit dem Studium der Handelswissenschaft begonnen. Die Gründe für seine Studienwahl waren
mit seinem Interesse für Wirtschaft sowie mit dem Ziel Karriere zu machen verbunden. Damals sei das aber aufgrund der Wirtschaftslage einfacher gewesen: „Wenn man beispielsweise bei einem Vorstellungsgespräch für ein Praktikum oder einen interessanten Nebenjob sein Interesse glaubhaft vermitteln konnte, so standen die Chancen diese Stelle zu bekommen nicht schlecht“, berichtet er. Damals gab es noch eine realistische Möglichkeit sich in einem Unternehmen hochzuarbeiten und Karriere zu machen.
Martin Berger erinnert sich etwa noch sehr gut daran, dass er seinen ersten Ferialjob bei einer österreichischen Bank aufgrund einer Initiativbewerbung und ohne Kontakte bekommen hatte. Die Bezahlung war damals so gut gewesen, dass er sich mit zwei Monaten
Arbeit mehrere Monate seines Studiums finanzieren konnte. „Heute freuen sich die meisten StudentInnen ja, wenn sie bei einem unter- oder gar unbezahlten Praktikum Aushilfstätigkeiten machen dürfen. Das ist wirklich problematisch, da sich die jungen
Menschen oft komplett unter ihrem Wert verkaufen.“

Martin Berger ist in einer Beamtenfamilie aufgewachsen. Bereits als Kind war er sich aber bewusst, dass er keine Beamtenlaufbahn einschlagen wird: „Ich habe das Leben meiner Eltern als langweilig und bieder empfunden und mir fest vorgenommen nicht mein Leben lang einer monotonen und nicht herausfordernden Tätigkeit nachzugehen.“
Er erzählt, dass er mit Schrecken gewisse Parallelen zwischen den heutigen StudentInnen und seinen Eltern bemerkt hat: „Es ist wirklich tragisch, dass die jungen Menschen sich heute bereits mit 20 nach einer Fixanstellung und einem biederen Leben sehnen. Hedonismus bedeutet für diese nicht mehr Karriere in einem interessanten Job oder das Verwirklichen von innovativen Ideen, sondern primär Party und seichte Unterhaltungen.“ Auch er sei natürlich während seiner Studienzeit hin und wieder ausgegangen. Aber das fordernde Studium und seine Nebenjobs hatten für ihn Priorität. „Ich habe natürlich auch StudienkollegInnen aus reichen
Familien kennengelernt. Für diese war das WU-Studium dann oft nur eine schicke Nebenbeschäftigung, der sie ihren Eltern zuliebe nachgegangen sind. Die meisten von ihnen haben ihr Studium nicht abgeschlossen.“ Manche StudienkollegInnen seien direkt vom
Clubbing mit dem Sportwagen an die Uni gefahren. Für ihn war das aufgrund seiner finanziell angespannten Situation nicht möglich:, „Natürlich habe ich die damals ein bisschen beneidet. Aber heute denke ich, dass ein Studium für Menschen, die von ihren
Eltern einen hedonistischen Lebensstil finanziert bekommen, keine Herausforderung ist.“ Martin Berger hat nach seinem Studium einige Jahre in den USA verbracht und sich hochgearbeitet. Dabei war primär sein Interesse an den Jobs und weniger die Bezahlung
ausschlaggebend. Den Wunsch Statussymbole zu erwerben und einem hedonistischen Lebensstil zu frönen hat er heute nicht mehr: „Ich würde mich als ‚down-to-earth‘ bezeichnen und finde die ständige Jagd nach Statussymbolen überaus fragwürdig. Aber ich bin auch nicht der Typ, der sich auf Empfängen der Schickeria herumtreibt und ständig mit seinem Vermögen protzt.“

Die Autorin ist Historikerin und studiert derzeit Publizistik- und Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien.

Link:

Hedonistische Internationale:
www.hedonist-international.org

* Name von der Redaktion geändert.