Gleichstellung

Klag die Uni!

  • 08.03.2016, 13:47
Überall Barrieren! Warum die Universität eine einzige Barriere ist und was das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes daran ändern kann.

Überall Barrieren! Warum die Universität eine einzige Barriere ist und was das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz daran ändern kann.

„Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz“ ist ein langes Wort. Das BGStG soll die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen regeln. Schon seit 2006 schreibt das BGStG vor, dass alle öffentlichen Gebäude, Verkehrsmittel und Geschäftslokale barrierefrei zu erreichen sein müssen. Für die Implementierung dieses Gesetzes hatte man in Österreich zehn Jahre lang Zeit. Seit 1. Jänner 2016 ist diese Frist verstrichen. Barrierefreiheit heißt im Sinne des Gesetzes nicht nur Rampen und Aufzüge zu errichten, sondern sämtliche Hürden abzuschaffen und zum Beispiel Homepages von öffentlichen Institutionen barrierefrei bedienbar zu machen oder auch Filme mit Untertiteln zu gewährleisten. „Ziel dieses Bundesgesetzes ist es, die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen zu beseitigen oder zu verhindern und damit die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Leben in der Gesellschaft zu gewährleisten und ihnen eine selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen,“ so der Gesetzestext. Auch die Hochschulen in Österreich haben sich an dieses Gesetz zu halten.

Barriere Hochschule. Wenn in Österreich eine Frist verstreicht und die Ziele noch nicht erreicht sind, dann könnte sich der Gesetzgeber Mühe geben, die Frist einzuhalten, oder die Frist einfach verlängern. Letzteres hat der Bund im Falle der öffentlichen Gebäude, zu denen die meisten Hochschulen zählen, gemacht.

Zwölf Prozent gaben bei der letzten Studierendensozialerhebung an, eine gesundheitliche Beeinträchtigung zu haben, die sich auf das Studium auswirkt. Rund ein Prozent aller Studierenden gaben an, eine Behinderung zu haben (das sind über 3.700 Personen) und fünf Prozent eine chronische Krankheit (das sind über 18.500). Für diese Gruppe ist der Unialltag um einiges hürdenreicher. Es ist nervig für Studierende in den Hörsaal im dritten Stock zu kommen, doch für Studierende mit Rollstuhl ist es oft schlicht unmöglich. Während in den repräsentativen Hauptgebäuden oft nachträglich Lifte und Rampen eingebaut wurden, werden die Nebengebäude meist mehr schlecht als recht nachgerüstet. Aber auch die Hochschulen haben sich an das BGStG zu halten und müssten seit 1. Jänner überall barrierefrei zugänglich sein. Barrierefrei sind laut BGStG „bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind“. Wie sieht es nun damit aus?

Klagerecht. Österreich ist ein Land der Sonderregelungen. Gefühlt gibt es für jede Regelung sechs Ausnahmen. Auch beim BGStG sieht es nicht besser aus. Generell gilt die Verhältnismäßigkeit oder wie es im § 6 des Gesetzes heißt eine Ausnahme bei „unverhältnismäßigen Belastungen“. Bei „unverhältnismäßigen Belastungen“ liegt keine Diskriminierung von Menschen mit Behinderung vor, wenn „die Beseitigung von Bedingungen, die eine Benachteiligung begründen, insbesondere von Barrieren, rechtswidrig oder wegen unverhältnismäßiger Belastungen unzumutbar wäre“. Unverhältnismäßigkeit kann zum Beispiel durch einen zu großen (finanziellen) Aufwand oder Denkmalschutz gegeben sein. Dies trifft vor allem bei alten Unigebäuden zu und darauf ruht man sich oft aus. Das BGStG bringt nun aber eine wesentliche Änderung, welche die Hochschulen ins Schwitzen bringen könnte, und zwar das Klagerecht.

Das BGStG sieht ein Klagerecht vor, wenn Einzelpersonen oder Gruppen (Verbandsklage) durch Hürden daran gehindert werden, gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Erst kommt es jedoch zu einem Schlichtungsverfahren bei den Landesstellen des Bundessozialamts, das auf eine außergerichtliche Einigung abzielt. Oft wird über die Höhe der Entschädigung verhandelt. Erst wenn keine Einigung erzielt wird, kommt es zu einem Gerichtsverfahren.

Kein Umbau. Das größte Defizit des Gesetzes bleibt jedoch auch nach der Fristverstreichung erhalten. So kritisiert Martin Ladstätter, Gründungsmitglied des BIZEPS-Behindertenberatungszentrums, dass „mit einer Klage Barrierefreiheit nicht erreichbar ist, weil das Gesetz nur Schadenersatz zuerkennt. Konkret bedeutet dies, dass ein Gericht zwar eine gewisse Summe an Schadenersatz festlegen, nicht aber einen Umbau anordnen kann.“ Die Barriere bleibt also bestehen. Meist ist es nämlich billiger zu zahlen als umzubauen. Dabei ist mit barrierefreien Gebäuden allen geholfen. Aufzüge sind nicht nur für Menschen mit Rollstühlen von Vorteil, keiner geht gerne mehrere Stockwerke die Treppen hoch. Eine bessere und einfache Ausschilderung hilft nicht nur Menschen mit Sehschwierigkeiten, sondern allen bei der Orientierung in großen und unübersichtlichen Universitätsgebäuden.

Viele Studierende mit Behinderungen wissen nicht, dass die Universität Barrierefreiheit gewährleisten muss und sie ein einklagbares Recht darauf haben. Viele wissen auch nicht, dass jede Hochschule ab einer gewissen Größe eine*n Behindertenbeauftragte*n haben muss, der sich mit Themen der Barrierefreiheit auseinandersetzt und Studierende mit Behinderungen berät. Diese Behindertenbeauftragten werden von den Rektoraten aber angehalten, die Studierenden nicht über ihr Klagerecht zu informieren. Dabei würde sich auf den Hochschulen wohl schnell etwas verändern, wenn die Schadenersatzkosten höher wären als die Kosten für Umbauten.


Anne Marie Faisst studiert Internationale Entwicklung an der Universität Wien.


Links:
Referat für Barrierefreiheit ÖH-Bundesvertretung
Referat für Barrierefreiheit ÖH Uni Wien
BIZEPS

Veranstaltungshinweis:
Am 16.3. findet eine Podiumsdiskussion zum Thema: HÜRDENLOS STUDIEREN?! "Wie barrierefrei sind Österreichs Hochschulen?" an der Universität für Bodenkultur Wien (2. Stock, Sektor D in der „alten WU“, Augasse 2-6, 1090 Wien) statt. Weitere Informationen beim Facebook-Event hier.

Listen to Leena – White Elephants

  • 28.10.2014, 02:07

Zwei Mal hingehört.

Zwei Mal hingehört

Kati: Weiße Elefanten gibt´s ja bekanntlich nicht. Und falls doch, dann nur als vage Erinnerung. Mit diesen Worten – „I am a vague memory“ – beginnt das Debütalbum der fünf jungen Musiker*innen. Sängerin Lucia gibt den weißen Elefanten – mit dem wesentlichen Unterschied, dass am Ende ein klarer Eindruck statt bloß vager Erinnerung bleibt: ruhiges, jazziges Singer-Songwriting mit gelegentlichem Popeinschlag. Meist wird auf Deutsch, manchmal auf Englisch, Gedankenfetzen aneinanderreihend vor sich hin assoziiert. Über allem die klare Stimme der Frontfrau. In den experimentellen Momenten erinnert das an den guten Willi Landl, in den feministischen an Mika Vember. Listen to Leena schreibt aber durchaus seinen eigenen Beitrag zur österreichischen Musikgeschichte. Hörens- und sehenswert. Zweiteres ist bei einem der Konzerte der aktuellen Tour möglich.

Katja: Achtung, Jazz! Die österreichische Formation mit dem interessanten Namen Listen to Leena hat ein Debutalbum aufgenommen und zeigt uns, dass Jazz nicht unbedingt ein angestaubtes Altherren-Genre sein muss. Frontfrau Lucia Leena, ihre vier Begleiter und ihre Musik sind mal fragil-lyrisch und mal kraftvoll-instrumental, manchmal auch beides in einem Stück. Die Songs sind zu fast gleichen Teilen auf Deutsch und auf Englisch. Modernes Singing-Songwriting trifft auf technische Raffinesse der Musiker und –in, die so alteingesessene Instrumente wie das Flügelhorn oder die Posaune spielen, aber auch Melodica, Toy Piano und Klingelings verwenden.

Katja Krüger und Kati Hellwagner studieren Gender Studies und Politikwissenschaften an der Uni Wien.

Holzfällen – jetzt auch für Mädchen!

  • 28.10.2014, 01:35

Lumberjanes. Eine Comic-Rezension.

Lumberjanes. Eine Comic-Rezension.

Den Herbstbeginn haben Leseratten lang erwartet: Endlich wieder Tee trinken und Geschichten über die Sommerabenteuer anderer Leute lesen! Im Falle von „Lumberjanes“ spielen sich diese rund um ein Pfadfinderinnenlager ab. Der Comic, geschrieben von Grace Ellis und Noelle Stevenson und gezeichnet von Brooke Ellen, hat bereits sechs Teile und erscheint monatlich.

Die fünf Freundinnen Mal, Jo, Molly, Ripley und April erleben in „Lumberjanes“ eine atemberaubende Episode nach der anderen. Das Camp verlangt ihnen tagsüber Einiges ab, Nachtwanderungen planen sie selbst. Die dreiäugigen, gruseligen Flug-, See- und Landmonster, denen sie bei ihren Trips begegnen, spielen allerdings nur eine Nebenrolle in der Welt der Mädchenpartie. Ein genauer Blick auf die Namen verrät Einiges: Ripley ist eindeutig eine Hommage an Ellen Ripley aus „Alien“ und April sieht April O’Neil aus den „Teenage Mutant Ninja Turtles“ sogar etwas ähnlich. Bunt zusammengewürfelt sind die Looks der jungen Frauen – Sidecuts, Hotpants, Flanellhemden, alles geht! Garantiert Spaß gibt es, wenn sie mit Autoritäten wie der Campaufseherin Jen darüber verhandeln müssen, ob nach einem Regelverstoß die Eltern angerufen werden oder nicht. Diese Strafe wäre nämlich – im Gegensatz zur Begegnung mit den Seemonstern – der absolute Horror.

Der Zusammenhalt zwischen den Mädchen sowie die individuellen Einstellungen zu Autoritäten und Regeln machen jede Seite spannend und lassen die Sympathien des Publikums immer wieder zwischen den Charakteren wechseln. Außerdem wird die Coming- of-Age-Geschichte mit sehr viel Wortwitz und Situationshumor erzählt: An einem Tag bekommt man ein Abzeichen für Aufmüpfigkeit, am anderen ertrinkt man fast in einem Fluss; zur Kampfausrüstung zählen Haargummigeschosse und Netze aus Freundschaftsbändern. So etwas hätte es bei „Indiana Jones“ oder im „Jurassic Park“ nicht gegeben! Aber zum Glück haben wir jetzt „Lumberjanes“. Ideal auch als Geschenk – etwa für heranwachsende Familienmitglieder, die statt zu den Lumberjanes nur jedes Jahr ins vergleichsweise langweilige Ferienlager geschickt werden.

 

Katja Krüger studiert Gender Studies an der Universität Wien.

www.comixology.eu/Lumberjanes/comics-series/16309

Offene neue Welt

  • 27.10.2014, 16:31

Der Bildschirm, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2014. Dies sind die Abenteuer der Videospiele, die seit einem halben Jahrhundert unterwegs sind und immer mehr Menschen erreichen.

Der Bildschirm, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2014. Dies sind die Abenteuer der Videospiele, die seit einem halben Jahrhundert unterwegs sind und immer mehr Menschen erreichen.

Wer ein Buch liest, beginnt meist vorne und liest es dann (nicht immer) bis zum Ende durch. Bei Kinofilmen sitzen wir ebenfalls eine Weile vor dem Bildschirm, auch wenn schon lange keine Rolle mehr die Bilder durch einen Projektor rattern lässt. Anfang, Hauptteil, Ende. Die meisten unserer Unterhaltungsmedien funktionieren linear, erzählen dabei eine Geschichte und verlangen unsere Aufmerksamkeit, bis alles vorbei ist. Videospiele sind anders. Das liegt weniger am Video-Teil als am Spiele-Teil. Das liegt weniger am Video-Teil als am Spiele-Teil und fängt schon bei der Definition an.

Wann ist ein Spiel ein Spiel? Was braucht ein Spiel? Regeln? Eine Geschichte? Spielzeug? Mitspieler_ innen? Ziele? Spaß? Die englischsprachige Wikipedia unterscheidet zwischen „play“, dem Spiel, das man um seiner selbst Willen und zum Spaß betreibt, und „games“, strukturierten Spielen mit Regeln, Herausforderungen, Zielen und Interaktion. Auch Games werden meist zum Spaß und in Abgrenzung zur Arbeit gespielt – außer von professionellen Spieler_innen. Einen Tennisball einfach so gegen die Wand zu werfen, sei kein Spiel, es fehle ein_e Gegner_in. Gäbe es eine Herausforderung oder ein oder ein Ziel, etwa den Tennisball möglichst oft wieder zu fangen oder ihn stets an die gleiche Stelle zu werfen, wäre es dann doch wieder ein Spiel.

Die meisten Spiele erfordern mehrere Personen: ob Brettspiele, Rollenspiele oder Sportspiele. So überrascht es wenig, dass bereits die ersten Videospiele in den 50er Jahren für zwei Spieler_innen gemacht waren, oft umgesetzt wurde etwa Schach. Allerdings blieb die Popularität dieser Spiele auf akademische Kreise begrenzt. Die schrankhohen Computer waren teuer und hätten bei den Wenigsten ins Wohnzimmer gepasst. Mit dem Siegeszug der Spielautomaten in den 70ern wurden Videospiele massentauglich und es kam zum „einsamen“ Spielen, Mensch vs. Maschine. Wobei der Klassiker „Pong“ dann doch wieder zwei Spieler_innen erforderte. Außerdem standen die Automaten in Spielhallen, Kneipen oder Einkaufszentren. Erst in den 80ern zogen Videospiele ins Wohnzimmer ein. Dort ist das Videospiel seither fest verankert und ständig verfügbar, auch wenn sich die Hardware alle paar Jahre ändert. Und nun ist alles möglich: alleine virtuelle Welten durchqueren oder mit Freund_innen um die Wette düsen – wenn denn genügend Controller vorhanden sind, versteht sich. Mit dem Game Boy wurde dann noch die mobile Konsole im Handformat entwickelt, die zusammen mit Fotoapparaten heute weitgehend im Smartphone aufgegangen ist. Stundenlanges Jump’n’Run ist genauso drin wie ein kurzes Puzzlespiel während der Busfahrt – dank mobilem Internet auch zunehmend als Gemeinschaftsspiel.

Videospiele als Bedrohung. Trotz der gemeinschaftlichen Aspekte werden Videospiele erst allmählich gesellschaftlich angenommen. Heute ist rund die Hälfte der Spieler_innen weiblich, dennoch hält sich das Stereotyp des männlichen Teenagers ohne Freund_innen. Dass in den letzten 20 Jahren vereinzelt junge Männer, die an Schulen um sich schossen, zuvor viel Zeit mit Computerspielen verbracht hatten, wurde als Kausalität gedeutet. So verwundert es nicht, dass auch der wissenschaftliche Blick zunächst nur den (mutmaßlichen) negativen Konsequenzen von Videospielen galt – so wie vor hunderten Jahren angenommen wurde, dass Romane Lesesucht und weibliche Hysterie auslösen würden und sich das Fernsehen als Medium erst neulich vom pauschalisierten Verblödungsverdacht befreien konnte. Aber während im Feuilleton nun schon lange Filme und seit einiger Zeit auch Fernsehserien besprochen werden, ist das bei Games noch keine Selbstverständlichkeit. Besonders im deutschsprachigen Raum steckt der Spielejournalismus noch mitten in einer Debatte darüber, wie er über simple 8-von-10-Sternen-Bewertungen und Beschreibungen der Spielemechanik hinausgehen kann. Die Forschung hat sich der digitalen Spiele mittlerweile – zögerlich, aber doch – angenommen. So zeigen beispielsweise Analysen, dass sie erzähltechnisch etwas können, was kein anderes Medium kann: In dem Moment, wo ein Joystick oder eine Tastatur in die Hand genommen werden, fallen zum ersten Mal Leser_in, Erzähler_in und Protagonist_in einer Geschichte zusammen.

Das Spiel im Film. Oder andersrum? Spannend ist auch, welche Auswirkungen Videospiele auf „klassische“ Medien haben und welche neuen Formen der Intermedialität sie hervorgebracht haben. So gibt es zu jedem „Harry Potter“-Film (der ja selbst wiederum auf einen Roman zurückgeht) nun auch ein Spiel – allerdings mit überwiegend mittelmäßigen bis schlechten Bewertungen. Auf das Bedürfnis von Fans, noch mehr Zeit mit ihren Held_innen zu verbringen oder sogar selbst in ihre Rolle zu schlüpfen, wurde lange nur mit inhaltlich schludrigen Umsetzungen reagiert. Dafür war das Ergebnis dann auf jedem Rechner und jedem System spielbar. Tatsächlich ist es schwierig, Filmstimmungen einzufangen, bekannte Geschichten nicht einfach nur nachzuerzählen und zwischen Jump’n’Run, Egoshootern und Adventures das passende Spielgenre zu finden. Zahlreiche Spiele wurden auch im „Star Wars“-Universum angesiedelt. Dabei wurde eine Bandbreite an Genres bedient, vom Strategiespiel über Shooter bis zum Podrennen. Auch die Geschichten entfernten sich in den Spielen von den bekannten Figuren und entwickelten neue Charaktere. Am Ende dürfen Nicht-Spieler_innen bei eventuellen Fortsetzungen nichts verpassen.

Umgekehrt wurden und werden auch Computerspiele als Kinofilme umgesetzt oder von diesen aus konzipiert. Als erster vollständig computeranimierter Film mit realistischer statt comichafter Umsetzung erschien 2001 „Final Fantasy“, der sich von der inzwischen 14-teiligen Spieleserie allerdings deutlich entfernte. Auch in diesem Kontext wurden die neuen ästhetischen Möglichkeiten meist als Bedrohungen diskutiert. Die allgemeine Ablösung von Schauspieler_ innen durch computergenerierte Figuren schien sich anzukündigen. Für computeranimierte Filme werden aber immer noch „echte Menschen“ vermessen und digitalisiert, das Schreckensszenario ist also bis heute nicht eingetreten. Schauspieler_innen sind fast wichtiger als zuvor – sowohl als Sprecher_innen als auch Vermessungsvorlagen. So muss Vin Diesel gerade in „Guardians of the Galaxy“ als Baum Groot quasi nur „Ich bin Groot!“ sagen und das reicht zur Bezirzung der Zuschauer_innen. Auch zwischen Serien und Videospielen gibt es Verbindungen: Das stark filmische Zombiespiel „The Walking Dead“ erscheint beispielsweise in fünf Staffeln. Und die Science-Fiction-Serie „Defiance“ setzt seit zwei Staffeln auf die Verbindung von Spiel und TV-Serie, bleibt dabei allerdings Nischenprodukt, sowohl als Serie als auch als Game. So brauchte in der zweiten Staffel ein aus dem Fernsehen bekannter Charakter Unterstützung von Spieler_innen, um wieder in der Serie zu erscheinen. Die Einschätzungen bleiben dennoch bei „mittelmäßig“.

Dem Level entwachsen. Bei den meisten Spielen waren bisher stets Unterschiede zwischen den aufwändig generierten filmischen Sequenzen, die die Handlung erklären, und dem tatsächlichen Aussehen der spielbaren Teile zu erkennen. Bisher war auch eine Einteilung in Levels, die aus technischen Notwendigkeiten erwuchs, üblich. Neue Umgebungen, Texte und Aufgaben mussten ja vom Rechner oder der Konsole immer wieder neu geladen werden. Aufgrund der begrenzten Rechenstärke und Speicherkapazitäten blieben viele Spielwelten nur Oberflächen und Kulissen. Jedes Scheitern bedeutete einen Neuanfang. Das klingt einerseits verlockend. Andererseits kann der ständige Neustart auch zum frustrierenden Hamsterrad werden. Bestehen oder Scheitern waren also lange der gängige Spielmodus – jetzt in der linearen Handlung weitergehen oder eine Runde nachsitzen. Mittlerweile werden aber offene Spielwelten mit zahlreichen Verlaufsmöglichkeiten populär, die Kulissen weichen größeren, offenen Welten, die die Spieler_innen erkunden können.

So etwa in der Serie „Grand Theft Auto“ – einem aufgrund der sexistischen und rassistischen Anklänge eher unrühmlichen Beispiel. Im Gegensatz zum deutlich progressiveren „The Elder Scrolls V: Skyrim“: Beide Spiele ermöglichen es, eine virtuelle Welt abseits „künstlicher Grenzen“ zu erkunden und dennoch in der Handlung „voranzukommen“. „The Stanley Parable“ treibt das Ganze auf die Spitze: Jede Entscheidung hat eine Konsequenz, führt manchmal auf Umwegen zum Anfang zurück und schließlich an eines von zahlreichen möglichen Enden. Mit der Abkehr von Levels geben Videospiele ein Alleinstellungsmerkmal auf, das in seiner Linearität aber sehr traditionell war. Stattdessen schöpfen sie nun in offenen Welten langsam ihr wahres Potenzial aus.

Wie innovativ Spiele sind, wird dennoch in den einschlägigen Publikationen oft weiterhin an der technischen Umsetzung und neuen Fähigkeiten der Spielecharaktere, wie Schwimmen und Klettern, gemessen. Dabei kommen die interessantesten Spiele der letzten Zeit aus einer anderen Ecke: Seit einer Weile gibt es Programme, die allen die Möglichkeit bieten, eigene Geschichten aufzubereiten – von einfachen textbasierten Spielen bis hin zu grafisch aufwendigeren Umsetzungen. Damit wurden Spiele wie Mattie Brices „Mainichi“ über den Alltag als Transfrau und Zoë Quinns „Depression Quest“ geschaffen. Deirdra Kiai nutzte für ihre Stop-Motion-Musical-Detektivgeschichte in Schwarzweiß, „Dominique Pamplemousse“, vor allem analoges Material. Abseits jahrzehntelang recycelter Serien von Shootern und Strategiespielen werden in Zukunft die spannendsten Ideen wohl von jenen kommen, deren Geschichten wir in Spielen bisher noch nicht nachempfunden haben.

 

Helga Hansen ist Projektkoordinatorin im Gleichstellungsbüro der TU Braunschweig. Privat schreibt und spielt sie für herzteile.org.

 

Nur für Frauen*?

  • 27.10.2014, 15:25

Labels, die regeln sollen, wer in feministische Schutzräume darf, gibt es viele, gerade in Uni-Kontexten. Doch wer ist eigentlich wirklich gemeint? Eine Kritik.

Labels, die regeln sollen, wer in feministische Schutzräume darf, gibt es viele, gerade in Uni-Kontexten. Doch wer ist eigentlich wirklich gemeint? Eine Kritik.

Im Rahmen der Frauenbewegungen wurden bestehende Räume wie Universitäten für Frauen geöffnet – und neue Räume geschaffen. Dazu gehören feministische Bibliotheken oder frauengeführte Kneipen. Manche Räume sollen Schutzräume sein, also die Möglichkeit bieten, ohne Anfeindungen, Häme und Konkurrenzgefühl neue Fähigkeiten zu lernen, sich fortzubilden und auszutauschen. Deshalb haben Männer dort keinen Zutritt. Die Räume selbst können fixe Lokalitäten sein, wie etwa der „Uni Frauen Ort“, das „UFO“ in der Wiener Berggasse, das seit mehr als 30 Jahren besteht. Andere Räume existieren als temporäre Aneignung bestehender Orte, etwa im Rahmen von Workshops und Seminaren wie der wissenschaftlichen Schreibwerkstätte für Frauen*, die jedes Semester an der Uni Wien angeboten wird. Auch bei anderen Veranstaltungen wie Konferenzen, Diskussionen und Vorträgen kann gelten: „nur für Frauen“ oder „FLIT* only“. Doch was bedeutet das?

Orte für wen? „Frauen“, „Frauen*“ und „FrauenLesben“ haben als Labels eine lange Tradition. Die Schreibweise mit Sternchen und die Bezeichnung „FrauenLesben“ entwickelten sich aus der Kritik am eindimensionalen Frauenbegriff. Beide Labels zeugen von der Ablehnung der Idee, dass es „die Frau an sich“ gäbe. Es wird außerdem damit betont, dass die so eingeordneten Personen kein verbindendes Element, keine „wirkliche Weiblichkeit“ teilen, es also keine Frauen jenseits gesellschaftlicher Einteilung gibt. Der Begriff FrauenLesben fungiert als Sichtbarmachung von Lesben und ihren spezifischen Belangen. Auch die Idee vom Lesbischsein als mögliche Geschlechtsidentität schwingt in der Bezeichnung mit.

Foto: Sarah Langoth

Wer sich in Hochschulräumen oder dem aktivistischen Milieu bewegt, der_die mag auch schon über den Begriff FLIT (manchmal auch FLIT* geschrieben) gestolpert sein. Eine schnelle Google-Suche nach den vier Buchstaben führt zu einem Insektizid, das in den 20ern gegen Moskitos entwickelt wurde sowie zur „flow control digit“, einem Begriff aus der Routerund Netzwerktechnik. Allerdings soll das Label FLIT* nicht die Paketvermittlung in einem Netzwerk beschreiben oder gar die Umwelt mit DDT vollpumpen, sondern die Diversität der in einem Raum willkommenen Menschen sichtbar machen. Der Begriff FLIT steht für Frauen_Lesben_Inter*_Trans*. „Trans*“ meint alle, die sich nicht oder nicht ausschließlich dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht zugehörig fühlen. Trans*Personen und Wissenschaftler_innen benutzen verschiedene Begriffe wie z.B. Transgender, Transsexuelle, Transidenten, die je nach Person verschieden definiert und abgegrenzt werden. Der Überbegriff Trans* wird dabei nicht von allen Trans*Personen gutgeheißen. Manche nutzen Trans*Frau/Trans*Mann als Selbstbezeichnung, andere verwenden trans* als Adjektiv und manche möchten nur als Frauen oder Männer bezeichnet werden. Der Überbegriff Inter* steht für Menschen, deren Körper nicht in gesellschaftlich aufgestellten Normen von dem, was Männer- bzw. Frauenkörper beinhalten dürfen/müssen, passen. Dies kann aufgrund ihrer Chromosomen, Genitalien, Gonaden, Hormonlevel oder Kombinationen von diesen Faktoren sein. Neben "inter*" werden häuftig auch Begriffe wie intersexuell oder intergeschlechtlich verwendet.

Willkommen? Darüber, wer (nicht) in Schutzräumen willkommen ist, wird diskutiert und gestritten, seit es diese Räume gibt, obgleich es naheliegend scheint, dass Frauen(*)-Räume allen Frauen(*) offenstehen. Immerhin herrscht in feministischen Kreisen weitestgehend Einigkeit darüber, dass Geschlecht ein soziales Konstrukt ist und Frausein nicht über Genitalien oder bestimmte Hormonspiegel definiert wird. Bei der Frage nach Trans*Frauen in Frauen(*)-Räumen berufen sich jedoch einzelne Raumverwalter_innen auf die Anatomie oder bemühen andere – meist ebenso trans*und inter*feindliche – Argumentationen. Die Anwesenheit von Trans*Männern wird und wurde seltener oder weniger intensiv diskutiert, weil sie wegen dem bei der Geburt zugewiesenen weiblichen Geschlecht geduldet werden. Inter*Personen und nichtbinäre Personen, also jene, die sich nicht eindeutig als Mann oder Frau identifizieren hingegen werden meist – wie auch in den LGBT-Szenen – schlicht übersehen. Angesichts der Frage, wer in „ihren“ Räumen und Gruppen willkommen ist, haben sich bereits viele feministische Gruppen und Szenen zerstritten und gespalten.

Alle ausser Männer? Vor dem Hintergrund dieser Debatten und unterschiedlichen Positionen ist es fahrlässig, wenn Gruppen nicht klar dazu Stellung beziehen, wen sie in ihren Frauen(*)und FLIT-Räumen willkommen heißen und wen nicht. Viele Räume sind offen für alle Personen, die keine Cis-Männer sind. Die Vorsilbe „cis“ ist das Gegenstück zu trans* und inter*. Damit sind jene Menschen bezeichnet, bei denen Geschlechtsidentität und bei der Geburt zugewiesenes Geschlecht übereinstimmen. Manche Räume wie beispielsweise das Wiener Frauenzentrum richten sich ausschließlich an Cis-Frauen und Cis-Lesben.

Zudem gibt es Orte, die manche Personengruppen aus dem Trans*und Inter*-Spektrum akzeptieren, andere jedoch nicht. So sind in einigen Räumen neben Cis-FrauenLesben nur als Frauen oder weiblich identifizierte Trans*und Inter*Personen willkommen, Trans*Männer aber nicht. Andere Räume richten ihr Angebot hingegen nur an Trans*und Inter*Personen, die bei der Geburt dem weiblichen Geschlecht zugeordnet wurden. Fragt mensch verschiedene Mitglieder der Organisation, was etwa mit dem Stern hinter Frauen* auf dem Einladungsplakat gemeint ist oder wen FLIT genau einschließt, folgt erfahrungsgemäß in vielen Fällen Schweigen. Das Team hat offenkundig selbst nicht darüber gesprochen, was und wer mit dem schicken Label Frauen(*)/FLIT gemeint ist.

Mitgemeint? Wenn bei einer Veranstaltung nicht angegeben wird, wer genau willkommen ist, ergibt sich für einige Besucher_innen oft eine unsichere Situation. Nämlich für jene, die vom hegemonialen Bild der Cis-FrauenLesben abweichen. Wer nicht als FrauLesbe gelesen wird, sucht Frauen(*)bzw. FLITRäume mit einem Kloß im Hals auf. Eine Trans*Frau kann sich etwa bei einem Event, das zur Einladungspolitik keine Informationen bereitstellt, nicht sicher sein, ob sie „mitgemeint“ ist und wie die Veranstalter_innen zu Trans*Personen stehen. Sie kann nicht abschätzen, ob sie an der Tür aufgehalten und abgewiesen wird. Oder ob ihr während der Veranstaltung vielleicht abschätzige Blicke oder körperliche Übergriffe drohen, wenn sie von Teilnehmer_innen für einen Cis-Mann gehalten wird, der sich unrechtmäßig Zutritt zu einem Frauen-Raum verschafft hat. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass Räume, Gruppen und Events eindeutig offenlegen, wen sie wirklich ansprechen wollen.

Egal ob die Einladungspolitik Menschen jenseits von Cis-Lesben und Cis-Frauen ansprechen soll oder nicht: Wenn nicht gleich offengelegt wird, wer gemeint ist, geschieht das auf dem Rücken der oft mehrfach diskriminierten Nicht-Cis-Personen, die sich in eine ungewisse Position begeben müssen – oder gleich zu Hause bleiben. Selbst wenn sie „mitgemeint“ sind: Die anderen Besucher_innen haben die Einladungspolitik oft nicht gelesen und ihre eigenen Ideen davon im Kopf, wer (nicht) im Raum willkommen ist. Passive Aggressivität und übergriffiges Verhalten („Was machst du denn hier, das ist‘n Frauenraum!“) können auch in inklusiven Räumen die Folge sein, wenn nicht kommuniziert wird, wer dort sein darf.

Foto: Sarah Langoth

Eigene Formulierungen. Eine Möglichkeit, das Problem zu lösen, wäre es, Einladungen zu spezifizieren, statt sich eines vorgefertigten Labels wie FLIT zu bedienen. „Alle außer Cis-Männer“ ist viel eindeutiger als FLIT, weil nicht offen bleibt, ob auch männlich identifizierte Trans*und Inter*Personen gemeint sind, und es transportiert gleichzeitig, dass reflektiert wurde. Dadurch wird für weitere potentielle Teilnehmer_innen transparent, dass nicht nur Cis-Frauen gemeint sind. Auch „offen für alle, die sich weiblich identifizieren“ oder „alle negativ von Sexismus betroffenen Personen“ sind Möglichkeiten, eine spezifische Einschränkung der Teilnehmer_innen vorzunehmen.

Die Einladungspolitik selbstständig zu formulieren ist eine Möglichkeit für die Organisator_innen, sich darüber klar zu werden, wie die Ansprüche an Raum und Veranstaltung zusammenpassen. Ein Workshop zu sexistischer Diskriminierung etwa könnte sich nicht nur auf die Perspektive von cis-heterosexuellen Frauen beziehen, sondern die Erfahrungen von Menschen anderer Identitäten einschließen. Außerhalb des Geschlechts- und Begehrensaspekts gibt es noch andere Ausschlüsse, wenn es etwa immer weiße Personen ohne Behinderungen sind, die den Standard setzen und so die Perspektiven von People of Color und Menschen mit Behinderungen, die in den meisten Räumen in der Unterzahl sind, übergangen werden.

Die Türpolitik. Auch wenn ein Raum für verschiedene Menschengruppen geöffnet ist, fehlt häufig ein reflektierter Umgang mit der Diversität der Teilnehmenden. Vielen Veranstalter_innen ist nicht bewusst, dass es unmöglich ist, vom Aussehen einer Person auf deren Geschlechtsidentität zu schließen. Auf diese Weise erfahren betroffene Nicht-Cis-Personen, dass sie in diesem vermeintlichen Schutzraum nicht mitgedacht, sondern bestenfalls geduldet sind. Diese Art der Diskriminierung führt den Wunsch nach einem Raum für Austausch auf Augenhöhe ad absurdum. Zur Frage, wie das Problem des Doppelstandards umgangen werden kann, hat zum Beispiel Laura* auf ihrem Blog „HeteroSexismus hacken“ Anregungen gesammelt. Der vermutlich praktikabelste Ansatz wäre es, die Einladungspolitik am Eingang gut sichtbar zu machen und beim Einlass alle Menschen unabhängig von deren Äußerlichkeiten auf die Einladungspolitik hinzuweisen. Es gilt auch auszuprobieren, was funktioniert und was nicht – Hauptsache das eigene Verhalten wird reflektiert und Verantwortung dafür übernommen, statt sich hinter Labels zu verstecken.

Non Chérie studiert in Wien Japanologie und Gender Studies und macht so Queerkram.

*Sternchen in diesem Text weisen nicht auf Anmerkungen am Ende hin! Sie sind, wie öfter im progress, ein Zeichen für gendergerechte Sprache, die Menschen jenseits der Mann-Frau-Binarität einschließen möchte.

Der ewige Kampf ums Heißen

  • 23.10.2014, 02:58

2014 war das Jahr der Diskussion über queer_feministische* Sprachpolitik. Was ist von der Reaktion auf Heinisch-Hoseks „Lernhilfe“, von Gabaliers Begehr nach einer Volksbefragung und vom Hashtag #wirsinddietöchter zu halten?

2014 war das Jahr der Diskussion über queer_feministische* Sprachpolitik. Was ist von der Reaktion auf Heinisch-Hoseks „Lernhilfe“, von Gabaliers Begehr nach einer Volksbefragung und vom Hashtag #wirsinddietöchter zu halten?

Splitting, das Binnen-I, die töchterintegrierende Bundeshymne und eine ÖNORM zur Festsetzung der männlichen Form waren in letzter Zeit Themen heftiger öffentlicher Auseinandersetzungen. Widerstände gegen das Binnen-I sowie seine sternigen Schwestern und die unterstrichigen Gegenzeichen zum normierten Sprach- und Schriftgebrauch sind immer wieder Gegenstand heftiger Attacken. Die Logik, die gemeinhin argumentative Auseinandersetzungen regeln sollte, scheint sich hier aufzulösen und es werden Aggressionen frei, die aus der Debatte eine verbale Schlacht auf einem theoretischen Fußballplatz machen. Sprachpolitische feministische Maßnahmen werden als widernatürlich und faschistisch angeprangert und aus ihrem basisdemokratischen Entstehungskontext gerissen. Ihre Gegner_innen inszenieren sich als unterjochte breite Masse, die unter den Ideen einiger Weniger leiden muss. Sie fordern die Abschaffung der unliebsamen Sprachspiele und wollen Regelungen, die dem unbequemen „Gendern“ Einhalt gebieten.

Objektiv sprechen? Witzeleien („Hauptfrau oder Nebenfrau?“), Übertreibungen („Wer braucht noch einE KugelschreiberIn?“), Abwertungen („Innen-Furz“), Vorwürfe („totalitäre Sprachpolizei“) und in letzter Konsequenz die Tradition und die „realen“ Probleme von Frauen werden gerne ins Feld geführt, um queer_feministische* Sprachpolitik abzuwerten. Gegner_innen wollen uns weismachen, dass unser Anliegen lächerlich und völlig unsinnig sei: Sprache sei nicht der Ort, an dem um Gleichbe rechtigung gerungen werden sollte. Sprache sei ein neutrales Mittel zur Kommunikation und solle nicht von Ideologien verändert und mit ideologischer Information überfrachtet werden. Oftmals wird sprachkritischen feministischen Positionen unterstellt, sie hätten den Bereich der Kritik verlassen und wären selbst zu totalitären Maßnahmen geworden, indem sie mit den „sprachlichen Reinheitsgeboten des Dritten Reichs“ assoziiert oder als „Sprachpolizei“ angeprangert werden.

Sprache als Politik. Eine Bewusstmachung von Machtverhältnissen und Missständen in der Gesellschaft, die sich in ihrer Sprache widerspie geln, ist per Definition unbequem. Sprachliche Sichtbarmachung von Frauen wollte zu Beginn der Frauenbewegung ebenso wie queere Schreibweisen heute Aufmerksamkeit schaffen und stören – sie waren und sind kritisch und nicht regulierend. Feminist_ innen nutzen die Sprache, weil sie sie als einen wichtigen Ort politischen Handelns erachten. Eine Erkenntnis, die sie mit dem politischen Mainstream teilen. Sprache und Politik sind von jeher untrennbar miteinander verbunden, denn Politik ist ein Kampf um ein interpretierendes Verändern der Welt und damit ein ewiger Kampf ums Heißen. Ich möchte nur an die 23 im EU-Beitrittsantrag Österreichs festgelegten Austriazismen („Paradeiser“) erinnern oder an den Einsatz beschönigender Terminologien für unschöne Praktiken („Freisetzen von Arbeitskräften“ statt „Entlassung“). Sprache steht immer schon im Zentrum politischen Handelns. Im Fall des Binnen-I und seiner Gap_Schwester*n wird um das Benanntwerden selbst gerungen. Es geht darum, Möglichkeiten zu schaffen, angesprochen zu werden und damit auch sein zu können.

Es macht aber einen Unterschied, aus welcher Posi tion heraus sprachpolitische Maßnahmen getroffen werden. Sind diese initiiert von Machtträger*n und motiviert von breit akzeptierten Ideologien, so werden auch Gegenstimmen laut, diese scheitern aber zumeist am Wall der empfundenen „Normalität“ und der gefühlten „notwendigen Zweckgebundenheit“ solcher Maßnahmen. Das gilt auch für queer_feministische* Sprachkritik und ihre Anliegen, denn sie werden als „ver-rückt“, als herausgerückt aus der Norm wahrgenommen und ihre Argumente als jenseits der Logik angesiedelt interpretiert. Dementsprechend emotional und wenig logisch gestalten sich dann auch die Diskussionen und Streitgespräche.

Gesprochene Utopie. Der Knackpunkt ist, dass im Fall von Sprachpolitik daran geglaubt wird, dass politisches Handeln ein „regulatives Prinzip Hoffnung“ (Seyla Benhabib), eine konkrete Utopie, braucht. Anders gesagt wurde das destruktive Meckern mit konstruktiven Vorschlägen angereichert, um einen Kampf ums Benanntwerden tatsächlich zu führen und ihn nicht nur als einen prinzipiell zu führenden aufzuzeigen. Feministisch*queere_ Sprachkritik braucht sprachplanerische Vorschläge jenseits sprachlicher Normen, um uns* ins Gespräch zu bringen. Im Fall von feministisch*queere_r Politik wurden „Richtlinien“ verfasst, die Denkstrukturen und konkrete sprachliche Möglichkeiten aufzeigen sollten. Im Kampf um breitere Anerkennung kommen sie mit Parteipolitik in Berührung, werden ideologisch vereinnahmt und zu normierenden Regelungen, die immer mehr vom ursprünglichen Anliegen entfremdet werden.

Es ist eine logische Konsequenz, dass nicht alle mit der Kritik und schon gar nicht mit den Normierungen einverstanden sind. Dass die Diskussionen häufig unter der Gürtellinie geführt werden und oft in Beschimpfungen oder gar Drohungen münden, ist widerlich, aber leider keine Seltenheit in emotionalen Auseinandersetzungen. Die Debatten zeigen aber auch, dass wir es geschafft haben, das politische Element der sprachpolitischen Maßnahmen lebendig zu halten und es nicht durch Regeln und Vorschriften ersticken zu lassen. So lange es ein Aneinandergeraten gibt, ist Politik „am Leben“ und „am Werk“. Es sind gerade die vereinfachenden Kategorisierungen, die politische Bewegungen im Keim ersticken, weil sie jegliche Veränderung als unangemessen, ideologisch und totalitär abtun. Es gibt kein besseres Zeichen dafür, dass queer_feministische* Sprachkritik und Sprachplanung nichts mit dem Tod von Politik zu tun haben, als dass es diese Streitereien gibt.

Karin Wetschanow ist Sprachwissenschaftlerin und Lektorin an der Uni Wien und arbeitet als Regisseurin im Verein „Erinnerungstheater Wien“.

 

Women on the Road

  • 23.10.2014, 02:46

Als Frau alleine reisen? Bis heute scheidet diese Frage die Geister. Vor allem wenn es um Regionen geht, die für Frauen* als problematisch gelten. progress hat mit drei jungen Frauen geredet, die alleine unterwegs waren – und es nicht bereut haben.

Als Frau alleine reisen? Bis heute scheidet diese Frage die Geister. Vor allem wenn es um Regionen geht, die für Frauen* als problematisch gelten. progress hat mit drei jungen Frauen geredet, die alleine unterwegs waren – und es nicht bereut haben.

Meryl, Stephi und Tessa haben zwei Dinge gemeinsam: Sie haben den Wunsch gefasst, alleine wegzufahren, und sie haben sich nicht durch Vorurteile davon abhalten lassen. „Der Grund für meine erste Soloreise war damals nicht mehr als ein vages Gefühl. Ich habe gespürt, dass ich mal Zeit für mich brauche – und zwar wirklich“, erzählt Tessa, die nun schon mehrmals alleine in Norwegen war. Die Frage, ob sie anfangs unsicher war, bejaht sie: „Davor habe ich nur Nachteile gesehen: niemand, den ich kenne, niemand, mit dem ich reden kann, niemand, der mir helfen kann.“ Aber schließlich war alleine unterwegs zu sein für Tessa befreiend und ungezwungen. „Du bist sowieso nie ganz alleine“, erklärt Meryl, die nach Südostasien und Indien gefahren ist. „Du triffst vor Ort Gruppen oder lernst einzelne Leute kennen, mit denen du etwas unternimmst. Das geht viel besser, wenn du solo unterwegs bist. Du kannst dich richtig in das Land fallen lassen.“ Meryl fuhr weg, weil sie eine Auszeit brauchte: „Irgendwie ist es mir in Österreich einfach zu viel geworden. Ich hab mir gedacht – einfach weg. Und dann bin ich sechs Wochen nach Thailand gefahren.“ Nicht alle können einen solchen Entschluss sorglos hinnehmen. Als Stephi nach Indien und Australien reisen wollte, löste sie einen Familienstreit aus.

Reisevorbereitungen. Um als Frau alleine sicher zu sein, ist es nicht unbedingt notwendig, die ganze Reise bis ins kleinste Detail durchzuplanen – ganz im Gegenteil. Als Meryl sechs Wochen lang durch Südostasien reiste, hatte sie nur zwei Dinge geplant: Hinflug und Rückflug. Alles dazwischen überließ sie dem Zufall und war erfolgreich. Ähnlich hielt es Stephi. Tessa hingegen wusste im Vorhinein immer zumindest, zu welchem Zeitpunkt sie in welcher Stadt sein und wo sie unterkommen würde. Sie informierte sich davor aber kaum über die Städte: „Bei der Tagesplanung bin ich spontan. Ich will mich von der Stadt überraschen lassen und möglichst ohne vorgefertigtes Bild im Kopf hinfahren, damit ich einen eigenen Eindruck von der Stadt bekomme.“ Alle drei bekamen vor Ort oft Rat von anderen Tourist_innen oder Einheimischen – darunter auch „Geheimtipps“, die in keiner Reiseführerin erwähnt werden.

Spontan blieb Meryl auch auf ihrer zweiten Reise. Ursprünglich wollte sie nach Nordindien, doch dafür war sie zu kalt angezogen. „Ich dachte, ich könnte warmes Gewand am Weg kaufen, aber dazu war ich noch nicht weit genug im Norden.“ Schließlich ist sie umgekehrt und hat den Süden bereist, bis hin zu einer kleinen Inselgruppe vor der Küste Indiens, wo sie tauchen war. Auch wegen der günstigen Unterkünfte in Indien war es für Meryl nicht so wichtig vorauszuplanen wie für Tessa in Norwegen. Tessa wohnte dort oft in halbprivaten Unterkünften, um sich die Reise leisten zu können. Sie verließ sich bei der Wahl ihrer Unterkünfte auf ihr Bauchgefühl und fand über Airbnb und Couchsurfing Gastgeber_ innen. Durchs Couchsurfen können auch Reisen in teure Länder erschwinglich werden, hier bekommt frau auch alleine leichter eine Unterkunft. „Leute sind zu Frauen oft netter und hilfsbereiter“, meint Tessa, die sich im Vorfeld oft Gedanken über ihre Sicherheit gemacht hat.

Kennenlernen. Das wohl größte Abenteuer für alle drei war das Zusammentreffen mit anderen Menschen. „Ich bin relativ schüchtern“, meint Tessa, während sie von ihren Erlebnissen mit Fremden berichtet. Für sie war es ein Sprung ins kalte Wasser, der sich mehrfach bewährt hat. So lernte sie auf einer Zugfahrt jemanden kennen, der in einer Band spielt, und wurde von ihm zum Konzert und zu einer Backstageparty eingeladen. Zug- und Busfahrten so wie gemeinsame Ausflüge sind gute Möglichkeiten, andere nicht nur oberflächlich kennen zu lernen.

Auch Meryl berichtet von einer Fahrt im Zug, auf der sie sich für 24 Stunden mit zehn fremden Menschen ein Liegeabteil teilte. Überrascht hat sie, wie nah sie in solchen Situationen den anderen kam: „Obwohl wir alle aus unterschiedlichen Kontexten gekommen sind, haben wir alles gemeinsam gemacht – Essen geteilt und gemeinsam gegessen, auf ein Kind aufgepasst, miteinander geredet und einander trotzdem Freiraum gegeben. Nachdem ich aus dem Zug ausgestiegen bin, hab ich wieder niemanden gekannt. Eine schräge Erfahrung.“

Für Stephi war ihre Reise auch eine Möglichkeit, eine neue Sprache zu lernen: Hindi. „Im Vorfeld haben mir alle gesagt, dass in Indien alle Englisch reden. Ich hab’ dann aber eine Zeit lang mit Nepales_ innen zu tun gehabt, die in der Schule nur Hindi gelernt haben und kein Englisch.“ Meryl sprach zwar nicht Thai, dafür aber viel Englisch. „Irgendwann wollte ich nicht mehr auf Deutsch mit anderen reden. Ich habe sogar auf Englisch gedacht und auch mein Reisetagebuch auf Englisch geführt.“

In einer weiteren Hinsicht sind sich alle drei einig: Sie fielen als alleine reisende Frauen auf. Stephi meint, dass das in Australien am wenigsten der Fall gewesen sei, da sehr viele Frauen aller Altersgruppen alleine dorthin fahren. Einige Male fungierten Männer temporär als „Beschützer“, wenn sie zum Beispiel darauf bestanden, sie zum Markt zu begleiten, weil sie Angst um sie hatten. Für Stephi eine seltsame Erfahrung. Sie selbst wirkte auch als positives Vorbild: „Es war schön zu sehen, dass die indischen Mädchen, die total behütet aufwachsen – Mädchen aus reichen Familien werden behandelt wie Prinzessinnen –, das bei mir gesehen haben und dann gesagt haben, dass sie auch einmal alleine verreisen möchten.“

Keine Angst. Stephi fiel im Norden Indiens auf: „Ich war eindeutig Ausländerin, aufgrund meiner Sprache und meines Verhaltens. Aber wenn ich mich indisch gekleidet habe, bin ich gut untergetaucht.“ Manchmal fühlte sich Stephi in Indien sogar wohler als in Wien, wo sie schon öfter belästigt wurde. „Von Indien sagt man, dass Frauen dort nicht respektiert werden. Ich hatte dort aber eher das Gefühl, dass ich nicht angeschaut werde, wenn ich das nicht will“, meint Stephi. „Ich wurde nicht angegriffen. Die Männer waren viel vorsichtiger im Umgang mit mir, aber wahrscheinlich ist das auch lokal unterschiedlich.“ Gleichzeitig mit Stephis Indienreise waren Beiträge in Medien präsent, die von den Vergewaltigungen an Frauen und auch an Touristinnen in Indien berichteten. Viele davon wirkten für Frauen angstmachend. Dass der Situation in Indien so große mediale Auf merksamkeit zukam, findet sie aber auch positiv, weil dies auf eine Veränderung im Land zurückzuführen sei. Viele Freund_innen, die sie damals kennenlernte, gehen jetzt auf Demos für Frauenrechte und gegen die Tabuisierung von Sexualität.

Viele der Ängste, die Frauen betreffen, die alleine reisen, drehen sich um sexualisierte Gewalt, die durch Medienberichte über Vergewaltigungen vor allem mit asiatischen Ländern in Verbindung gebracht wird. Stephi machte, um Selbstbewusstsein zu tanken und um zu wissen, dass sie in schwierigen Situationen einen kühlen Kopf bewahren kann, vor ihrer Abreise einen Selbstverteidigungskurs. Zu lernen, sich bei Übergriffen zu wehren, kann gut tun. Um mit lokaler Diskriminierung umgehen zu können, empfiehlt Stephi auch sich auf die religiösen und kulturellen Eigenschaften eines Landes vorzubereiten, vor allem, was Traditionen der Bekleidung betrifft. „Ein Bikini ist in Indien weniger als normale Unterwäsche. Das muss dir vorher klar sein.“

Viele Gefahren, die Frauen auf Reisen betreffen, gelten genauso für Männer, weshalb sich Stephi darüber ärgert, dass vor allem Frauen Angst gemacht wird. Sie erzählt von dem einzigen Mal, als sie in Indien wirklich Angst hatte – und das war nicht die Schuld von Menschen. „Einmal bin ich um fünf in der Früh laufen gegangen und wohl durch das Revier von Affen gekommen, die mich angeschrien und mit Zapfen und Nüssen nach mir geworfen haben.“

Dass es Situationen gibt, die vor allem für Frauen unangenehm sind, können die drei allerdings nicht abstreiten. Auch Tessa machte in Norwegen unangenehme Erfahrungen mit einem Mann, der ein „Nein“ nicht akzeptieren wollte, als sie abends Biertrinken war. Die Situation ging glimpflich aus und stellt für Tessa eine Ausnahme dar, da sie beobachtete, dass Männer in Norwegen im Allgemeinen ein „Nein“ besser verstehen als in Österreich. Ein unangenehmes Gefühl bleibt für sie trotzdem, wenn sie an den Vorfall zurückdenkt. Auch Meryl mied bestimmte Situationen – beispielsweise nachts allein am Strand unterwegs zu sein. Das Wichtigste sei, sich darauf einzustellen und immer selbstbewusst aufzutreten, egal ob in Verhandlungen mit dem Taxifahrer oder alleine auf der Straße. Falls es dennoch zu einem Übergriff kommt, ist es wichtig, sich nicht selbst die Schuld daran zu geben. In allen Ländern, in denen Frauen als schwach gelten, gibt es solche Probleme – Belästigung, Übergriffe oder auch Vergewaltigung. Doch aus Angst zu Hause bleiben sollten Frauen auf keinen Fall, da sind sich Stephi, Meryl und Tessa einig.

Magdalena Hangel lebt in Wien, schreibt an ihrer Doktorinnenarbeit im Bereich der Germanistik.

www.women-on-the-road.com

wikitravel.org/

Stephis Reiseblog: www.mahangu.com/trip/AFD/waypoint-1

 

 

Kurzschluss: Männerhirne, Frauenhirne

  • 23.10.2014, 01:38

„Männer reden wenig und Frauen können nicht einparken“ – so seien sie eben programmiert. Doch die Suche nach Geschlechterunterschieden im Gehirn ist nicht so einfach wie oft dargestellt.

„Männer reden wenig und Frauen können nicht einparken“ – so seien sie eben programmiert. Doch die Suche nach Geschlechterunterschieden im Gehirn ist nicht so einfach wie oft dargestellt.

Wir begegnen ihnen immer öfter: bunten Bildern von Gehirnen mit Farbverläufen von dunkelblau über rot bis hin zu weiß, die anzeigen, welche Hirnregionen gerade besonders aktiv sind. Wir alle haben schon gehört, dass Frauen und Männer unterschiedlich „verkabelt“ seien, dass ihre Gehirne unterschiedlich funktionieren würden. Frauen zum Beispiel hätten ausgeprägtere Sprachzentren, aber ein schwächer entwickeltes räumliches Vorstellungsvermögen.

Die Kombination dieser beiden Phänomene – Gehirnforschung und Geschlechterstereotypen – wird spätestens seit Cordelia Fines Buch „Die Geschlechterlüge“ als Neurosexismus bezeichnet. Neurosexismus hat viele Facetten – von plumpen Aussagen wie „Männer sind von Natur aus so!“ bis hin zur mehr oder weniger subtilen und oft unbewussten Suche nach Geschlechterunterschieden in den modernen Neurowissenschaften.

Konstruierte Gehirnbilder. Tatsächlich ist die Verbindung von gesellschaftlichen Stereotypen und wissenschaftlicher Forschung nichts Neues. So hat etwa die Wissenschaftshistorikerin Londa Schiebinger gezeigt, dass schon im 18. und 19. Jahrhundert Befunde und Interpretationen zu menschlichen Skeletten und Schädeln häufig an die Überzeugung angepasst wurden, dass „Männer“ intellektuell weiter entwickelt seien als „Frauen“ – und „Weiße“ weiter als „Schwarze“.

Nach wie vor sind Wissenschaft und gesellschaftliche Vorstellungen eng miteinander verbunden. Zum einen liegt das daran, dass wissenschaftliches Wissen einen besonders hohen Stellenwert genießt und zum anderen daran, dass neue Technologien den Eindruck vermitteln, wir könnten direkt ins Gehirn blicken und so „die Wahrheit“ unmittelbar wiedergeben. Etwa im Fall der Magnetresonanztomographie (MRT), bei der mit Hilfe von Magnetfeldern ein Bild des menschlichen Gehirns erstellt wird. Sigrid Schmitz, Biologin und Professorin für Gender Studies an der Universität Wien, erklärt dazu: „Beim Erstellen von Gehirnbildern muss eine ganze Reihe von Entscheidungen darüber getroffen werden, welche Gehirnfunktionen und -strukturen betrachtet werden, welche Vergleichsgruppen gewählt und anhand welcher Merkmale Unterschiede bestimmt werden. Gehirnbilder sind Konstruktionen, und auch gesellschaftliche Vorstellungen spielen eine große Rolle in ihrer Produktion.“

Ein Beispiel dafür ist die Annahme, dass es (für Hirnstudien und allgemein) zwei klar definierte Gruppen gäbe, die in sich homogen seien, zwischen denen es aber große Unterschiede gäbe: Männer und Frauen. So muss bei vielen Gehirnscangeräten zuerst einmal eingestellt werden, ob die Testperson männlich oder weiblich ist, bevor das Gerät überhaupt in Betrieb genommen werden kann. Auf diese und andere Arten beeinflussen gesellschaftliche Vorstellungen die wissenschaftliche Wissensproduktion. Ob nun unsere Gehirne männlich oder weiblich verkabelt sind oder nicht: Die wissenschaftlichen Apparate, die dies untersuchen sollen, sind es auf jeden Fall.

Henne oder Ei? Doch wie sieht es mit den Gehirnen selbst aus? Verschiedene Befunde sprechen dafür, dass „Geschlecht“ im Gehirn ein weit komplexeres Phänomen ist als gemeinhin behauptet. So argumentieren etwa Gina Rippon und andere, dass es zwischen den beiden Gruppen „Männer“ und „Frauen“ oft wesentlich mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede gäbe und umgekehrt innerhalb dieser Gruppen eine signifikante Bandbreite an neurologischen Ausprägungen. Sigrid Schmitz meint, die moderne Hirnforschung sei oft auf „Unterschiedsforschung“ fokussiert und verstärke damit die Annahme der fundamentalen Andersartigkeit von Männern und Frauen.

Außerdem ist normalerweise nicht das ganze Gehirn einfach „männlich“ oder „weiblich“. Vielmehr hat eine Person praktisch immer einige Areale, die eher dem statistischen Mittel für „weibliche“ Gehirne entsprechen, und andere, die statistisch eher „männlich“ sind. Dieses Mosaik verschiedener Aspekte lässt sich nicht einfach auf „männlich“ oder „weiblich“ reduzieren.

Verhaltensweisen und Eigenschaften variieren außerdem in Abhängigkeit vom kulturellen und historischen Kontext, in dem wir leben, und der spezifischen Situation, in der sie abgerufen werden. So haben Experimente zu Empathie gezeigt, dass Männer umso schlechter abschneiden, je klarer ist, dass es um Empathie geht. Allerdings verschwindet dieser (stereotype) Nachteil, wenn gute Ergebnisse mit Geld belohnt werden. Finanzielle Anreize können also Männer dazu bringen, sich aus ihrer kulturellen Position, in der Empathie als typisch weibliche Eigenschaft gesehen wird, herauszubewegen – ganz ohne Gehirntransplantation.

Ein weiteres wichtiges Konzept in der kritischen Reflexion von Hirnforschung ist die Hirnplastizität: Das Gehirn stellt nämlich nicht – wie häufig angenommen – einfach die Basis unseres Verhaltens dar. Unser Verhalten ist zum Teil die Basis unserer Gehirnentwicklung. Menschliche Gehirne sind an keinem Punkt in unserem Leben fix ausgeprägt, sondern werden aufgrund unserer Erfahrungen ständig umstrukturiert: Ohne Plastizität, also Formbarkeit, könnten wir nichts Neues (er)lernen. Wenn also gesellschaftlich davon ausgegangen wird, dass „Männer“ besser in Mathematik sind als „Frauen“, dann hat diese Vorstellung einen Einfluss darauf, was und wie sie Mathematik lernen (können). Und unser Gehirn stellt sich – in seiner physischen Zusammensetzung – darauf ein.

Das bedeutet nicht, dass Buben bewusst dazu erzogen werden, besser in Mathematik zu sein. Trotzdem wird diese Vorstellung zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Der Wissenschaftsphilosoph Ian Hacking beschreibt solche Vorgänge als „looping effects“, also Rückkoppelungseffekte: Gesellschaftliche Vorstellungen beeinflussen den Aufbau unserer Gehirne, auf Basis derer dann neurowissenschaftliche Studien etwa zu dem Ergebnis kommen, dass Männer besser in Mathematik seien – wodurch sich das Stereotyp wieder verstärkt. Die Biologie unserer Gehirne – ihr tatsächlicher Aufbau – ist gesellschaftlich beeinflusst, und der Aufbau unserer Gehirne beeinflusst gesellschaftliche Vorstellungen. Die Frage nach Gehirnen und Normen ist wie die nach der Henne und dem Ei.

Pinke und blaue Rosinen. Auch die Darstellung von Hirnforschung in populären Medien beeinflusst gesellschaftliche Normen. So benützen Bücher wie „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken“ neurowissenschaftliche Ergebnisse oft sehr selektiv, um ein bestimmtes Bild zu erzeugen. Während in den Neurowissenschaften verschiedene – auch kritische – Zugänge, Ergebnisse und Interpretationen zu Geschlechterfragen existieren, erwecken populäre Medien oft den Anschein, es gäbe einen eindeutigen wissenschaftlichen Konsens. Diese Popularisierungen verstärken einen Effekt, der als „publication bias“ bezeichnet wird: Wissenschaftliche Studien werden eher publiziert, finanziert und unterstützt, wenn sie Unterschiede zeigen, als wenn sie Gemeinsamkeiten feststellen. Populärliteratur ignoriert letztere oft noch zusätzlich und pickt die sich gut verkaufenden pinken und blauen Rosinen aus der wissenschaftlichen Literatur heraus.

Das ist besonders problematisch, weil der Hirnforschung eine so große Bedeutung in unserer Gesellschaft zukommt. Zusätzlich zur Autorität wissenschaftlichen Wissens und dem Eindruck, Bilder könnten die „Realität“ menschlicher Gehirne objektiv abbilden, hat sich in den letzten Jahrzehnten auch der Trend entwickelt, den Menschen als „zerebrales Subjekt“ zu begreifen, also als völlig auf seinem/ihrem Gehirn basierend. Laut Sigrid Schmitz wird dieses Menschenbild von der Annahme getragen, dass wir nicht einfach ein Gehirn haben, sondern unser Gehirn sind. Unser Gehirn sei bestimmend für unser Verhalten, unsere Präferenzen, unsere Einstellungen – es sei der Träger unseres Seins. Die zentrale Bedeutung, die dem Gehirn zugeschrieben wird, zeigt sich auch darin, dass immer mehr Disziplinen entstehen, die geistesoder sozialwissenschaftliche Themen mit Gehirn forschung verquicken, von Neuroökonomie über Neuropädagogik bis hin zu Neurotheologie.

Durch die Autorität von Gehirnforschung spielt Neurosexismus eine besonders große Rolle bei der Reproduktion und Legitimation von Stereotypen, Strukturen und Machtverhältnissen. Umso wichtiger ist es, Gehirnforschung als politisch zu begreifen. Denn Politik wird nicht nur in Parteien und Institutionen gemacht, sondern auch durch gesellschaftliche Normen und Modelle. Zum Beispiel zieht die Frage, welche Verhaltensweisen und Präferenzen Frauen bzw. Männern zugeordnet werden, nicht nur Rück koppelungseffekte nach sich, sondern beeinflusst auch die Positionen, die Frauen und Männern in der Gesellschaft (zum Beispiel am Arbeitsmarkt) zugewiesen werden.

Wir sollten jedenfalls aufhorchen, wenn behauptet wird, dass Frauen und Männer „von Natur aus verschieden“ seien. Zum einen sollten Neurowissenschafter*innen kritisch damit umgehen, dass das, was sie untersuchen, auch nicht „einfach da“ ist, sondern erst produziert wird – zum Beispiel durch gesellschaftliche Normen, die Gehirne physisch verändern, oder Einstellungen an MRT-Geräten, die die (Gehirn-)Welt in zwei fundamental unterschiedliche Geschlechter teilen. Zum anderen dürfen sich aber Kritiker*innen auch nicht damit zufriedengeben, neurowissenschaftliche Forschung pauschal zu verurteilen. Stattdessen sollten wir im Kopf behalten, dass gesellschaftliche Normen, mediale Repräsentationen, wissenschaftliche Arbeit und tatsächliche Gehirne miteinander verkabelt sind, um Kurzschlüsse zu vermeiden.

Boka En hat Gender and Sexuality Studies an der University of London studiert und absolviert einen Master in „Science–Technology–Society“ an der Universität Wien.

 

„Theater“ um Regenbogenfahnen beendet?

  • 05.07.2014, 08:32

So viele Grazer Bezirksrät_innen wie noch nie stimmten für ein Zeichen gegen Homophobie. Christoph Schattleitner blickt zurück auf die Hintergründe.

So viele Grazer Bezirksrät_innen wie noch nie stimmten für ein Zeichen gegen Homophobie. Christoph Schattleitner blickt zurück auf die Hintergründe.

Am 28. Juni ist Christopher Street Day (CSD), an dem sich weltweit Menschen für die Gleichbehandlung von Schwulen, Lesben, Transgender und Bisexuellen solidarisieren. Das ist oft eine Mischung aus Party und Protest, wie etwa in Wien bei der Regenbogenparade. Ziel ist es, auf Missstände und Diskriminierung von Homosexuellen hinzuweisen. Zwischen Ehe und Eingetragener Partnerschaft gibt es nach wie vor 40 Ungleichbehandlungen, wie Betroffene beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte feststellen ließen. Die Benachteiligungen reichen vom Adoptionsrecht über Pensionsanspruch bis hin zur Frage, wo getraut werden darf.

„Theater“ in Graz

Letzteres wurde in Graz heftig diskutiert. Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) wehrte sich lange gegen eine Verpartnerung von Homosexuellen im Trauungssaal des Rathauses bis der Verfassungsgerichtshof zu einer anderen Erkenntnis kam: Seit September 2013 darf nun auch im Prunksaal verpartnert werden. Mit Regenbogenfahnen soll am Christopher Street Day auf solche Ungleichbehandlungen aufmerksam gemacht werden. Anderenorts ist das bereits Routine. In Wien etwa werden wochenlang die Straßenbahnen mit kleinen Regenbogenfähnchen geschmückt, in Berlin hissen jedes Jahr alle Bezirksrathäuser die bunte Fahne. Gleiches versucht seit 2008 Gerald Kuhn, Grüner Bezirksrat des Stadtbezirks Jakomini, auch in Graz durchzusetzen. Bisher gab es um die Fahnen aber immer ein „Theater“, ärgert er sich. Die Grazer Grünen stellen Jahr für Jahr in den Bezirken, in denen sie vertreten sind, einen Antrag zum Kauf (eine Fahne kostet 14, 50 Euro) und zur Hängung der Flaggen. Das blieb nicht immer ohne Widerstand. Vergangenes Jahr stimmten etwa die Bezirksräte St. Leonhard, Mariatrost und Lend gegen den Antrag. Während die Grünen ein „massives Problem mit Homosexuellen“ (Zitat Kuhn) bei der ÖVP orteten, sorgte der bunte Stoff auch bei der SPÖ für Aufregung: Zwei der drei SPÖ-Räte im Lend wollten keine Homo-Flaggen und kassierten dafür Kritik von der Sozialistischen Jugend: „Wir sollten uns als Sozialdemokraten schämen. Das ist ein peinlicher Ausrutscher“, meinte Sebastian Pay von der SJ Graz. Heuer stimmte der Bezirk Lend einer Beflaggung zu – so wie sieben andere Bezirke. In zehn der 17 Bezirke wurden Anträge gestellt, acht gingen durch – so viele wie noch nie. „Das ist ein voller Erfolg – vor allem, weil einige Bezirke die Fahnen nicht ein, zwei Wochen, sondern den ganzen Juni lang aufhängen“, freut sich Kuhn über die Entwicklung in Richtung mehr Toleranz in der „Menschenrechtsstadt“ Graz.

Übrigens: Die Stadt Graz selbst hat bis dato noch keine Regenbogenfahne gehisst. Vor dem Rathaus hing zwar die letzten Jahre eine Fahne, dies geschah aber immer auf Initiative und Rechnung der Grünen, erklärt Nicole Kuss, Pressesprecherin von Stadträtin Lisa Rücker (Grüne). Heuer verpasste man es die Fahnenmasten zu reservieren.

Leerer Fahnenmast im Volksgarten Graz im Jahr 2013. Foto: Christoph Schattleitner

Christoph Schattleitner studiert „Journalismus und PR“ an der FH Joanneum in Graz und twittert unter dem Namen @schattleitner.

Mitternachtseinlage Geschichtsrevisionismus

  • 16.01.2014, 14:49

Am 24. Januar tanzen auf dem „Akademikerball“ wieder Burschenschafter und andere Kameraden in der Wiener Hofburg. Wes Geistes Kind diese Folgeveranstaltung des WKR-Balls ist, zeigt sich in ihrem Verhältnis zum Holocaust,ihren Geschlechterbildern und ihren Personalüberschneidungen mit der FPÖ.

Am 24. Januar tanzen auf dem „Akademikerball“ wieder Burschenschafter und andere Kameraden in der Wiener Hofburg. Wes Geistes Kind diese Folgeveranstaltung des WKR-Balls ist, zeigt sich in ihrem Verhältnis zum Holocaust,ihren Geschlechterbildern  und ihren Personalüberschneidungen mit der FPÖ.

Rechte Burschenschaften und antifaschistische Gruppen haben einen zentralen gemeinsamen Termin: Den Ball der Burschenschaften in der Wiener Hofburg Ende Januar. Jedes Jahr beginnt einige Wochen vorher eine öffentliche Debatte um diesen Ball, der sich von vielen anderen Veranstaltungen der Wiener Ballsaison dadurch unterscheidet, dass er ein Treffen reaktionärer Eliten ist. Mehrere Organisationen veranstalten Gegendemonstrationen, Kundgebungen und Blockaden, allesamt mit dem Ziel, dass der Ball in Zukunft nicht mehr – oder zumindest nicht mehr in der Hofburg – stattfindet.

Bis 2012 organisierte der Wiener Korporationsring (WKR) den Ball, der Name WKR-Ball hat sich bis heute inoffiziell gehalten. Der WKR ist ein Zusammenschluss von meist schlagenden Wiener Studentenverbindungen. Dort wird die Mensur gefochten, ein Kampf zwischen Mitgliedern der Männerbünde mit scharfen Waffen, der zumindest ohne Kopf- und Gesichtsschutz ausgetragen wird. Sie führt oft zu Narben im Gesicht, die im burschenschaftlichen Milieu nicht als gefährliche Verletzungen, sondern als Zeichen von „Ehre“ gelten.

Die Mitgliedsverbindungen des WKR sind selbst im konservativen Milieu der Studentenverbindungen als rechts bis rechtsextrem einzustufen. Die akademische Burschenschaft Olympia beispielsweise hatte 2005 den britischen Holocaustleugner David Irving zu einem Vortrag eingeladen, dieser wurde aber kurz vorher verhaftet. 2003 lud die Olympia am Folgeabend des WKR-Balls zu einem „nationalen Liederabend“ mit dem deutschen Neonazi-Liedermacher Michael Müller, von dem unter anderem eine Coverversion eines Klassikers von Udo Jürgens stammt: „Mit 6 Millionen Juden, da fängt der Spaß erst an. (...) Bei 6 Millionen Juden, ist noch lange nicht Schluss.“

Die FPÖ vermittelt

Nach breiten Protesten hat die Hofburg-Betreibergesellschaft aufgrund der „politischen und medialen Dimension“ des WKR-Balls 2012 angekündigt, ab 2013 nicht mehr als Veranstaltungsraum für den Ball der Korporierten zur Verfügung zu stehen. Seit 2013 mietet die Wiener Landesgruppe der FPÖ für den „Wiener Akademikerball Ballausschuss“ die Hofburg. Der „Wiener Akademikerball“, wie er seitdem heißt, ist die direkte Nachfolgeveranstaltung des WKR-Balls. Organisator Udo Guggenbichler sitzt für die FPÖ im Wiener Gemeinderat und ist Mitglied der schlagenden Burschenschaft Albia, die, wie die Olympia, neben ihrer Mitgliedschaft im WKR auch in der Deutschen Burschenschaft organisiert ist.

Gäste der vergangenen Jahre waren unter anderem Marine Le Pen, Vorsitzende des französischen Front National, Kent Ekeroth von den Schwedendemokraten und Philip Claeys vom belgischen Vlaams Belang sowie Anhänger der NPD. Die internationale Prominenz hielt sich 2013 allerdings zurück, nachdem beispielsweise Le Pen in Frankreich für ihren Besuch öffentlich Kritik einstecken musste. Auch Heinz-Christian Strache, Vorsitzender der FPÖ, war 2013 nicht auf dem Ball, hatte aber im Jahr davor, am 27. Januar 2012, dem internationalen Holocaust-Gedenktag und Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz durch die Rote Armee, gemeinsam mit Guggenbichler die Eröffnungsrede des WKR-Balls gehalten. Auch sagte er dort Standard-Berichten zufolge, die Ballgäste seien „die neuen Juden“ und Attacken auf Burschenschafterbuden seien „wie die Reichskristallnacht gewesen. Diesen Vergleich mit der Reichspogromnacht wollte Strache im Nachhinein nicht als solchen verstanden wissen und wiederholte ihn dennoch im Zeit-im-Bild-Interview. Die Reichspogromnacht markierte im November 1938 den Beginn der systematischen Verfolgung von Juden und Jüdinnen im nationalsozialistischen Deutschland und Österreich. Trotz heftiger Kritik ist Strache weiterhin FPÖ-Vorsitzender und die FPÖ, deren Kanzlerkandidat er war, erreichte bei der vergangenen Nationalratswahl 20,5 Prozent der Stimmen. Nächste Woche, heißt es, wird er den Ball wieder besuchen.

Sexismus verpflichtet zur Verschwiegenheit

„Hast du eine Freundin, die weder schön noch still ist, kurz: bist du auf irgendeine Weise abnormal oder unfröhlich, dann bleib lieber zuhause.“ Dieser Satz aus einem Flugblatt der Olympia verdeutlicht das reaktionäre Frauenbild und die sexistische Vorstellung des Geschlechterverhältnisses der Burschenschaft. „Damen“ können „mitgebracht“ werden, sollen aber bitte dekorativ sein und allerhöchstens zustimmend nicken. Jede Form von Geschlecht und Sexualität jenseits repressiv-traditionalistischer Normen hat bei den strammen Burschenschaftern keinen Platz. Sie selbst hingegen, „natürlich“ ausschließlich Männer, besuchen den Ball sicher nicht zuletzt, um zu den burschenschaftlichen Netzwerken und Seilschaften Zugang zu erlangen, die auch in der österreichischen Politik- und Wirtschaftslandschaft noch immer von Bedeutung sind. Auf dem Ball bündelt sich allerdings lediglich, was neben großdeutscher Agitation immer ein Zweck der Verbindungen war: Karriere schmieden durch Kontakte.

Seit etwa 2008 formiert sich immer breiterer Protest gegen WKR- und Akademikerball. Mit Informationsveranstaltungen, Demonstrationen und Blockaden machen bürgerliche und zivilgesellschaftlich ebenso wie linksradikale Initiativen darauf aufmerksam, wer sich da in den repräsentativsten Räumlichkeiten Österreichs trifft. Seither wird über das Thema öffentlich diskutiert. Anfang Januar haben NS- und Holocaustüberlebende einen offenen Brief an die Hofburg-Betreibergesellschaft, Kanzler und Bundespräsident geschrieben und gefordert, den Ball aus der Hofburg zu verbannen. Bisher reagierten diese nicht darauf. Im Brief erklären sich die Überlebenden „fassungslos, dass die im Eigentum den Republik stehende Hofburg noch immer ihre Tore für Vertreter und Vertreterinnen rechtsextremer Vereine aus Österreich und Europa öffnet“.

Es gibt verschiedene linke Gegenbewegungen zum Akademikerball. progress online stellt diese hier in Kurzinterviews vor:

Partykommunismus am WTF-Ball

Antifaschismus ist notwendig, aber nicht ausreichend - NOWKR

Menschenblockade gegen Burschenschaften - Offensive gegen Rechts

 

Der Autor studiert Internationale Entwicklung an der Universität Wien.

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