Generation Y

Vom Hochschulabschluss in die Krise

  • 12.03.2016, 15:12
Mit Mitte Zwanzig ziehen junge Menschen eine erste Lebensbilanz und fragen sich: Ist das Leben, das ich führe, das Leben, das ich führen will? Das endet oftmals in einer handfesten Krise.

Mit Mitte Zwanzig ziehen junge Menschen eine erste Lebensbilanz und fragen sich: Ist das Leben, das ich führe, das Leben, das ich führen will? Das endet oftmals in einer handfesten Krise.

Wer den Hochschulabschluss in der Tasche hat, hat auch das Rüstzeug, um in eine verheißungsvolle Zukunft zu starten. So sollte es zumindest sein. Was für die einen nämlich nach Aufbruch, Chancen und Freiheit klingt, ist für andere wiederum mit Angst, Unsicherheiten und Verzweiflung verbunden. Und darum verwundert es nicht weiter, wenn junge Menschen in dieser Lebensphase – nämlich beim Übergang vom Ausbildungs- zum Berufsleben – in eine Krise schlittern. Die Rede ist hier von der sogenannten „Quarterlife Crisis“.

#QUARTERLIFECRISIS. Ein Blick auf Twitter bestätigt: Die Quarterlife Crisis beschäftigt junge Menschen. Tweets wie „Ich hatte zwar keinen genauen Plan, wie mein Leben mit 24 aussehen sollte, aber so wie es jetzt aussieht… #quarterlifecrisis“, „Gespräche mit gleichaltrigen Berufstätigen zeigen mir auf: Ich würde auch nicht tauschen wollen. #quarterlifecrisis“ oder „Der Hashtag #quarterlifecrisis beschreibt mein Denken und meine Situation gerade sehr gut.“ lassen eine düstere Stimmungslage vermuten und sind nur ein Auszug der unzähligen Tweets zum Thema. Drei junge Menschen, die sich ebenfalls mit dem Hashtag #quarterlifecrisis zu Wort gemeldet haben, haben sich dazu bereit erklärt, über das Thema „Quarterlife Crisis“ zu sprechen: Thu Trang Eva (22) studiert „Zeitbasierte und Interaktive Medien“ an der Kunstuniversität Linz, Pia (28) hat kürzlich am Institut für Publizistik der Universität Mainz ihr Studium abgeschlossen und Roland (28) arbeitet als Assistenzarzt in der Notfallmedizin in Marburg.

Woran die drei erkannt haben, dass sie in einer Quarterlife Crisis stecken? „Ich habe vor allem gemerkt, dass mich das typische Generation Y-Gefühl, nämlich etwas ganz Besonderes aus meinem Leben machen zu müssen, plötzlich überfordert hat. Zudem hatte ich ständig Zweifel, welchen Weg ich denn nun einschlagen soll“, erzählt Pia. Mit dem Gefühl, den falschen Weg eingeschlagen zu haben, kämpft Roland: „Meine Berufsentscheidung zweifel‘ ich stark an. Ich habe einfach das Gefühl, dass ist nicht das Richtige.“ Obwohl Thu Trang Eva genau weiß, dass sie das Richtige macht, machten sich insbesondere in den ersten zwei Semestern ihres Studiums Zweifel breit: „Ich hatte damals den Eindruck, dass meine StudienkollegInnen viel besser, erfolgreicher und kreativer sind als ich.“ Den Eindruck, dass FreudInnen und KollegInnen ein besseres und erfolgreicheres Leben führen, als man selbst es tut, gewinnen junge Menschen auch über Social Media. „Die Geschichte mit Facebook und der plötzlichen Vermutung, im Vergleich schlechter abzuschneiden als andere, kenne ich sehr gut. Zum Glück wurde mir schnell klar, dass das Meiste auf Facebook reine Selbstdarstellung und nur eine Seite der Medaille ist.“

IST-ZUSTAND VS. IDEAL-ZUSTAND. Mit Mitte Zwanzig, also am Ende ihres ersten Lebensviertels, überkommt viele junge Menschen das Bedürfnis, eine erste Lebensbilanz zu ziehen, ob das Leben auch den eigenen Erwartungen und Vorstellungen entspricht. In dieser Phase stellen sie oftmals ihre Lebensentwürfe in Frage oder gleichen den Ist-Zustand mit dem vor Jahren anvisierten Ideal-Zustand ab. Dabei sind es Fragen wie „Bin ich mit meinen Beziehungen, meinen Interessen und meinem Job zufrieden?“, „Was mache ich mit meinem Leben?“ und „Wo sehe ich mich in der Zukunft?“, die jungen Menschen schlaflose Nächte bereiten. Während der Lebensweg der Eltern und Großeltern oftmals eingeschränkt und vorgezeichnet war, ist die Generation Y - also jene Menschen die zwischen 1980 und 1999 geboren sind - die erste Generation, die im Bewusstsein aufgewachsen ist, dass sie ihr Leben nach ihren eigenen Bedürfnissen und Wünschen gestalten können. Es ist die Freiheit, die zur Last wird und der Optionenüberschuss, der Entscheidungen erschwert. Die Freiheit wird vom permanenten Gefühl begleitet, dass man nicht alle Möglichkeiten, die einem offenstehen, gut genug nützen kann. Damit einhergehend entsteht auch oft der Eindruck, dass andere mehr aus ihren Möglichkeiten machen, als man selbst. Gleichzeitig machen anstehende Entscheidungen das Leben schwer, denn wer sich für etwas entscheidet, entscheidet sich gleichzeitig auch immer gegen etwas. Hier bekommt die Redensart „Wer die Wahl hat, hat die Qual“ einmal mehr ihre vollständige Berechtigung. Was sich auf den ersten Blick nach einem Luxusproblem anhört, kann tatsächlich in einer handfesten Krise enden.

Populär wurde der Begriff „Quarterlife Crisis“ um die Jahrtausendwende, als die beiden amerikanischen Autorinnen Abby Wilner und Alexandra Robbins das Buch „Quarterlife Crisis: Die Sinnkrise der Mittzwanziger“ verfassten. Dazu interviewten die beiden rund 200 MittzwanzigerInnen, werteten die Ergebnisse ihrer Befragungen aus und fassten sie in ihrem Buch zusammen. In diesem beschreiben sie die Quarterlife Crisis als einen Übergang von der „akademischen Welt“ in die „echte Welt“, an dem junge Menschen unaufhörlich ihre eigenen Entscheidungen und ihre Zukunft hinterfragen.

ORIENTIERUNGSLOSIGKEIT. Anlässlich ihrer Master-Thesis an der Wirtschaftsuniversität Wien hat Rafaela Artner sich intensiv mit dem Thema „Quarterlife Crisis“ beschäftigt und anhand einer Online-Umfrage die Verbreitung dieser Krise erhoben. Insgesamt haben 2.640 AkademikerInnen zwischen 20 und 30 Jahren des deutschsprachigen Raumes an der Ende 2014 durchgeführten Online-Umfrage teilgenommen. Durch die Auswertung ist Rafaela Artner zu dem Ergebnis gekommen, dass knapp ein Viertel (23,4 Prozent) der Befragten mit hoher Wahrscheinlichkeit an der Quarterlife Crisis leidet. Zwei interessante Fakten dazu: Laut den Ergebnissen sind Frauen, sozial Schwächere und Personen, die noch zu Hause wohnen, stärker betroffen als andere. Ein nennenswerter Zusammenhang zwischen dem Alter und dem akademischen Erfolg haben sich jedoch nicht nachweisen lassen - das heißt wohl, dass hochmotivierte KarrieristInnen von derselben Krise geplagt werden können wie LangzeitstudentInnen ohne große Karriereambitionen. Thomas Schneidhofer, mittlerweile Professor für Personal und Management an der Privatuniversität Schloss Seeburg, war Rafaela Artners Masterarbeitsbetreuer und weist darauf hin, dass in der Online-Umfrage lediglich die Selbsteinschätzung abgefragt wurde und es sich keineswegs um eine diagnostische Aussage handelt, dass rund ein Viertel der Befragten an einer Quarterlife Crisis leidet. „Wir können nicht sagen, dass wir definitiv wissen, dass die Befragten an einer Quarterlife Crisis leiden. Wir können nur sagen, dass ein sehr hoher Anteil der Befragten, nämlich insgesamt rund ein Viertel, angibt, unter der Quarterlife Crisis zu leiden“, so Schneidhofer.

Zusammengefasst sind es drei Symptome, die auf eine Quarterlife Crisis schließen lassen, erklärt Thomas Schneidhofer: „Das sind die Orientierungslosigkeit hinsichtlich der momentanen Lebenssituation und zukünftigen Lebensplanung, die Orientierungslosigkeit hinsichtlich der beruflichen Ziele und Berufswahl und die Orientierungslosigkeit hinsichtlich der Familiengründung und Karriereplanung.“ Diese drei Symptome lassen junge Menschen mit Mitte Zwanzig dann häufig in eine Krise schlittern. „Es geht um ein Gefühl der Perspektivenlosigkeit unter der gleichzeitigen Erfahrung, eigentlich schon recht viel gemacht und erreicht zu haben, aber nicht so ganz genau zu wissen, wie es weitergeht“, erklärt Schneidhofer.

KRISE ALS CHANCE. Warum die Quarterlife Crisis ein Phänomen der Generation Y ist, liegt laut Rafela Artner sowohl an der Überforderung mit der Vielzahl an Möglichkeiten, als auch am gestiegenen Konkurrenz- und Leistungsdruck. Die Erwartungshaltung der Generation Y sei wesentlich höher als die vorangegangener Generationen. Sie suche viel stärker nach dem Sinn des Lebens. Dazu kommt, dass sich junge Menschen heute viel stärker mit anderen vergleichen und dies heute im Vergleich zu früher auch sehr viel einfacher möglich ist. Die Vergleichsobjekte sind zum einen Menschen, die einem selbst aufgrund ihres bisherigen Werdegangs sehr ähnlich sind und andererseits auch Menschen, die aus anderen Gründen eine Vorbildfunktion ausüben. Social Media ermöglicht es, rasch und unkompliziert Einblick in das Leben dieser Menschen zu bekommen. Das kann dazu führen, dass man den Eindruck bekommt, dass alle anderen den besseren Job, die tollere Partnerschaft und grundsätzlich das erstrebenswertere Leben haben. „Durch diesen Vergleich kann natürlich der Eindruck entstehen, dass wir immer schlechter abschneiden, als die anderen. Und dabei haben wir gar nicht so wirklich im Kopf, dass das, was die über sich preisgeben, auch nur die positiven Dinge im Leben sind“, erklärt Schneidhofer.

Wissenschaftlich abgesicherte Methoden, um wieder aus einer Quarterlife Crisis herauszufinden, gibt es bisher noch keine. „Es lässt sich aber vermuten, dass es mit dem Eintritt ins Berufsleben und mit der Absicherung der beruflichen Perspektiven zu einer Besserung kommen müsste“, schließt Schneidhofer. Ein Patentrezept, um wieder aus der Krise herauszufinden, haben auch Thu Trang Eva, Pia und Roland nicht. Während Roland dabei ist, sich alternative Berufsmöglichkeiten zu erarbeiten, versucht Thu Trang Eva, sich nicht immer selbst so unter Druck zu setzen und einfach einmal zu schauen, wohin der Weg sie führt. Und Pia hat es sich zum Ziel gesetzt, sich mehr auf sich selbst und weniger auf die anderen zu fokussieren. Und bis es soweit ist, zahlt es sich in jedem Fall aus, die Chancen, die sich aus dieser Krise ergeben, zu ergreifen. Zum Beispiel die Chance, dass eine Bestandsaufnahme des bisherigen Lebens nicht nur sinnvoll, sondern auch reinigend sein kann. Und eine solche Bestandsaufnahme macht man meist eben nur dann, wenn es nicht so rund läuft.

Sandra Schieder studiert Globalgeschichte und Global Studies an der Universität Wien.

Von der Not sich Leistung leisten zu können

  • 05.02.2015, 11:54

Leistungsgesellschaft 4.0

Leistungsgesellschaft 4.0

Generation Y. Generation Praktikum. Generation Burn Out. Für die Generation ab 1980 hat man schon viele Begriffe gefunden. In all diesen Bezeichnungen schwingt eines klar mit: Die heutige Studierenden-Generation scheint die Leistungsgesellschaft besonders hart zu treffen.

Burn Out ist lange keine Krankheit mehr die sich auf die Arbeitswelt beschränkt. Die Situation, in der sich die heutige Studierenden-Generation wiederfindet, lässt sich mit vier treibenden Faktoren beschlagworten: keine Sicherheit, kein Wohlfahrtsstaat, prekäre Arbeit und die beschleunigende Wissensgesellschaft.

Dass sie mit ihrem Ärger über die Anforderungen, die an ihre Generation gestellt werden, nicht alleine dasteht, hat die Bloggerin Sinah Edhofer, 23, letzte Woche gemerkt. Ihr Blogeintrag „Danke für (fast) nichts.“, in dem sie die Selbstverständlichkeit kritisiert mit der unbezahlte Praktika von Unternehmen angeboten und von Studierenden abgeleistet werden, hatte innerhalb weniger Stunden mehrere Tausend Klicks. Inzwischen haben über eine Million Menschen Sinahs Blogeintrag gelesen und ihr über 600 Kommentare hinterlassen. Fast alle sind Studierende, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie Sinah.

Die heutigen „Millenials“ (also bis zu den 2000er Jahren Geborene) müssen als Erben der Wirtschaftskrise mit wirtschaftlicher Unsicherheit bei gleichzeitiger Beschleunigung des täglichen Lebens umgehen. Wo man früher ein Studium machte, macht man heute zwei. Wo man früher eine Fremdsprache fließend sprach, sind es heute mindestens drei. Wo man früher im Sommer ein Praktikum machte um sich das Taschengeld aufzubessern, macht man heute einen vollwertigen Nebenjob um sich das Praktikum überhaupt leisten zu können.

Diese Generation lebt im Spannungsverhältnis von maximaler Beschleunigung bei minimalen Zukunftsperspektiven. „Es gibt heute keine Vollbeschäftigungsgarantie mehr und es gibt auch keine gesicherten Karriereperspektiven.“, sagt Alexander Bogner, Professor für Soziologie an der Universität Wien. „Man unterschätzt welche Rolle der Faktor Glück spielt. Angesichts dieser Unsicherheiten läuft man leicht Gefahr zum Überleister zu werden.

Die Generation Y befindet sich in ständiger Revisionsbereitschaft: sie will sich nicht festlegen, sich lieber anpassen und nicht klar Stellung beziehen. Das war der O-Ton auf der letzten Tagung „Kultur und Wirtschaft“ an der Universität Innsbruck. Dass es auch hier immer noch Ausnahmen gibt, hat Sinah gezeigt. Sie sieht ihre Generation durchaus kritisch. „Ich finde, dass wir nicht mehr so viel hinterfragen“, sagt sie. „Wir kommentieren alles. Wir fassen die Tonalität auf, die wir im Internet mitkriegen. Wir reagieren irgendwie drauf: so wie wir denken, dass es von uns erwartet wird.“Die ständige finanzielle Unsicherheit mit der Studierende aller Generationen immer schon gelebt haben, wird in einer Gesellschaft, die Leistung zwar erwartet aber nicht mehr entlohnt, zum effizienten Kontrollmechanismus. „Wir sind uns unseres eigenen Werts nicht bewusst. Es ist so ein Zusammenspiel aus Angst und geringem Selbstbewusstsein.“, kommentiert Sinah die Selbstverständlichkeit mit der maximale Leistung bei minimaler Entlohnung erbracht wird.

Im Ergebnis erbringt die heutige Generation Y schneller und effizienter Leistungen als kaum eine Generation zuvor. Das ist zu einem großen Teil dem gesellschaftlichen Umstand geschuldet, dass das Internet durch Smartphones mobil geworden ist – und man damit die Informations- und Wissensgesellschaft immer und überall in seiner Hosentasche mit sich trägt. „Wir erleben Prozesse der Beschleunigung und Prozesse der Verdichtung“, erklärt Soziologe Bogner. „Wir sind von morgens bis abends gefordert. Auch mit der Anforderung des lebenslangen Lernens: Du kannst nicht einfach deine Lehre oder dein Studium machen und dann ein Leben lang dieses Wissen anwenden, sondern du musst dich fortbilden.

Erst mal eine Auszeit nach dem Studium, der berühmte Interrail oder die Freiheit erst mal die falsche Studienwahl getroffen zu haben, sind allesamt Relikte die der Vergangenheit angehören. „Wir richten vorsorglich unser Leben an diesen erwarteten Normen aus. Das führt dann dazu, dass das Leben stromlinienförmig organisiert wird.“, sagt Soziologe Bogner. „Vor 30 Jahren war es ganz normal nach der Schule erst mal eine Auszeit zu nehmen. Das gilt heute schon als desorientierte Bummelei die auf Leistungsverweigerung schließen lässt.“

Der Leistungsdruck entsteht vor allem beim Vergleich mit anderen. Diesen Effekt hat die Bologna-Reform noch verschärft. „Man hat viele Leute, die muss man irgendwie verwalten. Verwalten kann man am besten durch Standardisierung. Dann hat man auch das Problem der Verschulung: man lernt nicht mehr aufgrund eigener Interessen, sondern man kriegt diesen Stoff reingedrückt und muss den möglichst gut wiederkäuen“, sagt Bogner. Auch das Studieren hat sich also durch die Leistungsgesellschaft gewandelt. Das Studium ist heute kein Raum zum Verfolgen der eigenen Interessen mehr, sondern wird absolviert wie ein Job.

Die ständige Vergleichbarkeit der eigenen Leistung und des eigenen Werts ist etwas mit dem die Generation Y – dank Internet und Social Media – wie selbstverständlich aufwächst. Vergleichbar sein und daher besser sein müssen als die Anderen, ist ein Druck mit dem diese Generation auf täglicher Basis konfrontiert wird. Die Leistungsgesellschaft hat längst auch den privaten Bereich erreicht. „Das ist auch ein Problem: dass man sich sehr durch Likes definiert“, sagt Sinah. Ob das auch auf sie selbst zutrifft? Sie lacht. „Ich würd’ jetzt voll gern sagen, es ist mir wurscht, aber da würde ich lügen. Ich glaube da lügt jeder, wenn er sagt das ist ihm wurscht. Es ist nämlich nicht wurscht. Es ist eine Bestätigung von Außen. Aber man darf sich wirklich nicht nur davon abhängig machen.“

Leistung ist heute etwas, das ununterbrochen stattfindet. Einen Off-Button gibt es nicht. Weder im Internet noch bei der eigenen Leistungsbereitschaft. Auch Sinah denkt jetzt nach dem Abschluss ihres Publizistikstudiums nicht an Auszeit. Statt gleich ein Masterstudium anzuhängen, will sie „erst mal was arbeiten“. Diesmal kein Praktikum, sondern richtig. Möglicherweise wird sie in ihrem künftigen Berufsleben sogar etwas finden, wofür sie (ein bisschen) dankbar sein kann.

 

Verena Ehrnberger ist Juristin und studiert Vergleichende Literaturwissenschaften in Wien.

Talkin’ ’bout my generation

  • 12.04.2014, 12:07

Was ist eine Generation?

Als soziales Konzept funktionieren Generationen als Alterskategorien, die zum Beispiel in Umfragen und Fragebögen seit einigen Jahrzehnten immer gleich reproduziert werden: den „mittleren“ Altersschichten, die etwa in Fünf-Jahres-Schritten genauestens untersucht werden, folgt meist die Generation „60+“ als eintöniger Abschluss, obwohl sich die Lebensrealitäten von Menschen über 60 in den letzten Jahrzehnten grundlegend geändert haben und sie keineswegs alle in einen Topf geworfen werden können. Oft kämpft dann ein Fortschrittsnarrativ, das die junge Generation als besser darstellt und die alte als obsolet, gegen einen konservativen Diskurs, der Altes als bewährt und Neues als Werteverlust sieht. Insofern funktioniert der Begriff Generation (wie jede andere soziale Kategorie) als Trennmittel: Ältere Menschen werden als reaktionär und fortschrittsfeindlich gesehen, Jüngere als unerfahren und unmotiviert.

Die jungen Leute damals

„Die Jugend liebt heute den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt mehr vor älteren Leuten und diskutiert, wo sie arbeiten sollte.“ Dieses Sokrates zugesprochene Zitat findet man immer wieder in Texten als Beweis dafür, dass „die jungen Leute heutzutage“ eben nicht nur heutzutage sondern quasi schon immer von der Generation vor ihnen beklagt wurden. Das Zitat stammt in Wahrheit zwar nicht von Sokrates selbst, lässt sich aber als solches besser zur Argumentation verwenden. Es stammt aus einer Dissertation zu Bildung im antiken Griechenland aus dem Jahre 1907, verfasst von einem Studenten namens Kenneth John Freeman. Online lässt sich dieses Phänomen übrigens in einer aktuelleren und profaneren Variante beobachten: YouTube-Ausschnitte von (Kinder-) Fernsehserien aus verschiedenen Dekaden enthalten mit hoher Wahrscheinlichkeit Kommentare, die das Fernsehprogramm der jeweiligen Zeit hochloben und alles danach als kinderverderbenden Schund betrauern.

Die zweite, dritte, vierte, ... Generation

In Österreich leben mehr als eine Million Menschen mit Migrationshintergrund. Dazu zählen fast eine halbe Million Menschen, die in Österreich geboren sind und daher als Migrant_innen „zweiter Generation“ gelten. Anders als zum Beispiel in den USA oder in Kanada, bekommen Menschen, die in Österreich geboren werden, nicht automatisch die österreichische Staatsbürger_innenschaft zugesprochen. Man kann also in Österreich „Ausländer“ (sic) sein, ohne jemals im Ausland gewesen zu sein. Oftmals reicht dann „von hier“ als Antwort auf die omnipräsente Frage „Woher kommst du?“ nicht, und Fragen wie „Aber wo kommst du wirklich her?“, „Wo kommen deine Eltern her?“ und „Du weißt schon, was ich mein, nicht, wo du wohnst, sondern wo du halt her bist!?“ folgen. Die Intersektion von Migration und Generation bringt junge Menschen mit Migrationshintergrund in eine spezielle Position, in der sie sich oft weder in „ihrer“ Heimat noch in „ihrer“ Generation zuhause fühlen (können).

Generation Why?

Für kaum eine Generation von Menschen hat es jemals so viele (US-amerikanisch geprägte) Begriffe gegeben wie für diejenige, die zurzeit als „jung“ gilt: Generation We, Millenials, Global Generation, Generation Chips und andere. Am bekanntesten ist aber die Bezeichnung Generation Y, gedacht als Analogie zur Generation X der 1960er- bis 1980erJahre. Während die Generation Y zunächst als Generation der großen Gewinner_innen hochgehalten wurde, deren Mitglieder von der „schönen neuen Welt“ profitierten, in die sie als „Digital Natives“ hineingeboren wurden und die durch Globalisierung und Technologie immer kleiner wurde, zeigten sich bald Schattenseiten: Immer mehr Ys bekommen die Folgen der Wirtschaftskrise zu spüren, wohnen immer länger bei ihren Eltern, sind zwar gut gebildet, dann aber meist auch hoch verschuldet, arbeiten mehr und verdienen weniger, und genießen trotz all des Wohlstands um sie herum eine geringere Lebensqualität als ihre Eltern.

Der Generationenvertrag

Der „Generationenvertrag“ (der kein tatsächlicher Vertrag auf Papier oder Handschlagbasis ist) bildet die Grundlage des aktuellen Pensionssystems in Österreich. Ausgangspunkt ist die Frage: Wie verteilen wir die finanziellen Resultate der Erwerbsarbeit, die wir im Laufe unseres Lebens erarbeiten? Wie sorgen wir für Kinder, die noch nicht erwerbstätig sind, und vor allem für Ältere, die ihre Erwerbstätigkeit bereits hinter sich haben? Im Rahmen eines durch den Generationenvertrag geregelten Pensionssystems werden Pensionen von Erwerbstätigen finanziert, die ihrerseits darauf hoffen (müssen), dass ihre Pensionen von der folgenden Generation bezahlt werden. Damit unterscheidet sich der Generationenvertrag von anderen Pensionssystemen, die zum Beispiel darauf basieren, dass Erwerbstätige selbst Geld für ihre Pension ansparen. Demografische Veränderungen, die bedeuten, dass relativ gesehen immer weniger Menschen die Pensionen von relativ immer mehr Menschen tragen, führen beim System des Generationenvertrags zu Konflikten.

Verantwortung für Gegenwart und Zukunft

In engem Zusammenhang mit der „Generationengerechtigkeit“ steht die Frage, wie wir Gegenwart und Zukunft zueinander in Beziehung setzen. Als Beispiel dafür können wir folgende Frage sehen: Wenn die Regierung heute Schulden aufnimmt, um etwa das Pensionssystem sichern zu können, wer wird diese Schulden dann in der Zukunft bezahlen? Ähnliche Überlegungen fließen auch in Debatten um Umweltschutz ein, in deren Zentrum oft die Frage steht, was für eine Welt wir „unseren Kindern“ hinterlassen werden. Unser Handeln in der Gegenwart – das heißt, unsere Interpretation der Gegenwart – ist oft dadurch beeinflusst, wie wir uns „unsere“ Zukunft vorstellen und wie wir die Verantwortung für verschiedene Zukunftsmöglichkeiten verteilen wollen, vor allem, wenn diese Verantwortung mit Einschränkungen für unser oder das Leben anderer einhergeht.

 

Michael En studiert Transkulturelle Kommunikation im Doktorat an der Universität Wien.