Generation Porno

Pornos an der Schule

  • 11.05.2017, 20:15
Pornographie hat längst im kulturellen und sozialen Leben von Kindern und Jugendlichen Fuß gefasst. Wieso sollte sie nicht Gegenstand des Sexualunterrichtes sein?

Pornographie hat längst im kulturellen und sozialen Leben von Kindern und Jugendlichen Fuß gefasst. Wieso sollte sie nicht Gegenstand des Sexualunterrichtes sein?

Pornographie ist ein Konsumgut unserer Gesellschaft. Man kann ganz nach eigenem Belieben im Internet darauf zugreifen. Die Suchkategorien sind vielzählig. Die Industrie richtet sich stark nach männlichen Interessen und expandiert, um möglichst viele sexuelle Vorlieben anzusprechen. Etwa 1,5 Milliarden Besucher_innen pro Monat verzeichnen allein die drei beliebtesten Seiten (Pornhub, xHamster und Redtube).

OMNIPRÄSENTES THEMA. Wir beschäftigen uns aktiv mit unserer Sexualität und tauschen uns mit Freund_innen über Erfahrungen aus. Gönnen wir uns kurz eine Pause, konfrontieren uns Medien und Werbung mit dieser Thematik. Pornografische Inhalte umgeben uns somit täglich und der soziale Druck ist da. Diese Einflüsse übertragen sich auch auf Kinder und Jugendliche. Trotzdem wird Pornographie tabuisiert und erscheint als Randthematik in der schulischen Sexualerziehung.

PURE ROMANTIK. An der University of Arkansas ergab eine inhaltliche Analyse der meist konsumiertesten Porno-Filme, dass in 89 % physische Aggression und in 49 % verbale Aggression angewendet wird, die hauptsächlich von Männer ausgeübt und von Frauen mit Vergnügen oder einem neutralen Verhalten geduldet wird. Bringt der offene und in vielen Fällen unkontrollierte Zugang zu Pornographie eine neue Generation kleiner gewaltbereiter Sexist_innen hervor, die von Liebe und Lust nichts wissen möchten?

In „Alles Porno?“ befasst sich Laura Kuhle anhand verschiedener Studien mit dem Sexualverhalten heutiger Kinder und Jugendlicher. Der Erstkontakt mit Pornographie erfolge durchschnittlich im Alter zwischen elf und zwölf Jahren. Etwa die Hälfte der befragten 16 bis 19-Jährigen geben an, mindestens einmal in der Woche Pornos zu konsumieren. Wo Mädchen Neugier, Spaß und Lernen angeben, steht die sexuelle Erregung und Selbstbefriedigung für Buben im Vordergrund. Um Auswirkungen und Einfluss des Pornographiekonsums zufriedenstellend zu erforschen, wären Langzeitstudien nötig. Mit keiner der herangezogenen Studien ließen sich jedoch „schädliche Auswirkungen auf das Sexualleben Jugendlicher und ihrer Lebensgestaltung“ belegen.

ÄNGSTE UND SORGEN. Dieses Differenzieren beherrschen aber nicht alle in gleichem Maße. Zwar lassen die Studien keine Rückschlüsse auf gewalttätige, sexistische oder misogyne Verhaltensweisen, doch stellt Kuhle gleichermaßen fest, dass Kinder durch Pornographie einen Leistungsdruck verspüren und damit überfordert, verunsichert und verängstigt seien. Die entscheidenden Komponenten hinsichtlich einer negativen Beeinflussung der Psyche und des Verhaltens bei Kindern und Jugendlichen sind „Medienkompetenz, eigene sexuelle Erfahrung, wahrgenommene Realitätsnähe der pornographischen Skripte, sowie das soziale und kulturelle Umfeld der Jugendlichen“. Sind diese Bereiche nicht genug entwickelt, erfolgt keine Differenzierung zwischen diesen Welten. Wo Mädchen sich fragen, ob sie gewisse Praktiken ausführen oder unterwürfig sein müssen, bedienen sich Buben des Porno-Jargons, um an ihrer männlichen Identität zu basteln und beschäftigen sich mit Leistungsfaktoren wie Ausdauer und Penisgröße.

KLARTEXT IN DER SCHULE. Es ist wichtig, dass sich Eltern möglichst früh mit der Aufklärung der Kinder beschäftigen und Fragen beantworten. Laut dem deutschen Sexualberatungsverband ProFamilia gehen diese Fragen mit zunehmendem Alter eher zurück, da dieser intime Thematik als unangenehm empfunden wird. Stattdessen wenden sich Kinder und Jugendliche an Gleichaltrige, um sich auszutauschen. Deswegen sollte die Auseinandersetzung mit Pornographie Teil der Sexualerziehung im schulischen Kontext darstellen.

In Großbritannien versucht man den Zugang zur Pornographie für Minderjährige mittels Gesetzen und Blockaden zu erschweren. Ob dieser Ansatz Früchte tragen wird, ist fraglich, wenn man bedenkt, wie technologieaffin jüngere Generationen sind. Während die dänische Forderung, Porno-Videos als Unterrichtsmaterial zu zeigen, etwas gewagt wirkt, könnten Lehrer_innen zumindest gezielt auf das Halbwissen der Kinder eingehen und damit arbeiten. Ein wesentliches Problem sei, laut dem Sexualwissenschaftler Konrad Weller, die nicht stattfindende frühzeitige Begleitung sexueller Sozialisation. Stattdessen werde eine Verwahrlosungsdebatte geführt, in der Kinder und Jugendliche zu „präsexuellen Wesen verklärt werden“.

M. Liebon studiert Rechtswissenschaften an der Universität Wien.

Sex, Natur und Utopie

  • 25.02.2014, 14:56

Manu Banu und Dieter Diskovic über die Gruppe Fuck For Forest, die mit dem Dreh von Pornos den Regenwald retten will, und ihre historischen Vorgänger_innen an der Schnittstelle von Sexualität, Natur und Utopie.

Manu Banu und Dieter Diskovic über die Gruppe Fuck For Forest, die mit dem Dreh von Pornos den Regenwald retten will, und ihre historischen Vorgänger_innen an der Schnittstelle von Sexualität, Natur und Utopie.

„Sex ist eines der essentiellsten Dinge der Natur. Für uns hat es Sinn gemacht, unsere Natur zu nutzen, um die Natur zu schützen“, so Tommy Hol Ellingsen, Gründungsmitglied von Fuck For Forest, in einem Interview. Seit 2003 betreiben die Umweltaktivist_innen eine Homepage, auf der (häufig im Wald oder in der Öffentlichkeit gedrehte) Do-it-yourself-Pornos gegen Bezahlung angeboten werden. Das Ungewöhnliche daran: Sämtliche Einnahmen sollen Regenwald- und Wiederaufforstungsprojekten zugute kommen. Dabei wählt man Methoden, die mitunter auch auf heftigen Widerspruch stoßen. Freie, „natürliche“ Sexualität, die einerseits zu individueller Befreiung, andererseits zur Veränderung der Welt beitragen soll – dieses Konzept kommt uns bekannt vor. Wir haben uns deshalb auf die Suche nach prominenten und weniger bekannten Vorgänger_innen gemacht, die vergleichbare Utopien entwickelten oder gleich versuchten, diese Utopien zu leben.

Fuck For Forest 2008. Foto: Mutter Erde

„Edle Wilde“ in Utopia

Drehen wir die Zeit um etwa 250 Jahre zurück, in die Mitte des 18. Jahrhunderts, in dem der französische Aufklärer Jean-Jacques Rousseau die Vorstellung des „Edlen Wilden“ entwickelte.  Der „Edle Wilde“ repräsentierte ein Idealbild des von der Zivilisation unverdorbenen „Naturmenschen“ und diente als Gegenpol zur als dekadent empfundenen europäischen Gesellschaft. Parallel dazu ließ die Entdeckung des Südpazifiks durch europäische Seefahrer und teils fiktive Reiseberichte das bis heute existierende Klischee des Südseeparadieses entstehen: friedliche und herrschaftslose Gesellschaften im Einklang mit der Natur, die ihre Sexualität frei und ohne Tabus ausleben. Gegenüber dem vorherrschenden Diskurs von indigenen Gesellschaften als „Barbaren“ war dieses Bild zweifellos ein kleiner Fortschritt, dennoch handelte es sich um Stereotype und Wunschvorstellungen, die auf die Bewohner_innen der Südseeinseln projiziert wurden und deren teils sehr strengen Sexualnormen komplett ignorierten.

Der Frühsozialist Charles Fourier suchte das Paradies hingegen nicht in der Ferne: Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelte er eine Gesellschaftsutopie, für die er exakte Pläne erstellte. Fourier war der Ansicht, dass sich die menschliche Natur nicht ändern lässt, aber zumindest entfalten kann. Da die menschlichen Triebe von der bestehenden, gewalttätigen Gesellschaftsordnung unterdrückt werden, müsse man die Gesellschaftsverhältnisse der menschlichen Natur anpassen. Als Hauptquelle der Unterdrückung sah er den Handel und die monogame Ehe an. Für Fourier war die Befreiung der Arbeit nur mit gleichzeitiger Befreiung der Sexualität möglich, deshalb wollte er die Gesellschaft in selbstverwaltete Großkommunen aufteilen, die sowohl Wirtschafts- als auch Liebesgemeinschaften sein sollten. Sein Ziel war die freie Entfaltung der Individuen, eine Verbindung von Arbeit und Genuss, die die ökonomische Produktivität steigern sollte. Trotz oder wegen vieler origineller und fortschrittlicher Ideen wurde Fourier jahrzehntelang als Spinner angesehen, einige Aspekte seines Werks – etwa surrealistisch anmutende Vorschläge wie die Verwandlung des Meeres in Zitronenlimonade und essbares Gelee – machten es seinen Kritiker_innen leicht. Auch Karl Marx und Friedrich Engels lehnten den utopischen Sozialismus als unwissenschaftlich ab. Dennoch hatte Fourier posthum großen Einfluss auf eine Reihe von Utopien des 20. Jahrhunderts.

Einmal Utopie und wieder zurück

Anfang des 20. Jahrhunderts wirbelte die Psychoanalyse um Sigmund Freud und dessen widerspenstigen Schüler Wilhelm Reich, der als Vater der sexuellen Revolution gilt, die bürgerliche Sexualmoral ordentlich durcheinander. Auch gab es einige Enklaven, in denen so etwas wie freie Liebe tatsächlich kurzfristig entstehen konnte, etwa im Berlin der 1920er, der Zeit von Varieté, Marlene Dietrich und einer ausgeprägten Lesbenkultur, oder im Russland nach der Oktoberrevolution 1917, als durch das Wirken der Volkskommissarin Alexandra Kollontaj das Eherecht gelockert, Schwangerschaftsabbruch legalisiert und kollektive Kindererziehung eingeführt wurde. Dieser kurzen Zeit der Freiheit wurde in Berlin durch den Nationalsozialismus, in Russland spätestens durch den Stalinismus ein abruptes Ende gesetzt.

Ein Revival erlebten die sexuellen Utopien in den 1960er Jahren. Es begann eine verstärkte Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus, den verbliebenen autoritären Strukturen versuchte man freie Liebe und Persönlichkeitsentfaltung entgegenzusetzen. Die Kämpfe um Bürger_innenrechte und sexuelle Freiheit gaben der Lesben- und Schwulenbewegung Auftrieb.  Parallel dazu entkoppelte die Erfindung der Antibabypille erstmals Geschlechtsverkehr von der Fortpflanzung. Es entstanden hunderte Kommunen, die das Leben in der Kleinfamilie ablehnten und eine hierarchiefreie, offene Gesellschaft etablieren wollten. Zu den bekanntesten zählten die Kommune I in West-Berlin und ab Anfang der 1970er Jahre die AA-Kommune um den Aktionskünstler Otto Muehl, die vom burgenländischen Friedrichshof ihren Ausgang nahm.

Otto Muehl übernahm Rousseaus Aufforderung „Zurück zur Natur!“ und Fouriers Visionen von sexueller Freiheit und kollektiver Lebensweise. In der „Aktionsanalyse“ sollten durch „natürliche“, frei ausgelebte Sexualität, öffentliche Selbstdarstellungen und „Körperbehandlungen“ die individuellen Schädigungen durch die Kleinfamilien-Gesellschaft – „Charakterpanzer“ genannt – überwunden werden. „Seine Mittel reichen vom Streicheln, Abschmusen, Küssen, Kitzeln, Drücken, Kneten zum Zwicken, Schlagen, Anschreien bis zum Anspucken, Speien und Anbrunzen“, wie eine Kommunardin in ihrem Tagebuch vermerkte. Zweierbeziehungen galten als Keimzelle der bürgerlichen Unterdrückung und wurden verboten, durch das Tragen von Glatzen und Latzhosen grenzten sich die Kommunard_innen sowohl vom Bürgertum als auch von den restlichen Protestbewegungen ab.

Die Kommune wollte die Gesellschaft nicht über die Ökonomie, sondern über die Sexualität verändern – diese Weltanschauung machte sie zu einer interessanten Alternative zu marxistischen Gruppen. Zur Hochzeit der Kommune gab es mehr als 600 Mitglieder sowie Zweigstellen in mehreren Ländern. Im Laufe der Jahre kippte die Basisdemokratie in ein faschistoides und streng hierarchisches System, an dessen Spitze Otto Muehl als selbsternannter Monarch stand. 1988 zerbrach die Kommune, Muehl wurde wegen sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung Minderjähriger zu sieben Jahren Haft verurteilt. Nicht nur Otto Muehl wurde die vermeintliche „Befreiung der kindlichen Sexualität“ zum Verhängnis, wie man an der Pädophilie-Debatte im letzten deutschen Wahlkampf sehen konnte.

"This is still a demo" - Regenbogenparade 2013. Foto Dieter Diskovic

Von der Abschaffung des Leibes, politischem Lesbianismus und Ökofeminismus

Die sogenannte zweite Frauenbewegung  kritisierte die vermeintliche sexuelle Befreiung jedoch als reine Befreiung der männlichen Sexualität, während es Frauen dem Zwang der permanenten Verfügbarkeit und einem „Orgasmus-Terror“ aussetzte. Auch die konservative Arbeitsteilung innerhalb der Linken wurde angegriffen.

Die radikale Feministin Shulamith Firestone richtete ihre Kritik nicht nur gegen die Kleinfamilie, sondern sah insbesondere in der Reproduktionsfähigkeit der Frau die Basis der Frauenunterdrückung. Nur die Abschaffung des biologischen (gebärenden) Körpers kann die (sexuelle) Befreiung der Frau ermöglichen, weswegen sie auch eine vehemente Befürworterin von Reproduktionstechnologien war – oder in den Worten von Claudia von Werlhof: „Ohne Leib keine Leibeigenschaft“. Firestones ideale Gesellschaft kommt also ohne biologische Familien aus, die Abschaffung der natürlichen Reproduktion soll zur sexuellen Befreiung führen.

Die Forderung nach dem Recht der Frau auf sexuelle Erfüllung war anfangs mit Heterosexualität gleichgesetzt. Durch die Festlegung der Heterosexualität als Norm wurde lesbische Sexualität nicht nur ignoriert, sondern auch als nicht „normal“ und „unnatürlich“ aufgefasst. Dies führte zum lesbischen Feminismus, der die Fragen aufwarf, ob heterosexuelles Begehren von Frauen tatsächlich natürlich sei oder ob dieses nicht in patriarchalen Gesellschaften erzwungen werde. Weibliche Homosexualität wurde weniger mit einer natürlichen Präferenz begründet, sondern als politische Praxis gelebt – unter dem Motto „Feminismus ist die Theorie, Lesbianismus ist die Praxis“.

In den 1980ern entstand – beeinflusst von der Umweltbewegung – der Ökofeminismus, der einen Zusammenhang zwischen der Ausbeutung der Natur und der Frauen herstellte. Aufgrund ihrer Reproduktionsfähigkeit wurden der Frau eine besondere Nähe zur Natur und eine wichtige Rolle für die ökologische Erneuerung unterstellt. Diese Konzepte von einer „natürlichen Weiblichkeit“, die Stereotype begünstigen, konnten sich jedoch innerhalb der feministischen Theorien nicht lange halten. Bereits Mitte der 1980er entstand in der feministischen Theorie die Unterscheidung zwischen sex, dem biologischen Geschlecht, und gender, der Geschlechtsidentität, die durch Sozialisierung entsteht.

Gibt es eine natürliche Sexualität?

Insbesondere die Theorien von Michel Foucault brachten die Vorstellung einer „natürlichen“ Sexualität ins Wanken. Laut Foucault sind unsere heutigen Vorstellungen von Sexualität im 18. und 19. Jahrhundert entstanden, als moderne Staaten begannen, sich für die Reproduktion der Bevölkerung – und damit für ihre Sexualität – zu interessieren. Diese vom Staat betriebene „Bio-Politik“ äußert sich u.a. in Form von Abtreibungsgesetzen, Gesundheitsmaßnahmen oder Geburtenstatistiken. Sexualität ist also historisch und sozial konstruiert und immer mit Machtverhältnissen verbunden. Es gibt daher auch keine naturgegebene „männliche“ oder „weibliche“ Sexualität. Die Philosophin Judith Butler übernahm diesen Gedanken und ging einen Schritt weiter: Butler sieht weder gender noch sex als naturgegebenen an. Das biologische Geschlecht bzw. die Zweigeschlechtlichkeit wird durch die vorherrschende Zwangsheterosexualität hervorgebracht – und hat mit Natur nichts zu tun. 

Dem naturalistischen Modell wurden aber auch zahlreiche kultur- und sozialanthropologische Studien entgegengesetzt. Sie konnten zeigen, dass Sexualität in verschiedenen Gesellschaften unterschiedlich konzipiert wird – es gibt also eine Vielfalt von Sexualitäten anstatt einer natürlichen Sexualität.

Sex sells... Foto: Dieter Diskovic

Was bleibt?
Die sexuelle Revolution hat nachhaltige Spuren hinterlassen, unzählige Tabus und Schranken sind gefallen. Während jedoch die Promiskuität der beruflich erfolgreichen Menschen der Mittel- und Oberschicht gefeiert wird, gilt dies weniger für Menschen der Arbeiter_innenklasse (man vergleiche den Glamour-Sex von Sex and the City und die Figur der Vicky Pollard in Little Britain). Auch ist das neoliberal-kapitalistische System weit davon entfernt, sich von Änderungen der Sexualmoral gefährdet zu fühlen. Vielmehr wurden die subkulturellen Strömungen vereinnahmt, die Sexualität zum großen Geschäft. Gerade die Vorstellung von einer authentischen oder natürlichen Sexualität findet sich in unzähligen Kursen und Ratgebern wieder – die freie Sexualität ist zu einem Markenprodukt geworden.

Auch von einer „Generation Porno“ ist die Rede, also von jungen Menschen, die durch die ständige Verfügbarkeit von pornographischem Material mit den übertriebenen Inszenierungen der Pornoindustrie aufwachsen und dadurch einem sexuellen Leistungsdruck unterliegen. Vermarktbarkeit und Leistungsdruck – damit haben sich die Vorstellungen von Sexualität an die Paradigmen der gegenwärtigen Ökonomie angepasst. Die Kämpfe sexueller Minderheiten um vollständige Anerkennung und Gleichstellung können auf der einen Seite Erfolge vorweisen, auf der anderen Seite ist in vielen Ländern ein reaktionärer Backlash wahrnehmbar, etwa in Spanien, wo das Abtreibungsgesetz wieder verschärft werden soll oder in Russland, wo „homosexuelle Propaganda“ in der Öffentlichkeit verboten wurde. Experimente mit kollektiver Sexualität dienen mittlerweile eher der Selbstfindung oder als hedonistisches Vergnügen. Die Propagierung einer „natürlichen“ Sexualität als gesellschaftsverändernde Praxis hat hingegen ihre politische Relevanz verloren.

 

Manu Banu und Dieter Diskovic studieren Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien.

 

 

Pornos sind niemals Missbrauch

  • 15.05.2014, 10:10

 

Feministische Pornos sind ein Versuch den Porno neu zu definieren. Dabei sollen Frauen ihre sexuellen Einschränkungen ablegen und zu neuen Lustufern aufbrechen. Und am besten die Männer noch mit ins Boot nehmen.

Von der Feuchte des letzten Ficks Zwei formlose Körper winden sich, nähern sich einander an. Sie treffen sich, immer wieder, drücken sich aneinander. Zwei Mal zwei längliche Auswölbungen. Küsse. Zwei hautfarbene Stoffhüllen, Silhouetten menschlicher Körper, die sich aneinander reiben. Ein Arm streichelt den anderen, der unter der Berührung erschaudert. Mit der zunehmenden Heftigkeit ihrer Bewegungen finden sich immer mehr markante Auswölbungen, die ihren glatten Hüllen mehr Form geben. Die Berührungen, die zwischen den beiden stattfinden, sind zutiefst menschlich, doch erst dunkle Stellen im Stoff verraten zwei Menschen unter den Anzügen. Es sind die Stellen, die nass werden mit Speichel, Sperma, Schweiß und Scheidenflüssigkeit. Nach und nach werden mit einer Schere immer mehr Teile des Polyesteranzugs herausgeschnitten und die Haut der DarstellerInnen wird sichtbar.

Skin ist der erste Teil einer Sammlung von insgesamt zwölf erotischen Kurzfilmen, die den Titel Dirty Diaries trägt. Es ist eine DVD voll mit feministischem Porno. Die per Handykamera aufgenommenen Kurzfilme zeigen wie vielfältig Porno ist, dessen Fokus nicht auf der männlichen, sondern auf der weiblichen Sexualität liegt. Die von Mia Engberg produzierte Sammlung Dirty Diaries widerspiegelt sexuelle Ausdrucksweisen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Neben Skin wird ein Sexdate mit einem Mann über die Website Bodycontact ausgemacht; ein illustrierter, masturbierender Mann wird als Dildo verwendet bis er tot ist; eine verhaftete Frau wird von einer Polizistin in BDSM Sex verwickelt; und eine Frau vor Fahrgästen in einer Pariser Ubahnstation gefilzt .

Ausgehend von dem Film Come Together, in dem sich Mia Engberg und andere mit Handykameras beim Masturbieren und anschließendem Orgasmus selbst filmten, wurde die Idee zum Projekt Dirty Diaries geboren. Als Reaktion auf sexistische Kritiken von Männern, die die in Come Together vorkommenden DarstellerInnen als zu hässlich schimpften, wurde ein Manifest formuliert, das den Kurzfilmen in Dirty Diaries zu Grunde liegt. Es ist eine Kritik an gängigen Schönheitsidealen, dem Patriarchat und dem Kapitalismus, der einen selbstbestimmten Umgang mit der weiblichen Sexualität und Lust, auch im Porno, im Wege steht.

 

 

Wissen ist sexy Dass sich am Porno nicht nur Konservative stoßen, zeigt die rege PorNObewegung unter FeministInnen, die besonders in den 70ern diskutiert wurde. Eines der bedeutendsten Gesichter war damals die Pornodarstellerin Linda Lovelace aus dem Porno Deep Throat, einer der ersten Mainstreampornofilme, der in den USA in den Kinos gezeigt wurde. Linda Lovelace, deren bürgerlicher Name Linda Boreman war, klagte nach der Veröffentlichung des Films, mit besonderer Unterstützung der Feminstin Gloria Steinem, die Umstände an, unter denen sie den Film gedreht hatte. Sie sprach von mehrfachen Misshandlungen und minimaler Bezahlung, die angesichts dessen, dass der Film geschätzte 600 Millionen US-Dollar einspielte, unangemessen war.

Für viele FeministInnen wurden die Ausbeutung und sexuelle Gewalt im Porno als Auswirkungen des Patriarchats, zu etwas das es zu bekämpfen und zu verbieten galt. Dass Porno aber per se nicht sexistisch und böse sein muss, ist für die 29-jährige unabhängige Pornoproduzentin Åslög Enochsson Ausgangspunkt ihrer sexpositiven Arbeit. Für sie steht fest, dass man als junges Mädchen mit der eigenen Sexualität und Lustbefriedigung konfrontiert ist. Sie selbst fand zum Porno, als sie anfing mit ihrem Körper zu experimentieren. Ihren ersten Orgasmus hatte sie nicht mit ihrem Freund, sondern nach einem Mainstreamfernsehporno. “Es war sehr lehrreich und die Wahrheit ist, dass unsere Körper auf sexuelle Stimulation reagieren, auch wenn die Bilder und Körper nicht nach unserem Geschmack sind. Sex riecht wie Sex, so oder so.” Niemand ist also gefeit vor Sex. Umso wichtiger wird die Etablierung einer fundierten Wissensbasis über Sexualtität, der eigene Körper und der Umgang mit dem Körper anderer kann nicht unter den Tisch gekehrt werden. Die Sexaktivistin Laura Méritt sieht darin eine wichtige Funktion des reflektierten, feministischen Pornos: “Pornografie, also die Darstellung von Sexualität, ist Teil einer Kultur, die gesellschaftliche Verhältnisse widerspiegelt. Sexualität ist lernbar und wenn wir eine erotische Kultur etablieren und selbstbestimmte Sexualität fördern wollen, ist sexpostitiver Porno eine Möglichkeit. Das Private ist politisch und Wissen macht sexy.” Laura Méritt will sexpositives Angebot betonen und versucht in ihren sexualpolitischen Aktivitäten, Konditionierungen aufzulösen, die Frauen und Männer in ihrer Sexualität beschränken. Sie ist eine Stimme von vielen, die in der Zensur von erotischem Filmmaterial eine einseitige Ausrichtung der Frauenbewegung fürchtet. Denn auch in Deutschland verbreitete sich unter einer Fraktion von Feminst_innen, unter anderem auch durch die von Alice Schwarzer geführte PorNO Kampagne, die Forderung nach einem generellen Verbot von Porno.

Auch Dirty Dairies sorgte für einige Kontroversen. Vor und nach der Veröffentlichung von Dirty Diaries entzündete sich heftige Kritik an dem Umstand, dass die feministische Pornosammlung finanziell hauptsächlich über das Schwedische Filminstitut und damit staatlich gefördert wurde. Die Leiterin des Instituts Cissi Elwin Frenkel verteidigte die Förderung in einem Brief an die Schwedische Kulturministerin Lena Adelsohn Liljeroth damit, dass Dirty Diaries eine neue Herangehensweise weibliche Sexualität darzustellen aufzeigt.

Dauerständer und Wunscherfüllerin Enochsson wollte ebenfalls in Schweden als unabhängige Pornoproduzentin Fuß fassen, doch sie wurde enttäuscht. “Vier Jahre habe ich versucht in Schweden eine Produktion zum Laufen zu bringen, aber es war fast unmöglich.” Um ihrer Arbeit nachgehen zu können, zog sie nach Berlin und fand dort eine rege Aufnahme ihre Projekte. Seitdem hat sie in eineinhalb Jahren mehr Workshops, Filmdrehs, Vorträge und Ausstellungen gemacht als ihr ganzes Leben lang in Schweden. Enochsson will mit ihren Filmen den Porno für die Frauen erobern. Es ist ein Versuch die weibliche Sexualität, die auf “beschämende Weise falsch interpretiert” und “unzureichend dargestellt” wird, in den Mittelpunkt zu rücken. Mit ihrer Arbeit will sie dazu aufrufen, mehr Selbstbewusstsein gegenüber der eigenen sexuellen Erfahrung zu finden. “Ich möchte, dass mehr Frauen, vor allem heterosexuelle Frauen über ihre Feuchte vom letzten Fick prahlen, als darüber wie glücklich sie ihre männlichen Partner gemacht haben.”

Auch Méritt ist überzeugt, dass im Mainstreamporno Frauen zu passiven Wunscherfüllerinnen und Männer zu “unsensiblen, irrealen Dauerständern” reduziert werden, indem eine feste Struktur der Standard-Sexpraktik, also Fellatio, die Penetration mit dem Penis in alle Öffnungen der Frau, der Höhepunkt und die Ejakulation des Mannes als Abschluss,abgearbeitet werden. “Das lässt wenig Raum für einen positiven Umgang mit dem eigenen und anderen Körper.”

Szenen aus der Dokumentation 9 to 5 - Days in Porn des deutschen Regisseurs Jens Hoffmann belegen Méritts Eindruck mit Bildern. Die Dokumentation begleitet über ein Jahr MainstreampornodarstellerInnen aus San Fernando Valley beruflich und privat. Die Stadt San Fernando Valley ist PornomacherInnen bekannt, denn sie ist der Sitz der US amerikanischen Pornoindustrie. Hier werden jährlich mehr als 10.000 Pornofilme produziert. In 9 to 5 – Days in Porn wird gezeigt, wie Sex zur Arbeit werden kann, bei der sich die ProtagonistInnen ebenfalls mit gerechter Bezahlung und gerechten Arbeitsbedingungen, Anerkennung, Ausnutzung, Machtkämpfen, Gesundheitsschutz und Gewalt am Arbeitsplatz auseinandersetzen müssen. Hinter die Kulissen eines Pornos zu blicken, ist eine seltene Möglichkeit. In9 to 5 – Days in Porn sieht man Pornodarsteller hinter der Kamera nackt in einer Reihe stehen und Hand an ihren Penis legen bis er hart und steif ist, um dann ins Set einsteigen zu können. Sobald sie aus einer Szene raus sind, wird wieder der Platz in der Reihe eingenommen, wie Ständermaschinen mit automatisierten Bewegungen. Was zu sehen ist, ist Leistungsdruck pur.  

Für Méritt sind die Umstände des Mainstreampornos Anlass genug die Pornolandschaft wieder mit einer Vielfalt zu bereichern und auf bereits bestehende Pionierinnen, wie Petra Joy, Maria Beatty oder Catherine Breillats zu verweisen. Sie und Corinna Rückart wollten dem frauenfreundlichen Erotikfilm zu mehr Öffentlichkeit verhelfen und die grundsätzliche Frage klären, was eigentlich feministischer Porno sei. Aus diesen Überlegungen heraus, entstand die Idee zu einem europaweiten, feministischen Pornofilmpreis, der 2009 unter dem Namen PorYes Award gegründet wurde. Er soll eine Umdeutung des Mainstreampornos herbeiführen, hin zu einem feministischen Porno, der Frauen vor und hinter der Kamera in den Fokus nimmt. Dass im Sinne der Vielfalt nicht nur heterosexueller Sex zum Tragen kommt, sondern auch queere Formen von Sexualität dargestellt werden, ist erwünscht. „Vielfalt und sexuelles Bewusstsein, sowie sexuelle Kommunikation sind der Schlüssel zur erotischen Kultur oder zur Integration von Sexualität in die gesellschaftliche Kultur.“ Unter diesen Bedingungen wurde auch die Produzentin von Dirty Diaries Mia Engberg ausgezeichnet.

Mehr Sex Eine kritische Frage bleibt, ob der feministische Porno in eine erotische und sexualisierte Form von Kunst übergeht. Auch wenn diese Szene wie eine erotische Performance wirkt, lässt sich darüber streiten, wie viel der Kurzfilm Skin in Dirty Diaries mit Kunst zu tun . Méritt ist der Meinung, dass Porno nicht strikt getrennt werden sollte vom herkömmlichen Spielfilm und spricht sich für mehr Sexszenen in diesem aus. Dem französischen Film La vie d’Adèle – chapitres 1&2 (Blau ist eine warme Farbe) von Abdellatif Kechiche, der auf Grunde der darin vorkommenden Sexszenen zwischen den Protagonistinnen Adéle und Emma kritisiert wurde, steht Méritt eher positiv gegenüber. “In Blau ist eine warme Farbe werden Klischees, auch lesbische Klischees reproduziert, aber immerhin ist lesbischer Sex zu sehen und auf dem Hintergrund der französischen Debatte um Homosexualität ist das ein großer Schritt, daher ja auch die Auszeichnung in Cannes.” Dass sich die Darstellerinnen aber oft zu Szenen gedrängt und sich beim Drehen der Sexszenen unwohl fühlten, darf nicht unerwähnt bleiben. Die Unklarheit der Anforderungen an die Schauspieler_innen macht es schwierig eine Gleichsetzung von Porno und Spielfilm durchzuführen. Enochsson will ihre Pornoproduktion strikt von Kunst getrennt verstanden sehen. Für sie ist das Produzieren von Pornos eine sehr soziale Angelegenheit. Die Vermutung liegt nahe, dass in einer reflektierten und einvernehmlichen feministischen Pornoproduktion die Gefahr des Missbrauchs sinkt. Das, was Enochsson zum Schluss des Gesprächs mit progress online über Porno sagt, zeigt in der Klarheit ihrer Aussage Wirkung: “Porno ist niemals Missbrauch. Wenn es Missbrauch ist, dann ist es nur Missbrauch.” Es ist zugleich eine Kampfansage und ein Weg zu einem neuen Verständnis von Porno.

 

Marlene Brüggemann studiert Philosophie an der Uni Wien.

 

 

Feministische Pornotips von Åslög Enochsson und Laura Méritt:

Dirty Diaries, Mia Engberg

Heterosexuell: Anna Span

Queer: Courtney Trouble

Punk Rock: Burning Angel

BDSM (Bondage and Discipline, Domination and Submission, Sadism and Masochism): Maria Beatty

Makelovenotporn.tv

Kink.com