Gender

Leave Miley alone!

  • 25.10.2013, 22:30

Die Welt des Pop hat ein neues Hassobjekt: Miley Cyrus. Ist die Sängerin Opfer der übersexualisierten Musikindustrie oder gar eine Feministin? Ein Kommentar von Katja Krüger.

Die Welt des Pop hat ein neues Hassobjekt: Miley Cyrus. Ist die Sängerin Opfer der übersexualisierten Musikindustrie oder gar eine Feministin? Ein Kommentar von Katja Krüger.
 

Die Geschichte der Emanzipation ist eine Geschichte voller Brüche. Während es zur Zeit der Sklaverei als Emanzipation bezeichnet wurde, wenn Sklaven in die Freiheit entlassen wurden, verstanden Bürger darunter die Freiheit, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Mit Aufkommen der Frauenbewegung reklamierte diese den Begriff für sich und forderte damit die Gleichstellung der Frau als Bürgerin. Eine Mischung unterschiedlicher Abhängigkeiten erfuhr Miley Cyrus (geb. Destiny Hope Cyrus) in ihrem bisherigen Leben – als minderjährige Hannah Montana in der Musikindustrie, angetrieben durch ihren Vater Billy Ray Cyrus. Davon hat sie sich nun emanzipiert. Aber wie kam es eigentlich dazu?

Nach einigen Jahren im Griff von Disney und immensem Erfolg hatte Miley es satt, Hannah Montana zu spielen. Ebenso wie das Schauspiel an sich. Damit fiel ein Standbein ihrer Karriere komplett weg. Nun stand die Frage im Raum, ob ihre Musik auch ohne die Hintergrundstory und den Namen der TV-Serie Erfolg haben würde. Nach einer Übergangsphase, die immerhin drei Studioalben und auch einige interessante Kollaborationen, etwa mit Snoop Dogg, hervorbrachte, produzierte sie endlich etwas, das ihr wahrhaftig entspricht: das am 4. Oktober erschienene Album „Bangerz“. Vorläufer ist die Single „We can’t stop“, deren Lyrics keinen Zweifel aufkommen lassen, dass es sich hier um ihr Manifest handelt: „We run things, things don’t run we – we don’t take nothing from nobody.“ Eine klare Ansage gegen alle KritikerInnen und Bevormundung, die es in einem Leben als Kinderstar zu Hauf gegeben haben muss. So war das nicht geplant: Nach der TV-Serie war eine fast lückenlos anschließende Karriere als Musikerin für sie nicht geplant. Schon gar nicht so: sich in extrem eindeutigen Posen auf dem Bett räkelnd, mit einem Sidecut und Goldzähnen, Wifebeater-Oberteil und ständig rausgestreckter Zunge. Das verwirrt.

Teddybären und Latexunterwäsche. Doch diese Single wäre nur eine Randnotiz in der Popwelt, hätte es nicht den Auftritt von Miley bei den Video Music Awards (VMA) gegeben, bei welchem der Song und ikonische Fragmente des Videos – etwa gigantische Teddybären auf den Rücken der Tänzerinnen – in ein Duett mit Robin Thicke eingebaut wurden. Dessen Sommerhit „Blurred Lines“ ist ein sexistisches und misogynes, jedenfalls aber gut produziertes Stück rape culture, das sogar Zeilen über anale Vergewaltigung beinhaltet, jedoch ohne dass die breite Masse das erkennen könnte. Robin Thicke betritt die Bühne, Miley reißt sich die Klamotten vom Leibe und steht in hautfarbener Latexunterwäsche da. Vor einigen Jahren war Britney Spears’ hautfarbene Stoffhose bei der gleichen Veranstaltung noch Grund für Geläster. Das im Original von drei Männern gesungene „Blurred Lines“ wird zu einem Duett zwischen Miley und Robin, bei dem nicht ganz klar ist, wer hier wem auf die Pelle rückt. Der absolute Höhepunkt dieser Farce ist erreicht, als sich Miley zu ihren Fans hinunterbeugt, mit dem hochgestreckten Arsch wackelt, die Zunge  rausstreckt und Robin mit dem Schritt ihr zugewandt … der Rest ist Geschichte. Sie wurde zum Witz der Woche. Das kleine Mädchen mit den blonden Stirnfransen war zu einer lächerlichen Gummipuppe mutiert.

Die einzige Kritik, die dabei verhandelbar ist und die lediglich ein paar Blogs aufgriffen: ihr Hang zur unkritischen Aneignung von Symbolen der Black Community und ihr Ghettochic. Stattdessen wird eine junge Frau von Anfang  Zwanzig für eine sexuelle Konnotation auf der Bühne medial auf den Scheiterhaufen geworfen. Wäre sie nicht schon jahrelang Teil des öffentlichen Interesses, wäre so ein Auftritt auch nicht weiter aufgefallen. Doch an Miley lässt sich die Verwandlung von Unschuld in Hormone, von Nicken in Kopfschütteln, von Brett zu Busen so wunderbar erkennen und – ja – verurteilen. Ein ohnehin sexualisiertes Objekt wie eine weibliche Popsängerin sollte sich seiner eigenen Sexualisierung nie und nimmer bewusst sein, sonst stößt das dem Publikum extrem böse auf.

Einstürzende Emotionen. Im Video zu „Wrecking Ball“, der zweiten Single des neuen Albums, sitzt Miley mit dem nackten Popo auf einer Abrissbirne und leckt genüsslich einen Hammer ab. Die Ballade handelt vom Einstürzen emotionaler Mauern und von Vertrauen, das dann hintergangen und verspielt wird. Die visuelle Umsetzung symbolisiert das Ausnutzen sexueller Unerfahrenheit bei jungen Frauen und die Überredungskünste der Partner. Für die meisten ZuseherInnen ist das Video aber eine plumpe Zurschaustellung von nackter Haut und sinnlosen Gesten.

Zum Höhepunkt der Dreistigkeit kam es Anfang Oktober, als Sinead O’Connor einen offenen Brief an Miley schrieb, da sie öfter zu einer speziellen Szene befragt wurde, die offensichtlich von ihrem Video zu „Nothing compares 2 U“ inspiriert wurde. Darin sieht man eine Nahaufnahme von Mileys Gesicht und eine Träne, die ihr die Wange herunterkullert. Der Brief von Sinead O’Connor ist im Ton mütterlicher Fürsorge geschrieben, was in Wahrheit nichts anderes als
Bevormundung ist. Miley wird hier die Zurechnungsfähigkeit gänzlich abgesprochen. Durch die Vorwürfe, sie lasse sich von der Musikindustrie manipulieren, wird ihr jeder künstlerischer Anspruch abgesprochen.

Für all die Mädchen und Frauen, die auf gleiche oder ähnliche Art und Weise zurechtgestutzt werden, die sich ständig beurteilt und bevormundet fühlen, die sich wieder und wieder verunsichern lassen durch Kommentare und Ratschläge, ein weiterer Ratschlag: Bei sich selbst beginnt die Arbeit damit, andere Frauen nicht zu beurteilen, auch wenn es Miley Cyrus ist. Je weniger man andere Frauen mit jenen Kriterien konfrontiert, die einem selbst zuwider sind, desto besser gelingt die eigene Akzeptanz.

Die Autorin Katja Krüger studiert Gender Studies in Wien.
 

Feine Differenzierungen

  • 30.09.2012, 22:21

Eingeengt. Wer die Rollen neu schreibt. Auf den Spuren einer vielschichtigen Verweigerung.

Eingeengt. Wer die Rollen neu schreibt. Auf den Spuren einer vielschichtigen Verweigerung.

Transidentitäten

Wenn von trans*, Transgender oder Transidentität gesprochen wird, kann sehr Unterschiedliches gemeint sein. Der feinen Differenzierung geschlechtlicher Selbstverortungen steht hier die große Unwissenheit der breiteren Gesellschaft gegenüber. Wo hierzulande bis vor kurzem noch meist von „Transvestiten“ gesprochen wurde, und damit grob „Männer” in „Frauen“kleidern gemeint waren, wurden inzwischen zumindest Konzepte wie „Transsexualität“ und „Intersexualität“ durch die Medien aufgegriffen. In vielen  Darstellungen werden dennoch exotisierende Bilder bemüht, und wenn Trans*personen in den Medien vorkommen, dann oft auf stereotype Weise. Generell orientieren sich die Mediendiskurse dabei weniger an den Bedürfnissen von Betroffenen, als vielmehr an gesellschaftlichen Normvorstellungen. Wird Intersexualität nun aufgrund biologischer Ursachen zumindest formal teils anerkannt, so wird Intersex-Personen dennoch oft die Einordnung in ein klassisch zweigeschlechtliches Modell abverlangt. Bei Transsexuellen wird der Wunsch, im „anderen“ Geschlecht zu leben, häufig überhaupt infrage gestellt. Oft ist klischeehafte Überzeugungsarbeit von Transpersonen nötig, um anerkannt zu werden. Trans* ist ein sehr breites und meist allzu reduziert betrachtetes Label, das nichtzuletzt auch von vielen Menschen als Bezeichnung bewusst abgelehnt wird. Die angeführte Literaturversucht weitere Einblicke zu geben.

Transsexualität

Der Begriff „Transsexualismus“ wurde 1923 vom deutschen Arzt Magnus Hirschfeld eingeführt, um zu beschreiben, wie Personen sozial und physisch eine Transition in das „andere“ Geschlecht anstreben. Hirschfeld hat dabei bereits in den 1920er-JahrenTranssexuelle in ihrem Geschlechtswechsel unter stützt und begleitet. Faschismus und Nationalsozialismus haben allerdings der fortschrittlichen Geschlechterpolitik und -praxis ein Ende bereitet. Erst über Harry Benjamin wurde in den USA der 1950er-Jahre Transsexualität auch wissenschaftlich wieder wohlwollend aufgegriffen, wenn auch in patriarchalpaternalistischer Weise. Inzwischen ist die Existenz von Transfrauen (Mann-zu-Frau-Transsexuelle, MzF, MtF) und Transmännern (Mann-zu-Frau-Transsexuelle, FzM, FtM) akzeptierter. Dennoch wird Transsexualität auch nach wie vor medial sowie in der Mehrheitsgesellschaft als krankhaft angesehen und in Medien exotisiert.

Geschworene Jungfrauen

Die einzige institutionalisierte Form des Gender-Crossings in Europa finden wir in Albanien: die Tobelja („die, die einen Schwur abgelegt hat“). Eine Frau übernimmt dabei jegliche Tätigkeiten, die in der Regel „Männern“ vorbehalten bleiben, und legt jene Tätigkeiten ab, die „Frauen“ zugeschrieben werden. Eine körperliche Transition wird zumeist nicht angestrebt. Tobeljas entscheiden sich oft nicht selbst zu diesem Weg, sondern werden von der Familie in diese Rolle gedrängt. Sie werden oft stereotype, teils misogyne – also frauenverachtende – Männer. Dieses Modell stabilisiert rigide Geschlechternormen und wurzelt vor allem in sozialen Notlagen in einer traditionellen Gesellschaft. Als Folge der Gleichstellungsbestrebungen zwischen „Frau“ und „Mann“ imjugoslawischen Sozialismus ist dieses Modell inzwischen kaum noch verbreitet.

Gender Queer

Nicht in das vorgefertigte Rollenbild passen, das uns von der Gesellschaft vorgegeben wird: Das passiert oft leichter als man glaubt. Gender Queer oder Gender Fluid sind Identitätsbezeichnungen, die viele Menschen anwenden, um den engen Kategorien zu entfliehen. Beide Ausdrücke sind Überbegriffe, die verschiedenste Assoziationen zulassen. Es kann sich dabei um Menschen handeln, die sich mal mehr als Mann, mal mehr als Frau fühlen, oder sich in gar keiner geschlechtlichen Identität wohlfühlen. Aber es kann auch nur die sogenannte gender expression gemeint sein, also die typischen sozialen Verhaltensweisen, die sich nicht mit den Stereotypen decken. Nichts zu tun hat der Begriff mit sexueller Orientierung. (red)

Hijras und andere Konzepte

Außerhalb Europas gab und gibt es verschiedenste institutionalisierte Formen von Gender-Crossing und alternativen Geschlechtern: brasilianische Travestis, indische Hijras, „weibliche Ehemänner“ in verschiedenen afrikanischen Gesellschaften, oder verschiedene ambivalente Geschlechter in indigenen Gesellschaften in Nordamerika. Diese Beispiele zeigen, wie unterschiedlich Transgender-Identitäten sein können. Können manche davon identitätspolitisch inspirieren, warnen andere davor, dass eine großteils  geschlechterbinäre Hetero-Gesellschaft durch ein exotisiertes, ausgebeutetes „drittes Geschlecht“ auch stabilisiert werden kann.

Feministische Science-Fiction

Für eine emanzipatorische Geschlechterpolitik können gerade auch fiktive Geschlechterkonzeptionen sehr brauchbar und motivierend sein. So finden wir in verschiedenen feministischen Science-Fiction- Werken reichhaltige Überlegungen über alternativeModelle – von solchen, in denen Geschlecht keine Rolle mehr spielt, bis zu solchen, in denen es fünf oder mehr Geschlechter gibt. Ausgehend von dort verhandelten Konflikten lässt sich auch über die eigenen Praktiken und Möglichkeiten reflektieren. Zugleich bieten Science-Fiction-Romane auch einen Raum, sich selbst erst einmal mit dieser Thematik auseinanderzusetzen, außerhalb politisch verfahrener Kontexte.

Weitere Infos
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Empfohlene Lektüre:
Schröter, Susanne. 2002. FeMale. Über Grenzverläufe zwischen den Geschlechtern. Fischer Taschenbuch Verlag.

Serano, Julia. 2007. Whipping Girl: A Transsexual Woman on Sexism and the Scapegoating of Femininity. Seal Press.

Voß, Heinz-Jürgen. 2010. Geschlecht: Wider die Natürlichkeit. Schmetterling Verlag.

Science-Fiction:
Piercy, Marge. 1985. Woman on the Edge of Time. Women’s Press. Delany, Samuel R. 1996. Trouble on Triton: An Ambiguous Heterotopia. Wesleyan University Press. Scott, Melissa. 2009. Shadow Man. Lethe Press.

Organisationen/Links:
http://www.transx.at
http://www.intersexualite.de

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