Gender

Von Prinzen und Superheldinnen

  • 12.05.2017, 21:53
Am Anfang steht die Frage: Wisst's ihr schon was es wird? Bub oder Mädchen?

Am Anfang steht die Frage: Wisst's ihr schon was es wird? Bub oder Mädchen?

Dieser Frage wird große Bedeutung beigemessen, geht es doch darum, ob eine süße Prinzessin oder ein wilder Rabauke auf die Welt kommen wird, eine Ballerina oder ein Fußballer, ein Stammhalter oder nur ein Mädchen, kurz: Rosa oder Blau? Diese Frage ist essenziell, man stelle sich vor, ein Bub in einem rosafarbenen Tragetuch, oder ein Mädchen im hellblauen Strampler? Da kennt sich doch niemand mehr aus.

Warum sind es genau Hellblau und Rosa? War das immer so? Wer profi tiert von der strikten Trennung in Buben- und Mädchensachen eigentlich, und was kostet es unsere und alle anderen Kinder und späteren Erwachsenen? Wie ist das eigentlich mit dem Testosteron? Und wie (un)beeinfl usst sind die Kleinsten wirklich? Welche Rolle spielt dabei Sprache? Doch am wichtigsten: Was können wir alle, ganz praktisch gesehen, tun, um den Nachwuchs möglichst wenig den Geschlechterklischees unserer Urgroßelterngeneration auszusetzen?

Unter anderem diese Fragen beantworten Almut Schnerring und Sascha Verlan ausführlich und trotzdem auf den Punkt gebracht, großteils durch umfangreiche Recherchen, teilweise aber auch aus dem Leben mit drei Kindern. Ohne Vorwissen zu Kindern oder Geschlechtertheorie gut lesbar, bietet es aber auch Menschen, die in einem oder beiden Themen bereits eingearbeitet sind, noch viel Informationen und Anregungen zum Weiterdenken.

Negativ ist mir hauptsächlich aufgefallen, dass der gesamte, für mich untrennbar verbundene, LGBTI-Themenkomplex weitgehend ausgeblendet wird, während so ziemlich jedes andere Thema, das in diesem Zusammenhang genannt werden könnte, in das Buch Eingang findet. Das passt anscheinend noch nicht in ein Buch, das Anschluss an den Mainstream möchte.

Trotzdem ein großartiges Geschenk statt Strampler oder Babydecke Nummer 62, an (werdende) Eltern oder gleich sich selbst. Wahlweise um es der nächsten Person an den Kopf zu werfen, die bereits Babys in Zicken und Machos einteilt.

Andrea Reisinger lebt ohne Kinder und Studium in Wien.

Einfach zu brauchbar

  • 12.05.2017, 21:36
Mediale Angriffe auf die Gender Studies.

Mediale Angriffe auf die Gender Studies.

Was die Gender Studies so machen, sei nicht nachvollziehbar für die Durchschnittsbevölkerung: eine beliebte Beschwerde in Mainstreammedien. Forschungsfragen und Ergebnisse seien unverständlich und das Konzept Gender widerstreite „der ursprünglichsten Wahrnehmung und Empfindung der meisten Menschen“, wie es der Leiter des Politteils der Frankfurt Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) Volker Zastrow stilbildend auf den Punkt brachte.

UNVERSTÄNDLICH. Was impliziert dieser Vorwurf genau? Kann von einer Wissenschaft verlangt werden, dass man ihre Tätigkeiten ohne jegliches Vorwissen verstehen und beurteilen kann? Gilt das auch für andere Wissenschaften, Baustatik zum Beispiel? Ich würde eher sagen, dass das unrealistisch ist. Wissenschaftliche Disziplinen haben notgedrungen ihre eigene Sprache, mit der Phänomene analytisch genauer gefasst werden als mit Alltagssprache. Es bleibt wünschenswert, ihre Ergebnisse in geeigneter Weise an Lai_innen zu kommunizieren. Doch gerade hier kann man den Gender Studies kaum ein Versäumnis unterstellen. Denn es gibt unzählige einführende Texte in Flyer-, Buch- und digitaler Form, die alltagsweltlich bestens verständlich sind. Hätte sich Volker Zastrow den einen oder anderen davon zu Gemüte geführt, könnte er kaum behaupten, das Konzept Gender würde in Widerspruch zur „ursprünglichsten Wahrnehmung und Empfindung der meisten Menschen“ stehen, denn diese Wahrnehmung und Empfindung ist zentraler Bestandteil dessen, was mit Gender gefasst werden soll. Und auch wenn es in den Gender Studies unterschiedliche Sichtweisen zum Verhältnis von Kultur und Natur gibt, ist mir noch nie die Behauptung untergekommen, diese „Wahrnehmung und Empfindung der meisten Menschen“, sich als Mann oder Frau zu fühlen, würde schlicht nicht existieren. Wobei man Zastrow ja fast dankbar sein muss, dass er hier von den „meisten“ und nicht von allen Menschen schreibt. Denn das trägt dem Umstand Rechnung, dass es sehr wohl Menschen gibt, die sich nicht in das Mann- Frau-Zweierschema einordnen lassen, oder deren „ursprünglichster Empfindung“ das zugewiesene Geschlecht nicht entspricht. Folgerichtig müsste das als abnormal abgestempelt werden – aber was wäre damit gewonnen? Das widerstrebt mir als Privatperson und auch als Wissenschaftlerin ist es illegitim, ein System für Analysen zu benutzen, das biologisch und in seinen sozialen Konsequenzen nicht treffsicher ist. Spannend ist hier eher, woher der Wunsch kommt, diese strikte Trennung zu erhalten. Ja, die Leute sollen sich fühlen, wie sie sich fühlen. Gerade bei „ursprünglichsten“ Gefühlen sollte die Gefahr, dass sie einem weggenommen werden, ja eigentlich absurd erscheinen. Woher rührt also die Angst, das Genderkonzept würde Menschen zu geschlechtslosen Wesen umerziehen? Und was ist das überhaupt für ein Argument? Ist wissenschaftliche Forschung nur dann wissenschaftlich, wenn sie mit der „Wahrnehmung und Empfindung der meisten Menschen“ übereinstimmt? Gilt das auch für Baustatik?

WIDERSTREITEND. Folgt man Zastrow weiter, widerstreitet Gender nicht nur „der ursprünglichsten Wahrnehmung und Empfindung der meisten Menschen“, sondern auch „den Religionen und naturwissenschaftlicher Forschung“. Auf den vermeintlichen Widerspruch zu naturwissenschaftlicher Forschung bin ich in der letzten progress-Ausgabe („Genderwahn an Hochschulen“) schon eingegangen und möchte hier nur einwerfen, dass die Gender Studies interdisziplinär sind und naturwissenschaftliche Forschung daher ein wesentlicher Bestandteil ist. Bleibt noch der Widerspruch zur Religion und da muss man Zastrow ehrlich zu Gute halten: Das stimmt! Das Konzept Gender widerspricht zumindest in weiten Teilen religiösen Vorstellungen von Mann und Frau. Das ist wahr und das Argument gefällt mir nicht nur so gut, weil es wahr ist, sondern auch weil Zastrow keinen Genierer hat, es im selben Satz mit naturwissenschaftlicher Forschung zu bringen. Die Frage, ob naturwissenschaftliche Forschung nicht auch den Religionen in dem einen oder anderen Punkt „widerstreitet“, könnte ich mir jetzt vielleicht sparen. Aber „widerstreitet“ Religion nicht häufig auch der „ursprünglichsten Wahrnehmung und Empfindung der meisten Menschen“? Stichwort Sexualmoral.

Andere Leute hätten vielleicht Bedenken, diese drei Aspekte so nebeneinanderzustellen. Zastrow hingegen formt diesen Widerspruch um zu einer praktikablen Lösung für den Umgang mit Gender: Du kannst dir aussuchen, wem Gender widerspricht, ob deinem Bauchgefühl, deinem religiösen Glauben oder dem was du als „echte“ Wissenschaft gelten lässt.

NUTZLOS. Naheliegend ist dann auch der medial populäre Vorwurf, die Gender Studies würden keine nützlichen Ergebnisse liefern. Und damit sind wir paradoxerweise genau dort angelangt, wo wir in der letzten progress-Ausgabe stehengeblieben sind: bei dem Vorwurf, dass die Gender Studies zu nahe an politischen Interessen und Vorgängen angesiedelt, also gewissermaßen zu nützlich sind (wie es Villa und Hark in ihrem „Anti-Genderismus“-Buch beschreiben). An dieser Stelle stellt sich für mich schon die Frage, wie eine Wissenschaft, die gesellschaftliche Ungleichheitsstrukturen untersucht, ihre Nützlichkeit anders beweisen sollte, als gesellschaftlich relevantes Wissen über Ungleichheit zu erzeugen. Also wie könnte dieses Wissen nützlich sein, wenn es gleichzeitig keinen Einfluss haben darf? Nutzlos ist das erzeugte Wissen nicht, es ist nur wenig hilfreich für die Argumentation gegen gesellschaftliche und sexuelle Vielfalt. Und das scheint eher das Problem zu sein.

Carina Brestian studiert Soziologie an der Universität Wien.

Genderwahn an Hochschulen

  • 23.02.2017, 19:36
Die Besorgnis, Wissenschaft würde durch die Gender Studies für die Umsetzung einer politischen Ideologie missbraucht werden, ist ein präsentes Thema im medialen Diskurs. Aber was ist dran an den Vorwürfen der Unwissenschaftlichkeit und fehlenden Objektivität?

Die Besorgnis, Wissenschaft würde durch die Gender Studies für die Umsetzung einer politischen Ideologie missbraucht werden, ist ein präsentes Thema im medialen Diskurs. Aber was ist dran an den Vorwürfen der Unwissenschaftlichkeit und fehlenden Objektivität?

Bedenken bezüglich der Wissenschaftlichkeit der Gender Studies werden von unterschiedlichen Personengruppen geäußert. Von journalistischen GendergegnerInnen über AntifeministInnen hin zu christlichen FundamentalistInnen (Ja, auch die machen sich Sorgen um den Verfall der Wissenschaft). Eine kritische Reflexion von Forschung ist grundsätzlich durchaus wünschenswert, allerdings muss sie auf einer differenzierten Auseinandersetzung mit dem Gegenstand fußen, um einen konstruktiven Beitrag zu leisten. In der Gendergegnerschaft ist dies nun nicht ganz der Fall; die Gender Studies werden ohne tiefergehende Kenntnis pauschal als „pseudowissenschaftlicher Hokuspokus“ abgelehnt. Das macht es nicht ganz einfach, sich mit Argumenten der GendergegnerInnen auseinanderzusetzen. Versuchen wir es trotzdem, indem wir uns einen Kernvorwurf genauer ansehen: jenen der fehlenden Objektivität der Gender Studies aufgrund ihres politischen Gehaltes.

FEMINISTISCHE INVASION? Es ist kein großes Geheimnis, dass die Gender Studies einer politischen Bewegung entstammen und dass Gender ein höchst politischer Begriff ist. Hinter ihm steht die analytische Beobachtung, dass Menschen nach ihrer Geburt aufgrund ihrer äußeren Geschlechtsmerkmale einer Kategorie (männlich oder weiblich) zugeordnet werden und diese Zuordnung ihren weiteren Lebenslauf bestimmt. Begonnen bei der Sozialisation von Jungen und Mädchen werden sehr unterschiedliche gesellschaftliche Vorstellungen und Anforderungen an Männer und Frauen herangetragen. Das Konzept Gender problematisiert das ungleiche Geschlechterverhältnis, das auf dieser Trennung fußt. Es geht also nicht darum, Menschen umzuerziehen und ihnen ein bestimmtes Verhalten aufzudrängen, sondern darum, den Rahmen für mögliches Verhalten zu erweitern. Männer sollen Gefühle zeigen dürfen und Frauen technische Berufe ergreifen können – wenn ihnen das entspricht – ohne dabei Schwierigkeiten zu bekommen. Es handelt sich also um eine Idee, die, wenn auch nicht unter dem Vorzeichen „Gender“, in weiten Teilen der Gesellschaft akzeptiert und bejaht wird. Aus einer bestimmten Blickrichtung ist es damit durchaus plausibel, Gender als eine Bedrohung wahrzunehmen. Eine Bedrohung für sehr fundamentale gesellschaftliche Strukturen, die trotz des Fortschrittes der letzten 100 Jahre noch bestehen. So sind auch in der westlichen Gegenwartsgesellschaft Frauen diejenigen, die den Großteil von schlechtoder unbezahlter Versorgungsarbeit leisten, häufiger von Gewalt und Armut betroffen sind, weniger in Führungspositionen aufsteigen und Männer diejenigen, die misstrauisch beäugt werden, wenn sie mit Kindern arbeiten wollen. Dass das Infragestellen so fundamentaler gesellschaftlicher Prinzipien Anlass für emotionale Auseinandersetzungen gibt, ist wenig überraschend.

OBJEKTIV ODER DOCH POLEMISCH? Die Gender- KritikerInnen sprechen von einer „Genderisierung“ der Hochschulen, als ob es sich um eine staatlich verordnete „Invasion“ handle, die Unmengen an Steuergeldern verschlingen würde. Diese Behauptung hält einem Blick in die Realität jedoch nicht Stand. So sind beispielsweise an österreichischen Hochschulen 2.420 ProfessorInnen tätig, wobei sechs Professuren eine Volldenomination für Geschlechterforschung haben. Das Bild der Invasion ist, wenn auch wenig plausibel, dennoch wirkungsmächtig und nur ein Beispiel für den fast durchgängig polemischen Stil genderkritischer Beiträge, die den „Genderwahn“ als Gefahr für die Wissenschaft darstellen. Die Soziologinnen Sabine Hark und Paula-Irene Villa weisen darauf hin, dass dabei meist, ohne weitere Erörterung, von einem alltagsweltlichen Verständnis von Wissenschaft ausgegangen wird, das an positivistische Maßstäbe der Naturwissenschaften angelehnt ist. Dies ist aus mindestens zwei Gründen problematisch: Erstens delegitimiert ein derartiges Wissenschaftsverständnis jegliche Erkenntnismethoden der Kultur-, Sozial- und Geisteswissenschaften. Zweitens ist ein alltagsweltliches Wissenschaftsverständnis bestenfalls für den Alltag geeignet, eine vermeintlich wissenschaftliche Kritik darauf zu stützen, ist aber alles andere als passend. Widersprüchlich ist weiters, dass der Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit, trotz des engen Wissenschaftsbegriffes, nur an die Gender Studies gerichtet wird (übrigens auch an ihre naturwissenschaftlichen Forschungsarbeiten). Es werden weder ganze wissenschaftliche Disziplinen noch sozialwissenschaftliche Forschungen von Gleichgesinnten angegriffen. All das spricht dafür, dass die Abwertung der Gender Studies nicht einer bloßen Besorgnis um Wissenschaftlichkeit geschuldet ist, sondern eher den Bedenken und Feindseligkeiten jener, die an den alten Strukturen hängen und eigene Privilegien gefährdet sehen. Es handelt sich um eine politische Motivation genau jener Art, wie sie den Gender Studies vorgeworfen wird und die wissenschaftlicher Objektivität vermeintlich im Weg steht.

POLITISCHE OBJEKTIVITÄT? In diesem Zusammenhang ist zu fragen, was wissenschaftliche Objektivität überhaupt sein kann. Das Bild eines isolierten Wissenschaftlers, der im Labor kulturunabhängige Ergebnisse produziert, ist in der Realität nicht haltbar. Jede forschende Person ist auch Teil der Gesellschaft, hat Vorstellungen und Wertehaltungen, die in den Forschungsprozess miteinfließen. Alleine die Wahl eines Forschungsgegenstandes ist schon von gesellschaftlichen Umständen geprägt. Denn was als erforschenswert angesehen wird, ist keine Frage, die objektiv beantwortet werden kann, sondern das Ergebnis von gesellschaftlichen Diskursen und Kräfteverhältnissen. Objektivität ist im Sinne einer völligen Unabhängigkeit von Gesellschaft undenkbar, egal in welcher wissenschaftlichen Disziplin. Dies bedeutet allerdings nicht, dass keine nachvollziehbare wissenschaftliche Erkenntnis möglich wäre, sondern nur, dass es einen bedachten Umgang mit der eigenen Rolle als forschende Person und dem Entstehungszusammenhang der Ergebnisse geben muss. Aus diesen Überlegungen heraus hat sich in den Sozialwissenschaften ein reger Diskurs darüber etabliert, wie solch ein Umgang Teil des Forschungsprozesses selbst werden kann. Gerade die Gender Studies haben hierzu einen wesentlichen Beitrag geleistet.

Carina Brestian hat Soziologie und Gender Studies an der Universität Wien studiert.

Zwei mal „Wo kommen Kinder her?“, ohne heteronormative Kackscheiße

  • 29.01.2016, 17:52

Zwei Bücher, zwei Kinder, zwei unterschiedliche Familien, zwei Geschichten darüber, wie Eltern zu Kindern kommen. Zwei Mal kinderfreundliche Erklärungen, die darauf verzichten, die Mär von Zweigeschlechtlichkeit und Vater-Mutter-Kind-Familien zu zementieren.

Zwei Bücher, zwei Kinder, zwei unterschiedliche Familien, zwei Geschichten darüber, wie Eltern zu Kindern kommen. Zwei Mal kinderfreundliche Erklärungen, die darauf verzichten, die Mär von Zweigeschlechtlichkeit und Vater-Mutter-Kind-Familien zu zementieren.

Wie Single-Vater Tobias mit Lotta schwanger wurde, erfährst du in „Wie Lotta geboren wurde“.

Die Geschichte fängt bereits vor seiner Schwangerschaft an, erzählt von Tobias Hobbys und seinen Freund_innen. Ein Freund schenkte ihm die Samen, die er benötigte, um Lotta zu bekommen. Dass Tobias vermutlich ein trans* oder inter* Mann ist und weshalb er eine Gebärmutter hat, wird nicht unnötig thematisiert. Stattdessen betont das Büchlein Tobias' Vorfreude – und wie er zusammen mit Freund_innen und Verwandten jubelte, als Lotta endlich auf der Welt war.

„Maxime will ein Geschwister“! Oder gleich mehrere. Dabei ist für ihn das Geschlecht des potentiellen Geschwisterchens gänzlich irrelevant und wird nicht mal angesprochen. Macht einfach mal, Mamis! Die beiden Mütter sind einverstanden, greifen zur anonymen Samenspende und neun Monate später kann Maxime sein Geschwister Nikola im Arm halten.

Test

Beide Bücher behandeln eine ähnliche Thematik und eignen sich beide dafür, Kindern zu erklären, wie sie auf die Welt kamen, ohne ihnen dabei gleich cissexistische Unwahrheiten à la „alle Frauen können schwanger werden, alle Männer können das nicht“ aufzutischen. Auch die Mär von der Familie, die unbedingt genau einen Vater und genau eine Mutter bräuchte, bleibt den Kindern so erspart. Ein klares Plus für alle Kids: Sowohl für die, deren Familie nie in Kinderbüchern vorkommt, als auch für alle anderen, die so ein bisschen über den Tellerrand raus schauen können, von Kindern bis Erzieher_innen. Je nach Alter der Kinder können sie auch als Anstoß dienen, über Geschlecht zu sprechen: z.B. warum wir bei jedem Menschen unbedingt das Geschlecht wissen wollen. Oder warum die meistern Eltern auf „Bruder oder Schwester“ beharren, statt einfach wie in Maximes Geschichte „Geschwister“ zu benutzen.

Die Erklärungen zum Ablauf einer Schwangerschaft sind liebevoll und kleinkindgerecht. Körperteile sind weniger wichtig als das Wesentliche: Die Freude, die mit den Kindern und dem Kinderbekommen verbunden ist. So dass jedes Kind weiß: Die Hauptsache ist, dass meine Eltern sich bewusst für mich entschieden haben und sich darüber freuen, dass es mich gibt!

Auch die Vielfalt von möglichen Bezugspersonen und Familienformen wird betont. Nicht nur Maxime und seine Mütter oder deren Verwandten freuen sich über das Baby , sondern auch Mitbewohner_innen und Freund_innen sind gleichberechtigt dabei. Nicht angesprochen, aber gezeigt wird, dass nicht alle in einer Familie die gleiche Hautfarbe haben müssen: Maxime ist ebenso wie eine seiner Mütter Schwarz, Baby Nikola und die andere Mutter weiß.

Der Zeichenstil der Bücher ist liebevoll minimalistisch auf das Wesentliche reduziert. Verbunden mit tuscheähnlicher Zeichnung spricht das stringente Farbkonzepte sehr an: Keine Hintergründe, als Farben nur Schwarz, Gelb und ein Hauch Rot in Lottas Geschichte, Schwarz, Lila und Grautöne in Maximes Büchlein.

Hinter den Mini-Format-Büchern (13,6 x 13,6 cm) steht der neue, reichlich queere Zwei-Personen-Verlag „Atelier 9 ¾“ , der sich auf Comics und Kinderbücher spezialisiert hat.  „Wie Lotta geboren wurde“ gibt es sogar schon auf Schwedisch.

Non Chérie studiert mitunter versehentlich an der Universität Wien, macht meist feministisches Gedöns und queeren Krempel.

Beide Bücher könnt ihr euch auch gleich ausleihen – in der queer_feministischen Bibliothek der ÖH Bundesvertretung. Dort gibt es einen ganzen Schwerpunkt zu nicht-normativen und queerfreundlichen Kinderbüchern für verschiedene Altersstufen und zu diversen Themen. Schaut vorbei.

Die ,,Volksgemeinschaft‘‘ bröckelt

  • 05.12.2015, 18:25
Der Sammelband „Geschlechterreflektierte Pädagogik gegen Rechts“ versucht theoretische Überlegungen zum Zusammenspiel von Neonazismus, Pädagogik und Geschlecht mit pädagogischen Praxen in Beziehung zu setzen.

Der Sammelband „Geschlechterreflektierte Pädagogik gegen Rechts“ versucht theoretische Überlegungen zum Zusammenspiel von Neonazismus, Pädagogik und Geschlecht mit pädagogischen Praxen in Beziehung zu setzen. Mitherausgeber Andreas Hechler spricht mit Judith Goetz über rechte Wortergreifungen gegen sexuelle und geschlechtliche Vielfalt und den fehlenden Blick auf Opferperspektiven und Alternativen.

progress: Ihr schreibt in eurem Buch, dass „Neonazismus nur mit ganz bestimmten Männlichkeiten und Weiblichkeiten“ funktioniert. Was ist damit gemeint?
Andreas Hechler: N(eon)azistische Männlichkeiten und Weiblichkeiten sind exklusiv; sie sind idealtypisch weiß, (seit vielen Generationen) deutsch, christlich oder verwurzelt in der germanisch- nordischen Mythologie, gesund, heterosexuell etc. Was also de facto hyperprivilegiert und nur auf eine kleine Minderheit überhaupt zutreffen kann, ist nach neonazistischer Lesart „normal“.

Darüber hinaus stehen diese Konstruktionen im Dienst einer größeren Sache. Hier greift unter anderem eine vergeschlechtlichte Arbeitsteilung, die Frauen und Männern innerhalb der „Volksgemeinschaft“ klar definierte Aufgaben und Orte zuteilt. Zu all dem gesellen sich autoritäre und diktatorische Züge, sowohl als strategisches Element zum Erreichen der politischen Ziele als auch ganz prinzipiell in der Vision, wie Gesellschaft organisiert sein soll. Das Zusammenspiel der genannten gesellschaftlichen Positionierungen, Verhaltensweisen und Einstellungsmuster produziert ganz bestimmte Männlichkeiten und Weiblichkeiten. Anders formuliert: Es werden all diejenigen ausgeschlossen, die davon abweichen.

Stärker denn je machen sich Rechte gegen vermeintliche „Frühsexualisierung“ stark. Warum ist sie bedrohlich für den Rechtsextremismus und was kann eine Sexualerziehung im frühen Kindesalter zu einer geschlechterreflektierten Pädagogik gegen Rechts beisteuern?
„Frühsexualisierung“ ist ein schillernder Kampfbegriff, der nicht näher definiert wird. Eine altersangemessene Sexualerziehung trägt ganz maßgeblich dazu bei, Kinder in ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung zu unterstützen und zu einer selbstbestimmten, verantwortlichen und gewaltfreien Sexualität zu befähigen. In dieser Hinsicht wirkt Sexualerziehung gegen Scham bzw. Beschämung, für Kinderrechte und für die freie Entscheidung, wen Menschen lieben wollen und mit wem und wie sie Sex haben möchten. Dagegen läuft das rechte Spektrum Sturm, mit den immer gleichen „Argumenten“ einer angeblich „natürlichen Scham“ und des „Elternrechts“. Zudem stören sie sich ganz maßgeblich daran, dass Kinder sich frei entwickeln können sollen, da das eben auch die Möglichkeit beinhaltet, schwul, lesbisch, bi-/pansexuell, queer, trans*geschlechtlich, nicht-binär, nicht-verheiratet, polyamourös oder was auch immer zu leben oder auch abzutreiben. Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit als Möglichkeiten gleichberechtigt neben viele andere zu stellen, ist ein fundamentaler Angriff auf ein Verständnis, das Sexualität als „natürlich“ fasst und es darüber hinaus auf Fortpflanzung (der „Volksgemeinschaft“) verengt. Der Wunsch nach Klarheit und Eindeutigkeit löst sich durch das Offenlassen von allen geschlechtlichen und sexuellen Möglichkeiten im Nichts auf – die „Volksgemeinschaft“ beginnt zu bröckeln. Ein Beitrag behandelt die Modernisierung homofeindlicher Argumentationen. Was hat sich in aktuellen rechten Debatten gegen sexuelle und geschlechtliche Vielfalt geändert? Der angesprochene Artikel argumentiert, dass Homosexualität nicht mehr als Akt „wider die Natur“ diffamiert und die Existenz der anderen (homosexuellen usw.) Kulturen toleriert wird, solange keine „unethischen“ Vermischungen stattfinden – etwa in dem Sinne, dass Heterosexuelle mit Homosexualität „angesteckt“ werden könnten. Gesellschaftlich marginalisierten Gruppen wird so zwar offiziell eine Daseinsberechtigung zugesprochen, jedoch nur dann, wenn sie sich in die etablierte „Kultur“ integrieren, inklusive dem faktischen Verbot, ihre Interessen auch wirksam auszudrücken.

In Anlehnung an die analytischen Perspektiven eines „Postfeminismus“ können wir vielleicht für bestimmte Spektren von einer „Post-Homofeindlichkeit“ sprechen. Diese bejaht Gleichstellung, hält sie aber für erreicht und warnt vor einer angeblichen Umkehrung ins Gegenteil. Diese gesellschaftlichen Akteur_innen kämpfen gegen ihren Macht- und Privilegienverlust.

Ihr betont, dass sich insbesondere die Sozialpädagogik bis heute an einer verengten Vorstellung deklassierter (männlicher) Jugendlicher orientiert. Welche Probleme ergeben sich durch die Vernachlässigung der Erwachsenen in geschlechterreflektierten pädagogischen Auseinandersetzungen mit Neonazismus?
Die Verengung betrifft nicht nur die Sozialpädagogik, sondern auch mediale Diskurse, institutionelles Handeln etc. Große Teile der Gesellschaft bleiben durch die Projektion des Neonazis als „jungmännlichdeklassiertgewalttätigausm Osten“ unberücksichtigt. Dabei weisen gegenwärtig europaweit Menschen ab dem sechzigsten Lebensjahr – und nicht etwa Jugendliche – die höchsten Zustimmungswerte zu neonazistischen Einstellungsmustern auf. Somit wird die zurzeit zahlenmäßig größte problematische Gruppe von vornherein aus dem Aufmerksamkeitsfeld ausgeblendet.

Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass Kinder in aller Regel viel offener und weniger stereotypisierend als Erwachsene sind, wenn es um Geschlecht geht. Erwachsene geben Kindern und Jugendlichen – häufig unbewusst – ihre Vorstellungen von Geschlecht mit. Das trifft in besonderer Weise diejenigen, die sich nicht geschlechtskonform verhalten. Daher muss auch für Pädagog_innen eine selbstreflexive Auseinandersetzung mit der eigenen geschlechtlichen Sozialisation und daran gekoppelten Vorstellungen von Geschlecht gefördert werden.

Was ist eurer Meinung nach an täter_innenfokussierten Ansätzen in der Neonazismuspräventionsarbeit zu kritisieren?
In der Neonazismusprävention findet sich fast durchgehend ein Täter_innenfokus. Es ist zwar naheliegend, sich ,,den Neonazis“ – ihren Taten, Strukturen und Ideologien – zuzuwenden. Verloren gehen hingegen zwei andere Ebenen, die für eine Präventionsarbeit von großer Bedeutung sind: Einerseits fehlt der Blick auf Menschen, die von Neonazis real oder potenziell angegriffen werden, in täglicher Angst vor Bedrohungen leben und in ihrem Aktions- und Handlungsradius stark eingeschränkt sind. Wird ihre Perspektive nicht wahrgenommen, werden ihre Verletzungen unsichtbar gemacht mit der Folge, dass Diskriminierungen reproduziert und Gewöhnungseffekte in Kauf genommen werden. In einer solchen Neonazismusprävention ändert sich für die Diskriminierten überhaupt nichts. Ein erfolgreicher Kampf muss aber daran gemessen werden, ob sich real etwas für diskriminierte Gruppen verbessert hat. Andererseits fehlt der notwendige Blick auf Alternativen.

Wie könnten und sollten derartige Alternativen aussehen?
Hierzu gehört insbesondere die Stärkung nicht-neonazistischer, antifaschistischer, nicht- und antirassistischer sowie queerer Lebenswelten und Jugendkulturen. Auch das Einüben nicht-diskriminierender Verhaltensweisen, demokratischer Interessenvertretungen und Konfliktlösungsstrategien zählen dazu. Ohne diese bringt auch die beste Präventionsarbeit nichts. Neonazismusprävention ist kein Selbstzweck, sondern Teil eines gesamtgesellschaftlichen Demokratisierungsprozesses.

Zu einer erfolgreichen Neonazismusprävention gehören drei Ebenen und eine Fokusverschiebung: An erster Stelle stehen der Schutz, die Unterstützung und das Empowerment derjenigen, die von Neonazis real oder potenziell bedroht werden. An zweiter Stelle stehen der Aufbau und die Unterstützung von Alternativen zum Neonazismus. An dritter Stelle steht die Beschäftigung und Auseinandersetzung mit Neonazis und rechts orientierten Kindern und Jugendlichen.

Für die Pädagogik gilt es, für diese drei Ebenen zielgruppenspezifische Angebote bereitzustellen. Da die Arbeit mit Täter_innen sowohl der Schutzverpflichtung gegenüber Opfern und Diskriminierten als auch einer Stärkung von Alternativen zuwiderläuft, sollten nicht die selben Personen und Institutionen alle drei Ebenen gleichzeitig bespielen.

Pädagog_innen stecken in dem Dilemma, einerseits Ansprüche pädagogischer Unterstützung in der Arbeit mit rechtsaffinen Jugendlichen zu verfolgen und andererseits wirkungsvolle Arbeit gegen rechtsextreme Orientierungen zu leisten. Wie könnte das gelöst werden?
Ich finde, dass Michaela Köttig in ihrem Buchbeitrag auf der Grundlage ihrer eigenen pädagogischen Arbeit in einer rechten Mädchenclique viele wertvolle Impulse liefert. Das Dilemma lässt sich meines Erachtens nicht auflösen, aber es können Rahmenbedingungen für einen guten Umgang geschaffen werden. Dazu gehören unter anderem ein guter Personalschlüssel, zeitlich fest eingeplante und bezahlte Reflexionsräume (Reflexion, Intervision, fachkundige Supervision), realistisch erfüllbare Anforderungen, finanzielle und räumliche Ressourcen, eine Ausbildung, in der die kritische Auseinandersetzung mit Geschlecht und Neonazismus Teil des Curriculums ist, regelmäßige Fort- und Weiterbildungen, die Möglichkeit, bei Bedarf Hilfe von außen zu holen und angemessene Erholungszeiten.

Eine geschlechterreflektierte Pädagogik gegen Rechts kann derzeit nicht gut gemacht werden, wenn Ressourcen dafür schlicht nicht vorhanden sind. Das hat nichts mit persönlichem Scheitern zu tun; die Haltung mag noch so toll, das Wissen um Geschlecht und Neonazismus noch so profund, die Methodik ausgefeilt sein – wenn man* drei Jugendclubs parallel als einzige_r Sozialarbeiter_in betreuen muss, wie es in mehreren Bundesländern der Fall ist, wird all das nicht viel helfen. Es braucht bessere Arbeitsbedingungen für eine erfolgreiche Arbeit.

Judith Goetz ist Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit und studiert Politikwissenschaften im Doktorat an der Uni Wien.

#oehwahlfahrt

  • 04.05.2015, 19:10

Zur ÖH-Wahl interviewen wir die Spitzenkandidat_innen der Fraktionen in ungewöhnlichen Settings.

Mit Lucia Grabetz (VSStÖ) fahren wir mit der S-Bahn zum Hauptbahnhof und sprechen über die Heimförderung, die Gemeinsamkeiten mit der Mutterpartei und darüber, was die aktuelle ÖH nicht so gut umgesetzt hat.

 

That's how we roll! Und zwar mit Philip Flacke (FLÖ - Fachschaftslisten Österreich) durch den Türkenschanzpark. Dabei sprechen wir über BiPol-Nerdigkeit, die Relevanz von ÖH-Räumlichkeiten an Unis und darüber, was die aktuelle Bundesvertreung nicht so gut gemacht hat.

 

Jens Eipper von der AG kutschieren wir durch die Innenstadt um ihn zu fragen, was er zum Narrativ der deutschen NC-Flüchtlinge sagt, wieso er doch gegen Studiengebühren ist und was die letzte ÖH richtig gemacht hat.

 

Mit der Liliputbahn geht es gemeinsam mit Magdalena Goldinger (FEST) durch den Prater. Wir reden über sinnvolle Anwesenheitspflichten, Zugangsbeschränkungen an Kunstunis und was eigentlich eine FH zu einer FH macht.

 

Für die zweite Runde haben wir uns bei einem hippen Carsharing-Unternehmen ein flottes Cabrio ausgeborgt, um mit Niko Swatek (JUNOS) am Weg von der Mahü zur FHWien über nachgelagerte Zwangsstudienbeiträge, ein gemeinsames Bildungsministerium und unbezahlte Praktika zu reden.

 

In der Wahlfahrt-Premiere nahmen wir mit Meryl Haas (GRAS) die Fahrrad-Rikscha durch den Prater zur WU. Olja Alvir spricht mit ihr über Gender-Budgeting, Koalitionspoker und grünes Bürger_innentum.

„Er macht blabla, sie macht haha“

  • 25.03.2015, 18:58

Frauen im Kabarett: Schön sein, lachen, kurze Kleider tragen. Ein Interview mit der Kabarettistin Nadja Maleh über eine Rollenverteilung im Umbruch.

Frauen im Kabarett: Schön sein, lachen, kurze Kleider tragen. Ein Interview mit der Kabarettistin Nadja Maleh über eine Rollenverteilung im Umbruch.

Im Jahr 2007 feierte die österreichische Kabarettistin und Schauspielerin Nadja Maleh mit ihrem ersten Soloprogramm „Flugangsthasen“ in Wien Premiere. Drei Jahre später wurde der gebürtigen Wienerin der Österreichische Kabarettpreis verliehen. Heuer steht sie mit ihrem vierten Programm „Placebo“ abermals auf der Bühne. progress hat mit der Künstlerin über Sexismus, Humor und ihr neues Programm gesprochen.

progress: Warum gibt es im Kabarett deutlich weniger Frauen als Männer?
Nadja Maleh: Das Ungleichgewicht ist meiner Meinung nach eine Folge unserer klassischen Rollenaufteilung. Die ist zwar heute im Wandel, aber alte Muster sind dennoch stark. Im Kabarett lässt sich das so skizzieren: Er sagt etwas Lustiges, sie lacht. Er ist aktiv, sie ist passiv. Er macht „blabla“, sie macht „haha“. Schon junge Mädchen wurden und werden noch immer dazu erzogen zu harmonisieren, anstatt zu polarisieren. Letzteres blieb seit jeher den Männern überlassen. Aber im Kabarett geht es darum Tabus zu brechen, laut zu sein und auch den Mut zu haben Hässlichkeit zu zeigen. Das fällt einerseits manchmal Frauen schwer und andererseits haben manche Männer ein Problem mit Frauen, die die scheinbar natürlichen Verhältnisse in Unordnung bringen wollen. Natürlich kann es als Frau oft auch sehr ermüdend und anstrengend sein, andauernd gegen tradierte Altherren-Vorurteile anzukämpfen. Kein Wunder also, dass nicht so viele Ladies Lust darauf haben. Aber glücklicherweise werden wir Kabarettistinnen immer mehr.

Sehr hartnäckig hält sich das Stereotyp, dass Frauen weniger Humor als Männer hätten.
Das stimmt natürlich nicht. Frauen und Männer haben ohne Frage gleich viel Humor. Auch wenn es da und dort gewiss weniger humorvolle Exemplare gibt.

Woher kommt dann diese Vorstellung?
Humor war in der westlichen Welt nie ein typisch weiblicher Wert, über den sich eine Frau zu definieren hatte. Daher kommen auch solche Behauptungen, dass Frauen weniger Humor hätten als Männer. Schönheit, Sanftheit und Mitgefühl sind hingegen Eigenschaften, die oft Frauen zugeschrieben werden und somit auch jene Charakteristika, mit denen sich Frauen wiederum selbst definieren. Humor ist aber nicht immer gleich Humor. Da gibt es sehr wohl Unterschiede, die wir auch in Bezug auf Mann und Frau attestieren können: Zum Beispiel haben Untersuchungen gezeigt, dass Frauen eher dazu tendieren über sich selbst zu lachen. Männer hingegen machen vermehrt Witze über andere.

Gibt es Sexismus im Kabarett?
Sexismus hat immer etwas mit Ungleichheit und mit dem sozialen Status zu tun. Das Kabarett soll als Spiegel unserer Gesellschaft verstanden werden. Und in der herrscht eben genau diese Ungleichheit. Wenn wir darüber lachen, ist das sicherlich zugleich auch eine Form der unbeschwerten Reflexion darüber. Über die sogenannten „Schwächeren“ zu lachen, war eben immer schon ein Leichtes.

Wurden Sie schon einmal in ihrem Arbeitsbereich sexistisch behandelt?
Ja, da gab es zum Beispiel einmal einen Veranstalter, der von einer Agentur Kabarett-Vorschläge einholte. Als ich ihm vorgeschlagen wurde, war seine Antwort: „A Frau!? Naaa, wir wollen was Lustiges!“

Sind also sexistische Witze vor allem bei männlichen Kollegen beliebt?
Wenn ich jetzt so überlege, dann muss ich ehrlich sagen, dass mir kaum ein Kollege einfällt, der sich in erster Linie sexistischer Witze und Nummern bedient. Und wenn doch einmal, dann kommt das meistens nur bei einem bestimmten Publikum gut an.

Womit wir bei den Zuschauer_innen wären. Wer lacht überhaupt? Über wen wird gelacht? Und gibt es Grenzen des Humors?
Beim Kabarett soll jeder und jede das Recht haben, lachen zu dürfen. Es soll im Gegenzug aber auch über jeden und jede gelacht werden können. Natürlich gibt es Grenzen. Aber diese Grenzen hat jeder Kabarettist und jede Kabarettistin für sich selbst zu wählen. Ein Mindestmaß an Respekt sollte meiner Meinung nach auch im Kabarett niemals fehlen. Wir leben in einer Gesellschaft in der Gedankenfreiheit, Witzefreiheit und darstellerische Freiheit existieren und propagiert werden. Wo die individuelle Barriere erreicht ist, muss der Künstler oder die Künstlerin innerhalb seines und ihres ganz persönlichen ethischen und künstlerischen Rahmens herausfinden.

Wie definieren Sie diesen Respekt und welche Art von Humor grenzt aus?
Es gibt Humor, der zerstörerisch ist, menschenfeindlich oder sogar dumm. Das ist eine Form, die für mich ausgrenzend ist. Auch Humor auf Kosten von jemandes Unzulänglichkeiten, für die er oder sie nichts kann, zählt für mich dazu.

Im Februar fand die Premiere ihres neuen Programms „Placebo“ statt. Wie wichtig sind Klischees? Bedienen Sie sich selbst frauenfeindlicher Witze?
Wir alle erkennen uns und das Leben in Klischees. Sie sind wie der kleinste gemeinsame Nenner unserer Gesellschaft. Im Kabarett wird natürlich immer mit Klischees gespielt. Das ist ein Muss. Im besten Fall aber werden sie neu beleuchtet und erweitert. Für mich tritt Kabarett Frauen und Männern und allen übrigen Klischees gleich fest auf die Zehen.

 

 

Anne Schinko studiert Politikwissenschaft und Geschichte an der Universität Wien.

Nur für Frauen*?

  • 27.10.2014, 15:25

Labels, die regeln sollen, wer in feministische Schutzräume darf, gibt es viele, gerade in Uni-Kontexten. Doch wer ist eigentlich wirklich gemeint? Eine Kritik.

Labels, die regeln sollen, wer in feministische Schutzräume darf, gibt es viele, gerade in Uni-Kontexten. Doch wer ist eigentlich wirklich gemeint? Eine Kritik.

Im Rahmen der Frauenbewegungen wurden bestehende Räume wie Universitäten für Frauen geöffnet – und neue Räume geschaffen. Dazu gehören feministische Bibliotheken oder frauengeführte Kneipen. Manche Räume sollen Schutzräume sein, also die Möglichkeit bieten, ohne Anfeindungen, Häme und Konkurrenzgefühl neue Fähigkeiten zu lernen, sich fortzubilden und auszutauschen. Deshalb haben Männer dort keinen Zutritt. Die Räume selbst können fixe Lokalitäten sein, wie etwa der „Uni Frauen Ort“, das „UFO“ in der Wiener Berggasse, das seit mehr als 30 Jahren besteht. Andere Räume existieren als temporäre Aneignung bestehender Orte, etwa im Rahmen von Workshops und Seminaren wie der wissenschaftlichen Schreibwerkstätte für Frauen*, die jedes Semester an der Uni Wien angeboten wird. Auch bei anderen Veranstaltungen wie Konferenzen, Diskussionen und Vorträgen kann gelten: „nur für Frauen“ oder „FLIT* only“. Doch was bedeutet das?

Orte für wen? „Frauen“, „Frauen*“ und „FrauenLesben“ haben als Labels eine lange Tradition. Die Schreibweise mit Sternchen und die Bezeichnung „FrauenLesben“ entwickelten sich aus der Kritik am eindimensionalen Frauenbegriff. Beide Labels zeugen von der Ablehnung der Idee, dass es „die Frau an sich“ gäbe. Es wird außerdem damit betont, dass die so eingeordneten Personen kein verbindendes Element, keine „wirkliche Weiblichkeit“ teilen, es also keine Frauen jenseits gesellschaftlicher Einteilung gibt. Der Begriff FrauenLesben fungiert als Sichtbarmachung von Lesben und ihren spezifischen Belangen. Auch die Idee vom Lesbischsein als mögliche Geschlechtsidentität schwingt in der Bezeichnung mit.

Foto: Sarah Langoth

Wer sich in Hochschulräumen oder dem aktivistischen Milieu bewegt, der_die mag auch schon über den Begriff FLIT (manchmal auch FLIT* geschrieben) gestolpert sein. Eine schnelle Google-Suche nach den vier Buchstaben führt zu einem Insektizid, das in den 20ern gegen Moskitos entwickelt wurde sowie zur „flow control digit“, einem Begriff aus der Routerund Netzwerktechnik. Allerdings soll das Label FLIT* nicht die Paketvermittlung in einem Netzwerk beschreiben oder gar die Umwelt mit DDT vollpumpen, sondern die Diversität der in einem Raum willkommenen Menschen sichtbar machen. Der Begriff FLIT steht für Frauen_Lesben_Inter*_Trans*. „Trans*“ meint alle, die sich nicht oder nicht ausschließlich dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht zugehörig fühlen. Trans*Personen und Wissenschaftler_innen benutzen verschiedene Begriffe wie z.B. Transgender, Transsexuelle, Transidenten, die je nach Person verschieden definiert und abgegrenzt werden. Der Überbegriff Trans* wird dabei nicht von allen Trans*Personen gutgeheißen. Manche nutzen Trans*Frau/Trans*Mann als Selbstbezeichnung, andere verwenden trans* als Adjektiv und manche möchten nur als Frauen oder Männer bezeichnet werden. Der Überbegriff Inter* steht für Menschen, deren Körper nicht in gesellschaftlich aufgestellten Normen von dem, was Männer- bzw. Frauenkörper beinhalten dürfen/müssen, passen. Dies kann aufgrund ihrer Chromosomen, Genitalien, Gonaden, Hormonlevel oder Kombinationen von diesen Faktoren sein. Neben "inter*" werden häuftig auch Begriffe wie intersexuell oder intergeschlechtlich verwendet.

Willkommen? Darüber, wer (nicht) in Schutzräumen willkommen ist, wird diskutiert und gestritten, seit es diese Räume gibt, obgleich es naheliegend scheint, dass Frauen(*)-Räume allen Frauen(*) offenstehen. Immerhin herrscht in feministischen Kreisen weitestgehend Einigkeit darüber, dass Geschlecht ein soziales Konstrukt ist und Frausein nicht über Genitalien oder bestimmte Hormonspiegel definiert wird. Bei der Frage nach Trans*Frauen in Frauen(*)-Räumen berufen sich jedoch einzelne Raumverwalter_innen auf die Anatomie oder bemühen andere – meist ebenso trans*und inter*feindliche – Argumentationen. Die Anwesenheit von Trans*Männern wird und wurde seltener oder weniger intensiv diskutiert, weil sie wegen dem bei der Geburt zugewiesenen weiblichen Geschlecht geduldet werden. Inter*Personen und nichtbinäre Personen, also jene, die sich nicht eindeutig als Mann oder Frau identifizieren hingegen werden meist – wie auch in den LGBT-Szenen – schlicht übersehen. Angesichts der Frage, wer in „ihren“ Räumen und Gruppen willkommen ist, haben sich bereits viele feministische Gruppen und Szenen zerstritten und gespalten.

Alle ausser Männer? Vor dem Hintergrund dieser Debatten und unterschiedlichen Positionen ist es fahrlässig, wenn Gruppen nicht klar dazu Stellung beziehen, wen sie in ihren Frauen(*)und FLIT-Räumen willkommen heißen und wen nicht. Viele Räume sind offen für alle Personen, die keine Cis-Männer sind. Die Vorsilbe „cis“ ist das Gegenstück zu trans* und inter*. Damit sind jene Menschen bezeichnet, bei denen Geschlechtsidentität und bei der Geburt zugewiesenes Geschlecht übereinstimmen. Manche Räume wie beispielsweise das Wiener Frauenzentrum richten sich ausschließlich an Cis-Frauen und Cis-Lesben.

Zudem gibt es Orte, die manche Personengruppen aus dem Trans*und Inter*-Spektrum akzeptieren, andere jedoch nicht. So sind in einigen Räumen neben Cis-FrauenLesben nur als Frauen oder weiblich identifizierte Trans*und Inter*Personen willkommen, Trans*Männer aber nicht. Andere Räume richten ihr Angebot hingegen nur an Trans*und Inter*Personen, die bei der Geburt dem weiblichen Geschlecht zugeordnet wurden. Fragt mensch verschiedene Mitglieder der Organisation, was etwa mit dem Stern hinter Frauen* auf dem Einladungsplakat gemeint ist oder wen FLIT genau einschließt, folgt erfahrungsgemäß in vielen Fällen Schweigen. Das Team hat offenkundig selbst nicht darüber gesprochen, was und wer mit dem schicken Label Frauen(*)/FLIT gemeint ist.

Mitgemeint? Wenn bei einer Veranstaltung nicht angegeben wird, wer genau willkommen ist, ergibt sich für einige Besucher_innen oft eine unsichere Situation. Nämlich für jene, die vom hegemonialen Bild der Cis-FrauenLesben abweichen. Wer nicht als FrauLesbe gelesen wird, sucht Frauen(*)bzw. FLITRäume mit einem Kloß im Hals auf. Eine Trans*Frau kann sich etwa bei einem Event, das zur Einladungspolitik keine Informationen bereitstellt, nicht sicher sein, ob sie „mitgemeint“ ist und wie die Veranstalter_innen zu Trans*Personen stehen. Sie kann nicht abschätzen, ob sie an der Tür aufgehalten und abgewiesen wird. Oder ob ihr während der Veranstaltung vielleicht abschätzige Blicke oder körperliche Übergriffe drohen, wenn sie von Teilnehmer_innen für einen Cis-Mann gehalten wird, der sich unrechtmäßig Zutritt zu einem Frauen-Raum verschafft hat. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass Räume, Gruppen und Events eindeutig offenlegen, wen sie wirklich ansprechen wollen.

Egal ob die Einladungspolitik Menschen jenseits von Cis-Lesben und Cis-Frauen ansprechen soll oder nicht: Wenn nicht gleich offengelegt wird, wer gemeint ist, geschieht das auf dem Rücken der oft mehrfach diskriminierten Nicht-Cis-Personen, die sich in eine ungewisse Position begeben müssen – oder gleich zu Hause bleiben. Selbst wenn sie „mitgemeint“ sind: Die anderen Besucher_innen haben die Einladungspolitik oft nicht gelesen und ihre eigenen Ideen davon im Kopf, wer (nicht) im Raum willkommen ist. Passive Aggressivität und übergriffiges Verhalten („Was machst du denn hier, das ist‘n Frauenraum!“) können auch in inklusiven Räumen die Folge sein, wenn nicht kommuniziert wird, wer dort sein darf.

Foto: Sarah Langoth

Eigene Formulierungen. Eine Möglichkeit, das Problem zu lösen, wäre es, Einladungen zu spezifizieren, statt sich eines vorgefertigten Labels wie FLIT zu bedienen. „Alle außer Cis-Männer“ ist viel eindeutiger als FLIT, weil nicht offen bleibt, ob auch männlich identifizierte Trans*und Inter*Personen gemeint sind, und es transportiert gleichzeitig, dass reflektiert wurde. Dadurch wird für weitere potentielle Teilnehmer_innen transparent, dass nicht nur Cis-Frauen gemeint sind. Auch „offen für alle, die sich weiblich identifizieren“ oder „alle negativ von Sexismus betroffenen Personen“ sind Möglichkeiten, eine spezifische Einschränkung der Teilnehmer_innen vorzunehmen.

Die Einladungspolitik selbstständig zu formulieren ist eine Möglichkeit für die Organisator_innen, sich darüber klar zu werden, wie die Ansprüche an Raum und Veranstaltung zusammenpassen. Ein Workshop zu sexistischer Diskriminierung etwa könnte sich nicht nur auf die Perspektive von cis-heterosexuellen Frauen beziehen, sondern die Erfahrungen von Menschen anderer Identitäten einschließen. Außerhalb des Geschlechts- und Begehrensaspekts gibt es noch andere Ausschlüsse, wenn es etwa immer weiße Personen ohne Behinderungen sind, die den Standard setzen und so die Perspektiven von People of Color und Menschen mit Behinderungen, die in den meisten Räumen in der Unterzahl sind, übergangen werden.

Die Türpolitik. Auch wenn ein Raum für verschiedene Menschengruppen geöffnet ist, fehlt häufig ein reflektierter Umgang mit der Diversität der Teilnehmenden. Vielen Veranstalter_innen ist nicht bewusst, dass es unmöglich ist, vom Aussehen einer Person auf deren Geschlechtsidentität zu schließen. Auf diese Weise erfahren betroffene Nicht-Cis-Personen, dass sie in diesem vermeintlichen Schutzraum nicht mitgedacht, sondern bestenfalls geduldet sind. Diese Art der Diskriminierung führt den Wunsch nach einem Raum für Austausch auf Augenhöhe ad absurdum. Zur Frage, wie das Problem des Doppelstandards umgangen werden kann, hat zum Beispiel Laura* auf ihrem Blog „HeteroSexismus hacken“ Anregungen gesammelt. Der vermutlich praktikabelste Ansatz wäre es, die Einladungspolitik am Eingang gut sichtbar zu machen und beim Einlass alle Menschen unabhängig von deren Äußerlichkeiten auf die Einladungspolitik hinzuweisen. Es gilt auch auszuprobieren, was funktioniert und was nicht – Hauptsache das eigene Verhalten wird reflektiert und Verantwortung dafür übernommen, statt sich hinter Labels zu verstecken.

Non Chérie studiert in Wien Japanologie und Gender Studies und macht so Queerkram.

*Sternchen in diesem Text weisen nicht auf Anmerkungen am Ende hin! Sie sind, wie öfter im progress, ein Zeichen für gendergerechte Sprache, die Menschen jenseits der Mann-Frau-Binarität einschließen möchte.

Kurzschluss: Männerhirne, Frauenhirne

  • 23.10.2014, 01:38

„Männer reden wenig und Frauen können nicht einparken“ – so seien sie eben programmiert. Doch die Suche nach Geschlechterunterschieden im Gehirn ist nicht so einfach wie oft dargestellt.

„Männer reden wenig und Frauen können nicht einparken“ – so seien sie eben programmiert. Doch die Suche nach Geschlechterunterschieden im Gehirn ist nicht so einfach wie oft dargestellt.

Wir begegnen ihnen immer öfter: bunten Bildern von Gehirnen mit Farbverläufen von dunkelblau über rot bis hin zu weiß, die anzeigen, welche Hirnregionen gerade besonders aktiv sind. Wir alle haben schon gehört, dass Frauen und Männer unterschiedlich „verkabelt“ seien, dass ihre Gehirne unterschiedlich funktionieren würden. Frauen zum Beispiel hätten ausgeprägtere Sprachzentren, aber ein schwächer entwickeltes räumliches Vorstellungsvermögen.

Die Kombination dieser beiden Phänomene – Gehirnforschung und Geschlechterstereotypen – wird spätestens seit Cordelia Fines Buch „Die Geschlechterlüge“ als Neurosexismus bezeichnet. Neurosexismus hat viele Facetten – von plumpen Aussagen wie „Männer sind von Natur aus so!“ bis hin zur mehr oder weniger subtilen und oft unbewussten Suche nach Geschlechterunterschieden in den modernen Neurowissenschaften.

Konstruierte Gehirnbilder. Tatsächlich ist die Verbindung von gesellschaftlichen Stereotypen und wissenschaftlicher Forschung nichts Neues. So hat etwa die Wissenschaftshistorikerin Londa Schiebinger gezeigt, dass schon im 18. und 19. Jahrhundert Befunde und Interpretationen zu menschlichen Skeletten und Schädeln häufig an die Überzeugung angepasst wurden, dass „Männer“ intellektuell weiter entwickelt seien als „Frauen“ – und „Weiße“ weiter als „Schwarze“.

Nach wie vor sind Wissenschaft und gesellschaftliche Vorstellungen eng miteinander verbunden. Zum einen liegt das daran, dass wissenschaftliches Wissen einen besonders hohen Stellenwert genießt und zum anderen daran, dass neue Technologien den Eindruck vermitteln, wir könnten direkt ins Gehirn blicken und so „die Wahrheit“ unmittelbar wiedergeben. Etwa im Fall der Magnetresonanztomographie (MRT), bei der mit Hilfe von Magnetfeldern ein Bild des menschlichen Gehirns erstellt wird. Sigrid Schmitz, Biologin und Professorin für Gender Studies an der Universität Wien, erklärt dazu: „Beim Erstellen von Gehirnbildern muss eine ganze Reihe von Entscheidungen darüber getroffen werden, welche Gehirnfunktionen und -strukturen betrachtet werden, welche Vergleichsgruppen gewählt und anhand welcher Merkmale Unterschiede bestimmt werden. Gehirnbilder sind Konstruktionen, und auch gesellschaftliche Vorstellungen spielen eine große Rolle in ihrer Produktion.“

Ein Beispiel dafür ist die Annahme, dass es (für Hirnstudien und allgemein) zwei klar definierte Gruppen gäbe, die in sich homogen seien, zwischen denen es aber große Unterschiede gäbe: Männer und Frauen. So muss bei vielen Gehirnscangeräten zuerst einmal eingestellt werden, ob die Testperson männlich oder weiblich ist, bevor das Gerät überhaupt in Betrieb genommen werden kann. Auf diese und andere Arten beeinflussen gesellschaftliche Vorstellungen die wissenschaftliche Wissensproduktion. Ob nun unsere Gehirne männlich oder weiblich verkabelt sind oder nicht: Die wissenschaftlichen Apparate, die dies untersuchen sollen, sind es auf jeden Fall.

Henne oder Ei? Doch wie sieht es mit den Gehirnen selbst aus? Verschiedene Befunde sprechen dafür, dass „Geschlecht“ im Gehirn ein weit komplexeres Phänomen ist als gemeinhin behauptet. So argumentieren etwa Gina Rippon und andere, dass es zwischen den beiden Gruppen „Männer“ und „Frauen“ oft wesentlich mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede gäbe und umgekehrt innerhalb dieser Gruppen eine signifikante Bandbreite an neurologischen Ausprägungen. Sigrid Schmitz meint, die moderne Hirnforschung sei oft auf „Unterschiedsforschung“ fokussiert und verstärke damit die Annahme der fundamentalen Andersartigkeit von Männern und Frauen.

Außerdem ist normalerweise nicht das ganze Gehirn einfach „männlich“ oder „weiblich“. Vielmehr hat eine Person praktisch immer einige Areale, die eher dem statistischen Mittel für „weibliche“ Gehirne entsprechen, und andere, die statistisch eher „männlich“ sind. Dieses Mosaik verschiedener Aspekte lässt sich nicht einfach auf „männlich“ oder „weiblich“ reduzieren.

Verhaltensweisen und Eigenschaften variieren außerdem in Abhängigkeit vom kulturellen und historischen Kontext, in dem wir leben, und der spezifischen Situation, in der sie abgerufen werden. So haben Experimente zu Empathie gezeigt, dass Männer umso schlechter abschneiden, je klarer ist, dass es um Empathie geht. Allerdings verschwindet dieser (stereotype) Nachteil, wenn gute Ergebnisse mit Geld belohnt werden. Finanzielle Anreize können also Männer dazu bringen, sich aus ihrer kulturellen Position, in der Empathie als typisch weibliche Eigenschaft gesehen wird, herauszubewegen – ganz ohne Gehirntransplantation.

Ein weiteres wichtiges Konzept in der kritischen Reflexion von Hirnforschung ist die Hirnplastizität: Das Gehirn stellt nämlich nicht – wie häufig angenommen – einfach die Basis unseres Verhaltens dar. Unser Verhalten ist zum Teil die Basis unserer Gehirnentwicklung. Menschliche Gehirne sind an keinem Punkt in unserem Leben fix ausgeprägt, sondern werden aufgrund unserer Erfahrungen ständig umstrukturiert: Ohne Plastizität, also Formbarkeit, könnten wir nichts Neues (er)lernen. Wenn also gesellschaftlich davon ausgegangen wird, dass „Männer“ besser in Mathematik sind als „Frauen“, dann hat diese Vorstellung einen Einfluss darauf, was und wie sie Mathematik lernen (können). Und unser Gehirn stellt sich – in seiner physischen Zusammensetzung – darauf ein.

Das bedeutet nicht, dass Buben bewusst dazu erzogen werden, besser in Mathematik zu sein. Trotzdem wird diese Vorstellung zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Der Wissenschaftsphilosoph Ian Hacking beschreibt solche Vorgänge als „looping effects“, also Rückkoppelungseffekte: Gesellschaftliche Vorstellungen beeinflussen den Aufbau unserer Gehirne, auf Basis derer dann neurowissenschaftliche Studien etwa zu dem Ergebnis kommen, dass Männer besser in Mathematik seien – wodurch sich das Stereotyp wieder verstärkt. Die Biologie unserer Gehirne – ihr tatsächlicher Aufbau – ist gesellschaftlich beeinflusst, und der Aufbau unserer Gehirne beeinflusst gesellschaftliche Vorstellungen. Die Frage nach Gehirnen und Normen ist wie die nach der Henne und dem Ei.

Pinke und blaue Rosinen. Auch die Darstellung von Hirnforschung in populären Medien beeinflusst gesellschaftliche Normen. So benützen Bücher wie „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken“ neurowissenschaftliche Ergebnisse oft sehr selektiv, um ein bestimmtes Bild zu erzeugen. Während in den Neurowissenschaften verschiedene – auch kritische – Zugänge, Ergebnisse und Interpretationen zu Geschlechterfragen existieren, erwecken populäre Medien oft den Anschein, es gäbe einen eindeutigen wissenschaftlichen Konsens. Diese Popularisierungen verstärken einen Effekt, der als „publication bias“ bezeichnet wird: Wissenschaftliche Studien werden eher publiziert, finanziert und unterstützt, wenn sie Unterschiede zeigen, als wenn sie Gemeinsamkeiten feststellen. Populärliteratur ignoriert letztere oft noch zusätzlich und pickt die sich gut verkaufenden pinken und blauen Rosinen aus der wissenschaftlichen Literatur heraus.

Das ist besonders problematisch, weil der Hirnforschung eine so große Bedeutung in unserer Gesellschaft zukommt. Zusätzlich zur Autorität wissenschaftlichen Wissens und dem Eindruck, Bilder könnten die „Realität“ menschlicher Gehirne objektiv abbilden, hat sich in den letzten Jahrzehnten auch der Trend entwickelt, den Menschen als „zerebrales Subjekt“ zu begreifen, also als völlig auf seinem/ihrem Gehirn basierend. Laut Sigrid Schmitz wird dieses Menschenbild von der Annahme getragen, dass wir nicht einfach ein Gehirn haben, sondern unser Gehirn sind. Unser Gehirn sei bestimmend für unser Verhalten, unsere Präferenzen, unsere Einstellungen – es sei der Träger unseres Seins. Die zentrale Bedeutung, die dem Gehirn zugeschrieben wird, zeigt sich auch darin, dass immer mehr Disziplinen entstehen, die geistesoder sozialwissenschaftliche Themen mit Gehirn forschung verquicken, von Neuroökonomie über Neuropädagogik bis hin zu Neurotheologie.

Durch die Autorität von Gehirnforschung spielt Neurosexismus eine besonders große Rolle bei der Reproduktion und Legitimation von Stereotypen, Strukturen und Machtverhältnissen. Umso wichtiger ist es, Gehirnforschung als politisch zu begreifen. Denn Politik wird nicht nur in Parteien und Institutionen gemacht, sondern auch durch gesellschaftliche Normen und Modelle. Zum Beispiel zieht die Frage, welche Verhaltensweisen und Präferenzen Frauen bzw. Männern zugeordnet werden, nicht nur Rück koppelungseffekte nach sich, sondern beeinflusst auch die Positionen, die Frauen und Männern in der Gesellschaft (zum Beispiel am Arbeitsmarkt) zugewiesen werden.

Wir sollten jedenfalls aufhorchen, wenn behauptet wird, dass Frauen und Männer „von Natur aus verschieden“ seien. Zum einen sollten Neurowissenschafter*innen kritisch damit umgehen, dass das, was sie untersuchen, auch nicht „einfach da“ ist, sondern erst produziert wird – zum Beispiel durch gesellschaftliche Normen, die Gehirne physisch verändern, oder Einstellungen an MRT-Geräten, die die (Gehirn-)Welt in zwei fundamental unterschiedliche Geschlechter teilen. Zum anderen dürfen sich aber Kritiker*innen auch nicht damit zufriedengeben, neurowissenschaftliche Forschung pauschal zu verurteilen. Stattdessen sollten wir im Kopf behalten, dass gesellschaftliche Normen, mediale Repräsentationen, wissenschaftliche Arbeit und tatsächliche Gehirne miteinander verkabelt sind, um Kurzschlüsse zu vermeiden.

Boka En hat Gender and Sexuality Studies an der University of London studiert und absolviert einen Master in „Science–Technology–Society“ an der Universität Wien.

 

Sich dem Glück in den Weg stellen

  • 10.03.2014, 23:50

Die feministische Theoretikerin Sara Ahmed spricht im Interview über die Dynamiken affektiver Ökonomien, die rassialisierte Figur des_der Fremden und das ermächtigende Potential feministischer killjoys.

Die feministische Theoretikerin Sara Ahmed spricht im Interview über die Dynamiken affektiver Ökonomien, die rassialisierte Figur des_der Fremden und das ermächtigende Potential feministischer killjoys.

Seit Mitte der 1990er-Jahre lässt sich ein steigendes Interesse an den Themen Emotion und Affekt innerhalb der Geistes- und Sozialwissenschaften beobachten. Während Emotionen zuvor primär der Privatsphäre zugeordnet wurden, rückte nun die Wechselwirkung mit sozialen, politischen und ökonomischen Faktoren in den Vordergrund. Aber der sogenannte affective turn übersieht oft ein wichtiges Vermächtnis: die Arbeiten von queeren, feministischen, postkolonialen und Schwarzen Theoretiker_innen und Aktivist_innen. Sara Ahmed schließt diese Lücken und leistet gleichzeitig durch ihre eigenen Forschungen einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung dieses Themenbereichs. Zurzeit unterrichtet sie an der Goldsmith University (UK) und ist dort Direktorin des Centre for Feminist Research.

progress traf Ahmed während ihres Besuchs in Wien, wo sie im Rahmen des Workshops „Emotionen als Regierungstechnik“ und der „Gender Talks“-Reihe einen Vortrag zu „Diversity Work as Emotional Work“ hielt.

progress: Beschäftigt man sich mit Emotionen, zählen Ihre Publikationen zum Standardrepertoire. Was hat Sie an dem Thema gereizt?

Ahmed: Als ich angefangen habe über die Figur des Fremden – „the body out of place“ – nachzudenken, wollte ich auch meine eigenen Erfahrungen verarbeiten. Ich bin als Person of Colour in einer sehr weißen Nachbar_innenschaft in Australien aufgewachsen. Diese Umstände haben mich zu der Frage geführt, wie Emotionen in sozialen Interaktionen wirken und welche Rolle sie für die Konstruktion von einem „Wir“ spielen. Ein „Wir“, das begrenzt wird durch die Vorstellung, dass bestimmte Körper Quellen der Gefahr oder schlechter Gefühle seien. Meine Arbeit beschäftigt sich also mit der Frage, wie Emotionen auf bestimmte Objekte gerichtet werden. In meinen Untersuchungen zu Rassismus hat mich besonders die Beziehung zwischen der Figur des_der Asylwerber_ in und des_der potentiellen Terrorist_in interessiert. Und die Frage, wie diese Figuren „zusammengeklebt“ werden.

Sie verwenden den Begriff „affektive Ökonomien“, um diese Beziehungen und ihre Zirkulation in Gemeinschaften zu beschreiben.

Ja. Das ökonomische Vokabular erleichtert es, diese Bewegungen zu verstehen. Man kann sehen, wie verschiedene Emotionen als Technologien angewendet werden, um Menschen zu regieren. Im australischen Kontext ist das Gefühl der Scham sehr interessant, denn sich gegenüber der indigenen Bevölkerung für die Vergangenheit zu schämen, erzeugt ein neues nationales „Wir“. Diese Emotion wird so „performed“, als sei die Geschichte schon überwunden. Sie verdeckt eine Wunde, die aber bis heute präsent ist.

Eine von Europas Figuren des Fremden ist der Flüchtling. Wie beurteilen Sie die Diskussionen rund um den Tod so vieler Refugees im Mittelmeer, zum Beispiel im Kontext des tragischen Bootsunglücks vor Lampedusa im Oktober 2013?

Ich finde Judith Butlers Arbeiten hier sehr hilfreich. In ihrem Buch „Gefährdetes Leben“ fragt sie danach, was ein Leben „grievable“ – also betrauerbar – macht, welche menschlichen Verluste betrauert werden und welche vom politischen Horizont verschwinden. Das bleibt eine der dringendsten politischen Fragen. Aktivismus spielt hiereine wichtige Rolle, denn er macht diese Verluste sichtbar und stellt gleichzeitig die Art und Weise in Frage, wie der nationale Körper imaginiert wird. Im britischen Kontext steht das Thema Anti-Immigration momentan in engem Zusammenhang mit David Camerons „muscular liberalism“. Dieser Begriff geht von der Notwendigkeit körperlicher Stärke aus, um sich der Bedrohung durch die „Anderen“ entgegenstellen zu können. Und das hängt eindeutig mit der vermehrten Praxis der Inhaftierung von Flüchtlingen und der Ablehnung von Trauer zusammen.

Manche Wissenschaftler_innen und Aktivist_innen argumentieren, es habe in Bezug auf Themen wie Armut und Flucht eine Verschiebung von einem Menschenrechtsdiskurs hin zu einem emotionaleren Diskurs gegeben, der von Konzepten der Wohltätigkeit und des Humanitarismus geprägt ist. Würden Sie dem zustimmen?

Es lässt sich sicher argumentieren, dass es eine solche Verschiebung gibt. Wir brauchen dringend postkoloniale Kritiken von Wohltätigkeit und Humanitarismus. Die Idee der Wohltätigkeit ist sehr komplex. Sie kann bestehende soziale und ökonomische Beziehungen reproduzieren, weil der Akt des Gebens auf Großzügigkeit beruht. Das verschleiert oft die Geschichte des Diebstahls, der es manchen Personen überhaupt erst ermöglicht zu geben. Aber es gibt auch sehr viele Probleme in Bezug auf den Menschenrechtsdiskurs. Man müsste sich die Geschichte der Gewalt anschauen, die seine spezifischen Konzepte der Freiheit und des Individuums geschaffen hat. Das müssen wir im Rahmen einer Kritik des globalen Kapitalismus denken. Wenn wir also eine Verschiebung zu einem humanitären oder wohltätigen Modell identifizieren, sollten wir den Menschenrechtsdiskurs nicht nostalgisch glorifizieren.

Seit August 2013 betreiben Sie den Blog „Feminist Killjoys – Killing joy as a world making project“. Wie lässt sich dieser Titel verstehen?

Als ich anfing mein Buch über Glück zu schreiben, fiel mir auf, dass Glück immer als etwas Gutes imaginiert wird. Wenn man aber auf die Geschich te des Feminismus zurückblickt, zum Beispiel auf die Arbeiten von Simone de Beauvoir, Shulamith Firestone oder Audre Lorde, findet sich oft eine sehr starke Kritik an dieser Idee. Das habe ich als die „unglücklichen Archive des Feminismus“ bezeichnet. Die Figur des feminist killjoy sehe ich als Teil davon. Ich trage sie schon mein Leben lang mit mir herum. Ich bin häufig mit meiner Familie um den Esstisch gesessen und war dabei immer diejenige, die auf problematische Aussagen hingewiesen hat und dadurch selbst zum Problem wurde. Das war sehr anstrengend. Aber ich habe verstanden, dass es in solchen Situationen darum geht, dass sich jemand scheinbar dem Glück in den Weg stellt, in diesem Fall in Bezug auf die Familie, die sich als glücklich imaginiert. Und diese Zuschreibung der Rolle als killjoy ist eine klare Zurückweisung. Es ist also meist eine recht schmerzvolle Erfahrung. Aber viele Personen haben sich zu dieser Figur hingezogen gefühlt. Alle schienen eine killjoy-Geschichte zu haben. Das hat mir gezeigt, wie eine Figur, in der sich so viel Verletzung verdichtet, auch ein Ort des Potentials sein kann.

Sie sprechen von einer allgemeinen Hinwendung zum Glück auf gesellschaftlicher Ebene – Therapien und der Selbsthilfediskurs sind im Aufstieg begriffen, die Feel-good-Industrie wächst und wächst. Nichtsdestotrotz treten Sie für das Recht ein, unglücklich zu sein. Was meinen Sie mit dieser provokanten Forderung?
Ich folge hier einer langen feministischen Tradition. Meine Lieblingskritik am Glück sind Audre Lordes autobiografische „Cancer Journals“, das ist ein sehr starkes Buch. Lorde kritisiert die Betonung des positiven Denkens, quasi die Pflicht des_der Kranken, auf die heitere Seite zu schauen. Sie sieht das als Technik, die Ungleichheiten verdeckt, weil die Menschen für ihre Lebensumstände selbst verantwortlich gemacht werden. Das ist ein sehr moralisierender Diskurs, der bestimmte soziale Normen als Voraussetzung für ein gutes Leben definiert. Ein Sprechakt, der mich immer sehr interessiert hat, war der Ausspruch: „Ich will ja nur, dass du glücklich bist.“ Früher hörte ich das oft, meist wenn ich etwas gemacht hatte, was meinen Eltern nicht gefallen hat. Diese Idee, dass man den Weg verlässt, der einen zum Glück führen würde, findet sich überall in der queeren Literatur. Die Figur der unglücklichen queeren Person wurde daher sehr wichtig für mich. Wenn ich also von der Freiheit zum Unglücklichsein spreche, meine ich die Freiheit, nicht den vorgeschrieben Weg zu gehen.

Allen Warnungen zum Trotz haben Sie den queerfeministischen Weg gewählt. Von einer emotionalen Perspektive aus betrachtet, welche Gefühle haben Sie zum Feminismus bewogen?

Was mich bewegt hat, war sicher ein Gefühl der Ungerechtigkeit und der Wut, aber eine Wut, die auch eine Richtung hatte – denn wenn Wut keine Richtung hat, wird sie oft zu Frustration und das kann sehr entmächtigend sein. Auch das habe ich vor allem aus Audre Lordes Arbeiten gelernt; sie ist meine größte Inspiration. Aber es gab auch ein Wundern, eine Neugier sowie die Hoffnung, dass es Alternativen gibt. Einen großen Teil meiner positiven feministischen Energie habe ich von der pakistanischen Seite meiner Familie. Meine Tanten, die während der Teilung Indiens aufwuchsen, haben mein Verständnis von Feminismus als Selbstbestimmung sehr geprägt. Damit verbinde ich sehr viele positive Gefühle.

Nächstes Jahr erscheinen einige Monographien von Ihnen. Welche Themen beschäftigen Sie in letzter Zeit?

Jedes Buch ist eine Art Sprungbrett zum nächsten. „Willful Subjects“, das gerade in Druck ist, ist aus „The Promise of Happiness“ entstanden. Mich hat hier die Frage beschäftigt, wie Weiblichkeit mit dem Aufgeben von Willen verbunden wird. Mich interessiert daran auch die Vorstellung von Eigensinn als Problem, als Ursache dafür unglücklich zu sein. Außerdem arbeite ich an einem weiteren Projekt über die Geschichte des Konzepts des Nutzens. Was bedeutet es, wenn Nutzen eine Anforderung wird, zum Beispiel im Kontext von citizenship? Vor allem in der britischen Geschichte von citizenship gibt es einen sehr starken Diskurs über Arbeitsfähigkeit. Bürger_innen sollen eine angemessene Beschäftigung haben. Mein drittes Projekt – „Living a feminist life“ – wird auf ein größeres Publikum ausgerichtet sein. Ich möchte dafür einige Texte zu Sexismus, lesbischem Feminismus, killjoys und Eigensinn überarbeiten und in diesem Buch primär auf Alltagssituationen und Erfahrungen aufbauen. Obwohl ich die Philosophie liebe, erkenne ich an, dass sich nicht alle in ihr zuhause fühlen. Es sind also einige Projekte im Entstehen, das Schreiben belebt mich – es gibt mir Kraft gegen die Reproduktion von Machtstrukturen anzukämpfen.

Veronika Siegl hat in Wien Kultur- und Sozialanthropologie sowie Internationale Entwicklung studiert und ist Redakteurin von „PARADIGMATA. Zeitschrift fürMenschen und Diskurse“.

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