Gedenken

An einer KZ-Gedenkstätte arbeiten

  • 28.01.2014, 17:18

Wer sind die Menschen, die im Vermittler_innen-Pool an der KZ-Gedenkstätte Mauthausen arbeiten? Warum tun sie sich das an und wie gehen sie damit um? Fünf Guides haben über ihren Bezug zu Arbeit, Ort und Motivation gesprochen und darüber welchen Platz sie dort besonders interessant finden.

Wer sind die Menschen, die im Vermittler_innen-Pool an der KZ-Gedenkstätte Mauthausen arbeiten? Warum tun sie sich das an und wie gehen sie damit um? Fünf Guides haben über ihren Bezug zu Arbeit, Ort und Motivation gesprochen und darüber welchen Platz sie dort besonders interessant finden.

Die Portrait-Strecke ist der zweite Teil zum progress online Bericht Wo sich Vergangenheit und Gegenwart treffen - Mauthausen

„Wenn man hier lange arbeitet und sich jedes Mal schrecklich fühlt, dann ist das nicht gesund.“ -Stefan

Stefan studiert Jura in Linz und arbeitet nebenbei als Vermittler an der Gedenkstätte. Eigentlich wollte er schon 2011/12 als Zivildiener Rundgänge durchführen, was jedoch zu dieser Zeit nicht möglich war. Deshalb besuchte er den letzten Ausbildungsturnus und ist somit seit Anfang diesen Jahres Teil des Vermittler_innen-Teams. Der Gedenkstätte Mauthausen wendete er sich zu, da seine Großeltern in der Nähe wohnen, der Ort ihm also nicht fremd war und er stark an Geschichte interessiert ist. Deswegen macht er auch bald ein Auslandssemester in Krakau, wo er sich gern in die Materie vertiefen möchte und gespannt auf die Gedenkdiener_innen in den dort umliegenden Gedenkstätten ist.

Die meisten Leute aus seinem Umfeld finden seine Arbeit im Memorial toll, meint er, zieren sich aber, selbst zu kommen. So sieht er sich manchmal nicht nur als Vermittler vor Ort, sondern auch als Vermittlungsstelle nach außen, denn „viele Leute wollen her, brauchen aber eine private Einladung.“

Die Arbeit mit den Besucher_innen-Gruppen findet er spannend, obwohl er sich nach mehreren Schüler_innen-Gruppen auch mal auf älteres Publikum freut. „Jeder Rundgang ist unterschiedlich, manchmal ist es schwieriger sich auf die Menschen einzustellen, manchmal einfacher“, sagt er. Probleme mit Desinteresse habe er aber noch nie gehabt.

Sehr interessant findet er das spanische Denkmal am Denkmalhain. Dessen Hintergrund ist ein Beispiel dafür, wie kompliziert die Geschichte der NS- und Nachkriegszeit eigentlich ist. Nach der Ankunft der US-Armee im Lager der so genannten Befreiung, war es vielen Häftlingen nicht möglich nach Hause zurück zu kehren, so auch den Spanier_innen, welche fast 30 Jahre darauf warten mussten und sich danach vereinzelt auch in der Umgebung angesiedelt hatten. Fast alle Denkmäler in diesem Bereich der Gedenkstätte wurden von Staaten finanziert. Nicht so das spanische, was – wenn man an den dortigen Bürgerkrieg und Diktator Franco denkt – auch logisch erscheint. Deshalb hängt auch bei den Befreiungsfeiern im Mai am Denkmal nicht nur die aktuelle spanische Nationalflagge sondern auch die republikanische.

An einem solchen Ort Geschichte zu vermitteln, ist Stefan sehr wichtig. Und obwohl hier so viel Grausames passiert ist, verbindet er mit dem Ort mehr Positives als Negatives. Man trifft hier seine Kolleg_innen und interessante Gruppen und denkt nicht immer an den ganzen Schrecken, denn „wenn man hier lange arbeitet und sich jedes Mal schrecklich fühlt, dann ist das nicht gesund.“

 

Dass sich ein KZ inmitten einer offenen und wunderschönen Landschaft befand, damit rechnen die wenigsten. - Reinhard

Reinhard macht seit seinem Abschluss der dritten Vermittlungsausbildung Rundgänge an der Gedenkstätte. Im Jahr 2010 war er bereits als Zivildiener dort tätig und hatte sich anschließend unter anderem aufgrund seines großen Interesses an Zeitgeschichte für die Vermittlungstätigkeit entschieden.

Jeder Rundgang und jede Gruppe sei unterschiedlich, er findet aber alle Altersklassen interessant: „Zu Jüngeren habe ich vielleicht einen guten Zugang, weil ich selbst noch nicht so alt bin und ihnen einfacher auf gleicher Stufe begegnen kann. Aber generell hat auch jedes Alter des Vermittlers oder der Vermittlerin seine Vorteile.“

Er ist nicht ganz so oft hier, aber macht die Arbeit sehr gerne. Die Vermittlung von Geschichte ist ihm wichtig und bietet ihm außerdem eine Abwechslung zum Studium an der FH Steyr. Wegen seinem Studium würde er auch nicht hauptberuflich am Memorial arbeiten wollen.

Ein interessanter Aspekt an der Gedenkstätte ist für ihn der schöne Ausblick. Die beeindruckende Landschaft passe einfach nicht zu den Dingen, die damals hier geschehen sind. Genau das thematisiert er auch in seinen Rundgängen, was bei vielen Besucher_innen zu einem AHA-Effekt führt. Jede_r hat schon etwas darüber gehört und jede_r hat sich vor der Ankunft schon seine/ihre Meinung darüber gebildet. Dass sich dann ein KZ inmitten einer offenen und wunderschönen Landschaft befindet, sichtbar auf einem Hügel und nicht versteckt im Wald, damit rechnen die wenigsten. Dieser Kontrast eignet sich laut ihm besonders gut, mit den Besucher_innen über die damalige Zivilgesellschaft in der Umgebung und deren Mitwissen zu sprechen.

Das macht auch diesen Ort für ihn zu einem Ort der Aufklärung: „Ich sehe viel Aufklärungsbedarf und man muss Missverständnisse aus dem Weg räumen.“

 

„Es wird einem hier so viel Herzlichkeit und Dankbarkeit entgegen gebracht.“ - Silvia

Silvia ist seit 2 Jahren hauptberuflich an der Gedenkstätte tätig. Sie arbeitet im Bookshop, im Museum und wo sonst jemand gebraucht wird. Um sich noch mehr mit der Materie beschäftigen zu können, entschied sie sich zusätzlich an der letzten Vermittler_innen-Ausbildung teilzunehmen. Nun macht sie seit ca. einem Jahr Rundgänge an der Gedenkstätte - zwar nicht so oft, da diese außerhalb der hauptberuflichen Arbeitszeit stattfinden, was stressig ist, aber sie meldet sich, wann immer sie Zeit hat. Sie widmet sich dieser Arbeit sehr gern.

Die „Information“ bzw. der Bookshop, wie er genannt wird, ist für Silvia zentral. Hier hält sie sich die meiste Zeit auf und ist dort vor und nach den Rundgängen die erste und letzte Ansprechperson für ihre Kolleg_innen aus der Vermittlung und für viele Besucher_innen. Letztere kaufen dort die Tickets und/oder Literatur zum Thema, melden sich für Rundgänge an, leihen sich Audioguides, lassen sich von ihr den Weg erklären und erzählen auch hin und wieder über ihre Beweggründe die Gedenkstätte aufzusuchen. Häufig wird Silvia auch von Überlebenden bzw. deren Angehörigen angesprochen. Für die Gespräche mit ihnen nimmt sie sich gerne Zeit. „Sie berühren mich sehr“, sagt sie und fügt hinzu: „Es wird einem dort so viel Herzlichkeit entgegen gebracht. Einmal ist mir eine US-amerikanische Besucherin nach unserer Unterhaltung fast um den Hals gefallen.“ 

Als Vermittlerin und Festangestellte genießt Silvia den Kontakt und die Kommunikation in den unterschiedlichsten Sprachen mit den vielen verschiedenen Menschen, denen sie dadurch begegnet. Sie mag ihre Aufgaben an diesem Ort und empfindet die Auseinandersetzung mit ihm als sehr wichtig. Bevor sie nach Dienstschluss nach Steyr heimfährt, schließt sie mit dem Ort ab. „Man muss das tun, wie in anderen Tätigkeiten auch.“

 

„Wenn ich mir vornehme was zu ändern, dann ist das ein guter Ort, um das zu versuchen.“ - Casimir

Casimir ist schon vor längerer Zeit als Fremdenführer auf das „Vermitteln“ in Gedenkstätten gestoßen. Sein Großvater war in einem Konzentrationslager inhaftiert, was sein Interesse an der Tätigkeit geweckt hat. So begleitet er seit nun dreizehn Jahren Besucher_innen an der Gedenkstätte Mauthausen, gelegentlich auch am Lern-und Gedenkort Schloss Hartheim und im ehemaligen Mauthausen-Außenlager Ebensee. Teil des Vermittler_innen-Teams in Mauthausen ist Casimir seit der ersten Ausbildung, jedoch bietet er seine Dienste auch außerhalb dessen an, auf Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch. Er beginnt seinen Rundgang vor den massiven Mauern des ehemaligen Schutzhaftlagers. Dieser Bereich ist für ihn besonders interessant, denn hier werden die Besucher_innen zum ersten Mal mit ihren Vorstellungen und teilweise Hirngespinsten konfrontiert. Die Menschen bringen viele skurrile Ideen mit an diesen Gedächtnisort und genau dann, wenn sie das erste Mal vor den hohen Mauern stehen, sprudeln diese meist in Form von Fragen aus ihnen heraus: Wo denn die ganzen Juden umgebracht wurden oder ob das Geräusch (Bohren der Renovierungsarbeiten) eine Soundinstallation sei, die das Leiden nachahmen soll.

Als Guide am Memorial Mauthausen zu arbeiten bedeutet für Casimir nicht nur eine Einkommensquelle, sondern auch eine Möglichkeit sich darin auszuprobieren, die Welt zu retten. Die Gedenkstätte als Ort empfindet er als sehr vielfältig, was auch mit der eigenen Empfindlichkeit zusammenhänge. Deshalb ist es für Casimir sehr wichtig darauf zu achten, den Ort da zu lassen, wo er ist, auf dem Hügel. Ihn von dort mit nach Hause zu nehmen, tue nicht gut.

Dieser Gedächtnisort hat für ihn viele verschiedene Facetten, er sei ein Ort des Leidens und Vernichtens, ein Ort der Überlebenden, aber auch ein Ort der Hoffnung. Auch wenn Letzteres für viele Außenstehende skurril klinge, für Casimir ist die Gedenkstätte Mauthausen ein Platz, an dem man etwas leisten kann, damit gewisse Dinge nicht wieder passieren. Auch wenn man dann doch zuhause Nachwirkungen einer anderen Facette spürt. „Das Dort-Lassen funktioniert eben nicht immer.“

 

„Die Menschen sollen zum Nachdenken anfangen, nicht nur über die Vergangenheit, am besten über sich selbst“ - Barbara

Barbara studiert Kultur- und Sozialanthropologie und ist durch einen Kommilitonen auf die Vermittlungsarbeit an der Gedenkstätte Mauthausen aufmerksam geworden. Nun macht sie seit drei Jahren als Teil des Vermittler_innen-Pools vor Ort Rundgänge, wird aber bald auch eine Fixanstellung im Museum annehmen, um sich noch intensiver am Memorial einbringen zu können. Durch ihren Großvater, der aufgrund seines Engagements im Widerstand nahezu die gesamte NS-Zeit im Zuchthaus verbringen musste, besteht für sie ein starker Zusammenhang zwischen Arbeit und Familiengeschichte.

Die Vermittlungsarbeit bietet ihr die Möglichkeit, sich mit anderen Menschen über ein so schwieriges Thema auszutauschen und diese zum Nachdenken anzuregen. Jene Interaktion sei ein Geben und Nehmen, man bekomme von der jeweiligen Gruppe meist auch immer viel zurück. Auch die Kolleg_innen sind ihr wichtig, um es an diesem schwierigen Ort auszuhalten.

Um die nötige Distanz zu dem schwierigen Platz gewinnen zu können, hilft ihr nicht nur die geographische Entfernung zwischen Mauthausen und ihrem Zuhause in Wien-Umgebung, auch die lange Autofahrt dahin nutzt sie, um sich etwaiger Nachwirkungen zu entledigen.

Der „Raum der Namen“ ist für sie ein besonderer Bereich, denn hier werden seit der Umgestaltung der Gedenkstätte die im Lagersystem getöteten Menschen mit ihrem Namen, in der jeweiligen Schrift (Kyrillisch, Griechisch, etc.) auf beleuchteten Glasplatten angeführt. „Er zeigt auf, wie divers wir Menschen sind“, sagt sie. „Wir haben verschiedene Sprachen und Schriften, wir sehen unterschiedlich aus usw... Aber was uns verbindet ist, dass wir alle Menschen sind. Wir sollten Respekt füreinander haben."

Der in unserer Gesellschaft oft fehlende Respekt für das Leben, habe den Nationalsozialismus erst möglich gemacht. Barbara möchte die Menschen zum Nachdenken anregen, nicht nur über die Vergangenheit, sondern am besten auch über sich selbst.

 

 

Wo sich Vergangenheit und Gegenwart treffen - Mauthausen

  • 27.01.2014, 12:10

Am 27.1. ist Holocaust-Gedenktag – ein Anlass, sich mit der Gedenkkultur in Österreich zu beschäftigen. Das Memorial Mauthausen sticht da besonders hervor. Nina Aichberger ist Guide in der Gedenkstätte und berichtet für progress online von der KZ-Gedenkstätte und seinen Mitarbeiter_innen.

Am 27.1. ist Holocaust-Gedenktag – ein Anlass, sich mit der Gedenkkultur in Österreich zu beschäftigen. Das Memorial Mauthausen sticht da besonders hervor. Nina Aichberger ist Guide in der Gedenkstätte und berichtet für progress online von der KZ-Gedenkstätte und ihren Mitarbeiter_innen.

Mauthausen ist fast jedem/jeder ein Begriff. Eine Exkursion mit der Schule zur KZ-Gedenkstätte ist keine Seltenheit. So strömen jährlich knapp 200.000 Schüler_innen, aber auch Studierende und Einzelbesucher_innen auf den Hügel, auf welchem sich das ehemalige Konzentrationslager befindet. Orte, wie die Gaskammer und die so genannte Todesstiege bleiben den meisten in Erinnerung. Ein Ort, an dem man sich besonders gerne aufhält, ist das Konzentrationslager auf Grund seiner Geschichte nicht. Es gibt jedoch Leute, die häufig, manche davon sogar jeden Tag, viel Zeit zwischen den Mauern und Gedenktafeln verbringen. Und zwar diejenigen, die dort arbeiten. Mauthausen ist kein verfallener, dunkler und verstaubter oder gar versteckter Ort, sondern eine gut besuchte und teilweise belebte Einrichtung, welche manchmal auch einer Umgestaltung oder Renovierung bedarf.

 

Überblick über den Denkmalhain aus der Richtung des Schutzhaftlagers mit Blick auf den Steinbruch. Foto: Nina Aichberger

Vom Konzentrationslager zur Gedenkstätte

1938 ließen die Nationalsozialisten nahe der Stadt Mauthausen auf einem Hügel das gleichnamige Konzentrationslager errichten. Für die bis Österreich weit verteilten 49 Außenlager fungierte es zu der Zeit als Mutterlager. Andere bekannte Standorte waren beispielsweise Gusen, Linz, Ebensee, Melk, Steyr, Wien und viele mehr. Am 8. Mai 1945 wurde das Lager von der US-Armee „befreit“ bzw. als Lager aufgelöst,, die Häftlinge wurden versorgt. Deshalb finden rund um dieses Datum die Befreiungsfeiern im Konzentrationslager statt. Ca. 200.000 Menschen wurden aufgrund ihrer politischen Gesinnung, ihres Glaubens, ihrer Herkunft oder sexuellen Ausrichtung in dieses Lagersystem verschleppt und rund die Hälfte ging an den Lebens- und Arbeitsbedingungen zugrunde oder wurde durch gezielte Exekutionen ermordet.

Von der US-Armee den sowjetischen Besatzern übergeben, erhielt Österreich im Jahre 1947 die Aufgabe aus dem ehemaligen KZ eine Gedenkstätte zu schaffen, was 1949 auch geschah. Heute ist das Memorial im Gegensatz zu vielen deutschen Gedenkstätten, welche in Stiftungen integriert sind, dem Bundesministerium für Inneres unterstellt, was immer wieder für Diskussionsstoff sorgt.

Auf dem österreichischen Denkmal am Appellplatz legen Besucher_innen Steine ab, um ihre Anteilnahme auszudrücken. Foto: Nina Aichberger

Pädagogische Neuerungen und Angebot

Seit 2007 gibt es eine pädagogische Abteilung, welche für die pädagogischen Angebote, die Ausbildung des Vermittler_innen-Teams und die Rahmenbedingungen eines Gedenkstättenbesuchs zuständig ist. Seitdem wurden drei Vermittlungsausbildungen durchgeführt und ein pädagogisches Konzept erstellt, ganz nach der zentralen Frage „Was hat das mit mir zu tun?“.

Das Team der Vermittler_innen aus dem Pool des Memorial, welche Besucher_innen an der Gedenkstätte begleiten, ist bunt gemischt. Von Studierenden über Pensionist_innen, bis hin zu Menschen, die  sich in ihrer Freizeit dem Thema widmen, ist alles dabei. Auch das pädagogische Angebot ist unterschiedlich. Die klassischen Rundgänge dauern zwei Stunden, Rundgänge mit einem Vor- und einem Nachgespräch bis zu dreieinhalb, ein Impulsrundgang im Sommer nur eine Stunde.

In der Gestaltung ihrer Arbeit sind die Mitglieder jedes Vermittler_innen-Pools sehr frei, werden aber auch nach ihrer Ausbildung von der pädagogischen Abteilung unterstützt. Es wird viel mit Fotos und Illustrationen, mit Plänen und Zitaten von Überlebenden gearbeitet, das ist besonders im Außenbereich sehr wichtig, denn dort sind fast keine Bauten mehr erhalten. So erkennt man die Vermittler_innen meist an einer dicken Fächermappe, in der sie ihre oft selbst laminierten Materialien mit sich herumtragen.

Im Zentrum der Begleitungen steht die Interaktion. Die Besucher_innen sollen sich durch Diskussionen mit den drei Perspektiven Opfer, Täter_innen und Umfeld beschäftigen. Von Frontalvorträgen und Gruselgeschichten hält man in der Gedenkstätte nichts. Häufig beginnt der Rundgang vor dem im Zuge der Neugestaltung errichteten Besucherzentrum, in welchem sich die Räumlichkeiten der Pädagogik und Verwaltung, sowie ein Bookshop, ein Café, Seminarräume usw. befinden. In der Regel führt die Tour dann um das festungsartige, so genannte „Schutzhaftlager“ herum und durch den Denkmalhain. In diesem ehemaligen SS-Bereich stehen nun Denkmäler vieler betroffener Nationen und Gruppen. Vom monströsen Monument der Sowjetunion, bis hin zur kleinen Marmorsäule Griechenlands, jedes Denkmal ist für sich einzigartig und interessant. Manche, wie das der BRD wird an den Befreiungsfeiern gern von Kindern als Lauframpe genutzt, das der Roma und Sinti als Aussichtsplattform in den Steinbruch.

Teil des Bulgarischen Denkmals am Denkmalhain. Foto: Nina Aichberger

Neugestaltung und Ausstellung

Im ehemaligen „Krankenrevier“ im Inneren der Festung, wurden letztes Jahr endlich zwei neue Ausstellungen eröffnet. Im Obergeschoß befindet sich unter anderem eine Ausstellung, welche sich mit der Geschichte des Konzentrationslagers beschäftigt, im Keller wird auf den Tatort Mauthausen eingegangen. Er soll die Besucher_innen auf die sich im Keller befindenden Exekutionsstätten vorbereiten. Durch die schlängelt sich ein beleuchteter Pfad, der auch Informationen zum jeweiligen Raum bereithält und seit neuem das Betreten zur Gaskammer als Pietätsraum verwehrt. Dieses noch nicht ganz optimierte Einbahnsystem führt auch durch den „Raum der Namen“, ein zusätzlicher neuer kollektiver Gedenkraum: In dem damaligen Leichenlagerraum wurden Glasplatten montiert, welche ein bisschen an ein Labyrinth erinnern. Auf diesen sind 81.000 Namen der im Lagersystem Verstorbenen angebracht. Da der Boden eine leichte Neigung hat, wirkt es beim Hineingehen, als würde man in dem Meer aus Namen versinken.

Aussicht auf den Garagenhof der SS. Rechts im Hintergrund ist das Besucherzentrum, links ist das Schutzhaftlager. Foto: Nina Aichberger

Ein Ort der Gegenwart

Sichtbar auf einem Hügel, umgeben von einem umwerfenden Ausblick erhebt sich die graue Festung der KZ-Gedenkstätte Mauthausen. Man begegnet nicht nur knarrenden Türen und sausendem Wind, sondern auch dem Brummen eines Rasenmähers oder dem Zwitschern der Schwalben, welche unter den Dächern der Baracken nisten. Zwar gibt es Tage,  besonders die, an denen es früher dunkel wird, an denen möchte man sich nicht gerne zur Sperrstunde im Inneren der massiven Mauern aufhalten, aber generell ist der Ort ein sehr belebter. So trifft man nicht nur weinende und traurige Gesichter, sondern auch lachende Schüler_innen und beispielsweise eine Gruppe jüdischer Frauen, welche an einem Gedenkstein ein fröhliches Lied singt oder einen Spaziergänger mit Hund im Außenbereich. Es ist ein Ort, an dem schreckliche Dinge passiert sind, Dinge, die sich niemand von uns vorstellen kann. Genau dieses Unvorstellbare lässt uns erschaudern und zusammenzucken. Den Ort selbst kreiert sich aber jede_r von uns selbst und oft ist es nicht nur der gespenstische Platz des Massensterbens, sondern auch ein Ort der Überlebenden, ein sich wandelnder Ort der Gegenwart, an dem man die Möglichkeit hat etwas aus der Geschichte und über sich selbst zu lernen.

Eine Blume auf einem Teil des Denkmals der DDR. Im Hintergrund sieht man auf den Steinbruch. Das Denkmal befindet sich direkt an der Steinbruchkante. Foto: Nina Aichberger

 

„Wenn ich mir vornehme was zu ändern, dann ist das ein guter Ort um das zu versuchen.“ - progress online Portraitstrecke An einer KZ-Gedenkstätte arbeiten

 

 

Gedenken und Gegenwart

  • 12.11.2013, 13:23

Jedes Jahr findet am 9.November, dem Tag des Gedenkens an das Novemberpogrom, eine Gedenkkundgebung für die Opfer des Nationalsozialismus am ehemaligen Wiener Aspangbahnhof statt. Heuer haben um die 200 Menschen teilgenommen, um der Vergangenheit zu gedenken und die Gegenwart kritisch zu hinterfragen. Margot Landl hat für progress online an der Kundgebung teilgenommen.

Jedes Jahr findet am 9.November, dem Tag des Gedenkens an das Novemberpogrom, eine Gedenkkundgebung für die Opfer des Nationalsozialismus am ehemaligen Wiener Aspangbahnhof statt. Von diesem Ort haben die NationalsozialistInnen während der Jahre 1939 bis 1942 über 10.000 Menschen in Vernichtungslager deportiert.  Heuer haben um die 200 Menschen teilgenommen, um der Vergangenheit zu gedenken und die Gegenwart kritisch zu hinterfragen. Margot Landl hat für progress online an der Kundgebung teilgenommen.

 

„Weit, weit in Polen, am Ufer des Dnester, ist der Krieg entbrannt, bei Nacht und Nebel bin ich mit mein Esther und mit mein‘ Weib davon gerannt.

Wochen und Wochen durch Steine und Feld, Tage und Nächte in der einzigen Kält‘. Das konnten die zwei nicht ertragen, jetzt bin ich allein auf der Welt.“ ---

 

Nach dieser Strophe ist das Lied zu Ende, die Ziehharmonika gibt unter dem letzten Druck noch ein paar knarrende Töne von sich, dann ist es still. Sekunden später erklingt Applaus für jenen älteren Herrn, der sich mit einem leichten Nicken und einem zarten Lächeln für den Beifall bedankt, bevor er das Instrument abstellt. Auf einer Bierbank vor der Bühne sitzt ein altes Ehepaar andächtig nebeneinander. Die Frau hält immer noch den Blick gesenkt, auf ihren Lippen liegt ein zaghaftes Lächeln. Als der Veranstaltungsleiter vom Wiener Arbeiter*innen Syndikat sich bei dem Musiker Isaac Loberan bedankt, dass er auch ohne seinen kurzfristig verhinderten Partner vom Klezmer Ensemble „Scholem Aljechem“ aufgetreten ist, antwortet dieser schlicht: „Es war mir wichtig“.

 

Am Platz der Opfer der Deportation

Wichtig ist die Veranstaltung wohl für alle Menschen, die sich am Abend des 9. November 2013 zur Gedenkfeier anlässlich der Novemberpogrome vor 75 Jahren bei dem Gedenkstein am ehemaligen Wiener Aspangbahnhof eingefunden haben. Seit 1994 heißt dieser Ort „Platz der Opfer der Deportation“. Der kleine Park ist nach dem jüdischen Publizisten Leon Zelman benannt. Etwa in der Mitte der Grünanlage sind heute, anlässlich der Gedenkfeier, drei weiße Planen befestigt, auf denen in neun Spalten alphabetisch Namen aufgelistet sind. Es sind um die 800 Namen jener Menschen, die  am 5. Juni 1942 deportiert wurden. Darüber steht in roter Schrift geschrieben: „In den Jahren 1939 – 1942 wurden vom ehemaligen Aspangbahnhof zehntausende österreichische Juden in Vernichtungslager transportiert und kehrten nicht mehr zurück.“ Die etwa 800 Namen auf den Transparenten benennen ausschließlich die Deportierten des Transports vom 5. Juni 1942 nach Izbica.

 

Foto: Christopher Glanzl

 

„Ich bin von der Deserteurs- und Flüchtlingsberatung“ erklärt ein junger blonder Mann in einer grünen Regenjacke, während er die Transparente betrachtet. „Wir betreuen Asylwerber und sind heute Mitveranstalter der Gedenkfeier, denn jeder von uns trägt eine Verantwortung – damals wie heute. Und das Problem der Diskriminierung ist immer noch aktuell.“

 

„Wir wussten von nichts“ – Wir wissen von nichts?

Der aktuelle Aspekt ist in der Kundgebung präsent. Sowohl im Bewusstsein der Anwesenden, wie auch in den Reden der verschiedenen RepräsentantInnen. Wilhelm Mernyi, der Vorsitzende des Mauthausen-Komitees Österreich, zitiert aus den Aussagen von SS-Männern, die diese während ihrer Gerichtsprozesse nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Deutschlands tätigten. Es sind Aussagen wie: „Ich wusste nicht, was dieses Zeichen auf der Fahne bedeutete. Ich war ständig betrunken und hab von alldem nichts mitbekommen. Meine rechte Hand hob ich nur gegen die Sonne“. Ein paar Leute kichern über die Dummheit dieser Ausreden, „Unfassbar!“, murmeln einige. Die meisten wissen offensichtlich nicht, ob sie angesichts dieser unverschämten Aussagen lachen oder weinen sollen. „Die verarschen uns sogar noch vor Gericht!“, wettert Mernyi. Er spannt den Bogen bis ins 21.Jahrhundert, konkret bis zum aktuellen „Objekt 21“-Prozess, der letzte Woche in Wels mit Schuldsprüchen für alle Angeklagten sein Ende fand: „Wieso hat es bis zu diesem Prozess so lange gedauert? Wieso war der Verfassungsschutz so lange untätig? Und wieso werden hier immer noch viele Zusammenhänge verschwiegen?“. An diesem Abend geht es auch um das, was heute passiert, vor dem Hintergrund der Geschichte des 20. Jahrhunderts.

 

„Niemals vergessen“ steht schwarz auf weiß auf einem beleuchteten Transparent, das zwischen zwei Bäumen zur Straße hin befestigt wurde und die Ankommenden zur Veranstaltung führt. Wenn man von der S-Bahn-Station Rennweg den Gleisen in Richtung des Platzes der Opfer der Deportation folgt, hört man bereits von fern die Stimmen der RednerInnen. Nur wenige Autos fahren heute auf der Straße neben der Zugstrecke, die Nacht ist kühl und ruhig. Einzig die S-Bahn Richtung Floridsdorf, die alle paar Minuten vorbeirattert, und das Surren der Scheinwerfer stören die Andacht ein wenig. Am Rand des Platzes haben einige AktivistInnen provisorische Stände aufgebaut, um im Zuge der Veranstaltung auch Mitglieder für ihre Organisationen anzuwerben. Ankommenden, die über diese Tatsache meist wenig begeistert sind, werden sofort Flugblätter der „Revolutionären KommunistInnen“ in die Hand gedrückt. Außerdem sind auch VertreterInnen von Gruppen wie „Nazis raus aus dem Parlament“ oder das „Antifa Komitee für Griechenland“ mit Flyern, Spendenkassen und Broschüren anwesend.  Insgesamt stört das die Veranstaltung ein wenig. Es entsteht das Gefühl, dass hier versucht wird, die Veranstaltung für partielle Interessen zu instrumentalisieren, die jedoch nicht mehr alle BesucherInnen betreffen und so möglicherweise in ihrer Andacht stören.

 

Foto: Isabella Riedel

 

Die etwa 180 TeilnehmerInnen der Gedenkfeier stehen in welkem Herbstlaub im Halbkreis um die kleine zeltartige Überdachung des RednerInnentisches und des Notenständers. Scheinwerfer beleuchten die Transparente und das Rednerpult, ein paar Bierbänke sind aufgestellt, um vor allem den zahlreichen älteren TeilnehmerInnen das lange Stehen abzunehmen. Für die Facebookveranstaltung „NIEMALS VERGESSEN! Nie wieder Faschismus! Mahnwache und Kundgebung“ haben von etwa 700 eingeladenen Gästen lediglich sechzehn zugesagt. Das Publikum hier wird von älteren Personen dominiert. „Die Gedenkfeier als Projekt der Initiative Aspangbahnhof  gibt es bereits seit 1994. Allerdings waren noch nie so viele TeilnehmerInnen wie heuer da“, erklärt einer der Organisatoren vom Wiener Arbeiter*Innen Syndikat. Die Accessoires des Abends sind Schirm, Handschuhe und Baskenmütze. Die Menschen haben ihre Hände in den Hosentaschen vergraben, um sie bei dem nasskalten Wetter ein wenig anzuwärmen. Um die acht Grad Celsius und den immer wieder einsetzenden leichten Nieselregen erträglicher zu machen, haben die Veranstalter ein paar Behälter mit warmem Tee bereitgestellt. Auf einer der Parkbänke sitzen zwei Frauen und trinken Tee aus ihren Thermoskannen. Dampf steigt auf in der nasskalten Spätherbstluft.

 

Auf der Bank daneben sitzt eine asiatisch aussehende Frau, die eine lachende Filzsonne an ihren braunen Parka geheftet hat. Sie ist Künstlerin unter dem Namen Lilli Fortuna und hat durch eine Freundin, welche Mitglied der Grünen ist, von der Gedenkfeier erfahren. Auf die Frage, warum sie an diesem Abend hier ist, antwortet sie: „Ich lebe mittlerweile seit 27 Jahren in Wien. Nun besitze ich seit zwei Jahren auch die österreichische Staatsbürgerschaft. Als ich von Japan hergekommen bin, habe ich sehr viele Holocaust-Dramen gesehen. Für mich wäre es eine Schande, als neue Staatsbürgerin über diese Zeit nicht Bescheid zu wissen.“ Ihr aktueller Bezugspunkt ist dabei die Europäische Union: „Es braucht eine Art Vereinigte Staaten von Europa. Es darf nie wieder Krieg geben und wir müssen achtsam miteinander umgehen.“

 

Vom Verbotsgesetz bis zur EU

Auch die weiteren RednerInnen beziehen sich in ihren Appellen auf das Hier und Jetzt. Zur Sprache kommen Themen wie die vor kurzem von FPÖ-PolitikerInnen erneut geforderte Abschaffung des NS-Verbotsgesetzes oder der Umgang der Europäischen Union mit Flüchtlingen. Isabella Riedl vom „Verein Gedenkdienst“ erwähnt in ihrer Rede unter anderem die Ergebnisse der letzten Nationalratswahl. „Es ist wichtig, dass wir, wenn wir über diese Ereignisse sprechen, nicht nur die Opfer, sondern auch die Täter erwähnen. Die letzte Nationalratswahl hat gezeigt, dass eine Partei, die sich nicht definitiv von ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit und rechtsextremen Burschenschaften abgrenzt, für einen maßgeblichen Teil der Österreicherinnen und Österreicher eine wählbare Alternative ist. Das sollte uns zu denken geben.“ Die junge Frau erntet kräftigen Applaus für ihre Worte.

 

Währenddessen spielen ein paar Kinder etwas abseits hinter dem Gedenkstein um einen Baum herum Fangen. Einige Eltern haben ihre Sprösslinge zu der Gedenkveranstaltung mitgebracht, diese zeigen sich jedoch noch relativ unbeeindruckt von den Worten der RednerInnen. Als jedoch die Künstlerin Ivana Ferencova-Hrickova vom „Verein für Roma“ ihre kräftige Stimme erhebt, um ein Romalied zu singen, halten sie inne. Auch wenn sie die Bedeutung der Worte und Zeichen auf der Gedenkfeier noch nicht erfassen können, so spüren sie doch die feierliche wie betretene Stimmung, die an diesem Abend herrscht.

 

Erinnerung zwei Stunden lang

Um 20.30 Uhr haben schon viele TeilnehmerInnen die Gedenkkundgebung verlassen. Nach eineinhalb Stunden schließt die letzte Rede mit der Parole: „Nie wieder Faschismus!“. Danach tritt der Leiter der Veranstaltung noch einmal kurz an den notdürftigen Rednertisch, um ein paar letzte Worte zu sagen: „Wir wollen zeigen, dass die Anwesenden heute nicht alleine sind in ihrem Gedenken. Und wir hoffen, dass sie Kraft schöpfen können für ihren Alltag, der vielleicht immer noch von Rassismus geprägt ist.“ Danach schneidet ihm die ankommende S-Bahn das Wort ab. Innerhalb einer Viertelstunde wird das Equipment der Veranstaltung wieder abgebaut. Ein paar Polizisten schauen kurz vorbei, fahren aber nach einem kurzen Rundgang wieder weg. Die Gedenkfeier war ein Abend des Friedens und niemand wollte diesen Frieden brechen. Die Kabel werden eingerollt, die Bierbänke zusammengeklappt, die Transparente abgehängt. Die noch anwesenden AktivistInnen versuchen, ihre letzten Flyer loszuwerden.

 

Die wenigen übriggebliebenen BesucherInnen trinken den letzten Tee oder helfen, die Tische wegzuräumen. Unter ihnen ist Gerhard Burda vom Verein „Steine des Gedenkens für die Opfer der Shoah“, der noch angeregt mit zwei Leuten plaudert. In seiner Rede während der Veranstaltung hat er von seiner Bürgerinitiative im dritten Wiener Gemeindebezirk erzählt, welche „Stolpersteine“, kleine Messingtafeln zur Erinnerung an jüdisches Leben an dieser Stelle, in die Gehsteige Wiens einlässt. Morgen soll der 30. Gedenkstein gesetzt werden. Er erzählt auch von einer eingerichteten Personendatenbank für den dritten Bezirk, mit der jüdische Verwandte ausgeforscht werden können, welche während der Zeit des Nationalsozialismus vertrieben oder ermordet wurden.

 

Foto: Christopher Glanzl

 

Österreich ist Meister der Verdrängung

Vor dem Gedenkstein mit den eingravierten Worten „In den Jahren 1939-1942 wurden vom ehemaligen Aspangbahnhof zehntausende österreichische Juden in Vernichtungslager transportiert und kehrten nicht mehr zurück – Niemals vergessen.“ steht ein bebrillter, grau melierter Herr in einer dunklen Winterjacke. „Ich habe zufällig durch ein Plakat von der Veranstaltung erfahren. Es ist das erste Mal, dass ich hier bin. Mich hat das Thema schon immer interessiert, es hat ja jeder irgendjemanden in der Familie, von der einen oder der anderen Seite, von den Guten oder den Bösen. Ein Verwandter von mir war bei der SS, mein Großvater hingegen war ganz anders“, erzählt er. Zur österreichischen Vergangenheitspolitik hält er fest: „Was mir immer mehr bewusst wird ist, dass ich viel Falsches in der Schule gelernt habe. Österreich ist ein Meister der Verdrängung und die Aufarbeitung ist ein schleichender Prozess.“ Als er sich zum Gehen wendet, fällt eines der Grablichter, die um den Gedenkstein herum im Kies aufgestellt sind, um und erlischt.

 

Die anderen Kerzen flackern noch schwach im Wind, es beginnt erneut zu nieseln. Um 21.00 Uhr sieht der „Platz der Opfer der Deportation“ wieder genauso aus wie normalerweise unterm Jahr. Unauffällig liegt der Gedenkstein zwischen Schotter und ein paar Gräsern. Und nur noch die Grablichter zeugen von dem Bemühen einiger Menschen, die Erinnerung an den Nationalsozialismus immer wieder aufflackern zu lassen.

 

Die Autorin Margot Landl studiert Lehramt für Deutsch und Geschichte sowie Politikwissenschaften an der Universität Wien.

 

progress-online Schwerpunkt: Im Gedenken an das Novemberpogrom 1938:

"Was passiert, wenn wir vergessen uns zu erinnern?"

Einmal Palästina und wieder zurück

 

Treue um Treue

  • 28.09.2012, 10:12

Feldbach in der Steiermark galt den Nazis 1945 als Bollwerk gegen die Allierten. Daran erinnern sich bis heute die lokalen Bevölkerung, SS-Veteranen und auch der Bürgermeister gerne.

Feldbach in der Steiermark galt den Nazis 1945 als Bollwerk gegen die Allierten. Daran erinnern sich bis heute die lokalen Bevölkerung, SS-Veteranen und auch der Bürgermeister gerne.

Seit knapp 60 Jahren treffen sich jährlich Mitte Mai Veteranen von Gebirgsjäger- und Fallschirmjäger-Einheiten des Dritten Reiches in Gniebing, einem Ortsteil von Feldbach, in der Südoststeiermark. Dabei wird zweier Schlachten der Wehrmacht gedacht: der Eroberung Kretas durch deutsche Fallschirmjäger und Gebirgsjäger im Jahr 1941 sowie der Eroberung der bereits von der Roten Armee befreiten Stadt Feldbach durch Fallschirmjäger und Waffen-SS im Jahr 1945. Veteranenorganisationen der Wehrmacht und SS, deutschnationale Burschenschaften, PolitikerInnen, Geistliche, Bundesheer und Polizei sind hier Jahr für Jahr anzutreffen. Sie betrauern die Toten auf Seiten der Nazis, den Heldenkampf und versichern sich gegenseitig „ewiger“ und „wahrer“ Werte.

Befreiung und Rückeroberung. Im März und April 1945 stand die Rote Armee kurz davor, Österreich von Osten und Südosten her zu befreien. Am 29. März wurde die „Reichsgrenze“ überschritten, schon am 3. April 1945 begann die Befreiung Wiens. Zu diesem Zeitpunkt strömten über Kärnten/Koroška und die Steiermark zahlreiche Verbände der Wehrmacht und SS nach Österreich zurück; die meisten hatten den Glauben an den Endsieg schon lange aufgegeben und versuchten, von den Westalliierten statt von der Roten Armee gefangen  genommen zu werden, um einer Strafverfolgung durch den „bolschewistischen Untermensch“ zu entgehen.

Nicht so jedoch die in der Steiermark liegenden Verbände, die auch 1945 noch vom Endsieg überzeugt waren. Feldbach wurde am 1. April von der Roten Armee befreit, aber nur schwach gesichert: Die Rote Armee konzentrierte sich auf die Befreiung Wiens. Es gelang der Wehrmacht, Feldbach zurückzuerobern: Vom 5. auf den 6. April 1945 wurde die heutige Bezirkshauptstadt von Westen her von einer Fallschirmjäger-Einheit, die gerade zufällig aus Italien kommend im Raum Graz eintraf und von einigen Wehrmachts- und SS-Einheiten unterstützt wurde, aus NS-deutscher Sicht „zurückbefreit“. Der Angriff kostete die schlecht ausgerüsteten und kaum aufeinander eingespielten Verbände viele Opfer. Die deutsche Propaganda berichtete ausführlich über die Rückeroberung Feldbachs sowie weiterer steirischer Städte, wodurch das Unternehmen auch  eine propagandistische Bedeutung für den im April 1945 bröckelnden „Durchhaltewillen“ in der „Alpenfestung“ erhielt. Auch als am 27. April die Unabhängigkeit Österreichs proklamiert wurde, am 28. April Benito Mussolini und am 30. April Adolf Hitler starben, dauerte die Verteidigung Feldbachs weiter an.

Niederbrennen von Ortschaften. Griechenland war zu Beginn der 40er-Jahre noch kein Schauplatz des Zweiten Weltkrieges, die militärische Strategie der NationalsozialistInnen konzentrierte sich auf die Vorbereitungen für den Überfall auf die Sowjetunion. Aber Anfang April 1941 eroberte die Wehrmacht  Jugoslawien und Griechenland. Die Eroberung Kretas wurde von bayrischen und österreichischen Fallschirmjägern und Gebirgsjägern getragen und vom  österreichischen Generaloberst Alexander Löhr geleitet. Am 20. Mai 1941  startete die Luftlandung der Fallschirmjäger, am 27. Mai zogen sich die Alliierten zurück. Die kretische Bevölkerung leistete – zur Überraschung der Wehrmacht und der abziehenden Alliierten – starken Widerstand, ohne von den Alliierten dazu aufgefordert oder dafür ausgerüstet worden zu sein.

Die Besatzer setzten von Anfang an Vergeltungs- und Sühnemaßnahmen ohne Einschränkungen ein. Ihr Befehlshaber Kurt Student wies die Besatzungstruppen auf Kreta am 31. Mai 1941 an: „Als Vergeltungsmaßnahmen kommen in Frage: 1.) Erschießungen 2.) Kontributionen 3.) Niederbrennen von Ortschaften 4.) Ausrottung der männlichen Bevölkerung ganzer Gebiete.“ Mit diesem Befehl, dem ähnliche folgten, war schon 1941 vorweggenommen, was später den „Partisanenkrieg“ prägen sollte: freie Hand für Übergriffe durch Soldaten, Sühnemaßnahmen und Vergeltungen gegen die Zivilbevölkerung. Der Wehrmachtseinsatz auf Kreta sticht durch seine immense und beispielgebende Grausamkeit gegenüber der Zivilbevölkerung heraus.

Ablauf der jährlichen Feier. Das Veteranen-Denkmal, das sich heute am Rande von Feldbach befindet, besteht aus einem auf einer übergroßen Steinsäule sitzenden Adler und mehreren Widmungstafeln. Auf einer dieser Tafeln steht: „Hier kämpften und fielen in den ersten Apriltagen des Schicksalsjahres 1945 deutsche Fallschirmjäger. Getreu ihrem Eid und Gehorsam der beschworenen Pflicht.“ Darunter befindet sich eine große Platte mit kretischer Erde samt eingraviertem Wehrmachts-Fallschirmschützenabzeichen. Die Gedenkfeier in Feldbach findet seit 1954 immer rund um den 20. Mai statt – an jenem Tag, an dem der Überfall auf Kreta begonnen hatte. Die TeilnehmerInnen marschieren schweigend, begleitet von Trommelschlägen, zum Denkmal: 2012 waren es rund 200 Personen. An der Feier beteiligen sich nicht nur der oder die durchschnittliche FeldbacherIn, GemeinderätInnen verschiedener Parteien, der Bürgermeister und Militärgeistliche und Nationalratsabgeordnete, sondern auch in- und ausländische Militaristen, Weltkriegsveteranen, Ritterkreuzträger, Kameradschaftsverbände von Wehrmacht und (Waffen-)SS und deutschnationale Burschenschafter.

Im Jahr 2011 nahm auch die SPÖ-Abgeordnete zum Nationalrat Sonja Steßl-Mühlbacher teil. Einen militärischen Charakter bekommt die Veranstaltung durch eine bewaffnete Bundesheer-Ehrengarde sowie PolizistInnen in Uniform. Seit 2009 wird die Veranstaltung von einem ehemaligen General des  Österreichischen Bundesheeres ausgerichtet, der seit Jahrzehnten im Netzwerk
 rechter Veteranen-Organisationen fest verankert ist, etwa an der Veteranenfeier in Mittenwald in Bayern teilnimmt und immer wieder in rechtsextremen Medien publiziert. Die TeilnehmerInnenzahl nimmt in den letzten Jahren kontinuierlich zu. Bei den Feiern selbst werden die Veteranen der Wehrmacht und SS namentlich begrüßt und ihre „Leistungen“ erläutert. Die Veteranen nehmen samt aller ihnen vom Dritten Reich verliehenen Auszeichnungen teil, darunter Ritterkreuz, Erdkampfabzeichen, Bandenkampfabzeichen und Kreta-Ärmelband.

Bei dem auf etlichen Fahnen von Verbänden ehemaliger Fallschirmjäger  aufgedruckten Spruch „Treue um Treue“ handelt es sich um die Parole der Fallschirmjäger der Wehrmacht. Auch das Fallschirmschützenabzeichen, dessen Kopie zahlreiche Teilnehmer der Feier auf dem Barett tragen, ist eine direkte Übernahme aus der Wehrmacht. Auf den Fahnen der Waffen-SS-Kameradschaft K IV ist der Spruch „Unsere Ehre heißt Treue“ rund um ein Balkenkreuz angeordnet. Es handelt sich dabei um den leicht abgewandelten Schwurspruch der SS „Meine Ehre heißt Treue“. Zum Programm gehört außerdem Wehrmachtsliedgut wie das Edelweiß-Lied und das Fallschirmjäger-Lied.

Die andere Geschichte. In Feldbach befanden sich bis 1945 eine Kaserne der Waffen-SS sowie mehrere Lager mit jüdischen ZwangsarbeiterInnen, die beim Stellungsbau eingesetzt wurden. Das Kommando für einen Bauabschnitt des „Südostwalls“ befand sich ebenfalls hier, sowie ein für das Militär und für den Transport von ZwangsarbeiterInnen wichtiger Bahnhof. Als regionaler Knotenpunkt wurde Feldbach zum Schauplatz des NS-Alltags: Zwangsarbeit, Durchhalteparolen, Erschießungen. Mit Hilfe des „Südostwalls“ – einem tiefen Graben rund um Ostösterreich – glaubten die Nazis vor der Roten Armee sicher zu sein. ZivilistInnen, kriegsgefangene Soldaten und rund 30.000 ungarische Juden und Jüdinnen wurden zum Ausschaufeln des Grabens gezwungen. Alleine im Bauabschnitt Feldbach waren es 3.000 ZwangsarbeiterInnen. Die Bauleitung des Abschnitts befand sich in Feldbach, ebenso die jeweiligen Stellen der für den Bau zuständigen „Organisation Todt“. Daneben bestand ein Kasernen- beziehungsweise Lagerkomplex der Waffen-SS in Feldbach, in dem der größte Teil der jüdischen ZwangsarbeiterInnen untergebracht war.

Die ZwangsarbeiterInnen wurden teils in der Stadt Feldbach selbst zur Arbeit gezwungen, zum größten Teil aber per Zug zu den Schanzarbeiten transportiert. Zahlreiche Ermordungen und Übergriffe sind überliefert. Zum Beispiel kam am 25. März 1945 eine größere Anzahl Gefangener direkt in Feldbach zu Tode: Die Gefangenen befanden sich in Eisenbahnwaggons während der Bahnhof von alliierten Fliegern angegriffen wurde. Der Angriff forderte einige Tote und vor allem Verletzte. Das “Problem” wurde so gelöst, dass die überlebenden jüdischen ZwangsarbeiterInnen die Verletzten und Toten auf einen LKW laden mussten und alle zum nahen Mühldorfer “Judenfriedhof” gebracht wurden. Die Unverletzten mussten ein Grab ausheben und wurden sodann zusammen mit den Verletzten erschlagen oder erschossen.

Das „Drama vom Bahnhof“ stellt sich in der Dorfgeschichte anders dar: An den Toten dieses Angriffs hätten die Alliierten Schuld, andere Opfer als jene der Amerikaner hat es nicht gegeben. In der Ortsgeschichte liest sich das so: „Das grauenhafte Blutbad bei der Beschießung des 'Judenzuges' durch den Tieffliegerangriff der Amerikaner im Bahnhof von Feldbach ist für mich persönlich ein unvergeßliches Ereignis. Es gab viele Tote, zahlreiche Verletzte, schreckliches Angstgeschrei, durchlochte und blutbespritzte Waggons.“ Dass die meisten Toten dieses Tages von örtlichen Nazis und der SS erschossen wurden, kommt in dieser Geschichte nicht vor.

Maschinenpistolen gegen Flecktyphus. In der unmittelbaren Umgebung von Feldbach befinden sich, neben dem Massengrab am Friedhof, zahlreiche weitere Massengräber mit jüdischen Opfern. Diese sind das Ergebnis zahlreicher Massaker und Übergriffe auf Juden und Jüdinnen, sehr häufig etwa im Rahmen „systematischer Erschießungen von Kranken“ zur „Bekämpfung“ von Flecktyphus in den Lagern. Ende März und Anfang April 1945 wurden die Gefangenen auf Todesmärsche Richtung Oberösterreich getrieben, wobei nicht mehr marschfähige ArbeiterInnen von den Wachmannschaften systematisch ermordet wurden. Eines der größten Massaker im Rahmen eines solchen Todesmarsches fand nahe Graz statt. Rund 200 Menschen wurden erschossen.

In vielen Städten der Steiermark war das Los der Jüdinnen und Juden sichtbar und allen BewohnerInnen bekannt. Trotzdem erinnert heute nichts an ihre Qualen – ihren Bewachern und Mördern wurden hingegen Denkmale gesetzt. Insbesondere die Rückeroberung Feldbachs hatte katastrophale Konsequenzen: Durch den Stopp der Roten Armee konnten einerseits die Wehrmachtsverbände fliehen und darüber hinaus vor allem die Todesmärsche gedeckt und ungehindert durchgeführt werden. Die Darstellung von “Feldbach als Bollwerk” geht dabei direkt auf NS-Propaganda zurück, die im April 1945 sonst nirgendwo von Erfolgen berichten konnte. Zwar ist dies auf Basis der österreichischen Opferthese nicht unüblich, doch selten wird heute so unverfroren eine Umkehrung von Tätern und Opfern betrieben wie in Feldbach.

Während die Feier in den letzten 60 Jahren unhinterfragt stattfinden konnte, wurden 2012 einzelne Aspekte erstmals in der Wochenzeitung Falter und in der Tageszeitung Der Standard skandalisiert. Ähnlich wie in der Berichterstattung zum Ulrichsbergtreffen in Kärnten/Koroška drehen sich die Kritikpunkte um die Bundesheer-Teilnahme und die Gemeinde Feldbach als Veranstalterin. Aus antifaschistischer Sicht müsste die Palette an Problemfeldern etwa um die dort erfolgende Identifizierung mit Soldaten der Wehrmacht und der (Waffen-)SS genauso thematisiert werden wie die totale Ausblendung von jüdischen Opfern – sowohl im Stadtbild als auch während der Feier. Auch müsste einer „typisch österreichischen“ Lösung entgegengetreten werden, einfach TäterInnen wie  auch Opfern unter dem Motto „Nie wieder Krieg“ gleichermaßen zu gedenken. Proteste gibt es 2013 aber jedenfalls bestimmt.

Die lange Version dieses Artikels könnt in Kürze ihr hier nachlesen: akhinterland.wordpress.com