Games

Cyberpunk-Schnitzeljagd

  • 10.03.2016, 18:25
Read Only Memories entführt uns in eine retrofuturistische Cyberpunk-Welt. Ein Review.

Neo-San-Francisco, wenige Tage vor Weihnachten 2064. Ich schreibe ein lange aufgeschobenes Review über besonders intelligente Kopfhörer. Danach genieße ich endlich den gerechten Schlaf freischaffender Journalist_ innen. Aber nur kurz: Ein kleiner Roboter namens Turing ist in meine Wohnung eingedrungen. Schlaftrunken höre ich seine Erklärungen: Mein Wohnungsschloss ist unsicher, er ist die erste künstliche Intelligenz mit richtigem Bewusstsein und Emotionen, und außerdem ist mein Bekannter Hayden Webber, der Turing gebaut hat, entführt worden.

Meine Fähigkeiten als investigative_r Journalist_in werden also gebraucht, um Hayden wiederzufinden. Schnell erfahre ich, dass neben den großen Technologiekonzernen, die einen Großteil der staatlichen Funktionen wie Polizei oder Telekommunikationszugang übernommen haben, auch die Protestgruppe „Human Revolution“ zu den Verdächtigen zählt. Die Gruppe ist gegen jede Art von cybernetischen oder genetischen Veränderungen von Menschen, die 2064 an der Tagesordnung stehen. Ebenso wie die Konzerne sind sie wohl hinter Turings künstlicher Intelligenz her. Es beginnt ein Krimi, der mich und Turing in Nachtclubs, Medienunternehmen, Hinterhofkliniken führt. Allerdings scheint uns bei der Suche nach Hayden irgendwer immer einen Schritt voraus zu sein …

Read Only Memories ist ein klassisches „Point and Click“-Adventure in wunderschöner neonleuchtender Retro-Pixelgrafik mit passendem Soundtrack. Auch die dargestellte Zukunftsvision mit alles kontrollierenden Großkonzernen, genetisch modifizierten Katzenmenschen und sprechenden Robotern könnte aus den 1980er Jahren stammen. Aufgelockert wird die düstere Atmosphäre durch Turings naiven Humor. Die nicht-lineare, vielschichtige Story ist intelligent und beleuchtet nicht nur das Thema künstliche Intelligenz, sondern auch ethische Fragestellungen zu Transhumanismus und Gentechnik am Menschen. Ein besonderes Lob gibt es neben dem äußerst stimmigen Erscheinungsbild auch für die Möglichkeit, die Pronomen der Spielfigur am Anfang des Spiels selbst auszuwählen. Einziges Manko: Die hervorragende Sprachausgabe ist nur im Intro und Outro zu hören.

Joël Adami studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien.

Links:
readonlymemori.es

Spielen studieren

  • 27.10.2014, 17:51

Einige Hochschulen bieten Studiengänge an, in denen man lernt, selbst Videospiele zu gestalten: auf dem Weg zum akademisch akkreditierten Game Design

Einige Hochschulen bieten Studiengänge an, in denen man lernt, selbst Videospiele zu gestalten: auf dem Weg zum akademisch akkreditierten Game Design

Wer über die Grenzen des Kosumierens von Spielen hinauswachsen und aus der Leidenschaft eine Profession machen möchte, muss nicht Informatik studieren oder ins Ausland gehen, um eine Ausbildung im Kreativbereich Game Design zu absolvieren. Mittlerweile hat sich die Spieleentwicklung als anerkannte Studienrichtung an vielen deutschsprachigen Hochschulen etabliert. Aber welcher Studiengang ist für die individuellen Interessen und Fähigkeiten der Studieninteressierten der richtige? Tatsächlich ist das Angebot in Österreich, Deutschland und der Schweiz in seinen Schwerpunkten und Vertiefungsmöglichkeiten sehr unterschiedlich.

Zwischen Technik und Design. Die FH Salzburg bietet seit 2008 die Bachelor- und Master-Studiengänge „MultiMediaArt“ (ein eher künstlerisches Mediendesign-Studium) und „MultiMediaTechnology“ (ein eher technisches Medieninformatik-Studium) an. Im Studiengang MultiMediaArt gibt es die Möglichkeit, im zweiten Jahr eine Vertiefung in Computeranimation zu wählen, außerdem gibt es beispielsweise Game Design und Motion Graphics als Wahlfächer. Im programmierlastigen Studiengang MultiMediaTechnology kann man sich ebenfalls im zweiten Jahr für eine Spezialisierung entscheiden, hier ist es Game Development. Martin Ortner aus der PR-Abteilung hierzu: „Wir bieten im MultiMediaTechnology-Studium eine fundierte technische Ausbildung für zukunftsträchtige Themen wie digitale Unterhaltung und Games, Augmented Reality oder Web & Social Media. Unter dem Motto ‚Creative Media Engineering‘ entwickeln unsere Studierenden Projekte an der Schnittstelle von Mensch, Medien und Technik. Das Besondere ist die enge Zusammenarbeit mit dem gestalterischen Studiengang MultiMediaArt an der FH Salzburg. Unsere Studierenden entwickeln im Team mit den DesignerInnen der zweiten Studienrichtung Websites, Apps, Games und Installationen.“

Inhaltlich sind die beiden Salzburger Studiengänge sowohl was Theorie als auch was Praxis angeht sehr vielfältig: Behandelt werden beispielsweise wirtschaftliche und rechtliche Aspekte von Games, Modellierung, Game-Architekturen, Erzählweisen, Game Engines und Grafikbibliotheken.

Seminararbeit Smartphone-Spiel. Für diejenigen, die ihre Zukunft als Game Developerin oder Game-Developer eher nicht in der Programmierung sehen, legt zum Beispiel der Studiengang „Game Design“ an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin den Fokus auf den gestalterischen Ansatz der Spieleentwicklung. Die Studierenden bekommen die Chance, mit neuester Technik wie Motion Capturing, Eye-Tracking und 3D-Scannern in Berührung zu kommen und ab dem ersten Semester an Spieleprojekten zu arbeiten. Student Sven Gorholt erzählt: „Wir arbeiten viel und intensiv in Teams und produzieren vom ersten Semester an digitale Spiele. Dabei ist der intensive Austausch und die gemeinsame Reflexion zentral. Jede und jeder gestaltet mit – unabhängig von der Fachrichtung.“ Thomas Bremer, Dozent und Gründer des Studiengangs „Game Design“ an der HTW Berlin, beschreibt das Studium wie folgt: „Es ist in erster Linie ein Design-Studium. Bei uns erleben und erlernen Studierende, wie man in der Entwicklung gezielt die richtigen Fragen stellt, wie man im Team arbeitet, wie man wichtige Design-Entscheidungen fällt und wie man passende Methoden auswählt, sich aneignet oder entwickelt, um das angestrebte Game Design umzusetzen. Insgesamt entwickeln Studierende drei bis vier spielbare Games im Laufe des Studiums.“

Im Zentrum des Studiums steht jedenfalls die Gestaltung, und damit ist keineswegs nur die visuelle Dimension von Spielen gemeint. Auch Spielsysteme und -mechaniken und Bewegungsabläufe sind beispielsweise Gegenstände des Gestaltungsprozesses. „Als staatliche Fachhochschule existieren bei uns zudem keine monatlichen Studiengebühren – stattdessen führen wir jährlich einen talentorientierten Eignungstest durch, bei welchem wir nach Potentialen der vielen Bewerberinnen und Bewerber suchen. Unser Studiengang ist zudem Vorreiter einer bald eintretenden Trendwende: Knapp 50 Prozent unserer Studierenden sind Frauen, und das ganz ohne Quote“, erklärt Thomas Bremer.

Helen French, Game-Design-Studentin an der HTW Berlin, bestätigt: „Die Spielewelt ist stark von Spielen geprägt, die an Männer adressiert sind. Deswegen ist es in meinen Augen wichtig, dass mehr Frauen in die Industrie gehen, um auch für Game rinnen mehr gute Spiele zu schaffen.“

Privat, öffentlich, Bachleor, Master? Neben der FH Salzburg und der HTW Berlin bieten private Hochschulen wie die Games Academy oder die Mediadesign Hochschule (MD.H) auch kosten pflichtige Game-Design-Studiengänge an. Wer schon einen Bachelorabschluss in einem Studienfach einer technischen Fachhochschule oder Universität erlangt hat, kann außerdem an der Fachhochschule Technikum Wien das Masterstudium „Game Engineering und Simulation“ belegen. In vier Semestern wird den Studierenden dort das nötige Know-how für die Spieleentwicklung in Bereichen wie Künstliche Intelligenz, Multiplayer-Netzwerke und Game Business vermittelt. Das Angebot an Game-Design-Studiengängen ist jedenfalls groß und ob nun technisch oder gestalterisch orientiert: Alle Studierenden haben die Möglichkeit, das Hobby zum Beruf zu machen.

 

Marina Wachowski ist Game-Design-Studentin an der HTW Berlin und arbeitet als Games-Journalistin bei IGN Deutschland.

FH Salzburg: www.fh-salzburg.ac.at/disziplinen/medien-design-kunst

Game Design, HTW Berlin: http://gd-bachelor.htwberlin.de/informieren/informationsveranstaltungen

Game Engineering, Technikum Wien: www.technikum-wien.at/studium/master/game_engineering_und_simulation

Mehr Informationen über alle Studienrichtungen: studienplattform.at

 

Magie und Misogynie

  • 27.10.2014, 16:48

Der Sexismus in und um Games eskaliert auf unterschiedlichen Ebenen und ist dabei erstaunlich facettenreich. Was stereotype Rollen und organisierte Hasskampagnen miteinander zu tun haben.

Der Sexismus in und um Games eskaliert auf unterschiedlichen Ebenen und ist dabei erstaunlich facettenreich. Was stereotype Rollen und organisierte Hasskampagnen miteinander zu tun haben.

Weibliche Spielfiguren haben keine Rüstung, sondern Brüste. Sie haben keine Missionen, sondern Nöte. Sie haben keine Haupt-, sondern die Opferrolle. Sie erleben keine Abenteuer, sondern warten in Kerkern, Eisblöcken oder an Bahnschienen gekettet auf den Prinzen. Sie haben keine Laserschwerter oder Äxte, sondern Heiltränke oder Glaskugeln. Sie sind jemandes Frau, Tochter, Geliebte, Studentin oder Assistentin – nie eigenständig, nie selbst jemand. Sie haben keine eigene Biographie, keine intrinsische Motivation. Sie sind die Wurst-am-Stock für irgendeine grotesk überzeichnete Masse Männlichkeit.Sie gestalten keine Welten, sie flankieren und dekorieren. Sie haben keine speziellen Fähigkeiten, keinen mehrschichtigen Charakter, aber oft Angst oder Nervenzusammenbrüche. Sie retten nicht den Tag, vielleicht aber deine Seele, Ehre oder Potenz. Sie lösen Kriege aus, gewinnen aber keine. Sie sind magisch, aber nicht mächtig. Sie werden effektvoll entführt, geschlagen, gefoltert, vergewaltigt, getötet – für das Intro und die Heldeneinführung. Sie sind jung, schön, verträumt, ergeben, hetero und weiß.Große Game-Publisher wie Ubisoft behaupten schlicht, sie seien zu aufwändig zu animieren.

Auch männliche Figuren sind meist nach einem stereotypen Schema F gestaltet: Hypermaskuline Machomuskelmänner stützen das Narrativ vom kompetenten Typ auf Abenteuersuche. Drei Viertel aller Spielfiguren sind männlich, darunter finden sich unterkomplexe Charakterstudien wie der einsame Wolf, Held, Ritter, kleiner Junge auf Weltreise, der weiße Befreier oder Herrscher. Mindestens aber etwas in Richtung „generisches Arschloch in Uniform“. Gewalt ist Interaktions- und Kommunikationsmittel Nummer eins in Videospielen. Sie wird als „naturgegebener männlicher Anteil“ stilisiert, der Wagemut, Macht und Kompetenz untermauert. Misogyne Gewalt dient in den unterschiedlichsten Schattierungen vor allem der Storyline und sexualisierte Gewalt wird als erotisch dargestellt. Einvernehmlicher Sex auf der anderen Seite im europäischen und amerikanischen Raum weithin tabuisiert. Japan nimmt hier mit einem breiten Sortiment an pornographischen und Hentai-Spielen eine Sonderstellung ein. 2009 rügten die UN nach einem Medienaufruhr Japan für den Vertrieb von Vergewaltigungs-Simulatoren.

Ebenso wie „Killerspiele“ nicht unmittelbar Terrorist_innen hervorbringen, führt ein Spiel mit Frauen in Bikinis nicht automatisch zu mehr Übergriffen oder häuslicher Gewalt. Frauen als gesichtslose, durch Männer konsumierbare Objekte darzustellen, normalisiert jedoch Diskriminierung und Gewalt. Ganz sicher trägt die Objektifizierung jedenfalls nicht dazu, Frauen als gleichwertige Menschen zu betrachten oder grundsätzlich zu respektieren.

Kein Ort, nirgends. Weil auch Frauen Spaß daran haben, nach Feierabend zu metzeln, sieht eine Armee selbsternannter „Gamer“ sich in ihrem Territorium bedroht. Spielerinnen werden oft entweder als Anhängsel betrachtet oder direkt beschimpft. Auf fatuglyorslutty.com wurden Nachrichten gesammelt, die Spielerinnen in Spielen, auf Game-Plattformen und in Communitys erhalten. Sie werden darin als fett, hässlich oder nuttig bezeichnet, vielleicht auch unvermittelt zum Blasen aufgefordert – während sie eigentlich gerade einfach nur eine Quest bestehen wollten. „Tits or gtfo“ (get the fuck out) ist dabei der Evergreen unter den liebevollen Begrüßungsfloskeln. Auch das „Fake Geek Girl“-Mem ist von der Angst geprägt, die kleinere Schüssel Nachtisch zu erwischen und maßt sich an, Frauen mit Interesse an Nerddomänen pauschal sämtliche Expertise abzusprechen und ihnen Aufmerksamkeitsheischerei zu unterstellen.

Professionelle Spielerinnen müssen sich bei Turnieren härter bewerten und anfeinden lassen. Bei einer Promotion-Show für das Prügelspiel "Street Fighter X Tekken" fasste der Spieler und Teamleiter Aris Bakhtanians die Einstellung vieler zusammen: “This is a community that’s, you know, 15 or 20-years-old and the sexual harassment is part of a culture and if you remove that from the fighting game community, it’s not the fighting game community.” Ein „Hearthstone“-Turnier hat kürzlich ausschließlich männliche Teilnehmer zugelassen, mit der Begründung, eSport solle als klassischer Sport anerkannt werden. Dort werde schließlich auch die Trennung in „männlich“ und „weiblich“ vorgenommen.

Unternehmen schalten Stellenanzeigen für Entwicklerinnen, da sie „überzeugt sind, Frauen sind großartige Programmier (sic!). Frauen schreiben sexy Code: Ordentlich und sauber“, oder suchen ein „IT-Girl (Fachinformatikerin Anwendungsentwicklung)“. Der Ruf nach mehr „weiblichen Fachkräften“ verhallt in der Ignoranz eines männlich dominierten Wirtschaftszweiges, in dem Ungleichbehandlung, Sexismen und Übergriffe am Arbeitsplatz geduldet sind. In der Spieleindustrie liegt der Frauenanteil bei 22 Prozent, Entwicklerinnen verdienen rund ein Viertel weniger als ihre Kollegen. Auf die Frage eines Kickstarter-Mitarbeiters hin, wieso es so wenig Spieleentwicklerinnen gäbe, sammelten 2012 tausende Frauen unter dem Hashtag #1reasonwhy erschreckende Eindrücke aus ihrem Arbeitsalltag in der Branche.

Auch auf Fachkonferenzen kommt es immer wieder zu Übergriffen, sexistischen Pointen in Vorträgen oder Belästigung. Das Geekfeminism-Wiki sammelt solche Vorfälle, die bis 1963 zurückgehen. Auf Messen im IT und Gaming-Bereich animieren „Boothbabes“, also Hostessen in Bikini oder knappen Kostümen eine Zielgruppe, die als „männlich und hetero“ festgeschrieben wird - unabhängig davon, wie divers sie längt ist. Solche Boothbabes sind nach Merkmalen wie Unterarmlänge, Oberschenkelumfang und selbstverständlich Körbchengröße aus einem Katalog wählbar. Das YouTube-Format „NosTeraFuTV“ der Game-Website Giga filmte so auch auf der Gamescom 2013 die Belästigung von Cosplayerinnen, Besucherinnen und Hostessen - zur Unterhaltung. In dieser feindlichen Atmosphäre sind Frauen nicht nur unterrepräsentiert, sondern wechseln auch wesentlich häufiger das Berufsfeld – laut einer Studie des National Center for Women & Information verlassen in den USA 56 Prozent der Frauen in ihren ersten zehn Berufsjahren den IT-Bereich für immer, obwohl 74 Prozent angeben, ihre Arbeit zu lieben.

Kübelweise Hass. Kontinuierlich und gezielt werden Entwicklerinnen, Journalistinnen und Spielerinnen angegriffen. Im August eskalierten die Hass-Postings unter dem Schlagwort „Gamer Gate“, zunächst waren sie gegen die Indie-Entwicklerin Zoë Quinn gerichtet. Bereits 2013 wurde sie zur Zielscheibe hasserfüllter Angreifer, weil ihre interaktive Geschichte „Depression Quest“ Aufmerksamkeit erhielt. Losgetreten wurde der neue Shitstorm durch den Blogpost eines Expartners. Quinns intime Beziehungen wurden an die Öffentlichkeit gezerrt. Als angebliche Intervention gegen Korruption im Gamejournalismus entstand eine Verschwörungstheorie, die unter anderem die Journalistinnen Mattie Brice und Jenn Frank dazu brachte, nicht länger über Spiele zu schreiben. Auch Anita Sarkeesian ist seit der Ankündigung ihrer Video-Reihe „Tropes vs. Women“ kontinuierlich Attacken ausgesetzt. Seit Jahren setzt sie sich in ihren Videos mit Sexismus und Popkultur auseinander, aber die Ankündigung, sich speziell mit Videospielen befassen zu wollen, ließ misogyne Online-Angriffe auf sie eskalieren, das so entstandene Spiel „Beat Up Anita Sarkeesian“ ist dabei nur eine von zahlreichen krassen Ausformungen. All diesen Frauen wird mit Gewalt, Folter, Vergewaltigung und Mord gedroht und private Informationen über sie werden veröffentlicht. Immer wieder müssen sie umziehen, Telefonnummern und E-Mail-Adressen ändern. Das sind keine Einzelfälle und auch nicht bloß Ausfälle armer, einsamer Trolle. Es sind massive und organisierte Angriffe auf einflussreiche Frauen – mit dem Ziel, sie zu verdrängen, unsichtbar zu machen und ihre Stimmen zu ersticken. Die Dokumentation „GTFO“ widmet sich eindringlich 75 Minuten lang der ganzen Bandbreite des Harassment und und lässt Betroffene zu Wort kommen.

Schleifchen statt Substanz. Dennoch existiert eine zunehmend sichtbare Szene, die Diversity, die Wahl unterschiedlicher Geschlechtsidentitäten und die kritische Thematisierung von Diskriminierung zulässt und Geschichten erzählt, die mit den Normen der Videospielwelt brechen. Mattie Brices „Mainichi“ etwa erzählt von der Realität einer Trans*-Frau, das millionenfach verkaufte „Gone Home“ die Geschichte eines Teenager-Mädchens. Der „Consensual Torture Simulator“ setzt sich mit Konsens und Gewalt in Videospielen auseinander - in Spielform. Der großartige „Complete guide to gender design in games - Press X to make sandwich“ von Anjin Anhut liefert eine Anleitung für ein mehrschichtiges, sensibles Spieldesign ohne Sexismen. Gerade die Indie-Game-Szene zeigt auf, welche Möglichkeiten in diesem Medium stecken, das sich in den letzten 20 Jahren technisch immens, aber inhaltlich kaum weiterentwickelt hat.

Dieser Stillstand ist auch einem Marketing geschuldet, das seit den 1980er und -90er Jahren aggressiv auf eine junge, weiße, heterosexuelle, männliche Zielgruppe setzt, obwohl Studien seit Jahren zeigen, dass in allen gesellschaftlichen Schichten und Altersgruppen gespielt wird. Gerade Frauen verhelfen Spielen wie "Die Sims" zu ihren Erfolgen. Sogenannte „Casual Games“, wie „Angry Birds“ oder „Candy Crush“, die besonders bei einer weiblichen Zielgruppe gut ankommen, gelten automatisch als unechte, illegitime Videospiele.

Die Spiele „Mirror’s Edge“ oder „Remember Me“ stellen Women of Color in den Mittelpunkt. Im Sinne der Verwertungslogik hätten sie keine Daseinsberechtigung. Dass die Ursache für die Verkaufsergebnisse aber auch in festgefahrenen Marketingstrategien liegen könnte, wird ignoriert. Dass die Spielevermarktung auf eine junge, weiße, heterosexuelle, männliche Zielgruppe setzt, ist zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung geworden.

Das Medium Videospiel, die Industrie und ihre Anhänger spiegeln nicht nur einen gesellschaftlich verankerten Frauenhass und Sexismus wider, sie sind daran beteiligt, diesen fortzuschreiben. Frauen werden auf allen Ebenen bekämpft und kleingehalten. Als Charakter, Zielgruppe, Mitarbeiterin, Entwicklerin, Designerin, Gründerin, Kritikerin, Journalistin - und Spielerin.
 

Anne Pohl macht was mit Kommunikation, ist Gründerin von feminismus101.de und schreibt manchmal bei herzteile.org über digitale Spielkultur.

No girls allowed“ – über Gendermarketing

GTFO“ – Dokumentation über Harassment: www.gtfothemovie.com

„Gaming in Colour“ – Dokumentation über die queere gaming community: gamingincolor.vhx.tv

Press X to make Sandwich“ – A complete guide to gender design in games: http://howtonotsuckatgamedesign.com/2014/05/press-x-make-sandwich-complete-guide-gender-design-games/

Offene neue Welt

  • 27.10.2014, 16:31

Der Bildschirm, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2014. Dies sind die Abenteuer der Videospiele, die seit einem halben Jahrhundert unterwegs sind und immer mehr Menschen erreichen.

Der Bildschirm, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2014. Dies sind die Abenteuer der Videospiele, die seit einem halben Jahrhundert unterwegs sind und immer mehr Menschen erreichen.

Wer ein Buch liest, beginnt meist vorne und liest es dann (nicht immer) bis zum Ende durch. Bei Kinofilmen sitzen wir ebenfalls eine Weile vor dem Bildschirm, auch wenn schon lange keine Rolle mehr die Bilder durch einen Projektor rattern lässt. Anfang, Hauptteil, Ende. Die meisten unserer Unterhaltungsmedien funktionieren linear, erzählen dabei eine Geschichte und verlangen unsere Aufmerksamkeit, bis alles vorbei ist. Videospiele sind anders. Das liegt weniger am Video-Teil als am Spiele-Teil. Das liegt weniger am Video-Teil als am Spiele-Teil und fängt schon bei der Definition an.

Wann ist ein Spiel ein Spiel? Was braucht ein Spiel? Regeln? Eine Geschichte? Spielzeug? Mitspieler_ innen? Ziele? Spaß? Die englischsprachige Wikipedia unterscheidet zwischen „play“, dem Spiel, das man um seiner selbst Willen und zum Spaß betreibt, und „games“, strukturierten Spielen mit Regeln, Herausforderungen, Zielen und Interaktion. Auch Games werden meist zum Spaß und in Abgrenzung zur Arbeit gespielt – außer von professionellen Spieler_innen. Einen Tennisball einfach so gegen die Wand zu werfen, sei kein Spiel, es fehle ein_e Gegner_in. Gäbe es eine Herausforderung oder ein oder ein Ziel, etwa den Tennisball möglichst oft wieder zu fangen oder ihn stets an die gleiche Stelle zu werfen, wäre es dann doch wieder ein Spiel.

Die meisten Spiele erfordern mehrere Personen: ob Brettspiele, Rollenspiele oder Sportspiele. So überrascht es wenig, dass bereits die ersten Videospiele in den 50er Jahren für zwei Spieler_innen gemacht waren, oft umgesetzt wurde etwa Schach. Allerdings blieb die Popularität dieser Spiele auf akademische Kreise begrenzt. Die schrankhohen Computer waren teuer und hätten bei den Wenigsten ins Wohnzimmer gepasst. Mit dem Siegeszug der Spielautomaten in den 70ern wurden Videospiele massentauglich und es kam zum „einsamen“ Spielen, Mensch vs. Maschine. Wobei der Klassiker „Pong“ dann doch wieder zwei Spieler_innen erforderte. Außerdem standen die Automaten in Spielhallen, Kneipen oder Einkaufszentren. Erst in den 80ern zogen Videospiele ins Wohnzimmer ein. Dort ist das Videospiel seither fest verankert und ständig verfügbar, auch wenn sich die Hardware alle paar Jahre ändert. Und nun ist alles möglich: alleine virtuelle Welten durchqueren oder mit Freund_innen um die Wette düsen – wenn denn genügend Controller vorhanden sind, versteht sich. Mit dem Game Boy wurde dann noch die mobile Konsole im Handformat entwickelt, die zusammen mit Fotoapparaten heute weitgehend im Smartphone aufgegangen ist. Stundenlanges Jump’n’Run ist genauso drin wie ein kurzes Puzzlespiel während der Busfahrt – dank mobilem Internet auch zunehmend als Gemeinschaftsspiel.

Videospiele als Bedrohung. Trotz der gemeinschaftlichen Aspekte werden Videospiele erst allmählich gesellschaftlich angenommen. Heute ist rund die Hälfte der Spieler_innen weiblich, dennoch hält sich das Stereotyp des männlichen Teenagers ohne Freund_innen. Dass in den letzten 20 Jahren vereinzelt junge Männer, die an Schulen um sich schossen, zuvor viel Zeit mit Computerspielen verbracht hatten, wurde als Kausalität gedeutet. So verwundert es nicht, dass auch der wissenschaftliche Blick zunächst nur den (mutmaßlichen) negativen Konsequenzen von Videospielen galt – so wie vor hunderten Jahren angenommen wurde, dass Romane Lesesucht und weibliche Hysterie auslösen würden und sich das Fernsehen als Medium erst neulich vom pauschalisierten Verblödungsverdacht befreien konnte. Aber während im Feuilleton nun schon lange Filme und seit einiger Zeit auch Fernsehserien besprochen werden, ist das bei Games noch keine Selbstverständlichkeit. Besonders im deutschsprachigen Raum steckt der Spielejournalismus noch mitten in einer Debatte darüber, wie er über simple 8-von-10-Sternen-Bewertungen und Beschreibungen der Spielemechanik hinausgehen kann. Die Forschung hat sich der digitalen Spiele mittlerweile – zögerlich, aber doch – angenommen. So zeigen beispielsweise Analysen, dass sie erzähltechnisch etwas können, was kein anderes Medium kann: In dem Moment, wo ein Joystick oder eine Tastatur in die Hand genommen werden, fallen zum ersten Mal Leser_in, Erzähler_in und Protagonist_in einer Geschichte zusammen.

Das Spiel im Film. Oder andersrum? Spannend ist auch, welche Auswirkungen Videospiele auf „klassische“ Medien haben und welche neuen Formen der Intermedialität sie hervorgebracht haben. So gibt es zu jedem „Harry Potter“-Film (der ja selbst wiederum auf einen Roman zurückgeht) nun auch ein Spiel – allerdings mit überwiegend mittelmäßigen bis schlechten Bewertungen. Auf das Bedürfnis von Fans, noch mehr Zeit mit ihren Held_innen zu verbringen oder sogar selbst in ihre Rolle zu schlüpfen, wurde lange nur mit inhaltlich schludrigen Umsetzungen reagiert. Dafür war das Ergebnis dann auf jedem Rechner und jedem System spielbar. Tatsächlich ist es schwierig, Filmstimmungen einzufangen, bekannte Geschichten nicht einfach nur nachzuerzählen und zwischen Jump’n’Run, Egoshootern und Adventures das passende Spielgenre zu finden. Zahlreiche Spiele wurden auch im „Star Wars“-Universum angesiedelt. Dabei wurde eine Bandbreite an Genres bedient, vom Strategiespiel über Shooter bis zum Podrennen. Auch die Geschichten entfernten sich in den Spielen von den bekannten Figuren und entwickelten neue Charaktere. Am Ende dürfen Nicht-Spieler_innen bei eventuellen Fortsetzungen nichts verpassen.

Umgekehrt wurden und werden auch Computerspiele als Kinofilme umgesetzt oder von diesen aus konzipiert. Als erster vollständig computeranimierter Film mit realistischer statt comichafter Umsetzung erschien 2001 „Final Fantasy“, der sich von der inzwischen 14-teiligen Spieleserie allerdings deutlich entfernte. Auch in diesem Kontext wurden die neuen ästhetischen Möglichkeiten meist als Bedrohungen diskutiert. Die allgemeine Ablösung von Schauspieler_ innen durch computergenerierte Figuren schien sich anzukündigen. Für computeranimierte Filme werden aber immer noch „echte Menschen“ vermessen und digitalisiert, das Schreckensszenario ist also bis heute nicht eingetreten. Schauspieler_innen sind fast wichtiger als zuvor – sowohl als Sprecher_innen als auch Vermessungsvorlagen. So muss Vin Diesel gerade in „Guardians of the Galaxy“ als Baum Groot quasi nur „Ich bin Groot!“ sagen und das reicht zur Bezirzung der Zuschauer_innen. Auch zwischen Serien und Videospielen gibt es Verbindungen: Das stark filmische Zombiespiel „The Walking Dead“ erscheint beispielsweise in fünf Staffeln. Und die Science-Fiction-Serie „Defiance“ setzt seit zwei Staffeln auf die Verbindung von Spiel und TV-Serie, bleibt dabei allerdings Nischenprodukt, sowohl als Serie als auch als Game. So brauchte in der zweiten Staffel ein aus dem Fernsehen bekannter Charakter Unterstützung von Spieler_innen, um wieder in der Serie zu erscheinen. Die Einschätzungen bleiben dennoch bei „mittelmäßig“.

Dem Level entwachsen. Bei den meisten Spielen waren bisher stets Unterschiede zwischen den aufwändig generierten filmischen Sequenzen, die die Handlung erklären, und dem tatsächlichen Aussehen der spielbaren Teile zu erkennen. Bisher war auch eine Einteilung in Levels, die aus technischen Notwendigkeiten erwuchs, üblich. Neue Umgebungen, Texte und Aufgaben mussten ja vom Rechner oder der Konsole immer wieder neu geladen werden. Aufgrund der begrenzten Rechenstärke und Speicherkapazitäten blieben viele Spielwelten nur Oberflächen und Kulissen. Jedes Scheitern bedeutete einen Neuanfang. Das klingt einerseits verlockend. Andererseits kann der ständige Neustart auch zum frustrierenden Hamsterrad werden. Bestehen oder Scheitern waren also lange der gängige Spielmodus – jetzt in der linearen Handlung weitergehen oder eine Runde nachsitzen. Mittlerweile werden aber offene Spielwelten mit zahlreichen Verlaufsmöglichkeiten populär, die Kulissen weichen größeren, offenen Welten, die die Spieler_innen erkunden können.

So etwa in der Serie „Grand Theft Auto“ – einem aufgrund der sexistischen und rassistischen Anklänge eher unrühmlichen Beispiel. Im Gegensatz zum deutlich progressiveren „The Elder Scrolls V: Skyrim“: Beide Spiele ermöglichen es, eine virtuelle Welt abseits „künstlicher Grenzen“ zu erkunden und dennoch in der Handlung „voranzukommen“. „The Stanley Parable“ treibt das Ganze auf die Spitze: Jede Entscheidung hat eine Konsequenz, führt manchmal auf Umwegen zum Anfang zurück und schließlich an eines von zahlreichen möglichen Enden. Mit der Abkehr von Levels geben Videospiele ein Alleinstellungsmerkmal auf, das in seiner Linearität aber sehr traditionell war. Stattdessen schöpfen sie nun in offenen Welten langsam ihr wahres Potenzial aus.

Wie innovativ Spiele sind, wird dennoch in den einschlägigen Publikationen oft weiterhin an der technischen Umsetzung und neuen Fähigkeiten der Spielecharaktere, wie Schwimmen und Klettern, gemessen. Dabei kommen die interessantesten Spiele der letzten Zeit aus einer anderen Ecke: Seit einer Weile gibt es Programme, die allen die Möglichkeit bieten, eigene Geschichten aufzubereiten – von einfachen textbasierten Spielen bis hin zu grafisch aufwendigeren Umsetzungen. Damit wurden Spiele wie Mattie Brices „Mainichi“ über den Alltag als Transfrau und Zoë Quinns „Depression Quest“ geschaffen. Deirdra Kiai nutzte für ihre Stop-Motion-Musical-Detektivgeschichte in Schwarzweiß, „Dominique Pamplemousse“, vor allem analoges Material. Abseits jahrzehntelang recycelter Serien von Shootern und Strategiespielen werden in Zukunft die spannendsten Ideen wohl von jenen kommen, deren Geschichten wir in Spielen bisher noch nicht nachempfunden haben.

 

Helga Hansen ist Projektkoordinatorin im Gleichstellungsbüro der TU Braunschweig. Privat schreibt und spielt sie für herzteile.org.

 

Smartphoneschnitzeljagd

  • 27.10.2014, 16:08

Mit Alexander Pfeiffer, dem Leiter der angewandten Spieleforschung an der Donau Uni Krems, hat progress über Alt-Englisch, virtuelle Schnitzeljagden und Kriegswerbung in Videospielen gesprochen.

Mit Alexander Pfeiffer, dem Leiter der angewandten Spieleforschung an der Donau Uni Krems, hat progress über Altenglisch, virtuelle Schnitzeljagden und Kriegswerbung in Videospielen gesprochen.

progress: Nach welchem Spiel waren Sie als Jugendlicher süchtig?

Alexander Pfeiffer: Mit dem Begriff „Sucht“ muss ich als Gründer des Instituts zur Prävention von Onlinesucht aufpassen. Aber das erste Spiel, mit dem ich die eine oder andere Minute zu viel verbracht habe, war in den 90ern der „Bundesliga Manager Professional“, eine Fußballmanagersimulation. Gemeinsam mit einem guten Schulfreund habe ich oft ganze Nachmittage „durchgelernt“ und zwar Taktiktraining. Wir wussten nahezu alle Spieler aus den deutschen Bundesligen zu dieser Zeit auswendig. Als Kind war mein erstes Spiel mit acht Jahren „Ultima VI“, ein Rollenspiel, bei dem man Held und Vorbild wird, indem man Verdienste in verschiedenen Tugenden erwirbt. So hat „Ultima VI“ für ein Basisgefühl von Ethik gesorgt. Außerdem hat es dazu geführt, dass mein Altenglisch wirklich gut ist und dass ich meine erste Englischschularbeit statt auf Englisch auf Altenglisch geschrieben habe.

Wenn Spiele so viel Fachwissen vermitteln und SpielerInnen zu ExpertInnen ausbilden können – werden dann LehrerInnen und ProfessorInnen in Zukunft obsolet?

Nein. PädagogInnen sind absolut wichtig, um das Lernen zu leiten, um zu didaktisieren. „Ludwig“ ist ein Spiel, in dem man eine virtuelle Welt entdeckt, Experimente durchführt und auch noch lernt, wie man aus Wind Energie macht. Das Spiel funktioniert am besten, wenn es die Kids spielen und die LehrerInnen im Physiklabor dazu die Versuche zeigen. Wenn noch der oder die DeutschlehrerIn zusätzlich eine Nacherzählung über „Ludwig“ schreiben lässt, haben alle gewonnen.

Trotzdem zögern LehrerInnen und ProfessorInnen, Videospiele im Unterricht oder im Lernprozess zu verwenden. Warum?

Aus Unwissen, wegen der meist negativen Medien-Berichterstattung und letztendlich auch, weil es an Angeboten für LehrerInnen fehlt. Doch es wird langsam, aber sicher besser. Es gibt auch immer mehr Studienrichtungen, die „pro“ oder zumindest „fair“ gegenüber Spielen sind. Leider sind Videospiele in der didaktischen Grundausbildung von LehrerInnen und ProfessorInnen noch nicht ganz angekommen, obwohl es mittlerweile auch großartige Leute gibt, die auf spielendes Lernen in ihren Vorlesungen in der Grundausbildung aufmerksam machen.

Ab dem Kindergarten gibt es eine klare Trennung zwischen Spiel und Ernst. Da sind Schule und Uni kein Ort für Spaß. Was macht es so schwierig, Lernen und Spielen wieder zusammenzuführen?

Rund um die Jahrtausendwende waren „EduGames“ im Trend, selbst Nintendo ist hier aufgesprungen. Das Problem war jedoch immer der Medienbruch. Man spielte das Spiel, aber das Lernen und Evaluieren waren aus dem Kontext rausgerissen. Im besten Fall findet kein Lernbruch statt. Spiel und Lernen können dann eventuell sogar in eine perfekte Erzählung eingebunden werden und folgender Formel von Michael Wagner: „Spielziel ist gleich Lernziel“. Was es schwierig macht, im Spielen zu lernen, ist die Tatsache, dass verschiedene Interessen einander in die Quere kommen. Ein Spiel muss freiwillig gespielt werden und sollte keine Auswirkungen auf das reale Leben haben. Wenn ich auf mein gamifiziertes Lernen Noten bekomme, gehen aber die beiden vorher genannten Voraussetzungen für lustvolles Spielen verloren. Ich denke, dass nur mit der gamifizierten Simulation spielerisch gelernt werden kann. Das kann auf die Kosten der Freiwilligkeit gehen, aber der Lerneffekt ist auch im realen Leben gegeben.

Apropos reales Leben. Besteht die Gefahr, dass durch die intensiven Erlebnisse in virtuellen Welten das Gefühl für den eigenen Körper und Lebenssituationen verloren geht?

Nein, keinesfalls. Spiele sind immer ein sicherer Ort, um Dinge auszuprobieren. Ich appelliere an die Eltern, die Kinder selbst und auch die Stadtverwaltung, für schöne, reale und am besten kostenfreie Spiel- und Erlebniswelten zu sorgen. Vielleicht ist die Kombination aus realem und virtuellem Spiel die beste Lösung für die Zukunft: Schnitzeljagden mit dem Smarthone durch das Grätzel, Kicken gehen und mit dem Sport-Armband Punkte sammeln und dafür Items oder Upgrades für das Lieblingsfußballspiel zu erwerben. So etwas macht Spaß und Sinn.

Trotz Partizipations- und Interaktionsmöglichkeiten in Spielen können SpielerInnen nicht einfach tun, was sie wollen. Sie können nur so viel machen, wie ihnen von den SpieledesignerInnen erlaubt wird. Ist das nicht eine scheinheilige Autonomie?

Es gibt zum einen viele verschiedene Spielgenres und zum anderen braucht man sich nur die PlayerInnen-Typisierung von Richard Bartle oder in neuerer Version von Nick Yee ansehen. Anhand derer wird klar, dass SpielerInnen immer wieder genau diese Grenzen ausloten oder auch den GamedesignerInnen Feedback geben, wie es weitergehen könnte, und damit auf die Entwicklung eines Spiels Einfluss nehmen. Auch um das eigentliche Spiel herum entstehen plötzlich – teils auch von Fans produzierte – Bücher, Filme, Comics, Kurzgeschichten und Ähnliches. Das Spiel kann auf jeden Fall mehr als das Video, bei dem man ja nur zusieht. Wobei auch das großartig sein kann. Man muss nicht immer selbst aktiv sein.

Der SPÖ-Politiker Otto Pendl hat vor Kurzem behauptet, Egoshooter hätten dazu beigetragen, junge Menschen für den Jihadismus zu gewinnen.

Genauso wie die US-Armee mit „Americas Army“ für eine Karriere in der Armee wirbt, könnte auch die IS ein Spiel machen, in dem man den Beruf „JihadistIn“ ausüben kann. Das Spiel müsste aber auch „unterhaltsam“ sein, um Verbreitung zu finden, was jedoch bei dieser Thematik schwierig sein wird. Das Beispiel, auf das sich Pendl bezieht, war ein Videozusammenschnitt aus dem Videospiel GTA V, das nicht einmal ein Egoshooter ist. Der direkte Vergleich hinkt dann doch und es ist schade, dass ein digitales Spiel als Sündenbock herhalten muss. Man hätte de facto auch ein Best-of aus Krimi-Büchern oder Ausschnitte aus Hollywood-Filmen zusammenstellen können.

 

Das Interview führte Marlene Brüggemann.

Verein der Freunde des multimedialen Lernens: www.vfml.at

Press Start

  • 25.05.2015, 12:01

Absolutely terrifying
Das erste Computerspiel der Geschichte, das Mathematik- Spiel „Nim“, konnte gegen den Computer NIMROD, der 1951 für das Festival of Britain gebaut wurde, gespielt werden. Ein BBC-Reporter, der es ausprobierte, bezeichnete die Erfahrung als „absolutely terrifying“. Das erste Spiel mit grafischen Elementen war „OXO“, eine Version von „Tic-Tac- Toe“, die 1952 entwickelt wurde. Darauf folgten Kriegssimulationen und Schach-Computer. In den 1960ern verbreitete sich „Spacewar!“ in den Computerlaboratorien US-amerikanischer Universitäten. In den 1970ern begann der Siegeszug der Videospiele mit den Acarde-Spielen, die in Spielhallen und Bars aufgestellt werden. Am erfolgreichsten: die Tischtennis- Simulation „Pong“. In den 1980ern tauchten die ersten Gaming-PCs wie der Commodore 64 auf, bald bevölkerten die Geräte von Nintendo, Sega und Sony (Playstation) die Wohnzimmer. Heute sind Videospiele allgegenwärtig: Hatte der erste Gameboy 1989 noch die Maße eines Ziegelsteins, so trägt nun fast jede_r eine Mini-Spielkonsole in Form eines Smartphones in der Hosentasche.

Super Daisy Land
Videospiele lassen sich aufgrund ihres digitalen Formates leicht verändern. So verschwimmen die Grenzen zwischen Konsument_innen und Entwickler_ innen immer mehr. Vielen Spielen liegt ein Level-Editor bei, mit dem eigene Szenarien gestaltet werden können. Doch selbst dort, wo diese Tools nicht mitgeliefert wurden, finden kreative Köpfe einen Weg, Spiele zu modifizieren und sogenannte Mods, also veränderte Versionen des Originalspiels, zu entwickeln. So gibt es seit längerem Programme, mit denen sich die Grafiken von frühen Nintendo- Spielen ohne Programmierkenntnisse austauschen lassen. So rettet in „Super Daisy Land“ zur Abwechslung die Prinzessin den Installateur. In der Datenbank Mutation.fem finden sich Grafiken und Sounddateien für weibliche Charaktere, um mit ihnen die meist männlichen Helden zu ersetzen. Andere Mods haben fast nichts mehr mit dem ursprünglichen Spiel gemeinsam. Das experimentelle Kunstspiel „Dear Esther“ wurde zum Beispiel mit dem Unterbau eines Egoshooters entwickelt und sogar das berühmte „Counter-Strike“ war ursprünglich eine Mod.

Game over! Insert coin!
Die ersten Acarde-Games kosteten 25 US-Cent pro Spiel. Wer das nötige Geschick hatte, konnte das Spiel in einem Zug durchspielen. Wer verlor und die Game-over-Botschaft sah, konnte sich mit einer weiteren „Quarter“-Münze die nächste Chance kaufen. Spiele und Geschäftsmodelle haben sich seitdem stark verändert: Seit 2009 nimmt die Spieleindustrie mehr Geld ein als die Filmindustrie. 2013 waren es weltweit knapp 52 Milliarden Euro. Allerdings verschlingen große Blockbuster-Titel wie „Grand Theft Auto V“ auch enorme Summen: Produktion und Marketing kosteten 211 Millionen Euro, bis zu 1.000 Menschen arbeiteten an dem Spiel. Neben dem bekannten Modus, einmalig für ein Spiel zu zahlen, haben sich in den letzten Jahren weitere Modelle entwickelt: Bei Online-Multiplayer- Games sind oft monatliche Gebühren fällig, andere Entwickler_innen lassen sich per Crowdfunding ihr Spiel vorfinanzieren. Auf mobilen Plattformen sind „Freemium“-Modelle beliebt: Das eigentliche Spiel ist gratis, aber für bestimmte Spielobjekte, Optionen oder gar leichteren Spielerfolg muss gezahlt werden.

Do it yourself!
Wer selbst ein Spiel entwickeln will, muss heute nicht mehr programmieren können. Mit Tools wie auf stencyl.com oder gamesalad.com lassen sich Spiele kreieren, ohne eine einzige Zeile Code zu schreiben. In ihrem Buch „Rise of the Videogame Zinesters“ beschreibt die Spielentwicklerin Anna Anthropy den Anfang einer neuen Kultur von Hobby-Entwickler_innen, die Games dafür benutzen, ihre persönlichen Geschichten zu erzählen: ein langsamer Paradigmenwechsel von grafisch perfekten Studio-Blockbustern zu selbstgemachten, oft experimentellen Spielen, die gute und ergreifende Geschichten erzählen. Manche Hobby-Entwickler_innen nehmen an Marathons teil und klicken innerhalb von ein paar Stunden mit dem eigentlich für Kinder gedachten Entwicklungstool „Klik & Play“ ein Spiel zusammen. Wer sich mit Text wohler fühlt, kann mit „twine“ (twinery.org) eigene Textabenteuer schreiben, die als Webseite veröffentlicht werden können. Der eigenen interaktiven Geschichte stehen also nur noch so lästige Dinge wie Hausarbeiten und Prüfungen im Weg.

ÖH-Simulator 3000
Politiker_innen reden nicht sehr oft über Videospiele. Meistens werden Verbote oder Indizierungen von sogenannten „Killerspielen“ diskutiert, im besten Fall werden Spiele als Industrie und damit als Wirtschaftsfaktor wahrgenommen. Um diese Berührungsängste abzubauen, fand 2011 im deutschen Bundestag eine LAN-Party statt. In Österreich wurde das Medium Computerspiel schon von Politiker_innen im Wahlkampf benutzt: Das geschmacklose Minarett-Spiel der FPÖ Steiermark ist ein abschreckendes Beispiel. Spieler_innen haben in vielen anderen Spielen aber die Möglichkeit, in die Rolle von Politiker_innen zu schlüpfen: als Bürgermeister_ in in „Sim City“ oder Diktator_in einer kleinen tropischen Insel in „Tropico“. Wer ein ganzes Land nach seinen politischen Vorstellungen regieren will, kann das in „Democracy“ ausprobieren. Sachzwänge und verschiedene Interessensgruppen können die eigene Utopie dabei aber vermiesen. Einzig eine ÖH-Simulation fehlt noch im Reich der Politik-Spiele.

Grenzen des Spiels
Was ist eigentlich ein Spiel? Die Entwicklerin Anna Anthropy definiert Spiele als „an experience created by rules“, also eine Erfahrung, die durch Regeln zustande kommt. Das trifft allerdings auch auf die Steuererklärung zu, die auch durch diese Definition nicht spaßiger wird. Experimentelle Spiele brechen mit den Konventionen des Mediums und stellen die Frage, was überhaupt alles ein Videospiel sein kann, immer neu. In dem als Kunstprojekt programmierten „The Endless Forest“ nehmen die Spieler_innen die Rolle eines Hirsches ein, den sie durch einen endlosen Wald navigieren können. Viel mehr Inhalt hat das Spiel nicht: Mit anderen Spieler_innen lässt sich durch verschiedene Aktionen nonverbal kommunizieren, aber es gibt keine Ziele oder Levels. In „Desert Bus“ kann die achtstündige Busfahrt von Tucson nach Las Vegas nachgespielt werden – in Echtzeit, ohne Möglichkeit zum Pausieren oder Speichern. Wer das schafft, darf zur Belohnung wieder zurückfahren.