Frauenbewegung

Die Suffragetten im Kino

  • 10.03.2016, 18:18
Protest, Hungerstreik, Bomben. Die Aktionen der sogenannten „Suffragetten“ sind fast in Vergessenheit geraten. 100 Jahre später kommt der Kampf ums Wahlrecht und um die Gleichstellung von Mann und Frau ins Kino. Der Film „Suffragette – Taten statt Worte“ zeichnet die historischen Ereignisse nach.

Protest, Hungerstreik, Bomben. Die Aktionen der sogenannten „Suffragetten“ sind fast in Vergessenheit geraten. 100 Jahre später kommt der Kampf ums Wahlrecht und um die Gleichstellung von Mann und Frau ins Kino. Der Film „Suffragette – Taten statt Worte“ zeichnet die historischen Ereignisse nach.

Im Abspann wird es spannend. Es sind Zahlen und Länder, die vor Augen führen, wann das Frauenwahlrecht umgesetzt wurde: 1918 in Österreich, 1920 in den USA, 1944 in Frankreich, 1971 in der Schweiz und 1974 in Jordanien. In Saudi-Arabien haben Frauen seit 2015 das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen.

Keine Vielfalt. Es ist erstaunlich, dass es mehr als 100 Jahre gedauert hat, bis der Kampf der „Suffragetten“ (von englisch/französisch „suffrage“ – Wahlrecht) filmisch verarbeitet worden ist. Oder vielleicht auch nicht: Denn Frauen spielen in der Filmindustrie, sowohl auf der Leinwand wie auch hinter den Kulissen, eine Minderheitenrolle. Die Geschichte von Frauen wird selten erzählt – und wenn, dann als kitschige „Sissi“-Variante. Nur 17 Prozent der Mitglieder jener Jury, die Jahr für Jahr die Oscars vergibt, sind Frauen. Die tragenden Figuren in den 100 erfolgreichsten Hollywood-Produktionen sind der Studie „It’s a Man’s (Celluloid) World“ von Martha M. Lauzen zufolge vorwiegend männlich.

Kein Wunder also, dass sich bisher nur wenige Filme und Serien dem Thema gewidmet haben. 1964 singt Winifred Banks in Walt Disneys „Mary Poppins“ den Song „Sister Suffragette“ – eine frühe Hommage an die Frauenrechts- Bewegung und deren prominente Vorkämpferin, Emmeline Pankhurst (1858-1928). Die Erfolgs-Serie „Downton Abbey“ lässt in einer Episode Lady Sybil zur Suffragette werden. In der Serie „Upstairs, Downstairs“ wird Elizabeth während einer Demonstration verhaftet und gerät mit anderen Suffragetten sowie Serienfigur Rose in Gefangenschaft. Hinter Gittern wird Rose Zeugin von Zwangsernährung und Misshandlung. 2013 strahlte die BBC die Sitcom „Up the Women“ aus. Der Kampf um Frauenrechte wird darin geographisch von London nach Banbury verlagert. Margaret (gespielt von Jessica Hynes) versucht, ihre Handarbeitsgruppe in eine Suffragetten- Gruppe zu verwandeln, erhält jedoch Gegenwind von Gruppenmitglied Helen (Zitat: „Das aktuelle System funktioniert perfekt. Ich sage meinem Mann, was er wählen soll.“). In „Up the Women“ steht interessanterweise nicht der Kampf „Frauen gegen Männer“ im Vordergrund: Hier stehen sich Frauen gegenseitig im Weg. Nach zwei Staffeln mit neun Episoden lief die durch Ironie und Wortwitz glänzende Sitcom 2015 aus.

Zum ersten Mal aber steht mit bei „Suffragette – Taten statt Worte“ eine ganze Kinoproduktion – und nicht nur einzelne Episoden oder eine Fernsehserie – im Zeichen des Kampfs um das Wahlrecht für Frauen.

Eine von vielen. Die Entscheidung der Regisseurin einen einzelnen Menschen zu porträtieren – und nicht etwa die Galionsfigur der Suffragetten, Emmeline Pankhurst – erweist sich als richtig. Carey Mulligan brilliert in der Rolle der fiktiven Wäschereimitarbeiterin Maud Watts. Seit ihrer Kindheit schuftet sie in einer Wäscherei im Londoner East End, wird vom Fabrikanten missbraucht und ohne schulische Ausbildung zu einem tristen Dasein verurteilt. Machtlos, weil rechtelos – was ihr Kind, ihre Arbeit und die Politik betrifft. Zufällig, über ihre Kollegin Violet, gerät sie in Kontakt mit der Suffragetten-Bewegung und beschließt sich zu engagieren. Emmeline Pankhurst dagegen, die historisch bedeutsame Frauenrechtlerin, hat, gespielt von Meryl Streep, nur einen Fünf-Minuten-Auftritt. Ihre Rede an die Frauen geht nicht nur Maud Watts ins Ohr, sondern auch den ZuschauerInnen 2016 im Kinosaal.

Es geht dabei – und das ist ein wesentlicher Verdienst von Regisseurin Sarah Gavron – nicht nur um das Frauenwahlrecht. „Ein anderes Leben ist möglich“, lässt die Regisseurin Maud sagen, und drückt damit aus, worum es den Suffragetten auch ging: Den besseren Zugang zu Arbeit und Bildung.

„Deeds, not words“. Nach diesem Motto kämpften um die Jahrhundertwende tausende Frauen aus allen Schichten der Gesellschaft in Großbritannien und den USA für ihre Rechte. Nachdem jahrzehntelang friedliche Mittel nicht zum Erfolg geführt hatten, änderten die Suffragetten gegen 1910 ihre Taktik. Sie setzten Landsitze in Brand, sprengten Briefkästen, warfen Steine in Schaufenster und wehrten sich mit Hungerstreiks gegen miserable Haftbedingungen. Die Behörden reagierten mit Zwangsernährung, Inhaftierung und Überwachung auf die militanten Aktionen.

Die spektakulären Aktionen der Suffragetten stellt die Regisseurin im Film nicht in Frage. Gewalt als radikales Mittel zum Zweck erscheint legitim. Eines war den Suffragetten durch ihre Aktionen jedenfalls sicher: die Aufmerksamkeit von Medien und Öffentlichkeit. Am 4. Juni 1913 warf sich Emily Wilding Davison beim English Derby in Epsom vor ein königliches Pferd und verstarb einige Tage später. Ob Unfall, Leichtsinn oder Selbstmord – sicher war den Suffragetten das Licht der Wochenschau-Kameras beim Begräbnis von Davison, der zum gewaltigen Protestzug der wurde. Die Original-Wochenschauaufnahmen geben dem Film von Gavron Glaubwürdigkeit – und beeindrucken auch heute noch.

Susanne Weber hat Politikwissenschaft in Wien und Brüssel studiert und arbeitet als Pressereferentin.

Who Needs Feminism?

  • 07.03.2014, 19:39

Um verschiedene, individuelle Aspekte von Feminismus zu zeigen, hat die BAGRU Gender Studies diese Fotoaktion in die Wege geleitet. In dieser werden ein paar Gründe, warum wir jeden Tag Feminismus brauchen sichtbar.

Um verschiedene, individuelle Aspekte von Feminismus zu zeigen, hat die BAGRU Gender Studies diese Fotoaktion in die Wege geleitet. In dieser werden ein paar Gründe, warum wir jeden Tag Feminismus brauchen, sichtbar.

Feminismus brauchen wir nicht nur am Internationalen Frauen*tag, dem 8. März, sondern 365 Tage im Jahr. Und 366 Tage in einem Schaltjahr. Weil es strukturelle, ökonomische, sexualisierte, physische und psychische Gewalten gegen Frauen* gibt, die nicht nur einmal jährlich thematisiert werden dürfen.

Wir brauchen keine Gleichheit der Geschlechter, die sich an männlichen Standards orientiert. Denn die Pluralität von Lebensweisen muss möglich sein.

Wir wollen keine Pflegearbeit und Kinderbetreuung verrichten, nur weil das traditionell in den Aufgabenbereich von Frauen* fällt. Wir wollen gerechte Entlohnung, Aufteilung und Wertschätzung dieser Arbeit. Solche wichtigen gesellschaftlichen Aufgaben dürfen nicht unter- oder unbezahlt auf Frauen abgewälzt werden.

Wir wollen, dass die Talente und Berufsziele von Frauen* und Mädchen* gefördert werden. Egal, ob wir uns nun für Naturwissenschaft, Technik, Pädagogik, Musik, oder fürs Briefmarkensammeln interessieren.

Wir wollen nachts alleine nach Hause gehen oder alleine ins Taxi steigen können, ohne blöd angemacht zu werden. Die Straße und das öffentliche Leben gehören uns allen, jederzeit.

Wir wollen lieben, wen wir wollen, tragen, was uns gefällt und uns benehmen, wie wir wollen. Ohne uns dafür rechtfertigen zu müssen.

Zauberwort: Selbstbestimmung!

Wir lassen uns nicht zu Konkurrentinnen machen. Wir sind Frauen, Mädchen, Lesben, Inter- und Trans*personen und wir sind solidarisch zu allen Gruppen, die durch patriarchalische Strukturen an den gesellschaftlichen Rand gedrängt werden.

Foto: Bagru Gender Studies

Foto: Bagru Gender Studies

Foto: Bagru Gender Studies

Foto: Bagru Gender Studies

Foto: Bagru Gender Studies

Foto: Bagru Gender Studies

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Foto: Bagru Gender Studies

Foto: Bagru Gender Studies

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„Plötzlich verprügelte man Frauen“

  • 07.03.2014, 12:34

Sogol Ayrom (*1970) ist eine iranisch-österreichische Aktivistin, die für Frauen- und Menschenrechte im Iran kämpft. Im Interview mit progress-online erklärt sie, wieso das iranische Regime frauenfeindlich ist, unter welchen Restriktionen die IranerInnen leiden müssen und warum sie trotz allem Hoffnung hat.

Sogol Ayrom (*1970) ist eine iranisch-österreichische Aktivistin, die für Frauen- und Menschenrechte im Iran kämpft. Im Interview mit progress-online erklärt sie, wieso das iranische Regime frauenfeindlich ist, unter welchen Restriktionen die IranerInnen leiden müssen und warum sie trotz allem Hoffnung hat.

progress online: Wann und warum hast du begonnen gegen das iranische Regime zu kämpfen?

SOGOL AYROM: Ich habe im Alter von 14 Jahren entschieden, dass ich nicht mehr im Iran leben möchte. Der Grund dafür war, dass ich in diesem Alter wegen meiner unzureichenden Kopfbedeckung verhaftet und eingesperrt wurde. Später wurde ich vor einem Gericht zu 60 Peitschenhieben verurteilt, die durch einen Mann vollzogen wurden. Ob mich das eingeschüchtert hat? Nein, ganz im Gegenteil. Ich weigerte mich, mich zu unterwerfen und begann kritisch über den Islam im Allgemeinen und über die Frauenunterdrückung im Iran nachzudenken. Und ich habe mich in kleineren Gesellschaften, in der Familie und in der Schule ausgetauscht.

In diesem Alter habe ich begonnen, mich aktiv gegen dieses Regime zu positionieren. Allerdings gab es schon damals eine enorme Repression gegen Andersdenkende. Deshalb sagte ich zu mir selbst: ‚Ich will hier nicht weiterleben. Ich kann hier nicht leben. Ich möchte nicht, dass meine Töchter in diesem System aufwachsen müssen.’ Glücklicherweise hatte ich Bekannte in Frankreich, zu denen ich mittels eines Studentenvisums flüchten konnte. Mein Vater musste eine hohe Kaution für mich hinterlegen und bekam selbst ein Ausreiseverbot, um mich zu einer Rückkehr zu verpflichten. Diese Bürgschaft führte dazu, dass er niemals den Iran verlassen konnte und daher auch dort verstarb.

1979 wurde im Iran im Zuge der „Islamischen Revolution“ der Schleierzwang eingeführt. Wie war die damalige Situation?

Man sollte sich die Bilder von iranischen Universitäten vor 1979 ansehen. Wir waren genauso wie im Westen gekleidet. Wir hatten sehr viele zivile Freiheiten und niemand hatte vor der Polizei Angst. Frauen waren in allen möglichen Ämtern, sei es in Ministerien oder als Richterinnen. Wir hatten Frauen in Top-Positionen und der Schah hat das damals auch unterstützt. Frauen genossen bereits ab 1963 ihr Wahlrecht – viel früher etwa als in der Schweiz. Das kam im Zuge der weißen Revolution (Anm.: Reformprogramm, das von Schah Mohammad Reza Pahlavi durchgesetzt wurde), wo viele Freiheiten und Rechte sogar Frauen zugesprochen wurden. Frauen waren bis 1979 weitestgehend gleichgestellt, bis es hieß, dass eine islamische Regierung das ehemalige Regime übernehmen wird. Viele Aktivisten – auch linke Frauen und Männer – haben das unterstützt, oft ohne wirklich zu wissen wie das Leben in einem islamischen Staat ist. Sie haben blind mitgemacht. Natürlich ließ man zuerst verlautbaren, dass niemand dazu gezwungen werde einen Hijab zu tragen. Kaum waren sie jedoch gewählt, gab es Spezialeinheiten, die die Einhaltung der Scharia gewährleisten sollten - etwa die „Sittenwächter“ oder die „Pasdaran“.

Plötzlich verprügelte man Frauen, oder man bewarf sie mit Säure, wenn sie kein Kopftuch trugen. Das hatte natürlich zur Folge, dass viele aus Angst das Kopftuch getragen haben. Mir Hossein Mussawi, 1981 und 2009 iranischer Premierminister, ein angeblicher „Reformer“, hat damals ein Gesetz beschlossen, das die Kopftuchbekleidung nur noch in grauer, dunkelblauer, schwarzer oder brauner Farbe erlaubte. Ich kann immer noch nicht verstehen, wieso man sich von ihm Besserung erhoffte.

Sogol Ayrom berichtet David Kirsch über ihr Leben im Iran. Foto: Christopher Glanzl

Du hast erwähnt, dass die Menschen nach 1979 sehr viel Angst gehabt hätten. Gab es damals bereits Proteste gegen den Schleierzwang?

Am Anfang schon. Ich kann mich noch gut erinnern, dass sogar viele Frauen, die bereits vor 1979 das Kopftuch freiwillig trugen – da hatte man ja noch eine Wahl – gegen diesen Zwang mitprotestiert haben. Das hat allerdings nur Verhaftungen und noch mehr Unterdrückung hervorgebracht, weil  unsere Männer damals geschwiegen und nicht mitgemacht haben.

Du meinst, dass man die Frauen damals alleine gelassen hat?

Ja, sie wurden alleine gelassen. Jedoch gibt es seit jeher unter den iranischen Frauen einen starken Zusammenhalt. Das Regime hat es niemals geschafft sie völlig zu kontrollieren, weil die Frauen sich immer wieder auf verschiedenste Art und Weise gewehrt haben. Sie haben immer einen Weg gesucht – trotz des Hijabs – sich schick und modern zu kleiden. Die größte aktive Oppositionsgruppe im Iran waren immer schon die Frauen. Man hat ihnen schließlich die Möglichkeit genommen über ihr Leben zu entscheiden. So ist es auch Shirin Ebadi (Anm.: bekannte Menschenrechtsaktivistin und Nobelpreisträgerin) geschehen. Sie war vor 1979 Richterin, später hat man sie zur Anwältin herabgestuft.

Natürlich haben viele Frauen für ihre Arbeitsplätze und ihre Posten gekämpft, um weiterhin aktiv in der Gesellschaft mitzuwirken. Der Grund, wieso das Regime es nicht geschafft hat, den Iran in ein Land wie Saudi-Arabien umzuwandeln, war der Widerstand der Frauen.

Der Widerstand der Frauen ist also heute noch sichtbar, da diese immer wieder Wege finden, um sich dem Sittenkodex zu entziehen.

Das sind oft total ausgefallene Ideen. Die iranischen Frauen sind kreativ. Obwohl sie immer wieder erniedrigt, geschlagen und verhaftet werden, wenn sie erwischt werden. Sie nehmen all das trotzdem immer wieder in Kauf, weil sie sich einfach nicht den Mullahs beugen wollen. Bereits während der Grünen Bewegung (Anm.: Protestwelle im Iran 2009), als das 30-jährige Schweigen durchbrochen wurde, waren die Frauen in dieser Bewegung an vorderster Front.

Wie du schon erwähnt hast, schien es 2009 so, als wäre eine Art Umsturz im Iran möglich. Was lief damals schief?
Die Bewegung wurde von den westlichen Staaten alleine gelassen. Einerseits wurde der nicht weiter definierte Wunsch nach Veränderung - den diese Bewegung dargestellt hat -, so interpretiert als hätte man bloß gewollt, dass Moussawi die Wahl gewinnen sollte. In den Reihen der Protestierenden waren jedoch nicht nur Reformisten, sondern auch viele, die einen regime change forderten. Die breite Masse war bereit dieses Regime zu stürzen. Wenn ich mit vielen Leuten rede, die vor 5 Jahren mitdemonstriert haben, höre ich oft, dass diese es Moussawi nicht verzeihen, dass er ihnen befohlen hat, nach Hause zu gehen und Ruhe zu bewahren. Am 25. Bahman (Anm.: persische Bezeichnung für den Monat vom 21. Januar bis 19. Februar) hätten wir dieses Regime stürzen können. Die Bewegung dachte, Moussawi würde deren Rücken stärken, aber die Enttäuschung war sehr groß als er offiziell gesagt hat:  „Islamische Regierung kein Wort mehr oder weniger“.

Der Protest hat sich aber wieder gelegt, da das Regime diese Niederlage nutzte, um Zeit zu gewinnen und sich zu mobilisieren. Aber die Bewegung ist immer noch da. Bloß wollen diese Leute davon ausgehen können, dass die westlichen Staaten sie unterstützen und sie möchten wissen, wogegen sie auf die Straße gehen. Sie wissen aber, dass sie dieses Regime nicht weiter haben wollen. Es soll nicht wie damals 1979 sein, wo es nur darum ging, dass der Schah gehen solle und es egal war, was danach kommt. Das haben wir aus der Geschichte gelernt.

"Es soll nicht wie damals 1979 sein, wo es nur darum ging, dass der Schah gehen solle und es egal war, was danach kommt. Das haben wir aus der Geschichte gelernt". Foto Christopher Glanzl

Wie ist die gesetzliche Lage für Frauen heute und mit welchen Restriktionen haben sie zu kämpfen?

Im Iran sind die Gesetze grundsätzlich sehr frauenfeindlich. Als Frau ist man eine Bürgerin zweiter Klasse. Denn du kannst als Frau nicht einfach einen Pass bekommen, ohne dass dein Mann oder dein Vater dir dafür die Genehmigung erteilt. Auch im Scheidungsrecht werden Frauen stark benachteiligt. Beruflich ist es für Frauen sehr schwierig hohe Ämter zu bekleiden. Die Frauen geben aber nicht auf und im Iran gibt es einen sehr hohen Anteil an Studentinnen. Natürlich würden die Kleriker die Studentinnen am Liebsten nach Hause schicken, aber das können sie nicht einfach so machen.

Grundsätzlich verhält sich die iranische Jugend ja versteckt widerständig. Verbotene Dinge, die man tun möchte, muss man im Untergrund machen. Homosexuelle Jugendliche etwa, sind gezwungen ihre Homosexualität im Untergrund auszuleben. Es soll beispielsweise eine Art moderne Parallelgesellschaft in Teheran geben.

In iranischen Großstädten sind Frauen und Männer viel offener zueinander als in manchen Dörfern, in denen ja weniger Studierende leben. Umso höher der Bildungsgrad ist, desto geringer sind die Restriktionen, denen die Frauen unterworfen sind. Die iranischen Untergrundpartys, die du angesprochen hast, gab es bereits zu meiner Zeit. Wir mussten uns zu Hause treffen und wir wurden natürlich oft verhaftet. Aber das konnte uns nicht abhalten. Sobald wir aus der Untersuchungshaft entlassen wurden, planten wir die nächste Party. Das Regime dachte bisher immer, dass die Kinder der Revolution die Wächter der Revolution bleiben würden. Man hat aber vergessen, dass durch das Internet die ganze Wahrheit ans Licht kommen kann, denn die iranische Jugend informiert sich. Ein Blick in das Fotoalbum der Familie reicht schon und es springen ihnen Fotos von ihren Eltern entgegen, die ein sicheres, freies und glückliches Leben hatten. Natürlich gab es auch früher nicht so viel politische Freiheit. Aber wenn man bedenkt, dass damals Leute im Gefängnis saßen, die als politische Gefangene galten und die heute in der Regierung sitzen - Khamenei, Rafsanjani – all die sollten meiner Meinung nach wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht gestellt werden. Für die meisten im Iran ist das, was sie jetzt erleben, einfach unerträglich und viele fragen deshalb auch vorwurfsvoll ihre Eltern: „Warum habt ihr eine Revolution gemacht?“ Die iranische Jugend sieht sich selbst als eine  „verbrannte Generation“.

Zurück zu deiner Frage: Ich kann mich noch daran erinnern, dass meine Nachbarn zwei homosexuelle Männer waren, die zusammen in einem Haus lebten. Man akzeptierte das. Die Akzeptanz der Homosexualität fand während der 1970er Jahre auch im Iran statt. Nach der Revolution war das jedoch gegen die islamischen Gesetze und wurde somit zu einem Hinrichtungsgrund. Deshalb flüchten Homosexuelle in den Untergrund. Momentan ist die Homosexualität immer noch ein Tabu im Iran. Das hindert jene Menschen aber nicht, sich dazu zu bekennen – nur müssen sie in der Öffentlichkeit dazu schweigen. In deren Familien und in den eigenen vier Wänden wird diese aber oft akzeptiert. 

Du meinst also, dass das Private der einzige selbstbestimmte und freigestaltete Raum im Iran ist?

Genau so ist es. Früher hat man sich in Cafes und Bars getroffen. Da man sich heute nicht mehr draußen treffen kann, passiert das alles in den eigenen vier Wänden.

Gehen wir in das Jahr 2013. Anlässlich der Wahl von Hassan Rohani zum Präsidenten des Iran hoffte man lange, dass dieser nun einige Veränderungen umsetzen würde. Was kann sich die iranische Frauenbewegung und die Jugend von ihm erwarten?
Warum Hassan Rohani an die Macht gekommen ist, hat einen einfachen Grund. Das islamische Regime hat gemerkt, dass seine Säulen wackelig sind. Ich bezeichne Rohani oft als einen schlauen Fuchs, der sich nach außen gut zu verkaufen weiß. Das Regime hat sich lediglich in der Darstellung geändert, nicht aber  im Inhalt. Die Zahl der Hinrichtungen, die in den ersten sechs Monaten der Präsidentschaft von Rohani durchgeführt worden sind, ist doppelt so hoch, wie jene während der letzten sechs Monate von Ahmadinejads Amtszeit. All die Wahlversprechen von Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit sind natürlich nicht eingehalten worden. Vor kurzem wurde eine iranische Zeitung geschlossen, weil ein Artikel in ihr Kritik an der Steinigung von Frauen geübt hatte und die Kleriker behaupteten, dass der Artikel gegen die islamischen Sitten verstoßen würde. Ich bin hinsichtlich Rohani sehr skeptisch. Meiner Ansicht nach hat das Regime nur einen Weg gefunden um seine wackeligen Säulen, die 2009 bereits beinahe am Stürzen waren, zu festigen. Mit dem kürzlich geschlossenen Atom-Abkommen mit dem Westen hat der Iran nun eine wohlwollende Presse bekommen. Meine Sorge sind aber die Frauen- und Menschenrechte, die im Iran so völlig außer Acht gelassen werden, dass man es nicht mehr nur als Menschenrechtsverletzungen abkanzeln kann, sondern als Verbrechen an der Menschlichkeit. Doch gerade auf diese wird vergessen.

Ein Freund von mir hat vor kurzem eine passende Anekdote für die momentane Situation geliefert: Das iranische Regime ist wie ein Zelt. In der Mitte gibt es eine Säule: das ist Ayatollah Khamenei. Es gibt viele verschiedene Säulen rundherum, die zur Instandhaltung der mittleren Säule dienen. Das können dann die Frauenrechte und der Kopftuchzwang, die Exekutionen, die Presse- oder Meinungsfreiheit sein. Was wir in den letzten 35 Jahren versucht haben, war die mittlere Säule zu attackieren. Nun versucht man die anderen Säulen, die das ganze Zelt halten, zum Einsturz zu bringen. Ich glaube, dass es zu einigen Änderungen kommen wird. Denn die Machthaber können nicht mehr ausschließlich die Hardliner-Linie nachverfolgen, schon alleine aus strategischen Gründen nicht. Die Menschen werden von einer Säule zur nächsten Säule wandern und am Ende wird von diesem Mullah-Regime nichts mehr übrig bleiben, weil die Menschen Säkularismus wollen. Das wird das Ende des Gottesstaates im Iran sein - und zwar für immer.

Wieso hat man im Westen einen dermaßen verzerrten Blick auf die islamische Welt? Trotz all der grassierenden Frauenfeindlichkeit in den muslimischen Ländern wird am Weltfrauentag der Iran kaum erwähnt.

Der Iran war vor 1979 ein säkularer Staat. Frauen hatten einen Platz in der Gesellschaft. Sie waren in dieser sogar sehr aktiv. Es gibt bereits seit langer Zeit eine Frauenbewegung im Iran. In anderen muslimischen Ländern, die von Anfang an muslimische Staaten waren, etwa Qatar, Saudi Arabien, Sudan, wurden die Frauenbewegungen von der Geburtsstunde der Nation an unterdrückt. In Ländern wie der Türkei, die eigentlich säkulare Staaten sind, in denen jedoch immer wieder die Islamisten die Oberhand gewinnen und dabei immer repressiver werden, wird auch die Frauenbewegung wieder stärker werden. Die Frauen werden aktiver und wehren sich gegen diese fundamentalistischen Gesetze wie etwa in Ägypten oder im Libanon. Nicht, dass die Frauen in anderen muslimischen Ländern nicht unglücklich wären und es gerne anders hätten. Sie haben allerdings kaum eine Möglichkeit ihre Stimme zu erheben. Der Westen sollte untersuchen, warum in diesen anderen Ländern keine Frauenbewegung entstanden ist. Es ist klar, der Islam, so wie er in diesen Ländern geführt wird, ist nun einmal eine frauenfeindliche Religion.

Sogol Ayrom ist immer ihren eigenen Weg gegangen. Selbst die iranischen Revolutionswächter konnten sie nicht einschüchtern. Foto: Christopher Glanzl

Du setzt dich ja bereits seit langer Zeit für Frauenrechte ein. Was kann ein politisch aktiver Mensch unternehmen, um die Frauenrechte im Iran zu stärken?

Ich setze mich allgemein für Menschenrechte ein. Aber dadurch, dass ich eine Frau bin, kann ich natürlich auch die Stimme meiner iranischen Mitbürgerinnen im Ausland sein. Was ich mir wünsche ist, dass dieser Kopftuchzwang verschwindet. Die Frau soll entscheiden, ob sie eines tragen möchte oder nicht. Dafür setzen wir uns ein. Vor kurzem habe ich ein Video gesehen, in dem eine junge Frau ohne Kopftuch auf der Straße gegangen ist. Das hat für Jubel gesorgt. Doch das traut sich noch kaum jemand. Aber wenn diese Tabus verschwinden, werden wir das häufiger sehen.

Zudem sind die Gesetze im Iran sehr frauenfeindlich und Frauen besitzen nur halb so viel Vermögenswerte wie ihre Männer. Im Falle einer Erbschaft bekommt die Tochter der Familie die Hälfte von dem, was der Bruder erbt. Frauen haben überhaupt keine Scheidungsrechte. Das bewirkt, dass viele Frauen in gewalttätigen Familien bleiben und keine Möglichkeit zur Flucht haben. Immer mehr Frauen bleibt nur die Prostitution als Ausweg, wenn die Eltern oder der Gatte verstorben sind. Denn es gibt keine Frauenhäuser im Iran und Frauen werden sehr leicht zu Drogenopfern. Das sind die Dinge, für die ich mich einsetzen möchte. Was wir aber alle können, ist sich gegen Unterdrückung einzusetzen, „nein“ zu sagen und unermüdlich für das, woran wir glauben, zu kämpfen!

 

David Kirsch studiert in Wien und schreibt auf exsuperabilis.blogspot.com

 

 

Free Angela and all political prisoners

  • 05.03.2014, 16:15

Free Angela and all political prisoners von Shola Lynch erzählt, wie Angela Davis, politische Aktivistin, Kommunistin, Feministin, Wissenschaftlerin und Ikone der Schwarzen Widerstandsbewegung, im Jahr 1970 eine der zehn meist gesuchten Personen der USA werden konnte. Manu Banu rezensierte den Film für progress online im Rahmen des This Human World-Festivals.

Free Angela and all political prisoners von Shola Lynch erzählt, wie Angela Davis, politische Aktivistin, Kommunistin, Feministin, Wissenschaftlerin und Ikone der Schwarzen Widerstandsbewegung, im Jahr 1970 eine der zehn meist gesuchten Personen der USA werden konnte. Manu Banu rezensierte den Film für progress online im Rahmen des This Human World-Festivals.

Am 7. August 1970 versuchte der 17-jährige Jonathan Jackson durch eine Geiselnahme im Gerichtsgebäude von Marin County, die Freilassung seines inhaftierten Bruders George Jackson zu erpressen. Bei der Flucht kam es zu einer Schießerei mit der Polizei, bei der ein Richter, Jonathan Jackson und zwei weitere Personen getötet wurden. Die Waffen, die bei Jackson gefunden wurden, waren auf den Namen von Angela Davis registriert. Nur wenige Tage später wurde die Fahndung nach Davis ausgeschrieben, woraufhin sie die Flucht ergriff. Angela Davis kam als dritte Frau in der amerikanischen Geschichte auf die Top 10-Liste der FBI der meist gesuchten Verbrecher_innen.

Mit den Originalaufnahmen vom 7. August 1970 beginnt die Regisseurin Shola Lynch ihren Dokumentarfilm Free Angela and all political prisoners. Der Film gibt nicht nur Einblick in das Leben einer sehr mutigen und intelligenten Frau und ihren Kampf für Gerechtigkeit und Freiheit, sondern auch in aufwühlende Zeiten der amerikanischen Geschichte. Es ist eine Zeitreise in die späten 1960er und frühen 1970er Jahre, in Zeiten des Vietnamkrieges, der Bürgerrechts- und Friedensbewegungen und des Schwarzen Widerstands gegen die amerikanische Regierung und den herrschenden Rassismus.

Acht Jahre hat Shola Lynch am Dokumentarfilm Free Angela gearbeitet, vier bis fünf Jahre wären es geworden, wenn sie keine Finanzierungsschwierigkeiten gehabt hätte. Lynch wollte so detailliert wie möglich die Wahrheit ans Licht bringen, weshalb sie besonders viele Fakten gesammelt und im Film integriert hat – unter anderem in Form von Archivfilmmaterial, Fotos und Zeitungsausschnitten. Free Angela ist nicht ihr erster Film über eine politische Person, genauer gesagt über eine politisch aktive schwarze Frau. 2004 wurde ihr preisgekrönter Film Chisholm '72: Unbought & Unbossed über die erste schwarze Kongressabgeordnete Shirley Chisholm im Rahmen des Sundance Film Festivals gezeigt. Lynch ist es wichtig, mit ihren Filmen die hegemoniale Geschichtsschreibung zu durchbrechen und die Geschichten von schwarzen Frauen, die in den USA unsichtbar gemacht werden, zu erzählen. Mit Free Angela and all political prisoners ist ihr ein Dokumentarfilm gelungen, der durchaus dieselbe Spannung wie ein Politkrimi aufbringt. Gerade das Archivfilmmaterial, das Lynch im Film verwendet, gibt diesem eine gewisse Lebendigkeit und Authenzität. Wir erleben eine kämpferische junge Frau, die mit einem Lächeln und erhobener Faust den Gerichtssaal betritt. Die Regisseurin lässt Angela Davis, aber auch andere Personen, die in den Prozess involviert waren, selber zu Wort kommen und die Geschichte erzählen. Zwischendurch kommen ein paar wenige Nachstellungen vor, die die Einsamkeit der Haft besonders betonen. Musikalisch untermalt Jazz, insbesondere die Musik von Max Roach, den Geist der Zeit.

Die Politisierung von Angela Davis. Angela Davis ist in Birmingham, Alabama in einer Mittelschichtsfamilie aufgewachsen, in einem Viertel, das in den 1960er Jahren auf Grund der zahlreichen rassistischen Sprengstoffanschläge auch als „Dynamite Hill“ bekannt war. Bereits in ihrer Jugend kam sie in Kontakt mit kommunistischen Gruppen. Auf Grund ihrer guten Leistungen erhielt sie ein Stipendium für die Brandeis University in Massachusetts, wo sie ihren ersten Mentor Herbert Marcuse kennen lernte. Sie studierte in Paris an der Sorbonne und in Frankfurt an der Goethe-Universität bei Adorno und Horkheimer. Während ihres Aufenthalts in Deutschland wurden die Bürgerrechts- und Freiheitsbewegungen in den USA immer bedeutender, was Davis letztendlich 1967 zu einer Rückkehr bewegte. Sie hatte intensiven Kontakt zur Black Panther Bewegung, trat 1968 der KP der USA bei und wurde Mitglied des Che-Lumumba Clubs, der von schwarzen Kommunist_innen gegründet wurde, um stärker auf rassistischen Strukturen hinzuweisen. Angela Davis entwickelte sich zu einer wichtigen Kapitalismus- und Rassismuskritikerin und wurde insbesondere für ihren Einsatz für politische Gefangene bekannt.

1969 bekam Angela Davis eine Stelle als Philosophiedozentin an der University of California – Los Angeles (UCLA), ihr Vertrag wurde jedoch kurz nach ihrer Einstellung auf Drängen von Ronald Reagan, damals noch Gouverneur von Kalifornien, gekündigt. Der Grund war ihre Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei der USA. Die Entlassung löste eine riesige Protestwelle aus. Vom Dekan der Philosophie erhielt Angela Davis die Möglichkeit, eine außerplanmäßige Vorlesungsreihe zu halten – in der ersten Vorlesung kamen statt der 167 angemeldeten Student_innen über 2000.

Von Top 10 Most Wanted zur Ikone. Angela Davis wurde am 13. Oktober 1970 in New York festgenommen und kam für eineinhalb Jahre in Untersuchungshaft. Man warf ihr als angebliche Komplizin von Jonathan Jackson Mord, Menschenraub und Verschwörung vor. Sie sah sich jedoch als politische Gefangene – genauso wie ihre zahlreichen Unterstützer_innen. Sie wurde angeklagt, weil sie als Kommunistin, Aktivistin, Schwarze und Frau den imaginären Feind verkörperte. Begleitet wurde der Prozess von einer massiven internationalen Protestbewegung. Menschen aus der ganzen Welt solidarisierten sich mit Angela Davis und forderten ihre Freilassung. Tausende Menschen aus der DDR schickten ihr unter dem Motto „Eine Million Rosen für Angela Davis“ Postkarten mit Rosen ins Gefängnis. Am 4. Juni 1972 wurde sie mangels Beweise von allen Anklagepunkten freigesprochen.

Im Film erfahren wir jedoch wenig von Angela Davis Leben nach dem Prozess.

Die emeritierte Professorin der University of California, Santa Cruz, setzt sich vehement für die Abschaffung von Gefängnissen und gegen den „gefängnisindustriellen Komplex“ ein. Gefängnisse sind für Angela Davis nicht nur eine unangemessene Antwort auf soziale Probleme, sondern auch ein nicht unbeachtlicher Wirtschaftsfaktor. "Für Privatunternehmen ist Gefängnisarbeit wie ein Hauptgewinn. Keine Streiks. Keine Gewerkschaften. Keine Arbeitslosenversicherung (…) Alles zu einem Preis, der einen Bruchteil dessen beträgt, was Arbeit auf dem freien Arbeitsmarkt kostet", so ein Zitat von Davis. Weiters ist Angela Davis insbesondere für die Race-Class-Gender-Debatte von großer Bedeutung – eine Thematik die auch heute noch sehr aktuell ist (siehe #SolidarityIsForWhiteWomen).

Angela Davis ist eine bemerkenswerte und inspirierende Person, die ihr Leben der Revolution gewidmet hat und obgleich sie sich selber nicht gerne so sieht, ist sie zu einer Ikone des Widerstands geworden, die mit ihrem Konterfei viele T-Shirts und Poster schmückt. Aber solange sie dadurch anderen Mut machen kann, kann sie damit leben. Trailer zum Film auf Seite 2:

Manu Banu (geb. 1979) studiert Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien und engagiert sich bei der Screaming Birds Aktionsgruppe und der NGO EXIT.

Das Theater an die Uni, die Frauen in die Wissenschaft!

  • 03.03.2014, 11:59

Was suchen Strahlung, Kernspaltung und Frequenzsprungverfahren am Theater? Von der Liebe zur Wissenschaft und ihren herausragenden Frauen erzählt die aktuelle Inszenierung des portraittheaters: „Curie_Meitner_Lamarr_unteilbar”.

Was suchen Strahlung, Kernspaltung und Frequenzsprung-verfahren am Theater? Von der  Liebe zur Wissenschaft und ihren herausragenden Frauen erzählt die aktuelle Inszenierung des portraittheaters:  „Curie_Meitner_Lamarr_unteilbar”.

Marie Curie steht am Chemiepult und hält ihre Antrittsvorlesung. Es ist das Jahr 1906 und sie ist die erste Frau, die an der Sorbonne unterrichten darf. Die Chemikerin und Physikerin erzählt von der Entdeckung der Radioaktivität und von ihrer Liebe zur Wissenschaft. Auch für die Kernphysikerin Lise Meitner steht die Liebe zur Wissenschaft über allem anderen. Die Österreicherin Meitner war die erste Frau, die in Deutschland eine Physikprofessur erhielt, sie steht an der Tafel und schreibt Formeln auf. Die österreichische Hollywoodschauspielerin Hedy Lamarr ist nicht nur bekannt, weil sie die erste Frau war, die sexuelle Erregung in einem Film zeigte, sondern auch durch ihre Erfindung des Frequenzsprungverfahrens. Ohne Frequenzsprungverfahren gäbe es heute kein Bluetooth oder WLAN, insofern reiht sie sich ein in die Riege der Entdeckerinnen, vor allem aber ist sie eine Diva.

In „Curie_Meitner_Lamarr_unteilbar“ werden alle diese drei Frauen von einer einzigen gespielt: Die Schauspielerin Anita Zieher ist die Nobelpreisträgerin, die Kernphysikerin und die Filmdiva. Und es ist vor allem Ziehers Darstellung, die in dieser Inszenierung hervorsticht. Die Regisseurin Sandra Schüddekopf und die Schauspielerin Zieher haben biographisches und wissenschaftliches Material vermischt und zusammen ein Theaterstück entwickelt, das mit Originalzitaten der dargestellten Persönlichkeiten versetzt ist.

Hier wird ein klarer Bildungsauftrag verfolgt

Das portraittheater hat es sich zum Ziel gesetzt, Personen, die durch ihr politisches, wissenschaftliches oder künstlerisches Wirken herausragend waren, durch Filme, Theateraufführungen oder andere Formen der künstlerischen Darstellung einem breiteren Publikum vorzustellen. Vor allem Frauen sollen porträtiert und ihre Wirkung und Bedeutung sichtbar gemacht werden. Nach Hannah Arendt, Simone de Beauvoir, Bertha von Suttner und George Sand, widmet sich das portraitheater in seiner neuesten Produktion den beiden Wissenschaflerinnen Marie Curie und Lise Meitner sowie der österreichischen Hollywood-Schauspielerin Hedy Lamarr. Obwohl Lamarr insofern ins Bild passt, als sie 1997 für ihre Beteiligung an der Erfindung des 1942 patentierten Frequenzsprungverfahrens den EFF Pioneer Award erhalten hat, wirkt die affektierte Filmdiva zwischen der Nobelpreisträgerin Curie und der Kernphysikerin Meitner ein bisschen fehl am Platz. „Jede Frau kann glamourös sein. Sie muss nur still da stehen und dumm aussehen“, soll Lamarr gesagt haben.

Kleine Details veranschaulichen die technische Darstellung der Naturwissenschaften auf der Bühne, so lässt Zieher als Lise Meitner mit leichtem Wiener Akzent einen Luftballon zerplatzen. Zwei kleine Bälle fallen heraus, das Zerplatzen des Luftballons ist wie das Zerplatzen des Urans, die Kernspaltung wird so plastisch erklärt. Frauen in die (Natur-)Wissenschaft ist der sehr deutliche Auftrag von „Curie_Meitner_Lamarr“. Für die Ästhetik einer Theatervorstellung ist eine solche Schwerpunktsetzung nicht unbedingt förderlich. Nachdem es dem Verein aber um die verständliche Vermittlung von Wissen mittels kreativer Ausdrucksformen geht, kann man über manches auch hinwegsehen.

Die Monologe werden von belehrenden Videos unterbrochen, in denen drei Mädchen vom Tod Curies an der Strahlenkrankheit erzählen, die Wirkung von Radioaktivität erklären und über radioaktive Stoffe informieren. Das erinnert streckenweise leider ans ORF-Kinderprogramm, vor allem wenn die Kinder die Radioaktivität von Strahlen messen. Das ist schade, man hätte sich für die Pausen, die zwischen den drei Monologen entstehen, eine bessere Lösung einfallen lassen können. Auch die Musikuntermalung, die den Spannungsaufbau des Wissenschaftlerinnen-Lebens unterstreichen soll - Marschmusik bei Kriegsausbruch, französische Akkordeonmusik als die Polin Curie nach Frankreich zieht, traurige Cello-Musik als der Nationalsozialismus im Leben der Jüdin Lise Meitner zum Thema wird - ist manchmal ein bisschen zu viel. Das Stück würde auch ohne diese Hilfsmittel auskommen. Anita Zieher, die alle drei Frauen spielt, beeindruckt durch ihre Performance dieser drei sehr unterschiedlichen und herausragenden Persönlichkeiten und bringt sie einem tatsächlich ein ganzes Stück näher.

Spielort Hörsaal

Nach der Premiere im Theater in der Drachengasse werden die nächsten Vorstellungen an der Uni gezeigt. Am 3. und am 4. März im Lise Meitner-Hörsaal an der Fakultät für Physik und am 14. und 19. März im Margarete Schütte-Lihotzky-Hörsaal an der Technischen Universität Wien: http://www.portraittheater.net/dates.php

Sara Schausberger hat Germanistik studiert und arbeitet als Kulturjournalistin (u.a. für den Falter) in Wien.

Frauen*arbeit: sisterresist

  • 10.01.2014, 11:32

In Salzburg haben vor einigen Jahren Frauen* das Kollektiv sisterresist gegründet. progress online hat mit den Aktivistinnen Rosa, Lila und Susi über ihre politischen Ziele und ihre praktische Arbeit gesprochen.

In Salzburg haben vor einigen Jahren Frauen* das Kollektiv sisterresist gegründet. progress online hat mit den Aktivistinnen Rosa, Lila und Susi über ihre politischen Ziele und ihre praktische Arbeit gesprochen.

progress online: Was ist sisterresist?

Rosa: sisterresist ist ein feministisches Frauen*kollektiv in Salzburg, das seit 2010 besteht. Wir kämpfen autonom für eine herrschaftslose, gewaltfreie Gesellschaft ohne Zwänge. Ursprünglich kennen gelernt haben sich einige von uns während der Unibesetzung. Danach gab  es einmal im Monat einen Frauenstammtisch, der vom damaligen ÖH Frauenreferat organisiert wurde. Da kamen dann noch weitere Frauen dazu und am Ende entstand daraus sisterresist. Insgesamt sind wir rund fünfzehn Frauen*.

Wie definiert ihr euch?

Lila: Wir verstehen Geschlecht und damit verbundene Konsequenzen nicht als natürliche Gegebenheit, sondern als ideologische Konstruktion, die der Herstellung und Verschleierung von Machtverhältnissen dient. Natur kennt keine Kategorien und bringt diese auch nicht hervor, sie sind gesellschaftlich produziert und dienen als Grundlage zur Bewertung von Menschen. Wir stellen uns gegen jegliche Ideologie der Ungleichheit, die davon ausgeht, dass es „Bessere“ und „Schlechtere“ gibt, die ein „Wir“ konstruiert, um alle “Anderen” dadurch auszugrenzen. Daher lehnen wir uns gegen das bestehende System auf.

Foto: sisterresist

Wieso bezeichnet ihr euch als antikapitalistisches Kollektiv?

Susi: Kapitalismus lebt von gesellschaftlichen Ungleichheiten. Gäbe es keinen Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, keine Homo-/Trans- oder Intersexphobie und keine Klassen, würde er nicht mehr funktionieren. Frauen* leisten überwiegend unbezahlte Reproduktionsarbeit und arbeiten häufig Teilzeit. Dies stützt die Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems auf Kosten von Frauen*. Für Frauen* bedeutet der durchschnittlich geringere Lohn in der Erwerbsarbeit den Druck einen schlechteren Lohn individuell akzeptieren zu müssen, und für das Kapital Grund und Vorwand weniger zu zahlen. Sie sind jene Reservearmee, welche das Kapital braucht, um erfolgreich Lohndumping zu betreiben. Der Ausschluss vieler Frauen* vom regulären Arbeitsmarkt bis hin zu ihrer Illegalisierung stellt einen weiteren Unterdrückungsmechanismus zur Kapitalakkumulation dar.

Rosa: Genau. Denn der globale Kapitalismus ist auch von rassistischen Politiken geprägt. Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Menschen bei gleichzeitiger Auslagerung der Produktion in Länder des globalen Südens bedeutet eine Zuweisung in die moderne Lohnsklaverei. Bei Zuwiderhandeln drohen Haft und Abschiebung, oder Beschäftigung in der Schattenwirtschaft. So wird ein Teil der Menschheit auf das ausweglose Prekariat verwiesen um den ausschweifenden Konsum des Westens und den Reichtum Weniger zu ermöglichen. Dagegen und gegen andere Ausgrenzungspolitiken sowie für eine freie Gesellschaft, in der alle ihre Potentiale entfalten und autonom ihr Leben gestalten können, kämpfen wir.

Was braucht es, um als Gesellschaft in diesem Sinne frei zu sein?

Rosa: Das Fehlen von struktureller Gewalt ist die Grundlage für die volle Entfaltung der jeweiligen Potentiale. Strukturelle Gewalt äußert sich in der ungleichen Verteilung von Eigentum, Teilhabe und Lebenschancen, entlang der Trennlinien Klasse, Geschlecht, Herkunft… Strukturelle Gewalt zeigt sich in der Setzung von Grenzen, in Inklusion oder Ausschluss. Strukturelle Gewalt wird in der Trennung in Öffentlich und Privat und deren Hierarchisierung zulasten des ins Private Verdrängten manifest. Und ohne physische Gewalt wären die Aufrechterhaltung und Durchsetzung dieses Gesellschaftsvertrages auch nicht möglich. Es braucht also eine Gesellschaft, die frei von Gewalt ist.

Setzt ihr euch mit feministischer Theorie auseinander?

Susi: Es ist nicht so, dass wir viele Lesekreise veranstalten. In der Praxis stellen sich aber viele theoretische Fragen, die uns zum Diskutieren bringen. Wir gehen davon aus, dass die Kategorie Geschlecht konstruiert ist und ständig reproduziert wird. Diese Kategorisierung hat nachteilige Folgen für all jene, die als Frauen* gelten. Alle Frauen* teilen Erfahrungen von Sexismus sowie psychischer, physischer und struktureller Gewalt.  Viele Frauen sind aufgrund anderer Kategorisierungen weiteren Diskriminierungen ausgesetzt. Feministische Theorie dient uns dabei als Analysewerkzeug. Wir verorten  unseren Kampf in der Frauen*bewegung, wobei  politische Arbeit für uns bedeutet, Herrschaftsverhältnisse aufzuzeigen und für den Widerstand gegen das kapitalistische Patriarchat zu mobilisieren.

Foto: sisterresist

Und wie sieht die politische Praxis aus?

Lila: Wir organisieren Demos, Kundgebungen, aktionistische Interventionen und Diskursveranstaltungen, die Raum für Vernetzung und Reflexion bieten. Unsere aktuellen Projekte findet ihr laufend upgedatet auf unserem Blog:  http://sisterresist.wordpress.com/

Am 17. Dezember 2013 um 19:00 zeigten wir in Kooperation mit dem ÖH Frauenreferat und dem studiowest im Das Kino den Film „Küchengespräche mit Rebellinnen” AT 1984, 80 min, der sich den Geschichten von Frauen im antifaschistischen Widerstand widmet. Das Kollektiv aus Karin Berger, Elisabeth Holzinger, Lotte Podgornik und Lisbeth N. Trallori dokumentierte diese und weitere Erzählungen im Rahmen eines der ersten Oral History-Projekte zum Thema Frauen im NS-Widerstand. In den letzten Monaten wurden in Salzburg rund siebzig Stolpersteine geschändet und an vielen Wänden stehen NS-verherrlichende Slogans. Dem setzen wir antifaschistische Arbeit und kollektives Erinnern entgegen. In einem Klima von Gewalt gegenüber Ausgegrenzten ist es auch die Aufgabe einer Interessensvertretung wie der ÖH hier eine klare Position einzunehmen. Die von der ÖH Salzburg initiierte Plattform gegen Rechts steht dem als breite Front entgegen.

Es gibt auch eine Radioshow von euch?
Susi:
Radio sisterresist ist ein laufendes Projekt seit Juli 2011. Hier setzen wir uns viel mit aktuellen feministischen Fragestellungen auseinander. Im Rahmen der Serie Frauenzimmer auf der Radiofabrik senden wir jeden ersten Mittwoch im Monat zu aktuellen und informativen feministischen Themen. Im Dezember berichteten wir vom Intersex Solidarity Day. Intersexbeauftragte Gabriele Rothuber und Intersexaktivist* Alex Jürgen sprechen zum Thema „Intersexualität – geschlechtliche Vielfalt anerkennen“. Für die Sendung im Januar war sisterresist für euch im Das Kino und berichtet von der Buchpräsentation von Caroline Fink und Karin Steinbach die ihr neues Sachbuch „Erste am Seil – Pionierinnen in Eis und Fels“ im Rahmen des 14. Bergfilmfestivals vorstellten.

Foto: sisterresist

Ihr macht auch Wen Do? Was ist das?

Rosa: Wen Do ist feministische Selbstverteidigung von Frauen für Frauen. Gemeinsam trainieren wir wirksame Strategien gegen Sexismus und Gewalt. Wir wissen, dass es für alle Frauen wichtig sein kann sich selbst zu verteidigen. Deshalb haben wir in Kooperation mit dem ÖH Frauenreferat schon mehrere Wen Do Basisworkshops und Schnupperkurse veranstaltet und möchten dies gerne fortsetzen.

Was macht ihr als nächstes?

Lila: Am 10. Jänner 2014 laden wir herzlich zur SolipaRRRty ins Jazzit in Salzburg ein. Die Einnahmen kommen der Schadenswiedergutmachung der Sachbeschädigung von Wahlplakaten aller Parteien (außer KPÖ) im Raum Salzburg zugute. Die Sonderkommission Edelweiß hat eine Sprayerin gestellt und angehalten, bis die Polizei übernommen hat. Wir finden sichtbaren Widerstand und Politik von unten wichtig und setzten den rechten Umtrieben mit unserem Fest ein Stück feministische Gegenkultur entgegen. Widerstand muss Praxis werden. Das Fest ist: Open for all genders!