Frauen

Inklusion braucht Werkzeuge

  • 15.02.2017, 19:35
Der Alltag von Frauen mit geistiger Behinderung ist geprägt von Fremdbestimmung und Einteilung unter finanziellen Gesichtspunkten. Dies führt dazu, dass auch politische Teilhabe von Frauen mit geistiger Behinderung durch die verwehrte Selbstbestimmung versperrt bleibt.

Der Alltag von Frauen mit geistiger Behinderung ist geprägt von Fremdbestimmung und Einteilung unter finanziellen Gesichtspunkten. Dies führt dazu, dass auch politische Teilhabe von Frauen mit geistiger Behinderung durch die verwehrte Selbstbestimmung versperrt bleibt. Obwohl die UN-Behindertenrechtskonvention (in Österreich 2008 in Kraft getreten) gesetzlich gilt, ist deren Verwirklichung noch in vielen Punkten unerreicht. Oft fehlt es am Willen politischer Instanzen. Auch an Maßnahmen und Konzepten, welche politische Teilhabe von Frauen mit geistiger Behinderung vorantreiben und bewerkstelligen könnten.

Die Autorin, Karoline Klamp-Gretschel, setzt hier an und legt ein von ihr neu entwickeltes Bildungskonzept vor. Dieses richtet sich gezielt an Frauen und Mädchen mit geistiger Behinderung, um die Vermittlung politischer Kenntnisse zu begünstigen. Begleitet durch Interviews in der Zielgruppe entstehen Handlungsempfehlungen, die eine Grundlage für gender-spezifische Bildungs-Konzepte zur gesellschaftlichen und politischen Partizipation bilden sollen. Gesetze können inklusivere Gesellschafts-Strukturen ebnen, jedoch braucht Inklusion auch Werkzeuge zur Partizipation, das heißt: Gesetze allein bringen noch keine politische Teilhabe. Denn nur wenn Fremdbestimmung entfällt oder zumindest maximal reduziert wird, können Menschen auch selbstbestimmt und Akteur*innen ihrer eigenen Lebensläufe sein.

Obgleich es bei wissenschaftlichen Arbeiten oft viel zu wenig der Fall ist, reflektiert Karoline-Klamp-Gretschel die verwendeten Begrifflichkeiten und Konzepte in ihrem Buch gekonnt. So beschreibt sie beispielsweise Unzulänglichkeiten im Terminus „geistige Behinderung“, welcher eine Spanne an diversen Menschen umfasst. Die Problematik liegt genau darin: Durch die Verwendung eines Begriffes für eine heterogene Gruppe kommt es zu Stereotypisierung. Trotzdem verwendet Klamp-Gretschel diesen Begriff, allerdings kritisch, um davon ausgehend differenzieren zu können. Stärken des Buches liegen auch im Aufgreifen von bestürzenden Diskursen um die vermeintliche „Bildungsfähigkeit“ von Personen mit geistiger Behinderung. Dem gegenüber stellt Klamp-Gretschel Erläuterungen von den realen Lebensbedingungen und -Situationen von Frauen und Mädchen mit geistiger Behinderung. So veranschaulicht sie die Diskrepanz zwischen ableistischen/behindertenfeindlichen Diskursen und den tatsächlichen Realitäten und Perspektiven der Frauen und Mädchen.

Unterm Strich ergibt sich ein umfassendes fachwissenschaftliches Buch, dessen Vorschläge für eine inklusivere Zukunft hoffentlich Beachtung und Umsetzung finden wird.

Mara Otterbein studiert Soziologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen und beschäftigt sich vor allem mit intersektionalen Perspektiven der gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen.

Viel Klon um nichts

  • 05.10.2016, 13:47
Kleinkriminelle Waisin findet heraus, dass sie eine von mehreren Klonen ist, tut sich mit den anderen zusammen und macht sich auf, ihren „Schöpfer_innen“ und heimlichen Aufseher_innen in den Hintern zu treten.

Kleinkriminelle Waisin findet heraus, dass sie eine von mehreren Klonen ist, tut sich mit den anderen zusammen und macht sich auf, ihren „Schöpfer_innen“ und heimlichen Aufseher_innen in den Hintern zu treten. Die Details der Story sind wesentlich komplizierter, aber das spielt keine große Rolle: Weder für die Frage, ob die Zuschauer_innen sich in die Serie verlieben (das steht und fällt nämlich mit den hinreißenden Klonen) – noch in Hinblick auf den Comic. Selbiger hat einfach zu wenig Seiten, um sich in Details zu ergehen – dabei ist es genau das, was er verspricht: Mehr Hintergründe zur geliebten Serie sollte er liefern.

Aufgeteilt in fünf Kapitel, eins für jede der Hauptklone, Sarah, Helena, Alison, Cosima und Rachel, liegt die Annahme nah, dass jedes Kapitel einen Strang aus dem Leben der jeweiligen Frau näher beleuchtet, der in der Serie zu kurz kam. Statt sich auf dieses Ziel zu konzentrieren, bemüht sich der Comic jedoch gleichzeitig, die erste Staffel zusammenzufassen. Er scheitert an beiden Zielen. Wer die Serie nicht gesehen hat, wird mit dem Comic überfordert sein, den Plot nicht nachvollziehen können und sich nicht in die Charaktere verlieben, die unerträglich flach bleiben. Wer hingegen bereits Fan ist, wird sich mit dem Comic langweilen und sich die Frage stellen, warum 99 Prozent des Inhalts nur wiederkäuen, was bereits bekannt war. Allein in Rachels Kapitel ist ein Teil ihrer Kindheit zu sehen, der in der Serie kürzer dargestellt wurde, neue Einsichten ergeben sich daraus aber nicht. Zudem hat es einen schalen Beigeschmack, wenn aus einer dermaßen queeren Fernsehserie ein Comic hervorgeht, in dem auf mehrere Hetensexszenen sage und schreibe ein lesbischer Kuss kommt – und Obertucke Felix nicht als queer zu erkennen ist.

Auch der Zeichenstil vermag es nicht, zu überzeugen. Wann immer Bilder aus der Serie direkt „geklont“ wurden – es wurde vermutlich direkt über Screenshots gemalt – sind die Charaktere mitunter atemberaubend gut zu erkennen, die Bildkomposition beeindruckend. Sobald die Künstler_innen jedoch frei zeichnen mussten, wird es sogar schwer, die einzelnen Personen auseinander zu halten. Die am Ende des Bandes angehängten Variant-Cover verschiedener Zeichner_innen sind vielfältig und würden wunderschöne Poster ergeben, doch als einzig wirklich innovativer Teil des Comics sind sie einfach den Kaufpreis nicht wert.

Der einzige Hoffnungsschimmer ist der zweite Band: „Helsinki“. Er soll vor allem die Geschehnisse in Finnland erläutern, die in der Serie bis einschließlich Staffel drei nur angedeutet wurden und erst in Staffel vier ansatzweise ans Licht kommen. Damit würde der Comic wirkliche Lücken füllen, was Band eins mit dem bisschen Extrainformationen pro Klon wahrlich nicht halten konnte. Leider ist dieser zweite Sammelband, obwohl bereits im März 2016 in den USA erschienen, erst im Oktober auf Deutsch zu bekommen.

Die vierte Staffel der Fernsehserie gibt es seit dem 6. August auch im deutschsprachigen Netflix, die fünfte und letzte Staffel wird 2017 in den USA anlaufen.

Non Chérie macht queeren Krempel, feministisches Gedöns und stolpert mitunter versehentlich auf dem Campus der Uni Wien umher.
 

„Hinfort mit den Serienstereotypen, her mit den Klonen“

  • 05.10.2016, 13:37
Teilzeitkleinkriminelle Waise aus armen Verhältnissen findet zufällig heraus, dass sie unzählige Klone hat …

Teilzeitkleinkriminelle Waise aus armen Verhältnissen findet zufällig heraus, dass sie unzählige Klone hat, tut sich mit ihnen zusammen und kämpft gegen jene, die sie geklont haben und deren finstere Machenschaften. Gut, das klingt nicht annähernd so spannend und komplex, wie die Serie tatsächlich ist – doch ihr werdet Orphan Black eh nicht wegen des Plots schauen.

Es ist der Klon-Club, also ihre verschiedenen Klone, die Protagonistin Sarah Manning nach und nach kennenlernt, die euch das Herz rauben werden. Schon Alison, die Soccer-Mum mit Vorliebe für Basteln, Geschenkeverpacken, Drogendealen und Mord, hat mehr Witz und Finesse als alle Staffeln Breaking Bad zusammen. Zudem kommt jede Menge Queeres: Nicht nur sind einige Hauptcharaktere lesbisch, bi, schwul, trans* und intergeschlechtlich, darunter auch Klone, nein, vor allem bricht die Seriengestaltung grandios mit Traditionen. Andauernd sprechen Frauen, die ebenso Hintergründe wie eigene Handlungsstränge haben, miteinander – und definitiv über etwas anderes als Männer. Männliche Charaktere hingegen haben nahezu ausnahmslos Nebenrollen, die die Protagonistinnen und deren Plot unterstützen (Bösewichte ausgenommen).

Und das fetzt. So richtig. Die Klone machen einfach Spaß. Sie können ihr ganzes Potential entfalten, weil sie nicht, wie es sonst in Serien passiert, durch irgendwelche Typen, deren Plot vorangetrieben werden muss, ausgebremst werden. Alle werden von Tatiana Maslany dargestellt, die derart überzeugend spielt, dass sie nicht mal Perücken und Accessoires bräuchte, um die Klone trennscharf voneinander abzugrenzen.

Eine weitere auffallende Besonderheit der Serie ist, dass es nicht ständig Vorwände gibt, um die Protagonistinnen nackt zu zeigen – dafür sind es öfters mal Männer, die in Dusch- und Umkleideszenen Haut zeigen. Allen voran Schnuckel Felix, Sarahs Adoptiv-Bruder, Künstler (was sonst), Make-Up-Fan und Vollzeit-Tunte. Nicht nur seine Outfits, sein Witz und sein Charme bereichern die Serie ungemein – dass er auch keine Berührungsängste gegenüber einem trans* Mann hat, ist im Mainstream-TV vermutlich einmalig.

Ein großer Makel der Serie: Sie ist weißer als Magerquark. Nicht-weiße Charaktere gibt es allein in Nebenrollen. Durchgehend dabei ist allein ein Schwarzer Cop – also genau die eine Schwarze Rolle, die gerade bei so vielen Serien neben einem ansonsten komplett weißen Cast steht.

Die vierte Staffel der Fernsehserie gibt es seit dem 6. August auch im deutschsprachigen Netflix, die fünfte und letzte Staffel wird 2017 in den USA anlaufen.

 

Non Chérie studiert mitunter versehentlich in Wien und macht sonst so queeren Kram und trans*aktivistisches Gedöns.

Der Wunsch nach Sex als Scheidungsgrund

  • 21.06.2016, 22:03
Frauen vor den Gerichten der Frühen Neuzeit.

Frauen vor den Gerichten der Frühen Neuzeit.

„Let’s talk about sex, baby“: Der Wunsch nach erfüllter Sexualität ist nicht nur ein Phänomen des 21. Jahrhunderts, auch in der Neuzeit drehte sich so einiges um das Erfüllen der sexuellen Bedürfnisse – auch bei Frauen, wie uns Fallbeispiele zeigen.

FRAUENBILD. Wenn wir an Frauen im Mittelalter oder in der Neuzeit denken, haben wir sofort das Bild der frommen, dem Mann unterworfenen Frau vor Augen, deren primäre Aufgabe die Zeugung von Nachwuchs war. Ohne Zweifel war das 16. Jahrhundert von Emanzipation weit entfernt, so passiv und rechtlos, wie wir denken, waren Frauen aber nicht. Besonders wohlhabende Frauen konnten ihren sozialen Status ausnutzen, um sich mehr Macht und Vorteile in der Ehe zu verschaffen. Aber auch weniger wohlhabende klagten ihre Rechte vor dem Konzistorium ein, auch ihr Recht auf Sexualität.

Durch die Revolution von Martin Luther veränderte sich, die katholische Kirche grundlegend, besonders aber auch die Sichtweise auf Sexualität. Laut der Historikerin Claudia Jarzebowski („Sexualität“ in der Enzyklopädie der Neuzeit) war für Luther Sexualität Teil der menschlichen Natur und konnte nicht unterdrückt werden, womit man auch das Nichteinhalten des Zölibats protestantischer Geistlicher rechtfertigt konnte. Man sprach beiden Geschlechtern, auch der Frau, ein Recht auf Sexualität zu, wobei die Frau als ein ihren Trieben ausgesetztes Wesen gesehen wurde, deren Anziehung Männer oft zum Opfer fielen.

MEDIZIN UND HYGIENE. Einen anderen Blickwinkel auf Sexualität in der Neuzeit liefern Mediziner im Zuge des Hygienediskurses ab dem 18. Jahrhundert. Diese beschäftigten sich nicht nur mit Geschlechtskrankheiten, sondern unterschieden auch zwischen gesunder und ungesunder Sexualität. Was war also laut Medizinern des 18. Jahrhunderts ungesunder Geschlechtsverkehr? Laut Philip Sarasin (Reizbare Maschinen. Eine Geschichte des Körpers. 1765–1914) waren all jene sexuellen Handlungen, die außerhalb einer Ehe stattfanden, exzessiv oder dienten der Selbstbefriedigung. Die schier unersättliche Lust der Frauen solle laut den Hygienikern also gedämpft werden durch regelmäßigen Sex in der Ehe. Den Orgasmus der Frau sah man jedoch nicht als Voraussetzung für eine gelungene Zeugung von Nachkommen.

Betrachten wir also die protestantische Reformation als Meilenstein im Hinblick auf die Wahrnehmung auch weiblicher Sexualität, so bleibt trotzdem eine Sache essenziell: Der einzige Ort, an dem man Sex für legitim hielt, war die Ehe, sowohl was das kirchliche Credo betraf, als auch jenes der Hygieniker. Die Verweigerung der ehelichen Pflichten, zu denen Geschlechtsverkehr ganz zentral zählte, wurde bei Männern mit körperlichen Problemen in Verbindung gebracht, während man bei Frauen eher dazu geneigt war, die Ursache im Nichtfunktionieren der Ehe selbst zu suchen. Sexualität und vor allem das Nichtgewähren von Geschlechtsverkehr seitens des Ehepartners / der Ehepartnerin wurde daher oft zum Gegenstand von Gerichtsurteilen. Laut Alexandra Lutz wurden sowohl die Untreue des Ehepartners / der Ehepartnerin als auch die nichtvollzogene Ehe eingeklagt.

Nicht selten waren es auch Frauen, die vor dem Kirchengericht ihren Wunsch nach sexueller Befriedigung einklagten, wie auch im, von Alexandra Lutz (Ehepaare vor Gericht) präsentierten Fall von Maria Gosau 1715. Diese beklagt dass „sie auch Fleisch und Blut an sich habe, und so viele Jahre ohne Mann nicht leben könne“, weshalb sie, nachdem ihr Mann sie verlassen hatte, das Gericht bat, erneut heiraten zu dürfen, ohne jeglichen Erfolg.

NEBENKLAGE. In einem anderen Fall, gefunden im Diözesanarchiv Wien, zwischen Stuhlpfarrer Rosalia und ihrem Mann Peter 1779 bringt die Ehefrau vor, ihr Mann erfülle schon seit 2 Jahren seine ehelichen Pflichten nicht mehr. Außerdem würde er sie wie eine Dienstmagd behandeln und habe sie aus dem Haus geworfen. Deutlich wird durch Fälle wie diesen auch, dass das Einklagen von Sexualität nie als Hauptklagegrund verwendet wird, sondern in den meisten Fällen als eine Art Nebenklagepunkt. Spannend ist auch, dass dieser Grund nahezu nie für eine Scheidung reicht, vermutlich weil die sexuelle Befriedigung der Frau weniger bedeutend war als das Fortführen einer, wenn auch nicht glücklichen, Ehe.

Zusammenfassend kann man also festhalten, dass die Frauen auch in der Neuzeit theoretisch ein Recht auf ihre Sexualität hatten, das ihnen von verschiedenen Instanzen aus unterschiedlichen Gründen zugeschrieben wurde. In der Praxis wurde die Klage nach sexueller Befriedigung seitens der Frau nie als Hauptklagepunkt in derartigen Eheverfahren verwendet. Das Fehlen eines erfüllten Sexuallebens war nie Grund genug, dass ein Ehepaar hätte geschieden werden können.

Julia Roschitz studiert Italienisch und Geschichte an der Universität Wien.

Die vergessenen Frauen- KZs von Mauthausen

  • 10.03.2016, 14:15
An der Geschichte des ehemaligen Frauen-KZs in Hirtenberg werden die Kehrseiten der zentralistischen Förderstruktur österreichischer Erinnerungskultur und die Marginalisierung der Geschichte von Frauen im hegemonialen Erinnerungsdiskurs deutlich.

An der Geschichte des ehemaligen Frauen-KZs in Hirtenberg werden die Kehrseiten der zentralistischen Förderstruktur österreichischer Erinnerungskultur und die Marginalisierung der Geschichte von Frauen im hegemonialen Erinnerungsdiskurs deutlich.

Trotz der Bemühungen lokaler Gedenkinitiativen konzentriert sich der Großteil der österreichischen Gedenkstättenarbeit auf das ehemalige KZ Mauthausen, das seit 1949 vereinzelt und seit den 1960er Jahren regelmäßig von Schulklassen besucht wird. Bis heute sind schulische Gedenkstättenbesuche nicht verpflichtend, sondern werden lediglich empfohlen. So mag es auch nicht verwundern, dass die meisten der rund 50 ehemaligen Außenlager von Mauthausen weder Schüler_innen bekannt, noch in den hegemonialen Erinnerungsdiskurs integriert worden sind. Ein anschauliches Beispiel dafür liefert die vergessene Geschichte des ehemaligen Frauen-KZs Hirtenberg. In der kleinen Gemeinde im Bezirk Baden erinnert bis auf wenige – von Bäumen überwachsene – Fundamentreste am Gelände der ehemaligen Produktionsanlagen kaum etwas an die Existenz des ehemaligen KZs, in dem Frauen Zwangsarbeit in einer bis heute bestehenden Munitionsfabrik verrichten mussten.

Mit Kriegsbeginn waren die lokalen Arbeiter_innen der seit 1859 bestehenden Munitionsfabrik unter anderem zur Wehrmacht eingezogen und wie an vielen anderen Orten auch durch Zwangsarbeiter_innen ersetzt worden. Rund 400 mehrheitlich politische sowie wenige als „asozial“ verfolgte oder jüdische Frauen (vor allem aus Russland, Italien und Polen) wurden daher ab September 1944 in zwölfstündigen Schichtdiensten zu gefährlichen und gesundheitsschädlichen Arbeiten mit explosiven Materialien gezwungen.

Wenngleich im ehemaligen KZ Hirtenberg nur ein Todesfall bekannt ist, waren die Frauen konstanter Unterernährung und Krankheiten ausgesetzt. Insbesondere im Winter verschlechterte sich die Situation durch Kälte, da die Frauen weder über die nötige Kleidung verfügten, noch die Baracken beheizt werden konnten. Hinzu kamen, wie ehemalige Zwangsarbeiterinnen berichten, die Brutalitäten des Wachpersonals, das sich einerseits durch rund 25 für den äußeren Bereich des Lagers zuständige SS-Männer sowie andererseits durch in Mauthausen oder Ravensbrück ausgebildete KZAufseherinnen zusammensetzte, die die innere Überwachung des Lagers überhatten.

AKTIVE VERDRÄNGUNG. Gerade der Umstand, dass Aufseherinnen immer wieder aus der lokalen Bevölkerung rekrutiert wurden, das Lager selbst in Sichtweite und die Produktionsstätten in Hördistanz zur Ortschaft lagen, gibt Aufschluss darüber, dass das Wissen um das KZ nicht einfach nur vergessen, sondern auch vor Ort aktiv verdrängt wurde. Lediglich ein so genanntes „Kriegerdenkmal“ auf dem Hirtenberger Friedhof weist heute auf die Existenz des ehemaligen KZs hin, da auf dem Grabstein neben männlichen Zwangsarbeitern und zwei unbekannten SS-Männern, die bei einem Luftangriff ums Leben gekommen sind, auch das einzig bekannte Todesopfer des ehemaligen Lagers, Hulja Walja, erwähnt wird. Gleichzeitig verdeutlicht sich an Hand des „Kriegerdenkmals“ auch die im österreichischen Erinnerungsdiskurs oftmals betriebene Vermischung zwischen Opfern und Täter_innen unter dem Vorzeichen, dass Krieg für alle grausam und schlimm gewesen sei, da eine verstorbene ehemalige KZInsassin ganz selbstverständlich am gleichen Grabstein vermerkt wurde wie ehemalige SS-Angehörige.

Weitere Belege für den fragwürdigen Umgang mit dem ehemaligen Lagergelände ergeben sich auch dadurch, dass es phasenweise als Campingplatz benutzt wurde. Obgleich das „Mauthausen Komitee Österreich“ (MKÖ) seit 2011 Begleitungen durch das ehemalige KZ anbietet, werden diese, nicht zuletzt wegen der geringen Bekanntheit des ehemaligen Lagers, selten in Anspruch genommen. So mag es auch nicht verwundern, dass in Hirtenberg erst 2015 zum ersten Mal eine Gedenkfeier für die ehemaligen Zwangsarbeiter_innen abgehalten wurde.

KEIN EINZELFALL. Von den rund 50 ebenfalls kaum bekannten Außenlagern fungierten gleich mehrere als „Frauenlager“. So wurden KZ-Insassinnen von Mauthausen in die ehemaligen Lager Schloss Mittersill, Lenzing, Amstetten, Schloss Lannach und St. Lambrecht deportiert und gezwungen, Fabriks- und Bahnbauarbeiten sowie Reinigungstätigkeiten zu verrichten. Die Geschichte der Frauen in Mauthausen und der ehemaligen Frauenlager wird im hegemonialen Erinnerungsdiskurs sowie der Gedenkkultur bis heute verdrängt oder marginalisiert.

Dies liegt neben herrschenden Geschlechterbildern und -mythen in der Erinnerungskultur auch daran, wie beispielsweise Doris Neuhofer kritisiert, „dass die Förderung der Pluralität von NS-Gedenkstätten in Österreich keine Tradition hat und dass es offensichtlich auch keinen Bedarf von Seiten der Verantwortlichen gibt, dies zu verändern“. Somit behält Peter Gstettner, der sich seit geraumer Zeit um eine würdige Gedenkstätte auf der österreichischen Seite des ehemaligen KZs am Loiblpass in Kärnten/Koroška bemüht, Recht, wenn er meint: „Das Gedenken in Mauthausen zu konzentrieren, bedeutete aber auch, die anderen Verbrechensorte an die Peripherie abzudrängen und sie der Vergesslichkeit der Republik zu überantworten. An den peripheren Tatorten wurden fast alle Spuren des mörderischen Geschehens getilgt.“

Judith Goetz ist Literatur- und Politikwissenschafterin sowie Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit.

In einer Bank arbeiten statt sie zu putzen

  • 11.05.2015, 08:36

Im März eröffnete in Wien das erste muslimische Frauenhaus. Über die Notwendigkeit von Hilfen, öffentliche Missverständnisse und Zukunftsvisionen sprach progress mit Silke Kettmann-Gamea bei einem Lokalaugenschein.

Im März eröffnete in Wien das erste muslimische Frauenhaus. Über die Notwendigkeit von Hilfen, öffentliche Missverständnisse und Zukunftsvisionen sprach progress mit Silke Kettmann-Gamea bei einem Lokalaugenschein.  „Angefangen hat alles in der Frauengruppe im muslimischen Zentrum vor ein paar Jahren“, erzählt Silke Kettmann-Gamea. Ein neu eingerichtetes Büro zwischen Donaukanal und Hannovermarkt, im Herzen von Brigittenau: In den Ecken stapeln sich Decken, Kleidung und Kuscheltiere – Spenden, die für das neu gegründete Projekt „Hatice“ abgegeben wurden. „Damals stieß eine konvertierte Frau zu uns, die nicht wusste wohin. Ich bot ihr meine Hilfe an.“ Das sei ein häufiges Problem, fährt die Mittvierzigerin fort. Viele Familien reagieren mit Ablehnung darauf, wenn ihre Kinder den Islam für sich entdecken. „Das ist ganz normal, dass das anfangs ein Schock ist. Man muss bloß den Fernseher einschalten und schauen, wie über den Islam berichtet wird.“ Doch nicht nur Konvertitinnen brauchen Hilfe. Die Frauengruppe war oft die erste Anlaufstelle für Probleme jeder Art.

WAS HAST DU FÜR EIN PROBLEM? Kettmann-Gamea arbeitete damals als Begleitlehrerin in der islamischen Volksschule des Vereins Jetzt – Zukunft Für Alle. Immer wieder baten dort Frauen um ihre Unterstützung. Da war es für sie der konsequente nächste Schritt, mehr anzubieten als spontane Privatunterkunft oder hier und da ein behördliches Schreiben in Alltagsdeutsch zu übersetzen. Anfang des Jahres wurden durch den Verein günstige Wohnungen angemietet und hergerichtet. Vor Kurzem sind die ersten Frauen eingezogen, sie leben in Wohngemeinschaften verschiedener Größe, je nachdem, wer sich miteinander versteht oder wer wie viel Platz braucht. „Das war uns wichtig, dass die Frauen quer durch die Stadt verteilt wohnen. Nicht nur aus Sicherheitsgründen. Wir hoffen, dass durch die WGs gegenseitige Unterstützung entsteht, aber auch, dass der Kontakt zu den NachbarInnen leichter fällt.“ Je nach Einkommen zahlen die Frauen Miete. Finanziert wird das Projekt aus Spenden und privaten Mitteln. „So lange wir uns das leisten können, soll es so bleiben.“

In der Anlaufstelle stehen eine Sozialarbeiterin und Integrations- und Frauencoaches zur Verfügung. „Viele Frauen kommen und wissen gar nicht genau, was sie wollen oder welche Möglichkeiten sie haben. Anfangs muss man grundlegend klären: Was hast du überhaupt für ein Problem?“ Wie in jedem Hilfeprozess wird sortiert, Prioritäten werden gesetzt und Zuständigkeiten ermittelt. Es wird auch geklärt, was „Hatice“ anbieten kann, wofür die verschiedenen öffentlichen Einrichtungen da sind, und was andere Vereine aus dem bestehenden Netzwerk übernehmen können.

NICHT NUR PUTZFRAUEN. Kettmann-Gamea schildert, dass es für viele Musliminnen schwierig sei Hilfe anzunehmen. Sie fürchten, nicht akzeptiert und unterstützt zu werden, auf Vorurteile zu stoßen oder aufgefordert zu werden, das Kopftuch abzulegen. Viele der Frauen sind nach islamischem Recht verheiratet. Bei Trennungen, Konflikten und auch wenn Kinder im Spiel sind, besteht häufig der Wunsch, Lösungen im Sinne der Scharia zu finden. Hier wird gemeinsam mit einer Rechtsberaterin und einem Juristen nach einem gangbaren Mittelweg gesucht.

Der Diskriminierung am Arbeitsmarkt möchte man durch Kooperationen mit Ausbildungsstellen entgegensteuern. Derzeit werden Frauen vorwiegend im Care-Bereich, in Kinderbetreuung und Altenpflege, vermittelt. Kettmann-Gamea möchte Frauen, die Kopftuch tragen, ermutigen, beruflich Fuß zu fassen und in der Öffentlichkeit präsent zu sein. „Vor ein paar Jahren gab es Berufe, die waren regelrechte Männerdomänen, das bricht langsam auf. Und warum sollte es nicht auch irgendwann möglich sein, dass eine Frau mit Kopftuch in der Bank hinter dem Schalter arbeitet, statt sie zu putzen?“

KRITISCHE STIMMEN. Der Trägerverein Jetzt – Zukunft Für Alle stand nach der Schließung der privaten Volksschule Anfang des Jahres in der Kritik. Auch das Projekt „Hatice“ wurde medial angegriffen. „Zunächst einmal sind wir nicht die Schule, sondern ein eigenes Projekt“, stellt Kettmann-Gamea klar. „Und zweitens: Die polizeilichen Ermittlungen dazu sind abgeschlossen, die Schule wurde von allen Anklagepunkten freigesprochen. Darüber berichtet niemand. Vom Stadtschulrat kam noch keine Reaktion.“ Weder Rechtsabteilung noch PressesprecherInnen des Stadtschulrats wollten progress diesbezüglich Auskunft geben.

Auch der Verein Wiener Frauenhäuser reagierte verschnupft auf das neue Projekt, nachdem es hieß, in seinen Einrichtungen dürften Muslimas ihre Religion nicht frei ausüben. „Das war ein Missverständnis“, räumt Kettmann-Gamea ein. „Ich glaube nicht, dass sie sagen: Du darfst nicht beten. Ich finde es wichtig, dass es solche Einrichtungen gibt, aber ich finde es genauso wichtig, dass es uns gibt. Man sieht ja, es wird gebraucht. Sonst würde es keinen Menschen interessieren.“ Kontakt gab es zwischen den beiden Vereinen bislang nicht, so Irma Lechner, Leiterin des dritten Wiener Frauenhauses: „Eigentlich ist das üblich in Wien, dass neue Projekte sich ankündigen und vernetzen. Aber mit Sicherheit ergeben sich irgendwann Schnittstellen.“ Eigenständig wolle man jedoch nicht auf das neue Projekt zugehen.

ZUKUNFTSMUSIK. Dass „Hatice“ sich als „Frauenhaus“ bezeichnet, folgt einem anderen Gedanken als jenem, der hinter Frauenhäusern steht, die Gewaltschutzeinrichtungen mit hohen Sicherheitsstandards sind: Es soll ein Ort für Frauen sein, für alle Frauen. Auch trans* Frauen. Egal welches Problem und welche Religion sie haben. Wenn sie sich etwas wünschen könnte, dann, dass alle Menschen eine Gemeinschaft sind. „Jeder für jeden, jede mit jedem, egal welcher Herkunft, egal ob Christ, Jude oder Moslem. Vielleicht erleb’ ich das ja noch.“

Zum Abschied überreicht Kettmann-Gamea einen Folder der noch jungen Dokumentationsstelle zur Durchsetzung von Gleichbehandlung für Muslime der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ). Eigene Folder hat „Hatice“ noch nicht, auch die Homepage ist noch im Aufbau. So wie vieles derzeit: Aktuell verhandelt der Trägerverein mit der Wiener RosaLilaVilla über die Bereitstellung leistbaren Wohnraums für LGBTI-Flüchtlinge: „Eigentlich hat alles ja gerade erst angefangen.“

 

Eva Grigori hat Germanistik in Göttingen und Wien studiert und beendet derzeit den Master Soziale Arbeit in St. Pölten.

 

Kollektivierung und Organisierung: Die Frauen_Ideen_Fabrik 2015

  • 07.05.2015, 12:47

Am 25. 4. hat zum zweiten Mal die Frauen_Ideen_Fabrik der Österreichischen Hochschüler*innenschaft stattgefunden. Im Rahmen von Vorträgen, Diskussionsrunden und Workshops sollte jungen Wissenschaftlerinnen* die Möglichkeit geboten werden, sich zu vernetzen und Erfahrungen auszutauschen.

Am 25. 4. hat zum zweiten Mal die Frauen_Ideen_Fabrik der Österreichischen Hochschüler*innenschaft stattgefunden. Im Rahmen von Vorträgen, Diskussionsrunden und Workshops sollte jungen Wissenschaftlerinnen* die Möglichkeit geboten werden, sich zu vernetzen und Erfahrungen auszutauschen.

Das Stimmengewirr im Hörsaal verstummt, als Dagmar Fink sich setzt und ihre Unterlagen ordnet. „Ich arbeite seit 20 Jahren in der feministischen Wissenschaft“, beginnt sie zu erzählen. „Doch Frauen bekommen oft die Botschaft, dass sie in den höheren wissenschaftlichen Rängen nichts zu suchen haben.“ Die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin im Bereich der Gender Studies unterrichtet an mehreren Universitäten in Österreich und Deutschland. „Wissenschaft hat sich als Metier des männlich, weißen, heterosexuellen Europäers etabliert“, erklärt sie den etwa 30 Frauen*, die an den U-förmig angeordneten blauen Tischen sitzen. Die Studentinnen* hören interessiert zu, manche machen sich Notizen, als säßen sie tatsächlich in einer Vorlesung. Den Rahmen für Finks Vortrag bietet jedoch die Frauen_Ideen_Fabrik, eine von der ÖH organisierte Veranstaltung.

Trotz des schönen Wetters an diesem Samstag haben sich einige Frauen* im Teaching Center der Wirtschaftsuniversität Wien eingefunden, um an den Vorträgen und Workshops teilzunehmen. Birgit studiert IBWL an der WU. „Schon allein aus Network-Gründen ist es sehr förderlich, hierher zu kommen und mehr über Frauen in der Wissenschaft zu erfahren“, erklärt sie. Außerdem hofft sie, dass das Bewusstsein für genderbezogene Themen an der WU durch die Veranstaltung gefördert wird – jetzt, wo die Frauen_Ideen_Fabrik dort stattfindet.

Foto: Mafalda Rakoš

Auch die Veranstalterinnen* betonen die Wichtigkeit, sich als Wissenschaftlerin* in einem Kollektiv zu organisieren: Ziel der Frauen_Ideen_Fabrik sei es, jungen Wissenschaftlerinnen* einen Raum zu bieten, sich zu vernetzen. „Nur sieben Prozent der Professor_innen an österreichischen Hochschulen sind Frauen. Und das, obwohl Frauen mit einem Anteil von 54 Prozent mehr als die Hälfte aller Studierenden in Österreich darstellen“, erklärt Julia Freidl in ihrer Willkommensrede. Gegen diese Strukturen wollen sich die Organisatorinnen der Frauen_Ideen_Fabrik einsetzen.

WISSENSCHAFTLICHES KAFFEEHAUS. Nach der Begrüßung und dem Vortrag von Dagmar Fink bekommen die Studentinnen* im Rahmen eines „Wissenschaftlichen Kaffeehauses“ die Möglichkeit, eigene Erfahrungen auszutauschen. In Kleingruppen von ca. zehn Personen und mit Kaffee und Kuchen ausgerüstet erzählen sich die Studentinnen* von eigenen wissenschaftlichen Arbeiten, ihren Forschungsvorhaben und den Problemen, mit denen sie dabei konfrontiert sind. Die Themen und Disziplinen der Arbeiten sind so vielfältig wie die Teilnehmerinnen* selbst: Von einer Konfliktanalyse rund um die Privatisierung einer rumänischen Goldmine bis zum Entwurf einer Computersteuerung in Form eines Quietschballs – ob nun in Form einer Seminararbeit oder einer Dissertation – sind verschiedenste Forschungsthemen vertreten. Obwohl die Teilnehmerinnen* meist aus sehr unterschiedlichen Fachrichtungen kommen, geben sie sich gegenseitig Tipps zum weiteren Schreib- und Forschungsprozess ihrer Arbeiten.

Foto: Mafalda Rakoš

SCHREIB-OUTFIT. Nach einer einstündigen Mittagspause werden die Teilnehmerinnen* in verschiedene Workshops eingeteilt. Zwei davon konzentrieren sich auf Geistes- und Sozialwissenschaften sowie auf den Schreibprozess selbst, andere Workshopleiterinnen* beschäftigen sich mit Ökonomie, Naturwissenschaften, technischen Studien, Sprachwissenschaften und pädagogischen Studien. Auf diese Weise sollen möglichst viele Studienrichtungen abgedeckt werden, sodass sich die Teilnehmerinnen* Unterstützung von Workshopleiterinnen* und Peers aus Fachrichtungen holen können, die ihrer eigenen möglichst entsprechen. Meist werden Themen behandelt, die mit Gender-Themen an sich gar nichts zu tun haben: So werden Lesetechniken, Arbeitsziele, Schreibblockaden oder Zitationsprogramme behandelt. „Muss ich zum Schreiben spezielle Kleidung anhaben?“ ist beispielsweise eine der Fragen, die im Workshop zum wissenschaftlichen Schreiben besprochen werden.  

Foto: Mafalda Rakoš

BANDEN BILDEN! „Something will go wrong“, betont Mirah Gary, Workshopleiterin im Bereich technische Studien. Man dürfe sich vor Fehlern und Schwächen nicht fürchten und auch nicht davor, um Unterstützung zu bitten. Im Gegenteil. Man solle sich trauen, viele Fehler zu begehen. Alyssa Schneebaum, Ökonomie-Workshopleiterin, meint, dass man nicht ständig nur über Frauen in der Wissenschaft reden dürfe, sondern hauptsächlich und vor allem Wissenschaft betreiben solle. Einen Anstoß dazu hat die Frauen_Ideen_Fabrik in den Augen der meisten Teilnehmerinnen gegeben. Ein weiterer wichtiger Aspekt für viele war jener der Vernetzung und des Bandenbildens. „Um als freie Wissenschaftlerin existieren zu können, brauche ich Kollektivierung und Organisierung“, sagt Dagmar Fink in ihrem Vortrag. Unser momentanes Verständnis von Wissenschaft und die daraus resultierenden sexistischen Strukturen seien situativ und veränderbar. „Es lohnt sich, sich dafür einzusetzen. Und das kann man nicht alleine.“

 

Patricia Urban studiert Kultur- und Sozialanthropologie und Publizistik an der Universität Wien.

Women on the Road

  • 23.10.2014, 02:46

Als Frau alleine reisen? Bis heute scheidet diese Frage die Geister. Vor allem wenn es um Regionen geht, die für Frauen* als problematisch gelten. progress hat mit drei jungen Frauen geredet, die alleine unterwegs waren – und es nicht bereut haben.

Als Frau alleine reisen? Bis heute scheidet diese Frage die Geister. Vor allem wenn es um Regionen geht, die für Frauen* als problematisch gelten. progress hat mit drei jungen Frauen geredet, die alleine unterwegs waren – und es nicht bereut haben.

Meryl, Stephi und Tessa haben zwei Dinge gemeinsam: Sie haben den Wunsch gefasst, alleine wegzufahren, und sie haben sich nicht durch Vorurteile davon abhalten lassen. „Der Grund für meine erste Soloreise war damals nicht mehr als ein vages Gefühl. Ich habe gespürt, dass ich mal Zeit für mich brauche – und zwar wirklich“, erzählt Tessa, die nun schon mehrmals alleine in Norwegen war. Die Frage, ob sie anfangs unsicher war, bejaht sie: „Davor habe ich nur Nachteile gesehen: niemand, den ich kenne, niemand, mit dem ich reden kann, niemand, der mir helfen kann.“ Aber schließlich war alleine unterwegs zu sein für Tessa befreiend und ungezwungen. „Du bist sowieso nie ganz alleine“, erklärt Meryl, die nach Südostasien und Indien gefahren ist. „Du triffst vor Ort Gruppen oder lernst einzelne Leute kennen, mit denen du etwas unternimmst. Das geht viel besser, wenn du solo unterwegs bist. Du kannst dich richtig in das Land fallen lassen.“ Meryl fuhr weg, weil sie eine Auszeit brauchte: „Irgendwie ist es mir in Österreich einfach zu viel geworden. Ich hab mir gedacht – einfach weg. Und dann bin ich sechs Wochen nach Thailand gefahren.“ Nicht alle können einen solchen Entschluss sorglos hinnehmen. Als Stephi nach Indien und Australien reisen wollte, löste sie einen Familienstreit aus.

Reisevorbereitungen. Um als Frau alleine sicher zu sein, ist es nicht unbedingt notwendig, die ganze Reise bis ins kleinste Detail durchzuplanen – ganz im Gegenteil. Als Meryl sechs Wochen lang durch Südostasien reiste, hatte sie nur zwei Dinge geplant: Hinflug und Rückflug. Alles dazwischen überließ sie dem Zufall und war erfolgreich. Ähnlich hielt es Stephi. Tessa hingegen wusste im Vorhinein immer zumindest, zu welchem Zeitpunkt sie in welcher Stadt sein und wo sie unterkommen würde. Sie informierte sich davor aber kaum über die Städte: „Bei der Tagesplanung bin ich spontan. Ich will mich von der Stadt überraschen lassen und möglichst ohne vorgefertigtes Bild im Kopf hinfahren, damit ich einen eigenen Eindruck von der Stadt bekomme.“ Alle drei bekamen vor Ort oft Rat von anderen Tourist_innen oder Einheimischen – darunter auch „Geheimtipps“, die in keiner Reiseführerin erwähnt werden.

Spontan blieb Meryl auch auf ihrer zweiten Reise. Ursprünglich wollte sie nach Nordindien, doch dafür war sie zu kalt angezogen. „Ich dachte, ich könnte warmes Gewand am Weg kaufen, aber dazu war ich noch nicht weit genug im Norden.“ Schließlich ist sie umgekehrt und hat den Süden bereist, bis hin zu einer kleinen Inselgruppe vor der Küste Indiens, wo sie tauchen war. Auch wegen der günstigen Unterkünfte in Indien war es für Meryl nicht so wichtig vorauszuplanen wie für Tessa in Norwegen. Tessa wohnte dort oft in halbprivaten Unterkünften, um sich die Reise leisten zu können. Sie verließ sich bei der Wahl ihrer Unterkünfte auf ihr Bauchgefühl und fand über Airbnb und Couchsurfing Gastgeber_ innen. Durchs Couchsurfen können auch Reisen in teure Länder erschwinglich werden, hier bekommt frau auch alleine leichter eine Unterkunft. „Leute sind zu Frauen oft netter und hilfsbereiter“, meint Tessa, die sich im Vorfeld oft Gedanken über ihre Sicherheit gemacht hat.

Kennenlernen. Das wohl größte Abenteuer für alle drei war das Zusammentreffen mit anderen Menschen. „Ich bin relativ schüchtern“, meint Tessa, während sie von ihren Erlebnissen mit Fremden berichtet. Für sie war es ein Sprung ins kalte Wasser, der sich mehrfach bewährt hat. So lernte sie auf einer Zugfahrt jemanden kennen, der in einer Band spielt, und wurde von ihm zum Konzert und zu einer Backstageparty eingeladen. Zug- und Busfahrten so wie gemeinsame Ausflüge sind gute Möglichkeiten, andere nicht nur oberflächlich kennen zu lernen.

Auch Meryl berichtet von einer Fahrt im Zug, auf der sie sich für 24 Stunden mit zehn fremden Menschen ein Liegeabteil teilte. Überrascht hat sie, wie nah sie in solchen Situationen den anderen kam: „Obwohl wir alle aus unterschiedlichen Kontexten gekommen sind, haben wir alles gemeinsam gemacht – Essen geteilt und gemeinsam gegessen, auf ein Kind aufgepasst, miteinander geredet und einander trotzdem Freiraum gegeben. Nachdem ich aus dem Zug ausgestiegen bin, hab ich wieder niemanden gekannt. Eine schräge Erfahrung.“

Für Stephi war ihre Reise auch eine Möglichkeit, eine neue Sprache zu lernen: Hindi. „Im Vorfeld haben mir alle gesagt, dass in Indien alle Englisch reden. Ich hab’ dann aber eine Zeit lang mit Nepales_ innen zu tun gehabt, die in der Schule nur Hindi gelernt haben und kein Englisch.“ Meryl sprach zwar nicht Thai, dafür aber viel Englisch. „Irgendwann wollte ich nicht mehr auf Deutsch mit anderen reden. Ich habe sogar auf Englisch gedacht und auch mein Reisetagebuch auf Englisch geführt.“

In einer weiteren Hinsicht sind sich alle drei einig: Sie fielen als alleine reisende Frauen auf. Stephi meint, dass das in Australien am wenigsten der Fall gewesen sei, da sehr viele Frauen aller Altersgruppen alleine dorthin fahren. Einige Male fungierten Männer temporär als „Beschützer“, wenn sie zum Beispiel darauf bestanden, sie zum Markt zu begleiten, weil sie Angst um sie hatten. Für Stephi eine seltsame Erfahrung. Sie selbst wirkte auch als positives Vorbild: „Es war schön zu sehen, dass die indischen Mädchen, die total behütet aufwachsen – Mädchen aus reichen Familien werden behandelt wie Prinzessinnen –, das bei mir gesehen haben und dann gesagt haben, dass sie auch einmal alleine verreisen möchten.“

Keine Angst. Stephi fiel im Norden Indiens auf: „Ich war eindeutig Ausländerin, aufgrund meiner Sprache und meines Verhaltens. Aber wenn ich mich indisch gekleidet habe, bin ich gut untergetaucht.“ Manchmal fühlte sich Stephi in Indien sogar wohler als in Wien, wo sie schon öfter belästigt wurde. „Von Indien sagt man, dass Frauen dort nicht respektiert werden. Ich hatte dort aber eher das Gefühl, dass ich nicht angeschaut werde, wenn ich das nicht will“, meint Stephi. „Ich wurde nicht angegriffen. Die Männer waren viel vorsichtiger im Umgang mit mir, aber wahrscheinlich ist das auch lokal unterschiedlich.“ Gleichzeitig mit Stephis Indienreise waren Beiträge in Medien präsent, die von den Vergewaltigungen an Frauen und auch an Touristinnen in Indien berichteten. Viele davon wirkten für Frauen angstmachend. Dass der Situation in Indien so große mediale Auf merksamkeit zukam, findet sie aber auch positiv, weil dies auf eine Veränderung im Land zurückzuführen sei. Viele Freund_innen, die sie damals kennenlernte, gehen jetzt auf Demos für Frauenrechte und gegen die Tabuisierung von Sexualität.

Viele der Ängste, die Frauen betreffen, die alleine reisen, drehen sich um sexualisierte Gewalt, die durch Medienberichte über Vergewaltigungen vor allem mit asiatischen Ländern in Verbindung gebracht wird. Stephi machte, um Selbstbewusstsein zu tanken und um zu wissen, dass sie in schwierigen Situationen einen kühlen Kopf bewahren kann, vor ihrer Abreise einen Selbstverteidigungskurs. Zu lernen, sich bei Übergriffen zu wehren, kann gut tun. Um mit lokaler Diskriminierung umgehen zu können, empfiehlt Stephi auch sich auf die religiösen und kulturellen Eigenschaften eines Landes vorzubereiten, vor allem, was Traditionen der Bekleidung betrifft. „Ein Bikini ist in Indien weniger als normale Unterwäsche. Das muss dir vorher klar sein.“

Viele Gefahren, die Frauen auf Reisen betreffen, gelten genauso für Männer, weshalb sich Stephi darüber ärgert, dass vor allem Frauen Angst gemacht wird. Sie erzählt von dem einzigen Mal, als sie in Indien wirklich Angst hatte – und das war nicht die Schuld von Menschen. „Einmal bin ich um fünf in der Früh laufen gegangen und wohl durch das Revier von Affen gekommen, die mich angeschrien und mit Zapfen und Nüssen nach mir geworfen haben.“

Dass es Situationen gibt, die vor allem für Frauen unangenehm sind, können die drei allerdings nicht abstreiten. Auch Tessa machte in Norwegen unangenehme Erfahrungen mit einem Mann, der ein „Nein“ nicht akzeptieren wollte, als sie abends Biertrinken war. Die Situation ging glimpflich aus und stellt für Tessa eine Ausnahme dar, da sie beobachtete, dass Männer in Norwegen im Allgemeinen ein „Nein“ besser verstehen als in Österreich. Ein unangenehmes Gefühl bleibt für sie trotzdem, wenn sie an den Vorfall zurückdenkt. Auch Meryl mied bestimmte Situationen – beispielsweise nachts allein am Strand unterwegs zu sein. Das Wichtigste sei, sich darauf einzustellen und immer selbstbewusst aufzutreten, egal ob in Verhandlungen mit dem Taxifahrer oder alleine auf der Straße. Falls es dennoch zu einem Übergriff kommt, ist es wichtig, sich nicht selbst die Schuld daran zu geben. In allen Ländern, in denen Frauen als schwach gelten, gibt es solche Probleme – Belästigung, Übergriffe oder auch Vergewaltigung. Doch aus Angst zu Hause bleiben sollten Frauen auf keinen Fall, da sind sich Stephi, Meryl und Tessa einig.

Magdalena Hangel lebt in Wien, schreibt an ihrer Doktorinnenarbeit im Bereich der Germanistik.

www.women-on-the-road.com

wikitravel.org/

Stephis Reiseblog: www.mahangu.com/trip/AFD/waypoint-1

 

 

Der vergessene Weltkrieg

  • 12.04.2014, 10:50

100 Jahre sind seit dem Ersten Weltkrieg vergangen. 2014 wird von Medien und Regierungen als das Super-Gedenkjahr zelebriert. Eine letzte Chance, den Ersten Weltkrieg zu einem aktiven Teil der österreichischen Erinnerungskultur zu machen?

100 Jahre sind seit dem Ersten Weltkrieg vergangen. 2014 wird von Medien und Regierungen als das Super-Gedenkjahr zelebriert. Eine letzte Chance, den Ersten Weltkrieg zu einem aktiven Teil der österreichischen Erinnerungskultur zu machen?

Würde mensch dem Bild Glauben schenken, dass für Touristinnen und Schulklassen bei Sehenswürdig­keiten in Österreich vom Ersten Weltkrieg insze­niert wird, würde es sich bei dem ersten industriell geführten, europäischen Krieg um wenig mehr handeln als ein Stück kitschige Habsburger_innen-familiengeschichte: Die Ermordung des Thronfolger­paares erscheint als einzige Kausalität eines Krieges, in dessen Folge ein „geliebter" Kaiser stirbt und die romantisierte Monarchie untergeht. Die gesell­schaftlichen Umbrüche, die Gräuel und das Elend des Kriegs werden marginalisiert, höchstens wird noch auf die Geschichte von Soldaten an der Front verwiesen.

WAS BLEIBT? Dabei wäre ein vielschichtiger Um­gang mit dem Ersten Weltkrieg dringend notwendig: Schon seit Längerem wird er in der Geschichts­schreibung als „Urkatastrophe" des 20. Jahrhunderts angesehen. Entscheidungen und Fehler nach dem „Großen Krieg", der hinsichtlich Kriegsführung und seiner Auswirkungen für den europäischen Kontinent ein Einschitt war, haben sich direkt auf jene Ereignisse und Handlungen niedergeschlagen, die schließlich zum Zweiten Weltkrieg führten. Die österreichische Erinnerungskultur in Bezug auf letzteren ist zwar nicht weniger problematisch, aber dennoch deutlich präsenter. Im Gegensatz zum Zweiten Weltkrieg gab es nie einen Historiker_in-nenstreit oder eine Waldheimaffäre, die zu einer öffentliche (re)n Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg geführt hätten. Zusätzlich beschränkt der als „schmerzlich" erfahrene „Verlust" des ehemals großen Habsburger_innenreichs vielfach eine ad­äquate Erinnerungskultur.

Ein weiteres Problem ergibt sich aus dem Fehlen von Zeitzeug_innen. Menschen, die den Ersten Weltkrieg bewusst miterlebt haben, müssten heute weit über 100 Jahre alt sein. Weil niemand mehr von diesem Krieg erzählen kann, gibt es keine aktive Erinnerung, und Erfahrungen aus und Darstellungen über den Ersten Weltkrieg können nur noch aus zweiter Hand stammen. Ein Umstand, der in naher Zukunft auch auf den Zweiten Weltkrieg zutreffen wird.

WER GEDENKT? Junge Menschen verfügen oftmals nur noch über ein unzureichendes Faktenwissen über die Geschehnisse des Krieges, das nicht ausreicht, um ein wirkliches Verständnis für diese Zeit zu entwickeln. Dass der Erste Weltkrieg in der Generation der unter 25-Jährigen in Verges­senheit zu geraten droht, kann der Generalsekretär des Österreichischen Schwarzen Kreuzes, Alexander Barthou, bestätigen: „Wir haben festgestellt, dass die unmittelbare Erinnerung an die Generation, die im ersten Weltkrieg gekämpft hat, gerade bei jungen Leuten, nicht mehr da ist. Vater, Großvater - das ist alles schon eine andere Generation. Deshalb geraten der ganze Krieg und vor allem die Opfer immer mehr in Vergessenheit."

Das Innenministerium hat das Schwarze Kreuz in Österreich offiziell mit dem Gedenken der Opfer des Ersten Weltkriegs beauftragt. In diesem Rahmen werden, hauptsächlich von Ehrenamtlichen Gedenk­stätten, vor allem aber Soldatenfriedhöfe, sowohl in Österreich als auch solche österreichischer Solda­ten im Ausland betreut. Barthou sieht die Aufgabe des Schwarzen Kreuzes darin, „gefallenen Soldaten eine Identität zu geben, das Interesse an dem zu wecken, was passiert ist" und dadurch „Arbeit für den Frieden" zu leisten. Neben der unzureichenden finanziellen Unterstützung des Vereins ist dabei der fast ausschließliche Fokus auf soldatische Opfer und die stark militärische Konnotation, die der Verein trägt, auffällig.

Abseits von Soldatenfriedhöfen - auf denen aller­dings auch Krankenschwestern begraben sind - gibt es in Österreich kaum Denkmäler oder Ausstellun­gen, die ein permanentes Gedenken, vor allem über einen soldatischen Kontext hinaus, ermöglichen würden. Wenig bekannt ist die Tatsache, dass an die 30.000 Frauen im Ersten Weltkrieg, vor allem als Krankenschwestern, an und hinter der Front statio­niert waren. Ihre Erinnerungen wurden nach dem Krieg nicht beachtet. Lediglich im Heeresgeschicht­lichen Museum existiert eine Dauerausstellung zum Ersten Weltkriegs, die anläßlich des Gedenkjahres überarbeitet und neu präsentiert wird. Auch hier ist der soldatisch-militärische Kontext überreprä­sentiert, ein Umstand, der im Jahr 2013 durch die Ausstellung „Women at War", in der es um die Rolle von Frauen an der (Heimat-)Front ging, nur gering­fügig kompensiert wurde. Denn die Ausstellung war nur zeitlich begrenzt zu sehen, wies darüber hinaus eine Reihe von inhaltlichen Fehlern und sexistischen Darstellungen auf und wurde ausschließlich von Männern inszeniert bzw. betreut.

2014 - EIN WENDEPUNKT? Mit dem Gedenkjahr und dem damit generierten „öffentlichen Inter­esse" wurde nun aber auch eine Vielzahl neuerer Forschungen und Publikationen angestoßen, die erstmals auch lange vernachlässigten Forschungsge­bieten Aufmerksamkeit widmen. Christa Hämmerle, Historikerin an der Universität Wien, beschreibt in ihrem Buch „Heimat/Front", das im Februar im Böhlau Verlag erschienen ist, Perspektiven abseits einer auf Schlachten und Persönlichkeiten fokussier-ten Geschichtsschreibung und widmet den Fronter­fahrungen von Kriegskrankenschwestern ein ganzes Kapitel. Sonderausstellungen, die ab dem Frühjahr in Salzburg, Innsbruck, der Nationalbibliothek und der niederösterreichi­schen Landesausstellung auf der Schallaburg zu sehen sind, dürfen mit Spannung erwartet werden, versprechen sie doch teilweise „vollkommen neue Perspektiven auf die sogenannte Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts".

Das Außenministerium hat anlässlich des Gedenk­jahres ein Grundlagenpapier herausgegeben, an dem führende österreichische Wissenschaftler_innen mitgearbeitet haben und das auf der Website des Ministeriums als lesenswerter und kostenloser Über­blick aktueller Forschung und Geschichtsschreibung zum Thema eingesehen werden kann. Dass sich in Österreich zukünftig analog zu der hier forcierten vielschichtigen Darstellung des Ersten Weltkriegs eine aktivere Erinnerungskultur abseits des militäri­schen Kontextes etablieren kann, bleibt zu hoffen.

 

Magdalena Hangel studiert Germanistik, Geschich­te und Gender Studies an der Universität Wien und arbeitet zurzeit an ihrer Doktorinnenarbeit.

Buchtipp: Christa Hämmerle: Heimat/Front. Geschlechtergeschichte/n des Ersten Weltkriegs in Österreich Ungarn. Wien: Böhlau Verlag 2014

Webtipp: Reader Außenministerium: http://bit.ly/lme8u03.

 

Ein ausgeprägter Mangel an Perfektionismus

  • 13.03.2014, 18:17

Judith Holofernes ist ab April mit ihrem neuen Soloalbum „Ein leichtes Schwert“ auf Tour. Mit progress sprach sie über ihren musikalischen Neubeginn nach Wir sind Helden.

Judith Holofernes ist ab April mit ihrem neuen Soloalbum „Ein leichtes Schwert“ auf Tour. Mit progress sprach sie über ihren musikalischen Neubeginn nach Wir sind Helden.

progress: Du bist nun wieder solo als Judith Holo­fernes unterwegs. Sieht so aus, als hättest du die schwere Flotte Wir sind Helden verlassen...

Judith Holofernes: Auf einem kleinem Ruderboot hab ich mich vom Acker gemacht {lacht).

Wie wichtig ist dir dein Kurswechsel als Musikerin?

Ich als Fan finde es toll, wenn sich Leute verändern. Für mich hat das keinen hohen Selbstwert, wenn jemand 30 Jahre lang in derselben Band ist und immer das Gleiche macht. Ich selbst hing sehr an meiner Band Wir sind Helden und wenn das nicht so gewesen wäre, hätten wir sicher fünf Jahre früher aufgehört. Mit zwei Kindern waren die Helden doch ein Himmelfahrtskommando. Ich bin froh, dass ich einen Weg gefunden habe, überhaupt noch Musik machen zu können.

Nach Wir sind Helden wurde es sehr ruhig um deine Person. An „Ein leichtes Schwert" hast du fast heim­lich gearbeitet. Wie kam es zu dem Entschluss die Platte nicht groß anzukündigen?

Ich hatte gar nicht vor eine Platte zu machen. Ich habe nur irgendwann bemerkt, dass ich das eigent­lich gerade tue. Ich habe niemandem davon erzählt, außer meinem Mann Pola und meinen Freunden. Auch auf meinem Blog hab' ich erst sehr spät kleine Zeichen gegeben. Das war ein Segen, weil ich bis zum Schluss ein Gefühl von Freiheit hatte. Niemand wartet auf irgendetwas. Das hatte ich das letzte Mal bevor es Wir sind Helden gab.

Auf deiner letzten Platte hast du in dem Song „Die Träume anderer Leute" noch gesungen: „Wenn die Träume so tief fliegen/weil sie zum Schweben zu viel wiegen". Deine neuen Songs klingen hingegen viel unbeschwerter. Hast du mit dem Soloprojekt die Leichtigkeit wieder gefunden?

„Die Träume anderer Leute" trifft total die damalige Situation. Wenn man die Geschichte von Wir sind Helden erzählt, ist sie wie ein Märchen und das dann loszulassen braucht Mut. Ich finde die Band immer noch toll und trotzdem will ich das nicht mehr machen. Die Energie, die nach Wir sind Helden frei­gesetzt wurde, ist nun in dieser Platte und es freut mich, dass sie wie die letzten drei Jahre meines Lebens klingen.

A propos Mut, viele deiner Texte, zum Beispiel in „Pechmarie" oder „Liebe Teil 2", beschreiben den schwierigen Alltag mit Kind. In „Nichtsnutz" zeigst du, dass man auch mal nichts zu machen braucht. Ist Müßiggang für dich manchmal eine Mutprobe?

Ich finde das Thema Müßiggang total wertvoll, weil ich es wichtig finde, sich mit dem - in Deutschland würde man sagen - preußischen Arbeitsethos ausei­nander zu setzen. Unsere Gesellschaft definiert sich sehr über das, was man macht und schafft.

Einige Lieder haben einen sehr selbstironischen Touch, obwohl sie sich eher um ernstere Themen drehen. Ist Ironie deine Methode, den Dingen ihre einschüchternde Größe zu nehmen?

Das ist gewissermaßen der Blick, den ich auf die Welt habe. Ich nehme viele Sachen mit Humor. Aber nicht, um mich von ihnen zu distanzieren. Ich glaube der Humor kommt einfach mit einem liebevollen Blick. Das können dann schon schwere Themen sein, weil es ist nicht so einfach ein Mensch zu sein. Wir sind alle niedlich und es ist auch etwas Lustiges in der Art, wie wir uns abstrampeln und dem, was dabei alles schiefgeht. Ich als Fan mag es am liebsten, wenn das Ernste und das Humorvolle zusammenkommen. Wenn ich in der ersten Strophe des Liedes lache und in der dritten weine, dann ist das Lied für mich perfekt. Dann ist das Menschsein auf den Punkt gebracht.

In einem Interview hast du erwähnt, dass in deiner neuen Band Frauen dabei sind. Warum ist dir das wichtig?

In erster Linie hat das musikalische Gründe, weil auf der Platte sehr viele Backingvocals drauf sind, die mir wichtig waren. Unsere Vorbilder dafür waren Dolly Parton oder die Backingsängerinnen von Bob Marley. Ich wollte, dass das so klingt. Nach 20 Jahren, in denen man immer seine eigenen Ba­ckingvocals singt und dann auf der Bühne die Jungs „AURELIE!" brüllen hört, habe ich mir überlegt, wie das wohl mit Frauen klingen würde. Auf der anderen Seite finde ich es auch einfach super Frauen in der Band zu haben. Mein Beruf ist sehr männ­lich geprägt. Ich war jahrelang mit 18 Männern im Tourbus unterwegs. Jetzt habe ich ein Frauenma­nagement und die letzten Heldenjahre hatten wir eine technische Leiterin, der testosteronigste Job am Platz. Ein bisschen mehr Frauen in meinem Umfeld, das tut mir schon gut - allein schon, weil mir ab und zu jemand sagt, dass ich mir die Haare kämmen könnte (lacht).

Musikalisch sind die Lieder sehr unterschiedlich. Von Indie Rock und Pop bis Country und Folk lässt sich darin einiges finden.

Und Afrobeat. Und Blues. Im Prinzip bin ich meinen ganz persönlichen Vorlieben nachgegangen: von Alternative-Country über Zydeko bis hin zu afrika­nischer Musik. Jetzt wo ich alleine unterwegs bin, mach ich eben jeden Quatsch, der mir so einfällt. Auf „Ein leichtes Schwert" sind viele verschiede­ne Musikstile zu hören, aber sie haben alle eine gemeinsame Wurzel und das ist ein ausgeprägter Mangel an Perfektionismus.

 

www.judithholofernes.com

Konzert: 9.4. Wien, Arena

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