Forschung

Kabelsalat in Öl

  • 24.06.2015, 20:18

40°C warmes Ölbad – was für manche wie eine Wellnessidylle klingt, ist für den schnellsten Computer Österreichs Alltag. progress hat sich den Supercomputer ,,Vienna scientific Cluster" genauer angesehen.

40°C warmes Ölbad – was für manche wie eine Wellnessidylle klingt, ist für den schnellsten Computer Österreichs Alltag. progress hat sich den Supercomputer ,,Vienna scientific Cluster" genauer angesehen.

„Legen Sie lieber die Jacke ab, es wird heiß!“ Damit soll Ernst Haunschmid, technischer Leiter des  Vienna  Scientific  Cluster  (VSC),  Recht behalten. Angenehme  40°C  Lufttemperatur  erwarten mich im Rechnerraum  des  VSC-3,  der  dritten  Version  des Supercomputers. Wenig konnte ich mir unter einem Hochleistungsrechner vorstellen, umso mehr staune ich über die Meter an schwarzen Kabeln, die aus weißen Tanks heraushängen. „Dagegen ist der Kabelsalat unter meinem Schreibtisch gar nichts“, ist mein erster Gedanke. Als Ernst Haunschmid den Deckel eines Tanks öffnet, blicke ich auf in Mineralöl eingelegte sogenannte Knoten. Diese kann man sich vereinfacht als Einzelcomputer vorstellen, die über ein Hochleistungsnetzwerk miteinander verbunden sind. Das Öl ist notwendig, um den VSC-3 zu kühlen.

Auch  die  roten  Kabel,  die  zusammen mit gelben und orangen an der Decke entlangführen und an manchen Stellen wie Lametta den Raum schmücken, erfüllen eine wichtige Funktion. Sie sind die Früherkennungssensoren  im  Brandfall – eine Gefahr, die man im Zusammenspiel mit Öl nicht unterschätzen darf. Auch die Behörden interessieren sich für dieses Thema, doch Ernst Haunschmid beruhigt: „Es ist schwierig, dieses Öl zu entzünden. Bei einem Flammpunkt von 177°C geht das nicht so einfach, nicht  einmal mit  einem Bunsenbrenner.“

Foto: Luiza Puiu

BAUSTELLE. In einem der Nebenräume werfe ich einen Blick auf das ausgeklügelte Kühlsystem und seine imposante Architektur. Von einem großen, zylinderförmigen Behälter führen dicke silberne Rohre weg und bahnen sich ihren Weg durch den Raum. Hier befindet sich unter anderem die Kühlleitung des VSC-2. Der Kühlraum entspricht meinen Vorstel- lungen von einem Ort, an dem High-class-Science passiert. Dass man einen der schnellsten Computer der Welt allerdings auf einer Baustelle suchen muss, hätte ich mir nicht gedacht. Denn auch jetzt wird noch  renoviert.

Am Gelände des Arsenals, zwischen dem Wiener Hauptbahnhof und dem Heeresgeschichtlichen Museum, steht der Supercomputer – oder besser gesagt: die Supercomputer. Mittlerweile gibt es drei Versionen des VSC, neben dem VSC-3 ist auch der VSC-2 im „Objekt 21“ am Arsenal untergebracht.

Damit die Tonnen an Material und somit auch der VSC überhaupt einziehen konnten, waren umfassen- de Vorbereitungen und aufwendige Umbauarbeiten notwendig. So musste zum Beispiel die Tragfähigkeit der  Decken sichergestellt oder die Vibrationsstärke in den Rechnerräumen getestet werden. Außerdem war eine Schutzbeschichtung am Boden notwendig, falls Öl oder Wasser ausfließen.

RECHENMASCHINE. Der Vienna Scientific  Cluster ist ein Projekt von acht österreichischen Universitäten und soll als schnellster Computer des Landes Spitzenleistungen im Bereich der Forschung erbringen. Diese Spitzenleistungen erreicht der VSC durch seine vielen „Cores“, also Prozessorkerne. Sie geben darüber  Auskunft, wie viele Rechenprozesse der Supercomputer parallel ausführen kann. An der Technischen Universität Wien wurde 2009 die erste Version des VSC, der VSC-1, in Betrieb genommen. Aufgrund der schnell voranschreitenden technischen Entwicklungen ließen sich die Energiekosten für das „veraltete“ System aber schon bald nicht mehr rechtfertigen – der Grundstein für den VSC-2 war gelegt. Die Einweihung des VSC-2 im Jahr 2011 fand bereits in den Räumlichkeiten des Arsenals statt. Zusätzlich zu den ursprünglichen Initiator*innen, der Universität für Bodenkultur, der Universität Wien und der Technischen Universität Wien, schlossen sich fünf weitere Unis dem Projekt an: die Universität Graz, die Technische Universität Graz, die Montanuniversität Leoben, die Universität Innsbruck und die Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Das Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft greift dem kostenintensiven Projekt seit Beginn an finanziell unter die  Arme.

2014 folgte der VSC-3. Das Besondere und Neue am VSC-3 ist die Ölkühlung. Bereits die Projektausschreibung war vom Gedanken geprägt, die Betriebskosten auf Dauer niedrig zu halten und dafür zu Beginn mehr in die Energieeffizienz zu investieren. Das Kühlsystem des VSC-3 wurde mit Platz 86 in der Green-500-Liste der weltweit energieeffizientesten  Supercomputer  belohnt.

Als ich den VSC-3 besuche, beträgt die Öltemperatur 47°C. Doch das kann sich schnell ändern, denn die Außentemperatur beeinflusst die maximale Kühl-leistung und dadurch die Öltemperatur wesentlich. Ernst Haunschmid rechnet nicht damit, dass der VSC-3 länger als fünf Jahre existieren wird. Die technische Wartung ist auf drei Jahre anberaumt, danach werden die Kosten zu hoch. Aus demselben Grund nahm man den VSC-1 Anfang April außer Betrieb: Die Energiekosten sind im Verhältnis zum Output schlicht zu hoch  geworden.

Foto: Luiza Puiu

ELF JAHRE. Forscher*innen, hauptsächlich aus den Naturwissenschaften, können mithilfe des Vienna Scientific Cluster Simulationen zeitsparender und parallel durchführen. Lehrende und Studierende am Institut für Theoretische Chemie der Universität Wien wissen diese Möglichkeit zu schätzen. Der Chemie- Student Ludwig Schwiedrzik führte im Rahmen seiner Bachelorarbeit sechs Wochen lang Simulationen  am VSC durch, elf Jahre hätte er mit einem normalen PC gebraucht. Für die Universitätsprofessorin Leticia González und Betreuerin von Ludwig ist klar: „Ludwig kann nicht elf Jahre warten.“

Die Forscher*innengruppe unterstützt von Senior Scientist Markus Oppel legt ihr Augenmerk auf die Simulation von chemischen Prozessen, die durch das Einfallen von Licht ausgelöst werden. PhD-Student Clemens Rauer erforscht zum Beispiel die molekularen Veränderungen, die Sonnenlicht in der Haut auslöst. Bei unserem Gespräch zeigt er auf einen Standard-PC mit vier Cores und erklärt: „Ich brauche viel mehr.“ „Viel mehr“ bedeutet eine Rechnerleistung im Ausmaß des VSC-3, dieser verfügt über stolze 32.320 Cores.

TEAMARBEIT. Um Zugang zum Vienna Scientific Cluster zu erlangen, muss das eigene Projekt einen Peer-Review-Prozess durchlaufen. Mithilfe mehrerer Gutachten wird dabei die wissenschaftliche Exzellenz geprüft. Neben diesem Kriterium gilt natürlich auch, dass man für die Durchführung der Forschung eine extrem hohe Rechenleistung benötigt. Ein gefördertes und damit bereits begutachtetes Projekt wie jenes von Clemens Rauer erhält viel leichter  und unkomplizierter Zugang zum VSC. Nur ein Wochenende musste der PhD-Student warten, bis er eine Zusage bekam und auch sein VSC-Account war innerhalb von fünf Minuten eingerichtet. Wer also schon in der „Scientific Community" oder in eine Forschungsgruppe eingebettet ist, kann den VSC ohne größere Hürden benutzen.

„Bachelor- und Masterstudierende beantragen den Zugang zum VSC nicht selbst“, so Leticia   González. „Sie forschen zusammen in einer Gruppe und teilen sich die Stunden untereinander auf – je nachdem, wie sie es für richtig halten.“ Markus Oppel ergänzt: „Das ist anders als in den Sozialwissenschaften, wir arbeiten immer in Teams.“

Neben regulär laufenden Projekten gibt es außerdem die Möglichkeit, Testaccounts  anzulegen, um zu prüfen, ob die Arbeit mit dem VSC überhaupt gewinnbringend ist. Auch Bachelorstudent Ludwig Schwiedrzik nahm dieses  Angebot  wahr.  Schnell  war klar, dass er mit Hilfe des VSC bessere Resultate und spannendere Erkenntnisse für seine Bachelor- arbeit erzielen würde. Auf die Frage, ob er während der Arbeit mit dem VSC auf Schwierigkeiten gestoßen sei, murmelt er mit sarkastischem Unter- ton: „Nein, nie.“ Auch wenn es am Anfang kleinere Probleme mit dem neuen System gab, Simulationen zusammenbrachen oder der Bildschirm nach der Mittagspause „None of your calculations have started“ anzeigte, ist Ludwig zufrieden. Er schreibt jetzt an einer Bachelorarbeit, in der er die von Licht verursachte Mutation eines bestimmten Teils der DNA untersucht. Die Ergebnisse kann sein Gruppenkollege Clemens weiterverwenden. Ludwig ist überzeugt: „Der VSC erlaubt mir, etwas zu machen, was anders nicht  möglich wäre.“

Foto: Luiza Puiu

RANKINGS. Nach all  diesen Schwärmereien ist es verwunderlich, dass die aktuelle Version des VSC, der VSC-3, nur auf Platz 85 der 500 weltweit schnellsten Rechner gelandet ist. Wie viel Bedeutung sollte man solchen Rankings überhaupt beimessen und wie aussagekräftig sind sie? Für Ernst Haunschmid vom VSC-Team geben sie wenig Auskunft über die tatsächliche Leistung des Rechners. Wäre ein höherer Platz im Ranking das primäre Ziel gewesen, hätte man das Projekt anders entwerfen müssen, ist Haunschmid überzeugt: „Die Frage ist, ob man das System optimal an eine Liste oder an seine Kund*innen anpassen will.“ Für ihn sind Supercomputer-Rankings „mehr PR als Herzensangelegenheit“ und ein Anziehungspunkt für Geldgeber*innen. Das kann man daran erkennen,   dass beispielsweise Minister*innen eher bei einem Termin auftauchen, wenn das Projekt einen Top-Platz vorweisen kann.

Der Gedanke von konkurrenzfähiger Forschung ist nichts Neues. So spricht auch Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner davon, dass der Vienna Scientific Cluster „die Wettbewerbsfähigkeit des Forschungsraums Österreichs absichert“. Auch wenn Markus Oppel vom Institut für Theoretische Chemie auf Kritik an Rankings hinweist, würde er gerne mit Ländern wie der Schweiz oder Deutschland mithalten können. Aufgrund höherer Investitionen in die Forschung gibt es dort größere und leistungsstärkere Computer, die für Wissenschafter*innen attraktiv sind.  Leticia  González hält es für gut und wichtig, dass der VSC-3 auf Platz 85 im Ranking der besten Hochleistungsrechner auftaucht. Trotzdem behält sie im  Hinterkopf: „Da sind 84 besser als wir.“

PhD-Student Clemens Rauer  stellt  schmunzelnd  fest: „Natürlich  wäre es nett, Zugang zum erstplatzierten Computer zu bekommen.“ Und Bachelorstudent Ludwig Schwiedrzik erwähnt in diesem Zusammenhang zukünftige Bewerbungen. Wenn er eines Tages ein Projekt mit einer höheren Computerleistung durchführen will, sieht er anhand der Liste, welche Unis dafür überhaupt in Frage kommen.

Im Arsenal plant man unterdessen schon den VSC-4. Jener Raum, in dem ich wegen der Hitze meine Jacke ablege, wird in  Zukunft die vierte Version des österreichischen Supercomputers beherbergen. Die Ausschreibung und Materialbeschaffung ist für 2016 anberaumt, 2017 will man den Betrieb aufnehmen. Vielleicht erfüllt der VSC-4 ja den Wunsch von Markus Oppel. Er wünscht sich, auf internationalen Konferenzen sagen zu können: „Wir haben jetzt den VSC-4 und sind in den Top 20.“

Sonja Luksik studiert Politikwissenschaft an der Universität Wien.

Unnötige Menschen?

  • 24.06.2015, 19:57

Robert Trappl gründete vor mehr als 30 Jahren das Forschungsinstitut für Künstliche Intelligenz in Wien. Damals arbeitete sich die Science-Fiction noch am Thema ab, heute ist Künstliche Intelligenz Realität.

Robert Trappl gründete vor mehr als 30 Jahren das Forschungsinstitut für Künstliche Intelligenz in Wien. Damals arbeitete sich die Science-Fiction noch am Thema ab, heute ist Künstliche Intelligenz Realität.

progress: Sie gelten als Artificial-Intelligence-Pionier. Wann haben Sie begonnen, sich für Künstliche Intelligenz zu interessieren?

Robert Trappl: Ich habe 1984  das Österreichische Forschungsinstitut für Artificial Intelligence (OFAI) gegründet. Der Begriff Artificial Intelligence wurde ja erst 1956 von John McCarthy geprägt, der einen Namen für eine Konferenz gesucht hat. Bis man davon in Österreich gehört hat, hat es eine Weile gedauert.

Was interessiert Sie an Künstlicher Intelligenz?
Ich habe mich schon immer für die menschliche Psyche und die verschiedenen Zugänge dazu interessiert. Da gibt es zum einen die Introspektion,  also   das   Sich-selbst-Beobachten  wie in der Poesie und der Literatur. Dann gibt es die Verhaltensbeobachtung, die zum sozialen Überleben dient – das wird in psychologischen Experimenten systematisch gemacht; vulgärpsychologisch: wie Menschen ticken. Der dritte Punkt, der mich interessiert, ist „the mind“, also die Frage, was sich im menschlichen Gehirn tut – ein Gebiet, auf dem die Fortschritte im letzten Jahrhundert gigantisch waren. Und der vierte, für mich spannende Zugang zur Psyche ist Künstliche Intelligenz, wobei es hier zwei Ansätze gibt: Einerseits will man menschliche Leistungen durch Computer hervor- bringen, die die Dinge möglicherweise besser  können  als  der  Mensch. Da  geht es nicht um Abläufe, sondern um Ergebnisse, wie beim Taschenrechner. Andererseits geht es um die Modellierung psychischer Vorgänge, wobei das nicht nur Denkvorgänge sein müssen, sondern auch Emotionen, Motivationen und Persönlichkeitsabläufe sein können.

Warum bekommt das Thema Künstliche Intelligenz aus Ihrer Sicht derzeit besonders viel mediale Aufmerksamkeit?
Es gibt dafür zwei Gründe: Zum einen hat der Philosoph Nick Bostrom das Buch  „Superintelligence“ geschrieben. Er vertritt die Meinung, dass Artificial- Intelligence-Systeme die Welt beherrschen werden, wenn ihre Entwicklung so weitergeht. Was dann mit uns Menschen passiert, ist offen. Wahrscheinlich werden wir für unnötig befunden.

Glauben Sie das auch?
Personen, die das glauben, empfehle ich immer, etwas für den Tiergarten Schönbrunn zu spenden, für den Fall, dass uns die Roboter in 30 oder 40 Jahren dort besuchen werden. Auch Stephen Hawking, Elon Musk und Bill Gates haben sich sehr kritisch geäußert. Prognosen sind schwierig. Ich glaube nicht an so ein Szenario, aber ich kann eine Katastrophe nicht ausschließen.

Und was ist der zweite  Grund für die Hochkonjunktur der Künstlichen Intelligenz?
Der zweite Grund ist eine Diskussion, die es schon länger gibt. Die Wissenschafter Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee vom  MIT haben dazu das Buch „The Second Machine Age“ geschrieben. An ihre Thesen glaube ich schon eher. Sie sagen, dass eine neue technologische Revolution zu enormen Fortschritten, aber gleichzeitig zur Bedrohung von Arbeitsplätzen führen wird. Früher saßen im Cockpit eines Flugzeuges fünf Menschen, heute nur noch zwei. Es sind U-Bahnen ohne FahrerInnen unterwegs. Eines der interessantesten Themen derzeit sind selbstfahrende Autos. Auch wenn es derzeit in Deutschland und Österreich damit noch rechtliche Probleme gibt: Sie kommen sicher. Das wird weder die TaxlerInnen noch zigtausende LKW-FahrerInnen freuen. 

Empfinden Sie diese Prognosen als Segen oder als bedrohlich?
Ich bin da einer Meinung mit  Johannes Kopf, dem Chef des AMS. Er sagt, dass es aus historischer Perspektive schon öfter technologische Umbrüche gab, aber die Arbeit nie ausging. Denken Sie etwa an den Mangel in den Sozialberufen derzeit. Die Automatisierung und Maschinisierung vieler Arbeitsvorgänge waren Voraussetzung dafür, dass wir heute keine 70-Stunden- Wochen mehr haben.

Bedeuten diese Entwicklungen nicht, dass es quasi nur noch TechnikerInnen  braucht,  die die Maschinen programmieren und reparieren?
Schon heute haben es die weniger Qualifizierten schwer. Früher haben 20 Menschen in einem Warenlager gearbeitet, jetzt braucht es nur noch eineN Logistik-Spezialisten/in, der oder die mit dem Computer umgehen kann. Die gering qualifizierten Berufe sind  also  am Aussterben.

Welche Entwicklungen der Künstlichen Intelligenz kommen konkret in der näheren Zukunft auf uns zu?
Die selbstfahrenden Autos werden wahrscheinlich eine Revolution im Verkehrswesen bedeuten. Schon jetzt lässt sich abschätzen, dass die Anzahl der Unfälle drastisch zurückgehen wird, die bestehenden Straßen besser ausgenützt werden und fast keine neuen mehr gebaut werden müssen. Auch der Spritverbrauch wird zurückgehen. Außerdem können ältere Menschen dadurch länger mobil sein.

Was noch?
Kennen Sie den Film „Her“ von Spike Jonze? Er zeigt, wie sehr sich synthetische Persönlichkeiten weiterentwickeln werden. Das wird vor allem im Zusammenhang mit Robotern wichtig sein. Bei  Robotern sehe ich schon jetzt einen großen Bedarf, etwa in der Pflege. In Europa überaltert die Bevölkerung, immer mehr Menschen sind betreuungsbedürftig. In Österreich arbeiten im Pflegesektor Leute aus der Slowakei, Ungarn und Co., die dort dann fehlen. So kann es nicht weitergehen. Auch Menschen mit besonderen Bedürfnissen können die Entwicklungen der Artificial Intelligence helfen: Die IT macht es ihnen schon jetzt möglich, nahezu uneingeschränkt am  sozialen  Leben teilzunehmen. Spannend wird die Kombination von Robotern und synthetischen Persönlichkeiten  werden.


Alexandra  Rotter  hat  Kunstgeschichte an der Universität Wien und der Université  de  Lausanne  studiert  und arbeitet als freie Journalistin mit Schwerpunkt Wirtschaft  in Wien.

„Rassismus ist gut integriert“

  • 24.06.2014, 19:22

Die Sozialwissenschafterin und Aktivistin Araba Evelyn Johnston-Arthur forscht über institutionellen Rassismus und Widerstand in Österreich. Im Interview erklärt sie, warum Hochschulen und Bildung dabei eine wichtige Rolle spielen.

Die Sozialwissenschafterin und Aktivistin Araba Evelyn Johnston-Arthur forscht über institutionellen Rassismus und Widerstand in Österreich. Im Interview erklärt sie, warum Hochschulen und Bildung dabei eine wichtige Rolle spielen.

Als die Aktivisten Kwame Toure (vormals Stokely Carmichael) und Charles Hamilton in den 1960ern in den USA das Konzept des institutionellen Rassismus prägten, benannten sie jene Dimensionen von Rassismus, die Kameras nicht einfangen können. Sie zeigten auf, dass sich Rassismus nicht in isolierten Gewalttaten des Ku-Klux-Klans erschöpfte, sondern rassistische Strukturen fest in der Mitte der Gesellschaft verankert sind. Araba Johnston-Arthur zeigt, dass das Konzept bis heute nicht an Aktualität eingebüßt hat.  

progress: Im Jahr 2000 hast du geschrieben, dass ein Bewusstsein für die Realität von Rassismus in Österreich erst am Anfang steht. Hat diese Aussage noch immer Gültigkeit?

Araba Johnston-Arthur: Gerade im österreichischen Kontext wird nach wie vor oft hartnäckig verleugnet, dass es Rassismus überhaupt gibt. Wenn man dann doch von Rassismus spricht, dann herrscht meist eine individualisierte Auffassung davon vor: Rassismus wird auf einzelne Ereignisse und individualisierte Gewaltakte reduziert. Dabei wird auch häufig klassistisch argumentiert: Rassismus sei ein Problem der ModernisierungsverliererInnen und der ungebildeten ArbeiterInnen. Er wird damit auf die „Anderen“ projiziert und nicht als gut in der Mitte der Gesellschaft verankerte, alle Institutionen – Justiz, Polizei, Schule etc. – durchwirkende Realität verstanden.

Gleichzeitig müssen sich Schwarze Menschen und People of Color täglich angesichts der vielschichtigen Realität von Rassismus behaupten. Hier gibt es sehr wohl diesbezügliches Wissen. Die Frage ist also, von wessen Bewusstsein wir sprechen, es gibt hier nämlich einen krassen Kontrast. Vor diesem Hintergrund ist das Benennen von institutionellem Rassismus an sich schon ein zentraler Akt des Widerstands, weil damit ein sehr mächtiges Schweigen gebrochen wird. Audre Lorde (Anm. d. R.: Schwarze US-amerikanische Literaturwissenschafterin und Schriftstellerin) betonte, dass wir unsere Unterdrückung nicht bekämpfen können, solange wir sie nicht benennen.  

Welche Dimensionen hat institutioneller Rassismus an österreichischen Hochschulen?

Zunächst stellt sich die Frage, wer überhaupt Zugang zu den österreichischen Hochschulen hat. Wenn wir an die frühe Trennung in Gymnasium und Hauptschule denken, oder daran, wer in die Sonderschule geschickt wird, werden eine Reihe historisch gewachsener klassistischer und rassistischer Ausschlussmechanismen sichtbar. Darüber hinaus kommt den Universitäten als umkämpftes Repräsentationssystem eine wichtige Rolle zu. Welche Art von Wissen wird an den Universitäten vermittelt und institutionalisiert? In Frankreich beispielsweise wollte man 2005 gesetzlich festschreiben, dass Universitäten und Schulen die positive Rolle des französischen Kolonialismus zu vermitteln haben. Dagegen gab es heftige Proteste.

Es geht nicht nur um Fragen des Zugangs, sondern auch um interne Hierarchien.

Generell sind wir rassifizierten „Anderen“ nach wie vor häufig nur als Forschungsobjekte sichtbar, als politische Subjekte und Forschende hingegen viel zu unsichtbar. Es gibt in dieser Hinsicht Veränderungen, aber das sind noch zarte Pflänzlein. May Ayim (Anm. d. Red.: afro-deutsche Schriftstellerin) hatte 1986 große Schwierigkeiten, eineN ProfessorIn für die Betreuung einer Magisterarbeit in Pädagogik über Rassismus in Deutschland zu finden. Dahingehend hat sich bis heute nicht viel verändert, auch im österreichischen Kontext nicht. Wichtig finde ich in diesem Zusammenhang auch die Kritik der Historikerin Fatima El-Tayeb bezüglich der dominanten Rezeption von postkolonialer Theorie: Auch im deutschsprachigen Raum wird mittlerweile einiges aus dieser Perspektive dekonstruiert, aber die unbequemen, vor der eigenen Nase liegenden Machtverhältnisse, die auch in unseren Universitäten herrschen, werden selten thematisiert.

An den Universitäten scheint institutioneller Rassismus in der eigenen Institution kaum Thema zu sein. Woran liegt das?

Natürlich wacht die Universität nicht eines Tages auf und beschließt sich mit ihrem eigenen strukturellen Rassismus zu beschäftigen. Die Frage ist, aus welcher Perspektive wir das betrachten. Rassismus ist in den Hörsälen durchaus ein Thema für all jene, die sich angesichts des rassistischen Status quo behaupten müssen. In der Wahrnehmung der Mehrheit existiert dieser Status quo aber einfach nicht. Es gab und gibt aber durchaus oft diesbezügliche individuelle und kollektive Interventionen. Beispielsweise haben sich Studierende of Color organisiert, um gegen Ausschlüsse auf struktureller Ebene und für politische Mitbestimmung an österreichischen Universitäten zu kämpfen.

Du selbst hast dein Studium in Ghana, England und Österreich absolviert, jetzt forschst du in den USA. Inwiefern unterscheiden sich die Situationen an den unterschiedlichen Hochschulen?

Gleich nach der Matura war ich ein Jahr an der Universität in Legon in Ghana. Das war für mich sehr wichtig. Dort habe ich unter anderem gelernt, dass auch die Frage der Ressourcen und Infrastruktur eine strukturelle ist und mit neokolonialen Verhältnissen in Zusammenhang steht. Wir mussten dort zum Beispiel Bücher von ghanesischen Autor Innen aus London bestellen. An der Uni in London habe ich gelernt, wie aktuell die Glorifizierung des eigenen britischen Kolonialismus und die Tabuierung von Rassismus in diesem Zusammenhang noch immer sind. Mein Entschluss, meine Dissertation nicht in Wien, sondern an der Howard University, einer historisch Schwarzen Universität in Washington DC, zu schreiben, hat wiederum viel damit zu tun, dass ich in Howard nicht immer wieder argumentieren muss, dass Rassismus überhaupt existiert, sondern mich auf die Analyse seiner Mechanismen und die damit zusammenhängenden Schwarzen Widerstände konzentrieren kann.

Welche konkreten Maßnahmen wären aus deiner Sicht im Kampf gegen institutionellen Rassismus an den Hochschulen zu setzen?

Zentral ist hier zunächst das Wissen über den Status quo von Rassismus an den Hochschulen selbst. KollegInnen und ich haben in Zusammenarbeit mit den Gleichstellungsarbeitskreisen eine Zeit lang Workshops zu institutionellem Rassismus an verschiedenen Unis gemacht. Leider werden die verschiedenen Diskriminierungsmechanismen aber oft in Konkurrenz zueinander gesehen: also (Hetero-)Sexismus vs. Rassismus vs. Klassismus. Tatsächlich verstärken sie sich jedoch gegenseitig. Wir müssen verschiedene Diskriminierungssysteme in ihrer Gleichzeitigkeit verstehen, weil man sonst die Lebensrealität der Menschen, die in den Hochschulen arbeiten und studieren, verkennt. Wie Audre Lorde sagt: „There is no such thing as a single-issue struggle because we do not live single-issue lives.”

An der Akademie der bildenden Künste in Wien versucht man derzeit eine antidiskriminatorische Betriebsvereinbarung umzusetzen. Dabei geht es auch darum, Diskriminierung als strukturelles Problem zu bekämpfen und Mehrfachdiskriminierung sichtbar zu machen. Gleichzeitig frage ich mich, inwieweit der Kampf gegen institutionellen Rassismus nicht einer ist, der die Ebene von Maßnahmen sprengt.

Rassismus wird wie Migration in Österreich oft als neues Phänomen gesehen. Du zeigst auf, dass Rassismus in Österreich aber eine lange Geschichte hat.

Nehmen wir zum Beispiel den Mainstream-Diskurs über Migration und Flüchtlinge. Als immer mehr Flüchtlinge aus dem Osten kamen, gab es zunächst Sympathie. Das änderte sich, als zunehmend rumänische Flüchtlinge kamen und viele davon Roma waren. Nun wurden uralte Rassismen bemüht, die weit zurückgehen. So war zum Beispiel Maria Theresia in Europa federführend in Sachen repressiver Gesetzgebung gegen Roma und Sinti. Diese Geschichte wird aber unsichtbar gemacht. Das Gleiche gilt für das gegenderte rassistische Wissen, das über Schwarze Menschen vorherrscht: die angebliche Aggressivität Schwarzer Männer, die pathologisierte Sexualität Schwarzer Frauen – damit wird etwas aufgewärmt, was eine lange Geschichte hat. In Österreich tut man so, als wäre das alles ganz neu, weil man keine Kolonien in Afrika hatte. Österreich ist aber Teil eines gesamteuropäischen kolonialen Denksystems und diese Bilder sind tief im populären Bewusstsein verankert. Wir finden sie in der Oper, in der Literatur, in den Mehlspeisen, in unseren Redewendungen und so weiter. Und das bleibt nicht auf der Ebene der Sprache, sondern ist Teil einer sozialen Praxis. Diese Stereotype spiegeln sich in vielen Amtshandlungen der Polizei wider: Schwarzes Objekt, besonders gefährlich, mehr Polizei verlangt. Rassistische Gewalt wird so gerechtfertigt. Und das ist nicht auf Österreich beschränkt. Diese zum Teil tödlichen Mechanismen sind global wirksam.

Wie siehst du die aktuellen Auseinandersetzungen in Österreich rund um die Verwendung des N-Wortes?

Man sieht hier wieder einmal, dass Rassismus meist als etwas verstanden wird, was hauptberufliche RassistInnen aus dem rechten Eck betreiben. Damit wird verwischt, wie tief Rassismus in der Gesellschaft verankert ist.

Faszinierend ist, dass Rassismus und die Kritik daran, zu solchen Anlässen columbusartig immer wieder neu entdeckt werden. Kritik an Rassismus wird von verschiedenen MigrantInnencommunities, Schwarzen Menschen und People of Color aber schon seit Jahrzehnten formuliert und gelebt. Meist wird das aber schlicht ignoriert. Wenn Kritik dann doch Gehör findet, ist interessant, wie reagiert wird. In Österreich ist dann immer sofort von einer Political-Correctness-Hysterie die Rede. Damit werden Rassismus und die Kritik daran auf eine sprachliche Ebene reduziert. Es geht aber um einen strukturellen Gesamtzusammenhang. Aktuell hat Pamoja, die Bewegung der jungen afrikanischen Diaspora in Österreich, die Verwendung des N-Worts und die Praxis des Blackfacing bei den Wiener Festwochen kritisiert. In dem Statement von Pamoja geht es überhaupt nicht um Political-Correctness. Vielmehr wird die Kritik im Kontext einer größeren Realität von strukturellem Rassismus gegenüber Schwarzen Menschen geübt. Bei dieser Auseinandersetzung geht es auch um Definitionsmacht: Wer darf definieren, was rassistisch ist und was nicht? Und wer ist überhaupt in der Position zu sprechen?

Außerdem ist es in einem Land wie Österreich, wo so viel Antisemitisches und Rassistisches sagbar ist, absurd von einer Political Correctness-Hysterie zu sprechen. Rassismus ist in Österreich gut integriert.

 

„Die öffentliche Uni hat der Gesellschaft etwas zurückzugeben“

  • 07.03.2014, 11:13

Die österreichischen Hochschulen befinden sich seit 15 Jahren in einem massiven Wandlungsprozess, der nicht zuletzt unter dem Schlagwort „Bildungsökonomisierung“ diskutiert wird. Luise Gubitzer, Ökonomin und Professorin an der Wiener Wirtschaftsuniversität, erklärt im Gespräch mit progress, warum diese Tendenzen die Forschung verengen und die Gesellschaft viel mehr von der öffentlichen Universität fordern müsste.

Die österreichischen Hochschulen befinden sich seit 15 Jahren in einem massiven Wandlungsprozess, der nicht zuletzt unter dem Schlagwort „Bildungsökonomisierung“ diskutiert wird. Luise Gubitzer, Ökonomin und Professorin an der Wiener Wirtschaftsuniversität, erklärt im Gespräch mit progress, warum diese Tendenzen die Forschung verengen und die Gesellschaft viel mehr von der öffentlichen Universität fordern müsste.

progress: Welche Aufgabe haben die Universitäten heute aus ihrer Sicht?

Luise Gubitzer: Es ist immer noch die „alte“ Aufgabe: junge Menschen zum Denken anzuregen. Diese Rolle des Denkens diskutiert auch Horkheimer in seiner Antrittsrede 1952 an der Universität Frankfurt. Er sagt, die jungen Menschen müssen darin bestärkt werden und wir müssen ihnen Möglichkeiten und Werkzeuge geben, um zu einem eigenständigen Denken zu finden. Philosophen dieser Zeit sind durch die Nazi-Herrschaft darin geschult, dass eine Massengesellschaft Mitläufertum heißen kann. Ich halte es für unsere unmittelbarste Aufgabe, zum Reflektieren anzuregen und eine gewisse Distanz zu realen Prozessen aufzubauen. Aus entsprechenden Beobachtungen ergeben sich wiederum Forschungsaufgaben und Lehrgegenstände für die Universität. Die öffentliche Uni muss sich immer wieder mit den Aufgaben, die sie gegenüber der Gesellschaft wahrzunehmen hat, in Beziehung setzen.

Gerade im Fall der Wirtschaftsuniversität (WU) halte ich es für zentral, nicht nur Ausbildung zu bieten, sondern darüber zu reflektieren, welche Aufgabe bzw. Rolle ein Unternehmen in der Gesellschaft hat. Auch wir sind eine öffentliche Uni, die der Gesellschaft etwas zurückzugeben hat. Und das heißt nicht, sich ausschließlich darauf zu konzentrieren, der gewinnorientierten Wirtschaft qualifizierte ManagerInnen zu liefern. Es braucht ein breiteres Verständnis.

Was erwarten sich aber die Studierenden, wenn sie an die Uni kommen: im Reflektieren geschult zu werden oder eine Berufsausbildung?

Es gibt die Erwartung, die Persönlichkeit weiter zu entwickeln und sich mit der eigenen Aufgabe, dem eigenen Standing in der Gesellschaft zu befassen. Das ist vorhanden und daraus können wir etwas machen. Aber wir müssen das bewusster wahrnehmen. Denn mit der Studieneingangsphase machen wir an der WU das Gegenteil: Massenprüfungen, bei denen die Studierenden nicht mehr als eine Matrikelnummer sind. Und darüber melden die Studierenden tiefe Betroffenheit, sie wollen mehr sein als eine Nummer.

Die jungen Menschen brauchen eine „Ich-Stärkung“. Aber die richtet sich dann eben danach, was ihnen die Universität bietet. Wenn es ein Jahr lang Massenveranstaltungen gibt, dann sozialisieren sie sich im Kontext von Konkurrenz und Egoismus und letztlich entsteht bei denen, die durchkommen, ein elitäres Bild davon, wer man jetzt ist. Es gibt auch andere Fähigkeiten, die bei den Studierenden angelegt sind, etwa Reflexions- oder Kritikfähigkeit – aber die können sie nicht weiterentwickeln, wenn die Rahmenbedingungen es nicht zulassen.

Diese Rahmenbedingungen sind nicht zuletzt durch Tendenzen entstanden, die immer wieder als „Bildungsökonomisierung“ bezeichnet werden. Was verbinden Sie mit diesem Begriff?

Ich sehe verschiedene Ebenen der Bildungsökonomisierung. Es gab an den Universitäten eine Übernahme des Vokabulars, der Denkweise und der Organisationsform aus der gewinnorientierten Wirtschaft. Das drückt sich in quantitativen Auswertungen und im Statuswettbewerb aus – Wissensbilanzen und Rankings spielen hier eine Rolle. Obwohl die öffentliche Universität komplett andere Aufgaben hätte als ein gewinnorientiertes Unternehmen. Aber es herrscht eine industrielle Sichtweise von der Uni vor. Sie wird als Betrieb gesehen, der Waren produziert und seinen Output stets zu steigern hat: mehr Publikationen, mehr AbsolventInnen, etc.

Diese Übernahme der marktwirtschaftlichen Kategorien geht bis zur „Filetierung“, die ja auch ein Element neoliberaler Entwicklungen im Unternehmensbereich ist: also Unternehmen zu teilen und die einzelnen Teile bestmöglich zu vermarkten. An den Unis bedeutet das, dass Monografien als Habilitation nicht mehr gerne gesehen werden. Bereits Dissertationen sollen in drei Artikel filetiert werden und das setzt sich im Forschungsprozess fort. Da stellt sich dann die Frage, wo Grundlagenforschung und ein längerfristiger Denkprozess noch Platz haben.

Sie haben Rankings erwähnt – inwiefern führt dieser Wettbewerb unter den Universitäten zu einer Veränderung dessen, was innerhalb der einzelnen Unis passiert?

An der WU ist Vieles in diese Richtung umgestellt worden. Das äußert sich vor allem darin, dass ProfessorInnen berufen werden, die bereits in Ranking-Journals publiziert haben. Aber dadurch entstehen keine neuen Forschungsrichtungen, weil es für solche eben keine gerankten Journals gibt. Rankings begrenzen die Forschung und auch die Gehirne. Eine Möglichkeit dem entgegen zu wirken wäre, dass man im Rahmen des Hochschulbudgets einen Topf zur Verfügung stellt, der nur dazu da ist, völlig unorthodox zu forschen. Es muss Platz für freie Forschung geben.

Eine andere Entwicklung, die in Zusammenhang mit „Bildungsökonomisierung“ immer wieder genannt wird, sind Privatisierungen. Wie sehen Sie das?

Das kann man an der WU deutlich beobachten: Es gibt einen privaten Sicherheitsdienst, einen privaten Putzdienst – neuerdings werden sogar Prüfungserstellung und Prüfungsvorbereitung outgesourct. Gleichzeitig gibt es starke Bestrebungen die Drittmittelforschung auszubauen. Das halte ich für ein großes Problem. Es gibt Stiftungsprofessuren, die von Unternehmen gesponsert werden. Das heißt nicht nur, dass die Person die Inhalte beeinflusst, sondern sie kann auch ihre Sichtweise von der Institution Universität und deren Aufgaben in die Gremien hineintragen. Denn im Rahmen der Ökonomisierung sind die Universitäten ja auch stark hierarchisiert worden – Stichwort: Universitätsgesetz.

Ein aktuelles Thema ist in dem Zusammenhang auch das Sponsoring. Wenn Sie durch den WU-Campus gehen, sehen Sie die OMV Library, den Redbull Hörsaal und so weiter. Durch die ständige Präsenz der Unternehmen wird es schwieriger, diese kritisch zu hinterfragen. Aus Sicht der Unternehmen ist das eine sehr gute Werbemaßnahme. Es wäre interessant zu wissen, was in diesen Sponsoringverträgen steht.

Zynisch formuliert könnte man ja sagen, dass die Unis in Anbetracht der chronischen Unterfinanzierung froh sein können, wenn sie Geld von Privaten erhalten.

Das Problem daran ist, dass es zunehmend zu einer Selbstverständlichkeit wird, dass sich Universitäten so finanzieren. Auch die Ankündigung von Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner, die Drittmittelforschung noch weiter ausbauen zu wollen, zeigt, dass sich der Staat zunehmend auf eine Art Basisfinanzierung zurückzieht. Den Rest müssen sich die Unis dann anderswo herholen. Für mich ist die Aufgabe des Staates aber nach wie vor die volle Ausfinanzierung der öffentlichen Bildung – für alle, die studieren wollen und zwar ohne Studiengebühren. Öffentliche Bildung hat nämlich vielfache positive, multiplikative Effekte.

Aber entspricht das noch dem Selbstbild der Politik? Ist nicht der Sachzwang, dass es zu wenig Geld gibt und alle sparen müssen, hegemonial geworden, weshalb der Rückzug der Politik aus der Finanzierung legitim erscheint?

Mit der Ökonomisierung der Bildung ist auch eine Ökonomisierung der PoltikerInnen und der RektorInnen einhergegangen. Sie verstehen sich als ManagerInnen und zu managen bedeutet auch, weitere Drittmittel zu lukrieren. Grundsatzentscheidungen über die Ausrichtung der Universitäten  dürfen ihnen aber nicht alleine überlassen werden. Auch die Regierung soll nicht alleine bestimmen können. Für mich müsste diesbezüglich die Rolle des Parlaments, als zentrale Institution einer Demokratie, gestärkt werden. Auch die Studierenden und die wissenschaftlichen MitarbeiterInnen an den Unis müssten stärker eingebunden werden. Und nicht zuletzt muss sich auch die Öffentlichkeit für ihre Interessen stark machen.

Inwiefern?

Das öffentliche Bild der Universitäten hat sich in den letzten zehn Jahren massiv verschlechtert. Wir werden darauf reduziert, Studierende für den Arbeitsmarkt auszubilden. Dabei müsste sich die Gesellschaft viel stärker fragen, was sie von einer öffentlichen Universität erwartet und was sie von einer Forschung haben will, die aus Steuermitteln finanziert wird. Die Unternehmen wissen ganz genau, was sie von den Unis erwarten. Aber andere  gesellschaftliche Gruppen verlangen viel zu wenig von den Unis. Menschen, die in den Universitäten sind und noch etwas anderes wollen, als Studierende für den Arbeitsmarkt auszubilden, müssen gestärkt werden, um Lehre und Forschung voranzubringen. Das und eine Wiederaufwertung der internen Mitbestimmung sind erste, dringende Voraussetzungen, um die Unis wieder auf einen anderen Kurs zu bringen.

 

Interview: Theresa Aigner