Fernsehen

Bekannt, aber doch unbekannt

  • 23.02.2017, 20:52
Was oder wer ist OKTO?
OKTO gilt als der erste nichtkommerzielle, selbstorganisierte Fernsehsender österreichweit. Gestartet vor elf Jahren, entstehen die Produktionen auf Eigenregie, die SendungsmacherInnen sind meist unbekannte Personen aus der Zivilbevölkerung. In einem Gespräch mit dem Geschäftsführer Christian Jungwirth und den SendungsmacherInnen Ilse Kilic und Fritz Widhalm geht progress der Frage auf den Grund, was das Besondere an OKTO ist.

progress: Wie hat denn OKTO eigentlich begonnen? War es die ursprüngliche Idee, ein selbstorganisiertes Medium zu sein?
Christian Jungwirth: Das war es schon. Es gibt eine lange Tradition von partizipativen, nicht kommerziellen Medien besonders im Radio, aber auch im Fernsehen. Es hatte ein Arbeiterfernsehen in Linz gegeben. Im November 2005 erfolgte der Sendestart von OKTO. Vom Finanzierungsansatz, den die Stadt Wien wählte, war es ein gefördertes, subventioniertes Projekt, mit der Auflage, tunlichst werbefrei zu sein.

Wie würden Sie OKTO’s Sendungsstil beschreiben?
Jungwirth
: Wir sind jung, schrill, ecken in vielerlei Art an, sind sicher überraschend und definitiv alternativ. Unser Anspruch ist es, komplementär zum anderen Angebot im österreichischen Fernsehen zu sein, und ich glaube, dass es seit Bestehen sehr gut gelungen ist. Das ist unsere Legitimation. Wenn wir das verlieren würden, müsste man die Frage stellen, ob wir noch eine Berechtigung auf öffentliche Finanzierung haben, weil Mainstream und angepasste Programme gibt es genug. Wenn wir ganz ehrlich sind, ist das Programm von ORF nicht unterscheidbar vom privaten kommerziellen Programm wie RTL. Ich glaube, dass ein zunehmend großer Anteil der ZuseherInnen genug davon hat. Wir konnten das werbefreie Programm quasi auch als USB Port positionieren.
Ilse Kilic und Fritz Widhalm: Das Außergewöhnliche an OKTO ist die Tatsache, dass viele Menschen ihre Inhalte gestalten und einbringen können. Es ist eben ein Versuch, „Fernsehen von allen für alle" zu ermöglichen. Sprechen ist ja auch eine Möglichkeit, Klarheit zu gewinnen und Widersprüchlichkeiten zu diskutieren. Es geht also nicht nur um Programm- Machen. Wenn jemand aus dem Mainstream eine Sendung bei Ihnen produzieren wollen würde, würden Sie das auch zulassen? Jungwirth: Wir haben de facto professionelle JournalistInnen bei uns, die hauptberuflich im ORF tätig sind. Der inhaltliche Anspruch den wir, auch bei diesen Leuten stellen, ist, dass die Sendungen diesen komplementären, authentischen Charakter haben. Wenn wir versuchen, Formatfernsehen zu kopieren, kann das nur peinlich sein.

Wie kommt man bei OKTO zu einer eigenen Sendung?
Jungwirth:
Unsere Channel-ManagerInnen sind angestellte MitarbeiterInnen. Die sind dazu da, mit den interessierten Menschen ihre Sendungen zu entwickeln. Man bekommt das Equipment wie Kamera, Schnittplätze und Studio – alles gratis von uns. Wir schicken die Leute in die verschiedenen Workshops und dann geht es in die Produktion eines Piloten und mit ein paar Adaptierungen in die erste Episode. Der oder die MitarbeiterIn von OKTO fungiert in weiterer Folge als Coach.

Wie sind Sie zu OKTO gekommen und wie gestalten Sie Ihre Sendung „Wohnzimmerfilmrevue“? Welche Vorbereitungen treffen Sie, wenn Sie eine Folge produzieren?
Jungwirth:
Wir sind schon ziemlich lange dabei, eigentlich fast von Anfang an. Wir fanden es faszinierend, an einem solchen Projekt mitzuarbeiten. In der „Wohnzimmerfilmrevue“ zeigen wir Kurzfilme aus eigener Produktion zu verschiedenen Themen. Auch Literaturverfilmungen und kurze Lesungen von Kolleginnen und Kollegen. Wir versuchen, auf künstlerische Art und Weise Themen aufzugreifen, die im öffentlichen Raum Platz haben sollten. Sie haben letztes Jahr ihr zehnjähriges Jubiläum gefeiert.

Vieles verändert sich rasant, wie hat sich das auf OKTO ausgewirkt?
Jungwirth:
Momentan sind wir im Fernsehen sehr stark damit befasst, dieses sich erdrutschartig verändernde Fernsehverhalten der jungen Leute aufzufangen. Da ist die Herausforderung von OKTO, „Antworten“ als nicht-kommerzielles, alternatives, partizipatives Fernsehen anzubieten. Youtube hat eine etwas andere Herangehensweise, weil es in der Vielfalt unübertrefflich und komplett offen ist. Wenn wir was on-demand anbieten, muss eine Garantie mitgeliefert werden, dass es sich hierbei um authentischen und alternativen Inhalt handelt. Diesen Anspruch erhebt Youtube nicht.
Kilic und Widhalm: OKTO ist wichtiger geworden. Es ist einfach ein Gegenpol zu all den unzähligen „normalen“ Fernsehprogrammen, die die Menschen letztlich nur als Publikum sehen und ihnen die aktive Teilnahme vorenthalten. Es geht um die Stärkung der sogenannten Gegenöffentlichkeit und die Selbstermächtigung, dass die Dinge, die man zu sagen hat, bedeutend sind. OKTO ist ja nicht nur in Wien empfangbar, wie sehen die Einschaltquoten in anderen Bundesländern aus? Jungwirth: Man muss schon eingestehen: Das was OKTO ausmacht, ist ein stark urbaner Ballungsraum, besonders mit der Einbindung vieler migrantischer Communities. Bezüglich Reichweite und Nachfrage haben wir Wien im Fokus. Es freut uns auch, wenn wir am Land gesehen werden, aber da sind wir sicher eine Randerscheinung.

Wird OKTO in zehn Jahren weiterhin Teil der Medienlandschaft sein?
Jungwirth:
Wir haben in Linz „Dorf TV“, in Salzburg „FS1“ als alternative Fernsehstationen, die auch partizipativ und nicht kommerziell ausgerichtet sind. Ich bin überzeugt, dass in Zukunft die Bedeutung von Einrichtungen wie unserer zunehmen wird. Es braucht Alternativen.
Kilic und Widhalm: Der Wunsch vieler Menschen, selbst ihre Anliegen zu präsentieren und das Wort zu ergreifen wird ebenso an Bedeutung gewinnen wie die Notwendigkeit einer linken Plattform.

Ralph Chan studiert Soziologie und Geographie an der Universität Wien.

25 Jahre „Die Piefke-Saga“

  • 05.12.2015, 12:38

Als das mitunter schlechte Verhältnis der ÖsterreicherInnen zu den Deutschen universitätspolitisch noch bedeutungslos war und sich primär auf Almhütten und Skipisten ausgestaltete, produzierte der ORF das 4-teilige Fernsehspiel Die Piefke-Saga und löste damit einen handfesten Skandal aus.

Als das mitunter schlechte Verhältnis der ÖsterreicherInnen zu den Deutschen universitätspolitisch noch bedeutungslos war und sich primär auf Almhütten und Skipisten ausgestaltete, produzierte der ORF das 4-teilige Fernsehspiel Die Piefke-Saga und löste damit einen handfesten Skandal aus.

Geht es um gesellschaftskritische TV-Formate mit Österreichbezug, wird „Die Piefke-Saga“ häufig genannt. Doch bei näherem Hinsehen stellt sich die Frage, was hier eigentlich kritisiert wird und ob die propagierte Sehnsucht nach Authentizität abseits von Massentourismus und Industrie nicht weit schlimmer als die negativen Auswirkungen der beiden letzteren ist.

Richtet man etwa den Fokus darauf, wie der Nationalsozialismus in „Die Piefke-Saga“ verhandelt wird, kann man sehr unmittelbar bei der deutschen Familie Sattmann fündig werden. Heinrich, der prototypische Nazi preußischen Schlages, geizt nicht mit Geschichten aus der NS-Zeit, wie etwa der, dass PartisanInnen ihm fast den Hals aufgeschnitten hätten, als er einst auf einem Bauernhof einquartiert war. Bis in die Gegenwart der Serie – also in die frühen 1990er Jahre – hat sich Heinrich seine militaristische Identität bewahrt. Er ernennt schon mal Leute zum „Kundschafter“ und ist stolzer Besitzer einer deutschen Schäferhündin, die auf Zuruf des Alten kräftig zubeißen kann.

OFFEN UND VERSCHLEIERT. Doch Heinrich ist eine Karikatur – der offensichtliche Nazi, hinter dem die postnationalsozialistische Gegenwart zum Verschwinden gebracht wird. Im dritten Teil nimmt der alte Bergbauer Andreas eine wichtige Rolle ein. Er wiederum ist der prototypische, ursprüngliche, sich gegen die Moderne stellende Tiroler. Selbst die Renovierung seines Hofes, in dem es weder Duschen noch Toiletten gibt, ist ihm ein Dorn im Auge. Als er aus dem Krankenhaus zur Kantner-Lena – einer Einsiedlerin – flieht, wird seine NS-Vergangenheit ein einziges Mal – und dazu noch reichlich verklausuliert – thematisiert. „In den Krieg is er gangen – freiwillig!“ und hätte deshalb seine Liebschaft damals nicht geheiratet. Es wird sogar spezifiziert, dass es sich um den Zweiten Weltkrieg gehandelt hat – mehr aber auch nicht. Jetzt kommt er zu ihr zum Sterben (er stirbt aber nicht, sondern heiratet sie wenig später und ist in Teil 4 immer noch – mehr oder weniger – am Leben). Im Unterschied zu Heinrich soll das Publikum mit Andreas – dem alten Bergbauern, der vom raffgierigen Bürgermeister als Strohmann für einen Grundstückskauf missbraucht wird – sympathisieren. Darin schwingt jedoch auch Sympathie mit der praktizierten Verdrängung der österreichischen NS-Vergangenheit mit, die im konkreten Fall aus einem vormaligen Täter ein Opfer macht, das sich erst mit Hilfe der Medien erfolgreich gegen die Profitsucht der örtlichen Geld- und Machtelite zur Wehr setzen kann.

Auch kleinere Ungereimtheiten, was die Ausstattung der Serie betrifft, sind aufschlussreich. So hängt im Büro des Bürgermeisters im ersten Teil kein Portrait Kurt Waldheims, sondern eines Rudolf Kirchschlägers. Das obwohl „Die Piefke-Saga“ 1990 gedreht wurde, als schon lange nicht mehr Kirchschläger, sondern bereits seit mehreren Jahren Waldheim Bundespräsident war. Vielleicht hat man im Rathaus von Mayrhofen (der nächste Regiefehler im Bild: Die Fahne Mayrhofens ist deutlich zu erkennen, obwohl „Die Piefke-Saga“ doch eigentlich im fiktiven Lahnenberg spielt) einfach aus politischer Sympathie den Austrofaschisten Kirchschläger hängen lassen und dieser „Ausstattungsfehler“ wurde vom Fernsehspiel aus der herrschenden Realpolitik übernommen. Dafür spricht, dass in den späteren Teilen schließlich doch ein Portrait Waldheims im Hintergrund zu sehen ist.

KEINE WASCHMASCHINE. Schon im ersten Teil sticht die Figur des heimat- und naturverbundenen Dorflehrers Hans Wechselberger ins Auge. Er tritt in den ersten drei Teilen als Antagonist seines Bruders, dem von Kurt Weinzierl gespielten Bürgermeister und Hotelier Franz Wechselberger, in Erscheinung und dürfte eine Art Identifikationsfigur für Drehbuchautor Felix Mitterer sein. Hans wird als heldenhafter, wenn auch punktuell skurriler Widerstandskämpfer gegen den deutschen Massentourismus und seine Tiroler ProfiteurInnen dargestellt. Die Heimat würden sie verraten, so der ständig mitschwingende Vorwurf an den Bürgermeister und seine HandlangerInnen.

Die primäre Funktion der von Veronika Faber gespielten Frau des Bürgermeisters ist es, dem TV-Publikum zu zeigen, was die Tourismusindustrie aus den Menschen macht, die in ihr arbeiten. Sie ist eine gebrochene Frau und um das zu illustrieren, wird nicht nur ihr Alkoholismus inflationär in Szene gesetzt, sondern auch das Thema Abtreibung als zusätzlich dramatisierendes Element verwendet. Selbst die sexuelle Reproduktion ist den Zyklen des Massentourismus unterworfen und hat die Hotelbesitzerin nachhaltig beschädigt. Die Schwangerschaft der BergbäuerInnentochter Anna, die im Hotel in viel niedrigerer Position arbeitet und von Gunnar Sattmann ungewollt schwanger wurde, wird hingegen zum Ausgangspunkt für ihre Befreiung aus der Tourismusindustrie. Sie treibt nicht ab, sondern kündigt ihren Job. Freilich nicht als autonomes Subjekt, sondern wiederum mit männlicher Unterstützung und gegen den Widerstand der – abermals stark alkoholisierten – Hotelbesitzerin.

Im dritten Teil gewinnen die TirolerInnen auf so gut wie allen Ebenen die Oberhand. Zunächst sieht es noch gut aus für die deutsche Familie Sattmann: Sie eröffnet ihre Schneekanonenfabrik und baut ein Haus. Dann aber schlägt die Stunde der rechtlichen Option: Die Sattmanns verlieren das Sorgerecht für das Kind des ältesten Sohnes an Anna und den vormaligen Dorflehrer Hans. Letzterer setzt der Familie nunmehr als Umweltbeamter des Landes Tirol zu. Aufgrund seiner Interventionen dürfen die Sattmanns ihr in einer Lawinenzone erbautes Haus monatelang nicht bewohnen. Hans versucht zudem seinem Bruder das Bürgermeisteramt mit einer „grünen Liste“ streitig zu machen, zitiert Pier Paolo Pasolini und setzt auf SubsistenzbäuerInnentum. Letzteres nicht gerade zur Freude von Anna, die statt einem abgelegenen Hof ohne Warmwasser lieber eine Waschmaschine hätte, damit aber wenig Gehör findet.

Das Narrativ des dritten Teils lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Das deutsche Großkapital kommt, reißt sich in Verbindung mit den korrupten Tiroler Machteliten die Natur (in Form der Jagdpacht) unter den Nagel, macht sich selbige mittels Schneekanonen zur Untertanin und vergiftet das Trinkwasser. Am Ende rettet der Bürgermeister seinen Posten, indem er Karl Friedrich Sattmann für all das verantwortlich macht, wofür eigentlich er die politische Verantwortung trägt. Nachdem er die Bühne verlässt, um wiederum Karl Friedrich, ergo dem deutschen Großkapital, untertänigst nachzulaufen, ergreift Bürgermeisterkandidat Hans Wechselberger erneut das Wort und zitiert Andreas Hofer: „Mander, s’ isch Zeit!“ Und abermals wird die Tiroler Gegenaufklärung in Form des grünen Neobauern ohne Waschmaschine zur Identifikationsfläche für das vermeintlich kritische Publikum.

KÜNSTLICHE TIROLERINNEN UND ECHTE TIROLER. Angesichts dieser Konfliktlage tut der Bürgermeister – der selbst gewiss kein Anhänger der Aufklärung ist, zumindest aber einer des technischen Fortschritts – das einzig Richtige: Er beginnt mit Hilfe japanischer WissenschaftlerInnen die TirolerInnen in Tourismusklischee- Cyborgs umzubauen. Das passiert allerdings Off-Screen und erschließt sich dem Publikum erst im Verlauf des letzten Teils, der 1993 produziert wurde, den Titel „Die Erfüllung“ trägt und in einer dystopischen Zukunft angesiedelt ist.

Die Handlung des vierten Teils wurde von den verantwortlichen ProgrammplanerInnen als so kontrovers empfunden, dass über fast ein Jahrzehnt hinweg immer nur die ersten drei Teile im Fernsehen wiederholt wurden. Der letzte Teil, der einiges in ein anderes Licht rückt, musste derweil im Zensurarchiv des ORF vor sich hin darben.

Schon zu Beginn des vierten Teils ist bezeichnend, wie sich Felix Mitterer in den 1990ern die dystopische Zukunft Deutschlands ausmalte: Ein Punk und ein muskulöser schwarzer Mann mit Kettensäge überfallen die seit Tagen im Stau stehende Familie Sattmann, die sich erstmals seit den Ereignissen im dritten Teil wieder auf den Weg nach Tirol macht.

Die Rolle des vormaligen Lehrers und geschassten Umweltamt-Mitarbeiters Hans verändert sich im letzten Teil sehr deutlich und es ließe sich argumentieren, diese Veränderung sei in der Lage, auch den Hans der Teile 1 bis 3 neu – nämlich weitaus kritischer – zu beurteilen. Das in den ersten Teilen als ökologisch verschleierte antiaufklärerisch-reaktionäre Ressentiment tritt im letzten Teil zur Kenntlichkeit entstellt ans Licht. Hans schimpft auf „Asylanten“ und „das ganze Gesindel“, welches in Deutschland Krawalle mache. Allerdings wurde auch Hans operativ verändert, was Raum für weniger wohlwollende Deutungsmöglichkeiten in Bezug auf das Gesamtnarrativ lässt. Hinter dem von ihm und den anderen Cyborgs wie ein Mantra wiederholtem „total bio“-Slogan verbirgt sich eine gigantische Müllhalde. Die saftigen Tiroler Wiesen und Wälder sind aus Plastik, Menschen und Tiere den Ansprüchen der Tourismusindustrie untergeordnete Cyborgs. Der Tourismus hat Mensch und Umwelt kaputt gemacht, die Sattmanns kommen nach und nach dahinter und werden zu Opfern der Vertuschungsmaschinerie.

Doch auch der letzte Teil hat seine Widerständler und man muss sie nicht gendern, da es sich um einen reinen Männerbund handelt. Es ist eine mehr als bezeichnende postnazistische Allianzenbildung, die hier unkritisch über die Bühne geht. Der Pfarrer, der (doch nicht tote) Nazi-Opa Heinrich, der von Tobias Moretti gespielte Joe und sein von Gregor Bloéb gespielter Bruder Stefan bilden eine Art Partisaneneinheit. Propagandistisch wie militärisch kämpfen sie gegen die robotisierten TirolerInnen. Der Widerstandskampf des authentisch-katholischen Tirolers scheint von dem des Nazi-Preußen nicht zu trennen zu sein – was allerdings weder ausgesprochen noch in irgendeiner Form problematisiert wird. Gemeinsame Ressentimentlagen verbinden nicht nur den kämpfenden Männerbund, sondern auch Drehbuchautor Felix Mitterer mit jenem Teil des österreichischen wie deutschen Publikums, das mit dieser kämpfenden Einheit sympathisiert.

 

Florian Wagner studiert Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien.

Prime Time Forever

  • 05.02.2015, 08:00

Alle reden über Serien. Aber warum machen sie eigentlich so süchtig und wie hat sich unser Schauverhalten in den letzten 15 Jahren verändert? progress hat mit dem Medienexperten Christian Stiegler über den Boom gesprochen.

Alle reden über Serien. Aber warum machen sie eigentlich so süchtig und wie hat sich unser Schauverhalten in den letzten 15 Jahren verändert? progress hat mit dem Medienexperten Christian Stiegler über den Boom gesprochen.

progress: Warum machen Serien so süchtig?
Christian Stiegler: Es sind vor allem die dramaturgischen Elemente, die süchtig machen. Wenn eine Episode mit einem Cliffhanger aufhört, dann bleibt man dabei. Außerdem mögen wir die Wiederholung und episodenhaftes Erzählen. Es gibt uns eine gewisse Sicherheit, die Charaktere zu kennen, wir entwickeln eine Beziehung zu ihnen.

Was für einen Stellenwert nehmen Serien im Leben der Rezipient_innen ein? 
Ich sage immer, im besten Fall schaffen sie eine eigene Medienrealität. Baudrillard hat Hyperrealität dazu gesagt, also eine Realität, die wichtiger ist als die eigene Wirklichkeit.So funktioniert Disneyland, so funktioniert Fußball, so funktionieren all diese Geschichten, die für uns wichtig bleiben, obwohl wir schon ausgeschaltet haben. Wenn Serien gut gemacht sind, dann leisten sie genau das, entweder weil sie Themen bearbeiten, die so weit weg von uns sind, dass sie zu einer Realitätsflucht werden, oder weil sie uns persönlich ansprechen.

Funktioniert die Serie als Fluchtmittel besser als ein Kinofilm?
Natürlich! Es ist viel mehr Zeit zu erzählen, das eröffnet Möglichkeiten, stärker in die Charaktere einzusteigen und ihnen größere Aufmerksamkeit zu widmen. Außerdem kann man sie daheim ansehen und kann so gleich eine ganze Staffel, die mehrere Stunden dauert, anschauen. Das ist das perfekte Mittel zur Alltagsflucht.

Das ist dann das berühmte Bingewatching.
Der Begriff bezieht sich darauf, dass man den üblichen Episoden-Ablauf zerstört, indem man individuell entscheidet, wann man eine Serie ansieht und wie viel davon. Wir sind nicht mehr abhängig davon, dass eine Serie zu einer gewissen Uhrzeit auf einem bestimmten Sender läuft. Genau das hat Netflix mit „House of Cards“ so populär gemacht: Es war revolutionär, als sie gleich die ganze Staffel auf einmal online gestellt haben.

Wie hat sich die Serienkultur in den letzten 15 Jahren verändert?
Schon in den 70er Jahren gab es die ganz großen TV-Serien wie „Dallas“ und danach in den 90ern „Seinfeld“, „Friends“ oder „Beverly Hills 90210“. Heute sind jedoch die sogenannten „Qualitäts-TV-Serien“ im Gespräch. Man nimmt immer das Wort „Quality“ dazu und versucht so die neuen Serien von den herkömmlichen abzugrenzen. Die Entstehung der „Quality-TV-Series“ hat vor allem einen wirtschaftlichen Hintergrund. Als man gemerkt hat, dass das Blockbuster-Kino nicht mehr so rentabel ist, haben die großen US-Medienkonglomerate, zu denen sowohl Filmstudios als auch Fernsehsender zählen, stärker in Serienformate investiert. Dadurch sind qualitätsvollere Produkte und die Möglichkeitim Fernsehen mehr auszuprobieren entstanden.

Ich will das nicht rein wirtschaftlich erklären, aber man darf den Aspekt nicht aussparen. Dass man mehr Geld investiert, bewirkt auch, dass Serien mit größeren Stars besetzt werden. Da sich die aber nie für eine längere Zeit verpflichten lassen, hat sich auch die Serien-Machart verändert und neue Formate sind entstanden, wie die Mini-Series oder Serien wie „True Detective“, in der jede Staffel für sich alleine steht. Durch Formate wie Netflix und die Möglichkeit, Serien in einem selbstbestimmten Rhythmus anzusehen, hat sich auch das serielle Erzählen verändert und so etwas wie der Cliffhanger hat immer weniger Bedeutung.

Der Serientrend kommt aus den USA und ist dann nach Europa übergelaufen. Sind diese Qualitätsserien nun auch bei uns im Fernsehen zu sehen oder hat sich hier lediglich verändert, wo und wie wir Serien schauen?
Vor allem dem deutschsprachigen Publikum traut man das leider nicht zu, deshalb laufen diese ganzen Qualitätsserien auch hauptsächlich in Sparten-Kanälen oder zu günstigen Sendeplätzen spät nachts.

Das heißt, wir sind umso mehr auf neue Medien angewiesen, wenn wir Qualitätsserien schauen wollen?
Auf jeden Fall. Im deutschsprachigen Raum musste man dank dem Internet nicht mehr warten und konntedort auf (semi-)illegalen Portalen alle Serien finden, sobald sie in den USA liefen. Gerade so etwas wie Netflix funktioniert hauptsächlich deshalb, weil es nun legale Anbieter_innen für unsere Serien-Bedürfnisse gibt, die wir bisher hauptsächlich auf (halb-) illegale Weise gestillt haben.

Früher sind am Samstagabend alle vor dem Fernseher gesessen und haben dieselbe Show gesehen. Haben Netflix und das Internet das kollektive Fernseherleben zerstört?
Ich glaube, das ist eher eine Antwort auf eine gesellschaftliche Entwicklung. „Wetten, dass...“ ist ein gutes Beispiel dafür, das kommt aus einer Zeit, in der sich Familien vor dem Fernseher versammelt haben. Aber irgendwann gab es nicht mehr nur einen Fernseher im Haushalt, sondern auch einen im Schlafzimmer und einenim Kinderzimmer, weil verschiedene Familienmitglieder eben verschiedene Präferenzen haben. Früher hat man sich auch nicht am Samstag Abend vor den Fernseher gesetzt, um Zeit miteinander zu verbringen, sondern um etwas Bestimmtes am einzigen TV-Gerät im Haushalt anzuschauen. Die Digitalisierung ist also nicht die Ursache für die Individualisierung des Fernseherlebens, sondern vielmehr Resultat davon.

Stimmt das Prinzip: Sag mir, was du schaust und ich sag dir, wer du bist?
Absolut. Aber das gilt ja nicht nur bei TV-Serien, sondern auch bei Musik oder Filmen. Medieninhalte sind stark identitätsstiftend. Und es mag Schubladendenken sein, aber ich bin mir sicher, dass Menschen, die hauptsächlich Quality-TV-Serien anschauen, anders beurteilt werden als Menschen, die „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“ sehen.
 

Christian Stiegler lehrt an der Universität Wien und ist Professor für Medienmanagement, Consumer Culture und New Media an der Karlshochschule in Karlsruhe.

Sara Schausberger ist freie Journalistin und hat in Wien Germanistik studiert.