Feminismus

Free Angela and all political prisoners

  • 05.03.2014, 16:15

Free Angela and all political prisoners von Shola Lynch erzählt, wie Angela Davis, politische Aktivistin, Kommunistin, Feministin, Wissenschaftlerin und Ikone der Schwarzen Widerstandsbewegung, im Jahr 1970 eine der zehn meist gesuchten Personen der USA werden konnte. Manu Banu rezensierte den Film für progress online im Rahmen des This Human World-Festivals.

Free Angela and all political prisoners von Shola Lynch erzählt, wie Angela Davis, politische Aktivistin, Kommunistin, Feministin, Wissenschaftlerin und Ikone der Schwarzen Widerstandsbewegung, im Jahr 1970 eine der zehn meist gesuchten Personen der USA werden konnte. Manu Banu rezensierte den Film für progress online im Rahmen des This Human World-Festivals.

Am 7. August 1970 versuchte der 17-jährige Jonathan Jackson durch eine Geiselnahme im Gerichtsgebäude von Marin County, die Freilassung seines inhaftierten Bruders George Jackson zu erpressen. Bei der Flucht kam es zu einer Schießerei mit der Polizei, bei der ein Richter, Jonathan Jackson und zwei weitere Personen getötet wurden. Die Waffen, die bei Jackson gefunden wurden, waren auf den Namen von Angela Davis registriert. Nur wenige Tage später wurde die Fahndung nach Davis ausgeschrieben, woraufhin sie die Flucht ergriff. Angela Davis kam als dritte Frau in der amerikanischen Geschichte auf die Top 10-Liste der FBI der meist gesuchten Verbrecher_innen.

Mit den Originalaufnahmen vom 7. August 1970 beginnt die Regisseurin Shola Lynch ihren Dokumentarfilm Free Angela and all political prisoners. Der Film gibt nicht nur Einblick in das Leben einer sehr mutigen und intelligenten Frau und ihren Kampf für Gerechtigkeit und Freiheit, sondern auch in aufwühlende Zeiten der amerikanischen Geschichte. Es ist eine Zeitreise in die späten 1960er und frühen 1970er Jahre, in Zeiten des Vietnamkrieges, der Bürgerrechts- und Friedensbewegungen und des Schwarzen Widerstands gegen die amerikanische Regierung und den herrschenden Rassismus.

Acht Jahre hat Shola Lynch am Dokumentarfilm Free Angela gearbeitet, vier bis fünf Jahre wären es geworden, wenn sie keine Finanzierungsschwierigkeiten gehabt hätte. Lynch wollte so detailliert wie möglich die Wahrheit ans Licht bringen, weshalb sie besonders viele Fakten gesammelt und im Film integriert hat – unter anderem in Form von Archivfilmmaterial, Fotos und Zeitungsausschnitten. Free Angela ist nicht ihr erster Film über eine politische Person, genauer gesagt über eine politisch aktive schwarze Frau. 2004 wurde ihr preisgekrönter Film Chisholm '72: Unbought & Unbossed über die erste schwarze Kongressabgeordnete Shirley Chisholm im Rahmen des Sundance Film Festivals gezeigt. Lynch ist es wichtig, mit ihren Filmen die hegemoniale Geschichtsschreibung zu durchbrechen und die Geschichten von schwarzen Frauen, die in den USA unsichtbar gemacht werden, zu erzählen. Mit Free Angela and all political prisoners ist ihr ein Dokumentarfilm gelungen, der durchaus dieselbe Spannung wie ein Politkrimi aufbringt. Gerade das Archivfilmmaterial, das Lynch im Film verwendet, gibt diesem eine gewisse Lebendigkeit und Authenzität. Wir erleben eine kämpferische junge Frau, die mit einem Lächeln und erhobener Faust den Gerichtssaal betritt. Die Regisseurin lässt Angela Davis, aber auch andere Personen, die in den Prozess involviert waren, selber zu Wort kommen und die Geschichte erzählen. Zwischendurch kommen ein paar wenige Nachstellungen vor, die die Einsamkeit der Haft besonders betonen. Musikalisch untermalt Jazz, insbesondere die Musik von Max Roach, den Geist der Zeit.

Die Politisierung von Angela Davis. Angela Davis ist in Birmingham, Alabama in einer Mittelschichtsfamilie aufgewachsen, in einem Viertel, das in den 1960er Jahren auf Grund der zahlreichen rassistischen Sprengstoffanschläge auch als „Dynamite Hill“ bekannt war. Bereits in ihrer Jugend kam sie in Kontakt mit kommunistischen Gruppen. Auf Grund ihrer guten Leistungen erhielt sie ein Stipendium für die Brandeis University in Massachusetts, wo sie ihren ersten Mentor Herbert Marcuse kennen lernte. Sie studierte in Paris an der Sorbonne und in Frankfurt an der Goethe-Universität bei Adorno und Horkheimer. Während ihres Aufenthalts in Deutschland wurden die Bürgerrechts- und Freiheitsbewegungen in den USA immer bedeutender, was Davis letztendlich 1967 zu einer Rückkehr bewegte. Sie hatte intensiven Kontakt zur Black Panther Bewegung, trat 1968 der KP der USA bei und wurde Mitglied des Che-Lumumba Clubs, der von schwarzen Kommunist_innen gegründet wurde, um stärker auf rassistischen Strukturen hinzuweisen. Angela Davis entwickelte sich zu einer wichtigen Kapitalismus- und Rassismuskritikerin und wurde insbesondere für ihren Einsatz für politische Gefangene bekannt.

1969 bekam Angela Davis eine Stelle als Philosophiedozentin an der University of California – Los Angeles (UCLA), ihr Vertrag wurde jedoch kurz nach ihrer Einstellung auf Drängen von Ronald Reagan, damals noch Gouverneur von Kalifornien, gekündigt. Der Grund war ihre Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei der USA. Die Entlassung löste eine riesige Protestwelle aus. Vom Dekan der Philosophie erhielt Angela Davis die Möglichkeit, eine außerplanmäßige Vorlesungsreihe zu halten – in der ersten Vorlesung kamen statt der 167 angemeldeten Student_innen über 2000.

Von Top 10 Most Wanted zur Ikone. Angela Davis wurde am 13. Oktober 1970 in New York festgenommen und kam für eineinhalb Jahre in Untersuchungshaft. Man warf ihr als angebliche Komplizin von Jonathan Jackson Mord, Menschenraub und Verschwörung vor. Sie sah sich jedoch als politische Gefangene – genauso wie ihre zahlreichen Unterstützer_innen. Sie wurde angeklagt, weil sie als Kommunistin, Aktivistin, Schwarze und Frau den imaginären Feind verkörperte. Begleitet wurde der Prozess von einer massiven internationalen Protestbewegung. Menschen aus der ganzen Welt solidarisierten sich mit Angela Davis und forderten ihre Freilassung. Tausende Menschen aus der DDR schickten ihr unter dem Motto „Eine Million Rosen für Angela Davis“ Postkarten mit Rosen ins Gefängnis. Am 4. Juni 1972 wurde sie mangels Beweise von allen Anklagepunkten freigesprochen.

Im Film erfahren wir jedoch wenig von Angela Davis Leben nach dem Prozess.

Die emeritierte Professorin der University of California, Santa Cruz, setzt sich vehement für die Abschaffung von Gefängnissen und gegen den „gefängnisindustriellen Komplex“ ein. Gefängnisse sind für Angela Davis nicht nur eine unangemessene Antwort auf soziale Probleme, sondern auch ein nicht unbeachtlicher Wirtschaftsfaktor. "Für Privatunternehmen ist Gefängnisarbeit wie ein Hauptgewinn. Keine Streiks. Keine Gewerkschaften. Keine Arbeitslosenversicherung (…) Alles zu einem Preis, der einen Bruchteil dessen beträgt, was Arbeit auf dem freien Arbeitsmarkt kostet", so ein Zitat von Davis. Weiters ist Angela Davis insbesondere für die Race-Class-Gender-Debatte von großer Bedeutung – eine Thematik die auch heute noch sehr aktuell ist (siehe #SolidarityIsForWhiteWomen).

Angela Davis ist eine bemerkenswerte und inspirierende Person, die ihr Leben der Revolution gewidmet hat und obgleich sie sich selber nicht gerne so sieht, ist sie zu einer Ikone des Widerstands geworden, die mit ihrem Konterfei viele T-Shirts und Poster schmückt. Aber solange sie dadurch anderen Mut machen kann, kann sie damit leben. Trailer zum Film auf Seite 2:

Manu Banu (geb. 1979) studiert Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien und engagiert sich bei der Screaming Birds Aktionsgruppe und der NGO EXIT.

Das Theater an die Uni, die Frauen in die Wissenschaft!

  • 03.03.2014, 11:59

Was suchen Strahlung, Kernspaltung und Frequenzsprungverfahren am Theater? Von der Liebe zur Wissenschaft und ihren herausragenden Frauen erzählt die aktuelle Inszenierung des portraittheaters: „Curie_Meitner_Lamarr_unteilbar”.

Was suchen Strahlung, Kernspaltung und Frequenzsprung-verfahren am Theater? Von der  Liebe zur Wissenschaft und ihren herausragenden Frauen erzählt die aktuelle Inszenierung des portraittheaters:  „Curie_Meitner_Lamarr_unteilbar”.

Marie Curie steht am Chemiepult und hält ihre Antrittsvorlesung. Es ist das Jahr 1906 und sie ist die erste Frau, die an der Sorbonne unterrichten darf. Die Chemikerin und Physikerin erzählt von der Entdeckung der Radioaktivität und von ihrer Liebe zur Wissenschaft. Auch für die Kernphysikerin Lise Meitner steht die Liebe zur Wissenschaft über allem anderen. Die Österreicherin Meitner war die erste Frau, die in Deutschland eine Physikprofessur erhielt, sie steht an der Tafel und schreibt Formeln auf. Die österreichische Hollywoodschauspielerin Hedy Lamarr ist nicht nur bekannt, weil sie die erste Frau war, die sexuelle Erregung in einem Film zeigte, sondern auch durch ihre Erfindung des Frequenzsprungverfahrens. Ohne Frequenzsprungverfahren gäbe es heute kein Bluetooth oder WLAN, insofern reiht sie sich ein in die Riege der Entdeckerinnen, vor allem aber ist sie eine Diva.

In „Curie_Meitner_Lamarr_unteilbar“ werden alle diese drei Frauen von einer einzigen gespielt: Die Schauspielerin Anita Zieher ist die Nobelpreisträgerin, die Kernphysikerin und die Filmdiva. Und es ist vor allem Ziehers Darstellung, die in dieser Inszenierung hervorsticht. Die Regisseurin Sandra Schüddekopf und die Schauspielerin Zieher haben biographisches und wissenschaftliches Material vermischt und zusammen ein Theaterstück entwickelt, das mit Originalzitaten der dargestellten Persönlichkeiten versetzt ist.

Hier wird ein klarer Bildungsauftrag verfolgt

Das portraittheater hat es sich zum Ziel gesetzt, Personen, die durch ihr politisches, wissenschaftliches oder künstlerisches Wirken herausragend waren, durch Filme, Theateraufführungen oder andere Formen der künstlerischen Darstellung einem breiteren Publikum vorzustellen. Vor allem Frauen sollen porträtiert und ihre Wirkung und Bedeutung sichtbar gemacht werden. Nach Hannah Arendt, Simone de Beauvoir, Bertha von Suttner und George Sand, widmet sich das portraitheater in seiner neuesten Produktion den beiden Wissenschaflerinnen Marie Curie und Lise Meitner sowie der österreichischen Hollywood-Schauspielerin Hedy Lamarr. Obwohl Lamarr insofern ins Bild passt, als sie 1997 für ihre Beteiligung an der Erfindung des 1942 patentierten Frequenzsprungverfahrens den EFF Pioneer Award erhalten hat, wirkt die affektierte Filmdiva zwischen der Nobelpreisträgerin Curie und der Kernphysikerin Meitner ein bisschen fehl am Platz. „Jede Frau kann glamourös sein. Sie muss nur still da stehen und dumm aussehen“, soll Lamarr gesagt haben.

Kleine Details veranschaulichen die technische Darstellung der Naturwissenschaften auf der Bühne, so lässt Zieher als Lise Meitner mit leichtem Wiener Akzent einen Luftballon zerplatzen. Zwei kleine Bälle fallen heraus, das Zerplatzen des Luftballons ist wie das Zerplatzen des Urans, die Kernspaltung wird so plastisch erklärt. Frauen in die (Natur-)Wissenschaft ist der sehr deutliche Auftrag von „Curie_Meitner_Lamarr“. Für die Ästhetik einer Theatervorstellung ist eine solche Schwerpunktsetzung nicht unbedingt förderlich. Nachdem es dem Verein aber um die verständliche Vermittlung von Wissen mittels kreativer Ausdrucksformen geht, kann man über manches auch hinwegsehen.

Die Monologe werden von belehrenden Videos unterbrochen, in denen drei Mädchen vom Tod Curies an der Strahlenkrankheit erzählen, die Wirkung von Radioaktivität erklären und über radioaktive Stoffe informieren. Das erinnert streckenweise leider ans ORF-Kinderprogramm, vor allem wenn die Kinder die Radioaktivität von Strahlen messen. Das ist schade, man hätte sich für die Pausen, die zwischen den drei Monologen entstehen, eine bessere Lösung einfallen lassen können. Auch die Musikuntermalung, die den Spannungsaufbau des Wissenschaftlerinnen-Lebens unterstreichen soll - Marschmusik bei Kriegsausbruch, französische Akkordeonmusik als die Polin Curie nach Frankreich zieht, traurige Cello-Musik als der Nationalsozialismus im Leben der Jüdin Lise Meitner zum Thema wird - ist manchmal ein bisschen zu viel. Das Stück würde auch ohne diese Hilfsmittel auskommen. Anita Zieher, die alle drei Frauen spielt, beeindruckt durch ihre Performance dieser drei sehr unterschiedlichen und herausragenden Persönlichkeiten und bringt sie einem tatsächlich ein ganzes Stück näher.

Spielort Hörsaal

Nach der Premiere im Theater in der Drachengasse werden die nächsten Vorstellungen an der Uni gezeigt. Am 3. und am 4. März im Lise Meitner-Hörsaal an der Fakultät für Physik und am 14. und 19. März im Margarete Schütte-Lihotzky-Hörsaal an der Technischen Universität Wien: http://www.portraittheater.net/dates.php

Sara Schausberger hat Germanistik studiert und arbeitet als Kulturjournalistin (u.a. für den Falter) in Wien.

Frauen*arbeit: sisterresist

  • 10.01.2014, 11:32

In Salzburg haben vor einigen Jahren Frauen* das Kollektiv sisterresist gegründet. progress online hat mit den Aktivistinnen Rosa, Lila und Susi über ihre politischen Ziele und ihre praktische Arbeit gesprochen.

In Salzburg haben vor einigen Jahren Frauen* das Kollektiv sisterresist gegründet. progress online hat mit den Aktivistinnen Rosa, Lila und Susi über ihre politischen Ziele und ihre praktische Arbeit gesprochen.

progress online: Was ist sisterresist?

Rosa: sisterresist ist ein feministisches Frauen*kollektiv in Salzburg, das seit 2010 besteht. Wir kämpfen autonom für eine herrschaftslose, gewaltfreie Gesellschaft ohne Zwänge. Ursprünglich kennen gelernt haben sich einige von uns während der Unibesetzung. Danach gab  es einmal im Monat einen Frauenstammtisch, der vom damaligen ÖH Frauenreferat organisiert wurde. Da kamen dann noch weitere Frauen dazu und am Ende entstand daraus sisterresist. Insgesamt sind wir rund fünfzehn Frauen*.

Wie definiert ihr euch?

Lila: Wir verstehen Geschlecht und damit verbundene Konsequenzen nicht als natürliche Gegebenheit, sondern als ideologische Konstruktion, die der Herstellung und Verschleierung von Machtverhältnissen dient. Natur kennt keine Kategorien und bringt diese auch nicht hervor, sie sind gesellschaftlich produziert und dienen als Grundlage zur Bewertung von Menschen. Wir stellen uns gegen jegliche Ideologie der Ungleichheit, die davon ausgeht, dass es „Bessere“ und „Schlechtere“ gibt, die ein „Wir“ konstruiert, um alle “Anderen” dadurch auszugrenzen. Daher lehnen wir uns gegen das bestehende System auf.

Foto: sisterresist

Wieso bezeichnet ihr euch als antikapitalistisches Kollektiv?

Susi: Kapitalismus lebt von gesellschaftlichen Ungleichheiten. Gäbe es keinen Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, keine Homo-/Trans- oder Intersexphobie und keine Klassen, würde er nicht mehr funktionieren. Frauen* leisten überwiegend unbezahlte Reproduktionsarbeit und arbeiten häufig Teilzeit. Dies stützt die Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems auf Kosten von Frauen*. Für Frauen* bedeutet der durchschnittlich geringere Lohn in der Erwerbsarbeit den Druck einen schlechteren Lohn individuell akzeptieren zu müssen, und für das Kapital Grund und Vorwand weniger zu zahlen. Sie sind jene Reservearmee, welche das Kapital braucht, um erfolgreich Lohndumping zu betreiben. Der Ausschluss vieler Frauen* vom regulären Arbeitsmarkt bis hin zu ihrer Illegalisierung stellt einen weiteren Unterdrückungsmechanismus zur Kapitalakkumulation dar.

Rosa: Genau. Denn der globale Kapitalismus ist auch von rassistischen Politiken geprägt. Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Menschen bei gleichzeitiger Auslagerung der Produktion in Länder des globalen Südens bedeutet eine Zuweisung in die moderne Lohnsklaverei. Bei Zuwiderhandeln drohen Haft und Abschiebung, oder Beschäftigung in der Schattenwirtschaft. So wird ein Teil der Menschheit auf das ausweglose Prekariat verwiesen um den ausschweifenden Konsum des Westens und den Reichtum Weniger zu ermöglichen. Dagegen und gegen andere Ausgrenzungspolitiken sowie für eine freie Gesellschaft, in der alle ihre Potentiale entfalten und autonom ihr Leben gestalten können, kämpfen wir.

Was braucht es, um als Gesellschaft in diesem Sinne frei zu sein?

Rosa: Das Fehlen von struktureller Gewalt ist die Grundlage für die volle Entfaltung der jeweiligen Potentiale. Strukturelle Gewalt äußert sich in der ungleichen Verteilung von Eigentum, Teilhabe und Lebenschancen, entlang der Trennlinien Klasse, Geschlecht, Herkunft… Strukturelle Gewalt zeigt sich in der Setzung von Grenzen, in Inklusion oder Ausschluss. Strukturelle Gewalt wird in der Trennung in Öffentlich und Privat und deren Hierarchisierung zulasten des ins Private Verdrängten manifest. Und ohne physische Gewalt wären die Aufrechterhaltung und Durchsetzung dieses Gesellschaftsvertrages auch nicht möglich. Es braucht also eine Gesellschaft, die frei von Gewalt ist.

Setzt ihr euch mit feministischer Theorie auseinander?

Susi: Es ist nicht so, dass wir viele Lesekreise veranstalten. In der Praxis stellen sich aber viele theoretische Fragen, die uns zum Diskutieren bringen. Wir gehen davon aus, dass die Kategorie Geschlecht konstruiert ist und ständig reproduziert wird. Diese Kategorisierung hat nachteilige Folgen für all jene, die als Frauen* gelten. Alle Frauen* teilen Erfahrungen von Sexismus sowie psychischer, physischer und struktureller Gewalt.  Viele Frauen sind aufgrund anderer Kategorisierungen weiteren Diskriminierungen ausgesetzt. Feministische Theorie dient uns dabei als Analysewerkzeug. Wir verorten  unseren Kampf in der Frauen*bewegung, wobei  politische Arbeit für uns bedeutet, Herrschaftsverhältnisse aufzuzeigen und für den Widerstand gegen das kapitalistische Patriarchat zu mobilisieren.

Foto: sisterresist

Und wie sieht die politische Praxis aus?

Lila: Wir organisieren Demos, Kundgebungen, aktionistische Interventionen und Diskursveranstaltungen, die Raum für Vernetzung und Reflexion bieten. Unsere aktuellen Projekte findet ihr laufend upgedatet auf unserem Blog:  http://sisterresist.wordpress.com/

Am 17. Dezember 2013 um 19:00 zeigten wir in Kooperation mit dem ÖH Frauenreferat und dem studiowest im Das Kino den Film „Küchengespräche mit Rebellinnen” AT 1984, 80 min, der sich den Geschichten von Frauen im antifaschistischen Widerstand widmet. Das Kollektiv aus Karin Berger, Elisabeth Holzinger, Lotte Podgornik und Lisbeth N. Trallori dokumentierte diese und weitere Erzählungen im Rahmen eines der ersten Oral History-Projekte zum Thema Frauen im NS-Widerstand. In den letzten Monaten wurden in Salzburg rund siebzig Stolpersteine geschändet und an vielen Wänden stehen NS-verherrlichende Slogans. Dem setzen wir antifaschistische Arbeit und kollektives Erinnern entgegen. In einem Klima von Gewalt gegenüber Ausgegrenzten ist es auch die Aufgabe einer Interessensvertretung wie der ÖH hier eine klare Position einzunehmen. Die von der ÖH Salzburg initiierte Plattform gegen Rechts steht dem als breite Front entgegen.

Es gibt auch eine Radioshow von euch?
Susi:
Radio sisterresist ist ein laufendes Projekt seit Juli 2011. Hier setzen wir uns viel mit aktuellen feministischen Fragestellungen auseinander. Im Rahmen der Serie Frauenzimmer auf der Radiofabrik senden wir jeden ersten Mittwoch im Monat zu aktuellen und informativen feministischen Themen. Im Dezember berichteten wir vom Intersex Solidarity Day. Intersexbeauftragte Gabriele Rothuber und Intersexaktivist* Alex Jürgen sprechen zum Thema „Intersexualität – geschlechtliche Vielfalt anerkennen“. Für die Sendung im Januar war sisterresist für euch im Das Kino und berichtet von der Buchpräsentation von Caroline Fink und Karin Steinbach die ihr neues Sachbuch „Erste am Seil – Pionierinnen in Eis und Fels“ im Rahmen des 14. Bergfilmfestivals vorstellten.

Foto: sisterresist

Ihr macht auch Wen Do? Was ist das?

Rosa: Wen Do ist feministische Selbstverteidigung von Frauen für Frauen. Gemeinsam trainieren wir wirksame Strategien gegen Sexismus und Gewalt. Wir wissen, dass es für alle Frauen wichtig sein kann sich selbst zu verteidigen. Deshalb haben wir in Kooperation mit dem ÖH Frauenreferat schon mehrere Wen Do Basisworkshops und Schnupperkurse veranstaltet und möchten dies gerne fortsetzen.

Was macht ihr als nächstes?

Lila: Am 10. Jänner 2014 laden wir herzlich zur SolipaRRRty ins Jazzit in Salzburg ein. Die Einnahmen kommen der Schadenswiedergutmachung der Sachbeschädigung von Wahlplakaten aller Parteien (außer KPÖ) im Raum Salzburg zugute. Die Sonderkommission Edelweiß hat eine Sprayerin gestellt und angehalten, bis die Polizei übernommen hat. Wir finden sichtbaren Widerstand und Politik von unten wichtig und setzten den rechten Umtrieben mit unserem Fest ein Stück feministische Gegenkultur entgegen. Widerstand muss Praxis werden. Das Fest ist: Open for all genders!

Leave Miley alone!

  • 25.10.2013, 22:30

Die Welt des Pop hat ein neues Hassobjekt: Miley Cyrus. Ist die Sängerin Opfer der übersexualisierten Musikindustrie oder gar eine Feministin? Ein Kommentar von Katja Krüger.

Die Welt des Pop hat ein neues Hassobjekt: Miley Cyrus. Ist die Sängerin Opfer der übersexualisierten Musikindustrie oder gar eine Feministin? Ein Kommentar von Katja Krüger.
 

Die Geschichte der Emanzipation ist eine Geschichte voller Brüche. Während es zur Zeit der Sklaverei als Emanzipation bezeichnet wurde, wenn Sklaven in die Freiheit entlassen wurden, verstanden Bürger darunter die Freiheit, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Mit Aufkommen der Frauenbewegung reklamierte diese den Begriff für sich und forderte damit die Gleichstellung der Frau als Bürgerin. Eine Mischung unterschiedlicher Abhängigkeiten erfuhr Miley Cyrus (geb. Destiny Hope Cyrus) in ihrem bisherigen Leben – als minderjährige Hannah Montana in der Musikindustrie, angetrieben durch ihren Vater Billy Ray Cyrus. Davon hat sie sich nun emanzipiert. Aber wie kam es eigentlich dazu?

Nach einigen Jahren im Griff von Disney und immensem Erfolg hatte Miley es satt, Hannah Montana zu spielen. Ebenso wie das Schauspiel an sich. Damit fiel ein Standbein ihrer Karriere komplett weg. Nun stand die Frage im Raum, ob ihre Musik auch ohne die Hintergrundstory und den Namen der TV-Serie Erfolg haben würde. Nach einer Übergangsphase, die immerhin drei Studioalben und auch einige interessante Kollaborationen, etwa mit Snoop Dogg, hervorbrachte, produzierte sie endlich etwas, das ihr wahrhaftig entspricht: das am 4. Oktober erschienene Album „Bangerz“. Vorläufer ist die Single „We can’t stop“, deren Lyrics keinen Zweifel aufkommen lassen, dass es sich hier um ihr Manifest handelt: „We run things, things don’t run we – we don’t take nothing from nobody.“ Eine klare Ansage gegen alle KritikerInnen und Bevormundung, die es in einem Leben als Kinderstar zu Hauf gegeben haben muss. So war das nicht geplant: Nach der TV-Serie war eine fast lückenlos anschließende Karriere als Musikerin für sie nicht geplant. Schon gar nicht so: sich in extrem eindeutigen Posen auf dem Bett räkelnd, mit einem Sidecut und Goldzähnen, Wifebeater-Oberteil und ständig rausgestreckter Zunge. Das verwirrt.

Teddybären und Latexunterwäsche. Doch diese Single wäre nur eine Randnotiz in der Popwelt, hätte es nicht den Auftritt von Miley bei den Video Music Awards (VMA) gegeben, bei welchem der Song und ikonische Fragmente des Videos – etwa gigantische Teddybären auf den Rücken der Tänzerinnen – in ein Duett mit Robin Thicke eingebaut wurden. Dessen Sommerhit „Blurred Lines“ ist ein sexistisches und misogynes, jedenfalls aber gut produziertes Stück rape culture, das sogar Zeilen über anale Vergewaltigung beinhaltet, jedoch ohne dass die breite Masse das erkennen könnte. Robin Thicke betritt die Bühne, Miley reißt sich die Klamotten vom Leibe und steht in hautfarbener Latexunterwäsche da. Vor einigen Jahren war Britney Spears’ hautfarbene Stoffhose bei der gleichen Veranstaltung noch Grund für Geläster. Das im Original von drei Männern gesungene „Blurred Lines“ wird zu einem Duett zwischen Miley und Robin, bei dem nicht ganz klar ist, wer hier wem auf die Pelle rückt. Der absolute Höhepunkt dieser Farce ist erreicht, als sich Miley zu ihren Fans hinunterbeugt, mit dem hochgestreckten Arsch wackelt, die Zunge  rausstreckt und Robin mit dem Schritt ihr zugewandt … der Rest ist Geschichte. Sie wurde zum Witz der Woche. Das kleine Mädchen mit den blonden Stirnfransen war zu einer lächerlichen Gummipuppe mutiert.

Die einzige Kritik, die dabei verhandelbar ist und die lediglich ein paar Blogs aufgriffen: ihr Hang zur unkritischen Aneignung von Symbolen der Black Community und ihr Ghettochic. Stattdessen wird eine junge Frau von Anfang  Zwanzig für eine sexuelle Konnotation auf der Bühne medial auf den Scheiterhaufen geworfen. Wäre sie nicht schon jahrelang Teil des öffentlichen Interesses, wäre so ein Auftritt auch nicht weiter aufgefallen. Doch an Miley lässt sich die Verwandlung von Unschuld in Hormone, von Nicken in Kopfschütteln, von Brett zu Busen so wunderbar erkennen und – ja – verurteilen. Ein ohnehin sexualisiertes Objekt wie eine weibliche Popsängerin sollte sich seiner eigenen Sexualisierung nie und nimmer bewusst sein, sonst stößt das dem Publikum extrem böse auf.

Einstürzende Emotionen. Im Video zu „Wrecking Ball“, der zweiten Single des neuen Albums, sitzt Miley mit dem nackten Popo auf einer Abrissbirne und leckt genüsslich einen Hammer ab. Die Ballade handelt vom Einstürzen emotionaler Mauern und von Vertrauen, das dann hintergangen und verspielt wird. Die visuelle Umsetzung symbolisiert das Ausnutzen sexueller Unerfahrenheit bei jungen Frauen und die Überredungskünste der Partner. Für die meisten ZuseherInnen ist das Video aber eine plumpe Zurschaustellung von nackter Haut und sinnlosen Gesten.

Zum Höhepunkt der Dreistigkeit kam es Anfang Oktober, als Sinead O’Connor einen offenen Brief an Miley schrieb, da sie öfter zu einer speziellen Szene befragt wurde, die offensichtlich von ihrem Video zu „Nothing compares 2 U“ inspiriert wurde. Darin sieht man eine Nahaufnahme von Mileys Gesicht und eine Träne, die ihr die Wange herunterkullert. Der Brief von Sinead O’Connor ist im Ton mütterlicher Fürsorge geschrieben, was in Wahrheit nichts anderes als
Bevormundung ist. Miley wird hier die Zurechnungsfähigkeit gänzlich abgesprochen. Durch die Vorwürfe, sie lasse sich von der Musikindustrie manipulieren, wird ihr jeder künstlerischer Anspruch abgesprochen.

Für all die Mädchen und Frauen, die auf gleiche oder ähnliche Art und Weise zurechtgestutzt werden, die sich ständig beurteilt und bevormundet fühlen, die sich wieder und wieder verunsichern lassen durch Kommentare und Ratschläge, ein weiterer Ratschlag: Bei sich selbst beginnt die Arbeit damit, andere Frauen nicht zu beurteilen, auch wenn es Miley Cyrus ist. Je weniger man andere Frauen mit jenen Kriterien konfrontiert, die einem selbst zuwider sind, desto besser gelingt die eigene Akzeptanz.

Die Autorin Katja Krüger studiert Gender Studies in Wien.
 

Die Geschichte einer Kämpferin

  • 17.06.2013, 19:46

Aktivist_in Nosphokzai Fihlani wurde Opfer einer homophoben Vergewaltigung*. Für progress Online erzählte sie der Gastautorin Caelyn Woolward ihre Geschichte und warum sie sich von dieser Erfahrung nicht unterkriegen lässt.

Die Aktivist_in Nosphokzai Fihlani wurde Opfer einer homophoben Vergewaltigung*. Für progress online erzählte sie der Gastautorin Caelyn Woolward ihre Geschichte und warum sie sich von dieser Erfahrung nicht unterkriegen lässt.

** Der erste Teil des Artikels erzählt Nosphokzai´s Geschichte, die evtl. ein Trigger sein kann. In dem Fall empfehlen wir, ab dem zweiten Unterpunkt "Gegenwehr" anzufangen. Anm. der Redaktion **

Nosphokzai’s Geschichte. Im Juni 2011 war Nosphokzai Fihlani nach einem Abend mit FreundInnen auf dem Weg nach Hause. Es war dunkel und gefährlich, aber sie ging diesen Weg oft und es war ihre Stadt. Sie hatte nichts zu befürchten. Eine Gruppe Männer lief hinter ihr. Sie fingen an, sie zu verspotten und machten grobe homophobe Kommentare. „Die Beleidigungen waren scheußlich und sie wurden immer schlimmer. Ihr Verhalten wurde heftig und ich bekam Angst. Also versuchte ich zu flüchten.“ Als Fihlani von den Männern wegrannte, liefen sie ihr hinterher. „Ich schaute zurück und sah, wie ein Mann mir hinterherlief. Ich rief um Hilfe, aber niemand hörte mich. Ich rannte in eine öffentliche Toilette und da gab es kein Entkommen mehr. Ich hatte keine andere Wahl, als mich zu wehren“, erzählt sie.

„Er versuchte, meine Hände festzuhalten, sodass ich mich nicht wehren konnte. Als ihm das nicht gelang, schlug er meinen Kopf gegen die Wand. Er hatte ein Messer und begann, zuzustechen“. Die Wörter strömen aus Nosphokazi Fihlanis Mund, als habe sie die Geschichte schon hundert Mal erzählt. Vor mehr als einem Jahr wurde die im Hlalani Township lebende Frau belästigt, angegriffen, gestochen, vergewaltigt und dem Tode überlassen. Der Überfall war nicht zufällig, das Motiv war eindeutig. Fihlani wurde vergewaltigt, weil sie lesbisch ist.

Die Narben an ihren Händen und ihrem Rücken sind noch immer sichtbar. Sie wehrte sich so gut sie konnte, aber letztendlich traf sie einer so hart, dass sie das Bewusstsein verlor: „Ein paar Stunden später wachte ich auf. Ich war nackt, allein und mir war kalt. Meine Kleider waren gestohlen. Ich wurde vergewaltigt, weil ich eine Lesbe bin.“

Gegenwehr: Ihre Geschichte ist nur eine von vielen Vorfällen von homophoben Vergewaltigungen in Südafrika. Diese richten sich gegen Lesben und werden von Männern durchgeführt, die glauben, dass Frauen ihre sexuelle Orientierung ändern, wenn sie Sex mit Männern haben. Manche sind der Ansicht, dass Frauen für ihre Homosexualität bestraft werden müssten.

„Sie glauben, dass das, was sie mir angetan haben mich ändern wird. Aber das wird es nicht. Ich bin noch immer derselbe Mensch. Ich werde mich durch sie nicht unterkriegen lassen. Ich möchte, dass die Leute wissen, was mit mir geschehen ist, denn wenn ich schweige, werden sie weitermachen.“ Da viele Fälle homophober Vergewaltigungen nicht angezeigt werden, kennt man die genaue Statistik nicht. Aber Fihlani bleibt stark: „Ich werde mich nicht verstecken und mich schämen. Alle in meiner Nachbarschaft wissen, dass ich lesbisch bin und dass ich das vor niemandem verbergen werde.“

Eine Gemeinde im Krieg. „Menschen werden vergewaltigt, aber bekommen keine Hilfe. Die Gemeinde wendet sich gegen sie.“ Als die Gemeinde gefragt wurde, was sie von den homophoben Vergewaltigungen halten, waren die Antworten insbesondere von Männern eindeutig. Sie glauben oft, dass niemand außer einem Mann eine Frau befriedigen kann. „Ich hasse Lesben. Ich hasse sie. Es ist eine Abscheulichkeit” und „Vielleicht sollte die Regierung all diese Menschen aufgreifen, sie in ein anderes Land schicken und sie wegsperren“, sind nur zwei der Meinungen, die sich bei Männern in der Gemeinde wiederfinden. Als gefragt wurde, ob sie der Meinung wären, dass dies eine Art von Missbrauch sei, sagte einer: „Missbrauch ist nicht gut, aber es ist ein Weg, queere Frauen zu ändern.“

Inspirierende Personen. Zanele Nqokoqa, Nosiphokazis Freundin hält zu ihr. „Sie ist noch immer derselbe Mensch, den ich vorher kannte. Manche Männer sind eifersüchtig. Sie wollen das, was sie hat. Ich aber auch: Sie ist eine inspirierende Frau und ich bin sehr stolz darauf, wie stark sie ist.“ Eine Freundin von Nosiphokazi, Nolubabalo Matshoba, sagt, dass Fihlani sogar einen Trend unter den Lesben in Grahamstown gesetzt hat: „Sie trägt einen Anzug. Das ist untypisch, weil man sich in Grahamstown sehr informell kleidet. Sie sehen, wie schick sie im Anzug aussieht und sie schließen sich ihr an. Sie sehen, wie mutig sie ist und werden von ihr inspiriert. Sie fangen an zu akzeptieren wer sie sind und haben keine Angst sich zu outen.“

Matshoba hatte auch erst Angst, sich öffentlich zu ihrer Homosexualität zu bekennen. „Die Gegend in der wir leben ist kein sicherer Ort für Lesben. Aber als ich sie sah, und auch sah wie mutig sie ist, dachte ich, ich sollte auch so sein. Sie sagte mir, ich sollte akzeptieren wer ich bin.“

Nicht viele Frauen sind mutig genug, es Fihlani nachzutun. Aber hoffentlich werden sie durch ihre Geschichte und ihre Tapferkeit ermutigt, sich nicht zu verstecken und sich Gehör zu verschaffen.

Nosphokazi Fihlani setzt mit ihrer formellen Kleidung ein Zeichen: sie lässt sich nicht unterkriegen. Foto: Rosanna Scott

* in Anlehnung an die Kritik am geläufigeren Begriff „corrective rape“ („korrigierende Vergewaltigung“) wird der Begriff „homophobe Vergewaltigung“ vorgezogen. Anm. der Übersetzerin.

 

Der Text wurde aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt von Lisa Zeller.

"Das nennen wir konkrete Politik"

  • 03.07.2014, 14:16

Zulema Quispe und Julieta Ojeda sind Aktivistinnen des feministischen und anarchistischen Kollektivs Mujeres Creando in La Paz, Bolivien. Im Interview sprechen sie über ihre Arbeit und den Kampf um das Recht auf Abtreibung.

Zulema Quispe und Julieta Ojeda sind Aktivistinnen des feministischen und anarchistischen Kollektivs Mujeres Creando in La Paz, Bolivien. Im Interview sprechen sie über ihre Arbeit und den Kampf um das Recht auf Abtreibung.

Seit 2005 wird Bolivien unter Präsident Evo Morales sozialistisch regiert. Neben Agrarreformen und der Verbesserung der Situation von Kokabauern und -bäuerinnen stehen vor allem die Rechte der indigenen Bevölkerung im Mittelpunkt der politischen Debatte. Trotz einzelner Gesetzesänderungen zur Stärkung der Rechte von Frauen sehen die Feministinnen von Mujeres Creando darin ein Problem, dass Abtreibung in Bolivien nach wie vor ein strafrechtliches Delikt ist.

progress: Wie hat das Projekt Mujeres Creando begonnen?

Julieta: Mujeres Creando wurde vor ungefähr 21 Jahren von María, Julieta und Mónica gegründet - unter anderem auf Grund der Erfahrungen, die sie in traditionellen linken Gruppen gemacht hatten, wo Frauen in der politischen Agenda einen zweitrangigen Platz einnehmen, weil das politische und revolutionäre Subjekt das Proletariat ist. Das politische Subjekt „Frau“, Indigenas oder Jugendliche haben dort keine eigene Stimme.

Deshalb beschlossen sie, eine eigene, heterogene Bewegung zu starten: eine feministisch-anarchistische und autonome Bewegung, unabhängig von politischen Parteien und NGOs und ohne sich der jeweiligen Regierung unterzuordnen. Wir wollten nicht Erfahrungen wiederholen, wie sie an anderen Orten oder auf internationaler Ebene gemacht wurden, wo viele Feministinnen elitäre Gruppen bilden, oder solche, denen nur eine bestimmte soziale Schicht,  eine indigene oder kulturelle Gruppe oder Frauen einer bestimmten Altersgruppe angehören. Das spiegelt sich im gesamten Prozess von Mujeres Creando wider: Hier beteiligen sich Frauen aus indigenen Sektoren, Frauen aus Verbänden und Gewerkschaften, Sexarbeiterinnen, lesbische Gruppen, Haushaltsarbeiterinnen und Frauen, die Schuldnerinnen von Mikrokrediten sind.

Zu welchen Themen arbeitet ihr?

Julieta: Es gibt sehr konkrete Thematiken, die zum Beispiel mit Abtreibung, feministischer Selbstverteidigung oder Gewalt zu tun haben. Ein Arbeitsbereich ist etwa die Beratung zum Thema Abtreibung. Wir sind der Meinung, dass Information Frauen Sicherheit gibt, weil sie erlaubt, Entscheidungen zu treffen, die sicherer sind für den eigenen Körper und die eigene physische Integrität. Wir organisieren auch Selbstverteidigungskurse . Ein eigenes Büro beschäftigt sich mit Anzeigen in Zusammenhang mit männlicher Gewalt. Betroffene Frauen werden rechtlich beraten und bekommen Unterstützung , zum Beispiel auch bei Scheidungen. Das nennen wir konkrete Politik.

In der Einleitung eurer Broschüre zum Thema Abtreibung heißt es, „Pachamama, du weißt, dass Abtreibung Jahrtausende alt ist”. Könnt ihr etwas über die Geschichte der Abtreibung in Bolivien erzählen?

Julieta: Eine Compañera, Carina Aranda, hat viel zu Abtreibung in der vorkolumbianischen Zeit gearbeitet. Sie schreibt in der Broschüre, dass Abtreibung eine Praxis ist, die es in verschiedenen Kulturen der Welt gibt. In Bolivien wurde sie sowohl vor der Kolonialisierung sowie danach angewandt. Sie wirft auch auf, dass in den indigenen Kulturen und in ländlichen Gesellschaften Abtreibung praktiziert wird. Das erscheint uns besonders  wichtig, weil wir in einer Gesellschaft leben, in der der Diskurs vorherrscht, dass gewisse Praktiken, wie Homosexualität, Abtreibung oder sogar Prostitution und Sexismus, erst mit der Kolonialisierung zu uns gekommen seien. Es gibt eine ganze Reihe von Mythen und Vorstellungen, die keine, unter Anführungszeichen, wissenschaftliche Basis haben.

Carina Aranda führt außerdem das Thema Infantizid ein und behandelt es ohne Moralismen und Vorurteile. Feministinnen sollten sich mit Infantizid auseinandersetzen, weil dadurch aufgezeigt wird, dass Muttersein nichts Angeborenes oder Natürliches in uns Frauen ist. Es ist nicht so, dass wir, das neue Wesen, den Embryo, lieben, kaum haben wir ihn empfangen. Auf gewisse Weise wird dadurch das ganze Thema des Mutterinstinktes entmythisiert.

Unter welchen Bedingungen und mit welchen Methoden wird in Bolivien heute abgetrieben?

Zulema: Das ist von der finanziellen Situation abhängig. Der Großteil der Frauen, die keine finanziellen Mittel haben, führt unsichere Abtreibungen durch. Wenn du eine sichere Abtreibung haben willst, musst du um die 3.000 Bolivianos zahlen. Wenn du kein Geld hast, kannst du sogar um 160 Bolivianos mit Tabletten abtreiben, was aber wahrscheinlich nicht funktionieren wird. Im Falle eines chirurgischen Eingriffs in einem der Spitäler, die nicht die notwendigen Voraussetzungen erfüllen, glaube ich, machen sie dir den Eingriff auch um 600 oder 400 Bolivianos. Sie bieten dort auch Tabletten an.

Julieta: Natürlich, ist das von deinen finanziellen Mitteln abhängig. Wir verlangen die Straffreistellung, weil sie einen demokratischen Zugang zu Gesundheit und bessere Bedingungen für alle Frauen bedeuten würde.

In Zusammenhang mit dem Kampf um die Straffreistellung von Abtreibung fordert ihr, dass der Staat einen kostenlosen Zugang ermöglicht?

Julieta: Es gibt mehrere Optionen. Abtreibung könnte legalisiert werden oder sie könnte straffrei gestellt werden. Wenn wir von Straffreistellung sprechen, sprechen wir auch davon, dass sie ein Thema des öffentlichen Gesundheitswesens sein muss. Der Staat soll sehr wohl Verantwortung übernehmen, aber nicht notwendigerweise durch eine Legalisierung der Abtreibung und indem er die Bedingungen festschreibt, unter denen Frauen abtreiben. Die Frauenbewegung selbst sollte das erarbeiten.

Ihr setzt euch also für die Straffreistellung und nicht für die Legalisierung ein, weil ihr nicht wollt, dass sich der Staat zu viel in die Angelegenheiten von Frauen einmischt?

Julieta: Ja. Für uns geht es nicht nur darum, Rechte zu erkämpfen. Das ist ein wichtiger Teil, aber von einer feministischen Perspektive aus wollen wir klarmachen, dass wir das Recht haben, als Frauen selbst über unsere Körper zu entscheiden, egal ob es um Mutterschaft oder Abtreibung geht. Es geht darum, sich dieses Recht, das uns in der Geschichte weggenommen wurde, wieder anzueignen.

Wie ist die rechtliche Situation im Moment? Gibt es Fälle, in denen abgetrieben werden darf?

Zulema: Das Strafgesetzbuch stellt Abtreibung unter Strafe, aber sie ist straffrei bei Vergewaltigung, wenn eine Fehlbildung des Fötus besteht, bei Inzest, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist und im Falle von Entführung mit Vergewaltigung, auf die keine Eheschließung folgt. In allen anderen Fällen stehen darauf zwei Jahre Gefängnis.

Was ist die Position der Regierung und Evo Morales gegenüber Abtreibung?

Zulema: Dieses Jahr gab es eine interessante Debatte zum Thema. Eine Abgeordnete thematisierte die Straffreistellung von Abtreibung, einige andere Abgeordnete schlossen sich ihr an. Aber der Präsident meinte sinngemäß, er könne keine Meinung zu dem Thema abgeben, weil er nicht Bescheid wisse, gleichzeitig denke er, abzutreiben bedeute, jemanden zu töten.

Julieta: Das Thema Abtreibung wird oft nur sehr oberflächlich behandelt. Häufig dient es dazu, andere Debatten unter den Teppich zu kehren. In diesem Fall erscheint es mir so, als hätten sie ausprobieren wollen, was passiert, wenn man Abtreibung thematisiert. Aber es ist nach hinten losgegangen, weil es eine sehr starke Reaktion seitens der katholischen Kirche und seitens konservativer Sektoren gab, inklusive einiger Sektoren, die der Regierung nahestehen. Es gab aber eine viel positivere Reaktion seitens der Gesellschaft; zumindest die Bevölkerung von La Paz hat meines Erachtens auf offenere Weise reagiert. So wurde auch Raum für Diskussion und Mobilisierung geschaffen.

Die Regierung nutzt den identitären indigenen Diskurs stark aus. Was haltet ihr von diesem Diskurs?

Zulema: In erster Linie ist die Regierung meiner Meinung nach einem Obskurantismus desUrsprünglichen“ verfallen:  Alles Ursprüngliche ist gut, vor der Kolonialisierung gab es keine Abtreibung und keinen Sexismus – vor der Kolonialisierung war das hier angeblich ein Paradies. Die Regierung versucht diesen Zustand wieder herzustellen. Es kommt mir nicht so vor, als würde sie diesen Diskurs ausnutzen. Vielmehr hat sie ihn selbst immer geführt. Jene Frauen, wie die Bartolina Sisas (Anm. d. Red.: Zusammenschluss bolivianischer Bäuerinnen, benannt nach der Freiheitskämpferin), die gegen Abtreibung sind, wissen sehr wohl, dass es sich dabei um eine Praxis handelt, die es immer schon gegeben hat. Trotzdem sind alle diesem Diskurs verfallen, dass früher nicht abgetrieben wurde.

Julieta: Das Thema der Verteidigung des Lebens, also die Vorstellung, dass alles Leben ist, dass alles von der Pachamama (Anm. d. Red.: zentrale Gottheit in der mittleren Andenregion) kommt, das ist eine sehr oberflächliche Betrachtungsweise dessen, was Leben und die Verteidigung der Natur oder der Umwelt ist. Ich glaube, das sind Fundamentalismen, die vor allem indigenistische Theoretiker_innen mit der Zeit begründet haben. Es gibt jedoch Untersuchungen, die aufzeigen, dass zum Beispiel die Aimara-Frauen, wenn sie abtreiben, keine Schuld fühlen, weil ihre Beziehung zur katholischen Kirche und zu Gott eine andere ist. Sie können viel offener und viel eher ohne Vorurteile über Abtreibung sprechen. Sie betrachten sie als Teil des Kreislaufs des Lebens. Das Thema Schuld wurde ihnen nicht so eingeimpft, wie anderen Frauen.

 

Mehr Informationen zur Arbeit und den Veröffentlichungen von Mujeres Creando sind auf http://www.mujerescreando.org/ zu finden.

 

Das Interview führten Carmen Aliaga und Isabel Rodríguez.

 

 

Sich zu verlieben, heißt Souveränität einzubüßen

  • 14.04.2014, 10:58

Es ist nicht so einfach, wie manche es gerne hätten. KritikerInnen, Konservative wie FeminstInnen, stießen sich daran und taten es ab - als literarisch zu schlecht, zu pornografisch, zu sexistisch. Das Etikett Mamiporno klebt fest auf den Seiten von Shades of Grey. Die israelische Universitätsprofessorin Eva Illouz hat sich in Die neue Liebesordnung. Frauen, Männer und Shades of Grey  dem Phänomen Shades of Grey aus soziologischer Sicht gewidmet und ist dabei auf so einiges Unerwartetes gestoßen. 

Wunscherfüller - Bestseller

Illouz Thesen bauen auf der Voraussetzung auf, dass Bestseller soziales Unbewusstes verschlüsselt sichtbar machen und in dem Sinn Zeitmarken gesellschaftlicher Begehren sind. Ein Verkaufsprinzip, das lukrativ ist. In diesem Sinn scheint die Kommerzialisierung des Buches, als literarische Erfüllung kollektiver Wünsche, ganz im Zeichen des Kapitalismus zu stehen. Eine kalkulierte Verkaufsmasche nach der bekannten Formel: Sex sells, nur eben diesmal ein bisschen härter nach der Kunst des BDSM (Bondage and Discipline, Domination and Submission, Sadism and Masochism).

Illouz entgegeht in dem schmalen Band diesem ersten, vereinfachten Blick. Dass Shades of Grey bei weitem den gängigen erotischen Groschenroman übertrifft, zeigen seine Verkaufszahlen. Weltweit wurde die Trilogie Shades of Grey 70 Millionen Mal gekauft und das vor allem von Frauen. Im Vergleich dazu: der Roman Der kleine Prinz  von Antoine Saint-Exupéry wurde 80 Millionen Mal verkauft.

Ausgehend von der Skurrilität der Auflagezahlen und dem besonderen Interesse der Frauen an den Romanen, bietet Illouz eine differenziertere und überzeugendere These als das „Mamiporno“-Vorurteil an. Sie nimmt die Ansprüche der Leserinnen ernst und untermauert ihre These zum Erfolg von Shades of Grey unter anderem mit Fakten zu dessen Entstehungsgeschichte.

Gefesselte Autonomie

Der erste Band Fifty Shades of Grey wurde auf einer Fanpage zu Stephanie Meyers Twilight Saga von den Fans abgetestet und mitgeneriert. E. L. James, die Autorin von Shades of Grey, veröffentlichte dort unter einem Pseudonym erstmalig ihren Roman als Fanfiction und integrierte UserInnenvorschläge mit in die Geschichte ein. Shades of Grey ist ein UserInnen-generierter Content,  sozusagen ein kollektiver AmateurInnenroman. Illouz sieht darin eine unkonventionelle Form mit dem konventionellen Inhalt einer Liebesgeschichte zu einem Werk verdichtet.

Ausgehend davon ist Illouz überzeugt, dass eben nicht das Erotische/Pornographische ausschlaggebend für die breite Resonanz der Frauen ist, vielmehr schwingt in der sadomasochistischen Beziehung zwischen den Hauptcharakteren Christian Grey und Anastasia Steele mit, wie es um unsere heterosexuellen Beziehungen in der Spätmoderne steht.

Shades of Grey als verschlüsselter Ratgeber und Selbsthilferoman vermittelt den LeserInnen ein Gefühl von Lösungen. Die Triologie gibt scheinbar Antworten auf die Frage, wie heterosexuelle Paare in einer Zeit in der der Feminismus noch in der Entwicklung ist in ihren Beziehungen zu Sicherheit gelangen. Illouz klagt hier den Feminismus nicht moralisch an, sie zeigt vielmehr auf, dass das Aufbrechen von traditionellen Geschlechterrollen mit einer Unsicherheit einhergeht, auch in der Sexualität der Frauen. Wie ist es um die Frauen in der Spätmoderne bestellt? Illouz Antwort lautet: Ja, sie sind autonomer, aber paradoxerweise bleibt laut Illouz der Wunsch nach sexueller Befreiung in der Unterwerfung. Einen wesentlichen Beitrag dazu leistet der Feminismus nach Illouz Auffassung, der nichts weniger versucht als „die Natur ihres [der Frau, Anm. d. Red.] Begehrens (und des Begehrens der Männer) zu verändern.“ Die Frauen stecken in einem Dilemma der Emanzipation, die Befreiung die listig nach den Fesseln fleht. Die Sextoy-Industrie gibt Shades of Grey Recht. Nach der Veröffentlichung explodierten der Vertrieb von Sexspielzeugen wie Vaginalkugeln oder Handschellen, später von eigenen Shades of Grey Sextoy-Packages. Die Praktiken des BDSM sehen vor, dass die Rollen des/der Dominaten und des/der Unterwürfigen strikt verteilt und eingehalten werden, damit sich ein Ort der fixen Autonomie einstellt.

 

 

Ausserhalb der Kammer der Qualen

Die Sphäre des Sex findet dadurch die begehrenswerte Enge der Definition die sich aber außerhalb der „Kammer der Qualen“ mit dem Abklingen des Rausches verflüchtigt. Was bleibt ist ein Abschätzen von Absichten. Serieller Sex oder monogame Liebesbeziehung?

Ab da wird es erst richtig knifflig. „Sich zu verlieben, heißt Souveränität einzubüßen“, schreibt Illouz in der Mitte des Buches und stellt uns spätestens ab hier vor eine harte Entscheidung. Liebe und Leidenschaft oder Souveränität? Begehren oder Autonomie? Dass es aber praktisch kein Entweder-Oder ist bezeugt, dass monogame Beziehungen noch immer eher die Regel als die Ausnahme sind. Für Illouz bewegen sich Beziehungen in ihren Kämpfen und Verhandlungen zwischen Souveränität und Leidenschaft.

Im Gegensatz zur Romantik, in der das Subjekt in der Unterordnung in eine Beziehungseinheit bis zur Selbstauflösung verstummt, steht in der Spätmoderne das Subjekt, das sich in einer ständigen Selbstprüfung zu sich selbst verhält, im Mittelpunkt. Wie viel Macht bin ich bereit aufzugeben? In einem Interview mit PROGRESS zu ihrem Buch Warum Liebe wehtut, antwortete Illouz auf die Frage, ob Leidenschaft in der Lage ist herrschaftliche Beziehungen zu unterwandern: „Es [die Bereitschaft zur Leidenschaft, Anm. d. Red.] ist eine Form der Emotionalität, die weniger reflexiv und weniger beschäftigt mit dem eigenen Wohlergehen ist.” Ihrer Meinung nach “sollten wir wieder Spaß an Leidenschaft haben und weniger ängstlich dabei sein.” Kurz: Die Ängste abstreifen und leidenschaftlich loslegen. In einer Gesellschaft, die von einer Therapiekultur überschwemmt wird und ein Gefühl von Bestätigung durch andere ständig einfordert, zu widerstehen.

Eva Illouz
Die neue Liebesordnung. Frauen, Männer und Shades of Grey.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013
Taschenbuch, 88 Seiten, 8,30 EUR

 

Marlene Brüggemann studiert Philosophie an der Uni Wien.

siehe auch dazu: Aufhören, uns die Schuld zu geben - ein Interview mit Eva Illouz

 

Verhärtete Fronten

  • 22.01.2014, 17:01

Die konfliktgeladene Debatte rund um das Verbot von Sexkauf ist in Österreich und Deutschland neu entflammt. Damit verbunden sind komplexe Fragestellungen zu Menschenrechten, Migrationspolitik und sozialer Sicherheit.
Ein Kommentar von Brigitte Theißl.

 

Die konfliktgeladene Debatte rund um das Verbot von Sexkauf ist in Österreich und Deutschland neu entflammt. Damit verbunden sind komplexe Fragestellungen zu Menschenrechten, Migrationspolitik und sozialer Sicherheit.
Ein Kommentar von Brigitte Theißl.

„Wir fordern: Prostitution abschaffen! Ändert endlich das Zuhälter-Gesetz“, ist auf der Titelseite der aktuellen Emma zu lesen. 90 prominente Persönlichkeiten, die ihren „Appell gegen Prostitution“ unterzeichnet haben – unter ihnen etwa Heiner Geißler, Senta Berger und Sarah Wiener –, hat Alice Schwarzer um sich geschart. Der Appell richtet sich an den Deutschen Bundestag, der 2001 ein Prostitutionsgesetz verabschiedete, das im europäischen Ländervergleich zu den liberalsten zählt. Zeitgleich zum Start der Kampagne veröffentlichte Schwarzer ihr neues Buch „Prostitution – Ein deutscher Skandal“. Wer zum Emma-Jahres-Abo greift, erhält als Geschenk das ebenfalls 2013 erschienene „Es reicht! Gegen Sexismus im Beruf“ – Schwarzer produziert am laufenden Band. Und was Deutschlands berühmteste Feministin sagt, hat Gewicht: Ihre Bestseller werden im Spiegel und in der Bild besprochen, sie ist Dauergast in TV-Talkshows. Feministische Themen, die kaum Eingang in Mainstream-Medien finden, erhalten erst mithilfe von Schwarzer Nachrichtenwert.

Sexkaufverbot. Die in Österreich schon seit einigen Monaten heftig geführte Debatte rund um Prostitution – beziehungsweise Sexarbeit – hingegen wurde bisher vorrangig von feministischen und alternativen Medien abseits des „Malestreams“ aufgegriffen. Auslöser für das erneute Aufflammen der Diskussion war ein Petitionstext: Im April 2013 veröffentlichte der neu gegründete Verein feministischer Diskurs den „Wiener Appell“, der sich am schwedischen Gesetzesmodell orientiert und ein Verbot von Sexkauf fordert. In Schweden ist Sexkauf bereits seit 1999 verboten – unter Strafe gestellt ist dort also nicht das Anbieten der sexuellen Dienstleistung, sondern der Kauf derselben durch die Freier. Was für den Verein feministischer Diskurs und Emma als Vorzeigemodell gilt, wird von vielen Sexarbeiter_innen-Verbänden und NGOs, die sich für die Betroffenen einsetzen, heftig kritisiert. Die feministische Migrantinnen-Organisation LEFÖ pocht etwa auf „eine klare Differenzierung zwischen Frauenhandel, Gewalt in jeglichem Sinn einerseits und (freiwilliger) Sexarbeit andererseits“ und kämpft für die Ausweitung der Rechte von Sexarbeiter_innen in Österreich.

Rund 80 Prozent der Dienstleister_innen, die in Bordellen, Privatwohnungen oder den wenigen erlaubten Zonen am Wiener Straßenstrich, unter zumeist schlechten Bedingungen arbeiten, sind Migrant_innen. Schwarzer und andere Aktivist_innen, die sich für ein Verbot der Prostitution stark machen, sehen Sexarbeiter_innen vorrangig als Opfer von Menschenhandel, als Zwangsprostituierte, die von Zuhältern mit falschen Versprechungen von Ost- nach Westeuropa gelockt wurden. Wie es den zugewanderten Frauen, den wenigen Männern und Transpersonen, die in diesem Sektor arbeiten, tatsächlich geht, darüber gibt es aber – sowohl vonseiten staatlicher Behörden als auch von Wissenschafter_innen – nur wenig aussagekräftiges Datenmaterial. Sexarbeiter_innen sind vielfach von rassistischer und sexistischer Diskriminierung (unter anderem durch Gesetze) betroffen und stehen als eine Art Gegenbild zur bürgerlich-sittsamen Frau im gesellschaftlichen Abseits.

Die Wiener Soziologin Helga Amesberger hat an einer internationalen Studie zu Prostitution mitgear- beitet und dafür mit einer großen Anzahl von Sexar- beiter_innen gesprochen. Amesberger steht Verbots- Modellen äußerst kritisch gegenüber, wie sie unter anderem in einem Interview mit der Tageszeitung Die Presse erzählte. In Schweden etwa sei Prostitution nicht zurückgegangen oder Freier abgeschreckt worden, das Geschäft habe sich vielmehr in die Unsichtbarkeit verlagert. Damit habe sich der Druck auf Sexarbeiter_innen erhöht.

Ausblendungen. Auch wenn sich Sexarbeit als äußerst prekärer Sektor darstellt – der Mythos vom schnell und einfach verdienten Geld entstammt vorrangig Drehbüchern –, kritisieren viele Autor_innen das Ausblenden ermächtigender Aspekte von (migrantischer) Sexarbeit: „Durch die Gleichsetzung von Sexarbeit und Frauenhandel werden Migrant_innen generell als naive Opfer konstruiert und darüber hinaus häufig auf eine sehr sensationalistische Art medial präsentiert. Dass die Migration in die Sexarbeit selbst eine Strategie sein kann, um sich zu wehren, sie eine Möglichkeit sein kann, den patriarchalen Strukturen im Herkunftsland zu entkommen und ökonomische Unabhängigkeit zu erreichen, wird somit völlig ausgeblendet“, schreiben etwa Gergana Mineva, Luzenir Caixeta und Melanie Hamen in der aktuellen Schwerpunkt-Ausgabe des Onlinemagazins Migrazine.at. Die Autorinnen richten ihren Fokus damit auf eine zentrale Perspektive – die ökonomische. Sexarbeit muss vor dem Hintergrund eines wachsenden informellen Dienstleistungssektors und der Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen analysiert werden. Es ist die alte feministische Forderung der eigenständigen Existenzsicherung von Frauen, die in Zeiten europäischer Krisenpolitik höchst aktuell ist. Es gilt jedoch auch, sich im Zuge einer berechtigten Abwehr paternalistischer Zuschreibungen nicht im neoliberalen Diskurs der Freiwilligkeit und Selbstbestimmung zu verstricken: Auch Sexarbeiter_innen, die ihren Beruf freiwillig (also ohne Ausübung von Zwang durch andere Personen) gewählt haben, sind in gesellschaftliche Machtverhältnisse, sexistische und rassistische Gewaltstrukturen eingebettet.

Nicht nur in Österreich und Deutschland wird aktuell über Prostitution diskutiert – so wurde etwa auch in Frankreich ein Gesetzesentwurf zum Verbot von Sexkauf vorgelegt. Angesichts der 2014 anstehenden Wahl zum europäischen Parlament könnte sich die Debatte verschärfen. Diese ist derart vielschichtig, dass ihr eine Zuspitzung auf Legalisierung oder Verbot, auf Freiwilligkeit oder patriarchale Ausbeutung keinesfalls gerecht wird. Auch wenn es dringend Öffentlichkeit für feministische Fragestellungen braucht – die Stärke feministischer Wissensproduktion war immer schon die machtkritische Analyse, nicht die medienwirksame Kampagne.

 

Brigitte Theißl ist Redakteurin des feministischen Monatsmagazins an.schläge, betreibt zusammen mit Betina Aumair den Verein Genderraum und bloggt unter www.denkwerkstattblog.net.

 

Last Exit Frauenhaus

  • 01.04.2013, 13:52

Vor 35 Jahren wurde in Wien das erste österreichische Frauenhaus eröffnet. Claudia Aurednik hat mit der Leiterin des Vereins Autonome österreichische Frauenhäuser und zwei Frauen über die aktuelle Situation der Frauenhäuser sowie Partnergewalt gesprochen.

Vor 35 Jahren wurde in Wien das erste österreichische Frauenhaus eröffnet. Claudia Aurednik hat mit der Leiterin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser und zwei Frauen über die aktuelle Situation der Frauenhäuser sowie Partnergewalt gesprochen.

„Ich werde die schweren Schwellungen im Gesicht meiner Mutter und ihren Körper voll blauer Flecken wohl niemals vergessen“, erzählt Alice Maier* (42): „Mein Vater konnte mit Enttäuschungen sehr schlecht umgehen und war für seine cholerischen Wutanfälle und seinen Hang zur Gewalt in der Familie gefürchtet. Ein verlorener Gerichtsprozess, ein nicht auffindbarer Akt und manchmal  auch nur eine Kleinigkeit, wie kein Parkplatz für sein Auto, waren für ihn Anlass, die Beherrschung zu verlieren.“ Maier, die heute als  Ärztin in einem Krankenhaus arbeitet, beschreibt ihren Vater als Mann mit Borderline-Persönlichkeitsstörung, der sich in der  Rechtsanwaltskanzlei und in der Öffentlichkeit beherrschen konnte und in der familiären Wohnung seinen Wutanfällen freien Lauf ließ. Am meisten hatte ihre mittlerweile verstorbene Mutter, die von ihrem Mann regelmäßig verprügelt wurde, darunter gelitten.

Maier und ihre jüngere Schwester hatten bereits als Kinder einen Spürsinn für die Launen ihres Vaters entwickelt: „Bereits an Vaters Gang und Blick haben wir erkannt, wann es besser wäre, sich im Kinderzimmer einzuschließen.“ Auch die NachbarInnen in dem großbürgerlichen Altbau hatten die Gewaltexzesse von Maiers Vater mitbekommen. Doch bis auf einige seltsame Blicke im Treppenhaus habe niemand je etwas gesagt: „Es gab so etwas wie einen stillen Konsens darüber, dass nach außen hin das Bild einer  intakten und glücklichen Anwaltsfamilie gewahrt wird. In der großbürgerlichen Schicht spricht man ja über solche Dinge nicht, denn  schließlich kommt Gewalt ja nur in den sogenannten unteren Schichten in Arbeiterfamilien vor.“

BÜRGERTUM. Als Alice Maier 14 Jahre alt war, hatte sie ihre Mutter dazu gedrängt, sich scheiden zu lassen: „Damals hatte ich den Eindruck, dass meine Mutter ernsthaft über eine Scheidung nachdenken würde. Doch bereits nach ein paar Tagen hat sie denGedanken wieder verworfen, weil sie Angst vor einem langwierigen Scheidungsprozess und den beruflichen Netzwerken meines Vaters hatte.“ Maier erzählt mit bitterer Stimme, dass natürlich auch die finanzielle Abhängigkeit und die Sorge, dass ihr Vater das  Sorgerecht für die beiden Mädchen erhalten könnte, eine Rolle spielte. „Meine Eltern hatten sich während ihres Studiums auf einem  Ball kennengelernt. Mutter hatte damals Kunstgeschichte studiert und das Studium nach meiner Geburt abgebrochen. Somit war sie  von Vater ökonomisch abhängig“, ergänzt sie.

Das erste Wiener Frauenhaus wurde 1978 eröffnet. Warum hat Maiers Mutter dort  nicht Zuflucht gesucht? „Meine Mutter hat sich  wohl aufgrund ihres sozialen Status nicht vorstellen können, in ein Frauenhaus zu gehen, weil das für sie auch den sozialen  Ausschluss aus dem Familienkreis und dem Umfeld bedeutet hätte“, merkt Maier an. Nachdenklich ergänzt sie: „Heute betrachte ich  es als einen großen Fehler, dass sie nicht insFrauenhaus gegangen ist und eine Scheidung durchgezogen hat. Denn bis zu ihrem  Tod hat sie unter der Tobsucht und der Gewalt meines Vaters gelitten.“ Seit dem Tod ihrer Mutter vor fünfzehn Jahren hat Maier den Kontakt zu ihrem Vater abgebrochen. Sie resümiert: „Gewalt an Frauen und Kindern kommt in allen Schichten vor. Aber ich  denke, dass die Scham, darüber öffentlich zu reden, in bürgerlichen Kreisen noch viel höher ist, weil Gewalt in der Familie als  verpönt gilt.“

FRAUENHAUS. „Alle Frauen, die Gewalt in der Familie, in der Partnerschaft oder durch nahe Angehörige erfahren, finden Zuflucht in  den Frauenhäusern. Ganz unabhängig von ihrer Herkunft, Religion, ihrem Alter, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrem sozialen Status“, erklärt Maria Rösslhumer, die seit 1997 Mitarbeiterin und seit 2001 Geschäftsführerin des Vereins Autonome  Österreichische Frauenhäuser (AÖF)  ist. Von 1991 bis 2012 suchten insgesamt 52.863 Frauen und deren Kinder in den österreichischen Frauenhäusern Schutz. Heute gibt es landesweit 30 Frauenhäuser. „Die Bezeichnung autonom stammt aus der zweiten Frauenbewegung und bedeutet parteipolitisch und ideologisch unabhängig, im Sinne der Frauen und deren Kinder arbeiten zu können“, erläutert Rösslhumer, die in den 1990er-Jahren Politikwissenschaft und Frauenforschung an der Universität Wien   studierte und über den Katholizismus zum Feminismus fand. Jedes Frauenhaus ist außerdem auch eine eigene Einrichtung, die von   der jeweiligen Landesregierung finanziell unterstützt wird. „Die Finanzierung der Frauenhäuser ist daher unterschiedlich. Wir sind laufend mit finanziellen und personellen Einsparun gen und Kürzungen oder sogar mit der Schließung von Frauenhäusern seitens  der Politik konfrontiert“, merkt Maria Rösslhumer an. „Aber wir benötigen langfristige und ausreichende Finanzierungen sowie eine gesetzliche Verankerung der Finanzierung der Frauenhäuser, damit nicht jährlich der Kampf um die Existenz dieser gesellschaftspolitisch wichtigen Einrichtungen geführt werden muss.“

Doch obwohl die österreichischen Frauenhäuser mittlerweile anerkannte und nicht mehr wegzudenkende Opferschutzeinrichtungen darstellen, sind sie manchen PolitikerInnen ein Dorn im Auge. Im vergangenen Sommer lehnte die FPÖ in Amstetten eine Subvention für das lokale Frauenhaus ab. Die blaue Stadträtin Brigitte Kashofer warf der Einrichtung vor, maßgeblich an der Zerstörung von  Ehen und Partnerschaften beteiligt zu sein. „Die FPÖ will offensichtlich die Realität der Gewaltproblematik in unserer Gesellschaft nicht wahrnehmen und stellt die Wichtigkeit von Schutz und Sicherheit für Frauen und Kinder infrage“, sagt Rösslhumer. Sie erzählt,dass die Frauenhäuser zu Beginn von allen politischen Parteien und von der Kirche sehr skeptisch und ablehnend betrachtet wurden: „Auch die SPÖ- Politikerin Johanna Dohnal, die sich sehr stark für die Errichtung des ersten Frauenhauses in Wien 1978 eingesetzt hat, musste einen harten Kampf in ihrer eigenen Partei führen.“

Rösslhumer ist neben ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin des Vereins der AÖF auch Leiterin der Frauenhelpline 0800/222 555 und  des europäischen Netzwerks WAVE (Women against Violence Europe). Außerdem ist sie Koordinatorin der Plattform gegen die Gewalt in der Familie. „Die Gewalt an Frauen ist meist Partnergewalt und kann viele Formen annehmen. Sie äußert sich in  psychischer, sexueller, physischer und finanzieller Form und kommt oft in Kombination vor. Sie kann auch tödlich sein, denn die  Mehrheit der orde an Frauen erfolgt im Familienkreis“, berichtet Rösslhumer: „Kinder sind von der Gewalt gegen ihre Mütter immer   mitbetroffen, entweder direkt oder indirekt ZeugInnen.“ Die Frauenhäuser bieten den Frauen und ihren Kindern umfangreiche Hilfe. diese beginnt bei Schutz und Sicherheit und reicht bis zu psychosozialer und juristischer Beratung und medizinischer Hilfe. Auch die Begleitung zu Ämtern, Behörden sowie die Prozessbegleitung und die Hilfe bei der Arbeits- und Wohnungssuche gehören zu den Aufgaben der Frauenhäuser. Aber auch die politische Arbeit ist ein wichtiger Bestandteil der Einrichtungen, betont Rösslhumer: „Die  Mitarbeiterinnen der Frauenhäuser waren mit dem Verein AÖF maßgeblich an den Gewaltschutzgesetzen beteiligt, die seit mehr als  15 Jahren existieren und den Schutz und die Sicherheit von betroffenen Frauen und Kindern wesentlich verbessert haben.“

ARBEITERiNNENSCHICHT. „Die Zeit im Frauenhaus habe ich positiv in Erinnerung, denn endlich hatten meine Mutter und ich das  Gefühl, an einem sicheren Ort zu sein“, erinnert sich Sigrid Schneider* (25). Schneiders Mutter war mit ihrer damals sechsjährigen Tochter vor ihrem gewalttätigen Ehemann in einer Nacht- und Nebelaktion aus einem Dorf bei Linz ins Frauenhaus geflohen. Die  Entscheidung hatte die Mutter kurzfristig gefällt, nachdem ihr damaliger Mann sie brutal zusammengeschlagen hatte und dazu übergegangen war, auch die gemeinsame Tochter zu  schlagen. Zuvor hatte sie bei einem Kinderarztbesuch im Warteraum einen Artikel über die Frauenhäuser und deren Aufgaben gelesen, der ihr Mut gemacht hatte. „Mein Vater – den ich heute eigentlich nicht mehr als solchen bezeichne – war neun Jahre älter als meine Mutter. Er hat als Stahlarbeiter gearbeitet, war krankhaft eifersüchtig  und regelmäßig betrunken“, erzählt die heutige Kindergartenpädagogin, die nebenberuflich an der Universität Wien Pädagogik  studiert. „Nach meiner Geburt hat er meine Mutter sukzessiv von ihrer Familie und ihrem früheren Freundeskreis isoliert und   psychisch fertiggemacht. Auch das Ausüben ihres gelernten Berufs als Verkäuferin hat er ihr verboten“, erklärt Schneider. Als ihre Mutter mit ihr im Frauenhaus Zuflucht suchte, war sie genauso alt wie Sigrid Schneider heute. „Durch die Betreuung im Frauenhaus konnten meine Mutter und ich die Erlebnisse viel besser verarbeiten. Ich weiß nicht, was sonst passiert wäre und ob wir eine  Trennung von ihm – im wahrsten Sinne des Wortes – überlebt hätten“, sagt sie mit einem leichten Zittern in ihrer Stimme.

Das Frauenhaus hat ihrer Mutter auch bei der Scheidung geholfen und sie dabei unterstützt, ein neues Leben zu beginnen. „Durch  seine Hilfe haben wir eine Übergangswohnung in Wien bekommen und Linz rasch verlassen.“ Der Neustart in Wien war nicht einfach,  weil Schneiders Vater die Zahlungen der Alimente einstellte und ihre Mutter als Verkäuferin finanziell auf sich alleine  gestellt war. Als Schneider zehn Jahre alt war, kam ihr Vater schwerst alkoholisiert bei einem Verkehrsunfall in Oberösterreich ums Leben: „Das mag sich jetzt hart anhören, aber für meine Mutter und mich begann erst nach seinem Tod ein richtig sorgenfreies Leben. Denn selbst in Wien hatten wir Angst, dass er uns finden würde.“ Dass ein selbsternannter „Väterrechtler“ die Adressen der  vier Wiener Frauenhäuser auf einer Website veröffentlicht hat, macht sie wütend: „Ich möchte gar nicht daran denken, was mein  Vater damals in Linz getan hätte, wenn ihm die Adresse des Frauenhauses bekannt gewesen wäre. Aber ich kann mir gut vorstellen,  dass er meine Mutter und mich im besoffenen Zustand physisch attackiert hätte. Im schlimmsten Fall würde ich heute nicht hier  sitzen und von seiner Gewalt erzählen können.“

*Die Namen wurden auf Wunsch der Interviewpartnerinnen geändert und sind der Redaktion bekannt.

Verkehrte Welt

  • 25.02.2013, 17:25

Die meisten männlichen Attitüden nerven gewaltig. Wir drehen den Spieß mal um.

Breitmachmacker
Öffentlicher Verkehr ist ja eigentlich nicht nur aus stadtplanerischer Sicht unterstützenswert, sondern auch ganz praktisch: Ist man kein Bobo Rich Kid und lässt sich per Taxi durch die Gegend kutschieren, kommt man ja auch nicht drum rum. Abhängig von der Tages- oder Nachtzeit kann das aber mühsam werden: Während der Rush Hour begegnen einer im Gang stehende Kasten, die offensichtlich von den Wiener* Linien persönlich angeheuert wurden, um Türsteher zu spielen und die Sitzplätze hinter sich zu bewachen. Hat man’s an denen mal vorbeigeschafft und einen der begehrten Sitzplätze ergattert, trifft man häufig auf den Typ Breitmachmacker, der nicht nur den eigenen Sitzplatz einnimmt, sondern auch noch die Hälfte des benachbarten. Ob die schon im Kindergarten lernen, ihre Füße in eine Gretsch-Position zu bringen, die man sonst eigentlich nur im Turnunterricht beim Bockspringen braucht? Jedenfalls, ihr Macker: Ihr seid alle nicht so groß, wie ihr glaubt. In Zukunft also bitte normal sitzen, unfreiwilliges Kuscheln in Öffis ist keine so gute Idee. Sonst sitzen wir in Zukunft im Sumoringer-Style.

* insert your city.

Put your hands up!

Illustration: Christina Uhl

Wenn ihr glaubt, wir sehen das nicht: falsch gedacht. Die Hoffnung auf einen unbeobachteten Moment in der FußgängerInnenzone, im Club, im Einkaufszentrum oder an anderen dicht-bevölkerten Örtlichkeiten muss leider enttäuscht  erden. Verlieren kann man das Handy oder die Geldtasche, deswegen zur Beruhigung: Ihr müsst euch nicht die ganze Zeit versichern, dass zwischen euren Beinen noch alles hängt (oder liegt). Wir lümmeln ja auch nicht beim Fußballschauen rum und präsentieren euch unsere Kratzkünste im Intimbereich. Außerdem, ganz ehrlich: Wenn’s da wirklich die ganze Zeit juckt oder falsch liegt, solltet ihr es mal mit einer anderen Unterhose oder einer Dusche probieren.

Pissoirs für alle
Illustration: Christina Uhl

Erstmal: Die Fähigkeit, mal so nebenbei im Freien oder sonstwo stehend zu pinkeln, ist euch nicht angeboren, sondern anerzogen. Grundsätzlich ist das ja auch okay, Pissoirs auf Frauenklos sollten sowieso zur Grundausstattung jeder vernünftigen Lokalität zählen. (Für alle, die sich jetzt fragen, wie das geht: Das Werkzeug heißt Urinella und wirkt Wunder. Es gibt Frauen, die können das auch ohne. Ja wirklich. Das mit dem Anstehen hätte sich dann auch endlich erledigt.) Was das Urinieren im Freien angeht, muss trotzdem gesagt werden: Da gibt’s Grenzen der Zwangsbeglückung. Auf Autobahnraststätten zum Beispiel: Keine gute Idee. In der Innenstadt: njet. Hausmauern müssen nicht gegossen werden. Im Stadtpark: Genau – bitte verschont uns. Also, trotz Weitpinkel-Superchamp-Status: Kein Grund, überall Revier zu markieren, das macht nur die Hunde nervös.

Der Weg zum Bier

Illustration: Christina Uhl
Es gibt ja so ganz harte Typen, bei denen der Gedanke, ihr Bier mit einem Flaschenöffner aufzumachen, unter ihrer Würde liegt. Da müssen dann schon mal das Kiefer oder die hoffentlich schon gewachsenen Weisheitszähne herhalten. Oder die sogenannte Augenhöhle, die bei der Öffnungstechnik mindestens so strapaziert wird, wie das Oberkiefer und die Beißerchen. Weil das Ganze nicht wirklich als erstrebenswert, sondern eher als strunzdumm zu bewerten ist, erklären wir hier lieber die Bier-mit-dem-Feuerzeug-Öffnungstechnik. Die ist nämlich wirklich praktisch, und wer möchte schon immer zum nächststehenden Typ rennen, nur um in den Genuss eines Biers zu kommen? Und zwar geht das so: Man umschließe mit einer Hand den Flaschenhals knapp unter dem Verschluss, und zwar so, dass man zwischen Zeigefinger (oder wahlweise Daumen) und Verschluss noch ein Feuerzeug dazwischenkriegt. Dann mit dem  Zeigefinger (oder Daumen) das Feuerzeug gegen den Deckel drücken und das andere Ende des Feuerzeuges Richtung Boden drücken. Wichtig: Fest zudrücken, die Hand darf nicht verrutschen – den Rest erledigt die Hebelwirkung. Prost!

Take that!

Illustration: Christina Uhl

Wer kennt das nicht: Im Uni-Seminar, abends bei einer netten Party oder in der linken Politgruppe der eigenen Wahl – den Besserwissern kommt man nirgends aus. Die existieren zwar beiderlei Geschlechts, die Ausprägung bei den Männern dürfte aber um einiges schwerwiegender sein. Wer genug hat von ewigen Monologen, die ohnehin keinen Sinn ergeben, der seien hier Standardwortklötze empfohlen. Einfach drüberstreuen, und schon wirkt alles tiefsinniger: Ökonomie, vulgär, destruktiv, androzentristisch, progressiv, Proletariat, klassenlose Gesellschaft, Implikation, Diskurs, Bourgoisie. Und wer euch immer noch nicht glauben will, ein super Totschlagargument ist immer: „Politik ist feministisch, oder sie ist nicht links.“ (F. Haug) Nämlich.

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