Europa

Sparschiene

  • 23.02.2017, 17:54
360 Euro für ein österreichweit gültiges Studi-Ticket: Die Forderung klingt utopisch. Wie schneidet sie im europäischen Vergleich ab?

360 Euro für ein österreichweit gültiges Studi-Ticket: Die Forderung klingt utopisch. Wie schneidet sie im europäischen Vergleich ab?

Österreich ist ein kleines Land. Wer öfters mit dem Zug unterwegs ist, wird das vielleicht anders empfinden. Laute Mitreisende, langsames Fahren über Berge und Verspätungen können schon mal an den Nerven zerren. Vor allem dann, wenn die Fahrt entsprechend teuer war. Österreich mag im Vergleich mit den deutschen Nachbar*innen ein relativ günstiges Bahnland sein, die Preise können dennoch ein empfindliches Loch in studentische Geldbörsen reißen. Wer zum Beispiel mit der ÖBB von Wien nach Villach fährt, um über das Wochenende Familie und Freund*innen zu besuchen, zahlt dafür 28,30 Euro. Vorausgesetzt, man verfügt über die „Vorteilscard Jugend“, die jedoch auch einmal im Jahr 19 Euro kostet und nur bis 26 Jahre gilt. Ohne Verbilligung kostet der Wochenendtrip zu den Eltern das Doppelte: 56,60 Euro. Wer also zum Beispiel 21 Jahre alt ist, in Wien studiert und einmal im Monat die Eltern in Kärnten besuchen will, zahlt dafür sogar bei Ausnutzung des günstigen Sommertickets knappe 600 Euro im Jahr. Nicht alle Studierenden besuchen ihre Eltern so regelmäßig, andere fahren öfters von der Unistadt „aufs Land“, etwa, weil sie dort eine Fernbeziehung haben. Zum Geburtstag gibt es mit 26 dann eine nette finanzielle Überraschung: die Jugend-Vorteilscard gilt nicht mehr. „26 bist du aber bald mal und dann darfst du für jede Fahrt das Doppelte zahlen oder musst dir ausrechnen, ob die ‚normale‘ Vorteilscard sich lohnt“, beschwert sich Janine, die wie viele Studierende in Österreich länger studiert hat, als sie anfangs geplant hatte. Das Durchschnittsalter der österreichischen Studierenden liegt laut der aktuellsten Studierendensozialerhebung bei 26,2 Jahren, etwa ein Drittel der Studierenden ist älter als 26. Die Kosten für Mobilität unterscheiden sich stark je nach Alter: Unter-Zwanzigjährige kommen im Schnitt mit 54 Euro im Monat aus, Studierende, die älter als dreißig sind, verbrauchen das Doppelte, um von A nach B zu kommen.

SCHIENENERSATZVERKEHR. Alternativen zum Zugfahren sind mittlerweile gerade in studentischen Kreisen sehr beliebt, das Jammern über die ungemütliche und langsame Zugreise ist mittlerweile den verzweifelten Geschichten aus dem nicht-klimatisierten Fernbus mit verstopftem Klo gewichen. Von Wien nach Villach gibt es jedoch kein Angebot, denn wie auch die WestBahn versuchen die Fernbusunternehmen vor allem lukrative Strecken zu befahren und konzentrieren sich auf die profitable Weststrecke oder Verbindungen zwischen großen Städten. Wer nicht aus einem größeren Ort kommt, muss sowieso längere Fahrtzeiten und höhere Kosten auf sich nehmen, um die Verwandten „am Land“ zu besuchen. Neben dem öffentlichen Verkehr besteht natürlich auch immer die Möglichkeit, mit dem Auto zu fahren und Mitfahrgelegenheiten zu nutzen. Wie sehr die verfügbar sind, hängt natürlich auch davon ab, wo man wohnt und wie gut man vernetzt ist. Noch komfortabler ist der eigene PKW, was aber erhebliche Kosten für Versicherung und Erhalt mit sich bringen kann – noch dazu wird er in der Stadt eher selten gebraucht. Die teure Bahn ist für viele Studierende die einzige Möglichkeit, überhaupt mobil zu sein und Freund*innen, Bekannte oder die Familie zu besuchen. In Zeiten steigender Ticketpreise und seit Ewigkeiten nicht an die Inflation angepasster Beihilfen kann das Reisebudget schon mal sehr knapp werden. Dabei war das alles bereits anders. In den 1970ern wurde von der Regierung Kreisky die sogenannte „Schüler- und Studentenfreifahrt“ eingeführt, die Studierenden wurden finanziell entlastet. Das aber nicht nur mit den kostenlosen Öffis in den Unistädten, sondern auch mit der „Schulfahrtbeihilfe“, mit der „auswärts Studierende“, je nach Entfernung des Elternhauses, eine finanzielle Hilfe für die Heimfahrt erhalten konnten.

STUDITICKET JETZT! Die Österreichische Hochschüler*innenschaft (ÖH) lobbyiert seit knapp einem Jahr mit der Kampagne #studiticketjetzt für ein österreichweites Studierendenticket. Im Oktober wurde dem Parlament eine Bürgerinitative mit über 25.000 Unterzeichner_innen präsentiert, dort wurde das Anliegen an den Verkehrsausschuss weitergeleitet. Außerdem gab es mehrere Treffen der ÖH-Spitze mit Minister*innen. Das Ticket soll nach Vorstellung der ÖH 360 Euro im Jahr kosten und für alle öffentlichen Verkehrsmittel österreichweit gelten. Anspruchsberechtigt sollen dabei alle Studierenden sein, die ab dem 3. Semester acht ECTS aus dem vorigen Semester nachweisen können. Die ÖH fordert also ein Ticket ohne Altersbeschränkung. Um „Schein-Studierende“ zu verhindern, die sich nur inskribieren, um das günstige Ticket zu erhalten, soll die Anspruchsdauer in Summe 120 Monate betragen, die jedoch nicht am Stück verbraucht werden müssen. Die Forderung ist ein seltenes Beispiel für harmonische Zusammenarbeit von ÖH-Exekutive und Opposition: Der Antrag auf der ÖH-Bundesvertretungssitzung wurde einstimmig beschlossen, die meisten großen Fraktionen beteiligen sich namentlich an der Kampagne. Mobilitätskosten sind mitunter auch bei der Studienwahl entscheidend. So wird das Studium nicht nur nach den eigenen Interessen, sondern eben auch nach den Fahrtkosten zum Studienort gewählt. Ein Studiticket, wie die ÖH es fordert, könnte hier helfen. Magdalena Hangel von der Maturant_innenberatung der ÖH-Bundesvertretung erklärt: „Ein österreichweites Studierendenticket lindert den finanziellen Druck bei der Studienwahl, es führt zu einer besseren Vernetzung von Region und Stadt und schafft Freiheit für zukünftige Studierende. Natürlich gehören da andere Faktoren auch dazu. Als Studienberater_innen wissen wir aus unserem Beratungsalltag aber, dass der Faktor Studienort nicht zu unterschätzen ist.“ Die ÖH argumentiert neben den sozialen Effekten auch damit, dass ein Studiticket der Umwelt zu Gute kommen würde – die Regierung könnte das Studiticket nicht nur als soziale Maßnahme, sondern auch als österreichischen Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel, verkaufen.

ANDERE LÄNDER, ANDERE TARIFE. Wie sieht die Situation eigentlich in anderen Ländern aus? Zumindest was die Preise für den öffentlichen Nahverkehr angeht, kommen die Studierenden in Österreichs größter Universitätsstadt (Überraschung: Wien!) auch im europäischen Vergleich recht günstig weg: 75 Euro im Semester kostet das Ticket für die Wiener Linien, wenn der Hauptwohnsitz in Wien liegt und das magische Alter von 26 nicht überschritten ist. In Deutschland ist die Situation kompliziert, da die Hochschulen, anders als in Österreich, in die Kompetenz der Bundesländer fallen, die jeweils eigene Regelungen haben. Oft bezahlen Studierende in Deutschland gleichzeitig mit den Studiengebühren ein Semesterticket, mit dem sie meistens nicht nur die öffentlichen Verkehrsmittel ihres Studienortes, sondern auch den Regionalverkehr um den Ort herum, manchmal sogar im ganzen Bundesland, nutzen dürfen. Teilweise sind diese Tickets „vollsolidarisch“, d.h. alle Studierenden müssen sie kaufen – wer nicht mit den Öffis fährt, subventioniert die Fahrten der Anderen mit. Andere Tickets bestehen aus mehreren Komponenten, die optional hinzugekauft werden können. Mit mindestens 204 Euro im Semester wäre ein angedachtes Modell in Baden-Württemberg aber teurer geworden als das ÖH-Studiticket. Im Nordwesten Deutschlands gibt es hingegen erstaunliche Bewegungsfreiheit: Wer beispielsweise in Göttingen studiert, kann für knapp 110 Euro in der ganzen Region fahren, bis nach Hamburg oder gar an die Nordsee – allerdings nur mit dem Regionalverkehr, Schnellzüge der Deutschen Bahn dürfen die Studierenden nicht benutzen. In den Niederlanden können Studierende auswählen, ob sie am Wochenende oder werktags gratis fahren wollen. Allerdings müssen sie ihr Studium innerhalb von zehn Jahren abschließen, sonst gilt das kostenlose Ticket nur als „Darlehen“ für Tickets, die knapp 100 Euro im Monat kosten. Das Ticket ist eine Leistung der niederländischen Studienfinanzierung. Zusätzlich dazu gibt es die Möglichkeit, günstige Tarife für wenig frequentierte Reisezeiten auszunutzen und so auch am Wochenende günstig von Amsterdam nach Breda zu kommen. In Finnland gibt es kein Studi-Ticket, das für das gesamte Streckennetz gilt, allerdings bestehen hier spezielle Vergünstigungen für Studierende. Finnische Studierendenorganisationen haben im Februar 2016 einen 30-Prozent-Rabatt mit der VR Group, der finnischen Staatsbahn, ausgehandelt. Innerhalb der Städte zahlen finnische Studierende die Hälfte des Ticketpreises auf Zeitkarten, diese Ermäßigung besteht allerdings schon länger.

ES GEHT AUCH GRATIS. Die ÖH-Forderung nach einem österreichweit gültigen Ticket um 360 Euro im Jahr scheint im europäischen Vergleich also gar nicht so unrealistisch und günstig, wie das vielleicht auf den ersten Blick scheint. Vor allem dann nicht, wenn man den Blick nach Osten schweifen lässt: In der Slowakei fahren Studierende nämlich gratis. Allerdings gilt diese Regelung nur bis 26. Theoretisch können sogar alle studierenden EU-Bürger*innen einen Zero-Rate-Pass in der Slowakei beantragen, sofern sie ihre Studienbestätigung auf Slowakisch übersetzen lassen. Mit dem Pass lassen sich dann kostenlos Fahrkarten für das gesamte Schienennetz lösen. Die sind allerdings an Passagier*in und Zugverbindung gebunden – ein bisschen Vorplanung ist also vonnöten. Auch in Luxemburg gibt es ab August ein Gratisticket für Studierende – dabei soll der Studienort egal sein und das Ticket in allen öffentlichen Verkehrsmitteln gelten. Weit fahren können die luxemburgischen Studierenden damit allerdings nicht: Das Großherzogtum hat in etwa die Fläche von Vorarlberg. Diese Beispiele zeigen, dass es prinzipiell nicht unmöglich ist, Studierende günstig (beziehungsweise sogar gratis) mit der Bahn herumfahren zu lassen. Österreich sollte das doch auch schaffen können. Mit einem einheitlichen Studi- Ticket, das für Bus, Bahn und Bim gilt, würden die unfairen Tarifunterschiede zwischen den verschiedenen Studienorten innerhalb Österreichs ebenfalls abgeschafft werden. Die Umwelt, ganz besonders das Klima, würde sicherlich profitieren, angehende Studierende hätten einen Faktor weniger, den sie bei der Studienwahl berücksichtigen müssten und ältere Studierende hätten weniger Geldsorgen. Vielleicht würden auch weniger Fernbeziehungen in die Brüche gehen. Alleine das wäre doch Grund genug, das Studi-Ticket endlich einzuführen.

Joël Adami studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien.

Studierendenvertretung à la Luxembourgeoise

  • 12.08.2014, 17:00

Sie hat nur wenige aktive Mitglieder und die sind dazu noch über den Globus verstreut. Dennoch gelingt es der UNEL, tausende Studierende für Demonstrationen zu mobilisieren. Wir werfen einen Blick auf die luxemburgische Studierendenvertretung.

Sie hat nur wenige aktive Mitglieder und die sind dazu noch über den Globus verstreut. Dennoch gelingt es der UNEL, tausende Studierende für Demonstrationen zu mobilisieren. Wir werfen einen Blick auf die luxemburgische Studierendenvertretung.

In einer Artikelserie wollen wir verschiedene Studierendenvertretungen, die neben der ÖH in der gemeinsamen europäischen Studierendenorganisation European Student‘s Union (ESU) vertreten sind, vorstellen. Wir fangen mit einem Land an, das bis vor zehn Jahren noch überhaupt keine Uni hatte: Luxemburg. Die Studierendenvertretung Union Nationale des Étudiant-e-s du Luxembourg (UNEL) ist dennoch schon beinahe ein Jahrhundert alt.

25. April 2014, Luxemburg-Stadt. 17.000 Studierende und Schüler_innen demonstrieren gegen die geplanten Kürzungen der Studienbeihilfe. Innerhalb weniger Wochen wurde in sozialen Netzwerken und in Schulen für den „Streik“ mobilisiert. Die Demonstration ist ein voller Erfolg, die pittoreske Altstadt Luxemburgs platzt aus allen Nähten. Aus dem ganzen Land sind Schüler_innen und Studierende angereist, um ihren Unmut gegen die Reform der Studienbeihilfen, die im Gesetz mit der Nummer 6670 beschlossen werden sollen, kundzutun. Sprüche wie „Dir soot kierzen, mir soe stierzen“ (Ihr sagt kürzen, wir sagen stürzen) oder „Wem seng Bildung? – Eis Bildung!“ (Wessen Bildung – Unsere Bildung!) lassen erkennen, dass die Demonstrierenden von den #unibrennt-Protesten inspiriert wurden. Die ehemals großzügige Beihilfe, die fast alle Studierenden beziehen konnten, soll von der neuen sozialdemokratisch- liberal-grünen Regierung massiv gekürzt und in ein bürokratisches Ungetüm verwandelt werden. Es ist die erste Sparmaßnahme der Regierung, sie findet ausgerechnet im Bildungsbereich statt. Hinter den Protesten steht das „Streikkomitee 6670“, ein Zusammenschluss aus verschiedenen Studierenden- und Schüler_innenorganisationen. Eine der wichtigsten Organisationen in diesem Bündnis ist die UNEL, die nationale Union der luxemburgischen Studierenden.

Einzigartige Situation. „Unsere Situation ist einzigartig. Nur 20 Prozent der luxemburgischen Studierenden bleiben in ihrem Heimatland, alle anderen studieren im Ausland“, erklärt Pol Reuter, Präsident der UNEL. Er selbst studiert Politikwissenschaften in Nancy. „Wir kümmern uns aber nicht nur um Studierende aus Luxemburg, sondern auch um jene aus der Grenzregion. Außerdem vertreten wir die Rechte von Schüler_innen in Luxemburg“, ergänzt Reuter. Viele Bewohner_innen der grenznahen Gebiete in Deutschland, Frankreich und Belgien pendeln jeden Tag nach Luxemburg, um dort zu arbeiten. Damit haben sie und ihre Kinder auch Anrecht auf luxemburgische Sozialhilfen, zum Beispiel auch Studienbeihilfen. Deswegen ist es der UNEL wichtig, auch deren Rechte zu vertreten: „Wenn wir über Studienbeihilfen reden, müssen wir auch über die Kinder der Pendler_innen reden. Ihre Eltern tragen zum Reichtum Luxemburgs bei, also sollten sie auch von den Beihilfen profitieren können!“, meint Reuter. Der EuGH hat der UNEL Recht gegeben: 2013 erklärte er die Regelung, dass die Kinder von Pendler_innen keine Studienbeihilfen erhalten, für rechtswidrig.

Turbulente Geschichte. Die Universität Luxemburg ist erst zehn Jahre alt, die UNEL vertritt die Rechte der luxemburgischen Studierenden aber schon viel länger, wie Pol Reuter erzählt: „Wir wissen gar nicht, wie alt die UNEL wirklich ist, die ganzen Einträge im Vereinsregister sind verloren gegangen. Es müssen aber schon mehr als 90 Jahre sein.“ In den 1960ern erlebte die UNEL turbulente Zeiten: „Es gab Flügelkämpfe zwischen verschiedenen linken Gruppierungen wie Leninist_innen, Trotzkist_innen und Sozialdemokrat_innen. Die UNEL war damals in verschiedene Ortsgruppen unterteilt, von denen sich einige abspalteten und einen eigenen Verein gründeten, die ACEL.“ Die Association des Cercles d‘Étudiants Luxembourgeois (ACEL) sei als Vertretung der Vereine luxemburgischer Studierender in Hochschulstädten aber seit jeher sehr unpolitisch und beschränke sich beinahe ausschließlich auf die Organisation von Partys. „Die UNEL war damals auch Teil der Friedensbewegung und hat es geschafft, dass die Wehrpflicht 1967 in Luxemburg abgeschafft wurde. In den 1980ern waren hingegen eher konservative Kräfte in der UNEL aktiv. Heute sind wir eine progressive Bewegung und arbeiten neben den Studierenden- und Schüler_innenrechten auch zu Themen wie Gender, Rassismus und Jugendarbeitslosigkeit“, fasst Reuter die Geschichte der Studierendenvertretung zusammen.

International vernetzt. Die unpolitische ACEL ist nicht in der ESU vertreten, dennoch ist die UNEL nicht die einzige luxemburgische Organisation dort: Die Luxembourg University Students’ Organization (LUS) ist als eigene Vertretung der Studierenden der Universität Luxemburg seit einigen Jahren ebenfalls Mitglied in der europäischen Studierendenorganisation. „In den letzten Jahren ist die LUS merklich weniger aktiv. Wir sind oft gleicher Meinung und stimmen in der ESU auch in den meisten Fällen gleich ab“, so Reuter, der auch im Rahmen des Streikkomitees mit Aktivist_innen der LUS zusammengearbeitet hat. Eine Vertretung zu organisieren, deren Mitglieder in ganz Europa und der halben Welt verstreut sind, ist keine leichte Aufgabe. „Wir sehen uns vielleicht vier Mal im Jahr. In den Weihnachtsferien organisieren wir unseren Kongress, auf dem die Vorstandsmitglieder gewählt werden. Auf dem Papier sind das neun Leute, in Wirklichkeit können aber alle kommen, die interessiert sind, die UNEL aktiv mitzugestalten“, erklärt Pol Reuter. Die Kommunikation zwischen den rund 20 aktiven Mitgliedern läuft vor allem online ab, in sozialen Netzwerken oder per Skype werden die nächsten Kampagnen geplant. Je nach Thema verwendet die UNEL verschiedene Taktiken, um ihr Ziel zu erreichen: „Wir fangen meist mit Unterredungen mit Politiker_innen an. Wenn solche Verhandlungen zu nichts führen, beginnen wir mit Protesten oder anderen Aktionsformen“, so Reuter. Bisher haben jedoch weder die Proteste noch Verhandlungen die Kürzung der Studienbeihilfen kippen können. Nun soll eine selbst durchgeführte Studie, in der erstmals die Lebenshaltungskosten luxemburgischer Studierender erfasst wurden, Argumente liefern, um den Gesetzesvorschlag doch noch in ihrem Sinne zu ändern.

Nachtrag: Nach Redaktionsschluss teilte uns Pol Reuter mit, dass die UNEL erstmals 1920 von der linken Studierendenvertretung ASSOSS und der rechten Studierendenvertretung AV gegründet wurde.
Die Kürzungen der Studienbeihilfen wurden am 10. Juli 2014 von den Abgeordneten der Regierungsparteien im luxemburgischen Parlament beschlossen. Die Opposition stimmte geschlossen dagegen.

Linktipps:

http://www.unel.lu
http://www.streik.lu

Joël Adami studiert Umwelt- und Bioressourcenma­nagent an der Universität für Bodenkultur Wien.

„Ein Monster namens Europa“

  • 27.05.2014, 12:55

Europas rechte und rechtsextreme Parteien wollen ein neues Wahlbündnis gründen. Ist die Angst vor einem EU-Parlament der EU-KritikerInnen gerechtfertigt?

Europas rechte und rechtsextreme Parteien wollen ein neues Wahlbündnis gründen. Ist die Angst vor einem EU-Parlament der EU-KritikerInnen gerechtfertigt?

Seit Ende letzten Jahres wird in der Berichterstattung über die kommenden EU-Wahlen immer wieder die Befürchtung eines beträchtlichen Stimmenzuwachses für rechtsextreme Parteien geäußert. Das Potential der rechten und rechtsextremen Parteien, Wähler_innenstimmen für sich zu gewinnen, wird dabei oft überschätzt. Allerdings wurden deren Programmatiken und Forderungen mittlerweile von Parteien der Mitte teilweise übernommen und umgesetzt.

Geeinte Untergangsphantasien. Rund 380 Millionen Stimmberechtigte können von 22. bis 25. Mai über die neue Zusammensetzung des Europaparlaments entscheiden. Aktuellen Umfragen zufolge werden rechte und rechtsextreme Parteien aus 13 Mitgliedstaaten (wieder) ins Parlament ein- ziehen. Diese eint vor allem ihre EU- und eurokritische beziehungsweise -feindliche Haltung sowie ihr/ ein antimuslimischer Rassismus. Zentrale Themen dieser Parteien sind demnach nicht nur die EU samt ihrer Bürokratie, „Bonzen“ und Rettungspakete für „die faulen Südländer“, sondern vor allem auch die Mobilisierung gegen das Feindbild „Islam“, die Forderung nach einem „Einwanderungsstopp“ sowie Hetze gegen andere Minderheiten wie Roma oder homosexuelle Menschen. Insbesondere der in den Parteien propagierte Nationalismus mitsamt Phantasien vom Untergang des „christlichen Abendlands“ verfestigen sich in einer Ausgrenzungsideologie gegenüber allen vermeintlich „Anderen“ oder „Fremden“.

Der große Widerspruch: Diese Parteien, die aktuell mit 55 Abgeordneten im EU-Parlament vertreten sind, geben sich europakritisch oder gar EU-feindlich, trotzdem wollen sie ins EU-Parlament. Zu verlockend scheint die Möglichkeit, Einfluss auf die Gesetzgebung zu nehmen sowie bei der Geldvergabe berücksichtigt zu werden. Kaum verwunderlich also, dass VertreterInnen europäischer rechtsextremer Parteien erneut einen Versuch starteten, ein Bündnis der Gleichgesinnten, die Europäische Allianz für Freiheit (EAF) zu gründen. Um eine Fraktion zu bilden, die finanzielle Zuwendungen bekommt, benötigt ein solches Bündnis nämlich mindestens 25 Abgeordnete aus sieben Ländern.

Rechtsextreme Allianzen. Bereits im November 2013 trafen sich die FPÖ, der französische Front National (FN), die italienische Lega Nord (LN), der belgische Vlaams Belang (VB), die Schwedendemokraten (SD) sowie die slowakische Nationalpartei (SNS) in Wien um ein rechtes beziehungsweise rechtsextremes Wahlbündnis zu beschließen. In einem gemeinsamen Kommuniqué wird als Ziel „die Bewahrung der kulturellen Identitäten der europäischen Völker“ genannt, „Masseneinwanderung und eine Islamisierung Europas“ gelte es zu verhindern. Wenngleich Geert Wilders, Vorsitzender der niederländischen Partei für die Freiheit (PVV), bei der Zusammenkunft in Wien nicht vertreten war, soll auch seine Partei mit an Bord sein. Bisherige Bündnisversuche der Europa-Rechten waren aufgrund von internen politischen Differenzen gescheitert. So führte beispielsweise der Austritt der Abgeordneten der Groß-Rumänien-Partei nach antiziganistischen Äußerungen von Alessandra Mussolini 2007 zum Ende der rechten Fraktion Identität, Tradition, Souveränität (ITS) im EU-Parlament. Auch nach den jüngsten rassistischen Aussagen von Andreas Mölzer, der inzwischen als Spitzenkandidat der FPÖ zurück- getreten ist, scheint das Bündnis erneut zu wackeln. Nicht nur Marine Le Pen, Vorsitzende des FN, auch die SD haben angedroht aus dem Bündnis auszusteigen, sollte Mölzer im Vorstand bleiben. Weitere Differenzen ergeben sich darüber hinausmit Parteien wie der PVV. Geert Wilders sticht nicht nur als „Islamkritiker“ hervor, weil er den Koran als „faschistisches Buch“ bezeichnet hat und gegen den „Tsunami der Islamisierung“ vorgehen möchte. Er hat sich in der Vergangenheit öfters pro-israelisch und offen gegenüber der Ausweitung von Homosexuellen-Rechten gezeigt – ein Widerspruch zum Antisemitismus und der Homophobie der meisten anderen Parteien. Die Heterogenität der involvierten Parteien sowie ihr nationalistischer Charakter dürften das geplante Bündnis zusätzlich destabilisieren.

KrisengewInnerinnen? Mitte März 2014 widmete sich die Konferenz Europa auf der Kippe? der Bundeszentrale für politische Bildung in Köln dem „Rechtspopulismus und Rechtsextremismus im Vorfeld der Europawahlen“. Im Rahmen des Eröffnungsvortrags analysierte der Politikwissenschaftler Cas Mudde die zwei Hauptbotschaften der Berichterstattung über die Europa-Wahlen: „Die Wirtschaftskrise hat zum Aufstieg von Rechtsaußen geführt, und die Rechtsaußenparteien werden bei den Europawahlen im Mai 2014 große Stimmenzuwächse erzielen.“ Trotz des breiten diesbezüglichen Medienkonsenses hält er den ersten Punkt für faktisch falsch und den zweiten für höchst unwahrscheinlich. Wirtschaftskrisen hätten in den seltensten Fällen zu Wahlerfolgen für rechtsextreme Parteien geführt; dies sei auch aktuell nur in Griechenland der Fall. In anderen europäischen Krisenländern seien keine vergleichbaren Tendenzen zu erkennen. Stattdessen würden Rechtsextreme gerade in Ländern, die wenig von der Krise betroffen sind, Erfolge feiern. Zudem prognostiziert Mudde der extremen Rechten im Europaparlament lediglich sechs Prozent der Sitze. Da eine Zusammenarbeit mit linken EU-KritikerInnen unwahrscheinlich bleibt, bleibe die Mehrheit nach wie vor bei pro-europäischen Kräften.

Damit versucht Mudde Übertreibungen in Bezug auf die Gefahr rechtsextremer Parteien entgegenzuwirken, verharmlost diese jedoch auch, da rechtsextremes Gedankengut keineswegs ein gesellschaftliches Randphänomen darstellt. Der gesellschaftliche Rechtsruck, der sich beispielsweise in weit verbreitetem Rassismus und Antiziganismus äußert, findet in seinen Ausführungen keine Erwähnung. Dieser lässt sich nicht ausschließlich an Wahlerfolgen messen, schließlich sind es in den wenigsten Ländern rechtsextreme Parteien gewesen, die Asylgesetze verschärft haben oder gegen Roma vorgehen. Parteien der Mitte haben die Forderungen rechtsextremer Parteien längst in ihre Politiken aufgenommen. Auch dafür, welche Gewalt von Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus und Homophobie ausgeht, herrscht kaum Bewusstsein. Gerade die tiefe Verankerung dieser Ideologien in der Mitte der Gesellschaft sollte endlich im öffentlichen Diskurs thematisiert werden – ohne dabei die Gefahr, die rechtsextreme Parteien darstellen, zu verkennen.

 

Judith Goetz ist Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (www.fipu.at) und studiert Politikwissenschaft im Doktorat an der Uni Wien.

Foto: Front National cc-by Blandine Le Cain

Das Ende der EUphorie?

  • 24.05.2014, 16:58

Die Jugend fühlt sich von der EU im Stich gelassen. Arbeitslosigkeit und ein Mangel an Perspektiven nehmen ihnen zusehends das Vertrauen in Europa. Immer mehr junge Menschen sehen sich nach politischen Alternativen um.

Wer als junger Mensch in der EU mitreden möchte, muss viel Zeit und Geduld investieren, weiß Emma Hovi aus eigener Erfahrung. Die 24-jährige Wahl-Berlinerin war nach ihrer Schulzeit ein Jahr im Vorstand der Europäischen SchülerInnenvertretung OBESSU aktiv. Freundschaften konnte Hovi während dieser Zeit viele knüpfen. Aber die Arbeit in der Interessenvertretung hat sie zynisch werden lassen. „Wie wichtig die Jugend sei, wird in den Institutionen der EU überall betont. Wenn junge Menschen aber tatsächlich mitreden möchten, stehen sie schnell vor verschlossenen Türen“, meint Hovi. Ein ranghoher Kommissionsbeamter als Gast bei einer der vielen Veranstaltungen der Jugendorganisation sei eine Ehre gewesen, aber keine Selbstverständlichkeit.

Seit Ausbruch der Finanzkrise sinkt der Zuspruch, den die Europäische Union bei ihren BürgerInnen findet, stetig, das zeigen viele Statistiken. Laut Eurobarometer gab im Herbst 2013 nur noch ein Drittel der EU-BürgerInnen an, Vertrauen in die Europäische Union und ihre Politik zu haben. Dass sie damit noch besser abschnitt als die nationalen Regierungen, ist ein schwacher Trost. Den höchsten Zuspruch bekam die EU von den unter 24-Jährigen. Befürchtet wird aber, dass selbst diese Zahlen kippen könnten. Die Sparpolitik in Griechenland hat nicht nur drastische Folgen für das Land, sie hat auch Ratlosigkeit bei der Bevölkerung der anderen EU-Länder hinterlassen. Die Bilder aus Griechenland liegen vielen jungen EuropäerInnen schwer im Magen. Viele suchen bei nationalistischen Parteien einfache politische Antworten auf die Krise. Das sinkende Interesse der Jugend für die EU zeigte sich aber schon an der niedrigen Beteiligung bei der letzten EU-Wahl: 2009 nahmen weniger als ein Drittel der Jugendlichen ihr Wahlrecht in Anspruch, so eine Studie des Europäischen Jugendforums. Ein Ergebnis, dem die EU mit mehr jugendpolitischen Maßnahmen entgegenwirken möchte. Mit dem sogenannten „Strukturierten Dialog“ sollen Jugendorganisationen bei der Ausarbeitung politischer Zielsetz­ungen schrittweise eingebunden werden. Auch im Entwicklungsplan „Europa 2020“, der den Rahmen für die Politik der nächsten Jahre vorgibt, hat die Jugend einen hohen Stellenwert und in der gegenwärtigen Krise entstanden gleich drei Programme gegen Jugendarbeitslosigkeit. Gleichzeitig ist die europäische Jugendpolitik mit dem Problem konfrontiert, dass die Kompetenzen in dieser Hinsicht meist auf nationaler Ebene liegen. Was auf europäischer Ebene diskutiert wird, findet daher oft keine direkte Umsetzung. Jugendorganisationen können sich auf europäischer Ebene noch so engagieren, Resultate ihrer Bemühungen sind in den meisten Fällen nicht mehr als Empfehlungen und vage Absichtserklärungen.

E wie EU-Wahl: am 25. Mai wird das EU-Parlament gewählt. Foto: Alexander Gotter U wie Union: 28 Mitgliedsstaaten zählt die EU. Foto: Alexander Gotter R wie Rechte: Viele befürchten einen Wahlsieg von rechten Parteien. Foto: Alexander Gotter

Krisenerscheinungen. So klein die politische Macht der EU in manchen Bereichen auch scheint, umso stärker spürbar sind die Auswirkungen ihrer Krisenpolitik. Unter dem Banner der Austeritätspolitik erklärte die EU die Konsolidierung desgriechischen Staatshaushaltes durch rigide Sparmaßnahmen zum primären Ziel und entschied damit, Kapitalinteressen absoluten Vorrang zu geben. Die Aufzählung der Einsparungen in Griechenland liest sich wie eine Checkliste zur Demontage des sozialen Wohlfahrtstaats: Kürzungen wurden vor allem im öffentlichen Dienst, bei Gehältern und Pensionen sowie bei sozialen Subventionen und im Gesundheitswesen vorgenommen, das Arbeitsrecht wurde flexibilisiert und Schutzbestimmungen abgebaut. Mit buchhalterischem Erfolg: 2013 bilanzierte Griechenland zum ersten Mal in seiner Geschichte positiv. Der Preis dafür war jedoch immens hoch. So zeigten sich selbst der Internationale Währungsfond und die EU-Kommission im Vorjahr erstaunt angesichts der gesellschaftlichen Auswirkungen ihrer Sparziele. Zu diesem Zeitpunkt lehnten in einer Gallup-Umfrage 94 Prozent der Menschen in Griechenland und 51 Prozent innerhalb der anderen EU-Länder die Maßnahmen ab und verlangten nach Alternativen. Eine Jugendarbeitslosenquote jenseits der 60 Prozent, prekäre Arbeitsbedingungen und unterfinanzierte Universitäten haben der jungen Generation die Zukunft verbaut. Selbst AbsolventInnen von etablierten Studienfächern wie Medizin, Architektur oder Rechtswissenschaften müssen heute um jedes unterbezahlte Praktikum kämpfen. Während sich die Miete für eine kleine Bleibe in Athen auf 300 Euro beläuft, liegt der Mindestlohn für junge ArbeitnehmerInnen knapp über 500 Euro. Viele junge Erwachsene mussten wieder zurück ins Elternhaus ziehen. Nicht wenige flüchten sich vor den deprimierenden Zukunftsaussichten in Rauschwelten oder Suizid. In Griechenland wurde in den letzten Jahren das Gegenteil der zuvor geplanten europäischen Jugendmaßnahmen umgesetzt, was für eine Hochkonjunktur der Kritik sorgte. 

Katerina Anastasiou will über die Zustände in Griechenland informieren. Die 30-jährige Griechin lebt seit zehn Jahren in Wien und engagiert sich bei der Organisation solidarity4all. Sie sei oft erschrocken, wie wenig und wie einseitig hierzulande die Medien von ihrer Heimat berichten, erzählt die junge Linke, die an der jetzigen EU nur wenig Gutes sieht. Die Krise habe die negative Seite vieler politischer Maßnahmen der letzten Zeit deutlicher in Erscheinung treten lassen. Mit Hilfe der Reise- und Niederlassungsfreiheit haben viele GriechInnen versucht der Misere zu entkommen, nur um andernorts feststellen zu müssen, dass aus ihrer Notlage erneut Profit geschlagen wird. Einiger ihrer Bekannten seien hochqualifiziert nach Wien gekommen und sahen sich hier damit konfrontiert, dass ihnen zwar adäquate Jobs angeboten wurden, aber mit einer unüblich niedrigen Bezahlung, schildert Anastasiou. Für sie fehlt es hier an einem solidarischen europäischen Bewusstsein: „Damit wird die Chance vergeben, gemeinsam gegen etwas aufzutreten!“

Mit vielen anderen ist Anastasiou auf der Suche nach Alternativen zum gegenwärtigen System. Vereinzelt und mancherorts seien solche durchaus greifbar: „Als 2011 die Proteste vom Syntagma-Platz in Athen verschwanden, lag das nicht nur an der repressiven Polizeigewalt“, erzählt Katerina Anastasiou, „nach dem ersten Schock begannen die Menschen ihr Schicksal schlichtweg selbst in die Hand zu nehmen.“ Mittlerweile finden sich vielerorts kommunale Strukturen, die medizinische Versorgung bieten, Lebensmittel und Dienstleistungen zur Verfügung stellen und Bildungsangebote geschaffen haben, ohne viel Gegenleistung zu erwarten. Diese kommunalen Solidaritätsbewegungen setzen dort an, wo staatliche Strukturen fehlen. Deshalb beabsichtigt Anastasiou auch in naher Zukunft wieder zurück nach Griechenland zu gehen. Um „dabei sein zu können, wenn etwas Neues entsteht“. Das Vorgehen der EU im Fall Griechenland und der Vorrang von finanziellen vor sozialen Interessen bestätigt all jene, die die EU seit jeher als neoliberales Konstrukt sahen. In der Krise offenbart sie nun auch dem Rest von Europa ihre politischen Prioritäten. 

Davon profitieren aber auch rechte EU-KritikerInnen. Im April gründete die FPÖ-Jugend zusammen mit den Jugendorganisationen vom Front National, von Vlaams Belang und den Schwedendemokraten die Initiative Young Europeans Alliance for Hope (YEAH). In ihrem Manifest befürworten sie die Nation als „überlegene Form der Gemeinschaft“. Wenn es darum geht, die europäische Integration zu kritisieren, können selbst rechtspopulistische Parteien transnational kooperieren. Mit absehbarem Erfolg: In Österreich liegt die FPÖ bei den Jungen wie gewohnt auch in den Umfragen zur Europawahl weit vorne. Europaweit wird ein starker Zuwachs für jene Parteien, die regelmäßig gegen die EU wettern, erwartet.

Reine Rhetorik? Sind die Bemühungen der EU um verstärkte jugendpolitische Maßnahmen, BürgerInnenrechte, soziale Inklusion, europäische Integration und die Genese einer europäischen Identität nur Rhetorik? Will die EU weg vom neoliberalen Status Quo, muss sie diese Ziele ernsthaft verfolgen. Der Politikwissenschafter Stefan Seidendorf beschäftigt sich mit der Frage, was es braucht, damit die EU zu einer solidarischen Gemeinschaft wird. Er nennt drei wesentliche Faktoren: Erstens, die Ausformung europäischer Institutionen, durch die eine legitime rechtliche Grundlage für ihre Politik entsteht. Zweitens, ein klar abgegrenztes Gruppenbewusstsein, das zwischen Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern unterscheiden lässt. Und drittens, einen gemeinsamen Sinnhorizont, der sich aus einer geteilten Vergangenheit und Symboliken der Gemeinschaft eröffnet. Gibt es dieses Gruppenbewusstsein und diesen Sinnhorizont bei jungen EuropäerInnen bereits?

O wie Organisation: immer mehr junge Menschen organisieren sich selbst, um der Krise zu entkommen. Foto: Alexander Gotter P wie Parlament: 751 Abgeordnete werden gewählt. Foto: Alexander Gotter A wie Aufbruchsstimmung: Trotz der Krise sind viele junge Menschen hoffnungsvoll. Foto: Alexander Gotter

Die Studierenden von heute sind die erste Generation, die in die Europäische Union hineingeboren wurde. Der Vertrag von Maastricht wurde Ende 1993 ratifiziert. Jene, die damals gerade erst zur Welt gekommen sind, sind heute Anfang zwanzig. Sie sind mit der EU groß geworden und haben ihre Entwicklung miterlebt. Sie haben die Einführung des Euros miterlebt, Krieg und Gewalt kennen sie zum Großteil nur aus der Zeitung. Von der Reisefreiheit des Schengener Abkommens profitieren sie seit ihrem ersten Urlaub und seit 25 Jahren lernen sie über Programme wie Erasmus andere europäische Länder kennen. 250.000 Studierende nehmen mittlerweile jährlich am Austauschprogramm teil. Es zählt zu den erfolgreichsten Projekten der EU. Heuer wurde es erneuert: ERASMUS+ vereint nun weitere Austauschprogramme in den Bereichen Bildung, Jugend und Sport unter einen Namen. In den nächsten sieben Jahren stehen dafür knapp 15 Milliarden Euro zur Verfügung. Vier Millionen Jugendliche sollen davon profitieren. Dieses Engagement seitens der EU hat seine Effekte: Der Eurobarometer vom Herbst 2013 wies SchülerInnen und Studierende als einzige demografische Gruppe aus, die der EU mehrheitlich vertraute. Das liegt vermutlich auch daran, dass Jugendliche im Bildungsbereich am Ehesten noch mit ihren Programmen in Kontakt kommen. Immerhin fünf Prozent der Jugendlichen nahmen laut der Youth on the Move-Studie von 2011 schon an einem Austauschprogramm teil. Die restlichen 95 Prozent kommen mit EU-Projekten, wenn überhaupt, nur selten in Kontakt.

Sie begeben sich entweder selbst auf Recherche, oder müssen sich mit den wenigen Medienberichten begnügen. Die geringe Rolle, die die EU zuweilen in den Nachrichten hat, haben die Medien der einzelnen Mitgliedsstaaten zu verantworten, die der EU oft nur wenig Beachtung schenken: Dazu gesellt sich auch oft eine antieuropäische Rhetorik. Wenn Zeitungen über „PleitegriechInnen“ oder „RumänInnenbanden“ schreiben und PolitikerInnen Blame-Shifting in Richtung EU betreiben, hindern sie damit die EU daran, eine Gemeinschaft zu werden. Derzeit sieht sich eine knappe Mehrheit der EU-BürgerInnen noch als EuropäLeague of Young VoterserInnen, aber gleichzeitig zeigen Studien, dass die Heimatverbundenheit wieder am Steigen ist, zwei Drittel der EuropäerInnen glauben außerdem nicht mehr, dass ihre Stimme in Europa Einfluss hat.

Diese Einstellung versuchen viele Initiativen im Vorfeld der EU-Wahl zu ändern. Johanna Nyman betreut eine davon. Die Biologie-Studentin sitzt im Vorstand des Europäischen Jugendforums und koordiniert das Projekt League of Young Voters, das Jugendlichen und Jugendorganisationen als Austausch-Plattform dienen soll. Die Initiative sei eine Reaktion auf die erschreckend niedrige Wahlbeteiligung unter den Jugendlichen bei der Europawahl 2009, so Nyman. Die Erfahrung, dass Anliegen vielerorts gleich sind und die JungwählerInnen in der EU eine größere Gruppe sind als erwartet, soll diese zurück an die Wahlurnen bringen. Die Plattform selbst findet noch geringen Anklang, aber aus der Idee entstanden weitere Projekte: Auf MyVote2014.eu können UserInnen mittels 15 Fragen herausfinden, welche Partei am besten zu ihren eigenen Vorstellungen passt.

Dazu bekommen sie Informationen über die Abgeordneten und ihre Parteien. Das Prinzip kommt dem Nutzungsverhalten von Jugendlichen in Bezug auf Online-Medien: Schnell, interaktiv und optisch ansprechend wird der Einstieg in die Meinungsbildung erleichtert.

Welche Krise? Ist es ein Irrglaube, wenn wir als Studierende in Zentraleuropa, die mitunter auch von der EU profitieren, annehmen, ohne EU ginge es nicht? Einige Sozialwissenschafter wie etwa Alex Demirović weisen immer wieder darauf hin, dass nicht die Demokratie selbst, sondern ihre alten Institutionen in der Krise stecken. Systeme wie Staaten oder die EU befinden sich in einer Situation, in der die Parlamente nur noch reine Mitbestimmungsgremien sind. Wichtige Entscheidungen werden intransparent anderswo getroffen. Solange der Staat aber seinen Aufgaben nachkommt, dominiert ein Verständnis von Demokratie, das ohne Staat nicht denkbar ist. Die Soziologin Donnatella della Porta vom European University Institute sieht in der Vertrauenskrise durchaus auch positive Seiten. Durch sie öffnen sich Räume für neue Formen des demokratischen Zusammenlebens. Selbst wenn kommunale Bewegungen wie in Griechenland noch keinen alternativen Modellcharakter für die EU haben, zeigen sie doch auf, was politische Partizipation jenseits des Wahlgangs heißen kann.

In welche Richtung sich Europa bewegen wird, werden die nächsten Jahre entscheiden. Das hängt nicht allein davon ab, ob die Europäische Union die Folgen ihrer Krisenpolitik eindämmen kann. Um aus der Identifikationskrise herauskommen, braucht es passende demokratische Rahmenbedingungen und eine gemeinsame Öffentlichkeit. Erste zaghafte Schritte wurden dahingehend schon unternommen. Beispielsweise wurde die österreichische „Ausbildungsgarantie“ für Jugendliche 2014 von der Mehrheit der Mitgliedstaaten übernommen und in den nächsten beiden Jahren stehen sechs Milliarden Euro zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit zur Verfügung. Bei den Europawahlen im Mai besteht erstmals die Möglichkeit direkt mitzuentscheiden, wie die Kommission zukünftig aussehen soll. Die größte Parlamentsfraktion wird auch den/die KommissionspräsidentIn stellen, so die Abmachung unter den Mitgliedsstaaten. Unabhängig davon, wie stark die Wahlbeteiligung ausfallen und wie das EU-Parlament nach den Wahlen zusammengesetzt sein wird, die Union wird uns auf jeden Fall noch eine Weile erhalten bleiben, auch wenn neue Formen der politischen Organisation entstehen. „Solange das so ist, kann man auch gleich wählen gehen – Veränderung ist ja schließlich keine Entweder-Oder-Frage“, meint Johanna Nyman vom Europäischen Jugendforum. Oder man macht es wie Alina Böling: Da auch sie findet, dass die EU etwas stagniert, entschloss sich die 24-jährige Finnin kurzerhand selbst für das Europäische Parlament zu kandidieren, um so neuen Input geben zu können. Jeder wisse schließlich, so Böling, dass eine demokratische und funktionierende Union mehr als nur den Euro und Wirtschaftspolitik braucht.

 

Lukas Kaindlstorfer studiert Soziologie in Wien.

Die Linke hat beim Rassismus versagt

  • 21.05.2014, 13:07

Große Teile der griechischen Bevölkerung leiden unter der Wirtschaftskrise und Austeritätspolitik. Dagegen formiert sich politischer Widerstand. Wie dieser zu beurteilen ist, darüber sprach progress online mit Stefanos, einem Aktivisten der athenischen Antifa Negative.

Große Teile der griechischen Bevölkerung leiden unter der Wirtschaftskrise und Austeritätspolitik. Dagegen formiert sich politischer Widerstand. Alessandro Volcich hat für progress online mit Stefanos, einem Aktivisten der athenischen Antifa Negative, darüber gesprochen.

progress online: Du bist Mitglied der Gruppe Antifa Negative. Ihr kritisiert andere griechische linke Gruppen für ihre Haltung gegenüber dem Rassismus. Könntest du eure Kritik etwas ausführen?

Stefanos: Die antiautoritäre und anarchistische Szene geht gegenüber MigrantInnen und der Frage des Rassismus mit einer altmodischen Klassenanalyse vor. Sie solidarisieren sich mit MigrantInnen nicht weil sie Opfer rassistischer Staatspolitik oder nazistischer Gewalt sind, sondern weil sie als ArbeiterInnen gelten. Und das sind noch die vernünftigeren. Andere solidarisieren sich mit MigrantInnen in keinster Weise. Das alles war für uns erstickend, weil wir glauben, dass es genügt, Opfer rassistischer Gewalt zu sein, um unterstützt zu werden.

Kannst du mir ein Beispiel nennen, wie die Linke beim Rassismus versagt hat?

Im Jahr 2004 gewann die griechische Fussballnationalmannschaft die UEFA EURO. Kurz danach gab es ein Match zwischen der griechischen und der albanischen Nationalmannschaft und die albanische gewann. Darauf kam es in ganz Griechenland zu Angriffen gegen Menschen, die man für AlbanerInnen hielt. Es gab viele Verletzte und sogar einen Mord. Die Antwort der Mainstream-Linken, der heutigen Syriza, war eine Demo mit der Parole: „Griechen sind keine Rassisten". Die AnarchistInnen hingegen marschierten unter dem Motto:  „Wir sind gegen beide Nationalismen, den griechischen und den albanischen". Aber das hatte mit der Situation nichts zu tun. Denn es gab ja keinen Konflikt zwischen zwei Armeen, sondern einer Welle rassistischer Gewalt.

Und das war noch vor der Wirtschaftskrise.

Es war gleich nach den Olympischen Spielen, zur Zeit eines Konjunkturhochs.

Kommen wir zur aktuellen Situation. Wie entwickelten sich in den letzten Jahren die Reaktionen auf die Wirtschaftskrise?

Als Griechenland den Deal mit dem IWF abschloss, das „Memorandum", gab es eine Protestbewegung im ganzen Land. Dabei kam es überall - am Syntagma-Platz in Athen war es besonders deutlich - zu dem, was man den „oberen" und „unteren Platz" nannte. Am oberen Platz, gleich vor dem Parlament, standen die Nazis und andere rechte Spinner mit Griechenlandfahnen und brüllten antisemitische Parolen, dass Giorgos Papandreou (ehemaliger Premier, Anm.) Jude sei. Auf der unteren Seite stand die Linke, die des Mainstreams und die radikale, und hielt Reden über direkte Demokratie. Und sie alle standen da friedlich Seite an Seite – während gleichzeitig im Zentrum Athens ein Pogrom gegen MigrantInnen stattfand. Das ist symptomatisch für die Reaktion der griechischen Gesellschaft auf die Krise, dass es heute keine Trennlinien mehr zwischen den Griechen gibt. Nun vergessen wir rechts und links. Ich weiß nicht, ob das je etwas bedeutet hat - heute tut es das jedenfalls nicht mehr. Die Opposition verläuft heute zwischen der leidenden griechischen Bevölkerung und den Verrätern, die die Maßnahmen des IWF unterstützen. Es ist eine populistische Hysterie.

 

„Goldene Morgenröte ist die griechische Hisbollah"

 

Wie hat die neonazistische Goldene Morgenröte (Chrysi Avgi) es geschafft, politisch aufzusteigen?

Es gibt sie seit 1980 und sie waren eine marginale Nazi-Gruppe. Sie haben einige militante Aktionen gemacht, wie Angriffe auf AntifaschistInnen oder MigrantInnen. Wobei während der 1990er und 2000er Jahre rassistische Morde meist nicht von Chrysi Avgi verübt wurden, sondern von normalen Griechen. Chrysi Avgi waren schwach und bekamen 0,0-irgendwas bei den Wahlen. Bei den Syntagma-Protesten intervenierten sie wie jede politische Gruppe es bei einer sozialen Bewegung machen würde. Und da wurden sie zum ersten Mal der Durchschnittsbevölkerung bekannt. Danach erhielten sie gute Wahlergebnisse und kamen ins Parlament.

Demo gegen die Goldene Morgenröte in Athen. Foto: Dieter Diskovic

Wie reagierten die anderen politischen Kräfte auf den Aufstieg der Chrysi Avgi? Immerhin eine offen antisemitische und rassistische Partei.

Das erste, was alle sagten war, dass ihre WählerInnen vom politischen Establishment enttäuscht waren und keine Nazis sind. Die Linke versuchte zum einen darauf hinzuweisen, dass sie gewalttätig wären. Das war sinnlos, denn damit übernahmen sie die Propaganda der Chrysi Avgi und beförderten ihr Image als brutale, unbesiegbare Kraft. Oder aber sie sagten, dass Chrysi Avgi keine echten Patrioten wären. Die konservativen und Zentrumsparteien sagten, dass die Chrysi Avgi es geschafft hätte, Antworten auf die Probleme der Leute zu geben, wie die illegale Migration und Kriminalität. Und deshalb müsse man so wie die Chrysi Avgi werden, damit sie nicht mehr gewählt werden. Ein Mitglied der sozialistischen Pasok, Andreas Loverdo (Anm.: ehemaliger Gesundheitsminister) sagte, dass Chrysi Avgi sei die erste Volksbewegung seit 30 Jahren und sie sei die „griechische Hisbollah", was für ihn etwas Gutes sei. Das ist nichts ungewöhnliches, die griechische sozialistische Partei hat eine lange Geschichte des Antisemitismus.

Erst nach dem Mord durch zwei Mitglieder von Chrysi Avgi an einem Griechen, dem Antifaschisten und Rapper Pavlos Fyssas, scheint Chrysi Avgi eine rote Linie überschritten zu haben, denn die Regierung griff danach hart durch, verhaftete einige Parteimitglieder, Parlamentsabgeordnete und sogar ihre Führung. Wie siehst du die Rolle des Staats als „Antifa"?

Während sie mit der einen Hand das machen, verrichten sie mit der anderen die Arbeit der Chrysi Avgi. Gleich nach den Verhaftungen führte die Polizei riesige Schleierfahndungen im Zentrum Athens durch und verhafteten jeden, der nicht griechisch genug aussah. Um die zwanzig Prozent hatten keine Papiere. Man kann von einer terroristischen Operation sprechen. Sie haben auch Romasiedlungen überfallen, um zu zeigen, dass auch der Staat damit umgehen kann. Der Antiziganismus war hoch oben auf der Agenda der Chrysi Avgi. In Thessaloniki hatte man Transfrauen massenweise unter dem Vorwand illegaler Prostitution verhaftet.

Graffito am Polytechnikum in Athen in Erinnerung an dem linken Rapper Pavlos Fyssas aka Killah P., der am 18. September 2013 von einem Neonazi ermordet wurde. Foto: Dieter Diskovic

 

„Sie haben Merkel zum Symbol gemacht"

 

Nun zur linken Partei Syriza. Sie versteht sich selbst als "Koalition der radikalen Linken". Wie radikal ist sie wirklich?

In ihrem Verständnis bedeutet Radikalismus, gegen die vom IWF auferlegten Maßnahmen zu sein und sie spielen mit einer Anti-EU-Rhetorik. Einer ihrer Flügel möchte auch aus der EU austreten, aber das ist nicht Parteilinie. Meistens sind sie etwas zweideutig und sagen, sie wollen in der EU bleiben, aber ohne IWF-Maßnahmen. Und sie bedienen sich Slogans wie: „Wir stehen einer neuen deutschen Besatzung bevor". Sie haben also keine klassische Klassenanalyse, sondern eine populistische, die den Bänkern vorwirft, nichts zur Wirtschaft beizutragen und Instrumente der deutschen Regierung zu sein. Sie haben dabei Merkel zum Symbol gemacht, oft auch mit sexistischen Untertönen.

Slavoj Zizek, ein Fan von Syriza, hat ihrem Vorsitzenden Alex Tsipras sogar den Rat gegeben, sich mit der „patriotischen Bourgeoisie" zu verbünden.

Aber das ist ja schon längst in ihrem Programm! Das schlimmste war, als es Gespräche zwischen Syriza und den Unabhängigen Griechen (Anel), eine rechtspopulistische Partei, gab. Beide sind gegen den IWF und die EU. Tsipras hat sich mit Panis Kammenos, dem Vorsitzenden der Anel, getroffen und es war die Rede davon, eine Koalition bilden zu können - was unheimlich wäre. Die Anel sind der rechte „lunatic fringe". Das sind Leute, die in diese Chemtrails-Verschwörungen glauben und dass George Soros die Wirtschaft kontrolliert.

Und so eine Koalition würde bei der Basis durchgehen?

Syriza war einmal eine sehr kleine linke Partei. Vor der Krise wurden sie von einigen Radikalen gewählt, weil sie sympathische Positionen hatten, wie beispielsweise gegenüber dem Zwang zum Militärdienst. Als sie so schnell viele Stimmen bekamen, haben sie alles auch nur entfernt Progressive aufgegeben. Anfang diesen Jahres gab es einen Skandal um Theodoros Karypidis, einem Kandidaten Syrizas zu den Lokalwahlen. Die Vorgeschichte war die kürzliche Restrukturierung des öffentlichen Fernsehens. Man hat alle TV-Stationen geschlossen, jede und jeden entlassen und einen neuen Kanal mit dem Namen NERIT mit neuem Personal eröffnet. Karypidis postete auf Facebook, wie NERIT vom hebräischen Ner, der Kerze zu Hannukah, stammt und wie die Juden zu Hannukah ihren Hass gegen die Griechen feiern würden. Er war aber schon davor antisemitisch aufgefallen und Syriza hat ihn trotzdem nominiert. Es gab dann eine interne Auseinandersetzung über seine Absetzung, bevor man es am Ende dann doch tat. Um noch eins drauf zu setzen, veröffentlichte man einen Artikel in der parteieigenen Zeitung Avgi, wo man dem American Jewish Committee, das über den Vorfall berichtete, verboten hatte, sich in interne griechische Angelegenheiten einzumischen.

 

„Jüdische Mörder"

 

Welche Rolle spielt denn der Antisemitismus in Griechenland generell?

Vor ein paar Tagen (am 25.3., Anm.)  feierte man den Nationalfeiertag der Unabhängigkeit Griechenlands vom Osmanischen Reich. Bei dieser Gelegenheit wird die Hymne gesungen, die das Gedicht eines nationalistischen Dichters der Zeit ist. Darin wird das Massaker an Juden und Muslimen von Tripoli gefeiert. Der Antisemitismus ist schon alt und wird generationsweise weitergegeben. Als Christine Lagarde vom IWF sagte, dass sie eine Liste von griechischen Millionären habe, die ihr Geld unversteuert in die Schweiz gebracht hätten, war das erste was Evangelos Venizelos, dem Vorsitzenden von Pasok, in den Sinn kam, dass die ersten paar Namen der Liste Juden seien.

Ist es generell so, dass sich der Antisemitismus unverblümt äußert, man also nicht den Umweg über Israel oder irgendwelcher Codes zu nehmen braucht?

In Griechenland ist der Antisemitismus noch nicht so tabuisiert wie in anderen europäischen Ländern. Es treten beide Formen auf. Wobei Linke die versteckte Form bevorzugen, aber nicht ausschließlich. Während der israelischen Intervention im Libanon veröffentlichte die „Neue linke Strömung", NAR, auf der Titelseite ihrer Zeitung das Bild eines Vaters mit seinem angeblich von israelischen Truppen getöteten Sohn. Die Bildunterschrift dazu war: „Jüdische Mörder, dafür werdet ihr bezahlen".

Foto: Dieter Diskovic

Inmitten von all dem, wie sieht da eure, also Antifa Negatives, Praxis aus?

Es ist eine schwierige und pessimistische Situation. Wir sind wenige und nicht sehr beliebt. Wir führen öffentliche Debatten, versuchen uns und andere zu bilden. Wir haben auch eine Broschüre über Homophobie und Antifaschismus herausgebracht. Mit anderen Gruppen, mit denen wir eine gewisse gemeinsame Basis haben, machen wir Demos in Nachbarschaften, wo es ein Naziproblem oder besser, ein griechisches Problem gibt. Für uns soll Kritik keine Kompromisse eingehen.

 

Das Interview wurde am 27.3. auf Englisch geführt und anschließend vom Autor ins Deutsche übersetzt.

Alessandro Volcich lebt in Wien und publiziert gelegentlich.

 

Populismus in der EU: „Wir gegen die da oben in Brüssel“

  • 18.07.2014, 16:16

Die Schweizer Initiative gegen Masseneinwanderung hat das Verhältnis zu Europa verschlechtert. Auch in anderen Staaten haben bei der EU-Wahl populistische Anti-EU-Kräfte gewonnen. Gewählt werden sie oft von jungen Leuten, die von Initiativen wie Erasmus und Co eigentlich profitieren.

Die Schweizer Initiative gegen Masseneinwanderung hat das Verhältnis zu Europa verschlechtert. Auch in anderen Staaten haben bei der EU-Wahl populistische Anti-EU-Kräfte gewonnen. Gewählt werden sie oft von jungen Leuten, die von Initiativen wie Erasmus und Co eigentlich profitieren.

Der Traum vom Auslandssemester in Spanien oder Großbritannien ist für Schweizer Studierende erst einmal ausgeträumt. Im Februar stimmten die Schweizer BürgerInnen der so-genannten Initiative gegen Masseneinwanderung zu, in der die rechtspopulistische Schweizer Volkspartei SVP eine Kontingentierung von Einwanderern fordert. Aufgrund des Schweizer Systems der direkten Demokratie, muss die Regierung diese Initiative nun umsetzen und darf erst einmal keine internationalen Verträge abschließen, die dieser Initiative widersprechen.

 

 

Die ersten Leidtragenden sind Studierende. Denn die Kontingentierung widerspricht dem EU-Prinzip der Personenfreizügigkeit und bricht damit die bilateralen Verträge, die die Schweiz mit der Europäischen Union geschlossen hat. Die EU hat nun die Verhandlungen zum neuen Erasmus-Plus-Programm und zu Horizon 2020, dem entsprechenden Programm für ForscherInnen, erst einmal auf Eis gelegt. Die Schweiz wird nicht mehr als Partner- sondern als Drittstaat behandelt.

Die Schweizer Regierung und die Unis versuchen nun zu retten, was zu retten ist: Studierende, die ins Ausland gehen wollen, werden nun nicht mehr von der EU sondern vom Schweizer Nationalfonds unterstützt. Fast 23 Millionen Franken stellt die Regierung dafür zur Verfügung. Die Abkommen mit den Partnerunis müssen die Schweizer Universitäten neu verhandeln. Die meisten europäischen Unis sind wieder eingestiegen, Großbritannien und Italien haben ihre Verträge aber nicht erneuert. „Ob wirklich alle StudentInnen, die wollen, ins Ausland gehen wollen, wird sich zeigen, wenn alle Bewerbungen durch sind. Ich denke aber es sollte klappen“, sagt Dominik Fitze von der Schweizer StudentInnenvertretung. „Die Ersatzlösungen bedeuten, dass Auslandssemester grundsätzlich möglich sind. Nur eben nicht unbedingt im gewünschten Zielland.“ Horizon 2020 stellt das größere Problem dar. Das Programm soll Forschungsaufenthalte ermöglichen und länderübergreifende Projekte finanzieren. Dabei geht es natürlich auch um die Frage, wer den Vorsitz bei solchen Projekten bekommt.

Appell an Bund und die EU. Schweizer Studierende, Lehrende und Rektoren haben sich nun zusammengeschlossen, um Erasmus für die Schweiz zu erhalten: Auf der Website not-without-switzerland.org appellieren sie an EU und den Schweizer Bund, Lösungen zu finden, so dass die Austauschprogramme wieder aufgenommen werden können. „Diese zur Hochschulwelt gehörige Internationalität, an der wir alle partizipieren und von der wir profitieren, wird gegenwärtig in Frage gestellt. Dagegen sprechen wir uns vehement aus. Wir, die unterzeichnenden Hochschulen, Bildungsinstitutionen, Dozierenden, Forschenden und Studierenden der Schweiz und Europas,  appellieren an die politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger in der Schweiz, in Brüssel und in den europäischen Staaten, alles daran zu setzen, dass die Schweizer Hochschulen an den erwähnten Programmen teilnehmen können“, heißt es darin. Fast 31.000 UnterstützerInnen haben bereits online unterzeichnet.

Doch der Appell hat einen Schönheitsfehler: Er kommt zu spät. Genau das kritisieren wiederum einige andere Hochschulangehörige in einem offenen Brief. Die Studierenden und WissenschaftlerInnen hätten sich vor der Abstimmung engagieren müssen, Studierende als die einzigen Opfer zu stilisieren greife zu kurz. Das sei nur ein Teil des Problems, kritisieren sie. „Wir fordern die Studentenschaft auf, sich ihrer politischen Verantwortung bewusst zu werden und sich mit ihren MitbürgerInnen ohne schweizerischen Pass zu solidarisieren.“

„Die Kritik ist teilweise berechtigt. Was man der Wissenschaftsgemeinschaft vielleicht vorwerfen kann ist, dass sie zu spät reagiert hat“, gibt Dominik Fitze zu. Tatsächlich zeigen die Wahlanalysen zur Masseneinwanderungsinitiative, dass junge und gebildete SchweizerInnen nicht zur Abstimmung gegangen sind, obwohl sie die Bevölkerungsgruppe sind, die am eindeutigsten gegen die Initiative eingestellt waren. Die Abstimmung wurde nicht zuletzt von der ungewöhnlich starken Mobilisierung von politisch wenig Interessierten beeinflusst, heißt es in der VOX-Analyse (Analysen nach jedem Schweizer Volksentscheid) zur Abstimmung. Doch dass die Verträge mit der EU und damit Programme wie Erasmus in Gefahr waren, war schon vor der Abstimmung klar. Warum sind trotzdem so viele Junge zu Hause geblieben? „Unter den Studenten wurde das schon diskutiert“, sagt Dominik. „Aber wir haben prinzipiell das Problem, dass die Folgen nicht richtig kommuniziert wurden. Sie SVP hat immer gesagt, die EU könne sich nicht leisten, die Verhandlungen mit der Schweiz abzubrechen.“

EU-Skepsis in ganz Europa. Die Schweiz ist zwar bekanntlich kein EU-Mitglied, doch sie steht mit ihrer EU-Skepsis nicht alleine da. Bei der EU-Wahl haben Anti-EU Parteien wie Front National in Frankreich, Ukip in Großbritannien oder auch die FPÖ in Österreich stark zugelegt. Und auch in Österreich war die FPÖ bei Männern unter 30 die Nummer eins. Ausreißer seien das keine mehr, sagt Politikwissenschaftler Josef Melchor von der Uni Wien, der zu EU-Integration und Populismus geforscht hat.

Es sei aber nicht alleine Informationsmangel, der dem Populismus von rechts auch unter Jugendlichen solchen Auftrieb verleiht. Studierende und ForscherInnen seien von Programmen wie Erasmus zwar begeistert, für viele aus unteren Schichten bringen Studierendenaustauschprogramme aber gar nichts. Daher sehen ArbeiterInnen die EU oft sehr kritisch, was eben auch junge, also zum Beispiel Lehrlinge, betrifft. „Das ist auch ein Problem der Politik. Auf EU-Ebene gibt es zwar viel Förderung für Forschung und Kultur, aber keine Diskussion über Mindestlöhne oder Arbeitszeiten, also Themen, die ArbeiterInnen betreffen“,  erklärt Melchior. Für Studis ist der Austauschaufenthalt in Schweden, England oder Frankreich vielleicht ein tolles Erlebnis, für weite Teile der Bevölkerung ist die EU aber ein Eliten-Projekt. Sie machen in ihrem Alltag kaum positive Erfahrungen mit EU-Projekten, sondern eher mit stärkerer Konkurrenz am Arbeitsmarkt. Das hat auch Dominik in den SVP-Kampagnen beobachtet: „Die SVP ist gar kein Fan von Erasmus. Die haben das einfach in Kauf genommen, oder sogar akzeptiert.“

Dazu kommt eine generelle Politikverdrossenheit der Jugend. Gerade in den neuen Mitgliedsstaaten sind Unter-30-Jährige am Wahltag meist zu Hause geblieben. Und für Studierende ist die EU meist einfach eine Selbstverständlichkeit, meint Melchior: „Sie sehen es einfach nicht als notwendig, das bei einer Wahl noch mal extra zu deklarieren.“

 

 

Keine Reaktion von Links. Was jetzt notwendig sei, sei eine Antwort der anderen Parteien, erklärt der Politikwissenschaftler. Bei der Abstimmung in der Schweiz war die SVP als einzige Partei für die Initiative. Alle anderen, von den Konservativen über die Sozialdemokraten bis hin zu den Grünen, warnten vor Diskriminierung, wirtschaftlichen und außenpolitischen Problemen. Aber sie konnten sich nicht durchsetzen. Laut Melchior sei ein Problem, dass rechtspopulistische Parteien oft tatsächlich Probleme ansprechen, die von der „Mainstream-Politik“ ignoriert werden. Diese teilweise legitime Politik komme im Paket mit emotional aufgeladenen Themen – in der Schweiz etwa gerechtfertigte Kritik an der EU zusammen mit dem „Ausländer“-Thema. Andere Parteien überlassen dann das Feld den Populisten. „Diese Kritik kommt dann einfach unter die Räder, die populistischen Parteien haben das Monopol darauf. Es braucht aber eine Reaktion von den anderen Parteien.“ Die anderen Parteien hätten also kommunizieren müssen, dass die Initiative gegen Masseneinwanderung zwar falsch sei, aber zugeben, dass es tatsächlich Probleme gibt.

Das Beispiel der Schweiz zeigt, was geschieht, wenn es keine solche Antwort gibt. Die Aussetzung der Erasmus-Verhandlungen ist nur ein kleiner Teil des Problems. Schon jetzt beklagen Uni-Rektoren, dass viele ForscherInnen aus dem Ausland skeptisch wären eine Stelle in der Schweiz anzunehmen, aus Angst, dass sie in zwei Jahren wieder abgeschoben werden können. Die Regierung versucht nun, das Abstimmungsergebnis in einen gemäßigten Gesetzesentwurf zu packen. Auch über eine weitere Abstimmung, um die erste zu revidieren, wird schon diskutiert.

 

 

Magdalena Liedl studiert Anglistik und Zeitgeschichte an der Uni Wien.