Europäischer Hochschulraum

Populismus in der EU: „Wir gegen die da oben in Brüssel“

  • 18.07.2014, 16:16

Die Schweizer Initiative gegen Masseneinwanderung hat das Verhältnis zu Europa verschlechtert. Auch in anderen Staaten haben bei der EU-Wahl populistische Anti-EU-Kräfte gewonnen. Gewählt werden sie oft von jungen Leuten, die von Initiativen wie Erasmus und Co eigentlich profitieren.

Die Schweizer Initiative gegen Masseneinwanderung hat das Verhältnis zu Europa verschlechtert. Auch in anderen Staaten haben bei der EU-Wahl populistische Anti-EU-Kräfte gewonnen. Gewählt werden sie oft von jungen Leuten, die von Initiativen wie Erasmus und Co eigentlich profitieren.

Der Traum vom Auslandssemester in Spanien oder Großbritannien ist für Schweizer Studierende erst einmal ausgeträumt. Im Februar stimmten die Schweizer BürgerInnen der so-genannten Initiative gegen Masseneinwanderung zu, in der die rechtspopulistische Schweizer Volkspartei SVP eine Kontingentierung von Einwanderern fordert. Aufgrund des Schweizer Systems der direkten Demokratie, muss die Regierung diese Initiative nun umsetzen und darf erst einmal keine internationalen Verträge abschließen, die dieser Initiative widersprechen.

 

 

Die ersten Leidtragenden sind Studierende. Denn die Kontingentierung widerspricht dem EU-Prinzip der Personenfreizügigkeit und bricht damit die bilateralen Verträge, die die Schweiz mit der Europäischen Union geschlossen hat. Die EU hat nun die Verhandlungen zum neuen Erasmus-Plus-Programm und zu Horizon 2020, dem entsprechenden Programm für ForscherInnen, erst einmal auf Eis gelegt. Die Schweiz wird nicht mehr als Partner- sondern als Drittstaat behandelt.

Die Schweizer Regierung und die Unis versuchen nun zu retten, was zu retten ist: Studierende, die ins Ausland gehen wollen, werden nun nicht mehr von der EU sondern vom Schweizer Nationalfonds unterstützt. Fast 23 Millionen Franken stellt die Regierung dafür zur Verfügung. Die Abkommen mit den Partnerunis müssen die Schweizer Universitäten neu verhandeln. Die meisten europäischen Unis sind wieder eingestiegen, Großbritannien und Italien haben ihre Verträge aber nicht erneuert. „Ob wirklich alle StudentInnen, die wollen, ins Ausland gehen wollen, wird sich zeigen, wenn alle Bewerbungen durch sind. Ich denke aber es sollte klappen“, sagt Dominik Fitze von der Schweizer StudentInnenvertretung. „Die Ersatzlösungen bedeuten, dass Auslandssemester grundsätzlich möglich sind. Nur eben nicht unbedingt im gewünschten Zielland.“ Horizon 2020 stellt das größere Problem dar. Das Programm soll Forschungsaufenthalte ermöglichen und länderübergreifende Projekte finanzieren. Dabei geht es natürlich auch um die Frage, wer den Vorsitz bei solchen Projekten bekommt.

Appell an Bund und die EU. Schweizer Studierende, Lehrende und Rektoren haben sich nun zusammengeschlossen, um Erasmus für die Schweiz zu erhalten: Auf der Website not-without-switzerland.org appellieren sie an EU und den Schweizer Bund, Lösungen zu finden, so dass die Austauschprogramme wieder aufgenommen werden können. „Diese zur Hochschulwelt gehörige Internationalität, an der wir alle partizipieren und von der wir profitieren, wird gegenwärtig in Frage gestellt. Dagegen sprechen wir uns vehement aus. Wir, die unterzeichnenden Hochschulen, Bildungsinstitutionen, Dozierenden, Forschenden und Studierenden der Schweiz und Europas,  appellieren an die politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger in der Schweiz, in Brüssel und in den europäischen Staaten, alles daran zu setzen, dass die Schweizer Hochschulen an den erwähnten Programmen teilnehmen können“, heißt es darin. Fast 31.000 UnterstützerInnen haben bereits online unterzeichnet.

Doch der Appell hat einen Schönheitsfehler: Er kommt zu spät. Genau das kritisieren wiederum einige andere Hochschulangehörige in einem offenen Brief. Die Studierenden und WissenschaftlerInnen hätten sich vor der Abstimmung engagieren müssen, Studierende als die einzigen Opfer zu stilisieren greife zu kurz. Das sei nur ein Teil des Problems, kritisieren sie. „Wir fordern die Studentenschaft auf, sich ihrer politischen Verantwortung bewusst zu werden und sich mit ihren MitbürgerInnen ohne schweizerischen Pass zu solidarisieren.“

„Die Kritik ist teilweise berechtigt. Was man der Wissenschaftsgemeinschaft vielleicht vorwerfen kann ist, dass sie zu spät reagiert hat“, gibt Dominik Fitze zu. Tatsächlich zeigen die Wahlanalysen zur Masseneinwanderungsinitiative, dass junge und gebildete SchweizerInnen nicht zur Abstimmung gegangen sind, obwohl sie die Bevölkerungsgruppe sind, die am eindeutigsten gegen die Initiative eingestellt waren. Die Abstimmung wurde nicht zuletzt von der ungewöhnlich starken Mobilisierung von politisch wenig Interessierten beeinflusst, heißt es in der VOX-Analyse (Analysen nach jedem Schweizer Volksentscheid) zur Abstimmung. Doch dass die Verträge mit der EU und damit Programme wie Erasmus in Gefahr waren, war schon vor der Abstimmung klar. Warum sind trotzdem so viele Junge zu Hause geblieben? „Unter den Studenten wurde das schon diskutiert“, sagt Dominik. „Aber wir haben prinzipiell das Problem, dass die Folgen nicht richtig kommuniziert wurden. Sie SVP hat immer gesagt, die EU könne sich nicht leisten, die Verhandlungen mit der Schweiz abzubrechen.“

EU-Skepsis in ganz Europa. Die Schweiz ist zwar bekanntlich kein EU-Mitglied, doch sie steht mit ihrer EU-Skepsis nicht alleine da. Bei der EU-Wahl haben Anti-EU Parteien wie Front National in Frankreich, Ukip in Großbritannien oder auch die FPÖ in Österreich stark zugelegt. Und auch in Österreich war die FPÖ bei Männern unter 30 die Nummer eins. Ausreißer seien das keine mehr, sagt Politikwissenschaftler Josef Melchor von der Uni Wien, der zu EU-Integration und Populismus geforscht hat.

Es sei aber nicht alleine Informationsmangel, der dem Populismus von rechts auch unter Jugendlichen solchen Auftrieb verleiht. Studierende und ForscherInnen seien von Programmen wie Erasmus zwar begeistert, für viele aus unteren Schichten bringen Studierendenaustauschprogramme aber gar nichts. Daher sehen ArbeiterInnen die EU oft sehr kritisch, was eben auch junge, also zum Beispiel Lehrlinge, betrifft. „Das ist auch ein Problem der Politik. Auf EU-Ebene gibt es zwar viel Förderung für Forschung und Kultur, aber keine Diskussion über Mindestlöhne oder Arbeitszeiten, also Themen, die ArbeiterInnen betreffen“,  erklärt Melchior. Für Studis ist der Austauschaufenthalt in Schweden, England oder Frankreich vielleicht ein tolles Erlebnis, für weite Teile der Bevölkerung ist die EU aber ein Eliten-Projekt. Sie machen in ihrem Alltag kaum positive Erfahrungen mit EU-Projekten, sondern eher mit stärkerer Konkurrenz am Arbeitsmarkt. Das hat auch Dominik in den SVP-Kampagnen beobachtet: „Die SVP ist gar kein Fan von Erasmus. Die haben das einfach in Kauf genommen, oder sogar akzeptiert.“

Dazu kommt eine generelle Politikverdrossenheit der Jugend. Gerade in den neuen Mitgliedsstaaten sind Unter-30-Jährige am Wahltag meist zu Hause geblieben. Und für Studierende ist die EU meist einfach eine Selbstverständlichkeit, meint Melchior: „Sie sehen es einfach nicht als notwendig, das bei einer Wahl noch mal extra zu deklarieren.“

 

 

Keine Reaktion von Links. Was jetzt notwendig sei, sei eine Antwort der anderen Parteien, erklärt der Politikwissenschaftler. Bei der Abstimmung in der Schweiz war die SVP als einzige Partei für die Initiative. Alle anderen, von den Konservativen über die Sozialdemokraten bis hin zu den Grünen, warnten vor Diskriminierung, wirtschaftlichen und außenpolitischen Problemen. Aber sie konnten sich nicht durchsetzen. Laut Melchior sei ein Problem, dass rechtspopulistische Parteien oft tatsächlich Probleme ansprechen, die von der „Mainstream-Politik“ ignoriert werden. Diese teilweise legitime Politik komme im Paket mit emotional aufgeladenen Themen – in der Schweiz etwa gerechtfertigte Kritik an der EU zusammen mit dem „Ausländer“-Thema. Andere Parteien überlassen dann das Feld den Populisten. „Diese Kritik kommt dann einfach unter die Räder, die populistischen Parteien haben das Monopol darauf. Es braucht aber eine Reaktion von den anderen Parteien.“ Die anderen Parteien hätten also kommunizieren müssen, dass die Initiative gegen Masseneinwanderung zwar falsch sei, aber zugeben, dass es tatsächlich Probleme gibt.

Das Beispiel der Schweiz zeigt, was geschieht, wenn es keine solche Antwort gibt. Die Aussetzung der Erasmus-Verhandlungen ist nur ein kleiner Teil des Problems. Schon jetzt beklagen Uni-Rektoren, dass viele ForscherInnen aus dem Ausland skeptisch wären eine Stelle in der Schweiz anzunehmen, aus Angst, dass sie in zwei Jahren wieder abgeschoben werden können. Die Regierung versucht nun, das Abstimmungsergebnis in einen gemäßigten Gesetzesentwurf zu packen. Auch über eine weitere Abstimmung, um die erste zu revidieren, wird schon diskutiert.

 

 

Magdalena Liedl studiert Anglistik und Zeitgeschichte an der Uni Wien.

Zahlen bitte!

  • 13.07.2014, 13:16

Studierende in Europa finanzieren ihre Bildung zunehmend privat - trotz der politischen Erkenntnis, dass dies eine öffentliche Verantwortung sein sollte. Die nationalen Unterschiede sind markant.

Studierende in Europa finanzieren ihre Bildung zunehmend privat - trotz der politischen Erkenntnis, dass dies eine öffentliche Verantwortung sein sollte. Die nationalen Unterschiede sind markant.

Maria* hat „Hospitality Management” am International University College in Dobrich, einer privaten Universität in Bulgarien, studiert. Sie beschreibt eine der Methoden ihrer Universität Gelder aus der Privatwirtschaft aufzutreiben: „Meine Universität hatte eine Verbindung zu Restaurants und Hotels in Zypern, und ich habe dort so wie andere Studierende ein Praktikum gemacht. Als wir uns über den niedrigen Lohn beschwerten, antwortete die Chefin, dass sie einen Teil uns zahle und einen Teil unserer Universität”.

Der Staat zahlt mehr. Seit 2010 ist der Europäische Hochschulraum offiziell Wirklichkeit und in vielen Bereichen ist die Kooperation zwischen den europäischen Ländern und Hochschulen weit fortgeschritten. Fast überall wird nach dem Bachelor/Master-System studiert, in ECTS „abgerechnet”, und die Studierendenmobilität steigt. Bei der Finanzierung der Hochschulen gibt es jedoch bisher wenig europäische Gemeinsamkeiten.

Ein Blick in die Eurostat-Datenbanken und Untersuchungen der europäischen Studierendenorganisation ESU bringt markante Unterschiede zu Tage. So werden z.B. in den skandinavischen Ländern circa zwei Prozent des BIP für höhere Bildung ausgegeben. In Süd- und Osteuropa liegen die Werte typischerweise zwischen 0.8 und 1.1 Prozent und im Westen zwischen einem und 1.5 Prozent. Da die Studierendenzahlen aber kaum mit der Finanzierung zusammenhängen, sind die Ausgaben je Studierender und Studierendem noch unterschiedlicher.

In Skandinavien und Westeuropa werden jährlich zwischen 12.000 und 16.000 Euro pro StudentIn ausgegeben. Im Süden und Osten sind es zwischen fünf- und achttausend Euro. Dabei werden die meisten Mittel in Ländern aufgewendet, in denen die Hochschulen überwiegend öffentlich finanziert sind. Das ist hauptsächlich in Nord- und Westeuropa der Fall, wo typischerweise unter 20 Prozent der Ausgaben für höhere Bildung aus privaten Quellen stammen.

Versteckte Kosten. Derzeit studiert Maria an der Universität Roskilde. Ihre Erfahrungen mit den Studiensystemen in Dänemark und Bulgarien illustrieren die Unterschiede im europäischen Hochschulraum auf eindrückliche Weise. „Meiner Erfahrung nach gibt es in Bulgarien einen großen Unterschied zwischen privaten und öffentlichen Universitäten,” erzählt Maria: „In den öffentlichen Institutionen ist die Ausstattung sehr schlecht und die Lehrenden kriegen einen sehr niedrigen Lohn. Meine eigene Universität hatte Geld, die Klassen waren kleiner, wir hatten viele Computer und waren gut ausgestattet”.

Für die besseren Studienbedingungen bezahlen Studierende am International University College in Dobrich circa 1500 Euro pro Semester – die öffentlichen Studiengebühren liegen zwischen 70 und 800 Euro. Um diese Summe aufzubringen – 3000 Euro sind circa die Hälfte des Median-Jahreseinkommens – arbeitete Maria oft im Ausland, zum Teil in dem bereits erwähnten Arrangement, welches der Universität gleich doppelt Einkommen bescherte.

Aber auch für ihre KollegInnen an den öffentlichen Hochschulen gab es vielerlei „versteckte“ Kosten. „Manchmal mussten sie Bücher von ihren ProfessorInnen kaufen und diese bei den Prüfungen vorzeigen – das ist eine recht übliche Praxis. Manchmal werden Studierende negativ benotet, und die Lehrenden verlangen, dass die Studierenden zusätzliche Klassen belegen. Da diese nicht im Curriculum stehen, kosten sie extra,” erklärt Maria.

Erfahrungen mit der gängigen Prüfungspraxis waren an beiden Hochschulen, öffentlich und privat, oft demotivierend. „Da es so viele Studierende an den öffentlichen Hochschulen gibt, ist die Bewertung oft sehr zufällig. Aber auch an meiner Schule war es oft nicht möglich die Prüfung nach der Bewertung zu sehen, oder anderweitig Feedback zu kriegen”.

Mit ihrer derzeitigen Studiensituation in Dänemark ist Maria hingegen sehr zufrieden: „Bei den Prüfungen wird man zum Denken angeregt und man ist aufgefordert sich eine eigene Meinung zu bilden und Kritik zu üben statt auswendig zu lernen,” sagt sie. Die dänische Studienbeihilfe und die öffentliche Finanzierung der Universitäten ist ebenfalls ein Faktor: „Ich muss nicht über Geld nachdenken, obwohl ich nur 15 Stunden pro Woche arbeite. In Bulgarien ist es schwierig zu studieren, da die meisten Studierenden neben dem Studium sehr viel arbeiten müssen”.

Fortschreitende Privatisierung. Rok Primovic ist Vorsitzender der europäischen Studierendenorganisation ESU, die nationale Studierendenvertretungen vernetzt und auf europäischer Ebene Lobby- und Forschungsarbeit betreibt. „In finanzieller Hinsicht kann von einem europäischen Hochschulraum nicht die Rede sein,” sagt er: „In den letzten 15 Jahren war das eine Diskussion, die niemand führen wollte”. Obwohl es ein Bekenntnis der MinisterInnenkonferenz des europäischen Hochschulraums zu öffentlicher Finanzierung gibt, wurde diese nie konkretisiert.

Laut Rok ist Bulgarien mit den großen Unterschieden zwischen privaten und öffentlichen Institutionen eher ein Einzelfall. „In Bulgarien gibt es diesen Trend, da die Studierendenzahlen stark gestiegen sind, ohne dass die öffentlichen Investitionen entsprechend erhöht wurden. Die privaten Institutionen können hohe Gebühren verlangen und es entsteht eine Art Trennung nach sozialen Klassen. In den meisten westeuropäischen Ländern ist die finanzielle Ausstattung der öffentlichen Hochschulen gut, und die Unterschiede nicht so spürbar – die privaten Universitäten füllen dort eher eine Nische”.

Nichtsdestotrotz ist die Privatisierung öffentlicher Bildung auch ein allgemein europäischer Trend und Marias Studienbedingungen in Dänemark Teil eines skandinavischen Idylls. „Obwohl die Staaten recht unterschiedliche Verteilungen wählen, geht der allgemeine Trend dahin, dass Studierende und deren Familien mehr Kosten übernehmen. Studiengebühren werden erhöht, Beihilfen gesenkt oder der Zugang dazu verschärft,” erklärt Rok. In vielen Ländern steigen insbesondere die „versteckten“ Kosten für Bücher, Registrierungen, Bewerbungen, etc. In den Mittelmeerländern, aber auch Irland und Großbritannien ist der Trend am stärksten.

Wer für die Kosten eines Studiums aufkommt, ist in Europa insgesamt also höchst unterschiedlich und Bildungschancen hängen auch deshalb stark mit der eigenen Herkunft zusammen. Das Projekt des gemeinsamen Hochschulraums wird dadurch letztendlich in Frage gestellt. „Bologna ist nicht gerade in Hochform, und viele Länder verlieren Interesse daran. Es gibt eine Diskussion darüber, wie der Prozess weiter betrieben werden kann. Für manche Staaten und die Europäische Kommission wäre die Lösung auch über Finanzen zu diskutieren,” berichtet Rok und ergänzt: „Die ESU fordert ebenfalls eine Diskussion darüber auf europäischer Ebene”. Bleibt zu hoffen, dass das derzeitige politische Klima in Europa diese Bestrebungen nicht zu Nichte macht.

*Name geändert. Vollständiger Name der Redaktion bekannt.

Robin Tschötschel studiert Global Studies an der Universität Roskilde und lebt in Kopenhagen.
Foto: cc-by Jixar