Essen

Feiern gegen die Gesamtscheiße

  • 23.02.2017, 20:20
Veganismus, Partykommunismus, Freie Liebe und Straight Edge – wie passt das zusammen? Gibt es ein richtiges Leben im falschen oder muss ich eh nicht recyclen?

Veganismus, Partykommunismus, Freie Liebe und Straight Edge – wie passt das zusammen? Gibt es ein richtiges Leben im falschen oder muss ich eh nicht recyclen?

Der Winter ist vorbei und mit den ersten Sonnenstrahlen tauchen auch die ersten Gedanken an die Festival-Saison auf. Während die einen im Winter auf einen erfüllten Ferienkommunismus zurückblicken konnten, haben andere daheim weiter gearbeitet: am Refugee-Projekt, im Haushalt, haben Demos angemeldet oder ihr Zuhause verteidigt. Der Ärger über den Hedonismus ist nicht neu, auch nicht die Frage, wie links oder subversiv es sein kann, mehrere Tage unter dem Motto „Koksen, Kotzen, Kommunismus“ in einer arrangierten Parallelwelt zu feiern.

Wer ein Festival wie die „Fusion“ besuchen kann und wer nicht, wird durch die hohen Kosten für die Anreise, die Vergabe teurer Tickets im Lotterie- Verfahren und andere Barrieren, wie etwa Stacheldraht, festgelegt: ein weitestgehend junges, weißes Publikum, das unkritisch Federkopfschmuck oder Dreadlocks trägt. Das Statement der Veranstaltenden, „Vier Tage Ferienkommunismus ist das Motto der ‚Fusion‘. (…) Weil es aber keinen Ort nirgends gibt, wo die Menschen frei sind, ist es gerade die Vereinigung der FusionistInnen aller Länder und der Ferienkommunismus, der uns spüren lässt, dass wir mehr wollen, als das, was uns in diesem Leben geboten wird. Nämlich alles und zwar sofort!“, meint eben alles für alle mit bezahltem Ticket. Nun sind der Besuch von Dixie-Klos und Dauerrausch nicht unbedingt eine rühmliche oder produktive Freizeitgestaltung, aber für manche eben Erholung. Gerne werden vermeintliche „Wohlfühllinke“ kritisiert, die bloß zu Festivals und Soli-Partys gehen, nicht aber nicht bei Lesekreisen und Plena auftauchen. Kapitalistische Härte für alle zu fordern, passt gut in eine Zeit, in der die Kritik an einer kalten Ellenbogen-Gesellschaft ins Gegenteil umschwenkt. Mit Begriffen wie „Slacking“, also dem ambitionslosen Herumhängen, oder „Cocooning“, dem angeblichen Rückzug ins Private, wird Kritik geäußert: Der Rückzug in die persönliche „Comfortzone“ und das „Einbubbeln“ seien Probleme, die genauso wie Netzaktivismus überwunden werden müssten. Das glauben nicht nur Berufsberater_innen, sondern auch asketisch orientierte Linke.

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Dabei wird eine Revolution wohl auch nicht von jenen ausgelöst, die sich nicht auf Festivals schon morgens mit Pfefferminzschnaps betrinken oder „Pokémon Go“ spielen. Hedonistische und materielle Lebensweisen – als „Opium fürs Volk“ (Lenin) – abzulehnen, vergrößert die Kluft zwischen Theorie und Praxis. Während das „Antifaschistische Sommercamp“ sicherlich mehr linke ECTS bringt als der Besuch des „Nova Rock“, haben beide gemeinsam, dass dort Kontakte geknüpft und gepflegt werden, Beziehungen, Freundschaften und Projektideen entstehen. Das Versinken in der Party, der Musik, in einem Pulk Menschen, die sich gegenseitig akzeptieren, kann eine einzigartige Erfahrung sein und einen Schutzraum, fern von Alltagsproblemen oder Diskriminierungen, bieten. Ein Festival kann auch sinnlose Gaudi und Besäufnis im Dreck sein, ohne Anspruch auf Verwertbarkeit. Statt dies abzulehnen, sollte ein linker Selbstanspruch lauten, solche Erfahrungen und das gute Leben allen zugänglich zu machen. Denn Burnout ist nicht nur im Job, sondern auch in der aktivistischen oder ehrenamtlichen Arbeit ein Thema.

KAPITALISTISCHE HÄRTE FÜR ALLE. Ohne Bezahlung, dafür mit Gruppendruck und nach dem Motto „Wer macht, hat Recht“, wird auch in der Linken teilweise bis zur Selbstaufgabe gearbeitet. Wer sich durch besonderes Engagement hervortut, verschafft sich Wert und Bedeutung. Das Recht der Macher_innen führt fast unweigerlich auch zu Gatekeeping, also der Macht über Informationsflüsse und Zugang zu Ressourcen. Solche Entwicklungen und Haltungen unterscheiden sich manchmal kaum von ausbeuterischen Strukturen der Arbeitswelt. So wird gegenseitige Mobilisierung zur Regulierung. Wer sich wann, mit wem, auf welcher Demo zeigt oder nicht, wird beobachtet und bewertet, ohne unterschiedliche Abilities oder Arbeitsverhältnisse einzubeziehen oder sich zu fragen, wer sich wieviel Freizeitopfer oder die Fahrkarte zur Projektbesprechung leisten kann. Wie gefährlich das ist, zeigen mehrere Fälle, in denen Polizeispitzel lokale Projekte wie etwa die „Rote Flora“ in Hamburg unterwandern konnten oder (mutmaßliche) Vergewaltiger wie Assange und Jacob Appelbaum wichtige Rollen in aktivistischen Umfeldern einnehmen konnten.

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YO, FUTURE! „Don’t smoke, don’t drink, don’t fuck, at least I can fucking think“, singt Ian MacKaye von der Band Minor Threat im Song „Out of Step“, der zentral bei der Entstehung der asketisch lebenden Straight-Edge-Bewegung (sXe) war. So daneben zugequalmte Kulturzentren, betrunkene Ausfälle und unbefriedigende One-Night-Stands auch sein mögen, der Gegenentwurf zur selbstzerstörerischen Punk-Kultur der 80er („No Future“) klingt im heutigen Kontext, in dem „bewusster“ Konsum und Verzicht im selbstoptimierenden Mainstream angekommen sind, fast wie eine Erhebung über die Rauchenden, Trinkenden und Fickenden. Denen wird, zumindest implizit, die Fähigkeit zum eigenständigen Denken abgesprochen.

Die nüchterne Subkultur argumentiert etwa, dass für die Gestaltung politischer Aktionen ein klarer Kopf von Vorteil sei. Wer vor Demos und Aktionen Alkohol trinkt oder Drogen nimmt, gefährdet sich selbst und andere, das steht in jeder „Demo 1x1“- Broschüre. Ein Handbuch für das richtige Linkssein im falschen gibt es aber glücklicherweise nicht. So ist sXe ein radikaler Versuch, politische Dimensionen des eigenen Konsums oder Verzichts aufzuzeigen. Viele Edger_innen leben zudem vegan und denken beispielsweise durch Antispeziismus oder Unterstützung von Fair-Trade-Produkten Machtverhältnisse in ihren Konsumpraxen mit.

Auch über Esskultur werden Machtverhältnisse, Rassismen und Klassen reproduziert. Wer, was und wie öffentlich essen darf oder nicht, ist nicht erst dann politisch, wenn ein „denn’s“-Biomarkt in die ehemalige „Zielpunkt“-Filiale einzieht oder auf der Straße Fat- und Bodyshaming betrieben werden. Anzunehmen, jede Küche, in der Chia-Samen verwendet werden, wäre Brutstätte für Körperkult oder moralische Überheblichkeit, ist jedoch genauso falsch, wie zu glauben, die Kaufentscheidung für die saisonalen, regionalen Bio-Zucchini, wären ein wirksames Statement. Mögen sich auch einzelne durch ihre Ernährungsform und Lifestyle-Wahl über andere erheben wollen, versuchen die meisten doch schlicht, zu essen, was sie sich leisten können, was ihnen gut tut und für sie selbst ethisch vertretbar ist. Als Verbraucher_in ist kaum zu überblicken, wie Produktions- und Beschäftigungsbedingungen oder Konzernstrukturen wirklich aussehen.

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SAUFEN, SNICKERS, SELF-CARE. Das bekannte Zitat „Mich um mich selbst zu sorgen, heißt nicht, sich gehen zu lassen. Es ist selbsterhaltend und das ist ein Mittel des politischen Kampfs“ von Audre Lorde setzt destruktiven Machtstrukturen das Konzept der „self-care“, also der Selbstfürsorge, und der radikalen „self-love“ entgegen. „Sich nicht gehen lassen“, regelmäßige Mahlzeiten und auch gesunde Ernährung können self-care sein. Für sich selbst zu sorgen, kann aber auch bedeuten, maßlos Junkfood zu essen, wochenlang mit niemandem zu reden und Videospiele zu spielen. Das Saufen auf dem Festival oder die Familienpackung Snickers sind nicht nur selbstschädigend, sie bedienen bloß andere Bedürfnisse als nur die richtige Nährstoffzufuhr. Eigentlich hedonistische Lebens- und Verhaltensweisen werden ent-individualisiert, das (gute) Überleben gilt als revolutionärer Akt: „Selbsterhalt ist Widerstand.“

Selbstfürsorge basiert auf dem Gedanken: Erst, wenn es mir selbst gut geht, kann ich anderen helfen, denen es nicht so gut geht, und habe ich das nötige Rüstzeug, um auch langfristig politisch aktiv sein zu können. Zu den Ursprüngen der „selfcare“- Idee schreibt die feministische Autorin Laurie Penny: „Weite Teile der Linken können noch eine Menge von der Queer-Community lernen, die schon lange die Haltung vertritt, dass für sich selbst und seine Freund_innen zu sorgen in einer Welt voller Vorurteile kein optionaler Bestandteil des Kampfes, sondern auf viele Arten der Kampf selbst ist.“

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Nicht umsonst kommen alternative Beziehungskonzepte wie Relationship Anarchy, die Freundschaften und anderen nicht-sexuellen Beziehungen größere Bedeutung zumessen, aus der Community. Enge Freundschaften und Netzwerke können für Queers oder von Rassismus Betroffene lebenswichtig sein. Die klassische monogame Hetero-Paar-Beziehung ist nach wie vor Quell für Unterdrückung und Gewalt: „Durch ihren (früheren) Partner wurde 13 % der Österreicherinnen körperliche/sexuelle Gewalt sowie 38 % der Frauen psychische Gewalt zugefügt – etwa durch Einschüchterung, Kontrolle, Hausarrest oder Herabwürdigung vor anderen Personen.“ Dass die Ehe aber auch eine Schutzfunktion für die Ehepart13 ner_innen und Kinder beinhalten und Absicherung bedeuten kann, wird gerne ignoriert, etwa wenn queere Paare sich dafür rechtfertigen sollen, eine „Ehe für alle“ zu fordern und damit angeblich ein Recht auf Spießbürgerlichkeit einfordern – wenn der rechtliche Status in der Praxis darüber bestimmt, wer etwa am Krankenhausbett Händchen halten darf und wer nicht.

Gegenkonzepte wie Polyamorie oder das Verzichten auf schnellen Sex von Straight Edgern können aber vor allem für Frauen Freiheiten bedeuten. Rebecca Gold fasst in einem Essay zusammen: „Wir können das Patriarchat nicht rückgängig machen ohne Monogamie zu verdrängen“ und schreibt weiter: „In einer nicht monogamen Welt werden Frauen ihr Leben nicht damit verschwenden, nach dem perfekten Mann zu suchen. Intimität wird eine immer präsente Möglichkeit sein, die biologische Uhr wird nicht mehr die Flugbahn bestimmen, die das Leben einer Frau einschlägt, da das Konzept von Familie weniger an biologische Reproduktion geknüpft ist.“ Doch auch Mehrpersonen-Beziehungen schnurren schnell auf eine klassische Familienkonstellation zusammen, sobald Windeln gewechselt werden müssen oder die Festivalsaison ansteht. Um gleiche (reproduktive) Rechte, die Auflösung klassischer Familienbilder, Eifersucht, gerecht verteilte Care-Arbeit und sexuelle Selbstbestimmung oder Kindererziehung ohne Stereotypen geht es im (Beziehungs-)Alltag oft nur am Rande, egal welches Label wir unseren Zwischenmenschlichkeiten verpassen.

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Das gute Leben für alle – es darf ruhig bei uns selbst anfangen. Ob der Bio-Apfel, ein Snickers, Polyamorie oder der Lesekreis sich gut anfühlen, bleibt dabei uns überlassen. Der persönliche Lifestyle und die Freiheit, andere Lebensweisen und -konzepte ausprobieren zu können, ist nicht einfach da, sie muss immer wieder verhandelt, behauptet und neu erkämpft werden. Und irgendjemand räumt danach den Müll vom Festivalplatz.

Anne Pohl ist freiberufliche Marketing- und Event- Beraterin und gründet non-kommerzielle Projekte wie herzteile.org.

Integration, die durch den Magen geht

  • 10.06.2014, 16:53

Am 17. Februar wurde am Meidlinger Markt in Wien ein neues Lokal eröffnet: Purple Eat wird von einem Verein zur Unterstützung ehemaliger AsylwerberInnen betrieben. Serviert werden Speisen aus den Herkunftsländern der MigrantInnen. Ein Lokalaugenschein.

Zwei alte Männer sitzen vor einem Marktstand und rauchen. Hin und wieder wechseln sie ein Wort miteinander. Von fern trägt der Wind die Klänge eines Lieds herbei, das im Radio gespielt wird. Der Geruch von Essen erfüllt die Luft, und immer wieder ist das Klappern und Klirren von Geschirr zu hören. Die Zeit scheint träge zu vergehen an diesem sonnigen Nachmittag am Meidlinger Markt. Vor einem der Stände steht eine Tafel, die in knallrosa Lettern die Tagesspeise verkündet: „Krautrouladen (vegetarisch
oder mit Bio-Rind)“. Die Fassade des dazugehörigen Lokals ist violett – passend zu seinem Namen: Purple Eat. Aber nicht nur die Farbe des Standes hebt ihn von seiner Umgebung ab. Hinter Purple Eat steht ein besonderes Konzept. Das Lokal wird von Purple Sheep betrieben, einem Verein zur Unterstützung ehemaliger AsylwerberInnen, deren Asylantrag abgelehnt worden ist. „Die Leute kommen alle ganz kurz vor der Abschiebung zu uns“, erklärt Kurosch Allahyari, Obmann von Purple Sheep. Es sind Menschen, die
schon seit Jahren in Österreich leben, deren Kinder hier zur Schule gehen und FreundInnen hier haben. „Wenn der Staat so lange braucht, um ein Asylverfahren zu entscheiden, und die Leute gut integriert sind, dann sollten sie hier bleiben dürfen“, sagt Allahyari.
In der Regel ist das aber nicht der Fall. Deshalb bringt Purple Sheep Menschen in dieser Situation im Freunde Schützen Haus unter und kämpft mit ihnen gemeinsam darum, eine Niederlassungsbewilligung zu erwirken.

das Lokal Purple Eat. Vor dem Lokal steht eine Tafel, auf der das Tagesgericht angekündigt wird. Foto: Christopher Glanzl

Alle helfen, wo sie können.
Zudem betreiben die ehemaligen AsylwerberInnen gemeinsam mit den MitarbeiterInnen von Purple Sheep nun eben auch ein Lokal. Frau Recepi arbeitet in der Küche mit. Sie wohnt seit zwei Jahren im Freunde Schützen Haus, zusammen mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern. Vor sieben Jahren ist sie aus Mazedonien nach Österreich gekommen. Sie hat in St. Pölten gelebt, bis ihr Asylantrag
abgelehnt wurde. Der Verein versucht die Abschiebung zu bekämpfen. „Wir nehmen die Personen ins Haus auf und lassen den Fall über das Innenministerium noch einmal überprüfen“, sagt Kurosch Allahyari. Dennoch dauert es meist zweieinhalb Jahre, bis die Leute Bleiberecht erhalten. „Aber es hat bisher noch keine Abschiebung bei uns gegeben. Alle Fälle, die wir aufgenommen haben, sind auch durchgegangen.“ Bei Frau Recepi ist das bisher noch nicht gelungen. Sie kocht seit der Eröffnung von Purple Eat im Stand. „Sonntags koche ich nicht, und dann freue ich mich immer schon auf Montag. Ich liebe die Arbeit“, erzählt sie lachend. Auch ihr Mann hilft bei Purple Eat mit. „Alle, die können, sind eingeteilt“, sagt Kurosch Allahyari. Die Idee für das Lokal entstand durch Feste im Freunde Schützen Haus, bei denen die Gäste von der internationalen Kost begeistert waren. Daraufhin hat der Verein begonnen Catering anzubieten, und schließlich wurde der Stand am Meidlinger Markt eröffnet. „Wir werden von der Umgebung und den Menschen am Markt sehr freundlich aufgenommen. Alle helfen, wo sie können“, berichtet Kurosch Allahyari erfreut.

Finanziert wird Purple Eat unter anderem durch Spenden. Der Stand wird von Bauträger Hans Jörg Ulreich, der auch das Freunde Schützen Haus mitbegründet hat, zur Verfügung gestellt und auch bei den Nahrungsmitteln wird der Verein unterstützt. „Anders könnten wir das nicht machen und auch den Preis nicht halten. Wir haben vor allem bei den Fleisch- und Milchprodukten nur Bioprodukte und bei den Weinen auch“, erklärt Kurosch Allahyari. „Das Weingut Heinrich stellt uns alles kostenlos zur Verfügung, unser Fleisch bekommen wir gratis von Bioviertel. Genauso verhält es sich mit dem Kaffee von Grandoro.“ Insgesamt hat Purple Eat dadurch relativ geringe Ausgaben. Nur auf diese Weise kann das Lokal ein Menü um sieben Euro anbieten.

das Lokal Purple Eat. Foto: Christopher Glanzl

Integration einmal anders.
Und tatsächlich scheint das Konzept gut zu funktionieren. Der Stand ist liebevoll gestaltet. In den Fenstern stehen Kräuter, vom Dach baumelt die Figur eines Raben im Wind. Vor dem Lokal sind mehrere hellgrüne und weiße Tische verteilt, manche durch bunte
Blumentöpfe verziert. Momentan ist nicht viel los, nur drei der Tische sind besetzt, doch zur Mittagszeit ist das anders. „Die Leute warten, bis ein Tisch frei wird oder setzen sich zu anderen dazu“, erzählt Kurosch Allahyari stolz. Das Essen kommt bei den Gästen
sehr gut an. Heute gibt es mazedonische Krautrouladen und Blattsalat. Als Vorspeise werden Linsen mit Schafskäse und dazu Gebäck serviert, und als Dessert gibt es Blätterteigtaschen mit Cremefüllung. Frau Recepi hat die Krautrouladen auch in ihrem Herkunftsland gekocht. Dabei wird Weißkraut mit Bio-Rindfleisch (optional), Champignons, Zwiebeln und Reis gefüllt, gekocht und mit schwarzem Pfeffer gewürzt. Dazu kommen Dille und Tomatensauce sowie Kartoffeln.

Besonders ist das Essen, das bei Purple Eat serviert wird, vor allem auch, weil es auf traditionelle Weise zubereitet wird. „Wir sagen den Leuten, die kochen, dass sie nicht versuchen sollen, die Rezepte in irgendeiner Weise an den österreichischen Geschmack anzupassen“, erklärt Kurosch Allahyari. Es werden bunt gemischt Speisen aus verschiedenen Ländern präsentiert, immer eine vegetarische Version und eine mit Fleisch. Das Ziel sei, ÖsterreicherInnen an andere Kulturen heranzuführen und gleichzeitig einen Ort zu schaffen, an dem die ehemaligen AsylwerberInnen mit den hier Ansässigen in Kontakt treten können. „Wir wollen Integration von einer anderen Richtung aufziehen. Es soll nicht darum gehen, dass die Ausländer endlich Deutsch lernen, sich integrieren und Leistungen erbringen. Sie sollen das tun können, was sie möchten.“ Frau Recepis Kinder spielen vor dem Lokal. Ihr Lachen wird nur durch den Wind unterbrochen, der hin und wieder die Tür des Stands mit einem lauten Knall zuschlägt. Momentan wird die  Abschiebung der Familie Recepi vorbereitet. „Wir werden das nicht zulassen“, sagt Kurosch Allahyari. „Die Familie Recepi bleibt auf jeden Fall in Österreich.“

Patricia Urban studiert Kultur- und Sozialanthropologie und Publizistik an der Universität Wien.

Ein Leben (fast) ohne Supermarkt

  • 10.06.2014, 16:04

Auf der Suche nach nachhaltigen und regionalen Lebensmitteln schließen sich immer mehr Menschen zu Foodcoops zusammen. progress hat sich angesehen, wie ein Leben fast ohne Supermarkt funktionieren kann.

Auf der Suche nach nachhaltigen und regionalen Lebensmitteln schließen sich immer mehr Menschen zu Foodcoops zusammen. progress hat sich angesehen, wie ein Leben fast ohne Supermarkt funktionieren kann.

Dienstagabend in einem Kellergeschoss im 15. Wiener Gemeindebezirk. In den Räumen des PerpetuuMobile 2.3 stapeln sich Kisten mit Gemüse, Getreide, Nudeln und Sojaprodukten. Dazwischen wuseln Menschen umher, vergleichen den Inhalt der Kisten mit Listen und wiegen Erdäpfel, Frühlingszwiebeln, Salat, Rüben und Pastinaken ab. Es ist Abholtag in der vegan food coop, einer von über 20 Foodcoops in Österreich. Gerade ist eine Lieferung eingetroffen, frisch vom Bauernhof.

„Ich hatte sehr lange Zeit eine Biokiste, aber ich wollte dann noch einen Schritt weiter gehen. Ich wollte wissen, wo mein Essen herkommt“, erzählt Christina. Sie studiert an der BOKU und ist seit anderthalb Jahren Mitglied der vegan food coop. Der Kontakt zu Produzent_innen ist ihr besonders wichtig: „Ich kann hier wirklich sehen und nachprüfen, wie meine Lebensmittel angebaut werden. Wir organisieren öfters Reisen zu Bauernhöfen und können uns anschauen, wie die wirtschaften.“

Genossenschaftlich organisiert. Foodcoops oder Lebensmittelkooperativen sind keine neue Erfindung. Schon im 19. Jahrhundert wurde in Großbritannien die erste Konsumgemeinschaft gegründet. Im Kontext der beginnenden Industrialisierung schlossen sich Arbeiter_innen zusammen, um der Abhängigkeit von Händler_innen, denen oft Betrug und der Verkauf minderwertiger Ware vorgeworfen wurden, zu entfliehen und organisierten den Einkauf ihrer Lebensmittel gemeinsam. Eine Foodcoop funktioniert im Prinzip genauso: Gemeinsam wird entschieden, was und wo eingekauft wird. Auch heute ist die Motivation vor allem das fehlende Vertrauen in die vorhandenen Strukturen wie Supermärkte oder Diskonter. „Für manche Dinge gehe ich schon noch in den Supermarkt, nicht alles kann ich über die Foodcoop besorgen. Aber immer öfters verlasse ich in den Supermarkt, ohne etwas gekauft zu haben, weil ich alles, was mir interessant erscheint, auch in der Foodcoop bekomme“, sagt Christina.

Nicht weit entfernt vom PerpetuuMobile 2.3, das sich die vegan food coop mit einer Siebdruckerei und diversen anderen linken Projekten teilt, hat eine der ältesten Foodcoops Wiens ihr Lokal. In den hellen Räumlichkeiten von D’Speis riecht es wie im Bioladen, neben Gemüse stehen hier auch Wein, Bier, Öl und Essig in den Regalen. Lange Bestelllisten hängen an der Wand, in verschiedenen Kühlschränken warten Milchprodukte, Tofu und Fleisch darauf, abgeholt zu werden. Samuel, der seit fast zwei Jahren bei D’Speis aktiv ist, hat auch davor schon Bio-Lebensmittel gekauft und ist dumpstern gegangen. „Für mich gab es mehrere Gründe, einer Foodcoop beizutreten: Einerseits natürlich die Qualität und der Preis der Lebensmittel. Andererseits ist eine Foodcoop auch ein politisches Statement. Wir sind nicht von Supermärkten oder Großhändler_innen abhängig, sondern bestimmen selbst, was wir wann einkaufen und unterstützen damit Kleinbäuer_innen.“ Dazu kommt für Samuel noch die soziale Komponente. Er grinst und erzählt: „Wenn ich mein Zeug in der Speis abhole, muss ich dafür immer mindestens eine Stunde einrechnen. Nicht, weil das Abholen so lange dauert, sondern weil ich hier Menschen treffe und mit ihnen plaudere.“ Dabei schätzt der Student es sehr, aus seinem gewohnten Umfeld herauszukommen und sich auch mal mit älteren Menschen auszutauschen.

Gemüsekisten in einer foodcoop

Unregelmässige Regelmässigkeit. In der vegan food coop wird es derweil ruhiger, der große Andrang ist vorbei. Jede Woche ist eine andere Person dafür zuständig, das Lokal aufzusperren, damit alle Mitglieder der Foodcoop ihre bestellten Lebensmittel abholen können. „In unregelmäßiger Regelmäßigkeit kann sich jede_r online für diesen Dienst eintragen“, erklärt Christina. Alle Aufgaben in der Foodcoop werden abwechselnd übernommen: Die Bestellungen werden online gesammelt und an die Produzent_innen übermittelt, neue Produzent_innen oder Produkte, die für die Foodcoop interessant sein könnten, werden gesucht und der Kontakt mit den Produzent_innen muss aufrecht erhalten werden. „Wir nennen das Produzent_innenrelationshipmanagement“, erklärt die Studentin. Bei welchen Bäuer_innen bestellt wird, entscheidet die Foodcoop basisdemokratisch im Plenum. Dort werden auch für eine rein vegane Gruppe heikle Diskussionen geführt. Etwa, ob sich Produkte wie Honig mit den Prinzipien der Foodcoop vereinen lassen. Diese Selbstbestimmung kostet Zeit und Engagement. Christina wird nachdenklich, als sie erklärt, dass Foodcoops nicht für jede_n das Richtige seien: „In den Supermarkt zu gehen, ist bequem, in der Foodcoop musst du die Arbeit der Kassiererin selbst übernehmen und den Preis deiner Bestellung auf einem Kontoblatt ausrechnen. Wer in einer Foodcoop einkaufen will, muss bereit sein, Aufgaben zu übernehmen.“

Basisdemokratie für Anfänger_innen. Bei D’Speis, die ungefähr 70 Mitglieder zählt, überlegt man sich, wie damit umgegangen werden kann, wenn nicht alle, die von der Foodcoop profitieren, auch Aufgaben übernehmen: „Grundsätzlich ist unser Motto, dass sich alle entsprechend ihrer Fähigkeiten einbringen sollen, aber leider gibt es schon aktivere und weniger aktive Leute. Für Neulinge wollen wir ein Buddy-System einführen, damit sie anfangs von erfahrenen Mitgliedern lernen, wie die einzelnen Arbeitsschritte in der Foodcoop erledigt werden“, erzählt Samuel. Die Foodcoop versucht auch, gezielt Menschen aus der Nachbarschaft anzusprechen und einzubinden. So beteiligen sich neben Studierenden auch einige ältere Menschen, vor allem Frauen – trotz Hürden, wie Samuel berichtet: „Das ist schwierig, weil unsere Organisationsform auf den ersten Blick chaotisch wirkt. Viele erleben bei uns zum ersten Mal ein basisdemokratisches Plenum und müssen sich erst mit dieser Art der Entscheidungsfindung anfreunden.“ Das monatliche Plenum von D’Speis läuft aber gut, auch wenn es schon mal voll werden oder lange dauern kann. Große ideologische Fragen werden auf Klausuren geklärt und verschiedene Arbeitskreise entlasten das Plenum bei alltäglichen Arbeiten. 

Beim Salzkörndl gibt es noch keine Probleme mit untätigen Mitgliedern. Die Foodcoop hat sich im letzten Sommer in Salzburg gegründet und besteht derzeit aus 35 bis 40 Leuten, vor allem Studierenden. Luisa ist eine von ihnen, sie kannte das Prinzip der Foodcoops von Freund_innen aus Berlin. „Aus meinem erweiterten Freundeskreis erfuhr ich, dass geplant war, in Salzburg eine Foodcoop zu gründen. Ich war also von Anfang an dabei. Die Gründung war ein langer Prozess, schon die Namensfindung war nicht so leicht, und dann mussten wir auch noch ein Lokal finden.“ Die junge Foodcoop trifft sich alle zwei Wochen und versucht gemeinsam, neue Lieferant_innen zu finden, um das Produktsortiment zu erweitern. Dieses besteht derzeit aus Gemüse, Eiern, Milchprodukten, Brot, Getreide und Hülsenfrüchten, die alle regional und biologisch angebaut werden. „Nicht alle Produzent_innen haben das Bio-Siegel, auch wenn sie nach diesen Kriterien anbauen. Wir schauen uns die Betriebe genau an und wenn wir ihnen vertrauen, müssen die Lebensmittel nicht zertifiziert sein. Persönlicher Kontakt ist dafür natürlich eine Voraussetzung“, erzählt Luisa. Neben den regionalen Produkten gibt es bei Salzkörndl auch Fairtrade-Kaffee und Selbstgemachtes: „Jede Woche macht eine andere Person von uns einen Aufstrich, der dann gegen freie Spende mitgenommen werden kann. Manchmal organisieren wir auch BrotbackWorkshops.“

Wenn Samuel und Christina von den nicht-regionalen Lebensmitteln erzählen, die die Wiener Foodcoops gemeinsam bestellen, klingen sie beinahe so, als hätten sie ein schlechtes Gewissen. Neben Kaffee von linken Genossenschaften aus Südamerika gibt es Zitrusfrüchte und Avocados aus Italien. „Unsere Lebensmittel sind regional, mit Ausnahmen, wo es nicht anders geht. Zusätzlich versuchen wir, unsere Sachen möglichst unverpackt oder mit Pfandsystemen zu bekommen“, erklärt Samuel die Kriterien von D’Speis. Neben den Avocados und Zitronen bestellen die gut vernetzten Wiener Foodcoops auch andere Lebensmittel gemeinsam, zum Beispiel Nudeln, Hülsenfrüchte oder Getreide. Um Letzteres selbst weiterverarbeiten zu können, besitzt D’Speis eine Getreidemühle und eine Haferflockenpresse, die von allen Mitgliedern der Lebensmittelkooperative benutzt werden kann. Eine kooperativenübergreifende Brotbackgruppe bäckt mit dem selbst gemahlenen Mehl. „Es gibt auch eine Tofugruppe, die für alle Wiener Foodcoops Tofu produziert“, erzählt Samuel begeistert und beginnt zu träumen: „In Zukunft wäre es toll, auch eigene Felder oder Gärten in der Umgebung zu haben und Foodcoops mit der Ernte zu beliefern.“ So könnte nach und nach eine kleine Wirtschaft nach den Vorstellungen der Lebensmittelkooperativen entstehen: solidarisch, regional, nachhaltig und selbstverwaltet.

Grenzen des Wachstums. Eine andere alternative Form der Lebensmittelbeschaffung ist Community Supported Agriculture (CSA), das wie eine Art Crowdfunding für Landwirt_innen funktioniert: Bereits vor dem Anbau wird gemeinsam entschieden, was angebaut wird. Durch zugesicherte Abnahmemengen können die Bäuer_innen besser planen und sind finanziell abgesichert. „Foodcoops und CSA gehen Hand in Hand“, erklärt Christina: „Die vegan food coop ist auch eine Abholstelle für einen CSA-Hof. Die Foodcoop selbst hat aber keine Anteile und kein Mitbestimmungsrecht.“

Foodcoops werden zunehmend zu einer Konkurrenz für (Bio-)Supermärkte, denn viele von ihnen wachsen stetig. Auch das Salzkörndl will größer werden: „In Zukunft wollen wir bis zu 60 Mitglieder haben. Alles darüber ist zu groß“, so Luisa. Bei D’Speis hat man diese Erfahrung schon gemacht. Samuel berichtet von einer freundschaftlichen Abspaltung: „Als wir zu viele wurden, haben einige von uns eine neue Foodcoop gegründet. Sie konnten dabei von unseren Erfahrungen profitieren. Das ist das Ziel: viele kleine Foodcoops, in jedem Grätzel eine!“

 

Joël Adami studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien.

Webtipp: Verzeichnis aller österreichischen Foodcoops: foodcoops.at

 

Essen trägt die ganze Welt in sich

  • 10.06.2014, 16:03

Geschlechterverhältnisse, Arbeitsorganisation, ja sogar Liebesgeschichten ließen sich anhand unseres Essens und der Art, wie wir darüber sprechen, rekonstruieren, sagt die Soziologin Eva Barlösius im Gespräch.

Geschlechterverhältnisse, Arbeitsorganisation, ja sogar Liebesgeschichten ließen sich anhand unseres Essens und der Art, wie wir darüber sprechen, rekonstruieren, sagt die Soziologin Eva Barlösius im Gespräch.

progress: Welchen Stellenwert hat Essen heute in unserer Gesellschaft?

Eva Barlösius: Inhaltlich hat sich der Stellenwert ein bisschen verschoben, aber die Bedeutsamkeit hat sich nicht im Geringsten reduziert. Essen ist eine Facette, in der sich alle gesellschaftlich wichtigen Prozesse reflektieren. Wenn Sie das Essen studieren, können Sie etwas über Geschlechterverhältnisse oder die soziale Position des Essenden lernen. Genauso kann man auch viel über die Prozesse der Globalisierung erfahren – also welche Lebensmittel zu uns kommen, wohin wir Lebensmittel exportieren oder wie sie verarbeitet werden. Das gibt auch Auskunft über die Familie oder darüber, wie Arbeit organisiert ist. Selbst wenn Sie die Geschichte einer Liebe erzählen möchten, eignet sich das Essens dazu. Essen ist für mich das Phänomen, das die ganze Welt in sich trägt.

Was sagt dann das, was wir essen, über uns aus?

Das Interessante ist, dass diese Frage suggeriert, dass das, was die Menschen tatsächlich essen, identisch mit dem sei, worüber sie sprechen, wenn es um Essen geht. Da muss man unterscheiden. Männer und Frauen etwa beschreiben sehr unterschiedlich, was sie gerne essen. Häufig leben sie aber zusammen oder in Familien – also kann das, was sie tatsächlich essen, gar nicht so verschieden sein. In der Art und Weise, wie wir über das Essen sprechen, es bewerten und uns gleichzeitig von bestimmten Formen distanzieren, spiegelt sich, als wer wir gesehen werden möchten. Wir drücken damit auch unsere wesentlichen moralischen und ethischen Grundsätze aus. Wenn man etwa großen Wert auf biologische Lebensmittel legt, ist darin implizit eine Kritik an den Globalisierungsprozessen enthalten.

Es unterscheiden sich aber auch die Geschmäcker – wodurch ist das geprägt?

Eigentlich ist es umgekehrt: Mit dem Geschmack rechtfertigen wir, was wir essen und was nicht. Es macht einen Unterschied, ob ich sage, ich esse gerne Vollmilchschokolade oder lieber bittere Schokolade mit hohem Kakaoanteil. Es kann heißen, dass mir das Eine nicht schmeckt und ich Bitterschokolade lieber mag. Aber diese Formen von Schokolade sind ja gleichzeitig mit dem Geschmack bestimmter gesellschaftlicher Gruppen konnotiert. Und diese sozialen Geschmäcker existieren nicht nebeneinander, sondern repräsentieren eine Geschmackshierarchie.

Entlang welcher Linien verlaufen diese Hierarchien?

Das läuft immer entlang der zentralen Linien, mittels welcher eine Gesellschaft soziale und kulturelle Unterschiede herstellt. Entlang des Geschlechts, der sozialen Klasse, entlang von Regionalität und Herkunft und so weiter. Parallel dazu gibt es unterschiedliche Geschmacksmuster.

Aktuell verzichten immer mehr Menschen auf Fleisch. Worin hat diese Ernährungsweise ihren Ursprung?

Dieser Ursprung liegt sehr weit zurück. Schon die Pythagoreer haben in der Antike auf Fleisch verzichtet. Das war ein Weg zu symbolisieren, dass man mit den herrschenden Verhältnissen nicht einverstanden war, weil sich diese damals über das Tieropfer reproduziert haben. Freiwillig auf etwas zu verzichten, das mit besonderer gesellschaftlicher Wertschätzung verbunden war, war eine Form des Protests. Bereits im 19. Jahrhundert gab es eine vegetarische Bewegung, die aus den neuen bürgerlichen Schichten entstanden ist. Sie wollte sich einerseits vom etablierten Bürgertum abgrenzen und andererseits von den Proletariern, die sich kein Fleisch leisten konnten. Die sozial aufsteigenden bürgerlichen Schichten begründeten einen Lebensstil, der sich als ethisch besonders verantwortungsvoll präsentierte. Etwas Ähnliches passiert auch heute: Bestimmte Gruppen fangen an, auf Fleisch zu verzichten, weil sie dadurch zeigen können, dass sie Menschen mit einem besonderen ethisch-moralischen Bewusstsein sind.

Einerseits wollen sich die Menschen also abgrenzen, andererseits werden diese Trends aber massiv vom Markt aufgegriffen.

Das macht unsere heutige Gesellschaft aus. Sobald diese Trends erkennbar sind, werden sie von der Industrie aufgegriffen und unmittelbar vermarktet – obwohl sie eigentlich immer auch Kritik an der ökonomischen Verfasstheit der Lebensmittelproduktion sind. Das ist der Unterschied zu den Bewegungen des 19. Jahrhunderts: Damals versuchte man, spezifische Einrichtungen, etwa Reformhäuser, zu gründen, ist damit aber oftmals ökonomisch gescheitert. Das ist heute selten der Fall. Man ist bei jeglicher Form der Kritik nicht mehr davor geschützt, dass sie am nächsten Tag vermarktet wird.

Kann diese Vermarktung dazu beitragen, einen bestimmten Lebensstil zu verankern?

Der Eiermarkt in Deutschland ist hierfür ein gutes Beispiel: Hier setzen sich Produkte, die als „bio“ klassifiziert sind oder ein Tierschutz-Gütesiegel tragen, immer mehr als Selbstverständlichkeit durch. Das ist also auch ein Mechanismus, über den man breite gesellschaftliche Veränderungen langsam in Gang setzen kann.

Heutzutage ist es in, einen bewussten Lebensstil zu pflegen und Sport zu treiben. Steht das auch mit der modernen Arbeitswelt in Zusammenhang?

Das ist geradezu ein und dasselbe. Die Bereitschaft, Sport zu machen und sich gesund zu ernähren, fungiert als Beweis für Leistungsbereitschaft und Eigenverantwortlichkeit in der Arbeitswelt. Ich habe ein Forschungsprojekt mit dickeren Jugendlichen gemacht und denen war es ein wichtiges Anliegen zu unterstreichen, dass sie zwar anders aussehen, aber trotzdem eine hohe Leistungsbereitschaft haben. Der Körper ist heutzutage die „Marke“, die ich zu produzieren habe, „meine Visitenkarte“, mit der ich zeige, dass ich ein hohes Maß an Selbstdisziplin, Eigenverantwortlichkeit und Leistungsbereitschaft mitbringe.

Es existiert also immer ein Zusammenspiel zwischen der Arbeitswelt und dem Essverhalten?

Das ist das Interessante: Je weniger der Körper als Instrument der Arbeit dient, umso mehr wird er zum Symbol der Arbeitsbereitschaft. Dagegen lässt sich allerdings wenig unternehmen, denn darin spiegelt sich die gesellschaftlich anerkannte Leistungsideologie.

 

Eva Barlösius ist Soziologin und lehrt derzeit als Professorin an der Leibniz Universität Hannover. Seit Beginn ihrer wissenschaftlichen Karriere befasst sie sich mit dem Thema Essen. Von ihr erschien unter anderem Das Buch „Die Soziologie des Essens. Eine sozial- und kulturwissenschaftliche Einführung in die Ernährungsforschung“. Das Interview führte Theresa Aigner.

 

Studentenfutter

  • 10.06.2014, 15:33

 

Für viele Studierende bietet das Mensaessen guten Grund sich zu mokieren. Dass leistbares Essen für Studierende wieder in den Bereich der Utopie abzudriften droht, zeigt sich an der zunehmenden Ökonomisierung der Mensen.

Das Konzept der Mensen, die leistbares Essen für alle anbieten sollen, hat sich an Europas Universitäten durchgesetzt. Die Idee ist gut: günstig essen in Gesellschaft anderer Studierender direkt an der Universität. Dass diese schöne Idee aber nicht immer der Praxis entspricht, wissen Studierende aus Erfahrung. Schmutziges Besteck, Essen, das immer nach Suppenwürfel schmeckt, egal was man auf dem Teller vor sich wiederfindet, und ein sich ständig wiederholender Speiseplan kommen in vielen Mensen vor. Darüber freuen sich zwar die studentischen Geschmacksknospen nicht, aber für Unterhaltung kann das Mensaessen schon einmal sorgen: Es wird evaluiert, ob das graue Letscho oder das vermeintliche Putenschnitzel den Contest der grauslichsten Speise gewinnt, spekuliert, was überhaupt der unbestimmbare grüne Quader sein soll, der aufgetischt wird, und geraten, in wie vielen Gerichten die Nudeln zuvor schon zu finden waren. Ein denkbar schlechtes Zeugnis. So gesehen, bleibt als positiver Aspekt wohl nur die Stärkung der Gemeinschaft übrig. In einer Zeit, in der es für viele Studierende finanziell düster aussieht, ist die Idee vom billigen Essen auf der Uni dennoch aktueller denn je. Studierende sind oft an das Essensangebot an der Hochschule gebunden, auch weil ihr stressiger Studienalltag nicht immer zulässt, Angebote außerhalb des Universitätsgebäudes zu nutzen.

Illustration eines Wiener Schnitzels mit einer Zitronenscheibe. Illustration: Christina Uhl

Einmal Menü 1 bitte. So geht es auch Lisa. Die 22-Jährige studiert Pharmazie an der Universität Innsbruck und geht regelmäßig in die Mensa im Café 80/82. Was sie dort mit einer Studierendenermäßigung zu einem Preis von 3,60 Euro zu essen kaufen kann, findet sie verhältnis- mäßig gut. Obwohl meist einfache Gerichte wie Wokgemüse, Nudeln, Ofenkartoffeln oder Salate angeboten werden und die Qualität des Essens von Woche zu Woche schwankt, isst sie oft dort: „Neben einem Weckerl aus dem Supermarkt ist die Mensa häufig die einzige Chance auf ein Mittages- sen.“ Besonders Studienrichtungen mit hoher Anwesenheitspflicht lassen es oft nicht zu, dass man gerade mittags etwas Warmes essen kann. Lange Laboreinheiten und dichte Stundenpläne schränken die Zeiten ein, in denen man sich in Ruhe dem Kochen und Essen widmen kann.

Das Café 80/82, in dem Lisa isst, ist einer von vielen Standorten der Österreichischen Mensen Betriebsges.m.b.H. Die anspruchsvolle Aufgabe der Ernährung von Studierenden in Österreich lag bis vor kurzem zum größten Teil in ihrer Hand. Die Österreichische Mensen Betriebsgesellschaft ist an Unis in allen Landeshauptstädten sowie an der Donau-Universität Krems, der Montanuniversität Leoben und der FH Joanneum in Kapfenberg vertreten. Der Betrieb ist Eigentum des Bundes, zuständig ist das Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft. Gegründet wurde er mit dem Ziel, Studierenden günstiges Essen zu ermöglichen, dafür bekommt die Mensen Betriebsges.m.b.H. die Räumlichkeiten an den Unis gratis oder kos- tengünstig zur Verfügung gestellt. Seit zwei, drei Jahren können sich aber auch private Firmen für diese Aufträ- ge bewerben, was zur Folge hat, dass Betriebs- und Pachtkosten steigen. Die Mensen Betriebsgesellschaft, die nicht gewinnorientiert arbeitet, muss deshalb vermehrt aus zusätzlichen Quellen, wie Catering, Geld lukrieren, um die Mensen finanzieren zu können.

Der Geschäftsführer der Mensen Betriebsges.m.b.H., Gerhart Stadlbauer, ist sich der Änderung der Spielregeln bewusst. „Wir haben kein Monopol mehr, sondern stehen in einem Wettbewerb mit anderen Betrieben. Das ist gut so. Aber wir müssen unser Verhalten verändern.“ Um sich Ideen zu holen, besucht er auch die Konkurrenz, zum Beispiel die Mensa am neu- en Campus der WU Wien. Diese wird von der Cateringfirma Eurest, die sonst hauptsächlich Betriebskantinen wie jene von Siemens bewirtschaftet, betrieben. Die Mensen Betriebsges.m.b.H., die die Mensa am alten WU-Gelände geführt hatte, wurde bei der Neuausschreibung von Eurest überboten und verlor den Standort. Dass Eurest sich angesichts der hohen Investitions- und Pachtkosten halten könne, bezweifelt Stadlbauer. Trotzdem zeigt sich daran exemplarisch, dass die Mensen Betriebsgesellschaft zunehmend in Bedrängnis gerät, auch finanziell. Noch können Studierende Menüs um circa fünf Euro erwerben und Wassertrinken ist bis jetzt noch gratis, was in der Gastronomie, die von den Einnahmen aus Getränken lebt, keine Selbstverständlichkeit ist. Ob das angesichts der geänderten Rahmenbedingungen so bleiben kann, ist fraglich.

Illustration eines Brokkolis. Illustration: Christina Uhl

Essfertig in 8 Min. Viele Studierende weichen der Mensa jetzt schon aus und nehmen den Kochlöffel selbst in die Hand, auch weil ihnen das Mensamenü zu teuer und zu minderwertig ist. Selbst, wenn es eine zusätzliche Ermäßigung von 80 Cent mit dem Mensapickerl der ÖH gibt.

Sarah Lea studiert seit sechs Semestern Humanmedizin an der Medizinischen Universität in Innsbruck, in der Mensa war sie jedoch noch nie. Sie kennt den stressigen Studienalltag, trotzdem bemüht sie sich, ihr Essen selber zu kochen. Das oft überdurchschnittlich hohe Fleischangebot an der Mensa kommt ihr als Vegetarierin nicht entgegen. „Bei mir gibt es fast jeden Tag Gemüse. Mal mit Kartoffeln, mal mit Reis. Natürlich gibt es auch mal Nudeln, wenn es schnell gehen muss.“ Auf Fertiggerichte möchte sie aber nicht zurückgreifen. Was bedeutet, dass sie oft erst am Abend den Seziertisch gegen den Herd eintauscht, um sich zumindest eine warme Mahl- zeit am Tag zu kochen. In besonders intensiven Lernphasen kocht sie dann auch gern einmal vor.

Untertags machen viele andere Studierende gerne mal einen Abstecher in den nächsten Supermarkt. Das Weckerl aus der Feinkostabteilung stellt eine wesentliche Ernährungsgrundlage für viele Studierende dar. Wenn es aber etwas Warmes sein soll, weichen viele auf Gastronomiebetriebe in der Umgebung ihrer Universität aus.

Bitte die Rechnung. Die 21-jährige Katrin, Lehramtsstudentin an der Karl-Franzens-Universität in Graz, war von ihrem einmaligen Besuch in der Mensa am Sonnenfelsplatz nicht enttäuscht, zieht aber die Bierbaron- Kette, mit ihren fünf Betrieben in der näheren Umgebung der KFU und der TU, vor. „Ich bin ein Riesenfan der ,Bausatzmampferei’: superlecker und supergünstig.“ „Bausätze“ werden in diesen Lokalen Basisprodukte, wie Ofenkartoffeln, Pizza oder Toast, die individuell mit zusätzlichen Zutaten bestellt werden, genannt. Die gibt es zum Preis von drei bis sieben Euro von elf Uhr vormittags bis ein Uhr nachts. Die Kombination aus niedrigen Preisen, großen Portionen, langen Küchenzeiten, günstigen Standorten und breiter Auswahl macht Betriebe wie den Bierbaron für Studierende attraktiv. Die Geschäftskonzepte sind rein auf Studierende ausgerichtet und werfen soviel ab, dass solche Betriebe häufig expandieren und nachgeahmt werden.

Diese Beliebtheit kann man sich auch mit Stadlbauers Beobachtung erklären, dass Studierende zunehmend darauf Wert legen, dass ihr Essen individuell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist. Daran soll sich auch die Mensen Betriebsges.m.b.H. zukünftig orientieren. „Im Vergleich zu früher fordern die Studierenden mehr Kreativität in der Essenszubereitung und wollen keine Kelle von irgendwas, das satt macht, mehr. Immer öfter wird gesundes, veganes, vegetarisches und frisch gekochtes Essen gewünscht.“ Auch die Mensen gehen deshalb zunehmend weg von der klassischen Großküchenmensa und entwickeln sich eher in Richtung Normalgastronomie. Bis jetzt ist das Vakuum, das die Mensen Betriebsgesellschaft hinterlässt, eben vor allem für diese Normalgastronomie lukrativ.

Illustration eines Schnellimbissbox, gefüllt mit Nudeln. Illustration: Christina Uhl

Heute: Curry mit Tofu! Auch auf Studierende ausgerichtet, aber dennoch ganz anders macht es das selbstverwaltete Studierendenkollektiv im Tüwi neben der Universität für Bodenkultur. Das Tüwi ist für viele Studierende eine willkommene Alternative zu der dortigen Mensa, unter BOKU-Student_innen bekannt als die „Baracken“. Das Essen dort soll laut Michi, Student und Koch im Tüwi, katastrophal sein, weshalb mittlerweile durchschnittlich 80 Portionen Essen pro Tag im Tüwi verkauft werden. Er und andere haben vor ein paar Jahren angefangen, vegetarisches und veganes Essen zu kochen, um es zu einem niedrigen Preis zu verkaufen. Michi hält die Auseinandersetzung mit dem eigenen Konsumverhalten für besonders wichtig: „Wo wird gespart? Beim Essen. Aber Hauptsache ein cooles Leiberl anhaben.“ Besonders, was den Fleischkonsum betrifft, würde er sich ein Umdenken bei den Studierenden wünschen: Die Nachfrage nach Fleischgerichten sei noch immer sehr hoch. Dass qualitativ hochwertiges Essen leistbar bleibt, ist ein Grundanliegen des Tüwi-Kollektivs. Es trifft damit den Nerv der Zeit. Vielen Studierenden fehlt nicht der Wille, sich gut, gesund und nachhaltig zu ernähren; das Problem sind vielmehr finanzielle und zeitliche Barrieren.

Bestpreis: Clever Leberaufstrich um 0,65 €. Laut Studierenden-Sozialerhebung von 2012 steigt die Erwerbstätigkeit, während jedoch das Budget der Studierenden real sinkt. Die Kürzungen der Familien- und der Studienbeihilfe, steigende Lebensmittel- und Mietpreise sowie die zunehmende Berufstätigkeit von Studierenden verlangen auch nach einer Reflexion darüber, wie und zu welchem Preis sich Studierende ernähren.

Was Studierende tatsächlich essen und wie es in Folge um ihre Gesundheit bestellt ist, liegt bisher aber völlig im Dunkeln, denn es fehlt an Daten. Der vierte österreichische Ernährungsbericht (OEB) wurde 2012 veröffentlicht und dokumentiert und analysiert das Ernährungsverhalten und die Konsumgewohnheiten der Österreicher_innen. Über die spezifische Situation von Studierenden und ihre Essgewohnheiten erfährt man im Bericht allerdings nichts: Alle 18- bis 65-Jährigen werden dort, ungeachtet ihrer völlig unterschiedlichen Lebensrealitäten, in einen Topf geworfen. Dass es gerade unter den Erwachsenen eklatante Unterschiede, vor allem auch finanzieller Art gibt, wird dabei übersehen.

 

Marlene Brüggemann studiert Philosophie an der Universität Wien.

Caffè Sospeso für Zeitungsverkäufer_innen

  • 25.06.2014, 13:42

Das Auschlössl-Café teilt seinen Standort mit dem Straßenmagazin Megaphon. Neben einer einladenden und offenen Atmosphäre legt das Lokal auch Wert auf biologische, faire und regionale Produkte.

Das Auschlössl-Café teilt seinen Standort mit dem Straßenmagazin Megaphon. Neben einer einladenden und offenen Atmosphäre legt das Lokal auch Wert auf biologische, faire und regionale Produkte.

Es ist ein warmer Frühlingstag und fast alle Tische auf der Terrasse des Auschlössl-Cafés sind besetzt. Zwei Mütter trinken ihren nachmittäglichen Latte Macchiato, während ihre Babys in den Kinderwägen schlummern. Einige Angestellte aus den umliegenden Büros kommen in ihrer Mittagspause vorbei, um sich mit einer Suppe, einem Eintopf oder Salat für die zweite Hälfte des Arbeitstages zu stärken. Ein altes Ehepaar besucht nach seinem Spaziergang im angrenzenden Augarten spontan das Café, um das Burgenländer Kipferl zu probieren. Daneben döst ein Hund im Gras.

Megaphon-Café. Auf den ersten Blick scheint das Auschlössl ein gewöhnliches Lokal zu sein. Menschen sitzen auf den schlichten braunen Holzsesseln der Terrasse, löffeln Suppe aus bunten Porzellanschüsseln oder trinken ein Bier. Auf der Bar stehen Gläser mit Keksen und kleine Kübel, aus denen Basilikum oder Melisse wachsen. Darüber hängt eine Stellage für Wein- und Saftflaschen. Doch wenn man an der Bar vorbei in den hinteren Teil des Gebäudes kommt, steht man plötzlich vor riesigen Stapeln des Megaphon-Magazins, weshalb das Auschlössl auch Megaphon-Café genannt wird.

Das Megaphon ist ein seit 1995 monatlich erscheinendes Grazer Straßenmagazin und gleichzeitig eine soziale Initiative der Caritas. Menschen ohne Arbeitsgenehmigung können hier eigenverantwortlich um 1,25€ pro Stück Zeitschriften kaufen und diese um 2,50€ auf der Straße weiterverkaufen. „Diese Arbeit soll ein Zwischenstopp zu einer Arbeitsgenehmigung sein“, erklärt Philipp Carstanjen, der als Zivildiener bei der Caritas arbeitet und für das Megaphon zuständig ist. „Im Schnitt dauert das aber acht bis elf Jahre.“ Aktuell gibt es etwa 400 Megaphon-Verkäufer_innen, 250 davon in Graz, der Rest in den ländlichen Gebieten der Steiermark und Kärntens. Dabei hat jede_r Verkäufer_in einen fix zugewiesenen Standort. Etwa 18.000 Exemplare werden monatlich produziert.

Caffè Sospeso. Im ersten Stock des Hauses befindet sich die Redaktion der Zeitschrift, im Nebengebäude findet der Vertrieb statt. Bevor das Auschlössl-Café um 9:00, an Sonn- und Feiertagen um 10:00 öffnet, kommen die Megaphon-Verkäufer_innen in das Lokal, um sich bei Philipp die Magazine abzuholen. Manchmal hat auch einer der Gäste einen sogenannten „Caffè Sospeso“ für die Verkäufer_innen hinterlassen, indem er einen Kaffee mehr gezahlt als getrunken hat.

„Das Café hat den Anspruch, sozial und multikulti zu sein“, erklärt die Teamleiterin Elisabeth Seifert. Auf der Terrasse steht eine etwa zwei Meter große Figur aus rotem Draht, die einen Menschen mit einem Megaphon in der Hand darstellt. Ein Zeitungsverkäufer hat sie selbst gefertigt. Im Café hängen Bilder von Künstler_innen, welche in der aktuellen Megaphon-Ausgabe vorgestellt werden. Dahinter gibt es einen Begegnungsraum, in dem unter anderem Deutschkurse, Film-, Tanz- und Musikabende stattfinden, finanziert durch freiwillige Spenden. Außerdem werden Workshops abgehalten, bei denen Verkäufer_innen ihre besonderen Kenntnisse vermitteln: Wie komme ich zu einer Arbeitsgenehmigung; wie bekomme ich eine Wohnung; wie kaufe ich sparsam ein – um solche Fragen geht es dabei beispielsweise.  

Lokal, regional, saisonal. Dem Team des Auschlössl-Cafés ist es auch besonders wichtig, lokale, regionale und saisonale Produkte anzubieten. „Es geht uns vor allem darum, die umliegenden Geschäfte einzubinden und dabei hohe Qualität zu sichern“, erklärt Philipp. Er ist ausgebildeter Koch und somit eine große Bereicherung für den Betrieb. Bei vielen Getränken und Speisen sind auf der Speisekarte die Produzent_innen angegeben. Brot und Gebäck wird von der benachbarten Bäckerei Kern bezogen. Feta, Oliven und andere mediterrane Produkte werden bei dem griechischen Laden Bakaliko am Grazer Lendplatz gekauft. „Der Besitzer Timo fährt selbst zu seinen Verwandten nach Kreta und holt dort die Sachen. Ich weiß also wirklich, wo sie herkommen“, meint Philipp.

Wenn möglich werden regionale Produkte für die Speisen und Getränke verwendet. Alkoholische Getränke kommen aus südsteirischen Weingütern oder Brennereien. Eine Spezialität ist der „Perlmut“ vom Gaumengut von Lorenz Kumpusch, ein Wermut-Frizzante-Getränk. Lorenz Kumpusch ist auch Küchenchef im Grazer Landhauskeller und Autor der vierteljährlich erscheinenden Megaphon-Kochbücher. Dort präsentieren Megaphon-Verkäufer_innen kulinarische Spezialitäten aus ihren Herkunftsländern.

Das Auschlössl-Café arbeitet auch mit der Grazer Caritas-Fachschule zusammen, welche die Kuchentheke des Lokals befüllt. Etwa 120 Schüler_innen besuchen diese Schule und kreieren in der Lehrküche Zitronentartes und andere Leckerbissen. Zusätzlich erhält das Auschlössl auch Kuchenspenden von ehrenamtlichen Mitarbeiter_innen der Caritas.

Atmosphäre vor Profit. Wenn die Produkte nicht aus der Umgebung kommen, wird vor allem auf Bio und Fair Trade geachtet, , beispielsweise bei Kaffee. Trotzdem ist ein Cappuccino mit 2,60€ verhältnismäßig billig. „Wir machen nicht wesentlich Profit, aber es geht sich am Monatsende immer gut aus. Wir möchten Bio und Fair zu annehmbaren Preisen anbieten. Profit ist nicht das Wichtigste“, meint Elisabeth Seifert. Etwa zehn Leute arbeiten im Moment Halb- oder Vollzeit im Auschlössl. Zu Stoßzeiten braucht es drei Leute, um die Gäste zu bedienen.

Spezialitäten des Lokals sind das Frühstücksangebot von orientalisch mit selbst gemachtem Hummus bis zu Schinkenbrot und Müsli und die wechselnden „Hotpot“-Suppen und -Eintöpfe, zubereitet nach der 5-Elemente-Küche. Viele der angebotenen kleinen Speisen sind vegan oder glutenfrei. Das zieht vor allem Student_innen an, aber das Publikum ist bunt gemischt. Elisabeth Seifert begrüßt das: „Das Publikum ist familiär und altersmäßig gemischt. Und wenn ein Kind nach dem Spielen im Augarten hereinkommt, bekommt es auch mal ein Croissant oder einen Toast umsonst.“

 

Margot Landl studiert Lehramt Deutsch und Geschichte sowie Politikwissenschaft an der Universität Wien.

 

Homepage Straßenzeitung „Megaphon“ http://www.megaphon.at/

Das Auschlössl auf Facebook: www.facebook.com/auschloessl

 

Ein Platz an der Sonnenfensterbank

  • 12.04.2014, 10:46

Wenn die Tage wieder länger werden, ist es höchste Zeit, den Frühling in die eigenen vier Wände zu holen – mit einem kleinen Paprikagärtchen auf der Fensterbank beispielsweise. Für die botanische Augen- und Gaumenfreude braucht es zum Starten nicht mehr als eine frische Paprika und etwas Erde.

Wenn die Tage wieder länger werden, ist es höchste Zeit, den Frühling in die eigenen vier Wände zu holen – mit einem kleinen Paprikagärtchen auf der Fensterbank beispielsweise. Für die botanische Augen- und Gaumenfreude braucht es zum Starten nicht mehr als eine frische Paprika und etwas Erde.

1. Die Paprika aufschneiden und die Samen herausnehmen.

 

Illustration: Ulrike Krawagna

2. Auf einem Blatt Küchenrolle gut verteilt auflegen und drei Tage lang trocknen lassen.

Illustration: Ulrike Krawagna

 

3. Um ihnen das Quellen zu erleichtern, die Samen mitsamt Küchenrolle auf einen Teller legen, mit ein wenig frisch aufgebrühtem Kamillentee begießen und zwei Tage lang einweichen.

 

Illustration: Ulrike Krawagna

4. In einen Joghurtbecher feuchte Anzuchterde füllen und leicht festdrücken. Mit einem Stift höchstens drei etwa 1 cm tiefe Löcher mit ausreichend Abstand zueinander hineinbohren, in jedes Loch einen Samen legen und mit wenig Erde bedecken. Die Erde gut befeuchten, ein Stück Frischhaltefolie über den Becher legen und mit einem Gummiband fixieren. Das Mini-Gewächshaus an einen warmen, hellen Ort stellen – eine sonnige Fensterbank über einem Heizkörper ist ideal.

Illustration: Ulrike Krawagna

 

5. Während der Keimphase die Erde immer wieder mittels einer Sprühflasche befeuchten; sie sollte ungefähr so nass sein wie ein ausgewrungener Schwamm. Damit sich kein Schimmel bildet, die Frischhaltefolie jeden Tag für ein paar Minuten abheben.

 

Illustration: Ulrike Krawagna

6. Wenn sich nach ungefähr einer bis zwei Wochen die ersten zarten Keimlinge gebildet haben, die Folie entfernen. Die frisch ausgekeimten Pflänzchen weiterhin mit ausreichend Feuchtigkeit, Wärme und Licht versorgen.

 

Illustration: Ulrike Krawagna

7. Wenn nach weiteren drei bis vier Wochen das zweite Blattpaar sprießt, werden die Setzlinge in Blumentöpfe übersiedelt: Mit einem Teelöffel Pflänzchen für Pflänzchen vorsichtig herausheben; dabei um die Wurzeln herum großzügig Erde mitnehmen, damit sie nicht verletzt werden. 

Illustration: Ulrike Krawagna

8. Jedes Pflänzchen in einen eigenen, mindestens 20 cm tiefen Topf setzen und auf eine Fensterbank mit sehr viel Sonne stellen. Paprika braucht zum Gedeihen viel Wasser und die Pflanze sollte daher idealerweise täglich besprüht werden. Wenn sie höher wird, kann man sie beispielsweise mit einem Holzstäbchen, einem Schaschlikspieß oder einem Essstäbchen stützen.

 

Illustration: Ulrike Krawagna

9. Sobald die erste Blüte erscheint und das so belohnte GärtnerInnenherz sich ausreichend darüber gefreut hat, muss die sogenannte Königsblüte mit den Fingern abgezwickt werden, damit die Pflanze nicht all ihre Energie in ihre Schönheit anstatt ins Paprikawachstum steckt. Außerdem ist fortan vermehrtes Gießen angesagt.

 

Illustration: Ulrike Krawagna

10. Nach ungefähr einem halben Jahr sollten sich die ersten Früchte gebildet haben. Wenn sie nach etwa einem Monat hart und knackig sind, sind die Paprika, die übrigens während der Fruchtreife gewöhnlich ihre Farbe verändern, erntebereit und können abgeschnitten oder abgedreht werden. Stolz sein, hineinbeißen und genießen.

 

Illustration: Ulrike Krawagna

11. Wer sich weiter gut um die Pflanze kümmert, sollte in den nächsten zwei bis drei Monaten mit weiteren Früchten belohnt werden.

 

Illustration: Ulrike Krawagna

Für die Besiedelung des kleinen Fensterbrettackers kommt eine ganze Fülle an essbaren Pflanzen infrage. Salat und Kräuter sind die Klassiker unter den Fensterbänklern, auch Radieschen, Tomaten und Bohnen gedeihen gut und die Blüten von Ringelblume, Veilchen und Stiefmütterchen schmecken nicht nur köstlich, sondern sind zudem auch noch besonders dekorativ.

Schönheitsideale

  • 26.12.2012, 14:09

Magersucht, Essbrechsucht und Esssucht sind allesamt Essstörungen und ernstzunehmende, psychische Krankheiten. Das Gewicht spielt dabei oft eine bedeutende Rolle. Für Menschen mit Essstörungen ist das Essen oder die Kontrolle darüber, eine Sucht, die seelische, körperliche und soziale Folgen hat.

Essstörungen

Magersucht, Essbrechsucht und Esssucht sind allesamt Essstörungen und ernstzunehmende, psychische Krankheiten. Das Gewicht  spielt dabei oft eine bedeutende Rolle. Für Menschen mit Essstörungen ist das Essen oder die Kontrolle darüber, eine Sucht, die  seelische, körperliche und soziale Folgen hat. Durch das ständige Bedürfnis, ihr Essverhalten zu vertuschen, sind Menschen mit Essstörungen oft sozial isoliert. Die Heilung von Essstörungen stellt sich als schwierig heraus. Anders als bei drogensüchtigen  Menschen kann man Menschen mit Esssucht oder Essbrechsucht das Essen nicht entziehen. Bei Essstörungen wird versucht, ein positives Verhältnis zum Essen und zum eigenen Gewicht zu schaffen, um das Essverhalten zu ändern. Mit 95 Prozent sind meistens  Frauen und Mädchen von Essstörungen betroffen. Doch die Zahl der Männer und Buben mit Essstörungen steigt.

Schönheitsideale

Der Körper ist heute stark in das Zentrum des gesellschaftlichen Bewusstseins gerückt. Wellness, Diäten und Fitnesstrainer_innen  boomen. Lisa Tomaschek-Habrina von sowhat, einem Beratungsund Therapiezentrum für Menschen mit Essstörungen, sieht darin aber nur eine oberflächliche Auseinandersetzung mit dem Körper. Wichtig ist, wie der Körper geformt werden kann, nicht aber, ob  man sich in diesem auch wohlfühlt. Vor allem von Frauen wird erwartet, einem einheitlichen gesellschaftlichen Schönheitsideal zu entsprechen. Der Einfluss der Medien und der Starwelt trägt gerade bei jungen Menschen zum Wunsch bei, das eigene Aussehen zu verändern. Die Anforderung, dass Frauen dünn sein müssen, um erfolgreich zu sein, bestimmt das Weiblichkeitsideal. Der ständige Drang, einem Bild zu entsprechen, das man aber nicht erfüllen kann, treibt die Zahl der Menschen, vor allem der Frauen, die an Essstörungen erkranken, in die Höhe.

Magersucht (Anorexia Nervosa)

Das Hauptmerkmal der Magersucht ist die extreme Gewichtsabnahme. Magersüchtige Personen versuchen durch zwanghafte Kontrolle der Nahrungsaufnahme ihr Gewicht zu senken. Obwohl Magersüchtige dünn sind, fühlen sie sich immer zu dick, essen weiterhin nur sehr wenig, kalorienarme Nahrung und missbrauchen Abführmittel, was zu extremem Gewichtsverlust führt. Körperliche Folgeschäden sind Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, Magen-Darm- Beschwerden, das Ausbleiben der Menstruation durch hormonelle Veränderungen, das Absinken des Stoffwechsels, des Pulses, des Blutdrucks und der Körpertemperatur. Aufgrund von Vitamin- und Mineralmangel entstehen Zahnschäden, Muskelschwäche und Veränderungen der Körperbehaarung. Seelische Folgen sind Stimmungsschwankungen, Angst, Depression und Zwangsverhalten. Fünf bis zehn Prozent der magersüchtigen Menschen sterben an ihrer Sucht. Damit haben Magersüchtige die höchste Sterblichkeitsrate aller psychiatrischen Störungen.

Ess-Brechsucht (Bulimia Nervosa)

Die Essbrechsucht ist ein Wechsel von Heißhunger anfällen und dem Erbrechen des kurz zuvor Gegessenen. Während der Anfälle stopfen essbrechsüchtige Menschen leicht essbare, kalorienreiche Nahrung in kurzer Zeit in sich hinein. Aus Angst vor einer Gewichtszunahme erbrechen sie alles wieder, bevor es verdaut wird. Durch das ständige Erbrechen wird der Zahnschmelz zerstört und die Speiseröhre verätzt. Durch mechanische Brechhilfen entstehen häufig Verletzungen. Außerdem kommt es zu Störungen des Mineralstoffhaushalts, die zu Haarausfall, Veränderungen der Haut, Zahnproblemen und gestörten menstruellen Zyklen führen  können. Essbrechsüchtige sind von Herzrhythmusstörungen betroffen. Da sich essbrechsüchtige oft wehrlos und depressiv fühlen, kann es zu Suizidgedanken und -versuchen kommen.

Esssucht (Binge Eating Disorder – BED)

Im Gegensatz zur Magersucht verwenden esssüchtige  Menschen Essen als psychisches Mittel, um sich zu belohnen, zu trösten oder zu beruhigen, was jedoch nur kurzfristig hilft. Das Essen von hochkalorischen Nahrungsmitteln in großen Mengen gerät dabei außer Kontrolle. Mit dem Essen aufhören können esssüchtige Menschen erst, wenn ein unangenehmes Völlegefühl eintritt. Essen ist zentrales Thema, doch Esssüchtige fühlen sich dem Essen ausgeliefert. In Folge der Esssucht nehmen Betroffene bis zu 30 Prozent ihres Normalgewichts zu. Überlastung des Herzens, des Kreislaufs und des Skeletts können zu Schlaganfall, Herzinfarkt,  Leberschäden, Diabetes, Gelenkleiden und Wirbelsäulenschäden führen. Esssüchtige fühlen sich schuldig und unbehaglichund  werden oft ängstlich und depressiv.

Körperbild- oder Körperwahrnehmungsstörung (Dysmorphophobie)

Die Dysmorphophobie bezeichnet die Angst davor, hässlich zu sein. Ein bis zwei Prozent der Bevölkerung sind davon betroffen. Merkmal von dysmorphen Menschen ist die krankhafte Unzufriedenheit mit dem eigenen Aussehen. Minimale Makel werden als extrem hässlich empfunden. Die Folge ist eine übermäßige Beschäftigung mit dem Körper und ständige Kontrolle des Aussehens. Ständig empfinden dysmorphe Menschen den Drang, ihren Körper zu verändern. Chirurgische Eingriffe bleiben oft die einzige Möglichkeit, das Gefühl der Zufriedenheit bleibt dennoch meist aus. In Gesellschaft fühlen sich dysmorphe Menschen extrem  unsicher und beobachtet, dies kann zur kompletten sozialen  Isolation führen. Angstzustände, Minderwertigkeitskomplexe, Selbstwertprobleme und depressive Verstimmungen gehen mit der Dysmorphophobie einher.

Quellenangabe: Sowhat – Professionelle, interdisziplinäre Unterstützung für Menschen, die von Essstörungen betroffen sind.

Sich selbst lieben lernen

  • 24.12.2012, 12:57

Die Energien fürs Schlankbleiben können Frauen für Sinnvolleres verwenden. Die ARGE Dicke Weiber erklärt im Interview, wie man als Dicke Diskriminierung begegnen kann.

Die Energien fürs Schlankbleiben können Frauen für Sinnvolleres verwenden. Die ARGE Dicke Weiber erklärt im Interview, wie man als Dicke Diskriminierung begegnen kann.

Dickendiskriminierung betrifft besonders Frauen. Einige dicke Frauen haben sich deshalb 2009 zur Arbeitsgemeinschaft Dicke Weiber zusammengeschlossen. Christine, Patricia, Bernadett und fünf weitere Frauen treffen sich seither jeden zweiten und vierten Freitag im Monat in der FZ-Bar (Frauenzentrum Wien), um Erfahrungen auszutauschen, sich selbst zu empowern und sich gesellschaftspolitisch zu positionieren. Sie sind links, feministisch, autonom. Sie setzen Aktionen wie ein Picknick am Antidiät-Tag, um zu zeigen, dass dicke Frauen sich nicht einschränken müssen, sondern alles dürfen, was sie machen wollen – auch in der Öffentlichkeit essen. Im Interview mit Martina Madner zeigen sie, wo man überall ansetzen muss, um das Bild von dicken Frauen zu verändern. Und dabei sind alle dicken Frauen herzlich willkommen.

progress: Es gibt Sängerinnen wie Beth Ditto von Gossip, Komikerinnen wie Hella von Sinnen oder Moderatorinnen wie Tine Wittler – sind dicke Frauen mittlerweile gesellschaftlich akzeptiert?

Patricia: Nein, sie sind in erster Linie Showfiguren. Sie erfüllen einen Zweck: Hella von Sinnen ist zum Beispiel die komische Figur. Sie ist lustig, man darf über sie Witze machen. Humor ist schon okay, aber: Man sollte sich selbst ernst nehmen, Frauen werden ohnehin viel zu oft lächerlich gemacht. Und Beth Ditto ist ein Showgirl, das auf der Bühne steht. Da ist viel erlaubt, teilweise ist es
sogar notwendig, zu überzeichnen, um Aufmerksamkeit zu erlangen.
Bernadett: Beth Ditto ist sicher eine Ausnahmeerscheinung. Sie macht vieles, was dicke Frauen und Mädchen sonst nicht können oder dürfen. Insofern hat sie eine Vorbildfunktion. Das ist ganz wichtig. Wenn junge Menschen keine Vorbilder haben, sehen sie weniger, was möglich ist.
Patricia: Dicke Frauen haben eingeschränkte Lebensbedingungen. Es wird ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass wir manches nicht machen können: Querstreifen oder Miniröcke tragen, baden gehen oder Sport betreiben. Wir sollen nichts machen, wo das Körperfett sichtbar ist oder zu sehr wackelt. Für das Selbstvertrauen ist es deshalb wichtig, zu sehen, dass ich alles darf.

Wie würdet ihr das Lebensgefühl als Dicke beschreiben?

Christine: Ich habe mich lange Zeit überhaupt nicht gemocht und als hässlich und unförmig empfunden. Das ist eine Phase, die sehr viele dicke Frauen haben. Da erzeugt jede Werbung oder Zeitschrift, die zeigt, du kannst schlank und schön sein, bei dicken Frauen das Gefühl, versagt zu haben, und es entsteht ein sehr negatives Körpergefühl. Jetzt bin ich darüber hinweg, akzeptiere mich, so wie ich bin. Nicht jede Frau kann Kleidergröße 36 haben, weil wir einen unterschiedlichen Körperbau und Stoffwechsel haben.
Bernadett: Ich bin nicht nur dicke Frau, sondern auch noch ganz viel anderes, deshalb ist das Dicksein alleine gar nicht so ausschlaggebend für mein Lebensgefühl.
Patricia: Der Frauenkörper wird generell gerne als Problemfeld gesehen: Dabei geht es nicht nur um Körperfett, sondern auch um die Behaarung, das Alter, alles, was mit dem Menstruationszyklus zusammenhängt. Man gewinnt den Eindruck, der Frauenkörper an sich ist abnorm. Bei dicken Frauen ist es nochmals sichtbarer. Ich habe mich sehr lange geschämt. Man versucht, sich vielen  Situationen nicht auszusetzen. Mit der ARGE Dicke Weiber wollen wir das verändern und gehen deshalb gemeinsam essen, baden oder tanzen, was dicke Frauen sonst alleine nicht machen.

Ihr beschreibt dick als dick – auch in der ARGE Dicke Weiber, warum?

Christine: Wir wollen „dick“ nicht umschreiben, sondern dem Wort seine negative Bedeutung nehmen. Dick ist ein Eigenschaftswort wie groß oder klein und als solches wollen wir es wieder gesellschaftsfähig machen.

Hohes Gewicht wird oft als Übergewicht bezeichnet, was bringt das mit sich?

Bernadett: Wir wehren uns gegen den Begriff Übergewicht, weil wer bestimmt, über welchem Gewicht wir nicht drüber sein dürfen? Wir ziehen deshalb keine Gewichtsgrenzen.
Christine: ÄrztInnen behandeln dicke Frauen schon alleine wegen ihres Gewichts wie Kranke. Oft wird gar nicht der Ursache der Gelenksschmerzen oder der Grippe nachgegangen. Man hört erst mal nur: „Nehmen Sie ab.“ So kommt es, dass manche gar nicht mehr zu ÄrztInnen gehen und das ist dann wirklich gefährlich. Wir wollen deshalb eine Liste mit dickenfreundlichen ÄrztInnen erstellen und freuen uns über jedes Mail, das uns dabei weiterhilft.
Patricia: Es ist auch schlichtweg falsch, vorzugaukeln, dass es nur ein normiertes Gewicht gibt, mit dem man krank oder gesund ist.

Kann Dicksein keine Krankheiten mit sich bringen?

Patricia: Gesundheit hat mit dem Gewicht nichts zu tun. Gesundheit hängt von ganz vielen Faktoren ab, in hohem Maße von Stress, schlechten Lebensbedingungen oder einfach auch von der Genetik. Krankheit trifft dicke genauso wie dünne Menschen.
Bernadett: Es wird uns vorgelogen, dass eine gesunde Ernährung auch gleichzeitig schlank macht. Diese Zusammenhänge werden oft von jenen hergestellt, die ästhetische Probleme mit Dicken haben und sich von Vorurteilen leiten lassen. Das gibt es auch bei MedizinerInnen und ForscherInnen.
Patricia: Forschung ist nicht neutral, sondern oft bezahlt. Man muss deshalb sehr genau schauen, wer von den Ergebnissen profitiert und ob mit Pillen oder Diäten Geschäft gemacht werden soll. Dabei gibt es längst Forschung zu „Health at every size“. ÄrztInnen könnten sich also von der Meinung, dick bedeutet krank zu sein, befreien. Stattdessen wächst der Bereich in der Medizin, der sich  rein mit Ästhetik beschäftigt, wie Schönheitsoperationen. Und das hat überhaupt nichts mehr mit Gesundheit zu tun.
                                                                                                                                                                                                                                     
Manche  meinen, alle wollen schlank sein, Dicke würden sich nur selbst belügen.

Christine: Nein, es wird uns suggeriert, dass alle schlank sein wollen müssen. Dicke werden als dumm, faul, unbeherrscht, ...
Bernadett: … dreckig und krank bezeichnet.

Christine: Gerade junge Frauen können deshalb oft gar nicht sagen, dass sie nicht schlank sein wollen.
Patricia: Solange man Diäten macht, heißt es: „Du bemühst dich.“ Sobald man aber offen sagt, ich bleibe so wie ich bin, merkt man, wie stark der Druck ist. Dann heißt es: „Du hast dich abgeschrieben, du lässt dich gehen, du schadest dir.“ Deshalb haben viele eine Hemmschwelle, zu uns in die Gruppe zu kommen, weil sie von anderen hören, dass sie sich aufgeben, wenn sie sich als dick  akzeptieren.
                                                                                                                                                                                                          
Wo macht sich Dickenfeindlichkeit besonders negativ bemerkbar?

Christine: In der Arbeitswelt werden vor allem junge, schlanke, schöne Frauen eingestellt – insbesondere dort, wo Frauen gesehen werden. Dicke Frauen dürfen in den Augen vieler Unternehmen offenbar nicht Repräsentantinnen sein.
Patricia: Auch im pädagogischen Bereich heißt es, dass dicke Frauen zum Beispiel als Kindergärtnerinnen keine guten Vorbilder sind.
Bernadett: An Dicken fehlt es auch im Gesundheitsbereich, es gibt keine dicken Trainerinnen.
Patricia: Ich habe mich früher mal als Kosmetikerin in einem Fitnesscenter beworben. Der Leiter hat mir gesagt, dass ich kein gutes Vorbild sei, weil ich nicht gesund sei. Auf meinen Einwand, dass ich ihm gerne meinen Gesundheitsstatus nachweise, hat er dann doch offen gesagt, dass es rein ums Optische gehe,  Gesundheit also nur ein Vorwand gewesen sein.

Disqualifizieren sich jene mit solchen Vorurteilen nicht selbst?

Christine: Leider ist diese Art von Vorurteilen gesellschaftlich anerkannt.
Patricia: Wir alle wachsen mit dieser  Ästhetik auf, bekommen vorgesagt, was gut aussieht und was nicht. Gerade, wenn man noch nicht gefestigt ist, sollte man sich beispielsweise Austria’s Next Topmodel nicht anschauen, weil es Ästhetik formt. Ich habe bemerkt, dass sich, wenn ich mir Bilder von starken, schönen, dicken Frauen ansehe, das, was ich schön finde, verändert. Vielfalt wird normal.
Bernadett: Es geht dabei auch um die Eigen- und Fremdsicht, die oft miteinander einhergehen. Deshalb versuchen wir das wieder voneinander zu trennen. Es ist wichtig, dass man sich selbst, wenn man in den Spiegel schaut, schön findet. Es geht nicht darum, sich von außen sagen zu lassen, dass man schön sei. Diese Bewertung „Du bist attraktiv oder nicht attraktiv“ steht anderen gar nicht zu.

Welchen Unterschied macht es, ob man dicke Frau oder dicker Mann ist?

Christine: Dicke Männer werden noch eher akzeptiert. Sie kommen zum Beispiel in Filmen öfter und auch mit attraktiven  Partnerinnen vor. Dicke Frauen dagegen sind oft dünne mit Fettanzug, sie sind eher Witzfiguren oder sie leiden unglaublich unter ihrem Gewicht.
Patricia: Im Bullen von Tölz sollte zum Beispiel die Kommissarin ausgetauscht werden, weil sie zugenommen hatte. Jung, erfolgreich, attraktiv und dick geht nicht zusammen. Auch in der Politik gibt es dicke Männer, aber kaum dicke Frauen.

Ändert sich das Schönheitsideal nicht laufend?

Patricia: Ja, aber es geht in Richtung Unisex und Einheitsmensch. Ich habe nicht den Eindruck, dass Vielfalt mehr Platz bekommt. PolitikerInnen sprechen immer öfter von Vielfalt, es gibt Gesetze gegen Diskriminierung.

Sorgt das für mehr Akzeptanz?

Christine: Ob sich PolitikerInnen gegen eine Art der Diskriminierung engagieren, hängt davon ab, wie modern oder schick die sogenannte Andersartigkeit ist.

Ist MigrantIn- oder Lesbischsein also cooler als Dicksein?

Patricia: Nicht für alle und es kommt darauf an, um wie viele MigrantInnen oder Lesben es sich handelt. (Lacht) Für eine einzelne  oder wenige setzt man sich ein. Aber Dicksein ist sicher nicht schick.
Christine: Witze bilden Gesellschaft sehr gut ab und zeigen den Unterschied: Witze über MigrantInnen oder Homosexualität sind in politisch reflektierten Kreisen verpönt, Witze über Dicke gelten aber durchaus als salonfähig.

Wo überschneiden sich Frauen- und Dickendiskriminierung?

Christine: Schlanke und dicke Frauen werden auf ihren Körper reduziert. Dickenfeindlichkeit wirkt sich also auch auf dünne aus,  weil diese oft in Panik leben, einmal dick zu werden. Und damit wird ein großer Teil der Energie ans Schlankbleiben gebunden, die Frauen für Sinnvolleres nutzen könnten.
Patricia: Dickendiskriminierung ist ein Teil des Schönheitsterrors, der betrifft alle, insofern ist es ein feministisches Thema. Bei der Diskriminierung durch Infrastruktur geht es auseinander: Wenn in U-Bahnstationen oder Cafés zu schmale Sessel ein normales Sitzen für Dicke verunmöglichen, schließt sie das speziell aus. Aber bei beidem gilt: Frau muss die Attraktivität und Lebenslust, die  in einer steckt, entdecken und sich lieben lernen. Ich bin das ja schon, ich muss es nur wissen.

Weitere Infos: argedickeweiber.wordpress.com

Martina Madner ist Journalistin und Moderatorin und hat Politik- und Kommunikationswissenschaft an der Uni Wien studiert.

Schmeckt oft besser als es aussieht

  • 13.07.2012, 18:18

Ganz alltäglich, beinahe alltäglich, dass wir es schon fast vergessen. Aber eben nur fast. Das Kochen verfolgt uns nicht nur im Fernsehen, auch unser knurrender Magen erinnert uns immer wieder daran: Es ist mal wieder Zeit zu kochen.

Ganz alltäglich, beinahe alltäglich, dass wir es schon fast vergessen. Aber eben nur fast. Das Kochen verfolgt uns nicht nur im Fernsehen, auch unser knurrender Magen erinnert uns immer wieder daran: Es ist mal wieder Zeit zu kochen.

Dem Hype rund ums Kochen ist eigentlich nicht zu entkommen. Von morgens bis abends laufen Kochshows auf so gut wie allen Sendern. So quatscht uns Jamie Oliver gleich von mehreren Kanälen zu, während er aus geschätzten 1.000 Zutaten ein Brathuhn macht, drei Kanäle weiter retten „die Kochprofis“ ein Restaurant vor dem Ruin und noch zwei Kanäle weiter kochen Amateur-Innen um den Wochensieg.
Das Kochen verfolgt uns also regelrecht. Auf Schritt und Tritt ist es hinter uns her und doch ist es dann etwas Neues, Ungewohntes wenn wir plötzlich auf uns alleine gestellt sind. In der eigenen Wohnung mit eigenen Utensilien. Denn dann fällt uns plötzlich auf, dass die Küche im Elternhaus besser ausgestattet, der Kühlschrank viel seltener leer und ganz generell die ganze Sache mit dem Kochen irgendwie einfacher war. Gab es doch immer eine Person, die gefragt werden konnte, wie das jetzt nochmal genau war mit dem Wasser und dem Reis.
Wer kennt das nicht? Nach einem langen Arbeitstag nach Hause zu kommen und im Kühlschrank herrscht gähnende Leere. Das nötige Geld, um jeden Tag auswärts zu essen oder am Abend gar etwas nachhause zu bestellen, fehlt leider auch.
Beginnt dann die Suche nach etwas Essbaren, kommen nicht selten die kreativsten Ideen auf. Zusammengemischt wird einfach was gerade da ist, mit der großen Hoffnung, dass es später auch noch schmeckt. Ja, so ist es, das typische Leben in einer Studi-Wohnung.