Erster Weltkrieg

„Ich habe ein Leben geführt, das ich nicht bereue“

  • 01.06.2015, 13:18

Maria Cäsar, 1920 im slowenischen Prevalje geboren, kam in der Nachkriegszeit nach Judenburg. Als die Repression zunahm, wurde die Antifaschistin im politischen Untergrund aktiv. In ihrem Haus in St. Peter bei Graz sprach sie mit progress über Widerstand, Haft und die FPÖ.

Maria Cäsar, 1920 im slowenischen Prevalje geboren, kam in der Nachkriegszeit nach Judenburg. Als die Repression zunahm, wurde die Antifaschistin im politischen Untergrund aktiv. In ihrem Haus in St. Peter bei Graz sprach sie mit progress über Widerstand, Haft und die FPÖ.

„Es hat einige Menschen gegeben, die Widerstand geleistet haben und dazu habe auch ich gehört“, erzählt die Zeitzeugin Maria Cäsar auf ihrem Balkon mitten im grünen St. Peter bei Graz. Am Weg durch ihr kleines Haus schaltet sie an diesem sonnigen Tag alle Lichter ein. „Erst in den 70er Jahren wurde aufgearbeitet, dass Österreicher_innen nicht Opfer des Nationalsozialismus, sondern auch Täter_innen waren.” Die 94-Jährige wirkt konzentriert, wenn sie über Politik diskutiert. Die Antifaschistin hat die Befreiung vom NS-Regime – den „Feiertag über den Faschismus“ wie sie ihn bezeichnet – miterlebt: „Wir waren froh, dass diese schreckliche Zeit endlich vorbei war, aber wie es weitergehen soll, wussten wir nicht.” Der Wiederaufbau sei nicht einfach gewesen. Hitler habe den ÖsterreicherInnen einen „blühenden Alpengarten“ versprochen. Geblieben sei „ein Trümmerfeld“, so Cäsar.

POLITISCHER UNTERGRUND. Maria Cäsar wurde am 13. September 1920 im slowenischen Prevalje in eine sozialistische Arbeiter_innenfamilie geboren. Nach dem Ersten Weltkrieg zog die Familie in das steirische Murtal nach Judenburg. Dort schloss sich der Vater dem republikanischen Schutzbund und Maria den Roten Falken an, weil sie „über die damalige Situation Bescheid gewusst haben“, erklärt die Kommunistin mit einer gewissen Selbstverständlichkeit. „Ich war ein aufgewecktes Kind. Mein Vater hat manchmal gesagt, dass an mir ein Bub verloren gegangen sei“, lächelt Maria Cäsar. Die Zwischenkriegszeit war von hoher Arbeitslosigkeit, Armut und Perspektivenlosigkeit geprägt. Die Menschen waren empfänglich für Propaganda. Repression spürte Maria Cäsar das erste Mal im Jahr 1933, als Parteien und Verbände verboten wurden. „Ich war damals jung, aufgeschlossen und kritisch. Ich hatte Fragen, die nicht beantwortet wurden.“ So erläutert die Widerstandskämpferin ihre Motivation für einen aussichtslos wirkenden Kampf. Die damals 14-Jährige wurde im Februar 1934 durch den Kommunistischen Jugendverband im politischen Untergrund aktiv und verteilte Flugblätter.

Gemeinsam mit 41 weiteren jungen AktivistInnen wurde Maria Cäsar von der Gestapo 1939 – ein Jahr nach dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland –  verhaftet. „Damals warst du entweder für oder gegen Hitler. Wenn du gegen Hitler warst, warst du ein Feind“, so die Antifaschistin. „Vorbereitung zum Hochverrat“ lautete die Anschuldigung. Die junge Frau verbrachte über ein Jahr im Landesgericht Graz in Untersuchungshaft. „Das Wichtigste, wenn du verhört wirst? Nicht zu reden“, weiß Maria Cäsar. Die Gestapo bot an, dass sie gegen die Preisgabe von Namen nach Hause gehen könne. Die junge Frau aber schwieg und kam dafür in den Kerker: „Dort habe ich am eigenen Leib gespürt, was der Nationalsozialismus wirklich bedeutet.“

FLUCHT NACH SLOWENIEN. Während ihrer Zeit als politisch Gefangene lernte Maria Cäsar ihren ersten Mann kennen. Die beiden heirateten nach ihrer Freilassung und Maria Cäsar gebar einen Sohn. 1943 fiel ihr Ehemann an der Front. Cäsar stellte in Folge Kontakt zu jugoslawischen Partisanen und Widerstandsgruppen in Judenburg her. Ein Jahr später wurden Mitglieder der Widerstandsgruppe verhaftet. Die junge Mutter fürchtete, dass die Gestapo auch nach ihr sucht und tauchte ohne ihr Kind bei slowenischen Verwandten unter: „Das war kein leichter Entschluss für mich, denn mein Sohn war gerade erst drei Jahre alt.“ Betroffen fügt sie hinzu: „Es war die einzige Entscheidung, um zu überleben.“ Ihre Mutter bekräftigte Maria darin, unterzutauchen. „Nachdem Hitler einmarschiert ist, ist ein Zug nach Dachau gefahren“, erzählt Cäsar leise. Dem Konzentrationslager sei sie damals nur entkommen, weil die Lager in Österreich noch nicht weit genug ausgebaut waren. Neben Mauthausen entstanden später zahlreiche Außenlager. „Die Tatsache, dass es solche Lager gibt, hat meinen Geist und meine Widerstandsfähigkeit so gestärkt, dass ich nie für den Nationalsozialismus gewesen bin. Jeder Mensch hat ein Recht auf Leben.“

Die Gefahr des Faschismus sei nach wie vor gegeben. „Viele Junge sagen, es gehört ein starker Mann her. Doch was wir wirklich brauchen, ist eine starke Demokratie“, mahnt Maria Cäsar. Dass die FPÖ wächst, sei kein Zufall, sondern liege an der prekären wirtschaftlichen Situation und dem Scheitern der Migrationspolitik. Das Sprichwort „wehret den Anfängen“ ist laut der Antifaschistin aktueller denn je.

EIN LEBEN LANG GEGEN FASCHISMUS. Nachdem Maria Cäsar 1950 als alleinerziehende Mutter nach Graz gezogen war, wurde sie bei der Kommunistischen Partei aktiv. Dort lernte sie ihren zweiten Mann kennen. Sie arbeitete bei der Roten Hilfe mit, war im KZ-Verband und in der Frauenbewegung aktiv. „Das zeichnet mein Leben aus“, so Cäsar. Die Zeitzeugin hat jungen Menschen jahrelang im Rahmen von Vorträgen ihre Geschichte erzählt, denn „die Zukunft muss man selbst gestalten und die Jugend ist die Voraussetzung für eine bessere Welt.“ Cäsar selbst hat sich verpflichtet, ihr Leben lang gegen den Faschismus aufzutreten: „Die Menschen, die damals ihr Leben gelassen haben, sind nicht umsonst gefallen“, zeigt sich die Antifaschistin überzeugt. Ein Freund, den Cäsar im Landesgericht Graz kennengelernt hatte, wurde hingerichtet. Hätte dieser ihren Namen preisgegeben, wäre Maria Cäsar 1944 im Konzentrationslager gelandet: „Mein Leben habe ich diesem Menschen zu verdanken und das halte ich hoch.“ Für ihr Engagement und ihren Einsatz wurde die Kommunistin mehrfach geehrt, das letzte Mal 2014 mit dem großen Ehrenzeichen des Landes Steiermark.

ZERFALL UND ZUKUNFT. Die politischen Entwicklungen des 20. jahrhunderts sieht Maria Cäsar pragmatisch. „Es gibt nun mal Enttäuschungen, aber das Rad der Gesellschaft dreht sich weiter, es bleibt nicht stehen.“ Die 94-Jährige glaubt nach wie vor fest daran, dass eine linke Bewegung für eine bessere Welt notwendig sei, denn im Kapitalismus könne es keine Gerechtigkeit geben, nur das Streben nach Profit. „Es gibt Arme und Reiche in der Gesellschaft“, so Cäsar. Umverteilung sei die Voraussetzung für ein Leben in der Zukunft. „Ich stehe zu dem, zu dem ich immer gestanden bin: zu einer gerechten und friedlichen Welt. Ich habe ein Leben geführt, das ich nicht bereue.“

 

Sara Noémie Plassnig studiert Journalismus und Public Relations an der FH JOANNEUM in Graz.

Der vergessene Weltkrieg

  • 12.04.2014, 10:50

100 Jahre sind seit dem Ersten Weltkrieg vergangen. 2014 wird von Medien und Regierungen als das Super-Gedenkjahr zelebriert. Eine letzte Chance, den Ersten Weltkrieg zu einem aktiven Teil der österreichischen Erinnerungskultur zu machen?

100 Jahre sind seit dem Ersten Weltkrieg vergangen. 2014 wird von Medien und Regierungen als das Super-Gedenkjahr zelebriert. Eine letzte Chance, den Ersten Weltkrieg zu einem aktiven Teil der österreichischen Erinnerungskultur zu machen?

Würde mensch dem Bild Glauben schenken, dass für Touristinnen und Schulklassen bei Sehenswürdig­keiten in Österreich vom Ersten Weltkrieg insze­niert wird, würde es sich bei dem ersten industriell geführten, europäischen Krieg um wenig mehr handeln als ein Stück kitschige Habsburger_innen-familiengeschichte: Die Ermordung des Thronfolger­paares erscheint als einzige Kausalität eines Krieges, in dessen Folge ein „geliebter" Kaiser stirbt und die romantisierte Monarchie untergeht. Die gesell­schaftlichen Umbrüche, die Gräuel und das Elend des Kriegs werden marginalisiert, höchstens wird noch auf die Geschichte von Soldaten an der Front verwiesen.

WAS BLEIBT? Dabei wäre ein vielschichtiger Um­gang mit dem Ersten Weltkrieg dringend notwendig: Schon seit Längerem wird er in der Geschichts­schreibung als „Urkatastrophe" des 20. Jahrhunderts angesehen. Entscheidungen und Fehler nach dem „Großen Krieg", der hinsichtlich Kriegsführung und seiner Auswirkungen für den europäischen Kontinent ein Einschitt war, haben sich direkt auf jene Ereignisse und Handlungen niedergeschlagen, die schließlich zum Zweiten Weltkrieg führten. Die österreichische Erinnerungskultur in Bezug auf letzteren ist zwar nicht weniger problematisch, aber dennoch deutlich präsenter. Im Gegensatz zum Zweiten Weltkrieg gab es nie einen Historiker_in-nenstreit oder eine Waldheimaffäre, die zu einer öffentliche (re)n Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg geführt hätten. Zusätzlich beschränkt der als „schmerzlich" erfahrene „Verlust" des ehemals großen Habsburger_innenreichs vielfach eine ad­äquate Erinnerungskultur.

Ein weiteres Problem ergibt sich aus dem Fehlen von Zeitzeug_innen. Menschen, die den Ersten Weltkrieg bewusst miterlebt haben, müssten heute weit über 100 Jahre alt sein. Weil niemand mehr von diesem Krieg erzählen kann, gibt es keine aktive Erinnerung, und Erfahrungen aus und Darstellungen über den Ersten Weltkrieg können nur noch aus zweiter Hand stammen. Ein Umstand, der in naher Zukunft auch auf den Zweiten Weltkrieg zutreffen wird.

WER GEDENKT? Junge Menschen verfügen oftmals nur noch über ein unzureichendes Faktenwissen über die Geschehnisse des Krieges, das nicht ausreicht, um ein wirkliches Verständnis für diese Zeit zu entwickeln. Dass der Erste Weltkrieg in der Generation der unter 25-Jährigen in Verges­senheit zu geraten droht, kann der Generalsekretär des Österreichischen Schwarzen Kreuzes, Alexander Barthou, bestätigen: „Wir haben festgestellt, dass die unmittelbare Erinnerung an die Generation, die im ersten Weltkrieg gekämpft hat, gerade bei jungen Leuten, nicht mehr da ist. Vater, Großvater - das ist alles schon eine andere Generation. Deshalb geraten der ganze Krieg und vor allem die Opfer immer mehr in Vergessenheit."

Das Innenministerium hat das Schwarze Kreuz in Österreich offiziell mit dem Gedenken der Opfer des Ersten Weltkriegs beauftragt. In diesem Rahmen werden, hauptsächlich von Ehrenamtlichen Gedenk­stätten, vor allem aber Soldatenfriedhöfe, sowohl in Österreich als auch solche österreichischer Solda­ten im Ausland betreut. Barthou sieht die Aufgabe des Schwarzen Kreuzes darin, „gefallenen Soldaten eine Identität zu geben, das Interesse an dem zu wecken, was passiert ist" und dadurch „Arbeit für den Frieden" zu leisten. Neben der unzureichenden finanziellen Unterstützung des Vereins ist dabei der fast ausschließliche Fokus auf soldatische Opfer und die stark militärische Konnotation, die der Verein trägt, auffällig.

Abseits von Soldatenfriedhöfen - auf denen aller­dings auch Krankenschwestern begraben sind - gibt es in Österreich kaum Denkmäler oder Ausstellun­gen, die ein permanentes Gedenken, vor allem über einen soldatischen Kontext hinaus, ermöglichen würden. Wenig bekannt ist die Tatsache, dass an die 30.000 Frauen im Ersten Weltkrieg, vor allem als Krankenschwestern, an und hinter der Front statio­niert waren. Ihre Erinnerungen wurden nach dem Krieg nicht beachtet. Lediglich im Heeresgeschicht­lichen Museum existiert eine Dauerausstellung zum Ersten Weltkriegs, die anläßlich des Gedenkjahres überarbeitet und neu präsentiert wird. Auch hier ist der soldatisch-militärische Kontext überreprä­sentiert, ein Umstand, der im Jahr 2013 durch die Ausstellung „Women at War", in der es um die Rolle von Frauen an der (Heimat-)Front ging, nur gering­fügig kompensiert wurde. Denn die Ausstellung war nur zeitlich begrenzt zu sehen, wies darüber hinaus eine Reihe von inhaltlichen Fehlern und sexistischen Darstellungen auf und wurde ausschließlich von Männern inszeniert bzw. betreut.

2014 - EIN WENDEPUNKT? Mit dem Gedenkjahr und dem damit generierten „öffentlichen Inter­esse" wurde nun aber auch eine Vielzahl neuerer Forschungen und Publikationen angestoßen, die erstmals auch lange vernachlässigten Forschungsge­bieten Aufmerksamkeit widmen. Christa Hämmerle, Historikerin an der Universität Wien, beschreibt in ihrem Buch „Heimat/Front", das im Februar im Böhlau Verlag erschienen ist, Perspektiven abseits einer auf Schlachten und Persönlichkeiten fokussier-ten Geschichtsschreibung und widmet den Fronter­fahrungen von Kriegskrankenschwestern ein ganzes Kapitel. Sonderausstellungen, die ab dem Frühjahr in Salzburg, Innsbruck, der Nationalbibliothek und der niederösterreichi­schen Landesausstellung auf der Schallaburg zu sehen sind, dürfen mit Spannung erwartet werden, versprechen sie doch teilweise „vollkommen neue Perspektiven auf die sogenannte Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts".

Das Außenministerium hat anlässlich des Gedenk­jahres ein Grundlagenpapier herausgegeben, an dem führende österreichische Wissenschaftler_innen mitgearbeitet haben und das auf der Website des Ministeriums als lesenswerter und kostenloser Über­blick aktueller Forschung und Geschichtsschreibung zum Thema eingesehen werden kann. Dass sich in Österreich zukünftig analog zu der hier forcierten vielschichtigen Darstellung des Ersten Weltkriegs eine aktivere Erinnerungskultur abseits des militäri­schen Kontextes etablieren kann, bleibt zu hoffen.

 

Magdalena Hangel studiert Germanistik, Geschich­te und Gender Studies an der Universität Wien und arbeitet zurzeit an ihrer Doktorinnenarbeit.

Buchtipp: Christa Hämmerle: Heimat/Front. Geschlechtergeschichte/n des Ersten Weltkriegs in Österreich Ungarn. Wien: Böhlau Verlag 2014

Webtipp: Reader Außenministerium: http://bit.ly/lme8u03.