Ernährung

Wer schön sein will, muss leiden

  • 10.07.2014, 13:06

Während sich Frauen daran abrackern, anerkannte Sportlerinnen zu werden, wird es für Männer immer schwieriger, selbstbewusste Sportmuffel zu sein. Auch sie geraten immer mehr unter Druck, Schönheitsidealen zu entsprechen.

Während sich Frauen daran abrackern, anerkannte Sportlerinnen zu werden, wird es für Männer immer schwieriger, selbstbewusste Sportmuffel zu sein. Auch sie geraten immer mehr unter Druck, Schönheitsidealen zu entsprechen.

Es ist Cristiano Ronaldo, der sich nach seinem Elfmetertor sein Trikotleiberl von Real Madrid über den Kopf zieht. Muskeln kommen darunter zum Vorschein. Ronaldo zeigt, wer hier das Sagen hat. Trotz seiner schwachen Performance im Finalspiel, ist er der König, nämlich Torschützenkönig der UEFA Champions League.

Goldener Sixpack. Ronaldo zeigt der Welt, wie ein „richtiger Mann“ auszusehen hat. Er repräsentiert, dass Männer mit breiten Schultern, Sixpack, Bizeps und Trizeps viel Geld machen und Erfolg haben können. Seine Botschaft: Seht her, dieser Körper ist Gold wert. Wenn ihr Männer da draußen nur wollt, könnt ihr so sein wie ich. Moritz Ablinger, Redakteur beim Fußballmagazin Ballesterer, ist überzeugt, dass sich der Fußballer David Beckham bereits um die Jahrtausendwende mit seinem sehr gepflegten und präsenten Körper extrem gut vermarktet hat. „Beckham wurde zum prägenden Fußballstar seiner Zeit und das, obwohl er kein großer Fußballer war.“ Ab diesem Zeitpunkt rückte ein durchtrainierter, modellierter Körper für Fußballspieler immer mehr ins Zentrum. Rosa Diketmüller, Professorin am Institut für Sportwissenschaften an der Uni Wien, beobachtet diese Entwicklung: „Es reicht nicht mehr, nur gut Fußball zu spielen, auch der Körper muss perfekt passen.“ Wer nicht gesund oder sportlich genug aussieht, dem hilft auch oft das Können nicht weiter.

Am Beispiel der Entwicklung des Fußballs lassen sich gesellschaftliche Umbrüche eindrücklich nachskizzieren. Der deutsche Männerforscher Klaus Theweleit behauptet sogar, wer den Fußball verfolgt, werde fast zeitgleich darüber informiert, wie sich die Gesellschaft verändert. Und die Geschichte des Fußballs scheint ihm retrospektiv Recht zu geben. Im Mittelalter war Fußball ein tagelanges, regelloses Spiel, das keine Unterscheidung zwischen Spieler_innen und Zuschauer_innen kannte. Mit der Industrialisierung verlor Fußball in England als Volkssport seine Bedeutung, fand seine neue Heimat in den Privatschulen und wurde dort kultiviert und diszipliniert. Eva Kreisky, emeritierte Professorin für Politikwissenschaften an der Uni Wien, sieht darin einen Bruch in der Rolle des Sportlers und Spielers. Von nun an ging es nicht mehr nur um spielerische Fähigkeiten, sondern auch um den Ethos des Spielers. Einen guten Spieler zeichneten ab diesem Zeitpunkt „Mut, Uneigennützigkeit, Fähigkeit zur Arbeit im Team und Härte gegen sich selbst“ aus.

Eiserner Wille. Angesichts der eisernen Disziplin, sich selbst und seinem Körper gegenüber, gewinnt das alte Sprichwort „Wer schön sein will, muss leiden“ wieder an Aktualität. Denn der Körper ist oft widerspenstig. Er ist nicht der erhoffte Verbündete im Wettkampf um die schönste Frau, den besten Job oder engsten Kumpel. Er sabotiert mit Bierbauch, Schwabbeloberarmen oder Hühnerbeinchen. Unzählige Fitness- und Gesundheitsratgeber sollen Männern helfen, ihren unfitten Körper zu überwinden. In dem heuer erschienenen Ratgeber „Sixpack in 66 Tagen“ gilt Selbstdisziplin als der Schlüssel zum Erfolg. Das Buch ist eines der Produkte des Muskeltrends. Autor Andreas Troger dokumentiert darin seinen Selbstversuch, sich innerhalb kurzer Zeit einen fitten, muskulösen Körper zuzulegen. Strikt werden Nahrung, Trainingsübungen und Erholungsphasen geplant und strukturiert. Der Sportwissenschaftler Werner Schwarz schreibt in „Sixpack in 66 Tagen“ zufrieden: „Als Experte stelle ich fest: Training gut geplant und ausgezeichnet umgesetzt; Ernährung optimal bilanziert und eingehalten; Zusatzernährung bedarfsgerecht auf Training, Zusatzbelastungen aus Beruf und Alltag sowie den Ernährungsplan abgestimmt.” Das klingt wie eine Analyse zur Wartung und Instandhaltung einer Maschine. Immer wieder wird betont, dass Troger eher ein Gelegenheitssportler sei, der gerne zum Fast Food greift und auch mal raucht und trinkt. Aber mit genügend Disziplin kann es selbst für den schlimmsten Sportmuffel noch ein glückliches Ende geben.

Der Körper wird zum sozialen Kapital, indem er wie ein Gegenstand behandelt und perfektioniert wird, um sich auf dem Markt als begehrte Ware verkaufen zu können. Unternehmen wie Coca Cola, Giorgio Armani oder Nike setzen in ihren Werbungen auf männerkörperbetonte Bilder, um ihre Produkte zu bewerben. Andere Firmen wie Red Bull setzen mit einem Extremsportprogramm weniger auf „Sex sells“, sondern auf Sport und Spannung. Die Sportler_ innen sollen den „Spirit“ der Marke vertreten. Und welcher Sport passt besser zum Slogan „Red Bull verleiht Flügel“ als Extremsport? Mit der Austragung von Sportevents erreicht Red Bull breite Medienpräsenz und schafft einen Wiedererkennungseffekt. Allein der Stratosphärensprung von Felix Baumgartner wurde von 200 Millionen Menschen weltweit mitverfolgt.

Im Gegenzug bekommen Sportler_innen Sponsor_ innenverträge. In medial sehr präsenten Sportarten, wie im Fußball, wird es daher für die Spieler zunehmend wichtig, sich als Marke zu etablieren. Laut Rosa Diketmüller setzen vor allem männliche Sportler ihre Körper gezielt für Marketingzwecke ein: „Ideale Kombinationen aus Bewegungsformen, die mit Geschlechterrollen und gesellschaftlichen Körperbildern übereinstimmen, sind gewinnbringend. Dass vor allem männliche Sportler viel mehr Geld bekommen, zeigt, wo das System verankert ist.“ Eva Kreisky hat in dem Sammelband „Arena der Männlichkeit. Über das Verhältnis von Fußball und Geschlecht“ gezeigt, dass Sport, und im besonderen Fußball, ein wichtiger Herrschaftsstabilisator ist, der Bilder von Männlichkeit herstellt und institutionalisiert.

Die Konstruktion unterschiedlicher Körperbilder der Geschlechter ist auch in den Medien nicht zu übersehen. Während Männer am Cover von Men’s Health mit Versprechen wie „Breite Brust + starker Bizeps in nur 28 Tagen!“ geködert werden, ist es die „Last minute zur Bikini-Figur“-Formel im Women’s Health-Magazin, die Frauen ansprechen soll. Die Coverfotos sind ebenfalls repräsentativ dafür, wie das jeweilige Ideal aussieht. Der Mann trägt ein enges T-Shirt, unter dem sich deutlich die breiten Schultern und die muskulösen Arme abzeichnen. Die Frau zeigt ihren nackten, flachen Bauch, der unter dem kurzen Top sichtbar wird. Die beiden Bilder illustrieren, dass zu einem sportlichen Männerkörper Muskeln gehören, während Frauen, die Sport betreiben, vor allem schlank, aber nicht durchtrainiert aussehen sollen.

In einer Gesellschaft, in der sich jede_r über Selfies oder Social Media präsentiert, wird das Aussehen immer zentraler. Die ständige Sorge um den eigenen Körper ist für Männer eine paradoxe Entwicklung. Auf der einen Seite werden Männlichkeitsideale über durchtrainierte Körper definiert, andererseits sind Männer Hohn ausgesetzt und werden als verweiblicht und verweichlicht empfunden, wenn sie sich zu sehr um ihr Äußeres bemühen. Nicht ohne Grund wird Cristiano Ronaldos intensives Verhältnis zu seinem Körper in der Sportgemeinschaft auch zur Projektionsfläche für spöttische Kommentare. So kursierte beispielsweise im Internet ein Bild von einem rosa Spielzeugbeautyset mit einem Emblem von Ronaldo darauf.

Muskelpaket statt Stangensellerie. Die Gender- und Männerforschung verortet in dieser Diskrepanz einen neuen, extremen Druck auf Burschen und Männer. Gerade im Sport müssen Burschen den Überlegenheitsimperativ, also zumindest nicht schlechter als ein Mädchen zu sein, erfüllen, aber sie müssen nun auch gut dabei aussehen. „Der Schönheitszwang, mit dem Frauen konfrontiert sind, kommt jetzt auf die Burschen massiv und schlagartig zu. Junge Burschen sind oft gut durchtrainiert, viele gehen in die Kraftkammer und nehmen Muskelpräparate, damit sie mithalten können. Ein Stangensellerie zu sein, das geht nicht mehr. Die Burschen zupfen, werken, inszenieren und formen den Körper. Was gut und schlecht ist.“ Diketmüller ist überzeugt, dass Burschen durch die sportliche Bewegung durchaus auch ihr Selbstwertgefühl steigern und ein positives Körpergefühl bekommen können.

Bei Mädchen und Frauen hingegen sieht es bei der Motivation, Sport zu betreiben, meist doch ein wenig anders aus. Die Scham, resultierend aus Diskriminierungen, wie Pfiffen, abfälligen Bemerkungen oder auch nur Blicken, drängt sie in Fitnessstudios und zu „Speck-weg“-Trainingsprogrammen. Denn oft üben Frauen Sport – vor allem im öffentlichen Raum – erst aus, wenn sie die gesellschaftlich anerkannte, schlanke Figur bereits haben. Wenn sich das „Speckweg“- Motiv jedoch nicht in einen lustvollen Umgang mit Sport umwandelt, gibt es wenig Chance auf eine längerfristige sportliche Betätigung. Diketmüller sieht darin kein Eigenverschulden: „Ob ich als Frau Fußball spiele oder nicht, ist gesellschaftlich bedingt. Ob man Sport betreibt und welchen, sollte aber nichts mit dem Geschlecht zu tun haben.“ Dass Frauenfußball in den USA viel populärer als Männerfußball ist, zeigt für Diketmüller, dass die Wahl der Sportart hauptsächlich damit zusammenhängt, was in einer Kultur als „Männersport“ oder „Frauensport“ präsentiert wird. Eine wichtige Rolle spielen auch dabei die Medien, und die assoziieren Sport klar mit Männern. Nur 10 bis 15 Prozent aller Personen, die im Sport medial sichtbar sind, sind Frauen. Und die sind meist besonders attraktiv. Diketmüller erinnert sich an die ehemalige russische Tennisspielerin Anna Kurnikowa, die mit ihrem Aussehen bei den Medien punktete. Sie sieht jedoch die Gefahr, dass es jene Frauen, die nicht dem Schönheitsideal entsprechen (wollen), dadurch schwerer haben, erfolgreich im Profi-Sport Karrieren zu machen, oder sie überhaupt aus gewissen Sportarten ausgeschlossen werden.

Um der Sexualisierung des Frauenkörpers im Sport entgegenzuwirken, kämpfen beispielsweise Volleyballer_ innen oder Tennisspieler_innen für längere Röcke, weitere Hosen und stoffreichere Tops. Denn in erster Linie soll der Sport zählen, nicht wie sexy die Sportlerin aussieht.

Marlene Brüggemann studiert Philosophie an der Universität Wien.

Ein Leben (fast) ohne Supermarkt

  • 10.06.2014, 16:04

Auf der Suche nach nachhaltigen und regionalen Lebensmitteln schließen sich immer mehr Menschen zu Foodcoops zusammen. progress hat sich angesehen, wie ein Leben fast ohne Supermarkt funktionieren kann.

Auf der Suche nach nachhaltigen und regionalen Lebensmitteln schließen sich immer mehr Menschen zu Foodcoops zusammen. progress hat sich angesehen, wie ein Leben fast ohne Supermarkt funktionieren kann.

Dienstagabend in einem Kellergeschoss im 15. Wiener Gemeindebezirk. In den Räumen des PerpetuuMobile 2.3 stapeln sich Kisten mit Gemüse, Getreide, Nudeln und Sojaprodukten. Dazwischen wuseln Menschen umher, vergleichen den Inhalt der Kisten mit Listen und wiegen Erdäpfel, Frühlingszwiebeln, Salat, Rüben und Pastinaken ab. Es ist Abholtag in der vegan food coop, einer von über 20 Foodcoops in Österreich. Gerade ist eine Lieferung eingetroffen, frisch vom Bauernhof.

„Ich hatte sehr lange Zeit eine Biokiste, aber ich wollte dann noch einen Schritt weiter gehen. Ich wollte wissen, wo mein Essen herkommt“, erzählt Christina. Sie studiert an der BOKU und ist seit anderthalb Jahren Mitglied der vegan food coop. Der Kontakt zu Produzent_innen ist ihr besonders wichtig: „Ich kann hier wirklich sehen und nachprüfen, wie meine Lebensmittel angebaut werden. Wir organisieren öfters Reisen zu Bauernhöfen und können uns anschauen, wie die wirtschaften.“

Genossenschaftlich organisiert. Foodcoops oder Lebensmittelkooperativen sind keine neue Erfindung. Schon im 19. Jahrhundert wurde in Großbritannien die erste Konsumgemeinschaft gegründet. Im Kontext der beginnenden Industrialisierung schlossen sich Arbeiter_innen zusammen, um der Abhängigkeit von Händler_innen, denen oft Betrug und der Verkauf minderwertiger Ware vorgeworfen wurden, zu entfliehen und organisierten den Einkauf ihrer Lebensmittel gemeinsam. Eine Foodcoop funktioniert im Prinzip genauso: Gemeinsam wird entschieden, was und wo eingekauft wird. Auch heute ist die Motivation vor allem das fehlende Vertrauen in die vorhandenen Strukturen wie Supermärkte oder Diskonter. „Für manche Dinge gehe ich schon noch in den Supermarkt, nicht alles kann ich über die Foodcoop besorgen. Aber immer öfters verlasse ich in den Supermarkt, ohne etwas gekauft zu haben, weil ich alles, was mir interessant erscheint, auch in der Foodcoop bekomme“, sagt Christina.

Nicht weit entfernt vom PerpetuuMobile 2.3, das sich die vegan food coop mit einer Siebdruckerei und diversen anderen linken Projekten teilt, hat eine der ältesten Foodcoops Wiens ihr Lokal. In den hellen Räumlichkeiten von D’Speis riecht es wie im Bioladen, neben Gemüse stehen hier auch Wein, Bier, Öl und Essig in den Regalen. Lange Bestelllisten hängen an der Wand, in verschiedenen Kühlschränken warten Milchprodukte, Tofu und Fleisch darauf, abgeholt zu werden. Samuel, der seit fast zwei Jahren bei D’Speis aktiv ist, hat auch davor schon Bio-Lebensmittel gekauft und ist dumpstern gegangen. „Für mich gab es mehrere Gründe, einer Foodcoop beizutreten: Einerseits natürlich die Qualität und der Preis der Lebensmittel. Andererseits ist eine Foodcoop auch ein politisches Statement. Wir sind nicht von Supermärkten oder Großhändler_innen abhängig, sondern bestimmen selbst, was wir wann einkaufen und unterstützen damit Kleinbäuer_innen.“ Dazu kommt für Samuel noch die soziale Komponente. Er grinst und erzählt: „Wenn ich mein Zeug in der Speis abhole, muss ich dafür immer mindestens eine Stunde einrechnen. Nicht, weil das Abholen so lange dauert, sondern weil ich hier Menschen treffe und mit ihnen plaudere.“ Dabei schätzt der Student es sehr, aus seinem gewohnten Umfeld herauszukommen und sich auch mal mit älteren Menschen auszutauschen.

Gemüsekisten in einer foodcoop

Unregelmässige Regelmässigkeit. In der vegan food coop wird es derweil ruhiger, der große Andrang ist vorbei. Jede Woche ist eine andere Person dafür zuständig, das Lokal aufzusperren, damit alle Mitglieder der Foodcoop ihre bestellten Lebensmittel abholen können. „In unregelmäßiger Regelmäßigkeit kann sich jede_r online für diesen Dienst eintragen“, erklärt Christina. Alle Aufgaben in der Foodcoop werden abwechselnd übernommen: Die Bestellungen werden online gesammelt und an die Produzent_innen übermittelt, neue Produzent_innen oder Produkte, die für die Foodcoop interessant sein könnten, werden gesucht und der Kontakt mit den Produzent_innen muss aufrecht erhalten werden. „Wir nennen das Produzent_innenrelationshipmanagement“, erklärt die Studentin. Bei welchen Bäuer_innen bestellt wird, entscheidet die Foodcoop basisdemokratisch im Plenum. Dort werden auch für eine rein vegane Gruppe heikle Diskussionen geführt. Etwa, ob sich Produkte wie Honig mit den Prinzipien der Foodcoop vereinen lassen. Diese Selbstbestimmung kostet Zeit und Engagement. Christina wird nachdenklich, als sie erklärt, dass Foodcoops nicht für jede_n das Richtige seien: „In den Supermarkt zu gehen, ist bequem, in der Foodcoop musst du die Arbeit der Kassiererin selbst übernehmen und den Preis deiner Bestellung auf einem Kontoblatt ausrechnen. Wer in einer Foodcoop einkaufen will, muss bereit sein, Aufgaben zu übernehmen.“

Basisdemokratie für Anfänger_innen. Bei D’Speis, die ungefähr 70 Mitglieder zählt, überlegt man sich, wie damit umgegangen werden kann, wenn nicht alle, die von der Foodcoop profitieren, auch Aufgaben übernehmen: „Grundsätzlich ist unser Motto, dass sich alle entsprechend ihrer Fähigkeiten einbringen sollen, aber leider gibt es schon aktivere und weniger aktive Leute. Für Neulinge wollen wir ein Buddy-System einführen, damit sie anfangs von erfahrenen Mitgliedern lernen, wie die einzelnen Arbeitsschritte in der Foodcoop erledigt werden“, erzählt Samuel. Die Foodcoop versucht auch, gezielt Menschen aus der Nachbarschaft anzusprechen und einzubinden. So beteiligen sich neben Studierenden auch einige ältere Menschen, vor allem Frauen – trotz Hürden, wie Samuel berichtet: „Das ist schwierig, weil unsere Organisationsform auf den ersten Blick chaotisch wirkt. Viele erleben bei uns zum ersten Mal ein basisdemokratisches Plenum und müssen sich erst mit dieser Art der Entscheidungsfindung anfreunden.“ Das monatliche Plenum von D’Speis läuft aber gut, auch wenn es schon mal voll werden oder lange dauern kann. Große ideologische Fragen werden auf Klausuren geklärt und verschiedene Arbeitskreise entlasten das Plenum bei alltäglichen Arbeiten. 

Beim Salzkörndl gibt es noch keine Probleme mit untätigen Mitgliedern. Die Foodcoop hat sich im letzten Sommer in Salzburg gegründet und besteht derzeit aus 35 bis 40 Leuten, vor allem Studierenden. Luisa ist eine von ihnen, sie kannte das Prinzip der Foodcoops von Freund_innen aus Berlin. „Aus meinem erweiterten Freundeskreis erfuhr ich, dass geplant war, in Salzburg eine Foodcoop zu gründen. Ich war also von Anfang an dabei. Die Gründung war ein langer Prozess, schon die Namensfindung war nicht so leicht, und dann mussten wir auch noch ein Lokal finden.“ Die junge Foodcoop trifft sich alle zwei Wochen und versucht gemeinsam, neue Lieferant_innen zu finden, um das Produktsortiment zu erweitern. Dieses besteht derzeit aus Gemüse, Eiern, Milchprodukten, Brot, Getreide und Hülsenfrüchten, die alle regional und biologisch angebaut werden. „Nicht alle Produzent_innen haben das Bio-Siegel, auch wenn sie nach diesen Kriterien anbauen. Wir schauen uns die Betriebe genau an und wenn wir ihnen vertrauen, müssen die Lebensmittel nicht zertifiziert sein. Persönlicher Kontakt ist dafür natürlich eine Voraussetzung“, erzählt Luisa. Neben den regionalen Produkten gibt es bei Salzkörndl auch Fairtrade-Kaffee und Selbstgemachtes: „Jede Woche macht eine andere Person von uns einen Aufstrich, der dann gegen freie Spende mitgenommen werden kann. Manchmal organisieren wir auch BrotbackWorkshops.“

Wenn Samuel und Christina von den nicht-regionalen Lebensmitteln erzählen, die die Wiener Foodcoops gemeinsam bestellen, klingen sie beinahe so, als hätten sie ein schlechtes Gewissen. Neben Kaffee von linken Genossenschaften aus Südamerika gibt es Zitrusfrüchte und Avocados aus Italien. „Unsere Lebensmittel sind regional, mit Ausnahmen, wo es nicht anders geht. Zusätzlich versuchen wir, unsere Sachen möglichst unverpackt oder mit Pfandsystemen zu bekommen“, erklärt Samuel die Kriterien von D’Speis. Neben den Avocados und Zitronen bestellen die gut vernetzten Wiener Foodcoops auch andere Lebensmittel gemeinsam, zum Beispiel Nudeln, Hülsenfrüchte oder Getreide. Um Letzteres selbst weiterverarbeiten zu können, besitzt D’Speis eine Getreidemühle und eine Haferflockenpresse, die von allen Mitgliedern der Lebensmittelkooperative benutzt werden kann. Eine kooperativenübergreifende Brotbackgruppe bäckt mit dem selbst gemahlenen Mehl. „Es gibt auch eine Tofugruppe, die für alle Wiener Foodcoops Tofu produziert“, erzählt Samuel begeistert und beginnt zu träumen: „In Zukunft wäre es toll, auch eigene Felder oder Gärten in der Umgebung zu haben und Foodcoops mit der Ernte zu beliefern.“ So könnte nach und nach eine kleine Wirtschaft nach den Vorstellungen der Lebensmittelkooperativen entstehen: solidarisch, regional, nachhaltig und selbstverwaltet.

Grenzen des Wachstums. Eine andere alternative Form der Lebensmittelbeschaffung ist Community Supported Agriculture (CSA), das wie eine Art Crowdfunding für Landwirt_innen funktioniert: Bereits vor dem Anbau wird gemeinsam entschieden, was angebaut wird. Durch zugesicherte Abnahmemengen können die Bäuer_innen besser planen und sind finanziell abgesichert. „Foodcoops und CSA gehen Hand in Hand“, erklärt Christina: „Die vegan food coop ist auch eine Abholstelle für einen CSA-Hof. Die Foodcoop selbst hat aber keine Anteile und kein Mitbestimmungsrecht.“

Foodcoops werden zunehmend zu einer Konkurrenz für (Bio-)Supermärkte, denn viele von ihnen wachsen stetig. Auch das Salzkörndl will größer werden: „In Zukunft wollen wir bis zu 60 Mitglieder haben. Alles darüber ist zu groß“, so Luisa. Bei D’Speis hat man diese Erfahrung schon gemacht. Samuel berichtet von einer freundschaftlichen Abspaltung: „Als wir zu viele wurden, haben einige von uns eine neue Foodcoop gegründet. Sie konnten dabei von unseren Erfahrungen profitieren. Das ist das Ziel: viele kleine Foodcoops, in jedem Grätzel eine!“

 

Joël Adami studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien.

Webtipp: Verzeichnis aller österreichischen Foodcoops: foodcoops.at

 

Caffè Sospeso für Zeitungsverkäufer_innen

  • 25.06.2014, 13:42

Das Auschlössl-Café teilt seinen Standort mit dem Straßenmagazin Megaphon. Neben einer einladenden und offenen Atmosphäre legt das Lokal auch Wert auf biologische, faire und regionale Produkte.

Das Auschlössl-Café teilt seinen Standort mit dem Straßenmagazin Megaphon. Neben einer einladenden und offenen Atmosphäre legt das Lokal auch Wert auf biologische, faire und regionale Produkte.

Es ist ein warmer Frühlingstag und fast alle Tische auf der Terrasse des Auschlössl-Cafés sind besetzt. Zwei Mütter trinken ihren nachmittäglichen Latte Macchiato, während ihre Babys in den Kinderwägen schlummern. Einige Angestellte aus den umliegenden Büros kommen in ihrer Mittagspause vorbei, um sich mit einer Suppe, einem Eintopf oder Salat für die zweite Hälfte des Arbeitstages zu stärken. Ein altes Ehepaar besucht nach seinem Spaziergang im angrenzenden Augarten spontan das Café, um das Burgenländer Kipferl zu probieren. Daneben döst ein Hund im Gras.

Megaphon-Café. Auf den ersten Blick scheint das Auschlössl ein gewöhnliches Lokal zu sein. Menschen sitzen auf den schlichten braunen Holzsesseln der Terrasse, löffeln Suppe aus bunten Porzellanschüsseln oder trinken ein Bier. Auf der Bar stehen Gläser mit Keksen und kleine Kübel, aus denen Basilikum oder Melisse wachsen. Darüber hängt eine Stellage für Wein- und Saftflaschen. Doch wenn man an der Bar vorbei in den hinteren Teil des Gebäudes kommt, steht man plötzlich vor riesigen Stapeln des Megaphon-Magazins, weshalb das Auschlössl auch Megaphon-Café genannt wird.

Das Megaphon ist ein seit 1995 monatlich erscheinendes Grazer Straßenmagazin und gleichzeitig eine soziale Initiative der Caritas. Menschen ohne Arbeitsgenehmigung können hier eigenverantwortlich um 1,25€ pro Stück Zeitschriften kaufen und diese um 2,50€ auf der Straße weiterverkaufen. „Diese Arbeit soll ein Zwischenstopp zu einer Arbeitsgenehmigung sein“, erklärt Philipp Carstanjen, der als Zivildiener bei der Caritas arbeitet und für das Megaphon zuständig ist. „Im Schnitt dauert das aber acht bis elf Jahre.“ Aktuell gibt es etwa 400 Megaphon-Verkäufer_innen, 250 davon in Graz, der Rest in den ländlichen Gebieten der Steiermark und Kärntens. Dabei hat jede_r Verkäufer_in einen fix zugewiesenen Standort. Etwa 18.000 Exemplare werden monatlich produziert.

Caffè Sospeso. Im ersten Stock des Hauses befindet sich die Redaktion der Zeitschrift, im Nebengebäude findet der Vertrieb statt. Bevor das Auschlössl-Café um 9:00, an Sonn- und Feiertagen um 10:00 öffnet, kommen die Megaphon-Verkäufer_innen in das Lokal, um sich bei Philipp die Magazine abzuholen. Manchmal hat auch einer der Gäste einen sogenannten „Caffè Sospeso“ für die Verkäufer_innen hinterlassen, indem er einen Kaffee mehr gezahlt als getrunken hat.

„Das Café hat den Anspruch, sozial und multikulti zu sein“, erklärt die Teamleiterin Elisabeth Seifert. Auf der Terrasse steht eine etwa zwei Meter große Figur aus rotem Draht, die einen Menschen mit einem Megaphon in der Hand darstellt. Ein Zeitungsverkäufer hat sie selbst gefertigt. Im Café hängen Bilder von Künstler_innen, welche in der aktuellen Megaphon-Ausgabe vorgestellt werden. Dahinter gibt es einen Begegnungsraum, in dem unter anderem Deutschkurse, Film-, Tanz- und Musikabende stattfinden, finanziert durch freiwillige Spenden. Außerdem werden Workshops abgehalten, bei denen Verkäufer_innen ihre besonderen Kenntnisse vermitteln: Wie komme ich zu einer Arbeitsgenehmigung; wie bekomme ich eine Wohnung; wie kaufe ich sparsam ein – um solche Fragen geht es dabei beispielsweise.  

Lokal, regional, saisonal. Dem Team des Auschlössl-Cafés ist es auch besonders wichtig, lokale, regionale und saisonale Produkte anzubieten. „Es geht uns vor allem darum, die umliegenden Geschäfte einzubinden und dabei hohe Qualität zu sichern“, erklärt Philipp. Er ist ausgebildeter Koch und somit eine große Bereicherung für den Betrieb. Bei vielen Getränken und Speisen sind auf der Speisekarte die Produzent_innen angegeben. Brot und Gebäck wird von der benachbarten Bäckerei Kern bezogen. Feta, Oliven und andere mediterrane Produkte werden bei dem griechischen Laden Bakaliko am Grazer Lendplatz gekauft. „Der Besitzer Timo fährt selbst zu seinen Verwandten nach Kreta und holt dort die Sachen. Ich weiß also wirklich, wo sie herkommen“, meint Philipp.

Wenn möglich werden regionale Produkte für die Speisen und Getränke verwendet. Alkoholische Getränke kommen aus südsteirischen Weingütern oder Brennereien. Eine Spezialität ist der „Perlmut“ vom Gaumengut von Lorenz Kumpusch, ein Wermut-Frizzante-Getränk. Lorenz Kumpusch ist auch Küchenchef im Grazer Landhauskeller und Autor der vierteljährlich erscheinenden Megaphon-Kochbücher. Dort präsentieren Megaphon-Verkäufer_innen kulinarische Spezialitäten aus ihren Herkunftsländern.

Das Auschlössl-Café arbeitet auch mit der Grazer Caritas-Fachschule zusammen, welche die Kuchentheke des Lokals befüllt. Etwa 120 Schüler_innen besuchen diese Schule und kreieren in der Lehrküche Zitronentartes und andere Leckerbissen. Zusätzlich erhält das Auschlössl auch Kuchenspenden von ehrenamtlichen Mitarbeiter_innen der Caritas.

Atmosphäre vor Profit. Wenn die Produkte nicht aus der Umgebung kommen, wird vor allem auf Bio und Fair Trade geachtet, , beispielsweise bei Kaffee. Trotzdem ist ein Cappuccino mit 2,60€ verhältnismäßig billig. „Wir machen nicht wesentlich Profit, aber es geht sich am Monatsende immer gut aus. Wir möchten Bio und Fair zu annehmbaren Preisen anbieten. Profit ist nicht das Wichtigste“, meint Elisabeth Seifert. Etwa zehn Leute arbeiten im Moment Halb- oder Vollzeit im Auschlössl. Zu Stoßzeiten braucht es drei Leute, um die Gäste zu bedienen.

Spezialitäten des Lokals sind das Frühstücksangebot von orientalisch mit selbst gemachtem Hummus bis zu Schinkenbrot und Müsli und die wechselnden „Hotpot“-Suppen und -Eintöpfe, zubereitet nach der 5-Elemente-Küche. Viele der angebotenen kleinen Speisen sind vegan oder glutenfrei. Das zieht vor allem Student_innen an, aber das Publikum ist bunt gemischt. Elisabeth Seifert begrüßt das: „Das Publikum ist familiär und altersmäßig gemischt. Und wenn ein Kind nach dem Spielen im Augarten hereinkommt, bekommt es auch mal ein Croissant oder einen Toast umsonst.“

 

Margot Landl studiert Lehramt Deutsch und Geschichte sowie Politikwissenschaft an der Universität Wien.

 

Homepage Straßenzeitung „Megaphon“ http://www.megaphon.at/

Das Auschlössl auf Facebook: www.facebook.com/auschloessl