Erasmus

Austria, zero points

  • 11.05.2015, 08:00

Undurchschaubare Vergabe, Probleme bei der Anrechnung, gesunkene Mobilität und imaginäre Workloads – die Bologna-Reform hat versagt. Mitschuld sind die ECTS-Punkte.

Undurchschaubare Vergabe, Probleme bei der Anrechnung, gesunkene Mobilität und imaginäre Workloads – die Bologna-Reform hat versagt. Mitschuld sind die ECTS-Punkte. 

„Wie viele ECTS hast du dieses Semester gemacht?“ Diese Frage ist zu einem fixen Bestandteil studentischen Smalltalks avanciert. Je nach Antwort kann ein wohliges Gefühl der Wärme und Selbstzufriedenheit oder aber abgrundtiefe Scham aufkommen. Das „European Credit Transfer and Accumulation System“, besser bekannt als ECTS, weist jedem Lernziel eine bestimmte Anzahl an Credits zu. Es soll sicherstellen, dass die Leistungen von Studierenden an Hochschulen des europäischen Hochschulraums vergleichbar sind.

Offiziell steht ein ECTS-Punkt – zumindest in Österreich – für etwa 25 Stunden Arbeit. Doch wie viele Stunden braucht es, um die einzigartige Ästhetik der Werke Frida Kahlos gebührend zu erfassen? Wann hat man die kritische Theorie und das Wirken der Frankfurter Schule tatsächlich begriffen? Und wie viel Zeit verstreicht, bis das physikalische Phänomen der Zeitdehnung wirklich durchschaut ist? Unmöglich, das allgemein zu definieren? Tja. Über solche Widersprüche setzt sich das ECTS-System hinweg: Wichtig ist es zu zählen, zu messen und zu vergleichen.

Etwa 9.000 Credits vor unserer Zeit, also im Europa des Jahres 1989, wurde die Einführung des ECTS
im Rahmen eines EU-Projektes erstmals erprobt. Die Semesterwochenstunden, die nur die Dauer der Lehrveranstaltung gemessen haben, waren damit Geschichte. ECTS-Punkte sollten von nun an – zumindest in der Theorie – den tatsächlichen Arbeitsaufwand der Studierenden messen. Nicht nur das Sitzen in der Vorlesung oder im Seminar ist also relevant, auch Selbststudium, die Vorbereitung von Referaten und das Büffeln für die Prüfung werden so angeblich eingerechnet.

NOTHING COMPARES TO YOU. In der Praxis bestimmen die Curricularkommissionen über die korrekte Anzahl der ECTS-Punkte – im Idealfall in enger Abstimmung mit den verantwortlichen Lehrenden und den betroffenen Studierenden. Mathias, der lieber anonym bleiben möchte, ist Teil einer solchen Kommission und erzählt, dass es mit den Punkten oft nicht so genau genommen wird: „Als unser Studienplan überarbeitet wurde, wollten natürlich möglichst viele Institute in den Pflichtlehrveranstaltungen vertreten sein. Da geht es dann oft auch um finanzielle Überlegungen. Damit sich die eine Vorlesung für das eine Institut noch ausging, hat man bei der anderen Lehrveranstaltung halt noch einen ECTS-Punkt abgezwackt. Das Arbeitspensum für die Studierenden blieb aber bei der gekürzten Lehrveranstaltung im Endeffekt gleich. Dem Lehrenden war es wurscht. Der wollte einfach sein Programm durchziehen.“

Im Universitätsgesetz ist festgelegt, dass das Arbeitspensum eines Studienjahres 1.500 Stunden betragen muss. Umgerechnet sollen Studierende also etwa sechs Stunden pro Arbeitstag für das Studium aufwenden, um in Mindeststudiendauer abzuschließen – auch in der vorlesungsfreien Zeit. Diesem jährlichen Idealpensum, das für berufstätige Studierende ohnehin illusorisch ist, werden 60 ECTS-Punkte zugeteilt. Dass 25 Arbeitsstunden für einen Punkt aufgebracht werden müssen, ist aber nicht überall so. Obwohl das System der internationalen Vergleichbarkeit dienen soll, müssen Studierende für den Erwerb eines Leistungspunktes in den 49 Bologna-Staaten unterschiedlich viele Stunden aufwenden. In Deutschland sind es beispielsweise 30 Stunden, in Portugal oder Dänemark 28 Stunden, in Finnland 27 Stunden, in Estland 26 Stunden und in Österreich oder Spanien nur 25 Stunden. Für ein gleichwertiges Bachelorstudium mit 180 ECTS-Punkten müssen Studierende in Österreich also rein formell 900 Stunden weniger aufbringen als Studierende in Deutschland.

(c) Natali Glišić

Doch selbst innerhalb Österreichs gibt es trotz formaler Gleichrangigkeit erhebliche Unterschiede in der durchschnittlichen Studiendauer. So brauchen Studierende der Lebensmittel- und Biotechnologie an der Universität für Bodenkultur (BOKU) durchschnittlich 8,3 Semester bis zum Bachelorabschluss, Studierende der Medien- und Kommunikationswissenschaften an der Universität Klagenfurt durchschnittlich 6,1 Semester. Beide Studien werden mit 180 ECTS – also dem selben Zeitaufwand – bewertet. Ein solch eklatanter Unterschied dürfte in der streng genormten ECTS- Welt gar nicht auftreten. Tatsächlich bestehen jedoch zwischen den kalkulierten Zeiteinheiten und den real aufgewendeten Zeiten erhebliche Unterschiede.

Ein einigermaßen absurdes Beispiel liefert die interuniversitäre Wiener Ringvorlesung „Sustainability Challenge“ im aktuellen Sommersemester 2015. Während Studierende der Wirtschaftsuniversität, der Technischen Universität und BOKU nach erfolgreichem Bestehen vier ECTS-Punkte erhalten, dürfen sich Studierende der Universität Wien bei gleichen Anforderungen über zehn Punkte freuen. Der ungerechtfertigte Unterschied entspricht einem Zeitraum, in dem man sich zweimal hintereinander alle 208 Folgen „How I Met Your Mother“ oder dreizehnmal alle extended Versions der „Herr der Ringe“-Trilogie reinziehen kann.

Beispiele für eine nicht nachvollziehbare Zuteilung von ECTS-Punkten gibt es viele: So berichtet Andreas Thaler, dass er für eine Vorlesung mit drei Punkten insgesamt überhaupt nur eine Stunde aufgewendet habe. Janine, die ihren vollen Namen lieber nicht nennen möchte, beschwert sich, dass ihr für eine Übung mit verpflichtenden Präsenzterminen, Seminararbeit und Referat nur zwei ECTS-Punkte gutgeschrieben wurden. Beide studieren Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der BOKU. Selbst innerhalb der einzelnen Studienrichtungen ist es also mit der Vergleichbarkeit des tatsächlichen Workloads nicht weit her.

BOULEVARD OF BROKEN DREAMS. Brisant wird die durchwegs verschieden interpretierte Vergabe von ECTS-Punkten spätestens, wenn es um den Anspruch auf Familienbeihilfe, Studienbeihilfe und Mitversicherung geht. Denn dazu muss jeweils eine Mindestanzahl an Credits nachgewiesen werden. Für ausländische Studierende geht es beim semesterlichen Punktesammeln gar um die Aufenthaltsgenehmigung in Österreich. Soll diese verlängert werden, müssen 16 ECTS vorgelegt werden. Wird dieses Pensum nicht erreicht, droht die Abschiebung.

Auch Studierende, die ein Doppelstudium betreiben, müssen bei ihrer Semesterplanung mit den ECTS- Punkten jonglieren. Durch zwei Studien kommen sie häufig über die Mindeststudiendauer hinaus und müssen Studiengebühren entrichten. Damit sie für ihr Interesse an zwei Fachgebieten nicht bestraft werden, refundiert das Wissenschaftsministerium die Gebühren. Vorausgesetzt es werden pro Studium 15 Punkte im Semester absolviert. Ein bürokratisch ohnehin schon aufwendiges Doppelstudium wird durch diese Vorgabe zusätzlich erschwert. Noch-WU- Rektor Christoph Badelt überlegt gar „Prüfungsinaktive“, also Studierende, die unter 16 Punkte im Semester absolvieren, von der Uni zu schmeißen. Angesichts solcher willkürlichen Regelungen, die nur wenig Rücksicht auf individuelle Bedürfnisse nehmen und deren Nichteinhaltung massiv sanktioniert wird, verwundert eines nicht: In vielen Studierendenforen gibt es dutzende Threads über ECTS-Punkte, die sich möglichst leicht verdienen lassen.

(c) Natali Glišić

CAN’T GET NO SATISFACTION. Eines der großen Ziele des Bologna-Prozesses war es, die Mobilität der Studierenden zu fördern. Sie sollten es leichter haben, Erfahrungen im Ausland zu sammeln, aber auch im eigenen Land zwischen den Hochschulen zu wechseln. Kehrt man aus dem Auslandssemester in Reykjavík, Zagreb oder Edinburgh an die eigene Uni zurück, sollten die erbrachten Leistungen durch das einheitliche Punktesystem theoretisch ganz einfach an der Heimatuni angerechnet werden. In Wahrheit ziehen jedoch viele nach dem Erasmus-Aufenthalt ein eher nüchternes Resümee. Laut letzter Studierendensozialerhebung haben etwa 26 Prozent der Studierenden Probleme bei der Anrechnung ausländischer Zeugnisse.

Die Mühlen der Uni-Bürokratie hat auch Rita Korunka durchlaufen müssen. Im Zuge ihres Masterstudiums der Politikwissenschaft an der Universität Wien hat sie 2013 über das Erasmus-Programm ein Semester in Kopenhagen verbracht. Ganz wie vorgesehen hat Rita ein „Learning Agreement“ abgeschlossen. Darin wird festgehalten, welche Kurse an der Gastuni besucht werden. Außerdem kann man so vereinbaren, welche Kurse zuhause angerechnet werden. „Von den 42 ECTS, die ich in Kopenhagen absolviert habe, wurden mir gerade mal zehn angerechnet“, sagt Rita. Die zuständige Person am Institut habe die Anrechnung verweigert, weil Rita in Kopenhagen für zwei Seminare nur ein „absolviert“ statt einer Note bekommen hat. Ein Sprachkurs, den Rita in Kopenhagen besucht hat und der im Learning Agreement stand, wurde genauso wenig anerkannt. „Das Learning Agreement wird nicht ernst genommen. Im Endeffekt hängt es von den einzelnen Erasmus-BetreuerInnen ab, welche Leistungen du angerechnet bekommst.“

Dass ein Semester im Ausland seine Tücken hat, hat sich anscheinend herumgesprochen. In den hübsch aufgemachten Mobilitätsstatistiken zur viel beschworenen internationalen Mobilität werden die Balken, die die Erasmus-AbenteurerInnen repräsentieren, zwar jedes Jahr höher. Erst auf den zweiten Blick offenbart sich jedoch, dass der relative Anteil – gemessen an der Gesammstudierendenzahl – seit 2009 wieder rückläufig ist. So bleiben jedes Jahr hunderte Erasmus-Plätze frei.

Konstanze Fliedl, Professorin für Germanistik an der Universität Wien, konstatiert im Aufsatz „Entrüstung in Bolognien: Zur Hochschul- und Studienreform“ (siehe Lesetipp), dass das Vorhaben der gesteigerten Mobilität durch Bologna gescheitert sei. Ganz im Gegenteil zu ihren hochgesteckten Zielen habe die Bologna-Reform durch die straffen Studienpläne und die Anrechnungsprobleme mehr Mobilitätshindernisse geschaffen.

Doch nicht nur bei der Anrechnung über Grenzen hinweg liegt vieles im Argen. Felix, der lieber anonym bleiben will, gelang es etwa erst mit Hilfe der Rechtsmeinung einer Juristin, seine Uni von der Rechtmäßigkeit seiner Anrechnung zu „überzeugen“. Die Studienabteilung wollte pauschal eine Lehrveranstaltung nicht anrechnen, weil sie Teil der Studieneingangsphase ist. Warum die Grundlagen der Mikroökonomie an der BOKU anderen Gesetzen folgen sollte als die Einführung in die Volkswirtschaftslehre an der JKU Linz konnte nicht begründet werden. Dabei hatte Felix sogar den Lehrenden auf seiner Seite, der meinte, dass es wohl sinnlos wäre, dasselbe nochmal zu lernen.

Was durch die ECTS-Punkte einfacher und einheitlicher funktionieren soll, entscheiden also erst recht wieder einzelne Hochschulen und verantwortliche Personen nach eigenem Gutdünken.

(c) Natali Glišić

LOSING MY RELIGION. Doch selbst wenn das System einwandfrei funktionieren würde, wenn sämtlicher Aufwand für die Studierenden punktgenau, individuell und leistungsgerecht abgebildet werden könnte, wenn Anrechnungen so gut funktionieren würden, wie es die Theorie vorsieht, selbst dann bleibt ein massiver Kritikpunkt am ECTS-System. Und zwar jener, der sich gegen die Messbarkeit und Vergleichbarkeit, schlussendlich gegen die Warenförmigkeit von Bildung an sich richtet.

Ungewohnt scharfe Worte kommen dabei von jemandem, der mit dem Bologna-System bestens vertraut ist. So nennt der ehemalige Wissenschaftsminister und ÖVP-Wissenschaftssprecher Karlheinz Töchterle in einem Gastkommentar in Die Zeit die Entwicklungen rund um die ECTS-Punkte einen „Wahnsinn, dem da ganz Europa anheimfällt“. Er spricht von der „Untauglichkeit der Messung“ durch die „Währung“ ECTS-Punkte. „Die einem Thema gewidmete Zeit sagt wenig über den damit verbundenen Studienerfolg aus. Relevant ist der Grad des Könnens und Wissens, aber nicht, wie viel Zeit man dafür verwendet hat“, so Töchterle. Auf Nachfrage von progress präsentiert er ein Gegenkonzept: „Was am Ende des Studiums ge- konnt und gewusst werden soll, wird definiert – der Weg dahin bleibt den Studierenden frei überlassen. Man würde auf ein Großes und Ganzes hin studieren, nicht kleinste Portionen in sich hineinwürgen, um sie dann wieder vergessen zu dürfen.“

„Aber“, so schließt Töchterle gleich im Anschluss an, „das alles ist Utopie und scheint mir völlig unrealistisch, weshalb ich weder als Rektor noch als Minister eine Umsetzung versucht habe. Nicht einmal die Studierenden als Betroffene erwartete ich mir hier als Verbündete. Auch sie wollen eben gerne ‚abhaken‘.“ Er spricht damit ein grundsätzliches Dilemma an, das auch Konstanze Fliedl beschreibt: „Nach einer Phase der geduldig vorgetragenen Einwände oder des ungehaltenen Protests setzt die Resignation ein. Und, vor allem: das Mitmachen. Die Bologna-Reform und zahlreiche Studienreformen haben sich als eine gallertartige Masse herausgestellt, in die wir versunken sind.“

ANOTHER BRICK IN THE WALL. Und in dieser haben sich auch viele Studierende scheinbar zurechtgefunden. Das ECTS-System ist zum Werkzeug der Fremd- und Selbstanalyse geworden und das ist in Zeiten der allgegenwärtigen Selbstvermessung, des ständigen Sammelns, Teilens und Vergleichens auch willkommen. Die vermeintlich neutralen Leistungs- punkte lassen nicht nur die Studierenden, sondern auch zukünftige ArbeitgeberInnen auf einen Blick erkennen, was ihr Gegenüber schon geleistet hat. Die Employability ist mit Bologna zur Priorität im Hoch- schulwesen geworden, gekrönt durch die imaginäre „Währung ECTS“.

Das Mitmachen und das wohlige Gefühl in der Masse scheint trotz mancher Kritik von Studierenden, Lehrenden, WissenschaflerInnen und selbst BildungsexpertInnen zu überwiegen. Ein erster subversiver Akt wäre vielleicht, die Frage „Wie viel ECTS hast du heuer gemacht?“ aus den Köpfen zu streichen und stattdessen zu fragen: „Was habe ich eigentlich gelernt?“

 

Rosanna Atzara und Klemens Herzog studieren Journalismus und Neue Medien an der FH Wien der Wirtschaftskammer Wien.

Lesetipp:

„Empörung! Besichtigung einer Kulturtechnik. Beiträge aus Literatur- und Sprachwissenschaft“. Herausgegeben von Alexandra Millner, Bernhard Oberreither, Wolfgang Straub. Wien, facultas Verlag, erscheint 2015. 

 

Erasmus für alle?

  • 22.06.2013, 23:59

Mit Erasmus reisen Studierende seit über 25 Jahren ins europäische Ausland. Jetzt gibt es eine neue Generation. Ob „Erasmus für alle“ halten kann, was es verspricht?

Mit Erasmus reisen Studierende seit über 25 Jahren ins europäische Ausland. Jetzt gibt es eine neue Generation. Ob „Erasmus für alle“ halten kann, was es verspricht?

Wie lernen sich ein steirischer Bauernsohn und ein Citygirl aus Birmingham kennen? Im Normalfall gar nicht – sie kommen aus allzu unterschiedlichen Welten. So wäre es auch Reini Moschitz ergangen, hätte er nicht an jenem Tag vor elf Jahren in einem Portugiesisch-Kurs in Coimbra gesessen und seine künftige Frau Diana das erste Mal gesehen. Und Julius, Isi und die kleine Amadea, die heute in einem versteckten Garten hinter den Mauern des Schloss Belvedere herumtollen und einander ein buntes Kauderwelsch aus Deutsch und Englisch zurufen, gäbe es auch nicht.

„Im normalen Leben hätten wir uns nie kennengelernt“, sagt Diana. Erasmus machte es möglich. Das Paar verliebte sich und verbrachte ein aufregendes gemeinsames Jahr in Portugal. Nach vorübergehender Trennung, jahrelanger Fernbeziehung und gemeinsamen Auslandsaufenthalten haben sie 2008 geheiratet. Die Hochzeitsgäste reisten aus 26 verschiedenen Ländern an. Im September erwarten sie ihr viertes Kind.

Geschichten wie die von Reini und Diana machen Erasmus seit gut 25 Jahren zum Vorzeigeprogramm der EU. Hier werden junge Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern zu Europäerinnen und Europäern. Kein Wunder also, dass das Programm auch in Österreich immer beliebter wird. Im Studienjahr 2011/12 haben insgesamt 5590 österreichische Studierende einen Erasmus-Aufenthalt absolviert. Die Zahlen steigen seit 1992, als die ersten Studierenden aus Österreich ins europäische Ausland geschickt wurden, stetig an. Dem taten auch Änderungen in den Studienplänen, die mit der Bologna-Umstellung einhergingen, keinen Abbruch.

Bei einer solchen Erfolgsgeschichte war es für viele ein Schock, als vor einigen Monaten die Medien berichteten, dass die Erasmus-Förderungen gekürzt werden sollen. Gerhard Volz, der beim Österreichischen Austauschdienst (OEAD) Bereichsleiter für Erasmus ist, kann beruhigen: „Da ist wohl in der Pressearbeit der Kommission etwas fehlgeschlagen.“ Ein verunglückter Marketing-Gag: Die europäische Kommission wollte wohl durch diese Ankündigungen Aufmerksamkeit erregen, gerade weil Erasmus ein solches Prestigeprojekt darstellt. Geführt hat die Pressearbeit aber vor allem zu Verwirrung. Die tatsächliche Finanzierung des Programms sei laut Volz nie in Gefahr gewesen. „In Österreich wäre notfalls auch das Wissenschaftsministerium eingesprungen, um die versprochenen Stipendien auszahlen zu können“, sagt er.

Über das Erasmus-Budget ab 2014 werde aber sehr wohl noch verhandelt. Denn dann startet das neue Bildungsprogramm der EU mit dem Titel „Erasmus für alle“. Zwar soll es insgesamt zu einer Aufstockung der Mittel in diesem Bereich kommen, wie sich das Budget auf die einzelnen Programme verteilen wird, ist aber noch nicht klar. Auch inhaltliche Änderungen sind angedacht, jedoch noch nicht beschlossen. So sollen etwa weitere Länder in den Erasmus-Raum aufgenommen werden. Es gibt also noch einiges zu klären und die Zeit drängt, denn schon im nächsten Studienjahr soll es losgehen.

Diana und Reini Moschitz lernten sich in Coimbra auf Erasmus kennen. Foto: Luiza Puiu

Der Arbeitstitel des neuen Programms verspricht „Erasmus für alle“. Ob man das wohl halten kann? „Leider nein“, sagt Volz: „Die Erfahrung zeigt, dass ein Auslandssemester für Studierende umso wahrscheinlicher ist, je höher der berufliche Status und der akademische Ausbildungsgrad der Eltern angesiedelt sind.“ Derzeit ist das Erasmus-Stipendium, das den Studierenden zur Verfügung steht, an die Lebenserhaltungskosten des Gastlandes gekoppelt. So bekommt eine Erasmus-Studentin, die nach Schweden geht, einen Zuschuss von 368 Euro im Monat. Ihr Kollege, der in Paris studiert, erhält nur 300 Euro, weil Frankreich in eine niedrigere Kategorie fällt. Dass damit in Städten wie Paris nicht einmal ansatzweise die Miete für ein kleines Zimmer gedeckt ist, wird nicht berücksichtigt. In jedem Fall reicht das Stipendium nicht als einzige Finanzierungsquelle. Die meisten Erasmus-Studierenden werden deshalb von ihren Eltern unterstützt, müssen auf Erspartes zurückgreifen oder sich um zusätzliche Fördermittel bemühen.

Und auch wer die nötigen familiären und finanziellen Voraussetzungen erfüllt, hat immer noch einige Hürden zu überwinden. Am Beispiel der Wienerin Manuela wird das besonders deutlich: Sie macht einen Master an der TU Wien und ist eine prädestinierte Erasmus-Teilnehmerin – sie hat sehr gute Noten und sogar einen studienbezogenen Nebenjob. Schon jetzt hat sie das Auslandssemester 250 Euro gekostet: TOEFEL-Sprachtest mit Vorbereitungsbuch, eingeschriebene Eilbriefe und Telefonate ins europäische Ausland. Und das, ohne Wien überhaupt verlassen zu haben.

Dabei fing alles gut an: Fristgerecht gab Manuela ihre Bewerbung mit den nötigen Unterlagen ab. Ihre erste Wahl war Helsinki. Sie wurde abgelehnt. Eine andere Studentin habe schon mehr ECTS gesammelt als sie, hieß es von der zuständigen Koordinatorin an der TU. „Mehr ECTS als ich kann man fast nicht haben, denn dann ist man mit dem Studium fertig“, sagt Manu. Für ihre zweite Wahl bekam sie erst gar keine Absage. Der zuständige Koordinator nominierte zwar einen Studierenden, lehnte aber die anderen BewerberInnen nicht ab. So blieb Manu im System hängen, ihre Bewerbung wurde nicht weitergeleitet. Nach Ablauf aller Fristen stand sie ohne Erasmus-Platz da. Nach einigen Beschwerden und vielen „wir können da nichts mehr machen“ seitens der KoordinatorInnen und des Erasmus-Büros wurde sie für einen Restplatz in Dänemark nominiert – eine fixe Zusage hat sie bis heute nicht.

Erasmus ist eben nicht nur eine großartige Erfahrung, sondern auch ein unglaublicher Papieraufwand. Die Gelder kommen von der EU-Kommission, werden von den jeweiligen Nationalagenturen verwaltet und an die Studierenden verteilt. Wer aber auf Erasmus gehen darf, entscheidet jeder Studiengang mit seinen FachkoordinatorInnen selbst. Das sind Uni-ProfessorInnen, die sich neben ihrer Forschung und Lehrverpflichtung zusätzlich – und unentgeltlich – um die Vergabe der Erasmus-Plätze kümmern; tun sie das nicht, passiert das zum Schaden der Studierenden, wie der Fall von Manu zeigt.

Erasmus endet auch nicht mit dem Rückflug. Zuhause angekommen, wird mit den FachkoordinatorInnen weiterverhandelt. Es muss geklärt werden, ob die Lehrveranstaltungen, die an der Gastuni besucht wurden, auch für das eigene Studium angerechnet werden. Obwohl jedeR Erasmus Studierende dies bereits in Form eines Learning Agreements vor Abreise mit seiner eigenen Uni und der Gastinstitution vereinbart, kommt es immer wieder zu Problemen. Müssen Prüfungen nachgemacht oder sogar ganze Lehrveranstaltungen wiederholt werden, kann sich das Studium verlängern – im schlimmsten Fall müssen sogar Studiengebühren bezahlt werden. „Das sind aber nur Einzelfälle“, beruhigt Karin Krall vom Büro für internationale Beziehungen der Uni Wien. Das bestätigt auch die PRIME-Studie des Erasmus Student Network (ESN) aus dem Jahr 2010, die sich mit Anrechnungsproblemen auseinandersetzt. Von fast 9000 europäischen Studierenden gaben lediglich 12,9 Prozent an, dass sich ihr Studium durch den Auslandsaufenthalt verlängert hat. Auch Reini, der seine Studienzeit neben Graz und Coimbra noch an drei weiteren internationalen Unis verbrachte, kennt die Probleme bei den Anrechnungen: „Ja, es kostet jede Menge Mühe und Zeit“, sagt er: „Trotzdem wäre es mir den Aufwand immer wieder wert.“

Und er ist nicht der Einzige, der so denkt. Auch Claudia Walouch wurde während ihres Semesters in Göteborg mit dem Erasmus-Virus infiziert. „Als ich zurückkam, hatte ich richtig Panik, dass ich mit keinen internationalen Studierenden mehr in Berührung komme“, erzählt sie. Drei Jahre lang war sie deshalb ehrenamtlich für ESN tätig. Das Netzwerk gibt es mittlerweile in 36 Ländern. Mit Ausflügen, heimischen PartnerstudentInnen (sogenannten „Buddys“) und Partys hilft es den Ankömmlingen, im Gastland Anschluss zu finden. Dass es bei Erasmus nur ums Feiern geht, wie dem Programm öfter vorgeworfen wird, stimmt nicht. Claudia hat durch ihre Zeit in Göteborg und ihre Arbeit bei ESN herausgefunden, was sie machen will: Heute arbeitet sie für die Studienzulassung im Auslandsreferat der WU und hat täglich mit internationalen Studierenden zu tun. Es scheint, als würde die interkulturelle Kompetenz, die ein Auslandsstudium mit sich bringt, immer noch eine spezielle Auszeichnung für das spätere Berufsleben sein.

Interkulturelle Kompetenz – die verlangt nicht nur die Berufswelt, sondern auch der Alltag in einer Union mit 500 Millionen BürgerInnen mit verschiedensten Wurzeln. Es gibt wohl kein zweites Programm, das diese Fähigkeit so gut vermittelt. Erasmus ist aber keineswegs für alle; noch richtet sich das Programm an eine akademische Elite. Aber jeder fängt klein an: Im allerersten Erasmusjahr 1987 nahmen 3244 Studierende aus elf Ländern am Programm teil. Mittlerweile sind es jährlich über 230.000. Wie viele werden es wohl sein, wenn im Jahr 2020 „Erasmus für alle“ ausläuft? Und wie viele erst, wenn Julius, Isi und Amadea auf Erasmus gehen? Aber denen wurde die interkulturelle Kompetenz ja sowieso schon in die Wiege gelegt.

Zwei Erfahrungsberichte:

Daniel Wenda (22) studiert an der Fachschule Kufstein Sport-, Kultur- und Veranstaltungsmanagement

Daniel Wenda (22), Fachschule Kufstein, Sport-, Kultur- und Veranstaltungsmanagement. Foto: Luiza Puiu

Daniel ist anders. Anders als die meisten anderen österreichischen Erasmus-Studierenden: Die sind weiblich, studieren an der Uni Geschichte oder Jus und gehen nach Madrid oder Paris. „Was soll ich dort? Da war doch schon jeder auf Urlaub“, dachte sich Daniel. Er entschied sich für die litauische Hauptstadt Vilnius. Während viele Studis es schwer haben, Einheimische in den Gastländern kennenzulernen, wurde Daniel von seiner Mentorin Akvile Skurkaite vom Flughafen abgeholt. Sie zeigte ihm schon in den ersten Wochen, wie die baltische Hauptstadt tickt, und begleitete ihn während seines ganzen Aufenthalts. Auch hatte er keine Schwierigkeiten, sich sein Leben zu finanzieren: Mit der Erasmus-Förderung konnte er sich ein geräumiges WG-Zimmer direkt im Zentrum von Vilnius leisten und einen Teil seiner Lebenserhaltungskosten abdecken – dafür reicht das Geld in anderen europäischen Hauptstädten nicht mal ansatzweise.
Der Nationalfeiertag und das Oktoberfest wurden in der österreichischen Botschaft begangen und im Einkaufszentrum gab es ein Bistro mit Meinl-Kaffee und Mannerschnitten. Sonst hatte Daniel wenig mit Landsleuten und österreichischer Kultur zu tun. Denn er war nur einer von etwa 20 ÖsterreicherInnen, die ihren Erasmus-Aufenthalt im letzten Studienjahr in Litauen verbrachten. Trotz eher spärlicher Kenntnisse der Landessprache hat sich Daniel gut zurechtgefunden: „Alle jungen Leute in Vilnius sprechen Englisch.“ Bereits in Österreich konnte er sich aus einem dicken Katalog, den ihm die Gastuni zugeschickt hatte, Lehrveranstaltungen aussuchen. Da gab es Kurse auf Litauisch und Russisch, auf Deutsch und Italienisch. Und sogar auf Suaheli – für diejenigen, die besonders lernwillig waren.

Zum zweiten Erfahrungsbericht:

Louise Tersen (23) kommt aus Paris und studiert BWL an der WU Wien

Während die einen einfach nur aus Österreich rauswollen, vergisst man manchmal, dass andere mit großer Freude hierher kommen. Ja, auch Wien kann etwas Spannendes an sich haben. Etwa für die Französin Louise, die ein Erasmus-Semester an der WU verbringt. Ungewohnt ist für sie beispielsweise die schwere österreichische Küche – Schweinsbraten, Leberknödel und Gröstl –, die sie augenzwinkernd als „Winter-Nahrung“ bezeichnet.
Über Erasmus wollte sie ihr Deutsch verbessern. „Bei einer Auswahl zwischen Mannheim, München und Wien ist mir die Entscheidung nicht schwergefallen“, sagt Louise. Von einer österreichischen Sprach-Tandem-Partnerin hatte sie schon vorab viel über ihre Gaststadt erfahren. „Natürlich hatte ich noch dieses romantische Image vom historischen Wien, aber ich war auch schon auf ein aufregendes Nachtleben und ein vielfältiges Kulturangebot vorbereitet.“ Um auch wirklich mit der österreichischen Kultur in Berührung zu kommen, war für Louise klar, dass sie nicht mit zig anderen Erasmus-Studis in ein Wohnheim wollte. Stattdessen lebt sie jetzt mit drei OberösterreicherInnen in einer WG im 2. Bezirk. Der Anschluss, den sie dort gefunden hat, wäre über die Uni nur schwer zu finden gewesen: „Die meisten Kurse in meinem Masterprogramm finden auf Englisch statt. Dort sitzen fast nur internationale Studierende. Außerdem ist es klar, dass viele österreichische Studis nicht daran interessiert sind, Freundschaften
aufzubauen, wenn der oder die andere nach einem halben Jahr wieder weg ist.“ Louise hat es trotzdem geschafft, aus der Erasmus-Bubble auszubrechen und sich in Wien heimisch zu fühlen. „Mit Juli schließe ich mein Studium ab und befinde mich bereits jetzt auf Jobsuche. Sollte sich in Wien eine Möglichkeit auftun, wäre es großartig, einfach hier zu bleiben.“

Louise Tersen (23), aus Paris, studiert BWL an der WU Wien. Foto: Luiza Puiu

 

Die Autorinnen studieren Globalgeschichte und Rechtswissenschaften an der Uni Wien.

Gottes Werk und Teufels Beitrag

  • 13.07.2012, 18:18

Erasmus-Kolumne: In Salamanca liegen das Heilige und die Sünde so nahe beieinander wie die Kathedrale und die Universität

Erasmus-Kolumne: In Salamanca liegen das Heilige und die Sünde so nahe beieinander wie die Kathedrale und die Universität

Die Stadt gleicht einem Blasebalg: Zu Beginn des Semesters saugt sie sich mit Studierenden an, und an dessen Ende schleudert sie sie mit Kraft in die Ferien. Salamanca, an der Grenze zu Portugal, hat etwa gleich viele EinwohnerInnen wie Linz. Rund ein Drittel davon sind jedoch Studierende. Die zweitälteste Universität in Spanien hat eine lange Tradition der Gastfreundlichkeit für Studis, besonders für die jungen „fahrenden Gelehrten“ aus dem Ausland, die jedes Jahr zu Semesterbeginn wie eine Urgewalt über den Ort hereinbrechen. Hunderte Kneipen, Diskotheken und spezielle Stamperl-Bars („Chupiterías“) bieten jede Gelegenheit, sich den Exzessen des Erasmuslebens hinzugeben.
Beim ersten Spaziergang durch die Stadt, deren Kern aus dem Barock stammt, wirkt das Potpourri an Ocker- und Brauntönen beinahe erdrückend. Neben der Kathedrale und zahllosen Kirchen sind auch die Universität und das Rathaus im selben Barockstil erbaut, der sich an die späte Gotik anlehnt. Die Monumente der Stadt sind mit tausend Winkeln und Schnörkeln verziert, und aus dem für die Stadt typischen, gleichen Sandstein gehauen.
Nicht zuletzt, um die barocke Schwere der Fassaden auszugleichen, haben sich RestaurateurInnen im Laufe der Jahrhunderte einige Frechheiten erlaubt. So versteckten sie etwa mitten unter Darstellungen der Mutter Gottes und von Heiligen einen Frosch, Ratten und sogar einen Astronauten. Eine besonders beliebte Serie von historischen Statuen am zentralen Universitätsgebäude zeigt die vier studentischen Sünden des 17. Jahrhunderts: Masturbation, Faulenzerei, Wein und Weiberei.

Essen wie Don Quijote. Wer sich in den kleinen, verwinkelten Gassen verliert, für den/die ist es leicht, sich spontan in die joviale Gastlichkeit der Stadt zu verlieben. Auf den Plätzen werden Schirme gespannt, um den angeblich heißesten Ort in Spanien vor Sonne und gelegentlichen Schauern zu schützen. Der Plaza Mayor, der für kastilische Städte typische Hauptplatz, ist dabei eher unter der Kategorie „Touristenfalle“ einzuordnen. Doch nur ein paar Straßen weiter bietet beinahe jedes Lokal zu einem für österreichische Verhältnisse sehr günstigen kleinen Bier gratis ein Häppchen Nahrung an, die traditionelle Tapa. Diese bildet das Rückgrat der äußerst bodenständigen spanischen Kulinarik.
In Olivenöl lasiertes Weißbrot und aromatischer Schinken, grüne und schwarze Oliven, Calamari mit ordentlich Öl und Knoblauch – Salamanca ist ein Ort der deftigen Sinnesfreuden. Hier, nicht unweit des Meeres, ist Fisch ebenso fixer Bestandteil der Cuisine wie Linseneintopf und Morcilla, die traditionelle Blutwurst, deren Geschmack man gegenüber nicht voreingenommen sein sollte. Nur als VegetarierIn hat man es schwer in Salamanca. Die Worte „ohne Fleisch“ klingen für viele Wirtsleute immer noch wie ein Fluch aus den Tagen, in denen Spanien arm und Fleisch ein seltenes Vergnügen war.
Heiß geliebt werden in Salamanca alle religiösen, und nicht ganz so religiösen, Feste und Feiertage. Während der Osterwoche tragen etwa Hermandades – Bruderschaften – überlebensgroße Heiligenstatuen durch die Stadt spazieren. Und praktisch das ganze Jahr über bieten eigene Herbergen Pilgern auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostella Unterkunft und Unterhaltung. Im September machen die Ferías y Fiestas die ganze Stadt zu einem Rummelplatz aus Punschhütten und Konzertbühnen. Mitte Dezember finden sich Studierende aus ganz Spanien zur noche vieja universitaria zusammen, einer Art vorgreifenden Silvesterfeier, bevor es über die Ferien heim zu den Eltern geht.

Zündstoff in Kneipen. Wie andere StudentInnenstädte ist Salamanca auch ein politisch heißes Pflaster. Ist der Alltag in der dicht bebauten Stadt an und für sich locker per Fußweg zu bewältigen, finden sich dennoch regelmäßig dutzende Fahrrad-Aficionados der Gruppe Critical Mass zusammen, um im Automobilnarrischen Spanien für einen umweltfreundlicheren Verkehr zu protestieren. Wundester Punkt der grünen AktivistInnen ist aber der Río Tormes, der durch Salamanca fließt. Der Fluss schäumt bei Hochwasser vor lauter Verschmutzung. Darin zu baden ist undenkbar.
Für viele einheimische Studierende bietet die Uni erstmals Raum, sich kritisch mit der Landesgeschichte zu beschäftigen. Nur eine knappe Autostunde südlich, am Weg nach Madrid, liegt im Tal der Gefallen (Valle de los caidos) das gigantomanische Mausoleum von Spaniens verstorbenem Diktator Francisco Franco. Die Zeit seiner Herrschaft (1939-1975) sorgt in Spanien noch immer für Zündstoff, auch in den Bars und Kneipen der Stadt. „Franco hat viel Gutes getan; er war einfach nur zu lange an der Macht“, sagt die 18-jährige Maturantin Pilar. „Er war ein brutaler Diktator, und dass ihm immer noch gehuldigt wird, ist ekelhaft“, kontert Jaíme, ein 23-jähriger Geschichtsstudent.
Der politische Kontext Spaniens ist ausländischen Studierenden in der Stadt jedoch oft nicht bewusst. „Ich habe gehört, dass es hier die beste Party in ganz Spanien gibt“, sagt Dirk, ein deutscher Erasmus-Student aus Wolfsburg. Wie er denken viele. Das Leben hier ist für viele aus dem Ausland billig und sorglos. „Duschen kannst du, wenn du tot bist“, steht auf Dirks T-Shirt. Er wird heute noch durch die Vergnügungsmeilen der Stadt ziehen. Für andere wirkt ein Jahr der durchgehenden Feiern ernüchternd. „Ein Semester hier hat für mich gereicht“, sagt Clara, Kunstgeschichte-Studentin aus Wien. „Nachher brauche ich ganz fix Urlaub vom Alkohol.“

 

Mobilität im Studium

  • 13.07.2012, 18:18

Ein Auslandsemester, wie es zum Beispiel im Rahmen des Erasmus- oder des Joint Study-Programms gefördert wird, bietet Studierenden die Möglichkeit, neue Erfahrungen zu sammeln, die für das weitere Leben nützlich und prägend sein können.

Ein Auslandsemester, wie es zum Beispiel im Rahmen des Erasmus- oder des Joint Study-Programms gefördert wird, bietet Studierenden die Möglichkeit, neue Erfahrungen zu sammeln, die für das weitere Leben nützlich und prägend sein können.

ProfessorInnen und Lehrende raten Studierenden, Auslandserfahrungen zu sammeln. Das Erasmusprogramm unterstützt dabei die Outgoings (Studierende die für ein oder zwei Semester an einer Partnerinnenuniversität im Ausland studieren) sich an der neuen Hochschule zurechtzufinden. Dabei wird versucht, den Studierenden den bürokratischen Aufwand zu erleichtern und sie finanziell zu unterstützen.
Der Vorteil eines Auslandsaufenthaltes während des Studiums besteht darin, eine neue Hochschule kennenzulernen. Das bietet die Möglichkeit, den akademischen Horizont um neue Perspektiven zu erweitern, eine neue Kultur kennenzulernen und wichtige Lebenserfahrungen im Umgang mit anderen Menschen zu sammeln.

Herausforderungen im Ausland. Zum einen gibt es die sprachliche Barriere, die vorherrscht, wenn der Auslandsaufenthalt in einem Land verbracht wird, dessen Sprache nicht bzw. nur gering beherrscht wird. Dabei kann es schon Mal passieren, dass im Umgang mit der Universität, den Behörden oder beim täglichen Einkauf Missverständnisse auftreten. Die Lehrenden sind jedoch oft bemüht, den Mobilitätsstudierenden entgegenzukommen, und oft werden durch einen längeren Auslandsaufenthalt Fremdsprachenkenntnisse verbessert.
Ein Problem auf akademischer Ebene ergibt sich durch die Einführung des Bachelor-Master-Systems im Rahmen des Bologna-Prozesses. Die Lehrpläne im Bachelorstudium sind zum Teil sehr straff und aufeinander aufbauend konzipiert, so dass es oft erschwert wird, zwei Semester im Ausland zu verbringen und äquivalent anrechenbare Lehrveranstaltungen zu finden, was wiederum den Studienabschluss an der Heimatuniversität verzögern und weitere Kosten für das Studium verursachen kann. Im Rahmen eines Mobilitätsprogramms wird jedoch schon vor dem Auslandsaufenthalt ein Learning Agreement abgeschlossen, bei dem im Vorhinein mit dem Heim-Institut und dem Institut an der Partnerinnenuniversität vereinbart wird, welche Lehrveranstaltungen im Ausland besucht werden.
Es ist auf jeden Fall ratsam, sich mit anderen Mobilitätsstudierenden in Verbindung zu setzen, um Erfahrungen auszutauschen und so auf die neue akademische Einrichtung und den nicht zu unterschätzenden bürokratischen Aufwand gefasst zu sein sowie alles ohne Komplikationen zu meistern.

Mehr als nur studieren. Zu einem Auslandssemester gehört aber neben der Bekanntschaft mit einer neuen Universität auch, in einem anderen Land zu leben. Es werden Kontakte mit Personen aus der ganzen Welt geknüpft, das funktioniert vor allem in internationalen StudentInnenwohnheimen sehr gut, in welchen Studierende der verschiedensten Studienrichtungen und aus den verschiedensten Ländern Europas und der Welt zusammenwohnen und ihren Alltag im Ausland gemeinsam meistern. Dabei können lebenslange FreundInnenschaften entstehen. Das Erasmusprogramm bzw. die PartnerInnenuniversitäten unterstützen die Outgoings oft bei der Suche nach einem Zimmer im Ausland. Es ist auch oft sehr hilfreich, Personen um sich zu haben, die mit denselben Problemen im Alltag konfrontiert sind.
Im Rahmen des Erasmusprogramms bietet ESN (Erasmus Student Network) Trips in dem jeweiligen Land und regelmäßige Partys an. Es handelt sich um eine Organisation von Studierenden der Partnerinnenuniversität, die den mobilen Studierenden den Aufenthalt erleichtern, dabei helfen Kontakte zu knüpfen sowie die Kultur des jeweiligen Landes kennenzulernen.

Informationen und Erfahrungsberichte zum Thema Mobilität im Studium findet man unter: http://forschung.univie.ac.at/de/portal/
mobilitaet/studierende.

 

Die ewige Party

  • 13.07.2012, 18:18

Nach Rom gehen und kein Italienisch sprechen ist ein Sprung ins kalte Wasser. Und ein Abenteuer mit Irrwegen.

Nach Rom gehen und kein Italienisch sprechen ist ein Sprung ins kalte Wasser. Und ein Abenteuer mit Irrwegen.

Kaum war ich in Rom angekommen, in diesem verregneten Jänner, flatterten die E-Mails beinahe täglich in meinen Posteingang.
„Benvenuto, ti invitiamo al Cuccagna Pub – il piu famoso Cocktail Bar!!! Cocktails per gli studenti Erasmus solo 3,50€, vieni vieni!!“
Morgen wird es eine Einladung in die In-Disco Loft sein, übermorgen eine Einladung zum Picknick im Circo Massimo, Sackhüpfen inklusive - Wein und Bier wird vom Erasmus Student Network (ESN) gratis zur Verfügung gestellt. Demnächst steht auch die „Elegant Party“ im Alpheus an, und schon jetzt wird auf den zweitägigen Ausflug nach Sizilien aufmerksam gemacht.
Mangels Alternativen geht es heute Abend also in die Cuccagna- Bar, malerisch gelegen in einer Seitengasse des „schönsten Platzes Europas“, dem Piazza Navona, mitten im centro storico von Rom. Die ewige Stadt platzt vor kulturellen Highlights, kleinen Plätzen, Kunstschätzen aus allen Epochen der Geschichte; an jeder Ecke gibt es etwas Neues zu entdecken. Rom ist ein spannendes Chaos, erfüllt mit Autohupen, Vespagetröte und Handyklingeltönen. Das kann mitunter auch stressig und verwirrend sein.
80 Prozent aller Erasmusstudierender halten sich das erste Mal für längere Zeit im Ausland auf, daher gibt es auch hier in Rom einen Ableger der Non-Profit-Organisation ESN, die versucht, den Neulingen den Einstieg leichter zu machen, indem sie Partys, Ausflüge und ähnliche Gelegenheiten zum interkulturellen Austausch organisiert. ESN bietet einen ersten Anker in einer neuen fremden Stadt. Man hat vielleicht noch kein Zimmer in Rom, aber nach nur einer Woche schon hunderte neue FreundInnen, die aus allen Ländern Europas kommen.

Die Sprachbarriere. Es sind die kleinen und großen Probleme des Auslandsemesters, die die Erasmus- Studierenden zusammenschweißen. Wie finde ich ein günstiges Zimmer, wie finde ich mich auf der fremden Uni zurecht? Und über allem steht die Sprachbarriere. Während der durchschnittliche Erasmus-Studierende gut Englisch spricht, ist das unter den heimischen italienischen Studierenden nicht so sicher. In der Cuccagna scheinen alle recht froh darüber zu sein, dass alle mit den gleichen Problemen kämpfen. Und so stößt man gerne gemeinsam darauf an.
Anschluss finden kann man hier nur zu anderen Erasmus-StudentInnen, denn die genießen bei fast allen ESN-Veranstaltungen ermäßigten oder gar freien Eintritt, während ItalienerInnen immer den (teils sehr hohen) Normalpreis zahlen müssen. Wie man Kontakt zum italienischen Alltag herstellt, bleibt einem selbst überlassen. Die Möglichkeiten stehen und fallen mit den eigenen Italienisch-Kenntnissen.

Grenzüberschreitende Freundschaften. Eines Abends redet ein dänischer Politikwissenschaftsstudent im Dandy-Look gerade vor dem Lokal auf einige ItalienerInnen ein. „Franco Fini is right! You have to beware of the immigrants!“ Manche der ZuhörerInnen wenden sich ab, bei einigen erwacht nun das Interesse. „Do you really want them to overtake Italia?! In the future you will loose your language, non c‘e Italia, solo Islamistan!“ Große Zustimmung von Seiten der ItalienerInnen. Sie prosten sich zu und legen die Arme gegenseitig um ihre Schultern. Der Beginn einer grenzüberschreitenden Freundschaft?

Nicht alles ist billig. „Erasmus ist die längste Party meines Lebens“, bringt es eine deutsche Studentin eines Abends auf den Punkt. Leider ist sie nicht die billigste. Während ErasmusstudentInnen in Rom sehr viele Vergünstigungen genießen, ist das Konzept „Erasmus“ trotzdem noch lange nicht sozial ausgereift. Bei einer durchschnittlichen Monatsmiete von 400-500 Euro pro Zimmer in Rom machen die 280 Euro monatlichen Zuschuss noch lange keine Überlebensbasis aus.
Vier Monate und drei Italienisch- Intensivkurse später sitze ich am Piazza von San Lorenzo, dem StudentInnen-Viertel von Rom. Im Sommer treffen sich hier abends täglich hunderte Studierende und lassen bei selbst mitgebrachtem Bier und Wein die Abende ausklingen. ESN ist nicht hier.
Die ESN-MitarbeiterInnen sind selber alle ErasmusabsolventInnen. Das erklärte Ziel von ESN ist, so wird mir gesagt, „holding on to the Erasmus-Spirit.“ Und was ist dieser „Erasmus-Spirit“? Ein junger Italiener meint, dass ich das wissen werde, wenn ich wieder zuhause bin. Nach einer kurzen Pause ruft ein anderer lachend herüber: „Alcohol.“, und sofort ein weiterer: „To get in touch with French and Italian boys!“