Dossier: Studium und Flucht

Weder Hustenzuckerl noch Taschentücher annehmen

  • 05.12.2015, 19:40

Schlepperei als soziales Phänomen und juristischer Straftatbestand wurden in den letzten Jahren zu einem öffentlich breiter diskutierten Thema. Wen Strafverfolgung in der Praxis trifft, ist aber selten Teil der Debatte.

Schlepperei als soziales Phänomen und juristischer Straftatbestand wurden in den letzten Jahren zu einem öffentlich breiter diskutierten Thema. Wen Strafverfolgung in der Praxis trifft, ist aber selten Teil der Debatte.

Die erste Facebook-Einladung zu einem Fluchthilfe- Konvoi bekam ich im September. Angst davor, auf „Teilnehmen“ zu klicken, hatte ich keine. Dabei ist Fluchthilfe in Österreich strafbar. Warum ich keine Angst hatte? Weil ich mutig bin? Wohl kaum. Weil ich naiv bin? Nein, das drohende Strafausmaß war mir bewusst. Warum also dann?

Die Fluchthilfe-Konvois erregten in den letzten Monaten Aufsehen damit, von Österreich aus nach Ungarn zu fahren, um Flüchtende am Rückweg über die Grenze mitzunehmen. Diese Konvois verstanden ihr Handeln nicht nur als Hilfeleistung, sondern auch als politisch-symbolischen Akt, der der Kriminalisierung von Fluchthilfe etwas entgegensetzt.

Eine Frau, die öffentlich dazu steht, Fluchthilfe zu leisten, ist Anahita Tasharofi, Gründerin und Obfrau des Vereins „Flucht nach vorn“. Mit Slogans wie „Ich bin Fluchthelferin und stolz darauf“ versucht ihr Verein die Kriminalisierung von Fluchthilfe öffentlich zu thematisieren, um kriminalisierten Menschen Mut zu machen, sich Unterstützung zu holen. „Wir wollen den Betroffenen zeigen, dass sie nicht alleine sind, dass Zivilcourage kein Verbrechen ist“, sagt Tasharofi im Interview. Eine Anzeige wegen Schlepperei handelte sich Tasharofi ein, als sie mit einem Mitarbeiter des Innenministeriums in Konflikt geriet. Dass gegen sie ermittelt wurde, sieht Tasharofi als Einschüchterungsversuch.

DIE POLITISCHE FUNKTION DES SCHLEPPEREI-VORWURFES. Im §114 Fremdenpolizeigesetz (FPG) wird Schlepperei – die Förderung der Einreise oder Durchreise von „Fremden“ – als Straftat definiert, wenn eine Gegenleistung (Entgeltlichkeit) im Spiel ist. Aber auch ohne Gegenleistung ist Fluchthilfe nach §120 FPG strafbar, wenn auch nur als Verwaltungsübertretung.

Dass der Schlepperei-Vorwurf gerne verwendet wird, um politischen Aktivismus zu diskreditieren, zeigte sich 2014 im sogenannten Schlepperei-Prozess gegen Aktivisten des Refugee Protest Camps. Die Verhaftungen der Angeklagten im Sommer 2013 gingen mit einem großen Medienspektakel einher. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner sprach davon, dass es sich um eine brutale Schlepperbande handle, die schwangere Frauen am Weg zurücklasse. Von 30 Millionen Euro „Schlepperumsatz“ war die Rede. Dass all diese Vorwürfe der Diffamierung einer lästig gewordenen Protestbewegung dienten, lag für manche von Anfang an auf der Hand und wurde spätestens im Laufe des Prozesses bestätigt. Denn all diese Vorwürfe waren nicht Verhandlungsgegenstand: Es ging immer nur um Kleinstbeträge zwischen 20 und 30 Euro. Fast alle Angeklagten bekannten sich dazu, andere Geflüchtete bei der Durchreise durch Österreich unterstützt zu haben. Verdient hätten sie daran nichts, oft sogar aus der eigenen Tasche draufgezahlt, etwa wenn sie sich um Zugtickets kümmern mussten. Als Prozessbeobachterin für „Nachrichten auf ORANGE 94.0“ konnte ich miterleben, wie weit die Entgeltlichkeit gefasst werden kann. Jede Erwähnung von Kleinstbeträgen in den abgehörten Telefonaten wurde zu einem Indiz für die angebliche Schleppertätigkeit. Auch wurde die Annahme von Essen als „Schlepperlohn“ ausgelegt.

Als im Dezember 2014 ein Großteil der Angeklagten wegen §114 FPG verurteilt wurde, war die Empörung groß. Übersehen wurde dabei aber, dass das Urteil sehr „milde“ war, wenn es mit anderen Verfahren nach §114 mit ähnlicher Sachlage verglichen wird. Es kann davon ausgegangen werden, dass das Strafausmaß ohne die mediale Beobachtung weit höher gewesen wäre.

BETROFFENE PREKARISIERTE OHNE RÜCKHALT IN DER ÖFFENTLICHKEIT. Ein ähnliches Phänomen ist im Fall Tasharofi zu beobachten. Die Ermittlungen gegen die Gründerin des Vereins „Flucht nach vorn“ wurden nach kurzer Zeit eingestellt. Tasharofi führt das nicht nur auf mangelnde Beweise, sondern auch auf öffentliche Aufmerksamkeit zurück: „Der Unterschied zwischen mir und den anderen Menschen, die als Schlepperin oder als Schlepper angezeigt wurden, ist, dass ich durch meinen Verein mehr in der Öffentlichkeit stehe.“ Tasharofi ist breit vernetzt, steht laut für ihre Rechte ein und hat einen guten Anwalt. Im Interview erzählt sie, dass sich nach der Anzeige gegen sie viele Menschen bei ihr gemeldet und ihr erzählt hätten, dass sie selbst, Verwandte oder Freund_innen auch davon betroffen seien. „Sie haben keine Anwält_innen, können sich die Kosten nicht leisten, es gab keine öffentliche Aufmerksamkeit und sie trauten sich auch nicht, das öffentlich anzusprechen“, erklärt Tasharofi.

Gefährdet ist also weniger die Fluchthilfe-Konvoi- Bewegung, die gut informiert und vernetzt ist und weiß, dass sie von einer mitfahrenden Person weder Hustenzuckerl noch Taschentücher annehmen darf, um sich nicht der entgeltlichen Schlepperei schuldig zu machen. Gefährdet sind auch nicht jene, die Menschen unter lebensbedrohlichen Bedingungen in Lastwägen pferchen. Gefährdet sind Menschen, die ihre Verwandten und Bekannten über die Grenze bringen und sich dabei das Benzingeld aufteilen. Gefährdet sind auch Taxifahrer_innen, die den normalen Fahrpreis für die Fahrt über die Grenze kassieren. Menschen in prekären Lebensverhältnissen, die auf Pflichtverteidiger_innen angewiesen sind und keinen Rückhalt in der Öffentlichkeit haben, sind es, die letztlich wegen Schlepperei zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt werden, weil sie Menschen beim Grenzübertritt geholfen haben.

Nach dem „Schlepperei-Prozess“ 2014 wurden Forderungen nach einer Reform des §114 FPG laut. Mit der aktuellen Situation ist die Aussicht auf eine Reform aber in weite Ferne gerückt. Die europäische Asylpolitik macht Schlepperei erst notwendig, indem sie keine legalen Fluchtwege zulässt. Ihre Vertreter_ innen hüten sich davor, Fluchthilfe zu entkriminalisieren, denn das würde auch die Flucht nach Europa erleichtern.

Katharina Gruber hat Politikwissenschaft in Wien studiert und ist in der politischen Bildungsarbeit, im Journalismus und in der Sozialarbeit tätig.

Über Grenzen – Geschlecht als Fluchtgrund

  • 05.12.2015, 19:27

Frauen*, die fliehen, sind spezifischen Diskriminierungsmechanismen ausgesetzt – auf der Flucht, im Asylverfahren, am Arbeitsmarkt und in der Unterbringung.

Frauen*, die fliehen, sind spezifischen Diskriminierungsmechanismen ausgesetzt – auf der Flucht, im Asylverfahren, am Arbeitsmarkt und in der Unterbringung.

Laut der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR waren 2013 knapp die Hälfte aller geflüchteten Personen weltweit Frauen* und Mädchen*. Davon schaffen es nur wenige nach Europa. Dem Bundesministerium für Inneres zufolge wurden in Österreich bis einschließlich September 2015 rund 24 Prozent aller Asylanträge von Frauen* gestellt.

Frauen* fliehen genauso wie Männer* auf Grund von Armut, Krieg, Folter, staatlicher Repression oder anderen Menschenrechtsverletzungen, aber auch wegen geschlechtsspezifischen Fluchtursachen, die fast ausschließlich Frauen* betreffen: Genitalverstümmelung, Vergewaltigung (im Rahmen von Bürgerkriegen und anderen Konflikten), Steinigung, Ehrenmorde, Zwangsprostitution, Zwangsabtreibung, Zwangsverheiratung, Verweigerung von Arbeit und Bildung etc. Trotzdem sind frauen*spezifische Fluchtgründe in der Judikatur und in der behördlichen Praxis in Österreich nicht explizit aufgearbeitet.

Für Frauen* ist die Flucht in der Regel viel beschwerlicher als für Männer*. Durch Illegalisierung und die Abhängigkeit von Schlepper_innen sind Frauen* häufig speziellen Ausbeutungsmechanismen und sexuellen Übergriffen ausgesetzt. Oft kommen sie aus sozioökonomisch schwächeren Verhältnissen als Männer* auf der Flucht. Sie sind gezwungen, als Haushaltshilfe zu arbeiten oder sich zu prostituieren, um Schlepper_innen bezahlen zu können. Vor allem Frauen*, die alleine unterwegs sind, sind häufiger Gewalt ausgesetzt und begegnen individuellen Fluchtursachen auf der Flucht wieder.

GESCHLECHT ALS SOZIALE GRUPPE. Die Genfer Flüchtlingskonvention schützt jene Personen, die auf Grund von „Rasse (sic!), Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen politischer Überzeugung“ von staatlicher Seite verfolgt werden – Geschlecht findet keine Erwähnung. Fluchtgründe, die nur Frauen* betreffen, können somit nur unter der sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung subsumiert werden. Dadurch ergibt sich Raum für behördliche Willkür und die betroffenen Personen sind umso stärker von guter juristischer Betreuung abhängig. Zudem kommen patriarchale Denkmuster auch in der Beurteilung von frauen*spezifischen Fluchtgründen in der Rechtsprechung zum Tragen.

Frauen* fliehen vor staatlicher Repression, die speziell gegen sie gerichtet ist und darauf abzielt, Frauen* innerhalb eines Systems gewisse Funktionen zuzuweisen. Eine Zuteilung nach der Genfer Flüchtlingskonvention fällt hier schwer, vor allem wenn es nicht um staatsreligiöse, sondern „nur“ traditionelle Wertvorstellungen geht. Daraus ergibt sich für betroffene Frauen* kein gezielt individueller Nachteil, sondern eine strukturelle Diskriminierung beruflicher und privater Natur. In der Vergangenheit wurden Asylanträge von afghanischen Frauen* auf der Flucht vor dem Taliban-Regime daher auf Grund fehlender Zielgerichtetheit der Verfolgung abgelehnt.

Anahita Tasharofi arbeitet als Dolmetscherin bei Hemayat – einem Wiener Verein, der traumatisierten Folter- und Kriegsüberlebenden dolmetschgestützte psychotherapeutische Unterstützung anbietet. Vor einem halben Jahr lernte sie eine junge afghanische Frau* kennen, die freiwillig in ihr Herkunftsland zurückging, nachdem ihr Asyl in Schweden verwehrt wurde und die österreichischen Behörden sie auf Grund von Dublin III wieder in das Erstankunftsland Schweden zurückschicken wollten. „Sie ist geflohen, weil ihr in Afghanistan die Zwangsheirat bevorstand und sie Morddrohungen vom eigenen Vater erhalten hatte. Es ist erschreckend, dass einer jungen Frau* in Europa kein Schutz geboten wird und sie freiwillig in das Land zurückkehrt, wo ihr der Tod bevorsteht!“, so Anahita Tasharofi.

VERBORGENE FLUCHTGRÜNDE. Eine weitere wesentliche Hürde für geflüchtete Frauen* ist der Erstkontakt mit hiesigen Behörden. Bei Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung gilt grundsätzlich § 20 des Asylgesetzes 2005, der besagt, dass betroffene Personen von einem_r gleichgeschlechtlichen Organwalter_in, sofern nicht anders gewünscht, einvernommen werden müssen. In der Praxis gibt es mit dieser Regelung jedoch viele Probleme. Frauen* werden bei der Erstbefragung meist nicht einmal über dieses Recht informiert. Erschwerend kommt hinzu, dass Frauen* auf nicht sensibilisierte und psychologisch ungeschulte Beamt_innen* treffen und nicht das nötige Vertrauen aufbauen können, um über ihren geschlechtsspezifischen Fluchthintergrund zu erzählen.

Denjenigen, die den Mut aufbringen, über ihre Erfahrungen zu sprechen, wird oft nicht geglaubt und vorgeworfen, sie hätten sich die Ereignisse ausgedacht. Als Beweis wird nach Papieren gefragt, um die Fluchtursachen zu belegen. Wenn überhaupt, werden frauen*spezifische Fluchtursachen deshalb meist sehr spät eingebracht. Das Asylgesetz sieht jedoch grundsätzlich vor, dass Begründungen unverzüglich in einem Verfahren vorgebracht werden müssen – dafür sorgt das sogenannte Neuerungsverbot. Dieses besagt, dass Tatsachen und Beweismittel, die nicht bis zum Ende der ersten Instanz eingebracht wurden, auch im Beschwerdeverfahren nicht vorgebracht werden dürfen.

PATRIARCHALE RECHTSSPRECHUNG. Das österreichische Asylgesetz bezieht sich auf mehrere internationale Rechtsgrundlagen wie die Genfer Flüchtlingskonvention, die Europäische Menschenrechtskonvention und die EU-Richtlinien über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status als geflüchtete Person. Diese Rechtsvorschriften sind völkerrechtliche Verträge, die auf einer patriarchalen Logik beruhen, und in erster Linie den öffentlichen Lebensbereich, der Männern* zugeschrieben wird, beachten.

Viele Frauen* verbringen aber viel Zeit im privaten Umfeld, wo ein Großteil der Rechtsverletzungen gegenüber Frauen* stattfindet. Traditionell wird der Asylstatus jedoch nicht durch Gewalt an Privatpersonen begründet, sondern durch staatliche Verfolgung. Frauen*spezifische Fluchtgründe, wie häusliche Gewalt oder Zwangsheirat, die im Privaten durch nicht-staatliche Akteur_innen geschehen, finden in vielen Ländern keine oder nur schwierig Anerkennung. In Österreich werden frauen*spezifische Fluchtgründe oft erst ab der zweiten Instanz berücksichtigt.

PREKARITÄT. In Österreich angekommen, erwartet viele geflüchtete Frauen* eine menschenunwürdige Unterbringungssituation. Im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen, das für 1.800 Personen eingerichtet ist, wurden zu Spitzenzeiten bis zu 5.000 Menschen einquartiert. Dort gibt es keine gesonderten Bereiche für Frauen*. Auch getrennte Sanitäranlagen oder Absperrmöglichkeiten für Duschen waren nicht zu jeder Zeit vorhanden. Der Zugang zu medizinischer und psychologischer Versorgung ist völlig unzureichend, wie erst kürzlich ein Bericht von Ärzte ohne Grenzen schilderte. Schwangere Frauen* werden im Freien in Zelten untergebracht und müssen teilweise auch unter diesen Bedingungen gebären.

Der Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt ist für Asylwerber_innen sehr restriktiv. Grundsätzlich darf drei Monate nach Antragsstellung eine Lohnarbeit ausgeübt werden. Diese Arbeitserlaubnis gilt auch bei Bewilligung, jedoch aufgrund des Bartenstein- Erlasses nur für Gastronomie sowie Landund Forstwirtschaft. Das kommt praktisch einem Arbeitsverbot für Asylwerber_innen gleich. Außerdem dürfen Asylwerber_innen das Bundesland, in dem sie untergebracht sind, nicht verlassen, da sie sonst ihren Platz in der Grundversorgung verlieren. Eine Option ist die selbstständige Erwerbstätigkeit – den Gewerbeschein zu erlangen, gestaltet sich in der Praxis jedoch als äußerst kompliziert. Für jene Frauen*, die aus ihrem Herkunftsland vor sexueller Gewalt, Folter und anderen Menschenrechtsverletzungen geflohen sind, ergibt sich somit eine einzige Nische der legalen Erwerbstätigkeit: die (selbstständige) Sexarbeit.

Durch die rassistische Gesetzgebung gliedert der Staat unterschiedliche Gruppen (Inländer_innen, Ausländer_innen) mit unterschiedlichen Rechten in das Produktionsverhältnis ein und gewährt ihnen je nach sozialem Status mehr oder weniger Rechte. Asylwerber_innen werden in extrem prekäre Arbeitsverhältnisse und eine verletzbare Situation gedrängt. Zudem wird die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung (Lohn- vs. Reproduktionsarbeit) durch eine rassistische Arbeitsteilung ergänzt: Die soziale Reproduktionsarbeit (Hausarbeit, Sexarbeit etc.) wird zunehmend an Migrantinnen* weitergereicht. Es entsteht eine Spaltung der Arbeitskräfte und die Reproduktionskosten in einem kapitalistischen System werden niedrig gehalten.

LGBTIQ. Viele Menschen müssen fliehen, weil sie in ihrem Herkunftsland trans-, inter- oder homophober Gewalt ausgeliefert sind. In Österreich treffen sie auf strukturelle Diskriminierung und Unverständnis. Oft wird homo-, bi-, trans-, intersexuellen und queeren (LGBTIQ) Asylwerber_innen das Bleiberecht verwehrt, mit der Begründung, sie könnten in ihrem Herkunftsland Verfolgung vermeiden, indem sie ihre sexuelle Orientierung verbergen. Oder ihr Fluchtgrund wird als nicht glaubwürdig oder nicht nachweisbar bewertet.

Während und nach dem Verfahren wird kein adäquater Schutzraum von Seiten der Behörden geboten, ganz im Gegenteil: LGBTIQ-Personen werden mit vielen anderen, womöglich homo- oder transphoben Geflüchteten untergebracht und laufen Gefahr Gewalt- und Diskriminierung ausgesetzt zu sein. Viele Unterkünfte befinden sich außerhalb von urbanen Ballungsräumen, ohne Zugang zu Beratung und Unterstützung durch die LGBTIQ-Community oder NGOs.

Auch LGBTIQ-Asylwerber_innen werden am Arbeitsmarkt in die prekäre Sexarbeit gedrängt. Erst Anfang des Jahres wurde Hande Öncü, welche sich als Asylwerberin*, Transfrau* und Sexarbeiterin* in einer extrem prekären Situation befand, in Wien ermordet.

Jasmin Kassai studiert Medizin an der MedUni Wien.

Anlaufstellen und Möglichkeiten, sich zu engagieren:
Initiative Frauen* auf der Flucht – unterstützt geflüchtete Frauen* im Asylverfahren etc. – https://frauenaufderflucht.wordpress.com
Migay: Verein in Wien zur Unterstützung homosexueller, bisexueller, transidenter und queerer Migrant_innen – www.migay.at
QueerBase – Welcome and support for LGBTIQ Refugees – http://dievilla.at/asyl
Oriental Queer Organization Austria – http://orqoa.at/index.html
Asyl in Not – www.asyl-in-not.org

Hürdenlauf Nostrifizierung

  • 05.12.2015, 19:18

Dokumente, Taxen, Ergänzungsprüfungen: Das steht Migrantinnen und Migranten bei der Nostrifizierung bevor. Wie erfolgt eigentlich die Anerkennung ausländischer Studienabschlüsse in Österreich? Eine Spurensuche.

Dokumente, Taxen, Ergänzungsprüfungen: Das steht Migrantinnen und Migranten bei der Nostrifizierung bevor. Wie erfolgt eigentlich die Anerkennung ausländischer Studienabschlüsse in Österreich? Eine Spurensuche.

Hasan H. (Name auf Wunsch geändert) aus dem syrischen Homs ist seit vier Monaten in Österreich und lebt in einer Flüchtlingsunterkunft in Reichenau an der Rax. Sein Asylverfahren ist mittlerweile in Gang, doch Hasan will arbeiten, und zwar so rasch wie möglich. In Syrien war der 33-Jährige als Agraringenieur tätig. Fünf Jahre hat sein Studium gedauert, nach einem weiteren Jahr und einer wissenschaftlichen Abschlussarbeit wurde ihm der Magistergrad (Arabisch: Al-madjistir) verliehen. Ob das Studium in Österreich anerkannt wird, dafür gibt es keine pauschale Regelung. Im besten Fall wird Hasan H. nach einigen Monaten Verfahrensdauer das Studium voll anerkannt. Im schlimmsten Fall gibt es keinen positiven Bescheid, sondern maximal die Anerkennung einzelner Prüfungen.

HÜRDENLAUF. Es ist ein steiniger, mit Barrieren gepflasterter Weg, den Asylwerbende und anerkannte Flüchtlinge in Österreich gehen müssen, wenn sie ihre akademischen Ausbildungen anerkennen lassen wollen. Dafür braucht es eine Menge Unterlagen, vor allem aber viel Geduld und Durchhaltevermögen. Die Nostrifizierung, so der Fachbegriff für das Verfahren zur Anerkennung ausländischer Studien in Österreich, hängt von Staatsangehörigkeit und Berufsart ab. Eine „automatische“ Anerkennung gibt es nicht – auch nicht angesichts der 90.000 Asylanträge, die in Österreich bis Jahresende 2015 zu erwarten sind. Begründung: Die Studieninhalte sind zu unterschiedlich, eine Prüfung im Einzelfall ist daher zwingend notwendig. Ein syrischer Arzt kann sich nicht darauf verlassen, in Österreich rasch in seinem Beruf arbeiten zu können.

Diese Ungewissheit schreckt viele Migrantinnen und Migranten ab, es überhaupt zu versuchen: Nur jedeR Dritte lässt sich die im Ausland erworbene akademische Ausbildung nostrifizieren. Andere verzweifeln an der Dauer des Verfahrens, an den Ergänzungsprüfungen – und geben am Weg zur Nostrifizierung auf. Selbst eine erfolgreiche Nostrifizierung ist noch kein Garant dafür, danach auch einen adäquaten Job zu bekommen. Laut einer Befragung aus dem Jahr 2012 im Auftrag der Arbeiterkammer Wien ist jedeR dritte MigrantIn in Wien unterhalb ihres/seines Ausbildungsniveaus beschäftigt. Der Anteil von überqualifiziert beschäftigten Migrantinnen und Migranten ist laut OECD in Österreich einer der höchsten innerhalb der 34 OECD-Staaten. Gesamtstatistiken gibt es jedoch nicht.

KOMPETENZ-CHECKS. Erschwert wird die Anerkennung von akademischen Abschlüssen durch das mangelnde Wissen über die Kompetenzen der Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Viele Klischees stehen im Raum – doch Daten gibt es kaum bis gar nicht. Um den Bildungsstatus zu erfassen, führt das Arbeitsmarktservice (AMS) aktuell Kompetenz-Checks durch. Mitte Dezember sollen erste Ergebnisse vorliegen.

Wer ist für die Anerkennung von Studien überhaupt zuständig? Einfach ist es nicht, das herauszufinden. Erste Anlaufstelle ist in den meisten Fällen ENIC-NARIC-Austria. Ein zehnköpfiges Team kümmert sich im Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (BMWFW) um Anerkennungsfragen. Einrichtungen dieser Art gibt es in allen EU-Staaten. Doch die tatsächliche Anerkennung eines ausländischen Studienabschlusses als gleichwertig mit dem Abschluss eines inländischen Studiums erfolgt direkt an der Universität bzw. Fachhochschule. Zwischen 2010 und 2013 gab es laut ENIC-NARIC-Austria etwa 13.000 Ansuchen auf Titel-Anerkennung, zum Großteil aus osteuropäischen Staaten und Russland. Nicht notwendig ist die Nostrifizierung übrigens für die Zulassung zu weiterführenden Studien (Magister/Master, Doktorat, PhD).

Es sind also die Universitäten und FHs selbst, die über die Anerkennung ausländischer Abschlüsse entscheiden. Doch: keine Regel ohne Ausnahme. So erkennt das BMWFW – und nicht die von zwischenstaatlichen (bilateralen) Abkommen direkt an. „Dieses vereinfachte Verfahren gilt für Absolventinnen und Absolventen bestimmter Studien aus Bosnien und Herzegowina, Italien, dem Kosovo, Kroatien, Liechtenstein, Mazedonien, Montenegro, Serbien und Slowenien“, erklärt Heinz Kasparovsky, Leiter der Informationsstelle. Auch Studienabsolventinnen und -absolventen von päpstlichen Universitäten dürfen sich über ein vereinfachtes Anerkennungsverfahren dank eines bilateralen Abkommens freuen. Initiativen, die Verfahren nun angesichts tausender Asylwerbender in Österreich zu vereinfachen, gibt es aktuell nicht. Dabei könnte eine raschere Anerkennung akademischer Studien dem Mangel an Fachkräften in zahlreichen Branchen entgegenwirken. Einerseits suchen österreichische Krankenhäuser händeringend nach medizinischem Personal, andererseits müssen aber in diesem Bereich ausgebildete Fachkräfte den langen, zermürbenden Weg der Anerkennung gehen.

BEISPIEL: UNIVERSITÄT WIEN. Dem Großteil der an der Nostrifizierung Interessierten bleibt der Gang an die Universitäten und Fachhochschulen nicht erspart. An der Universität Wien entscheidet gemäß Satzung und Universitätsgesetz die/der Studienpräses über die Nostrifizierung. Um das Verfahren starten zu können, sind zahlreiche Unterlagen nötig, so Claudia Universitäten bzw. FHs – einzelne Studien aus bestimmten Staaten aufgrund Fritz-Larott vom Büro der Studienpräses: Neben dem Antragsformular sind das die Geburtsurkunde, ein Staatsbürgerschaftsnachweis/ Reisepass, der Aufenthaltstitel, das Reifeprüfungszeugnis, ein kurzer Lebenslauf, die Urkunde über den ausländischen Studienabschluss und möglichst viele Unterlagen zum absolvierten Studium selbst, also Zeugnisse über Prüfungen, Studienbuch, Studienplan, wissenschaftliche Arbeiten usw. Die Antragstellerin oder der Antragsteller muss zudem nachweisen, dass die Nostrifizierung zwingend notwendig ist für die Berufsausübung oder die Fortsetzung der Ausbildung – ein Nachweis, der in der Praxis häufig schwierig zu beschaffen ist. De facto kann das durch den/die (künftige/n) ArbeitgeberIn geschehen, aber auch durch ein Schreiben einer Behörde.

Neben den Dokumenten ist zudem die Zahlung der Nostrifizierungstaxe erforderlich. Claudia Fritz-Larott von der Universität Wien sagt dazu: „Diese beträgt 150 Euro und ist damit im europäischen Vergleich nicht besonders hoch.“ Das Verfahren verteuert sich jedoch durch die Übersetzung der zahlreichen Dokumente, die für die Nostrifizierung vorzulegen sind. Das Nostrifizierungsverfahren dauert etwa drei Monate, so die Universität Wien, und mündet in einen Bescheid. Ist er positiv, gilt der ausländische Studienabschluss als mit dem inländischen gleichwertig. Ist er negativ, ist eine Anerkennung nicht möglich, denn Inhalt und Dauer des im Ausland absolvierten Studiums gelten als zu stark von den österreichischen Studien abweichend. Ein negativer Bescheid wird auch ausgestellt, wenn Unterlagen fehlen, die Hochschule nicht anerkannt oder die eingereichten Diplome ungültig sind. Möglich ist es dann noch, sich für ein Studium an einer österreichischen Universität einzuschreiben und einzelne Prüfungen anerkennen zu lassen. In der Praxis gibt es häufig einen Mittelweg zwischen positivem und negativem Bescheid: Der Antragstellerin oder dem Antragsteller werden Bedingungen gesetzt: Sie oder er muss dann noch einmal eine Abschlussarbeit verfassen, einzelne Lehrveranstaltungen nachholen oder Prüfungen ablegen. Auf Deutsch, versteht sich.

SPRACHKENNTNISSE ALS SCHLÜSSEL. Hier liegen auch die größten Schwierigkeiten für Migrantinnen und Migranten, so der Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds (WAFF). Auf der Flucht verloren gegangene oder im Herkunftsland zurückgelassene Dokumente lassen sich äußerst selten beschaffen. Dies führt zu Auflagen im Nostrifizierungsverfahren – und zu Verzögerungen. Denn um Prüfungen auf Deutsch ablegen zu können, ist in der Regel ein Sprachniveau auf B2 und damit ein mehrjähriges Erlernen der Sprache erforderlich. Bei „geschützten“ Berufen wie RechtsAnanwältinnen und Rechtsanwälten, Lehrerinnen und Lehrern, Medizinerinnen und Medizinern haben zudem auch die Berufsvertretungen – von der Rechtsanwaltskammer über die Ärztekammer bis hin zum Hebammengremium – mitzureden. Viele Migrantinnen und Migranten, so der WAFF, lassen es daher überhaupt bleiben und nehmen dieses langwierige Verfahren gar nicht auf sich.

Welche Alternativen bleiben Flüchtlingen also? Eine Möglichkeit wäre ein Studierendenvisum. Haken an der Sache ist jedoch, dass dieses bereits im Herkunftsland gestellt werden muss – und neben dem Nachweis, über ausreichend finanzielle Mittel (8.000 Euro am Bankkonto) zu verfügen, auch eine Versicherung sowie einen festen Wohnsitz erfordert. Einfacher geht es mit der Initiative MORE (s. Seite 11). Haken an der Sache: Prüfungen können MORE-Studierende nicht ablegen. In Deutschland startet mit dem Wintersemester die Pilotphase der „Wings University“: Sie ermöglicht, per Online-Studium auf Englisch einen Studienabschluss zu erwerben. Momentan sind vier Studiengänge im Angebot: Wirtschaftswissenschaften, Informatik, Ingenieurwissenschaften und Architektur. Der Zugang zur Online-Uni erfolgt über Einstufungstests. Zeugnisse müssen die angehenden Studierenden nicht vorlegen. All diese Initiativen, so vorbildlich und kreativ sie auch sein mögen, ändern jedoch nichts am komplizierten Verfahren der Nostrifizierung.

Hasan H. will es jedenfalls probieren und sein Studium hier in Österreich anerkennen lassen. „Was habe ich schon zu verlieren?“, meint der junge Mann aus Syrien. Sobald sein Asylantrag bearbeitet ist, will er seine Unterlagen für die Nostrifizierung an der Universität für Bodenkultur in Wien einreichen. Ihm geht es bei dem Antrag nicht nur um die Anerkennung seines akademischen Titels. Er will sich in Österreich integrieren – anerkannt sein. Nicht nur akademisch und rechtlich, sondern beruflich und persönlich.

Susanne Weber hat Politikwissenschaft in Wien und Brüssel studiert und arbeitet als Pressereferentin.

Informationszentrum für akademische Anerkennung ENIC-NARIC-Austria
www.nostrifizierung.at (auf Deutsch und Englisch)
Telefon: 0800 312 500 (gebührenfrei aus ganz Österreich)
info@nostrifizierung.at
KundInnendienstzeiten: Dienstag und Donnerstag, 9.00 bis 12.00 Uhr

Nach der Flucht: Zurück zum Uni-Alltag

  • 05.12.2015, 19:08

Nach der Flucht wieder ein Stück Normalität finden – für viele Flüchtlinge bedeutet das, ein in der Heimat begonnenes Studium wieder aufzunehmen. Einfach macht ihnen das die österreichische Bürokratie aber nicht. Magdalena Liedl hat drei von ihnen getroffen, die es trotzdem versuchen.

Nach der Flucht wieder ein Stück Normalität finden – für viele Flüchtlinge bedeutet das, ein in der Heimat begonnenes Studium wieder aufzunehmen. Einfach macht ihnen das die österreichische Bürokratie aber nicht. Magdalena Liedl hat drei von ihnen getroffen, die es trotzdem versuchen.

„Es gibt ein Lied von Helene Fischer, das heißt: Ich gebe nie auf! Das ist mein Motto“, sagt S., der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Auch seine Studienrichtung soll vage bleiben, aus Angst, seine Situation könnte sich noch weiter verkomplizieren. „Schreib beim Studium Technik!“, lacht er.

2012 schließt S. sein Bachelor-Studium an der Universität Damaskus ab – in der syrischen Regelstudienzeit von fünf Jahren. Doch eine Arbeit in Syrien zu suchen oder ein Master- Studium anzuhängen, ist keine Option mehr. Der Krieg macht das Leben in Damaskus gefährlich und die Familie von S. entschließt sich zur Flucht. Zusammen mit seinen Eltern und seinen Geschwistern flieht er nach Jordanien, von dort aus reist er alleine weiter nach Österreich. Ein Jahr nach seinem Studienabschluss steht er allein mit einem 30-Kilo-Koffer, einer Reisetasche und seiner Laptoptasche über der Schulter auf der Polizeistation in Traiskirchen. „Der Dolmetscher hat gesagt, er hat noch nie einen Asylwerber mit so viel Gepäck gesehen.“

Nach Traiskirchen kommt er in eine Flüchtlingsunterkunft in Kärnten. Dort wartet er fünf Monate auf eine Entscheidung zu seinem Asylantrag. Um nach dem Bescheid so schnell wie möglich in seiner Branche arbeiten zu können, lernt S. intensiv Deutsch. „Ich hab mich in diesen Monaten nur darauf konzentriert, Deutsch zu lernen“, sagt er. „Kommst du aus Österreich?“, fragt er dann. „Dann korrigier’ mich bitte immer, wenn ich einen Fehler mache, ja?“

Den Kärntner Dialekt versteht er so schlecht, dass er auf ungewöhnliche Methoden zurückgreifen muss. „Du gibst im Internet einfach ein: ‚Helene Fischer Lyrics‘ und dann geht das schon. Deshalb kann ich auch alle Lieder auswendig. In Österreich finden das alle immer sehr lustig.“ S. will sich seinen Bachelor-Abschluss anerkennen lassen. Mit Hilfe des Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds (WAFF) schickt er seine Papiere ans Wissenschaftsministerium. Auf einen Termin muss er zwei Monate warten. „Ich habe gesagt: Gut, ich warte. Was soll ich denn sonst machen?“

Nach drei Wochen bekommt er eine Antwort: Sein Abschluss entspräche einem Abschluss der Fachhochschule Technikum Wien. „Ich hab nicht verstanden, was das bedeutet. Ich habe so viele Leute gefragt. Manche haben gesagt: Ja, damit kannst du jetzt den Abschluss anerkennen lassen. Andere: Nein du musst noch Prüfungen machen.“

Also fragt S. bei denen, die es wissen sollten – bei der FH Technikum Wien – nach, welche Schritte jetzt zur endgültigen Anerkennung seines Abschlusses notwendig seien. „Ich habe das auf Englisch gefragt. Mein Deutsch war damals noch nicht so gut – und ich meine, das ist ja eine Fachhochschule, da sollte Englisch doch kein Problem sein.“ S. zieht das Wort „Fachhochschule“ in die Länge. „Aber die Dame hat gesagt: ‚Englisch? Nein, nein! Sie sind hier in Österreich! Sie müssen Deutsch reden! Kommen Sie wieder, wenn sie das B2-Zertifikat [übliches Deutsch-Niveau zur Uni-Zulassung in Österreich, Anm.] haben.‘“, erzählt S. „Ich wollte die B2-Prüfung ja auch machen. Aber ich wollte damals doch nur verstehen, was ich sonst noch machen muss. Muss ich zum Beispiel Prüfungen nachholen? Wenn ja, hätte ich ja schon einmal mit der Vorbereitung beginnen können. Aber sie sagte: ‚Nein, nein! Gehen Sie und kommen sie wieder mit dem B2-Zertifikat.‘“

Nachdem er mehrmals zwischen Wissenschaftsministerium, Integrationsfonds und FH hin und her geschickt wurde, hat S. eine neue Idee. Wenn er einen Master in Wien machen könnte, hätte er einen österreichischen Abschluss. „Dann könnte ich ganz normal arbeiten. Und ich könnte mich auch verbessern. Vielleicht gibt es etwas, das ich in Syrien noch nicht gelernt habe. Das wäre doch auch gut für die österreichischen ArbeitgeberInnen, wenn ich dazulerne.“

Saheib flüchtete aus Aleppo, wurde an der Montanuni Leoben zugelassen und studiert, nachdem er viele bürokratische Hürden überwunden hat, Bauingenieurwesen an der TU Wien. Foto: Chris Belous

Tatsächlich lässt ihn die Technische Universität Wien (TU) zum Master-Studium zu, unter der Voraussetzung, dass er vier Prüfungen aus dem Bachelor nachholt. Damit tut sich aber ein neues – und für studierende Asylberechtigte typisches – Problem auf: Es ist nicht erlaubt, gleichzeitig zu studieren und beim AMS gemeldet zu sein. Wenn S. also seinen Master an der TU tatsächlich angehen will, muss er sich beim AMS abmelden und verliert dadurch jede finanzielle Unterstützung. Gleichzeitig hat er keinen Anspruch auf Studienbeihilfe, denn eine der Voraussetzungen dafür ist, dass das Masterstudium innerhalb von 30 Monaten nach dem Bachelor- Abschluss begonnen wurde. Durch seine Flucht, das Warten auf den Asylbescheid und seine Deutschkurse hat S. diese Frist überschritten. So ist er nun zwar an der TU offiziell zugelassen, kann aber keine Prüfung machen, ohne die finanzielle Unterstützung des Staates zu verlieren. Er will also versuchen, Arbeit zu finden und danach sein Master-Studium beginnen.

„Der Übergang zum richtigen Leben ist schwierig“, überlegt er. „Vielleicht hätte ich es wie meine Freunde machen sollen und mir mit den Deutschkursen mehr Zeit lassen sollen. Ich habe nach eineinhalb Jahren B2 gemacht. Ich bin der erste, der ins richtige Leben muss. Meine Freunde gehen einfach immer noch in den Deutschkurs, einfach um etwas zu tun.“

ALEPPO-KAIRO-LEOBEN. Auch Saheib kennt Zeiten, in denen er einfach nichts zu tun hat. „Ich bin am 20. Oktober 2013 legal nach Österreich gekommen und ich bin legal hier geblieben“, stellt er sich nicht ohne Stolz vor, als ich ihn zusammen mit seinem Freund und Studienkollegen Yamen an der TU Wien treffe.

Saheib kommt aus Aleppo, wo er nach seinem Schulabschluss das Studium Bauingenieurswesen begann. Nach zwei Jahren bricht er das Studium ab. Uni-Gebäude werden bombardiert, die männlichen Studenten werden zum Militärdienst eingezogen. „Es ist eine Diktatur. Wer eine andere Meinung hat, wird verhaftet“, sagt Yamen. „Auch Studenten, viele meiner Freunde. Einmal wurde ein Freund während einer Prüfung abgeführt“, erzählt er. „Er ist jetzt zum Glück in Deutschland.“

Auch Saheib kann nicht bleiben. „Meine Familie hat gesagt: ‚Saheib, das ist zu gefährlich. Du musst hier weg‘“, erzählt er. Er flieht in den Libanon. Wie S. will er sein Studium unbedingt wieder aufnehmen. „Zuerst habe ich mir gedacht: Ägypten.“ So fliegt Saheib nach Kairo und bewirbt sich dort an der Uni. Doch auch in Ägypten erfährt er als syrischer Flüchtling Diskriminierung. Er bewirbt sich also um ein StudentInnenvisum in Österreich – und wird an der Montanuni Leoben zugelassen.

Doch wie bei S. schafft die Zulassung erst einmal neue Probleme: Wer mit einem StudentInnenvisum in Österreich einreisen will, braucht nicht nur die Zulassung an einer österreichischen Universität, sondern auch ein österreichisches Bankkonto. Und für ein österreichisches Bankkonto braucht man einen österreichischen Meldezettel – für den in Kairo lebenden Saheib ein Ding der Unmöglichkeit. Vier Monate braucht er, um schließlich ein Visum für Österreich zu bekommen. „Gott sei Dank hat dann alles funktioniert. Die Arbeit mit der österreichischen Botschaft in Ägypten hat so lange gedauert, dass ich das erste Deutsch-Level schon in Kairo gemacht habe“, sagt Saheib.

So kann er schließlich schon mit der A1-Deutsch-Prüfung ins Flugzeug nach Österreich steigen. „Am Flughafen in Kairo hat der Beamte meinen Reisepass angeschaut und gesagt: ‚Sie haben keinen Aufenthaltstitel für Ägypten. Wie sind Sie hierhergekommen? Sie müssen Strafe zahlen.‘ Ich habe gesagt: ‚Gut, dann zahle ich.‘ Immer noch besser als Gefängnis.“

Ein Jahr lang besucht Saheib den Vorbereitungslehrgang in Leoben und lernt Deutsch. Doch bald kommt das böse Erwachen: Die syrische Botschaft in Österreich weigert sich seinen Pass zu verlängern, da er keine Bestätigung über einen abgeleisteten Militärdienst in Syrien hat – ohne Reisepass kann er aber auch sein Visum nicht verlängern. So stellt er einen Asylantrag, der nach sieben Monaten positiv beurteilt wird. Sieben Monate, in denen Saheib nichts tun kann, sein Studium liegt auf Eis; er verliert für die Dauer des Asylverfahrens seinen Anspruch auf Studienbeihilfe.

Doch mit dem positiven Asylantrag kommt auch eine Chance: Konnte er mit seinem alten Visum nur in Leoben studieren, stehen ihm nun alle Studiengänge in Österreich offen. Das Studium Bauingenieurswesen an der TU Wien ist seinem Studium in Aleppo ähnlicher und so zieht auch Saheib nach Wien. „Ich wollte unbedingt in meiner Richtung weiterstudieren, und die gibt es in Leoben nicht.“ Ein paar Kurse von der Universität Aleppo kann er sich auch anrechnen lassen.

„Das Studium ist gut, aber nicht immer leicht“, erzählt Saheib. Wenigstens sind die finanziellen Sorgen einmal weg. Er hat wieder Anspruch auf Studienbeihilfe. „Das ist auch ein bisschen gefährlich, denn die Regeln sind hier sehr streng. Und die Regeln sagen, dass man für die Studienbeihilfe 30 ECTS im Jahr machen muss. Ich bin nicht faul und ich bemühe mich gut zu lernen, aber es ist nicht immer leicht und ich weiß nicht, ob ich das schaffen kann. Aber ich versuche es.“ Durch die verlorenen Semester während des Asylverfahrens wird Saheib die Beihilfe außerdem nicht bis zum Ende seines Studiums, sondern nur bis ins vierte Semester erhalten, aber er ist zuversichtlich. „In zwei Jahren, da hoffe ich, dass ich neben dem Studium vielleicht schon arbeiten kann. Und ich hoffe, dass ich in zwei Jahren schon zum Ende des Studiums komme.“

NUR DAS STUDIUM BLEIBT. Auch S. bleibt Helene Fischer und seinem Motto „Ich geb nie auf“ treu. Kurzzeitig hat er überlegt, nach Deutschland oder Schweden weiterzuziehen und sich dort für Praktika zu bewerben, doch mittlerweile ist seine Familie nach Wien nachgekommen. So will auch er in Österreich bleiben und weiterhin nach einer Arbeit suchen, um sein Master-Studium zu finanzieren, auch wenn man am AMS für diese Pläne wenig Verständnis hat. „Die Beraterin hat mich gefragt, warum ich studiere. Warum machen Sie das? Als ich gesagt habe‚ um einen besseren Job zu finden, hat sie gesagt: ‚Das ist mir egal. Sie müssen doch keinen Techniker-Job finden. Bewerben Sie sich halt in einer Pizzeria.‘ Aber ich habe in Syrien fünf Jahre lang studiert. Wieso soll ich jetzt in einer Pizzeria oder bei McDonalds arbeiten?“, sagt S. „Ich will in meinem Bereich bleiben. Ich mag ihn. Wir haben in Damaskus alles verloren: unser Haus, unsere Wohnung, unser Leben. Wir haben nichts mehr von unserer Vergangenheit. Ich habe nur eine Sache: mein Studium.“

Magdalena Liedl studiert Zeitgeschichte und Anglistik an der Universität Wien.