Dossier: Sexualität

Alternative Beziehungsformen

  • 10.03.2016, 18:18
Poly, offene Beziehung, Freundschaft Plus, usw. – die Liste möglicher Beziehungskonstellationen ist lang. progress hat Statements von Menschen, die nicht in der bekannten romantischen Zweierbeziehung (RZB) leben, gesammelt. Was ist toll, was nervt sie und wie lieben sie?

Poly, offene Beziehung, Freundschaft Plus, usw. – die Liste möglicher Beziehungskonstellationen ist lang. progress hat Statements von Menschen, die nicht in der bekannten romantischen Zweierbeziehung (RZB) leben, gesammelt. Was ist toll, was nervt sie und wie lieben sie?

Freundschaften plus.
Wenn meine Beziehungsform ein Label hätte, dann wohl „solo poly“. Aber eigentlich sag ich lieber: Es gibt in meinem Leben mehrere Personen, die ich gern habe bzw. liebe, und mit denen ich gelegentlich Sex habe. Bis vor zwei Jahren nannte ich es: Single mit mehreren Freundschaften Plus. Dann wies mich eine dieser Freundschaften darauf hin, dass da sehr viel Romantik zwischen uns ist, und wir eh quasi „zusammen“ sind. Seither nenne ich es Polyamorie. Die Beziehungen sind alle verschiedenartig, aber gleich wertig. Ich lebe alleine, bin gern selbstständig und unabhängig, – aber eben trotzdem verliebt und für die Menschen da, die mir wichtig sind und mit denen ich einen Teil meines Lebens verbringen möchte.
Sasha

Beziehungsformen sind politisch.
Ich habe zwei Partner, also zwei einzelne gleich wichtige und fast gleich lange Beziehungen. Alle haben dieser Konstellation zugestimmt und sind damit glücklich. Jede_r kann zusätzlich treffen und lieben, wen er_sie will. Davon erzählen wir uns dann möglichst gegenseitig. Ich hätte aber auch Verständnis dafür, wenn jemand mal etwas lieber für sich behält, solange es nicht in ein geheimes Doppelleben ausartet. Von life advice über Polyamorie halte ich ungefähr so viel wie von allen anderen Beziehungsratschlägen in Medien: Ich mag sowas nicht. Wenn ich in meinen Beziehungen Fragen, Ängste oder Probleme habe, wende ich mich lieber an den betreffenden Partner, liebe Freund_innen – oder mich selbst. Für mich ist meine Beziehungsform kein Lifestyle und schon gar keine sexuelle Orientierung; politisch ist sie schon – wie jede andere Form von Lebensgemeinschaft auch.
Lara

Ehemänner tendenziell sicher.
Ich habe zwei Freunde. Der Plural wirkt missverständlich, was soll ich sagen, Partner? Beziehungen? Ich kann nichts daran ändern, dass die deutsche Sprache da so ungenau ist. Hauptsache, ich weiß, was Sache ist, und mehr geht ja auch nicht alle was an. Wobei – dass ich niemanden hintergehe, das möchte ich schon festhalten. Nein, wir haben nichts zu dritt, und nein, ich bin nicht ständig auf der Suche nach Frischfleisch, und ja, dein Ehemann ist vor mir tendenziell sicher. Konflikte lösen wir stets partnerschaftlich – die beiden sind gewerkschaftlich organisiert. Leider musste ich in der letzten Verhandlung über Sockenlagerung Zugeständnisse machen.
Paulina

Kapitalverhältnis & Poly-Beziehung.
Schwierig wird es für mich dann, wenn unsere poly-Beziehung auf den Alltag im Kapitalismus trifft. Dass wir eine Fernbeziehung führen, hilft da wahrlich nicht. Wenn wir uns tagelang nicht mal bei Skype sehen können, weil Lohnarbeit, Studium, Aktivismus, Reproduktionsarbeit und self care jede freie Sekunde verschlingen, dann ist es schwer, wenn meine Partnerin die paar freigeschaufelten Momente auch noch zwischen ihre_r/m Freund_in und mir aufteilen muss. Jene Person, die auch noch näher wohnt, sie häufiger trifft, wenn mir nur Skype und längere Treffen in wesentlich selteneren Intervallen bleiben … Da entstehen bei mir plötzlich Eifersucht und Verlustgefühle, wo sonst kaum welche sind. Chris

Sexistische Zuschreibungen.
An die Rechtfertigungen dafür, mehrere individuelle Beziehungen zu führen, habe ich mich mit der Zeit gewöhnt. Was mich aber immer total nervt ist, dass vor allem weiblich gelesenen Personen wie mir dann oft unterstellt wird, mit jedem ins Bett zu gehen. Das ist einfach nur sexistischer Bullshit. Ebenso wie die Behauptung, ich würde schon eine RZB anfangen, wenn ich nur auf „den Richtigen“ träfe, obwohl er*sie weiß, dass ich keine Beziehungen mehr mit cis-hetero-Männern führe. Trotzdem liebe ich diese Beziehungsform, weil sie sehr auf gegenseitiger Wertschätzung, Offenheit und Konsens basiert und die unterschiedlichen Bedürfnisse mehr wahrgenommen und respektiert werden als in meinen RZB.
Liz

Doch nicht gekuschelt.
Seit sechs Jahren bin ich mit einer Person zusammen. Seit 2012 leben wir poly. Es fing alles damit an, dass ich mit einer Freundin von mir kuscheln wollte. Ich sprach es mit meine_r/m Partner_in an, mit de_r/m ich zu der Zeit monogam lebte. Wir einigten uns dann erstmal darauf, dass Kuscheln mit anderen Menschen und eventuell auch mehr okay wäre. Es kommt mir seltsam vor, dass es erst vier Jahre sind, in denen ich polyamorös lebe; so viele spannende, schwierige, gute, nervenaufreibende und identitätsstiftende Erfahrungen habe ich seitdem gesammelt. Übrigens habe ich mit der Freundin, wegen der ich die poly-Geschichte ansprach, doch nie gekuschelt: Ich war zu schüchtern, diesen Wunsch zu formulieren.
Mara

Commitment und Bedürfniserfüllung.
Ich lebe Beziehung nicht in Relation zu anderen Beziehungen. Für mich spielt keine Rolle, was andere von einem gemeinsamen Partner bekommen, so lange meine Bedürfnisse erfüllt werden. Ich muss nicht mehr haben, um meinen Status zu validieren. Ich will nicht weniger haben, um anderer Leute Status zu validieren. Leider hinterfragen die wenigsten Regeln, die nur dazu dienen, Hierarchien zu etablieren. „Love is abundant“ ist Unsinn, wenn man Menschen in Konkurrenz um Zeit und Ressourcen setzt. Bei mir müssen Dinge keinen Namen haben, so lange das nicht bedeutet, Minimalstandards zu untergraben und Vorhersehbarkeit und Commitment zu verweigern.
@sanczny

Offener Umgang mit Eifersucht.
Ich lebe polyamor. Das hat sich für mich zufällig ergeben. Eigentlich wollte ich mich nicht verlieben, sondern einfach eine Weile solo das Leben genießen und plötzlich gab es drei Menschen, die mir unheimlich wichtig wurden. Statt mich zu einer Entscheidung für eine Person zu zwingen, probierten wir Polyamorie aus und stellten fest, dass es für uns gut funktionierte. Mittlerweile gibt es fünf Menschen, die ich als meine Herzmenschen bezeichne. Ich schätze sehr, dass diese Personen alle verschieden sind und mit mir auf völlig unterschiedliche Art harmonieren. Natürlich gibt es auch manchmal Eifersucht, aber ein offener Umgang damit und mit anderen Problemen hilft sehr.
Alina Saalfeld/@andere_grufty

Bürgerliche Konsumhaltung.
Einer der für mich spannendsten deutschsprachigen Texte zum Thema „poly“ stammt von Bäumchen. Xier* schreibt im Artikel „Kein Sex (II): Class/Sex/ Race: Liebe und begehre mich (trotzdem)“ über die Verwobenheit verschiedener Machtachsen, Unterdrückungsformen und poly. Also warum poly eben nicht für alle gleich ist, und warum „immer die falschen Leute poly sind“: „Ich rede von Menschen, die andere Menschen verschleißen, weil sie keine Rücksicht nehmen. Ich glaube, dass poly deshalb eine Konsumhaltung geworden ist, weil es mehrheitlich von der weißen Mittelschicht ausgeübt wird, die vor allem eines kann: konsumieren. Und daran orientiert sich leider auch viel RZB-Kritik. Sie ist so bürgerliche Mittelschicht und weiß, dass ich jedes Mal wieder LOLe. Poly und Class sind so ein riesiges Thema und ich seh’ es nirgendwo richtig angepackt. Race ebenfalls nichts. Wer ‚lebt‘ sich bei poly aus und wer nicht? Wer muss cool bleiben und soll ‚chillen‘?“
Ariel

Offen miteinander.
Wir sind, wie in vielen anderen Beziehungen auch, meist glücklich. Wir reden viel und kuscheln noch mehr – das gibt Sicherheit und tut mir gut. Ich bin KK seit sechs Jahren kinky nahe, wir wohnen weit von einander und sehen uns zwei- bis dreimal im Jahr. Mit F teile ich seit 18 Monaten meine Gedanken, seit über einem Jahr das Bett. Und dann war ich mit J befreundet, bis wir festgestellt haben, dass wir uns auch sexy finden und da jetzt noch mehr ist. Und mit mir bin ich schon sehr lange nahe, und Verwöhnen, Sex und schöne Dinge mit mir mache ich regelmäßig. Ich genieße generell nette Menschen in meinem Umfeld. Und ich genieße alles, so wie es ist. Schön, dass wir offen miteinander sein können, das tut so gut.
Liebhardt

Gegen Vergleiche.
Ich lebe seit drei Jahren in zwei Beziehungen und alles klappt gut. Mehr will ich dazu gar nicht sagen, denn ich denke, es ist genau das Vergleichen und Analysieren von Beziehungen und Beziehungsmodellen, das es vielen Menschen immer schwerer macht, einfach ihre Beziehung(en) so zu gestalten, wie es sich für sie richtig anfühlt. Alle paar Monate lese ich in Tageszeitungen oder Blogs selbstzufriedene Artikel über nicht-monogame Beziehungen, manche kritisch, manche befürwortend – ich brauche das nicht. Ich schöpfe auch keine Identität aus meiner Beziehungsform. Ab und zu lese ich so einen Artikel gerne mit Donald-Duck-Stimme jemandem zum Einschlafen vor. Dieser Beitrag hier klingt am besten mit der Stimme von Towely aus „Southpark“.
Sonja

Intime Fragen.
Ich bin eine Frau mit zwei Boyfriends und aufgrund dieser Konstellation werden mir immer wieder Fragen gestellt. Häufig: „Wissen die voneinander?“ Natürlich wissen sie voneinander, so gut bin ich auch nicht im Geheimnisse-Bewahren. Ja, sie mögen sich. Ja, wir machen Dinge zu dritt. „Habt ihr dann zu dritt Sex?“ Was für dämliche und völlig respektlos intime Fragen man gestellt bekommt! Was dämlich und respektlos ist? Alles was ihr „ganz normale“ heteronormative romantische Zweierbeziehungen nicht fragen würdet!
Stoli Sparkles

Wenn Kapitalismus Liebe macht

  • 10.03.2016, 18:04
Die romantische Liebe gilt als letztes Refugium vor der Konsumgesellschaft. Dabei sind marktorientierte Strukturen längst in unsere Intimbeziehungen eingezogen.

Die romantische Liebe gilt als letztes Refugium vor der Konsumgesellschaft. Dabei sind marktorientierte Strukturen längst in unsere Intimbeziehungen eingezogen.

Man hatte halt Sex“, sagt meine Oma. „Nach der Hochzeit, natürlich“, ergänzt mein Opa. Ein Thema, über das meine Großeltern nicht gerne sprechen, weil es nie ein großes Thema war. Die gleiche Unterhaltung mit Freund_innen: „Leidenschaft, Liebe, Emotionalität, Freiheit, …“. Eine endlose Kette aufgeladener Begriffe, die noch ewig so weitergehen könnte. Kapitalismus passt in diese Aufzählung zunächst nicht hinein.

Dabei wurde schon das eheliche Ideal der Großeltern maßgeblich von kapitalistischen Strukturen geprägt. Ihre Beziehung formte sich in den Kinos, den Tanzlokalen und Bars der vierziger Jahre. Mit der neuen Ausgehkultur verlagerten sich die Intimbeziehungen in die Öffentlichkeit, so dass auch die Werbung zunehmend auf ein romantisches Ideal ausgerichtet wurde. Bis heute hat sich diese gemeinsame Logik von kapitalistischen Strukturen und der Idee der romantischen Liebe in heteronormativen Paarbeziehungen hartnäckig gehalten: Materielle Investitionen wie Geschenke oder gemeinsames Reisen sind genauso wichtig wie die Anerkennung des Selbst durch den/die Andere_n. Für die spätkapitalistische Selbstoptimierung ist diese Reproduktion von Individualität unabdingbar.

WAHRE LIEBE? Wie die Soziologin Eva Illouz in ihrer Studie beschreibt, wurde die romantische Liebe mit dem Aufkommen des Kapitalismus zum sicheren Hafen stilisiert und der Geschlechtsverkehr in dieser Semantik zur Quelle der Selbstfindung erklärt. Dass ausgerechnet der Sex Angriffspunkt kapitalistischer Verwertungsinteressen sein soll, läuft der romantischen Vorstellung von Intimität zuwider. Doch genau weil er in Paarbeziehungen so emotional aufgeladen ist, eignet er sich dort besonders gut, um über ökonomische Ungleichheiten hinwegzutäuschen. Besonders bei heterosexuellen Paaren.

Mit der steigenden Erwerbstätigkeit von Frauen verändert sich auch die Ökonomie der Paarbeziehungen: „Geld wird in heterosexuellen Beziehungen ganz neu verhandelt“, sagt die Soziologin Sarah Speck, „dabei werden tradierte Rollenverhältnisse aber nicht unbedingt aufgebrochen.“ Im Gegenteil. In einer großangelegten Studie untersuchte sie gemeinsam mit Cornelia Koppetsch die Dynamik von heterosexuellen Paarbeziehungen, in denen die Frau das Haupteinkommen verdient. „Geld spielt keine Rolle, egal wer es verdient“, versuchten besonders Paare aus dem akademischen Milieu zu suggerieren, so Speck. „Die zentralen Werte von Autonomie und Selbstverwirklichung sind in diesen Beziehungen oft so aufgeladen, dass sie eine faire Aushandlung der Arbeitsverhältnisse verunmöglichen.“ Oft trage die Frau die doppelte Last von Einkommen und Haushalt, ohne dass die Situation als ungerecht empfunden werde. Klassische Geschlechterverhältnisse werden abgelehnt und Ungleichheiten gemeinsam kaschiert. Dafür finde sich der Rollenkonflikt häufig in der Sexualität wieder. Dort scheinen tradierte Rollen legitim zu sein.

„Im aufgeklärten individualisierten Milieu darf Geschlechterdifferenz keine Rolle mehr spielen. Deshalb wird die Aushandlung von Männlichkeit und Weiblichkeit in den Bereich des Schlafzimmers verlagert“, so Speck: „Nach dem Motto: Wenn der Mann schon kein Einkommen reinbringt, muss er wenigstens im Bett die führende Rolle übernehmen.“ Speck sieht darin widersprüchliche Tendenzen: „Die Omnipräsenz von Sexualität konfrontiert uns mit einer massiven Bedeutsamkeit von Geschlecht und gleichzeitig würden viele das abstreiten. Unsere Studie lässt vermuten, dass gerade diejenigen, die besonders sensibel für Ungleichheiten sind, in der gelebten Sexualität in klassische Rollenverteilungen zurückfallen.“

WARE LIEBE. Beratungsforen, Werbe- und Pornoindustrie suggerieren, dass jede_r ein erfülltes Liebesleben haben kann, sofern sie_er nur darin investiert. Kann man sich dieser Ökonomisierung verweigern? Paul lebt seit sechs Jahren in einer Beziehung. Und seit drei Jahren in einer weiteren. Mit beiden Frauen schläft er und die wiederum mit anderen Menschen. Sex ist für ihn wichtig, aber keine Notwendigkeit für emotionale Nähe. „Ich behaupte nicht, dass polyamore Beziehungen frei von Machtstrukturen sind“, sagt er, „aber die werden weniger in der Sexualität verhandelt.“ Sex sei kein wesentlicher Teil der Beziehungsarbeit und entziehe sich so kapitalistischer Optimierungsansprüche: „Es gibt mehr Freiraum, unterschiedliche Bedürfnisse mit verschiedenen Menschen zu befriedigen, ohne dass die Idee der romantischen Liebe dafür instrumentalisiert wird“, erklärt Paul. Damit schwindet auch der Druck, seinen Wert durch sexuelle Kompetenz dauerhaft unter Beweis stellen zu müssen.

In der Populärkultur dominiert ein Ideal der romantischen heteronormativen Zweierbeziehung. Klar, wir verhandeln heute andere Dinge als meine Großeltern. Damals war es die Ehe, heute sind es die Liebe und insbesondere der Sex, auf die ein gesamter Markt von „romantischen Waren“ abzielt. Und diese „Ware Liebe“ brauchte schon immer das Ideal der wahren Liebe. Bevor wir also die große sexuelle Befreiung anstreben, könnten wir es dabei belassen, uns zunächst von einer Idee von Sex als autonomem Lebensbereich zu verabschieden, so unromantisch das auch klingt. Und wahrscheinlich geht der Spaß daran nicht verloren, wenn wir ihn einfach ein bisschen weniger wichtig nehmen.

Eva Hoffmann studiert Theater-, Film- und Medientheorie an der Uni Wien.

Schallmoos: Kriminalisierung von Sexarbeiterinnen*

  • 10.03.2016, 17:58
Seit November 2015 läuft die von der ÖVP initiierte Kampagne „Unterm Strich kein Spaß“. Sie verfolgt das Ziel, sowohl Sexarbeiterinnen* als auch deren potentielle Kunden aus dem Gebiet Schallmoos in Salzburg Stadt zu vertreiben. Die Mobilisierung gegen den dortigen Straßenstrich gibt es allerdings schon länger.

Seit November 2015 läuft die von der ÖVP initiierte Kampagne „Unterm Strich kein Spaß“. Sie verfolgt das Ziel, sowohl Sexarbeiterinnen* als auch deren potentielle Kunden aus dem Gebiet Schallmoos in Salzburg Stadt zu vertreiben. Die Mobilisierung gegen den dortigen Straßenstrich gibt es allerdings schon länger.

Der „Kampf“ gegen Sexarbeiterinnen* am Straßenstrich in Schallmoos ist kein neuer. Seit Jahren versuchen sowohl Harald Preuner (Vizebürgermeister von Salzburg, ÖVP) als auch die Polizei dort arbeitende Sexarbeiterinnen* durch wiederholte Kontrollen und Anzeigen zu vertreiben. Diese sogenannten Schwerpunktkontrollen zeigten allerdings mäßigen Erfolg. Frauen*, die bei diesen Kontrollen erwischt wurden, erhielten Verwaltungsstrafen, die sie entweder gleich bezahlten oder abgesessen haben. Danach sind sie wieder ihrer Arbeit nachgegangen. Nachdem aus Sicht mancher Anrainer*innen die Polizei und die Stadt Salzburg nicht imstande waren, den Straßenstrich „unter Kontrolle“ zu bringen, begannen sie sich selbst zu organisieren.

WÜTENDE BÜRGERWEHR. Im Oktober beschlossen Anrainer*innen in Schallmoos im Rahmen ihrer Vereinssitzung, dass sie nun eigenmächtig gegen den Straßenstrich vorgehen würden. Hierfür wollten sie Straßenpatrouillen einrichten und in kleinen Gruppen sogenannte „Kontrollgänge“ durch das Viertel unternehmen, um gezielt Sexarbeiterinnen* und angebliche Kunden und Zuhälter anzusprechen. Im Rahmen dieser bürgerwehrähnlichen Strukturen war weiters auch geplant, Autokennzeichen zu fotografieren und zu veröffentlichen. Es ist nicht das erste Mal, dass derartige Zusammenschlüsse wütender Anrainer*innen äußerst problematische Züge annehmen.

Nach dieser Entwicklung kam auch prompt die Reaktion der ÖVP, welche sich bereits seit Jahren die „Beseitigung„ des Straßenstrichs auf die Fahnen zu schreiben versucht. Peter Harlander (ÖVP-Gemeinderat) nahm sich der wütenden Anrainer*innen an und präsentierte im November die Plakat- Kampagne „Unterm Strich kein Spaß“. Idee der Kampagne ist es, sich große Schilder „umzuschnallen“ und mit diesen durch Schallmoos zu ziehen, um den Straßenstrich zu „säubern“. Auf den Schildern sind so kreative Sprüche zu lesen wie „Schallmoos ist kein Feuchtgebiet“, „Schenke deiner Frau lieber Blumen statt Herpes“ oder „Wahre Frauenhelden müssen nicht bezahlen“ – an Geschmacklosigkeit nur schwer zu übertreffen.

Doch wer denkt, das wäre bereits alles, hat sich getäuscht. In Zusammenarbeit mit der ÖVP, insbesondere mit Harald Preuner, und der Polizei, wurde eine „neue“ Strategie erarbeitet, um sich des „Problems“ der Sexarbeit zu entledigen: Abschiebung. Bei einer Kontrolle durch die Polizei können Sexarbeiterinnen* Strafen aufgrund des Landessicherheitsgesetzes des Geschlechtskrankheitengesetzes, oder nach dem Aidsgesetz bekommen. Nach vier verhängten Strafen wird unter Bezugnahme auf das Fremdenpolizeigesetz davon ausgegangen, dass die Sexarbeiterin* eine „Gefährdung“ für die öffentliche Sicherheit darstellt und somit abgeschoben werden kann, wenn sie nicht die österreichische Staatsbürger*innenschaft besitzt. Daran gekoppelt ist ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot in Österreich.

LÖSUNG BORDELL. In Salzburg ist die Ausübung von Sexarbeit sowohl auf der Straße als auch in Wohnungen illegal – allein in Bordellen ist sie legal. Dort ist es für Frauen* allerdings nicht möglich, selbstständig zu arbeiten. Vielmehr werden sie erst recht in ein Abhängigkeitsverhältnis gezwungen, indem sie beispielsweise hohe Abgaben an Bordellbetreiber*innen zahlen müssen, oder ihnen vorgeschrieben wird, wie und wie lange sie zu arbeiten haben. Bordelle sind für viele Sexarbeiterinnen* deshalb keine Option. Die Forderung der Politik, Sexarbeiterinnen* könnten doch in Bordellen arbeiten, zeugt letztlich also vor allem von dem Wunsch, Sexarbeit unsichtbar und leicht kontrollierbar zu machen. Die Bedürfnisse von jenen, die in der Sexarbeit tätig sind, spielen für sie keine Rolle.

Durch das Verhalten von Polizei und Magistrat verlieren die Frauen* jegliches Vertrauen zu diesen, was wiederum ihre Arbeit erst gefährlich macht. Werden sie um ihr Geld betrogen, bedroht oder missbraucht, ist es für sie keine Option, zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten. Letztlich werden mit einer solchen repressiven Politik also Sexarbeiterinnen* isoliert und ein Kontakt zu ihnen wird verunmöglicht.

Eine andere Lösung schlägt beispielsweise Christine Nagl, die für das gesamte Bundesland Salzburg einzige Streetworkerin für Sexarbeiterinnen* und Leiterin der Beratungsstelle PiA, vor. Sie fordert eine Legalisierung des Straßenstrichs in Form einer betreuten Toleranzzone, für die eine entsprechende Infrastruktur errichtet werden soll. Ziel soll es sein, dass Sexarbeiterinnen* ein selbstständiges Arbeiten möglich ist. Leider steht sie mit ihrer Forderung recht alleine da. Währenddessen beginnt die Polizei erste Sexarbeiterinnen* abzuschieben – eine Praxis, mit der Österreich durchaus vertraut ist.

Brigitte Temel studiert Psychologie an der Universität Wien.

 

Pixelsex

  • 10.03.2016, 17:36
Die weltweit meistverkaufte PC-Spiel-Reihe „Die Sims“ fand 2014 mit der Veröffentlichung von „Die Sims 4“ ihre Fortsetzung. Nach 16 Jahren fehlen jedoch noch immer unverpixelte stillende Personen_*, das Wort Sex statt „Techtelmechtel“ und queere Charaktere.

Die weltweit meistverkaufte PC-Spiel-Reihe „Die Sims“ fand 2014 mit der Veröffentlichung von „Die Sims 4“ ihre Fortsetzung. Nach 16 Jahren fehlen jedoch noch immer unverpixelte stillende Personen_*, das Wort Sex statt „Techtelmechtel“ und queere Charaktere.

Egal ob Stay-at-Home-Parent_ mit Romanzen, verheiratete Künstler_in oder ein_e Geek mit mehreren Freund_innen; seit der Veröffentlichung von „Die Sims“ im Jahr 2000 kann eins in jede erdenkliche Rolle schlüpfen. Was jedoch alle Sims gemeinsam haben: Sex unter der Decke und nackte Pixelkörper. „Bei den ersten ‚Die Sims‘ konnte man nicht mal Spaßsex haben! Nur mit dem vibrierenden Herzbett aus der Erweiterung ‚Das volle Leben‘ konnten die Sims ‚spielen‘. Das hat sich erfreulicherweise geändert“, sagt Laura Tomani und lacht. Die 23-jährige Kulturwissenschaftenstudentin an der JKU in Linz bekam mit zehn „Die Sims“ und ist seitdem Sims-Gamerin. Was Laura daran mag, ist die Verknüpfung aus dem „echtem“ Leben und dass es das gerade nicht ist. „Ich kann Göttin spielen, aber auch der Realität entfliehen“, so Laura.


404 NOT FOUND: FANTASIE. Als Fan weiß Laura aber auch, wo die programmierten Grenzen der Fantasie liegen. „Immer wieder erstellte ich Kommunenhäuser. Da war das einzige Problem die Eifersucht. Das fehlt mir an Sims: Dreiecks-, Vierecks- und andere nicht-monogame Beziehungen.“ Wenig progressiv gehen die Entwickler_ innen auch mit queeren und trans_ Charakteren um. Mit ihrer Offenheit gegenüber Homo-, A- und Bisexualität hatten sie zwar seit der ersten Sims- Generation eine Vorreiter_innenrolle inne. Seitdem hat sich aber nicht viel geändert. Crossdressing, queere oder trans_ Charaktere können auch in „Die Sims 4“ nicht gespielt werden. Aus diesem Mangel heraus entwickelten Gamer_ innen unautorisierte „Sex-Modifikationen“ („Sex-Mods“) des offiziellen Sims-Spiels. Diese machen es zum Beispiel möglich, dass Sim-Männer Kinder bekommen, Sims außerhalb des Bettes öffentlich Doggy-Style-Sex haben oder auch gegen Entgelt eine Schwangerschaft abbrechen können. Und: Nacktheit ist unverpixelt.


SEXPERIMENTE. Nina Kiel erforscht seit einigen Jahren Sex und Geschlecht in Video- und Computerspielen und weiß: „Nackt- und Sex-Mods sind weit verbreitet und eine direkte Konsequenz des von offizieller Seite zurückhaltenden Umgangs mit Sexualität. Solange Sexualität als Zensurgrund gilt, kann dieses Thema auch nicht eingehend interaktiv erforscht werden.“ Sie kritisiert die vorauseilende Zensur von Nacktheit in „Die Sims“ und wünscht sich einen lockeren Umgang mit Körperlichkeit. Was Sex anbelangt, müsse eins mehr differenzieren. „Dass Sex [in ‚Die Sims‘] nicht gezeigt wird, ist plausibel, weil die Zielgruppe in Bezug auf ihr Alter breitgefächert ist. Man übertreibt es aber mit der kindgerechten Darstellung, wenn der Geschlechtsverkehr oder Liebesakt nicht als solcher bezeichnet wird, sondern verschämt ‚WooHoo‘ (Anm. d. Red.: auf Deutsch ‚Techtelmechtel‘) genannt wird. Kann man Sex weder zeigen noch entsprechend benennen, wäre es vielleicht besser, ganz darauf zu verzichten“, so Kiel.

Gerade wegen ihrer Interaktivität bieten Computer- und Videospiele eine spannende Plattform für „aufklärerische, emotionale und horizonterweiternde Sex-Experimente“. „Bei einem Gros der Veröffentlichungen handelt es sich um interaktive Pornos, die ein völlig verzerrtes Bild von Intimität vermitteln, in dem der Mann* als Akteur und die Frau* für gewöhnlich als passives Spielzeug gezeichnet wird. Spiele, die Sex sachlich und unaufgeregt thematisieren oder auf einer persönlich-emotionalen Ebene schildern, gibt es relativ wenige“, so Kiel. Aus diesem Grund stellen besonders Games in denen Trans_Personen, Frauen_, die Nerds sind, oder Queers, ihre sexuellen Erfahrungen schildern, einen wichtigen Beitrag dar.


MMORPGLOVE. Eines dieser gelungenen Computerspiele ist das 2015 von Nina Freeman mit Star Maid Games veröffentlichte autobiografische Spiel „Cibele“. „Es ist ein Spiel über ein normales Pärchen, das den Spieler_innen die Möglichkeit gibt, in die Rolle der jungen Frau in dieser Beziehung zu schlüpfen“, so Freeman. In „Cibele“ spielt eins die 19-jährige Nina, die einen jungen Mann in dem MMORPG (Massively Multiplayer Online Roleplaying Game) „Valtameri“ kennenlernt. Nach und nach zockt eins nicht nur gemeinsam, sondern verabredet sich auch zum Chaten und Telefonieren.


Neben dem Erzählstrang der Liebesgeschichte kann eins sich durch Ninas virtuellen Desktop durchklicken. Dort finden sich Fotodateien, Sicherungen von Blogeinträgen sowie Chat- und Emailverläufe mit Freund_innen von Nina. Je mehr der_die Gamer_in sich durch ihren privaten Computer navigiert, desto klarer entwickelt sich Nina zu einem dreidimensionalen Charakter. Besonders intim kommen einer_m Selfies von Ninas Brüsten oder Nina in einem knappen silbernen Body vor, die sie Blake schickt. Doch Freeman hatte keine Bedenken deswegen: „Die sexy Selfies und Fotos sind dazu da, um die Erzählung zu unterstützen, die Spieler_innen den Charakter Nina besser verstehen zu lassen und eine Geschichte und Atmosphäre zu entwickeln, die sich echt anfühlt. Sexy Selfies zu machen ist eine ziemlich normale Sache und ich versuchte Cibele so menschlich wie möglich und Nina als real fühlende Person darzustellen.“ Freeman ist überzeugt davon, dass (sexuelle) Beziehungen zwischen Gamer_innen weit verbreitet sind: „Seit der Veröffentlichung von ‚Cibele‘ erhielt ich viele Mails von Gamer_innen, die ähnliche Beziehungserfahrungen mit Computer- und Videospielen und online hatten wie ich, als sie jünger waren. Onlinedating ist etwas, das es schon viel länger gibt, als man erwarten würde.“

Sexuelle Beziehungen werden längst real über Games geführt. Was oft fehlt, sind queere Lebens- und Sexrealitäten in den virtuellen Welten der Computer- und Videospiele selbst. Denn bei allem Wer-anderes-sein wollen sich die Gamer_innen in den Spielen wiedererkennen. So auch Laura: „Games bieten dir so viele Möglichkeiten. Und am Ende baue ich meist doch meine Realität ein.“ Manchmal reicht es nicht, die (Sex-)Göttin_ zu sein, wenn Laura Laura spielen will.

Lukas Kitzenmüller studiert Chemie an der Universität Wien.

Retter_innen der Kernfamilie

  • 10.03.2016, 17:17

Stärker denn je nehmen Rechtsextreme (staatliche) Gleichstellungspolitiken und sexualpädagogische Maßnahmen ins Visier. Besondere Bedeutung kommt dabei den Debatten rund um vermeintliche „Frühsexualisierung“ zu.

Obgleich die Bedeutung des Schlagworts „Frühsexualisierung“ in rechtskonservativen und rechtsextremen Diskursen zumeist nicht näher ausgeführt wird, scheint sich der Terminus in den letzten Jahren zu einem Kampfbegriff entwickelt zu haben. Er wird dabei vor allem zur Abwehr zeitgemäßer pädagogischer Ansätze der Sexualerziehung im frühen Kindesalter zum Einsatz gebracht, die Kindern ein positives Körpergefühl, Abbau von Schamgefühlen und die Entwicklung einer verantwortungsvollen, selbstbestimmten Sexualität ermöglichen sollen. Die Bestrebungen zielen unter anderem auf die Befähigung ab, (sexualisierte) Gewalt zu erkennen und sich gegen diese zur Wehr zu setzen.

In kindergerechter Weise werden Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit nur als eine von vielen gleichberechtigten Möglichkeiten geschlechtlicher und sexueller Lebens- und Begehrensformen präsentiert, von „natürlichen“ Vorstellungen von Sexualität wird Abstand genommen. Grund genug für konservative und rechte Kräfte, Sturm zu laufen. Anlass für Diskussionen lieferten in Deutschland ein Methodenbuch zur „Sexualpädagogik der Vielfalt“ sowie Bestrebungen, „Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Identitäten“ in Sexualkunde-Unterrichtspläne zu integrieren.

In Österreich wiederum stand vor allem die 2012 vom Verein Selbstlaut herausgegebene sexualpädagogische Broschüre „Ganz schön intim“, die Lehrer_innen Anregungen für die Thematisierung von Liebe und Sexualität im Unterricht liefert und unter anderem Selbstbefriedigung, Patchwork-Familien, gleichgeschlechtliche Beziehungen und Intersexualität selbstverständlich behandelt, im Fokus eines vermeintlichen Skandals. Sowohl von ÖVP, FPÖ, BZÖ als auch (rechts-)katholischen Organisationen wurde die in den Medien als „Sex- Fibel“ (Kurier) oder „Sex-Unterlagen“ (Krone) betitelte Broschüre als „verstörend“ kritisiert, da sie homosexuelle Paare heterosexuellen gleichstellt. Dadurch würde, so die homophobe Argumentation, die „Kernfamilie bedroht“ und „Kindern ein irritierendes Bild von Familie und Sexualität“ (Barbara Rosenkranz) vermittelt.

ALTBEKANNTE MUSTER. In der Diskreditierung derartiger pädagogischer Ansätze bedienen sich Rechtsextreme bekannter Methoden, die von selektiven Darstellungen über die Umdeutung von Diskursen bis hin zur Verbreitung von Unwahrheiten reichen. So ist in einschlägigen Veröffentlichungen und Wortbeiträgen von „ideologischer Stimmungsmache“, „staatlicher Umerziehung“, „Indoktrination“, „Manipulation“ oder der „Trans- und Homosexualisierung“ der Kinder und Schulen zu lesen und zu hören.

Nicht selten inszenieren sich die selbsternannten Retter_innen der „Kernfamilien“ dabei als die eigentlichen Diskriminierten, da „Berufsschwule“ und „Genderbeauftragte“, so die beinahe wahnhaften Vorstellungen, bis in die Klassenzimmer die Erziehung ihrer Kinder bestimmen könnten, während die Rechte der Eltern ausgehebelt würden. Der Diskurs fixiere sich zudem zu stark auf „Diskriminierungen, die in der sexuellen Identität begründet sind“, wohingegen andere Benachteiligungen außer Acht gelassen würden. So wird „Frühsexualisierung“ von der Auflösung der Familie bis hin zum Niedergang des Bildungssystems und des (deutschen) Volkes für so ziemlich alles verantwortlich gemacht. Wenig verwunderlich auch, dass in antifeministischer Manier Vaterlosigkeit als schwerwiegenderes Problem in Stellung gebracht und in weiterer Folge bejammert wird, dass (frauenfeindliche) Väterrechtsorganisationen nicht in gleicher Weise an Schulen dürften wie Sexualpädagog_innen. Umschreibungen wie „unnatürlich“, „pervers“ oder gar „pädophil“ zielen zudem nicht nur darauf ab, Homosexualität damit in Verbindung zu bringen, sondern alles von Heterosexualität Abweichende zu stigmatisieren.

BESORGTE ELTERN. Inszenierte Angst- und Bedrohungsszenarien ermöglichen es der extremen Rechten, ihre Positionen als notwendige, legitime Kritik in öffentlichen und medialen Debatten zu präsentieren. Durch die ohnehin tiefe Verankerung derartiger Denkmuster in der Mitte der Gesellschaft, gelingt es ihnen zudem, ihre antifeministische und homophobe Agenda als mainstreamfähig darzustellen.

Die Hartnäckigkeit, mit der Rechtsextreme hierzulande versuchen, sexualpädagogische Debatten zu beeinflussen, zeigte sich zuletzt auch an Hand einer auf progress-online.at erschienenen Rezension zweier Kinderbücher, „die darauf verzichten, die Mär von Zweigeschlechtlichkeit und Vater- Mutter-Kind-Familien zu zementieren“. Grund genug für manche sowohl auf Facebook wie auch der rechtsextremen, von Martin Graf gegründeten, Internetplattform unzensuriert.at heiß zu laufen und mit biologistischen Argumenten die heterosexuelle Kleinfamilie als einzige zur Reproduktion fähige, „natürliche“ Instanz zu verteidigen.

Der Grund für das unglaubliche Mobilisierungspotential derartiger Diskurse kann vor allem darin gefunden werden, dass durch Sexualerziehung im frühen Kindesalter tatsächlich die Möglichkeit besteht, sexistischen, homo- und transfeindlichen Denkmustern präventiv vorzubeugen. In Aufruhr scheinen Rechtsextreme und ihre Verbündeten jedoch vor allem deswegen zu sein, weil durch derartige Bestrebungen nicht nur dichotome Geschlechtervorstellungen ins Wanken geraten, sondern auch die traditionelle heteronormative, bürgerliche Kleinfamilie. Die Familie wird als „Keimzelle, Rückgrat und Leistungsträger“ der Gesellschaft dagegen in Stellung gebracht, um vermeintlich natürliche Geschlechterordnungen und die damit verbundenen Privilegien aufrechtzuerhalten und abzusichern. Das vermeintliche Wohl der Kinder wird für die eigenen Interessen instrumentalisiert.

Judith Goetz ist Literatur- und Politikwissenschafterin und Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (www.fipu.at).

Das Restl kommt zum Schluss

  • 10.03.2016, 17:02
Die möglichen Spielformen und Konstellationen von Sex sind vielfältig und unzählbar. Viele Techniken und Strategien von Aufriss bis Zeugung werden in Zeitschriften und Ratgebern besprochen, analysiert und kultiviert. An dieser Stelle soll es zur Abwechslung um eine weniger angesehene Art des Beischlafs gehen: das Restlbumsen.

Die möglichen Spielformen und Konstellationen von Sex sind vielfältig und unzählbar. Viele Techniken und Strategien von Aufriss bis Zeugung werden in Zeitschriften und Ratgebern besprochen, analysiert und kultiviert. An dieser Stelle soll es zur Abwechslung um eine weniger angesehene Art des Beischlafs gehen: das Restlbumsen.

Eine andere, eventuell bekanntere – weil standarddeutsche – Bezeichnung für das Restlbumsen ist Resteficken. Im Gegensatz zum Bumsen klingt die Zusammensetzung mit Ficken allerdings so tough und ungemütlich, dass der Kern des gesamten Vorganges nicht genügend beschrieben wird. Bumsen klingt nach zufälligem Ineinanderlaufen, nach einer tollpatschigen Begegnung – und das trifft es ganz gut.

Gehen wir? Das Restlbumsen ist ein Phänomen des (Post-)Nachtlebens. Sobald in der Disko die Musik aus ist und das Licht angeht, sucht man sich möglichst schnell ein geeignetes Gegenüber und macht sich gemeinsam auf den Weg in ein beliebiges Bett. Wer möchte denn schon gern allein schlafen nach einer durchtanzten Nacht? Oder die wichtigere Frage: Wer möchte eine schöne Nacht nicht noch mit Sex toppen? Eventuell die wichtigste Frage: Wer kann nach einer stark alkoholgetränkten Nacht überhaupt allein nach Hause gehen und nicht in sein Kissen weinen vor Einsamkeit?

In der Sekunde, in der der Club das Programm beendet, die letzte Runde an der Bar längst ausgeschenkt ist, die Anlage ab- und aus purer Böswilligkeit das Licht aufgedreht wird, sich alle Anwesenden zum vielleicht ersten Mal ins Gesicht sehen, endlich unterhalten können, ohne sich anzuschreien und man gemütlich ein letztes Mal die Toilette aufsucht, weiß man: Man ist selbst ein Restl. Die anderen sind Restln. Die Übriggebliebenen, die Verlassenen. Den Absprung vor dem Rausschmiss hat man verpasst, dies lässt sich nicht mehr nachholen.

In ganz seltenen Fällen ist die Party zu schnell vorbei gewesen und es gibt die reale Möglichkeit, an einem anderen Ort einfach weiterzufeiern. In dieser speziellen Situation gibt es keine Restln, sondern die Veranstalter*innen sind in die Verantwortung zu nehmen, viel zu früh und zu Unrecht die Feierei beendet zu haben.

Plötzlich auch ein Restl. In allen anderen Fällen gilt aber: Du und alle anderen seid Restln. Es besteht nun die Möglichkeit, es einfach gut sein zu lassen, den Club zu verlassen und allein schlafen zu gehen. Mit viel Glück ist sogar noch das eine oder andere bekannte Gesicht in der kleinen übriggebliebenen Menge und man teilt sich ein Taxi. Im Morgengrauen verabschiedet man sich, schmiert sich zuhause noch ein Brot und legt sich schlafen. Dies ist nicht immer eine Option.

Meistens ist das sogar die Horroralternative. Wie die Münchner Freiheit schon sang: Ohne dich schlaf ich heut Nacht nicht ein! Und manchmal ist es eben egal, wer die Person neben bzw. unter einem ist. Also heißt es schnell die Restlmenge im Club zu mustern und jemanden auszuwählen. Dies erscheint als der strategisch klügere Zug als zu warten und angesprochen zu werden, denn man hat noch die volle Auswahl und eine Abfuhr ist extrem unwahrscheinlich. Es kann behilflich sein, dass man sich die Diskoszene aus Trainspotting ins Gedächtnis ruft und sie bei Bedarf vor dem inneren Auge abspielen lässt: Renton spricht sehr verzweifelt, aber geschickt Diane an, sie serviert ihn ab, wartet aber im Taxi auf ihn, sie knutschen und bumsen im Anschluss. Perfekt.

So sollte es idealerweise immer laufen. Achtung bei zu betrunkenen Restln (Stichwort: 2 Drunk 2 Fuck). Das gilt auch für einen selbst. Zu betrunken zum Bumsen zu sein ist das Eine – in ein fremdes Klo kotzen zu müssen ist das Andere. Man muss sich zwischen Komplettabsturz und Restlbumsen rechtzeitig entscheiden. Ein kleiner Bonus bei Ersterem ist es, dass man im Superalkmodus ebenfalls gut schlafen kann, in dem Fall allein.

Beim Restlbumsen handelt es sich um eine sehr spezielle Art des Abschleppens. Der reguläre Vorgang des Ansprechens, anschließenden Kennenlernens und Interessezeigens wird auf ein Minimum reduziert. Dementsprechend ist das Gespräch nicht nur kürzer, sondern auch sehr viel entspannter. Im krassen Gegensatz zu einer vollen Tanzfläche mit lauter Musik, unendlich vielen Menschen und dazugehörigen Menschengruppen ist die kleine Gruppe an Übriggebliebenen am Ende einer Clubnacht genau zwischen todmüde und hellwach bzw. ausgepowert und voller Adrenalin. Diejenigen, die übermäßig schnell nach ihrer Jacke suchen und aus dem Raum flüchten, sind entweder absolut desinteressiert an diesem Zirkus, blutige Anfänger*innen, die sich in der Zeit verschätzt haben oder einfach „zu alt für den Scheiß“. Für die anderen gilt: nichts überstürzen, Lage checken, kurz überlegen, ob das eigene Zimmer oder die Wohnung überhaupt aufgeräumt ist, und dann drauflosquatschen. Eine Warnung sollte besonders an die lesenden Männer* ausgesprochen werden. Wie immer gilt: nicht übertreiben, jede Ablehnung akzeptieren, auf alle kleinen Zeichen achten, keine Gruppen ansprechen und so weiter.

Ende gut, alles gut. Alles Weitere ist weniger spektakulär und bekannt. Vermutlich wird es kein Knutschen im Taxi geben, denn dazu ist man zu müde. Im schlimmsten Fall gibt es nicht einmal ein Taxi. Irgendwo angekommen macht man einen Kommentar zur Wohnsituation („Pass bitte auf die Katze auf“, „Meine Mitbewohner schlafen schon“, „Weck bitte meine Eltern nicht auf“ etc.) – genau wie bei einem One Night Stand. Es schickt sich als Gast, möglichst unbemerkt zu verschwinden, so wie es sich für den*die Gastgeber*in schickt, am Morgen einen Kaffee zu machen.

Katja Krüger studiert Gender Studies an der Universität Wien.