Dossier: Politik die wirkt

Klopapier ist keine Lösung

  • 15.05.2013, 16:20

Dieser Artikel richtet sich ausschliesslich an jene unter Euch, die die
ÖH-Wahl schwänzen möchten. Alle WahlgängerInnen können schon zum
Sudoku vorblättern.

Dieser Artikel richtet sich ausschliesslich an jene unter Euch, die die  
ÖH-Wahl schwänzen möchten. Alle WahlgängerInnen können schon zum  
Sudoku vorblättern.
Es ist gerade 9:30h, ich sitze in einem Hotelzimmer in Salzburg. Das  
Gestöhne und jajajajajajajajajajaja-Geschrei der Hotelgästin im  
Nebenzimmer macht es nicht gerade einfach, klare Gedanken zu fassen  
mit welch selbigen ich Euch zum Wahlgang motivieren könnte. Ich  
versuch's trotzdem.
Geht's hin! Trefft Eure Wahl! Wer dem alten Spruch fröhnt 'Ich steck  
eana a Klopapier ins Kuvert, weil Scheisser sind's eh alle!', ist ein  
Volllulu.
Das Recht auf Mitbestimmung ist (neben gutem Mensa-Essen) das  
wertvollste demokratisch Gut. Macht Gebrauch davon, egal was Euer  
Anliegen ist. Egal, ob Euch die politische Farbe wichtig ist, Ihr echt  
was verändern möchtet, oder alles anders werden muss.
Die Wahlbeteiligung spiegelt Euer Interesse an Selbstbestimmung mehr  
wieder als das Wahlergebnis.
Ihr verbringt Jahre in überfüllten Hörsälen, Gängen und Instituten. Und  
da sind Leute die drauf scharf sind, Eure Interessen zu vertreten.  
Gebt Ihnen ein starkes Mandat!
Es ist nämlich nicht wurscht. Dreht den Wahl-Swag auf und redet mit.

Endlich, die Nachbarn sind mit dem Guten-Morgen-Bums fertig. Deren  
Inbrunst möchte ich Euch mitgeben auf den Weg der Entscheidung.
Jajajajajajajajajaja, geht wählen! Es ist geil mitzugestalten. Es  
müssen nicht immer 17 Minuten Vereinigung sein. Kreuzerl machen kann  
auch sehr befriedigend sein, ich versprechs Euch.

Chapeau,
hermes

Warum sich wählen gehen lohnt

  • 04.05.2013, 21:15

Wahlaufrufe von Sieglinde Rosenberger, Mirjam Unger und Kurt Palm.

Wahlaufrufe von Sieglinde Rosenberger, Mirjam Unger und Kurt Palm.

Sieglinde Rosenberger. Fotos: privat

Knappe Ergebnisse

Die ÖH ist eine repräsentative Institution. Sie vertritt die Studierenden sowohl in hochschulpolitischen Fragen an den Universitäten und Fachhochschulen als auch gegenüber dem Wissenschaftsministerium. Zudem bringen sich ÖH-FunktionärInnen in gesellschaftspolitische Konflikte ein – in Konflikte, die nicht unmittelbar und direkt mit Universitäten und Fachhochschulen, aber mit Bildung und Ausbildung im weiteren Sinne zu tun haben.

Repräsentation ist also Vertretung, sie läuft aber auch auf Präsenz hinaus. Mittels Wahlen wird (maßgeblich) entschieden, wer in Gremien präsent ist, wessen Stimme direkt gehört wird und wessen Stimme von wem vertreten wird. Wer jene sind, die Anliegen und Interessen vertreten, ist keine unwesentliche Angelegenheit. Dies verdeutlichen die Plakatwälder vor den Uni-Gebäuden, die vielen Flyer, die Studierende oft neugierig, aber auch widerwillig entgegennehmen. Die mehr oder weniger provokanten Slogans, die lautstarken Versprechungen und Forderungen machen deutlich, dass sowohl die Stärke der ÖH in Gesprächen mit dem Wissenschaftsminister als auch die Stärke der Fraktionen vor Ort nicht unerheblich ist. Schließlich hängt die Legitimität, stellvertretend für Andere zu sprechen, ein Stück weit von der Wahlbeteiligung ab. Aber nicht nur die Legitimität, sondern auch die konkrete Interessenspolitik an den Universitäten und Fachhochschulen, hängt von der Zahl der abgegebenen Stimmen ab.

Die Beteiligung an den ÖH-Wahlen war in den letzten Jahren eher gering. Etwas zynisch gilt, je weniger zur Wahl gehen, desto gewichtiger ist jede einzelne Stimme. Tatsächlich passiert es immer öfter, dass äußerst wenige Stimmen ein Wahlergebnis grundsätzlich verändern – siehe etwa die Präsidentschaftswahl in den USA 2000, wo etwa 500 Stimmen zwischen George W. Bush und Al Gore entschieden haben, oder erst kürzlich in Kärnten, wo eine einzige Stimme den Ausschlag gegeben hat, dass ein Reststimmenmandat vom BZÖ zu den Grünen gewandert ist. Ähnlich knappe Ergebnisse dürfen wohl auch bei der kommenden ÖH-Wahl erwartet werden.

Sieglinde Rosenberger, Politologin
 

Kurt Palm

Wer heute nicht wählt, wird morgen gequält

Stell dir vor, es ist Wahl und keiner geht hin. Okay, ich weiß, der Bart dieses Spruchs ist ungefähr so lange wie der von Billy Gibbons und Dusty Hill von der Band ZZ Top (Beer Drinkers and Hell Raisers; Arrested for Driving While Blind etc.), trotzdem könnte er aufgrund der Tatsache, dass bei den letzten ÖH-Wahlen nicht einmal mehr 30 Prozent der StudentInnen von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht haben, bald Wirklichkeit werden. Auf der einen Seite ist es verständlich, dass angesichts des Grauens, das sich in den Niederungen der Politik abspielt, viele Menschen von Wahlen nichts mehr wissen wollen, auf der anderen Seite stellt sich aber die Frage: Wem nützt es?

Tatsache ist, dass das Kapital, dem die etablierten Parteien ja nur noch als Staffage dienen, an einem demokratischen Meinungsbildungsprozess absolut kein Interesse hat. Wie sagte doch kürzlich der deutsche Finanzminister Schäuble, nachdem die EU-Kommission, die Europäische Zentralbank und der Internationale Währungsfonds das Zypern-Problem auf ihre Weise „gelöst“ hatten: „Eine Zustimmung des Parlaments in Nikosia ist nicht mehr nötig.“ 

Kein Wunder also, dass Wahlen immer mehr zu inhaltsleeren PR-Shows verkommen, wo einem oft nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera bleibt. Ein deutliches Indiz dafür ist ja auch das völlige Versagen der Sozialdemokratie und deren Kapitulation vor dem neoliberalen Wahnsinn, wodurch sich das Vakuum links von der Mitte in den letzten Jahren bedrohlich vergrößert hat. 

Natürlich stellt sich in Anbetracht dieser bedenklichen Entwicklung die Frage, ob Wahlen überhaupt noch einen Sinn haben. Ich glaube, dass gerade die Geschichte der StudentInnenbewegung der letzten Jahrzehnte gezeigt hat, dass Wahlen vor allem dann einen Sinn haben, wenn sie als Teil des Widerstands verstanden und mit außerparlamentarischen Formen des Protests verknüpft werden. Ein Gremium wie die ÖH kann dabei eine wichtige Rolle spielen, weshalb deren Stärkung durch eine hohe Wahlbeteiligung zumindest ein kleiner Schritt in die richtige Richtung wäre. Über eine geringe Wahlbeteiligung würden sich vor allem jene freuen, die die Universitäten zu bloßen Ausbildungsstätten für kritiklose Befehlsempfänger degradieren wollen, weil sie dann nicht einmal mehr in den Gremien mit Widerstand rechnen müssten. 

Und über eines sollte man sich auch im Klaren sein: Wer heute nicht wählt, wird morgen gequält.

Kurt Palm, Autor und Regisseur

 

Mirjam Unger

Möglichkeiten zur Verbesserung

Warum es sich lohnt, wählen zu gehen? Prinzipiell bin ich immer dafür, von der eigenen Stimme Gebrauch zu machen. Mit Demokratie kann ich mich an der Zivilgesellschaft beteiligen. Ich nehme jede Wahl wahr und gebe auch immer jemandem mein Kreuzchen. Weiß wählen ist nicht meins. Manchmal ist es die bessere Wahl, manchmal das kleinere Übel, denn die Chance, rechte Gruppierungen aufzuhalten, lasse ich mir zum Beispiel nicht nehmen und die Hoffnung auf die Möglichkeit von Verbesserung und Veränderung auch nicht. Gerade an der Universität kandidieren manchmal noch Menschen mit ungebrochenem Enthusiasmus und konkreten Ideen, die weiter gehen, als es der Mainstream erdenkt und zulässt. Das ist ein Wahlrecht, von dem ich Gebrauch machen würde, es spricht nicht viel dagegen. Eher vieles dafür.

Mirjam Unger, Filmregisseurin

Ähnlich wie beim Songcontest

  • 04.05.2013, 18:59

Europäische Bildungspolitik gibt auf nationaler Ebene immer mehr den Ton an. Die European Students’ Union (ESU) versucht als Studierendengremium die Interessen von elf Millionen Studierenden zu wahren und kämpft um mehr Mitspracherecht.

 Europäische Bildungspolitik gibt auf nationaler Ebene immer mehr den Ton an. Die European Students’ Union (ESU) versucht als Studierendengremium die Interessen von elf Millionen Studierenden zu wahren und kämpft um mehr Mitspracherecht.

Diesmal schottet sie sich komplett ab. Das hat sich Tinja Zerzer für die eineinhalb Wochen vor ihren Prüfungen vorgenommen. Das Auslandssemester der Wienerin in Frankreich ist zeitaufwendig, die drei Prüfungen kommende Woche und die darauffolgende Hauptversammlung liegen ihr im Magen.Es ist Sonntag und die Volkswirtschaftsstudentin sitzt in der Nationalbibliothek in Paris und lernt. Außerdem ist dies der einzige Ort in ihrer Nähemit funktionierendem WLAN-Zugang. Während andere vor ihren Büchern sitzen und pauken, muss Zerzer auch jetzt noch beruflich Mails beantworten und Skype-Konferenzen über EU-Politik führen. Die 22-Jährige begann ihr unipolitisches Engagement im Referat der Bundes-ÖH für internationale Angelegenheiten. Seit April setzt sie sich auf Europaebene für das selbe Anliegen ein, das die HochschülerInnenschaft auf nationaler Ebene verfolgt: qualitative Bildungspolitik. Als ExecutiveCommitee (EC)-Mitglied der European Students’ Union, kurz ESU, vertritt sie als einzige Österreicherin die Interessen von über elf Millionen europäischenStudentInnen.

Die ESU ist der Dachverband von 47 nationalen Studierendenvertretungen aus 39 Ländern. Sie versucht, den bildungspolitischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Interessen der Studierenden vor der Europäischen Union, dem Europarat und der UNESCO Platz einzuräumen. Das ist nicht immer einfach, schließlich wird in jedem Land das Studierendengremium anders organisiert. So ist die Situation der studentischen Mitbestimmung in Österreich anders als etwa in Weißrussland. Denn währendhierzulande die BundeshochschülerInnenschaft durch Pflichtbeiträge als Körperschaft öffentlichen Rechts circa 2,5 Millionen Euro zur Verfügung hat,kämpft die Studierendenvertretung in Weißrussland ohne Budget im Untergrund gegen die politischen MachthaberInnen. „Wir versuchen so gut wie möglich auf die einzelnen Nationalstaaten einzugehen und zu helfen, wo wir können“, sagt Zerzer, die als EC-Mitglied die Verantwortung für die politischen und finanziellen Entscheidungen der ESU trägt. Aktuell standen Mitglieder des Gremiums Seite an Seite mit hunderten DemonstrantInnen, die in Budapest aufgrund von geplanten Budgetkürzungen aufdie Straße gingen. Zusammen mit der ungarischen Studierendenvertretung (HÖOK) erwägen sie jetzt, eine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einzubringen. Und auch als 2009 das Wiener Audimax besetzt wurde, zeigte sich die ESU solidarisch und verschaffte der unibrennt-Bewegung international Rückenwind.

Politischer Auftrag. Der Kampf um Bildung wird nicht mehr nur auf nationaler, sondern zunehmend auch auf internationaler und europäischer Ebene ausgetragen. Deswegen wird es unverzichtbar, auch die Kompetenzen der einzelnen nationalen StudentInnenorganisationen auf die europäische Gemeinschaftsorganisation zu übertragen. Geht esbeispielsweise nach dem Europäischen Parlament und der Kommission, dann sollen beim Erasmus-Studienprogramm in den nächsten Jahren 150 Millionen Euro eingespart werden. Drei Millionen junge EuropäerInnen haben in den vergangenen 25 Jahren mit diesem Programm in einem anderen EU-Staat studiert. Der Rotstift soll dort angesetzt werden, wo es vor allem finanziell schwächere Studierende am härtesten trifft: bei den Erasmus-Stipendien. Zukünftig sollen diese durch ein Studienkreditsystemersetzt werden. Das Geld soll nach dem Auslandsaufenthalt zurückgezahlt werden.

Der Dachverband ist aber nicht mit Lobbyunternehmen von Großkonzernen vergleichbar. Dafür hat die ESU zu wenig Geld zur Verfügung. Die finanziellen Mittel der ESU kommen aus den Finanztöpfen der einzelnen Studierendenvertretungen und aus projektbezogenen Fördergeldern der EU. Mit 15.000 Euro zahlt Österreich zusammen mit Norwegen und Großbritannien den größten Beitrag. Insgesamt hat die ESU jährlich um die 160.000 Euro zur Verfügung. Da jedes Projekt einzeln finanziert wird, istes laut Zerzer schwierig, in langfristige Projekte zu investieren. Auch das Nahverhältnis zur EU ist ein Kritikpunkt: Die ESU bekommt ihre finanziellen Mitteln zum Teil von der EU und agiert somit inhaltlich nicht ganz unabhängig. Die ESU wird von der Europäischen Union in die meisten Gremien freiwillig eingebunden, ist aber im Gegensatz zurÖH in keinem Gesetz verankert. Trotzdem war der Dachverband in seiner 31-jährigen Geschichte noch nie so einflussreich wie heute.

Vom Informationsbüro zur politischen Organisation 1982 agierte sie noch unter dem Namen Western European Student Information Bureau– mit demZiel, Studierende aus Großbritannien, Schweden, Dänemark, Norwegen, Island und Österreich zu vernetzen. Nach dem Fall der Sowjetunion wurdesie ein Organ für alle Studierenden Europas. Seit ihrem 25-jährigen Jubiläum im Jahr 2007 heißt das Gremium European Students’ Union. Die BeziehungÖsterreichs zur ESU war von Anfang an besonders eng: Bevor das Büro 2000 nach Brüssel zog, war es zwölf Jahre lang in Wien beheimatet.

Eines der wichtigsten Themen ist seit 2001 der Bologna-Prozess. Als Mitglied der Bologna Follow-Up Group ist die ESU mit der Umsetzung des europäischen Bologna-Prozesses vertraut. Im Rahmen der eher ökonomistisch orientierten EU-Aktivitäten bringt die ESU die Interessen der Studierenden undihre sozialen und finanziellen Bedürfnisse auf überstaatlicher Ebene zur Diskussion – „Wir kämpfen für die Harmonisierung des europäischen Hochschulraums, um ihn einfacher und zugänglicher zu machen“, sagt Zerzer.

Die ESU ist in vier Hauptarbeitsgruppen geteilt, in denen jeweils Themen wie ECTS, Zugang zu Bildung, Zukunft und Gender erarbeitet und weiterentwickelt werden. Die Arbeitsgruppen führen Gespräche mit EntscheidungsträgerInnen, organisieren Diskussionsabende, schreiben Papers und vernetzennationale UnipolitikerInnen. Die richtungsweisenden Beschlüsse finden in den halbjährlichen Hauptversammlungen statt.

Jedes Land hat bei den Versammlungen zwei Stimmen zur Verfügung. Ähnlich wie beim Eurovision Songcontest, bilden sich bei den VersammlungenBlocks. So haben beispielsweise Island, Norwegen, Schweden, Dänemark, Finnland, Estland, Lettland und Litauen insgesamt weniger Studierende in ihrenLändern als etwa Polen, aber zusammen acht Mal mehr Stimmgewicht. Auch Zerzer sieht das Problem: „Die Blocks bilden sich nach demselben regionalenMuster wie in der restlichen europäischen Politik. Wir als junge Generation schaffen es noch immer nicht, darüber hinwegzukommen, beziehungsweisees besser zu machen.“

40 Stunden für 300 Euro. Ein weiteres Manko ist die Dauer und Bezahlung der ESU-Mitarbeit selbst. Vorsitzende und EC-Mitglieder arbeiten nurfür ein Jahr. Eine langfristige Planung ist deshalb nicht möglich. Notwendiges Know-how gehe sehr schnell verloren. Es gibt nicht viele, die sich diesenJob freiwillig antun, sagte unlängst Karina Ufert, Vorsitzende der ESU, gegenüber Universityworldnews und sprach damit die prekäre Situation derESU-MitarbeiterInnen an. Während die drei Vorsitzenden Vollzeit in einem Büro in Brüssel arbeiten, engagieren sich alle anderen neben ihrem Studiumfür das Gremium. Das bedeutet für Zerzer und ihre KollegInnen, für bis zu 40 Arbeitsstunden pro Woche monatlich eine Aufwandsentschädigung von300 Euro zu bekommen. „Viele von uns sind rund um die Uhr online. Es gibt immer eine Kleinigkeit zu besprechen“, sagt Zerzer. Auch für ihr Studium seidas nicht immer ideal gewesen, sagt sie und erzählt von den VWL-Prüfungen, die sie vor, während oder nach wichtigen Sitzungen bestehen musste. Auchdie letzte Hauptversammlung findet noch in ihrer Prüfungswoche statt. Diesmal versucht sie sich aber mehr Zeit für die Uni einzuräumen.

Während die ESU für manche Studierende lediglich Zwischenstation auf dem Weg in die Europapolitik ist, vergessen andere die Worte Freizeit und Feierabend und opfern ein Jahr für grenzüberwindende bildungspolitische Arbeit. Ob Zerzer weiter in der Bildungspolitik sein will? „Erstmal möchte ich wieder nach Wien zurückkehren. Aber wie heißt es so schön: Sag niemals nie.“ Elisabeth Gamperl studiert Kultur- und Sozialanthropologie in Wien.

 

„Unser Veränderungsdrang wird sich nicht abstellen lassen“

  • 04.05.2013, 18:42

Vom 14. bis 16. Mai finden die ÖH-Wahlen statt. Im Gespräch mit progress ziehen Martin Schott (FLÖ), Angelika Gruber (VSStÖ), Janine Wulz GRAS) und Christoph Huber (FEST) vom Vorsitz-Team Bilanz über die vergangenen zwei Jahre.

Vom 14. bis 16. Mai finden die ÖH-Wahlen statt. Im Gespräch mit progress ziehen Martin Schott (FLÖ), Angelika Gruber (VSStÖ), Janine Wulz GRAS) und Christoph Huber (FEST) vom Vorsitz-Team Bilanz über die vergangenen zwei Jahre.

progress: Ihr müsst bald das Feld für die neue Exekutive räumen. Was waren für euch die schönsten und schwierigsten Momente der vergangenen zwei Jahre?

Gruber: Einer der schönsten Momente für mich war, als wir das Forum Hochschule (Alternativer Hochschulplan, Anm. d. Red.) fertig hatten und präsentieren durften.

Wulz: Für mich war der vergangene Frühling schwierig, als es harte Angriffe gegen mich gegeben hat (Anm. d. Red.: im Zuge der Diskussion um das Café Rosa). Am schönsten fand ich die Begeisterung der Studierenden, die bei ÖH-Projekten wie Hochschulen im Nationalsozialismus mitgewirkt haben.

Schott: Schönster Moment war, als ich gewählt wurde. Am meisten enttäuscht hat mich der verlorene Kampf für die Wiedereinführung der Direktwahl.

Huber: Ich bin ja erst seit Dezember im Vorsitz-Team. Mich freut vor allem zu sehen, dass es eine nächste Generation von Menschen gibt, die motiviert und mit Elan dabei ist.

progress: Die Beteiligung an den ÖH-Wahlen ist mit rund 30 Prozent immer sehr gering. Denkt ihr, dass die ÖH als Interessensvertretung der Studierenden dennoch legitim ist?

Schott: Die Wahlbeteiligung ist definitiv zu gering. Trotzdem gibt es Unis und Standorte, wo viele Studierende wählen. Das hängt wahrscheinlich mit der ÖH-Arbeit vor Ort zusammen und damit, was die Studierenden von der ÖH mitbekommen. Es gibt auch Standorte, die sich einigeln und ein bisschen Angst vor den Studierenden haben. Die wollen sich dann hauptsächlich selbst erhalten und lassen nicht alle mitmachen, die wollen. Wenn Studierende das Gefühl haben, dass die ÖH etwas Elitäres und Abgehobenes ist, dann wird bei ihnen nichts ankommen.

Wulz: Trotzdem möchte ich darauf hinweisen, dass es – im internationalen Kontext betrachtet, fast nirgends eine so stark verankerte Studierendenvertretung gibt wie in Österreich. Für uns selbstverständliche Dinge, wie beispielsweise, dass wir Stellungnahmen zu Gesetzen schreiben und ein Stimmrecht im Senat haben, müssen sich andere StudierendenvertreterInnen in Europa erst mühsam erkämpfen.

Huber: Problematisch ist, dass es eine ÖH nach drei Gesetzen gibt. Unis, FHs und PHs werden jeweils separat geregelt. Hier müsste der Gesetzgeber handeln und ein einheitliches Gesetz schaffen.

progress: Bei Forum Hochschule hat die ÖH ein alternatives Konzept für den Hochschulplan entworfen und dabei auch komplexe Formeln zur Errechnung des Finanzbedarfs der Hochschulen erarbeitet. Eva Blimlinger, Rektorin der Akademie der bildenden Künste, hat in einem Interview mit derStandard.at den Ansatz der ÖH als ökonomistisch und zu wenig visionär bezeichnet. Wie seht ihr das?

Gruber: Der ÖH wird immer Utopie und Realitätsferne vorgeworfen. Mit diesem Konzept haben wir das Gegenteil bewiesen. Gerade wenn es um die Finanzierungsfrage geht, bin ich zutiefst von diesem Modell überzeugt. In einer Budgetierung braucht es Transparenz.

Wulz: Die Kritik richtet sich weniger an das Modell an sich, sondern wirft die Frage auf, wie viel Realpolitik eine ÖH machen muss. Natürlich kann man als ÖH ein Bildungssystem fordern, das grundsätzlich anders ist. Das ist bei Forum Hochschule in allen anderen Kapiteln ja auch passiert. Für uns ist es notwendig, etwas auf den Tisch legen zu können, das jetzt umsetzbar ist. Das soll aber nicht heißen, dass wir nicht genauso Ideen haben, wie eine utopische Uni in 100 Jahren aussehen könnte.

Gruber: Aber auch die beste Utopie kommt nicht ohne Geld aus. Ich finde unsere Forderung, dass sich das Budget nach den Studierenden richtet und mitwächst, sehr visionär.

progress: Wie wahrscheinlich ist es, dass die nächste Exekutive wieder in dieser Konstellation zusammenarbeitet? Gibt es Fraktionen, mit denen ihr eine Koalition ausschließt?

Huber: Eine Zusammenarbeit mit dem RFS wird von uns allen ausgeschlossen. Meiner Einschätzung nach kann es nach der Wahl in dieser Konstellation weitergehen. Eine Alternative wäre, dass eine der vier Fraktionen mit der AG koaliert. Die hat aber aus meiner Sicht in den letzten zwei Jahren nicht mit Verlässlichkeit gepunktet.

Schott: Das ist Sache meiner NachfolgerInnen. Außer dem RFS werden wir aber nach der Wahl niemanden von Gesprächen ausschließen. Dass es mit der AG in puncto Zugangsbeschränkungen schwierig werden kann, ist kein Geheimnis. Andererseits gibt es eine Koalition mit der AG an einem lokalen Standort.

Wulz: Ich empfehle meinen NachfolgerInnen, in einer ähnlichen Konstellation weiterzuarbeiten. Die vier Fraktionen haben in den vergangenen zwei Jahren für einen freien Hochschulzugang und soziale Absicherung gekämpft. Es gibt einen breiten Konsens darüber, wofür die ÖH stehen muss. Die AG hingegen arbeitet in Richtung einer elitären Hochschule. Damit ist für mich vollkommen klar, dass es mit der AG niemals möglich sein wird, inhaltlich gemeinsam an einem Strang zu ziehen.

progress: Ab dem Wintersemester müssen viele Studierende – darunter zum Beispiel ausländische Studierende – wieder Studiengebühren bezahlen. Durch den Beschluss der Studienplatzfinanzierung wird in 28 Studienfächern die Mindestzahl der StudienanfängerInnen gesetzlich festgelegt. Was sagt ihr zu diesen Maßnahmen?

Wulz: Wären wir nicht zum Verfassungsgerichtshof gegangen und hätten mit einer Klage über eine Million Euro gedroht, wäre es viel schlimmer gewesen. Ginge es nach Töchterles Plan, hätten wir flächendeckende Studiengebühren von mindestens 500 Euro für alle Studierenden und Zugangsbeschränkungen an allen Unis. Mit der Salami-Taktik, die diese Regierung angewandt hat, wurden einige Verschlechterungen nach und nach beschlossen, aber das Worst-Case-Szenario konnte verhindert werden.

Schott: Weder Zugangsbeschränkungen noch Studiengebühren sind wirklich eingeführt worden. Bei den Studiengebühren gilt nun wieder die gleiche Regelung wie zuvor. Dass ausländische Studierende doppelt bezahlen müssen, ist eine Katastrophe. Die Reform der Studienplatzfinanzierung findet außer der Regierung niemand gut. Wir haben versucht, unser Angebot von Konzepten lautstark zu kommunizieren. Offensichtlich aus Angst vor unserer Kompetenz ist das Ministerium daran aber nicht interessiert.

progress: Was wird eurer Prognose nach bildungspolitisch in den nächsten Jahren in Österreich passieren?

Wulz: Das hängt davon ab, was politisch passiert. Existiert weiterhin ein ÖVP-Wissenschaftsministerium, kann es nur schlimmer werden.

Vor allem seit dem Universitätsgesetz 2002 wurden die Mitsprachemöglichkeiten für Studierende zurückgedrängt, die Familienbeihilfe gekürzt, die Studieneingangs- und Orientierungsphase eingeführt und die Zugangshürden verschärft. Es wurden im Halbjahrestakt Verschlechterungen beschlossen, die dazu dienen, möglichst viele Menschen aus den Hochschulen auszuschließen.

Schott: Ich glaube noch immer daran, dass die Politik irgendwann einsehen wird, dass im Hochschulraum – egal mit welchem System – mehr Geld benötigt wird.

progress: Seid ihr traurig oder froh darüber, dass die Exekutivperiode bald vorbei ist?

Gruber: Es war sehr viel Arbeit, aber auch eine tolle Erfahrung. Ich freue mich aber schon darauf, wieder Vollzeitstudierende zu sein und mein Studium beenden zu können.

Wulz: Es ist beides. Wir haben jetzt zwei Jahre durchgearbeitet und es ist an der Zeit, einmal eine Pause einzulegen und etwas anderes zu machen. Wenn ich mir aber vorstelle, dass dieser Lebensabschnitt nun vorbei ist, bin ich schon auch ein bisschen traurig.

Huber: Hier arbeiten über 80 Leute ehrenamtlich. Da findet man Freunde, die man fast jeden Tag sieht. Von heute auf morgen aufzuhören, ist dann ein Abschied mit einem weinenden Auge.

Schott: Ich freue mich auf ein Leben mit weniger Geschwindigkeit und darauf, nicht immer sofort zu allem etwas sagen können zu müssen.

Wulz: Ich freue mich darauf, mein Handy wieder auszuschalten (Zustimmung und Gelächter von allen).

progress: Was möchtet ihr euren NachfolgerInnen mit auf den Weg geben?

Gruber: Einen langen Atem (lacht).

Wulz:  Nicht zu vergessen, für wen sie das machen. Man ist in der Bundesvertretung oft auf einer Ebene, die von einzelnen Leuten ziemlich weit weg ist. Trotzdem sollte man sich vor Augen halten, dass es darum geht, dass jedeR Einzelne studieren kann. Oder, dass eine einzelne Person eine Prüfung angerechnet bekommt, mit der sie ihren Abschluss machen kann.

progress:  Strebt jemand von euch eine Karriere in der Politik an?

Wulz: Ich werde mein Leben lang politisch aktiv bleiben, denn das war ich auch, bevor ich in der ÖH war. Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich mir das jemals wieder antun werde, in so einer Funktion zu leben und damit auf vieles andere zu verzichten.

Gruber: Der Veränderungsdrang wird sich bei uns vieren nicht abstellen lassen. Es ist wirklich toll, wenn ein eigener Vorschlag mit ins Gesetz aufgenommen wird – und sei es nur eine Kleinigkeit. Es ist wichtig, dass junge Menschen nicht verdrossen aus der ÖH rausgehen und denken, dass Politik anstrengend ist, sondern sehen, dass Politik wirkt.

progress:  Die Aktionsgemeinschaft hat vor kurzem gefordert, ÖH-Ausgaben über 100.000 Euro vom Wissenschaftsministerium kontrollieren zu lassen. Was haltet ihr davon?

Huber: Wenn man überlegt, dass die ÖH eine verankerte Körperschaft ist, die sowieso schon interne Aufsichtsgremien und Grenzen hat und Beschlüsse auf verschiedenen Ebenen braucht, ist diese Forderung komplett wahnsinnig. Man müsste dann immer den politischen Gegenspieler anbetteln, um Geld ausgeben zu dürfen.

Gruber: Ich finde es gefährlich für eine Interessensvertretung, die schlagkräftig agieren soll. Das ist wie eine Zwangsjacke für sich selbst. Man wird handlungsunfähig, wenn der Minister, den man in vielen Situationen kritisiert, der Kritik zustimmen müsste. Außerdem schießt die Forderung am Ziel vorbei: Schon jetzt müssen alle Rechtsgeschäfte über rund 7000 Euro im Wirtschaftsausschuss, in dem sowieso alle Fraktionen mit Klubstatus vertreten sind, beschlossen werden. Die Kontrolle ist also schon gegeben – auch die durch die politische Gegnerin.

Schott: Die Forderung ist eine Wahlkampfforderung, die nicht sehr sauber formuliert ist. Die AG fordert eine Genehmigung von Rechtsgeschäften über 100.000 Euro. Außer der Überweisung von Studierendenbeiträgen an die lokalen Vertretungen gibt es aber auch jetzt keine Rechtsgeschäfte über 100.000 Euro. In Hinblick auf die Diskussion um das Café Rosa kommt die Forderung wahrscheinlich gut an. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir mit diesem offensichtlichen Misstrauen umgehen, denn es steckt nun einmal etwas dahinter. Es ist Aufgabe der ÖH, Geld so einzunehmen und auszugeben, dass niemand auf die Idee kommt, eine solche politische Forderung zu stellen.

Foto: Luiza Puiu

Foto: Luiza Puiu