Dossier: Essen

Integration, die durch den Magen geht

  • 10.06.2014, 16:53

Am 17. Februar wurde am Meidlinger Markt in Wien ein neues Lokal eröffnet: Purple Eat wird von einem Verein zur Unterstützung ehemaliger AsylwerberInnen betrieben. Serviert werden Speisen aus den Herkunftsländern der MigrantInnen. Ein Lokalaugenschein.

Zwei alte Männer sitzen vor einem Marktstand und rauchen. Hin und wieder wechseln sie ein Wort miteinander. Von fern trägt der Wind die Klänge eines Lieds herbei, das im Radio gespielt wird. Der Geruch von Essen erfüllt die Luft, und immer wieder ist das Klappern und Klirren von Geschirr zu hören. Die Zeit scheint träge zu vergehen an diesem sonnigen Nachmittag am Meidlinger Markt. Vor einem der Stände steht eine Tafel, die in knallrosa Lettern die Tagesspeise verkündet: „Krautrouladen (vegetarisch
oder mit Bio-Rind)“. Die Fassade des dazugehörigen Lokals ist violett – passend zu seinem Namen: Purple Eat. Aber nicht nur die Farbe des Standes hebt ihn von seiner Umgebung ab. Hinter Purple Eat steht ein besonderes Konzept. Das Lokal wird von Purple Sheep betrieben, einem Verein zur Unterstützung ehemaliger AsylwerberInnen, deren Asylantrag abgelehnt worden ist. „Die Leute kommen alle ganz kurz vor der Abschiebung zu uns“, erklärt Kurosch Allahyari, Obmann von Purple Sheep. Es sind Menschen, die
schon seit Jahren in Österreich leben, deren Kinder hier zur Schule gehen und FreundInnen hier haben. „Wenn der Staat so lange braucht, um ein Asylverfahren zu entscheiden, und die Leute gut integriert sind, dann sollten sie hier bleiben dürfen“, sagt Allahyari.
In der Regel ist das aber nicht der Fall. Deshalb bringt Purple Sheep Menschen in dieser Situation im Freunde Schützen Haus unter und kämpft mit ihnen gemeinsam darum, eine Niederlassungsbewilligung zu erwirken.

das Lokal Purple Eat. Vor dem Lokal steht eine Tafel, auf der das Tagesgericht angekündigt wird. Foto: Christopher Glanzl

Alle helfen, wo sie können.
Zudem betreiben die ehemaligen AsylwerberInnen gemeinsam mit den MitarbeiterInnen von Purple Sheep nun eben auch ein Lokal. Frau Recepi arbeitet in der Küche mit. Sie wohnt seit zwei Jahren im Freunde Schützen Haus, zusammen mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern. Vor sieben Jahren ist sie aus Mazedonien nach Österreich gekommen. Sie hat in St. Pölten gelebt, bis ihr Asylantrag
abgelehnt wurde. Der Verein versucht die Abschiebung zu bekämpfen. „Wir nehmen die Personen ins Haus auf und lassen den Fall über das Innenministerium noch einmal überprüfen“, sagt Kurosch Allahyari. Dennoch dauert es meist zweieinhalb Jahre, bis die Leute Bleiberecht erhalten. „Aber es hat bisher noch keine Abschiebung bei uns gegeben. Alle Fälle, die wir aufgenommen haben, sind auch durchgegangen.“ Bei Frau Recepi ist das bisher noch nicht gelungen. Sie kocht seit der Eröffnung von Purple Eat im Stand. „Sonntags koche ich nicht, und dann freue ich mich immer schon auf Montag. Ich liebe die Arbeit“, erzählt sie lachend. Auch ihr Mann hilft bei Purple Eat mit. „Alle, die können, sind eingeteilt“, sagt Kurosch Allahyari. Die Idee für das Lokal entstand durch Feste im Freunde Schützen Haus, bei denen die Gäste von der internationalen Kost begeistert waren. Daraufhin hat der Verein begonnen Catering anzubieten, und schließlich wurde der Stand am Meidlinger Markt eröffnet. „Wir werden von der Umgebung und den Menschen am Markt sehr freundlich aufgenommen. Alle helfen, wo sie können“, berichtet Kurosch Allahyari erfreut.

Finanziert wird Purple Eat unter anderem durch Spenden. Der Stand wird von Bauträger Hans Jörg Ulreich, der auch das Freunde Schützen Haus mitbegründet hat, zur Verfügung gestellt und auch bei den Nahrungsmitteln wird der Verein unterstützt. „Anders könnten wir das nicht machen und auch den Preis nicht halten. Wir haben vor allem bei den Fleisch- und Milchprodukten nur Bioprodukte und bei den Weinen auch“, erklärt Kurosch Allahyari. „Das Weingut Heinrich stellt uns alles kostenlos zur Verfügung, unser Fleisch bekommen wir gratis von Bioviertel. Genauso verhält es sich mit dem Kaffee von Grandoro.“ Insgesamt hat Purple Eat dadurch relativ geringe Ausgaben. Nur auf diese Weise kann das Lokal ein Menü um sieben Euro anbieten.

das Lokal Purple Eat. Foto: Christopher Glanzl

Integration einmal anders.
Und tatsächlich scheint das Konzept gut zu funktionieren. Der Stand ist liebevoll gestaltet. In den Fenstern stehen Kräuter, vom Dach baumelt die Figur eines Raben im Wind. Vor dem Lokal sind mehrere hellgrüne und weiße Tische verteilt, manche durch bunte
Blumentöpfe verziert. Momentan ist nicht viel los, nur drei der Tische sind besetzt, doch zur Mittagszeit ist das anders. „Die Leute warten, bis ein Tisch frei wird oder setzen sich zu anderen dazu“, erzählt Kurosch Allahyari stolz. Das Essen kommt bei den Gästen
sehr gut an. Heute gibt es mazedonische Krautrouladen und Blattsalat. Als Vorspeise werden Linsen mit Schafskäse und dazu Gebäck serviert, und als Dessert gibt es Blätterteigtaschen mit Cremefüllung. Frau Recepi hat die Krautrouladen auch in ihrem Herkunftsland gekocht. Dabei wird Weißkraut mit Bio-Rindfleisch (optional), Champignons, Zwiebeln und Reis gefüllt, gekocht und mit schwarzem Pfeffer gewürzt. Dazu kommen Dille und Tomatensauce sowie Kartoffeln.

Besonders ist das Essen, das bei Purple Eat serviert wird, vor allem auch, weil es auf traditionelle Weise zubereitet wird. „Wir sagen den Leuten, die kochen, dass sie nicht versuchen sollen, die Rezepte in irgendeiner Weise an den österreichischen Geschmack anzupassen“, erklärt Kurosch Allahyari. Es werden bunt gemischt Speisen aus verschiedenen Ländern präsentiert, immer eine vegetarische Version und eine mit Fleisch. Das Ziel sei, ÖsterreicherInnen an andere Kulturen heranzuführen und gleichzeitig einen Ort zu schaffen, an dem die ehemaligen AsylwerberInnen mit den hier Ansässigen in Kontakt treten können. „Wir wollen Integration von einer anderen Richtung aufziehen. Es soll nicht darum gehen, dass die Ausländer endlich Deutsch lernen, sich integrieren und Leistungen erbringen. Sie sollen das tun können, was sie möchten.“ Frau Recepis Kinder spielen vor dem Lokal. Ihr Lachen wird nur durch den Wind unterbrochen, der hin und wieder die Tür des Stands mit einem lauten Knall zuschlägt. Momentan wird die  Abschiebung der Familie Recepi vorbereitet. „Wir werden das nicht zulassen“, sagt Kurosch Allahyari. „Die Familie Recepi bleibt auf jeden Fall in Österreich.“

Patricia Urban studiert Kultur- und Sozialanthropologie und Publizistik an der Universität Wien.

Geschmacksunterschiede

  • 10.06.2014, 16:31

6 spannende Fakten zum Thema Essen. Welches Essen macht gute Laune? Ernähren sich alle queeren Menschen vegan? Woher kommt Geschmack? Wie soll der Welthunger bekämpft werden? Riot oder Diet?

Geschmackssache
Über Geschmack lässt sich nicht streiten, heißt ein bekanntes Sprichwort. Ob mensch als Naschkatze auf die Welt kommt oder eben nicht, wird im Allgemeinen als individuell und zufällig betrachtet. Eine andere Meinung vertritt Pierre Bourdieu, der sich in seinem 1979 erschienenen soziologischen Klassiker „Die feinen Unterschiede” mit dem Zusammenhang von Geschmack und sozialer Klasse beschäftigt hat. Bourdieu argumentiert, dass sich Klassenstrukturen durch die Anhäufung von kulturellem Kapital reproduzieren. Unseren Geschmack – egal ob es um Kunst oder Nahrungsmittel geht – sieht er als eine der Manifestationen dieses Kapitals. Während sozial benachteiligte Klassen aufgrund ihrer Erfahrung von Not und Mangel nahrhafte Speisen vorzögen, würden privilegierte Klassen mehr Wert auf Luxus und Feinheit legen, so Bourdieu. Hinzu kommt dann eine Aufwertung des Essens der Privilegierten und die soziale Hierarchie der Geschmacksunterschiede verfestigt sich. Wer der Käsekrainer also Blauschimmelkäse oder Bio-Falafel vorzieht, darf sich aufgefordert fühlen, die Hintergründe ihrer*seiner Entscheidung mitzubedenken.

Gute-Laune-Essen
Nicht nur Keksen, auch vielen anderen Nahrungsmitteln wird nachgesagt, dass sie gute Laune machen. Der Verzehr von Schokolade, wie auch anderer kohlenhydratreicher Lebensmittel, lässt unseren Körper angeblich Glückshormone ausschütten und als besonders wirksames Wohlfühlmittel gilt immer noch das ehemalige Luxusgut Kaffee. Dabei findet ein Zusammenspiel von Chemie und Psychologie statt, das noch nicht vollends entschlüsselt wurde. Ob es der befriedigte Appetit nach dem Schema der Selbstbelohnung, das sinnliche Erleben von Wärme und Duft einer Speise oder ganz banal die Zuckerzufuhr ans Gehirn ist, was die Nerven beruhigt und die Welt nach einer Mahlzeit besser aussehen läßt, ist möglicherweise auch von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Was zählt, ist wohl, dass die Drogen des Alltags wirken. Um die verschiedenen Bedürfnisse, die fürs Essen sprechen, fassen zu können, gibt es mittlerweile verschiedene Begriffe wie beispielsweise Magenhunger, Augenhunger, Mundhunger oder Herzhunger. Forschungen über Essen, das schlechte Laune macht, scheinen bisher übrigens kaum fortgeschritten.

Illustration einer Gabel. Illustration: Christina Uhl

What does the Unicorn eat?
Dass sich queere, nicht heteronormativ lebende Menschen vegan ernähren, ist ein Stereotyp. Obwohl sich wohl nur ein Bruchteil jener, die sich mit einer der unzähligen Definitionen von queer und Queerfeminismus identifizieren, tatsächlich vegan ernährt, findet sich auf theoretischer Ebene durchaus ein Zusammenhang: Antispeziezismus, Veganismus und der Einsatz für Tierrechte beruhen – zum Teil – auf einer Kritik der Herrschaft von Menschen über Tiere und einer straffen Grenzziehung zwischen Mensch und Tier, die viele Gemeinsamkeiten und Grauzonen zwischen den beiden Gruppen unbeachtet lässt. Auch der Queerfeminismus setzt sich gegen Herrschaft und Binarität zur Wehr. So meinen manche Queers/Queerfeminist*innen, der Prozess der Emanzipation von Menschen aus Geschlechterhierarchien und anderen diskriminierenden Strukturen müsse letztlich auch mit der Befreiung der Tiere einhergehen.

Riot! Don’t Diet
Mächtige Schönheitsideale und Körpernormen beeinflussen unser Essverhalten und verderben so manch einer*m den Appetit. Die Riot! Don‘t Diet-Kampagne stellt einen Versuch dar, sich gegen (kapitalistischen) Körperkult und damit einhergehende Zwänge und Vorstellungen von adäquatem Gewicht und optimaler Kleidergröße zu wehren. Statt sich für die Normierung des eigenen Körpers
abzustrampeln, solle sich mensch dem Widerstand gegen sexistische gesellschaftliche Unterdrückungsmechanismen widmen, so die Idee. Was jedoch nicht vergessen werden darf: Auch Diäten sind stigmatisiert. Als cool gilt heute am ehesten noch, wer auf
Diäten pfeift, genüsslich einen Burger verdrückt und dabei auch noch sexy aussieht. Weder der Imperativ „Don’t diet!” noch das Schweigen über den Druck, der vor allem – aber nicht nur – auf Frauenkörper ausgeübt wird, sind also der richtige Weg.

Illustration eines Cupcakes. Illustration: Christina Uhl

Zwangsernährung
Hungerstreik ist als eine Form des gewaltlosen politischen Protests bekannt. Der eigene Körper dient dabei oft als letztes Mittel des Widerstands, wenn andere Möglichkeiten des Ausdrucks nicht zugänglich sind. In Europa waren es in den letzten Jahren vor allem Flüchtlinge, die auf diese Protestform zurückgriffen – kollektiv, wie 2013 in der Wiener Votivkirche, oder einzeln, in Schubhaft und
von Abschiebung bedroht. Österreichische Schubhaftgefängnisse lassen Inhaftierte mitunter wieder frei, wenn diese einen niedrigen Blutzuckerwert haben. Das veranlasst viele dazu, sich selbst in Gefahr zu bringen. Denn Hungerstreik kann nicht nur akut lebensgefährdend sein, sondern auch mit körperlichen Langzeitschäden einhergehen, besonders wenn er wiederholt angewandt wird. Die zynische politische Reaktion auf diese Umstände war in Österreich die Einführung des Paragrafen 78 des Fremdenpolizeigesetzes, der fortan Zwangsernährung von hungerstreikenden Schubhäftlingen erlaubte.

Welthunger
Heute leiden etwa 870 Millionen Menschen an Unterernährung. Anders gesagt: jeder achte Mensch. Frauen und Kinder sind am stärksten von Hunger betroffen. Dass der Grund für den Hunger keineswegs Ressourcenknappheit ist, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Soziale und vor allem politische Zusammenhänge verursachen die anhaltende Unterernährung einer großen Zahl von Menschen. Auch die Nahrungsmittelhilfe, die akut in Hungersnöten eingesetzt wird, trägt mitunter zur Aufrechterhaltung jener Strukturen, die den Hunger (mit-)begründen, bei: So zum Beispiel eine kalorienreiche, komprimierte Speise namens PlumpyNut, die
aus nicht-regionalen Zutaten hergestellt und in Krisenregionen importiert wird, um kurzfristige Hilfe zu leisten. Dadurch werden jedoch unbeabsichtigt neue Abhängigkeiten geschaffen. In die Entwicklung und Patentierung von PlumpyNut wurden große Summen investiert, in den Ausbau der lokalen Landwirtschaft aber nicht. Nach wie vor wird über eine politische Lösung des Problems Welthunger selten gesprochen.

 

Jasmin Rückert studiert Japanologie und Gender Studies an der Universität Wien.
Illustrationen: Christina Uhl.

Ein Leben (fast) ohne Supermarkt

  • 10.06.2014, 16:04

Auf der Suche nach nachhaltigen und regionalen Lebensmitteln schließen sich immer mehr Menschen zu Foodcoops zusammen. progress hat sich angesehen, wie ein Leben fast ohne Supermarkt funktionieren kann.

Auf der Suche nach nachhaltigen und regionalen Lebensmitteln schließen sich immer mehr Menschen zu Foodcoops zusammen. progress hat sich angesehen, wie ein Leben fast ohne Supermarkt funktionieren kann.

Dienstagabend in einem Kellergeschoss im 15. Wiener Gemeindebezirk. In den Räumen des PerpetuuMobile 2.3 stapeln sich Kisten mit Gemüse, Getreide, Nudeln und Sojaprodukten. Dazwischen wuseln Menschen umher, vergleichen den Inhalt der Kisten mit Listen und wiegen Erdäpfel, Frühlingszwiebeln, Salat, Rüben und Pastinaken ab. Es ist Abholtag in der vegan food coop, einer von über 20 Foodcoops in Österreich. Gerade ist eine Lieferung eingetroffen, frisch vom Bauernhof.

„Ich hatte sehr lange Zeit eine Biokiste, aber ich wollte dann noch einen Schritt weiter gehen. Ich wollte wissen, wo mein Essen herkommt“, erzählt Christina. Sie studiert an der BOKU und ist seit anderthalb Jahren Mitglied der vegan food coop. Der Kontakt zu Produzent_innen ist ihr besonders wichtig: „Ich kann hier wirklich sehen und nachprüfen, wie meine Lebensmittel angebaut werden. Wir organisieren öfters Reisen zu Bauernhöfen und können uns anschauen, wie die wirtschaften.“

Genossenschaftlich organisiert. Foodcoops oder Lebensmittelkooperativen sind keine neue Erfindung. Schon im 19. Jahrhundert wurde in Großbritannien die erste Konsumgemeinschaft gegründet. Im Kontext der beginnenden Industrialisierung schlossen sich Arbeiter_innen zusammen, um der Abhängigkeit von Händler_innen, denen oft Betrug und der Verkauf minderwertiger Ware vorgeworfen wurden, zu entfliehen und organisierten den Einkauf ihrer Lebensmittel gemeinsam. Eine Foodcoop funktioniert im Prinzip genauso: Gemeinsam wird entschieden, was und wo eingekauft wird. Auch heute ist die Motivation vor allem das fehlende Vertrauen in die vorhandenen Strukturen wie Supermärkte oder Diskonter. „Für manche Dinge gehe ich schon noch in den Supermarkt, nicht alles kann ich über die Foodcoop besorgen. Aber immer öfters verlasse ich in den Supermarkt, ohne etwas gekauft zu haben, weil ich alles, was mir interessant erscheint, auch in der Foodcoop bekomme“, sagt Christina.

Nicht weit entfernt vom PerpetuuMobile 2.3, das sich die vegan food coop mit einer Siebdruckerei und diversen anderen linken Projekten teilt, hat eine der ältesten Foodcoops Wiens ihr Lokal. In den hellen Räumlichkeiten von D’Speis riecht es wie im Bioladen, neben Gemüse stehen hier auch Wein, Bier, Öl und Essig in den Regalen. Lange Bestelllisten hängen an der Wand, in verschiedenen Kühlschränken warten Milchprodukte, Tofu und Fleisch darauf, abgeholt zu werden. Samuel, der seit fast zwei Jahren bei D’Speis aktiv ist, hat auch davor schon Bio-Lebensmittel gekauft und ist dumpstern gegangen. „Für mich gab es mehrere Gründe, einer Foodcoop beizutreten: Einerseits natürlich die Qualität und der Preis der Lebensmittel. Andererseits ist eine Foodcoop auch ein politisches Statement. Wir sind nicht von Supermärkten oder Großhändler_innen abhängig, sondern bestimmen selbst, was wir wann einkaufen und unterstützen damit Kleinbäuer_innen.“ Dazu kommt für Samuel noch die soziale Komponente. Er grinst und erzählt: „Wenn ich mein Zeug in der Speis abhole, muss ich dafür immer mindestens eine Stunde einrechnen. Nicht, weil das Abholen so lange dauert, sondern weil ich hier Menschen treffe und mit ihnen plaudere.“ Dabei schätzt der Student es sehr, aus seinem gewohnten Umfeld herauszukommen und sich auch mal mit älteren Menschen auszutauschen.

Gemüsekisten in einer foodcoop

Unregelmässige Regelmässigkeit. In der vegan food coop wird es derweil ruhiger, der große Andrang ist vorbei. Jede Woche ist eine andere Person dafür zuständig, das Lokal aufzusperren, damit alle Mitglieder der Foodcoop ihre bestellten Lebensmittel abholen können. „In unregelmäßiger Regelmäßigkeit kann sich jede_r online für diesen Dienst eintragen“, erklärt Christina. Alle Aufgaben in der Foodcoop werden abwechselnd übernommen: Die Bestellungen werden online gesammelt und an die Produzent_innen übermittelt, neue Produzent_innen oder Produkte, die für die Foodcoop interessant sein könnten, werden gesucht und der Kontakt mit den Produzent_innen muss aufrecht erhalten werden. „Wir nennen das Produzent_innenrelationshipmanagement“, erklärt die Studentin. Bei welchen Bäuer_innen bestellt wird, entscheidet die Foodcoop basisdemokratisch im Plenum. Dort werden auch für eine rein vegane Gruppe heikle Diskussionen geführt. Etwa, ob sich Produkte wie Honig mit den Prinzipien der Foodcoop vereinen lassen. Diese Selbstbestimmung kostet Zeit und Engagement. Christina wird nachdenklich, als sie erklärt, dass Foodcoops nicht für jede_n das Richtige seien: „In den Supermarkt zu gehen, ist bequem, in der Foodcoop musst du die Arbeit der Kassiererin selbst übernehmen und den Preis deiner Bestellung auf einem Kontoblatt ausrechnen. Wer in einer Foodcoop einkaufen will, muss bereit sein, Aufgaben zu übernehmen.“

Basisdemokratie für Anfänger_innen. Bei D’Speis, die ungefähr 70 Mitglieder zählt, überlegt man sich, wie damit umgegangen werden kann, wenn nicht alle, die von der Foodcoop profitieren, auch Aufgaben übernehmen: „Grundsätzlich ist unser Motto, dass sich alle entsprechend ihrer Fähigkeiten einbringen sollen, aber leider gibt es schon aktivere und weniger aktive Leute. Für Neulinge wollen wir ein Buddy-System einführen, damit sie anfangs von erfahrenen Mitgliedern lernen, wie die einzelnen Arbeitsschritte in der Foodcoop erledigt werden“, erzählt Samuel. Die Foodcoop versucht auch, gezielt Menschen aus der Nachbarschaft anzusprechen und einzubinden. So beteiligen sich neben Studierenden auch einige ältere Menschen, vor allem Frauen – trotz Hürden, wie Samuel berichtet: „Das ist schwierig, weil unsere Organisationsform auf den ersten Blick chaotisch wirkt. Viele erleben bei uns zum ersten Mal ein basisdemokratisches Plenum und müssen sich erst mit dieser Art der Entscheidungsfindung anfreunden.“ Das monatliche Plenum von D’Speis läuft aber gut, auch wenn es schon mal voll werden oder lange dauern kann. Große ideologische Fragen werden auf Klausuren geklärt und verschiedene Arbeitskreise entlasten das Plenum bei alltäglichen Arbeiten. 

Beim Salzkörndl gibt es noch keine Probleme mit untätigen Mitgliedern. Die Foodcoop hat sich im letzten Sommer in Salzburg gegründet und besteht derzeit aus 35 bis 40 Leuten, vor allem Studierenden. Luisa ist eine von ihnen, sie kannte das Prinzip der Foodcoops von Freund_innen aus Berlin. „Aus meinem erweiterten Freundeskreis erfuhr ich, dass geplant war, in Salzburg eine Foodcoop zu gründen. Ich war also von Anfang an dabei. Die Gründung war ein langer Prozess, schon die Namensfindung war nicht so leicht, und dann mussten wir auch noch ein Lokal finden.“ Die junge Foodcoop trifft sich alle zwei Wochen und versucht gemeinsam, neue Lieferant_innen zu finden, um das Produktsortiment zu erweitern. Dieses besteht derzeit aus Gemüse, Eiern, Milchprodukten, Brot, Getreide und Hülsenfrüchten, die alle regional und biologisch angebaut werden. „Nicht alle Produzent_innen haben das Bio-Siegel, auch wenn sie nach diesen Kriterien anbauen. Wir schauen uns die Betriebe genau an und wenn wir ihnen vertrauen, müssen die Lebensmittel nicht zertifiziert sein. Persönlicher Kontakt ist dafür natürlich eine Voraussetzung“, erzählt Luisa. Neben den regionalen Produkten gibt es bei Salzkörndl auch Fairtrade-Kaffee und Selbstgemachtes: „Jede Woche macht eine andere Person von uns einen Aufstrich, der dann gegen freie Spende mitgenommen werden kann. Manchmal organisieren wir auch BrotbackWorkshops.“

Wenn Samuel und Christina von den nicht-regionalen Lebensmitteln erzählen, die die Wiener Foodcoops gemeinsam bestellen, klingen sie beinahe so, als hätten sie ein schlechtes Gewissen. Neben Kaffee von linken Genossenschaften aus Südamerika gibt es Zitrusfrüchte und Avocados aus Italien. „Unsere Lebensmittel sind regional, mit Ausnahmen, wo es nicht anders geht. Zusätzlich versuchen wir, unsere Sachen möglichst unverpackt oder mit Pfandsystemen zu bekommen“, erklärt Samuel die Kriterien von D’Speis. Neben den Avocados und Zitronen bestellen die gut vernetzten Wiener Foodcoops auch andere Lebensmittel gemeinsam, zum Beispiel Nudeln, Hülsenfrüchte oder Getreide. Um Letzteres selbst weiterverarbeiten zu können, besitzt D’Speis eine Getreidemühle und eine Haferflockenpresse, die von allen Mitgliedern der Lebensmittelkooperative benutzt werden kann. Eine kooperativenübergreifende Brotbackgruppe bäckt mit dem selbst gemahlenen Mehl. „Es gibt auch eine Tofugruppe, die für alle Wiener Foodcoops Tofu produziert“, erzählt Samuel begeistert und beginnt zu träumen: „In Zukunft wäre es toll, auch eigene Felder oder Gärten in der Umgebung zu haben und Foodcoops mit der Ernte zu beliefern.“ So könnte nach und nach eine kleine Wirtschaft nach den Vorstellungen der Lebensmittelkooperativen entstehen: solidarisch, regional, nachhaltig und selbstverwaltet.

Grenzen des Wachstums. Eine andere alternative Form der Lebensmittelbeschaffung ist Community Supported Agriculture (CSA), das wie eine Art Crowdfunding für Landwirt_innen funktioniert: Bereits vor dem Anbau wird gemeinsam entschieden, was angebaut wird. Durch zugesicherte Abnahmemengen können die Bäuer_innen besser planen und sind finanziell abgesichert. „Foodcoops und CSA gehen Hand in Hand“, erklärt Christina: „Die vegan food coop ist auch eine Abholstelle für einen CSA-Hof. Die Foodcoop selbst hat aber keine Anteile und kein Mitbestimmungsrecht.“

Foodcoops werden zunehmend zu einer Konkurrenz für (Bio-)Supermärkte, denn viele von ihnen wachsen stetig. Auch das Salzkörndl will größer werden: „In Zukunft wollen wir bis zu 60 Mitglieder haben. Alles darüber ist zu groß“, so Luisa. Bei D’Speis hat man diese Erfahrung schon gemacht. Samuel berichtet von einer freundschaftlichen Abspaltung: „Als wir zu viele wurden, haben einige von uns eine neue Foodcoop gegründet. Sie konnten dabei von unseren Erfahrungen profitieren. Das ist das Ziel: viele kleine Foodcoops, in jedem Grätzel eine!“

 

Joël Adami studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien.

Webtipp: Verzeichnis aller österreichischen Foodcoops: foodcoops.at

 

Essen trägt die ganze Welt in sich

  • 10.06.2014, 16:03

Geschlechterverhältnisse, Arbeitsorganisation, ja sogar Liebesgeschichten ließen sich anhand unseres Essens und der Art, wie wir darüber sprechen, rekonstruieren, sagt die Soziologin Eva Barlösius im Gespräch.

Geschlechterverhältnisse, Arbeitsorganisation, ja sogar Liebesgeschichten ließen sich anhand unseres Essens und der Art, wie wir darüber sprechen, rekonstruieren, sagt die Soziologin Eva Barlösius im Gespräch.

progress: Welchen Stellenwert hat Essen heute in unserer Gesellschaft?

Eva Barlösius: Inhaltlich hat sich der Stellenwert ein bisschen verschoben, aber die Bedeutsamkeit hat sich nicht im Geringsten reduziert. Essen ist eine Facette, in der sich alle gesellschaftlich wichtigen Prozesse reflektieren. Wenn Sie das Essen studieren, können Sie etwas über Geschlechterverhältnisse oder die soziale Position des Essenden lernen. Genauso kann man auch viel über die Prozesse der Globalisierung erfahren – also welche Lebensmittel zu uns kommen, wohin wir Lebensmittel exportieren oder wie sie verarbeitet werden. Das gibt auch Auskunft über die Familie oder darüber, wie Arbeit organisiert ist. Selbst wenn Sie die Geschichte einer Liebe erzählen möchten, eignet sich das Essens dazu. Essen ist für mich das Phänomen, das die ganze Welt in sich trägt.

Was sagt dann das, was wir essen, über uns aus?

Das Interessante ist, dass diese Frage suggeriert, dass das, was die Menschen tatsächlich essen, identisch mit dem sei, worüber sie sprechen, wenn es um Essen geht. Da muss man unterscheiden. Männer und Frauen etwa beschreiben sehr unterschiedlich, was sie gerne essen. Häufig leben sie aber zusammen oder in Familien – also kann das, was sie tatsächlich essen, gar nicht so verschieden sein. In der Art und Weise, wie wir über das Essen sprechen, es bewerten und uns gleichzeitig von bestimmten Formen distanzieren, spiegelt sich, als wer wir gesehen werden möchten. Wir drücken damit auch unsere wesentlichen moralischen und ethischen Grundsätze aus. Wenn man etwa großen Wert auf biologische Lebensmittel legt, ist darin implizit eine Kritik an den Globalisierungsprozessen enthalten.

Es unterscheiden sich aber auch die Geschmäcker – wodurch ist das geprägt?

Eigentlich ist es umgekehrt: Mit dem Geschmack rechtfertigen wir, was wir essen und was nicht. Es macht einen Unterschied, ob ich sage, ich esse gerne Vollmilchschokolade oder lieber bittere Schokolade mit hohem Kakaoanteil. Es kann heißen, dass mir das Eine nicht schmeckt und ich Bitterschokolade lieber mag. Aber diese Formen von Schokolade sind ja gleichzeitig mit dem Geschmack bestimmter gesellschaftlicher Gruppen konnotiert. Und diese sozialen Geschmäcker existieren nicht nebeneinander, sondern repräsentieren eine Geschmackshierarchie.

Entlang welcher Linien verlaufen diese Hierarchien?

Das läuft immer entlang der zentralen Linien, mittels welcher eine Gesellschaft soziale und kulturelle Unterschiede herstellt. Entlang des Geschlechts, der sozialen Klasse, entlang von Regionalität und Herkunft und so weiter. Parallel dazu gibt es unterschiedliche Geschmacksmuster.

Aktuell verzichten immer mehr Menschen auf Fleisch. Worin hat diese Ernährungsweise ihren Ursprung?

Dieser Ursprung liegt sehr weit zurück. Schon die Pythagoreer haben in der Antike auf Fleisch verzichtet. Das war ein Weg zu symbolisieren, dass man mit den herrschenden Verhältnissen nicht einverstanden war, weil sich diese damals über das Tieropfer reproduziert haben. Freiwillig auf etwas zu verzichten, das mit besonderer gesellschaftlicher Wertschätzung verbunden war, war eine Form des Protests. Bereits im 19. Jahrhundert gab es eine vegetarische Bewegung, die aus den neuen bürgerlichen Schichten entstanden ist. Sie wollte sich einerseits vom etablierten Bürgertum abgrenzen und andererseits von den Proletariern, die sich kein Fleisch leisten konnten. Die sozial aufsteigenden bürgerlichen Schichten begründeten einen Lebensstil, der sich als ethisch besonders verantwortungsvoll präsentierte. Etwas Ähnliches passiert auch heute: Bestimmte Gruppen fangen an, auf Fleisch zu verzichten, weil sie dadurch zeigen können, dass sie Menschen mit einem besonderen ethisch-moralischen Bewusstsein sind.

Einerseits wollen sich die Menschen also abgrenzen, andererseits werden diese Trends aber massiv vom Markt aufgegriffen.

Das macht unsere heutige Gesellschaft aus. Sobald diese Trends erkennbar sind, werden sie von der Industrie aufgegriffen und unmittelbar vermarktet – obwohl sie eigentlich immer auch Kritik an der ökonomischen Verfasstheit der Lebensmittelproduktion sind. Das ist der Unterschied zu den Bewegungen des 19. Jahrhunderts: Damals versuchte man, spezifische Einrichtungen, etwa Reformhäuser, zu gründen, ist damit aber oftmals ökonomisch gescheitert. Das ist heute selten der Fall. Man ist bei jeglicher Form der Kritik nicht mehr davor geschützt, dass sie am nächsten Tag vermarktet wird.

Kann diese Vermarktung dazu beitragen, einen bestimmten Lebensstil zu verankern?

Der Eiermarkt in Deutschland ist hierfür ein gutes Beispiel: Hier setzen sich Produkte, die als „bio“ klassifiziert sind oder ein Tierschutz-Gütesiegel tragen, immer mehr als Selbstverständlichkeit durch. Das ist also auch ein Mechanismus, über den man breite gesellschaftliche Veränderungen langsam in Gang setzen kann.

Heutzutage ist es in, einen bewussten Lebensstil zu pflegen und Sport zu treiben. Steht das auch mit der modernen Arbeitswelt in Zusammenhang?

Das ist geradezu ein und dasselbe. Die Bereitschaft, Sport zu machen und sich gesund zu ernähren, fungiert als Beweis für Leistungsbereitschaft und Eigenverantwortlichkeit in der Arbeitswelt. Ich habe ein Forschungsprojekt mit dickeren Jugendlichen gemacht und denen war es ein wichtiges Anliegen zu unterstreichen, dass sie zwar anders aussehen, aber trotzdem eine hohe Leistungsbereitschaft haben. Der Körper ist heutzutage die „Marke“, die ich zu produzieren habe, „meine Visitenkarte“, mit der ich zeige, dass ich ein hohes Maß an Selbstdisziplin, Eigenverantwortlichkeit und Leistungsbereitschaft mitbringe.

Es existiert also immer ein Zusammenspiel zwischen der Arbeitswelt und dem Essverhalten?

Das ist das Interessante: Je weniger der Körper als Instrument der Arbeit dient, umso mehr wird er zum Symbol der Arbeitsbereitschaft. Dagegen lässt sich allerdings wenig unternehmen, denn darin spiegelt sich die gesellschaftlich anerkannte Leistungsideologie.

 

Eva Barlösius ist Soziologin und lehrt derzeit als Professorin an der Leibniz Universität Hannover. Seit Beginn ihrer wissenschaftlichen Karriere befasst sie sich mit dem Thema Essen. Von ihr erschien unter anderem Das Buch „Die Soziologie des Essens. Eine sozial- und kulturwissenschaftliche Einführung in die Ernährungsforschung“. Das Interview führte Theresa Aigner.

 

Studentenfutter

  • 10.06.2014, 15:33

 

Für viele Studierende bietet das Mensaessen guten Grund sich zu mokieren. Dass leistbares Essen für Studierende wieder in den Bereich der Utopie abzudriften droht, zeigt sich an der zunehmenden Ökonomisierung der Mensen.

Das Konzept der Mensen, die leistbares Essen für alle anbieten sollen, hat sich an Europas Universitäten durchgesetzt. Die Idee ist gut: günstig essen in Gesellschaft anderer Studierender direkt an der Universität. Dass diese schöne Idee aber nicht immer der Praxis entspricht, wissen Studierende aus Erfahrung. Schmutziges Besteck, Essen, das immer nach Suppenwürfel schmeckt, egal was man auf dem Teller vor sich wiederfindet, und ein sich ständig wiederholender Speiseplan kommen in vielen Mensen vor. Darüber freuen sich zwar die studentischen Geschmacksknospen nicht, aber für Unterhaltung kann das Mensaessen schon einmal sorgen: Es wird evaluiert, ob das graue Letscho oder das vermeintliche Putenschnitzel den Contest der grauslichsten Speise gewinnt, spekuliert, was überhaupt der unbestimmbare grüne Quader sein soll, der aufgetischt wird, und geraten, in wie vielen Gerichten die Nudeln zuvor schon zu finden waren. Ein denkbar schlechtes Zeugnis. So gesehen, bleibt als positiver Aspekt wohl nur die Stärkung der Gemeinschaft übrig. In einer Zeit, in der es für viele Studierende finanziell düster aussieht, ist die Idee vom billigen Essen auf der Uni dennoch aktueller denn je. Studierende sind oft an das Essensangebot an der Hochschule gebunden, auch weil ihr stressiger Studienalltag nicht immer zulässt, Angebote außerhalb des Universitätsgebäudes zu nutzen.

Illustration eines Wiener Schnitzels mit einer Zitronenscheibe. Illustration: Christina Uhl

Einmal Menü 1 bitte. So geht es auch Lisa. Die 22-Jährige studiert Pharmazie an der Universität Innsbruck und geht regelmäßig in die Mensa im Café 80/82. Was sie dort mit einer Studierendenermäßigung zu einem Preis von 3,60 Euro zu essen kaufen kann, findet sie verhältnis- mäßig gut. Obwohl meist einfache Gerichte wie Wokgemüse, Nudeln, Ofenkartoffeln oder Salate angeboten werden und die Qualität des Essens von Woche zu Woche schwankt, isst sie oft dort: „Neben einem Weckerl aus dem Supermarkt ist die Mensa häufig die einzige Chance auf ein Mittages- sen.“ Besonders Studienrichtungen mit hoher Anwesenheitspflicht lassen es oft nicht zu, dass man gerade mittags etwas Warmes essen kann. Lange Laboreinheiten und dichte Stundenpläne schränken die Zeiten ein, in denen man sich in Ruhe dem Kochen und Essen widmen kann.

Das Café 80/82, in dem Lisa isst, ist einer von vielen Standorten der Österreichischen Mensen Betriebsges.m.b.H. Die anspruchsvolle Aufgabe der Ernährung von Studierenden in Österreich lag bis vor kurzem zum größten Teil in ihrer Hand. Die Österreichische Mensen Betriebsgesellschaft ist an Unis in allen Landeshauptstädten sowie an der Donau-Universität Krems, der Montanuniversität Leoben und der FH Joanneum in Kapfenberg vertreten. Der Betrieb ist Eigentum des Bundes, zuständig ist das Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft. Gegründet wurde er mit dem Ziel, Studierenden günstiges Essen zu ermöglichen, dafür bekommt die Mensen Betriebsges.m.b.H. die Räumlichkeiten an den Unis gratis oder kos- tengünstig zur Verfügung gestellt. Seit zwei, drei Jahren können sich aber auch private Firmen für diese Aufträ- ge bewerben, was zur Folge hat, dass Betriebs- und Pachtkosten steigen. Die Mensen Betriebsgesellschaft, die nicht gewinnorientiert arbeitet, muss deshalb vermehrt aus zusätzlichen Quellen, wie Catering, Geld lukrieren, um die Mensen finanzieren zu können.

Der Geschäftsführer der Mensen Betriebsges.m.b.H., Gerhart Stadlbauer, ist sich der Änderung der Spielregeln bewusst. „Wir haben kein Monopol mehr, sondern stehen in einem Wettbewerb mit anderen Betrieben. Das ist gut so. Aber wir müssen unser Verhalten verändern.“ Um sich Ideen zu holen, besucht er auch die Konkurrenz, zum Beispiel die Mensa am neu- en Campus der WU Wien. Diese wird von der Cateringfirma Eurest, die sonst hauptsächlich Betriebskantinen wie jene von Siemens bewirtschaftet, betrieben. Die Mensen Betriebsges.m.b.H., die die Mensa am alten WU-Gelände geführt hatte, wurde bei der Neuausschreibung von Eurest überboten und verlor den Standort. Dass Eurest sich angesichts der hohen Investitions- und Pachtkosten halten könne, bezweifelt Stadlbauer. Trotzdem zeigt sich daran exemplarisch, dass die Mensen Betriebsgesellschaft zunehmend in Bedrängnis gerät, auch finanziell. Noch können Studierende Menüs um circa fünf Euro erwerben und Wassertrinken ist bis jetzt noch gratis, was in der Gastronomie, die von den Einnahmen aus Getränken lebt, keine Selbstverständlichkeit ist. Ob das angesichts der geänderten Rahmenbedingungen so bleiben kann, ist fraglich.

Illustration eines Brokkolis. Illustration: Christina Uhl

Essfertig in 8 Min. Viele Studierende weichen der Mensa jetzt schon aus und nehmen den Kochlöffel selbst in die Hand, auch weil ihnen das Mensamenü zu teuer und zu minderwertig ist. Selbst, wenn es eine zusätzliche Ermäßigung von 80 Cent mit dem Mensapickerl der ÖH gibt.

Sarah Lea studiert seit sechs Semestern Humanmedizin an der Medizinischen Universität in Innsbruck, in der Mensa war sie jedoch noch nie. Sie kennt den stressigen Studienalltag, trotzdem bemüht sie sich, ihr Essen selber zu kochen. Das oft überdurchschnittlich hohe Fleischangebot an der Mensa kommt ihr als Vegetarierin nicht entgegen. „Bei mir gibt es fast jeden Tag Gemüse. Mal mit Kartoffeln, mal mit Reis. Natürlich gibt es auch mal Nudeln, wenn es schnell gehen muss.“ Auf Fertiggerichte möchte sie aber nicht zurückgreifen. Was bedeutet, dass sie oft erst am Abend den Seziertisch gegen den Herd eintauscht, um sich zumindest eine warme Mahl- zeit am Tag zu kochen. In besonders intensiven Lernphasen kocht sie dann auch gern einmal vor.

Untertags machen viele andere Studierende gerne mal einen Abstecher in den nächsten Supermarkt. Das Weckerl aus der Feinkostabteilung stellt eine wesentliche Ernährungsgrundlage für viele Studierende dar. Wenn es aber etwas Warmes sein soll, weichen viele auf Gastronomiebetriebe in der Umgebung ihrer Universität aus.

Bitte die Rechnung. Die 21-jährige Katrin, Lehramtsstudentin an der Karl-Franzens-Universität in Graz, war von ihrem einmaligen Besuch in der Mensa am Sonnenfelsplatz nicht enttäuscht, zieht aber die Bierbaron- Kette, mit ihren fünf Betrieben in der näheren Umgebung der KFU und der TU, vor. „Ich bin ein Riesenfan der ,Bausatzmampferei’: superlecker und supergünstig.“ „Bausätze“ werden in diesen Lokalen Basisprodukte, wie Ofenkartoffeln, Pizza oder Toast, die individuell mit zusätzlichen Zutaten bestellt werden, genannt. Die gibt es zum Preis von drei bis sieben Euro von elf Uhr vormittags bis ein Uhr nachts. Die Kombination aus niedrigen Preisen, großen Portionen, langen Küchenzeiten, günstigen Standorten und breiter Auswahl macht Betriebe wie den Bierbaron für Studierende attraktiv. Die Geschäftskonzepte sind rein auf Studierende ausgerichtet und werfen soviel ab, dass solche Betriebe häufig expandieren und nachgeahmt werden.

Diese Beliebtheit kann man sich auch mit Stadlbauers Beobachtung erklären, dass Studierende zunehmend darauf Wert legen, dass ihr Essen individuell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist. Daran soll sich auch die Mensen Betriebsges.m.b.H. zukünftig orientieren. „Im Vergleich zu früher fordern die Studierenden mehr Kreativität in der Essenszubereitung und wollen keine Kelle von irgendwas, das satt macht, mehr. Immer öfter wird gesundes, veganes, vegetarisches und frisch gekochtes Essen gewünscht.“ Auch die Mensen gehen deshalb zunehmend weg von der klassischen Großküchenmensa und entwickeln sich eher in Richtung Normalgastronomie. Bis jetzt ist das Vakuum, das die Mensen Betriebsgesellschaft hinterlässt, eben vor allem für diese Normalgastronomie lukrativ.

Illustration eines Schnellimbissbox, gefüllt mit Nudeln. Illustration: Christina Uhl

Heute: Curry mit Tofu! Auch auf Studierende ausgerichtet, aber dennoch ganz anders macht es das selbstverwaltete Studierendenkollektiv im Tüwi neben der Universität für Bodenkultur. Das Tüwi ist für viele Studierende eine willkommene Alternative zu der dortigen Mensa, unter BOKU-Student_innen bekannt als die „Baracken“. Das Essen dort soll laut Michi, Student und Koch im Tüwi, katastrophal sein, weshalb mittlerweile durchschnittlich 80 Portionen Essen pro Tag im Tüwi verkauft werden. Er und andere haben vor ein paar Jahren angefangen, vegetarisches und veganes Essen zu kochen, um es zu einem niedrigen Preis zu verkaufen. Michi hält die Auseinandersetzung mit dem eigenen Konsumverhalten für besonders wichtig: „Wo wird gespart? Beim Essen. Aber Hauptsache ein cooles Leiberl anhaben.“ Besonders, was den Fleischkonsum betrifft, würde er sich ein Umdenken bei den Studierenden wünschen: Die Nachfrage nach Fleischgerichten sei noch immer sehr hoch. Dass qualitativ hochwertiges Essen leistbar bleibt, ist ein Grundanliegen des Tüwi-Kollektivs. Es trifft damit den Nerv der Zeit. Vielen Studierenden fehlt nicht der Wille, sich gut, gesund und nachhaltig zu ernähren; das Problem sind vielmehr finanzielle und zeitliche Barrieren.

Bestpreis: Clever Leberaufstrich um 0,65 €. Laut Studierenden-Sozialerhebung von 2012 steigt die Erwerbstätigkeit, während jedoch das Budget der Studierenden real sinkt. Die Kürzungen der Familien- und der Studienbeihilfe, steigende Lebensmittel- und Mietpreise sowie die zunehmende Berufstätigkeit von Studierenden verlangen auch nach einer Reflexion darüber, wie und zu welchem Preis sich Studierende ernähren.

Was Studierende tatsächlich essen und wie es in Folge um ihre Gesundheit bestellt ist, liegt bisher aber völlig im Dunkeln, denn es fehlt an Daten. Der vierte österreichische Ernährungsbericht (OEB) wurde 2012 veröffentlicht und dokumentiert und analysiert das Ernährungsverhalten und die Konsumgewohnheiten der Österreicher_innen. Über die spezifische Situation von Studierenden und ihre Essgewohnheiten erfährt man im Bericht allerdings nichts: Alle 18- bis 65-Jährigen werden dort, ungeachtet ihrer völlig unterschiedlichen Lebensrealitäten, in einen Topf geworfen. Dass es gerade unter den Erwachsenen eklatante Unterschiede, vor allem auch finanzieller Art gibt, wird dabei übersehen.

 

Marlene Brüggemann studiert Philosophie an der Universität Wien.

Caffè Sospeso für Zeitungsverkäufer_innen

  • 25.06.2014, 13:42

Das Auschlössl-Café teilt seinen Standort mit dem Straßenmagazin Megaphon. Neben einer einladenden und offenen Atmosphäre legt das Lokal auch Wert auf biologische, faire und regionale Produkte.

Das Auschlössl-Café teilt seinen Standort mit dem Straßenmagazin Megaphon. Neben einer einladenden und offenen Atmosphäre legt das Lokal auch Wert auf biologische, faire und regionale Produkte.

Es ist ein warmer Frühlingstag und fast alle Tische auf der Terrasse des Auschlössl-Cafés sind besetzt. Zwei Mütter trinken ihren nachmittäglichen Latte Macchiato, während ihre Babys in den Kinderwägen schlummern. Einige Angestellte aus den umliegenden Büros kommen in ihrer Mittagspause vorbei, um sich mit einer Suppe, einem Eintopf oder Salat für die zweite Hälfte des Arbeitstages zu stärken. Ein altes Ehepaar besucht nach seinem Spaziergang im angrenzenden Augarten spontan das Café, um das Burgenländer Kipferl zu probieren. Daneben döst ein Hund im Gras.

Megaphon-Café. Auf den ersten Blick scheint das Auschlössl ein gewöhnliches Lokal zu sein. Menschen sitzen auf den schlichten braunen Holzsesseln der Terrasse, löffeln Suppe aus bunten Porzellanschüsseln oder trinken ein Bier. Auf der Bar stehen Gläser mit Keksen und kleine Kübel, aus denen Basilikum oder Melisse wachsen. Darüber hängt eine Stellage für Wein- und Saftflaschen. Doch wenn man an der Bar vorbei in den hinteren Teil des Gebäudes kommt, steht man plötzlich vor riesigen Stapeln des Megaphon-Magazins, weshalb das Auschlössl auch Megaphon-Café genannt wird.

Das Megaphon ist ein seit 1995 monatlich erscheinendes Grazer Straßenmagazin und gleichzeitig eine soziale Initiative der Caritas. Menschen ohne Arbeitsgenehmigung können hier eigenverantwortlich um 1,25€ pro Stück Zeitschriften kaufen und diese um 2,50€ auf der Straße weiterverkaufen. „Diese Arbeit soll ein Zwischenstopp zu einer Arbeitsgenehmigung sein“, erklärt Philipp Carstanjen, der als Zivildiener bei der Caritas arbeitet und für das Megaphon zuständig ist. „Im Schnitt dauert das aber acht bis elf Jahre.“ Aktuell gibt es etwa 400 Megaphon-Verkäufer_innen, 250 davon in Graz, der Rest in den ländlichen Gebieten der Steiermark und Kärntens. Dabei hat jede_r Verkäufer_in einen fix zugewiesenen Standort. Etwa 18.000 Exemplare werden monatlich produziert.

Caffè Sospeso. Im ersten Stock des Hauses befindet sich die Redaktion der Zeitschrift, im Nebengebäude findet der Vertrieb statt. Bevor das Auschlössl-Café um 9:00, an Sonn- und Feiertagen um 10:00 öffnet, kommen die Megaphon-Verkäufer_innen in das Lokal, um sich bei Philipp die Magazine abzuholen. Manchmal hat auch einer der Gäste einen sogenannten „Caffè Sospeso“ für die Verkäufer_innen hinterlassen, indem er einen Kaffee mehr gezahlt als getrunken hat.

„Das Café hat den Anspruch, sozial und multikulti zu sein“, erklärt die Teamleiterin Elisabeth Seifert. Auf der Terrasse steht eine etwa zwei Meter große Figur aus rotem Draht, die einen Menschen mit einem Megaphon in der Hand darstellt. Ein Zeitungsverkäufer hat sie selbst gefertigt. Im Café hängen Bilder von Künstler_innen, welche in der aktuellen Megaphon-Ausgabe vorgestellt werden. Dahinter gibt es einen Begegnungsraum, in dem unter anderem Deutschkurse, Film-, Tanz- und Musikabende stattfinden, finanziert durch freiwillige Spenden. Außerdem werden Workshops abgehalten, bei denen Verkäufer_innen ihre besonderen Kenntnisse vermitteln: Wie komme ich zu einer Arbeitsgenehmigung; wie bekomme ich eine Wohnung; wie kaufe ich sparsam ein – um solche Fragen geht es dabei beispielsweise.  

Lokal, regional, saisonal. Dem Team des Auschlössl-Cafés ist es auch besonders wichtig, lokale, regionale und saisonale Produkte anzubieten. „Es geht uns vor allem darum, die umliegenden Geschäfte einzubinden und dabei hohe Qualität zu sichern“, erklärt Philipp. Er ist ausgebildeter Koch und somit eine große Bereicherung für den Betrieb. Bei vielen Getränken und Speisen sind auf der Speisekarte die Produzent_innen angegeben. Brot und Gebäck wird von der benachbarten Bäckerei Kern bezogen. Feta, Oliven und andere mediterrane Produkte werden bei dem griechischen Laden Bakaliko am Grazer Lendplatz gekauft. „Der Besitzer Timo fährt selbst zu seinen Verwandten nach Kreta und holt dort die Sachen. Ich weiß also wirklich, wo sie herkommen“, meint Philipp.

Wenn möglich werden regionale Produkte für die Speisen und Getränke verwendet. Alkoholische Getränke kommen aus südsteirischen Weingütern oder Brennereien. Eine Spezialität ist der „Perlmut“ vom Gaumengut von Lorenz Kumpusch, ein Wermut-Frizzante-Getränk. Lorenz Kumpusch ist auch Küchenchef im Grazer Landhauskeller und Autor der vierteljährlich erscheinenden Megaphon-Kochbücher. Dort präsentieren Megaphon-Verkäufer_innen kulinarische Spezialitäten aus ihren Herkunftsländern.

Das Auschlössl-Café arbeitet auch mit der Grazer Caritas-Fachschule zusammen, welche die Kuchentheke des Lokals befüllt. Etwa 120 Schüler_innen besuchen diese Schule und kreieren in der Lehrküche Zitronentartes und andere Leckerbissen. Zusätzlich erhält das Auschlössl auch Kuchenspenden von ehrenamtlichen Mitarbeiter_innen der Caritas.

Atmosphäre vor Profit. Wenn die Produkte nicht aus der Umgebung kommen, wird vor allem auf Bio und Fair Trade geachtet, , beispielsweise bei Kaffee. Trotzdem ist ein Cappuccino mit 2,60€ verhältnismäßig billig. „Wir machen nicht wesentlich Profit, aber es geht sich am Monatsende immer gut aus. Wir möchten Bio und Fair zu annehmbaren Preisen anbieten. Profit ist nicht das Wichtigste“, meint Elisabeth Seifert. Etwa zehn Leute arbeiten im Moment Halb- oder Vollzeit im Auschlössl. Zu Stoßzeiten braucht es drei Leute, um die Gäste zu bedienen.

Spezialitäten des Lokals sind das Frühstücksangebot von orientalisch mit selbst gemachtem Hummus bis zu Schinkenbrot und Müsli und die wechselnden „Hotpot“-Suppen und -Eintöpfe, zubereitet nach der 5-Elemente-Küche. Viele der angebotenen kleinen Speisen sind vegan oder glutenfrei. Das zieht vor allem Student_innen an, aber das Publikum ist bunt gemischt. Elisabeth Seifert begrüßt das: „Das Publikum ist familiär und altersmäßig gemischt. Und wenn ein Kind nach dem Spielen im Augarten hereinkommt, bekommt es auch mal ein Croissant oder einen Toast umsonst.“

 

Margot Landl studiert Lehramt Deutsch und Geschichte sowie Politikwissenschaft an der Universität Wien.

 

Homepage Straßenzeitung „Megaphon“ http://www.megaphon.at/

Das Auschlössl auf Facebook: www.facebook.com/auschloessl